17. Jahrgang | Nummer 2 | 20. Januar 2014

Bemerkungen

Zukunft

Wenn ich dem Kommunismus des 20. Jahrhunderts vorwerfe, alles als Funktion der Zukunft zu beurteilen, dann weil Letzteres als definitiv präsentiert wird und weil dieses glückliche Ende der Geschichte dann jeden Exzess autorisiert. Wenn man die Zukunft in der geschichtlichen Entwicklung abschätzen will, dann ist sie lediglich ein Sammelsurium von Möglichkeiten und – um dabei eine politische Haltung zu definieren – man muss jede dieser Möglichkeiten einzeln betrachten. Die historische Zukunft rechtfertigt aber keinen Dogmatismus, sondern sie erfordert das Eingehen eines Risikos. Es gibt zu viel Irreales bei der Betrachtung der Zukunft, als dass man sie von vornherein als definiert und beschränkt verstehen könnte und nicht versucht, ihr eine lebensfähige Definition durch Risiken und Versprechen zu ermöglichen.

Albert Camus, 1955

Weltenende

Ach, diese naive Leichtgläubigkeit – nur weil der von den Mayas avisierte Weltuntergang 2012 nicht eingetreten ist, glaubt die einfältige Menschheit, dass alles nur ein Irrtum, mehr noch, ein Scherzo war. Dass sich der Welten Ende nur ein wenig verlagert hat und sich in seiner Form zudem zeitgeistig präsentiert, hatte kaum jemand auf dem Schirm. Aber auch für den Blauäugigsten unter uns beginnt nun das böse Erwachen, denn ein in seiner Objektivität axiomatischer Indikator zeigt an, dass die Erde ein Auslaufmodell ist: In der Bundesrepublik, so hat uns Spiegel-Online wissen lassen, sind im vergangenen Jahr 4,2 Prozent weniger Autos neu zugelassen worden als 2012. Insgesamt wurden 2013 lumpige 2,95 Millionen Neuwagen registriert. Und dass ein schwächelnder Automarkt im Leben einer Wohlstandsgesellschaft das ist, was Kopfschmerzen als Frühindikator für das tödliche Ebola-Fieber, weiß jedes zumindest männliche Kind, seit dessen erstes Wort „Auto“ lautet und nicht mehr „Mama“. Eine Option bleibt unserer Regentschaft allerdings noch. So wie in letal bedrohlichen Krankheitsfällen manchmal noch eine Totaloperation hilft, könnte für alle derzeit zugelassenen PKW eine neue Abwrackprämie in Höhe eines Neuwagens der Mittelklasse letzte Rettung bedeuten. Aber das wird sicher daran scheitern, dass die Eigner von Luxuskarossen dann etwas dazu zahlen müssten. Mist!

Bertram Regner

Gefährliches Thüringen

In gewissen Gegenden Berlins sollen sich ältere Menschen zu später Stunde kaum noch auf die Straße trauen. Im Freistaat Thüringen droht der umgekehrte Zustand: Dort werden die Senioren immer krimineller. Zum Jahresbeginn präsentierten der MDR und die OTZ den sich erschrocken die Neujahrsaugen reibenden Aborigines zwischen Kyffhäuser und Rennsteig einen Anstieg der registrierten Straftaten der über Sechzigjährigen jederlei Geschlechts im Jahre 2012 gegenüber 2003 um 6,5 Prozent (2003: 4.276 Tatverdächtige, 2012: 4554 Tatverdächtige). Mitnichten sind die gieriger auf Shampoo und Katzenfutter geworden. Geklaut haben die Senioren weniger – ihre Ladendiebstahlsquote ging um 33 Prozent zurück. Dafür nahm ihre Neigung zum Betrug zu: Vermögens- und Fälschungsdelikte stiegen im Vergleichszeitraum von 453 auf 727 Fälle an. Und sie werden immer rabiater – laut LKA Thüringen hielt der Trend 2013 an –: Die Zahl der von Senioren begangenen Körperverletzungen stieg um 36 Prozent an! 2003 wandten die älteren Thüringer und Thüringerinnen 454 mal rohe Gewalt an, 2012 dagegen 618 mal. Solche Anstiegsraten vermutet man doch eher in Berlin-Neukölln oder Bochum, aber doch nicht im Lande Herbert Roths! Wenn die Herrschaften wenigstens vor den Schranken der Gerichte Einsicht in ihre Verfehlungen zeigen würden… Aber die Richter klagen zunehmend über mangelnde Reue, „Bockigkeit“ und „Altersstarrsinn“. Auch Justizminister Holger Poppenhäger (SPD; er wird erst in drei Jahren 60…) ist ratlos. Zumindest erklärte er dem MDR Thüringen, sich für einen „altersgerechten Strafvollzug“ – was auch immer das ist – einsetzen zu wollen. Denn diese Sturköpfe gehören hinter Schloss und Riegel. Irgendwann nämlich ist es aus mit der Milde! Genau das erklärte der Sondershausener Amtsrichter Christian Kropp der Thüringer Allgemeinen schon im April 2012. Er brummte einem Rentner eine viermonatige Gefängnisstrafe auf. Der Mann war ein notorischer Wiederholungstäter – acht Diebstähle hatte er begangen. Zuletzt aß er in einem Supermarkt eine Tüte Rosinen auf: vor, nicht hinter der Kasse. Als Strafrichter dürfe man nicht nur mit der Waage arbeiten, meint Kropp. Alle kriminellen Karrieren fangen einmal ganz klein an, fügen wir hinzu – und werden künftig einen Bogen um Sondershausen machen.

Günter Hayn

Mars ante portas

Der Zug zur infantilen Unterhaltungskultur macht vor nichts Halt. Und da auf Erden dank Originalität oder Widerlichkeit zugkräftige Einfälle immer rarer werden, sind die ersten außerirdischen Events schon in Vorbereitung. Aus mehr als 200.000 Bewerbern hat die niederländische Agentur „Mars One“ zunächst 1.058 Teilnehmer ausgesucht, von denen ab 2025 dann 24 auf den Mars gebracht werden sollen, Rückticket ausgeschlossen. Final ausgelesen werden besagte 24 Personen selbstredend im Rahmen einer Fernsehshow – wo sonst. Nun wäre dieser elende Schwachsinn zumindest an dieser Stelle keiner Rede wert, würde er unsereinen nicht auf den Gedanken bringen, wie verdienstvoll das Projekt sein könnte, wenn man nur die Richtigen final auf den Mars schösse. An Vorschlägen allein nationaler Natur wäre kein Mangel. Eher an Kapazität des Raumfahrtunternehmens. Wobei: die deutlich preiswertere Variante mit dem Mond als Ziel täte es auch schon.

HWK

Selbstgespräch eines Exministers

von Otto Mane

Ich war Minister und ich sage,
ich war es viele Jahre gern.
Noch lieber bin ich ohne Frage
jetzt Boss in einem Großkonzern.

Nun gibt es Leute, die bemängeln
mir meinen flotten Übertritt,
indem sie von Verquickung quengeln,
von Unmoral, doch das ist shit.

Mein Übertritt gewissermaßen
war nämlich eine gute Tat,
denn ich half Menschen. Diese saßen
in dem Konzern im Aufsichtsrat.

Aus alter Freundschaft helf´ ich ihnen,
mit ganzer Kraft, so wahr ich bin,
beim ordentlichen Geldverdienen
und lange dabei gleichfalls hin.

Denn Geld ist eine Gottesgabe.
Man macht dir Platz, wenn du es hast.
Hantierst du mit dem Bettelstabe,
dann bist du nur Sozialballast.

Drum heißt es: hole die Moneten,
wo immer und so viel du kannst.
Lass deine Neider ruhig reden,
wenn du das goldne Kalb umtanzt.

Das goldne Kalb, das musst du pflegen.
Ist es dir nämlich wohlgesinnt,
dann trägt es dich auf allen Wegen,
besonders wenn es krumme sind.

Polarforschung als Alibi

Im Eis der Antarktis blieb ein russischer Eisbrecher stecken. Ihm zu Hilfe eilten ein chinesischer, ein australischer und ein französischer Eisbrecher. Alle drei erreichten das russische Schiff nicht. Das chinesische Schiff verfügt jedoch über einen leistungsstarken Transporthubschrauber, um die russischen Schiffspassagiere auf das australische zu fliegen. Alle waren glücklich. Die Wartezeit bis zum Ausfliegen vertrieb man sich mit fröhlichen Spielen auf dem Eis. Leider war das Bier knapp. Dafür blieb auch noch der chinesische Eisbrecher – sinnigerweise heißt der „Eisdrache“ – im Eise stecken. Jetzt hat sich ein US-amerikanischer Eisbrecher auf den Weg gemacht, um sowohl den Chinesen als auch den Russen zu befreien. Letzterer machte sich inzwischen – wohl vor Schreck – selber frei. Das alles erinnert sehr oberflächlich an die spektakulären Expeditionsdesaster im arktischen Eis in den zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts: „SOS … rao rao … Foyn – ‚Krassin’ rettet ‚Italia’“. So hieß das Hörspiel Friedrich Wolfs aus dem Jahre 1929 für die Funkstunde über die internationale Rettungsaktion für die Crew Umberto Nobiles, die 1928 mit dem Luftschiff „Italia“ über der Arktis abstürzte. Roald Amundsen und sein Pilot Leif Dietrichson ließen bei der Suche nach Nobile ihr Leben. Diese Art „Polarforschung“ war schon damals umstritten: „Manchmal ist sie nur ein Vorwand, um die Zeitungen mit Sensationen zu füllen, manchmal der Ausflug reicher Sportsleute … Der Eifer, den Nordpol um jeden Preis erreichen zu wollen, hatte in vielen Fällen gänzlich unwissenschaftliche Gründe…“, schrieb Friedrich Sieburg 1926 im Vorwort zu „Rasmussens Thulefahrt“. Die 52 jetzt auf dem australischen Eisbrecher befindlichen Passagiere des russischen Schiffes sind auf dem Heimweg. Es sind hauptsächlich Touristen, die auf den Spuren der auf tragische Weise gescheiterten ersten australischen Antarktisexpedition von Sir Douglas Mawson (1911 bis 1914) waren. Einige Alibi-Forscher sind wohl auch dabei.
Friedrich Wolfs Hörspiel, in einer immer noch atemberaubenden Inszenierung von Alfred Braun am 5. November 1929 erstmals ausgestrahlt, gab das Deutsche Rundfunkarchiv jetzt anlässlich des 125. Geburtstages des Arztes und Schriftstellers gemeinsam mit anderen Tondokumenten heraus. Das Werk singt ein Loblied auf die Möglichkeiten der damals neuesten Technik: Kurzwellenfunk, Eisbrecher und Junkers-Flugzeuge. Ein Loblied vor allem aber auf die Solidarität von Menschen für Menschen in Not: „Hier im Polareis gilt als erstes: Hilfe!“ – so der Befehl Eggis, des Kommandanten des Eisbrechers „Krassin“ an seine Leute. Verständnis für den Renommierflug Umberto Nobiles brachte Wolf nicht auf. Einer vom italienischen General im November 1929 erbetenen persönlichen Begegnung ging der Dichter offenbar aus dem Weg. Das aktuelle antarktische Spektakel hätte ihm wohl nur Hohn und Spott abgerungen.

W. Brauer

Friedrich Wolf. Ein Rundfunkpionier, 2 CD’s, Deutsches Rundfunkarchiv in Zusammenarbeit mit der Friedrich-Wolf-Gesellschaft 2013, 9,00 Euro.

Quantenzukunft

„Die Maschine übernimmt das Denken“ hatte die Berliner Zeitung kürzlich den Text über einen Supercomputer überschrieben, der, basierend auf der Quantenmechanik, 3.600 Mal schneller sein soll als herkömmliche Rechner, flexibel denken und selbständig Fragen stellen kann, was bislang nur Menschen vermögen. Der ausführliche und allemal hochinteressante Beitrag schließt so: „Bislang kann nur ein Mensch aufgrund seiner Intelligenz Entscheidungen auf der Grundlage verschiedener Variablen treffen. Diese Fähigkeit unterscheidet den Menschen von der Maschine. Die Frage ist, wie lange noch. Stellen wir uns vor, dass ein Raumschiff ohne Besatzung aus dem Weltall Daten sammelt, und ein lernfähiger Algorithmus Dateien aus großen Datenbanken fischt – die Welt wäre vermutlich eine andere.“ Das wäre sie in der Tat, denn der Mensch, der diese Technik mit Verve immer weiterentwickelt, wird sich irgendwann – und dies keineswegs erst in Jahrhunderten – erübrigen und also selbst abschaffen. Und wenn die besagte Technik seiner dann nicht nur ebenbürtig sondern sogar überlegen sein wird, wird sie gut daran tun, Gottes Schöpfungskrone der Erdgeschichte anheimfallen zu lassen. Eine hübsche Vorstellung, wenn Maschinenkindern in Maschinenmuseen jene possierlichen Lebewesen gezeigt werden, die mit dem Namen „Der Mensch“ dereinst diesen Planeten besiedelt und beherrscht hatten… Immerhin: Maschinenkinder werden dann lärmfrei programmiert sein, ihre Maschinenhündchen produzieren keine Kacke, Maschinennazis ließen sich ebenso ausschließen wie etwa bayerische Maschinenspießer oder maschinelle Volksmusikanten (wobei, die gibts wohl schon). Es wird also nicht alles schlecht sein!
“Man sollte gar nicht glauben, wie gut man auch ohne die Erfindungen des Jahres 2500 auskommen kann.” (Kurt Tucholsky 1932)

Rolf Daßler

Film ab

„Der alte Mann und das Meer“ stand als Titel nicht zur Verfügung; so heißt der Streifen – was auch für jenen passend gewesen wäre – „All is lost“. Er beginnt mit den aus dem Off ertönenden Abschiedsworten des Mannes, die er gegen Ende als Flaschenpost dem Meer überantworten wird. Zusammenhängend gesprochen wird danach praktisch nicht mehr.
Der Name des Mannes wird nicht genannt. Über seine Herkunft, seine Lebensumstände, sein bisheriges Schicksal – allenfalls übersehbare Spuren von Andeutungen; also nichts. Mehr Minimalismus auf großer Leinwand war selten. Der Film ist gleichwohl eine äußerst beeindruckende und trotz der Kulisse (offenes Meer, kein Land in Sicht; nirgends) kammerspielartige visuelle und akustische Paraphrasierung eines Kurzdialoges aus Camus‘ „Die Pest“:
„Nur werden Ihre Siege immer vorläufig bleiben, das ist alles.“
Rieux’ Gesicht schien sich zu verdüstern. „Immer, ich weiß. Das ist kein Grund, den Kampf aufzugeben.“
Ohne zu viel zu verraten, können für zwei spezifische Zielgruppen sowie eine „unspezifische“ noch ein paar weitere Anmerkungen angefügt werden.
Für Wassersportler: Zwar mag die Wahrscheinlichkeit, dass ein Alleinsegler in den Weiten des Indischen Ozeans – 1.700 Seemeilen vor Sumatra und abseits befahrener Wasserstraßen – dadurch aus dem Schlaf gerissen wird, dass seine Jacht mit einem über Bord gegangenen Container (Standardmaß) kollidiert, statistisch gegen Null tendieren, aber wenn es doch passieren sollte, ist Untergang nicht unwahrscheinlich. Und schnell muss der dann keineswegs gehen. Das Spiel der Elemente kann mit einem gewissen Sadismus durchaus dafür sorgen, dass der finalen Katastrophe eine ganze Reihe nervenaufreibender weiterer vorangeht.
Für Robert Redford-Fans: Sein ausdrucksstarkes Alters-Antlitz, das, ohne ein Wort zu sagen, mehr Geschichten erzählen kann, als manche Novelle es tut, hat in den vergangenen Jahren schon einige Filme mit geprägt („Anatomie einer Entführung“, 2004; „Ein ungezähmtes Leben“, 2005; „The Company You Keeep“, 2012) – aber noch keinen so wie diesen. Es heißt, als Regisseur Jeffrey Chandor am Rande der Berlinale 2011 mit Filmfinanzier Glen Basner dieses, sein nächstes Projekt besprochen habe, hätte dieser nur unter der Bedingung zugesagt, dass Redford den Segler spiele. Basner wird dabei vor allem des Mimen Gesicht und Körpersprache vor Augen gehabt haben, denn geredet werden sollte ja in dem Streifen so gut wie gar nicht – das war von Anfang an Chandors Vorsatz, der auch das Drehbuch verfasst hat. Gut möglich, dass der Welt-Kollege Recht hat, der Robert Redford bescheinigte, dies sei „die Rolle seines Lebens“. Die Frage nach dem Oscar soll hier aber trotzdem unterbleiben. Denn wäre die künstlerische Qualität das Kriterium für die Vergabe der Trophäe, müsste Redford längst im Besitz derselben für den besten Hauptdarsteller sein.
Für alle übrigen regelmäßigen oder zumindest Hin-und wieder-Kinogänger: Man muss weder Kammerspiele mögen, noch Segler oder auch nur Fan des Darstellers sein, damit einem dieser unsentimentale Film unter die Haut geht.

Clemens Fischer

„All is lost“, Regie: Jeffrey Chandor; derzeit in den Kinos.

Ein goldener Brief und böse Fantasien

Das Kalenderjahr 2013 ist beendet, die Stopptaste ist gedrückt. Es bescherte in politischer Hinsicht wenig Verheißungsvolles (ob die Bundestagswahl und deren Konsequenzen oder der desaströse globale Umweltgipfel in Polen). Immerhin sind in musikalischer Hinsicht einige Pretiosen auf dem Musikmarkt erschienen, denen man nur wünschen kann, dass sie auch entdeckt werden. Hierunter fällt zum Jahresende die CD-Veröffentlichung „Golden Letter“ des Nürnberger Trios „The Rose & Crown“.
Hinter der Trio-Besetzung mit Mercan Kumbolu (Gesang), Julia Fischer (Piano/Gesang) und Christof Stahl (Schlagzeug) würde man wohl eher eine klassische Jazz-Combo  vermuten. Doch „The Rose & Crown“ überraschen auf ihrem Debüt-Album mit einer frischen Brise an Akustik-Pop – mal in Form einer stürmischen Ballade, mal mit einer jazzigen Bluesnote. Die Reduktion auf drei Musiker wirkt sich alles andere als monoton aus. Benannt haben sie sich nach einem englischen Pub (eine Internetsuchangabe zeigt schnell, dass unter diesem Titel mehrere Pubs und Hotels existieren). Bei der Frage nach musikalischen Vorbildern zieren sie sich etwas. Aber sie sind eben kein Cassandra Wilson-Norah Jones-Katie Melua – Verschnitt, wenngleich die stimmgewaltige Sängerin Mercan Kumbolu sofort ins Ohr springt. Doch längere Instrumentalpassagen zeigen klar auf, dass Piano und Schlagzeug nicht nur als billige Drauf- und Zugabe firmieren.
Im titelgebenden Song wird bei der Suche nach beziehungsweise dem Erwarten der ultimativen Liebesverheißung in Form eines goldenen Briefes das Prinzip Hoffnung lyrisch aufgegriffen: Leaves turning grey and snow is falling, hey / but giving up hope – no way. Fast Stephen Kingsche Ausmaße haben die bösen Fantasien, die sich im Lied „Scary Nightmare“ offenbaren: All the pictures I have never seen to scare me / And even if it is just a dream it shows me / That I have bad fantasies. Und das letzte Lied auf der CD mit dem Titel „Blended“ wartet mit einer Überraschung auf… aber nur für diejenigen Hörer, die nach dem (vermeintlichen) Ende eben nicht voreilig die Stopp-Taste drücken. In Kürze wird ist es laut Bandangabe möglich sein, das Album direkt über die Homepage zu erwerben. Bis dahin gibt es die CD als Download bei iTunes, Amazon et cetera und bei den Konzerten.

Thomas Rüger

The Rose & Crown: Golden Letter, CD 2013, 8,49 Euro als MP3-Download.

Kurze Notiz zu Naumburg

Wer sich in der Literatur halbwegs auskennt, weiß, dass Hans Natonek diese Stadt als „Pensionopolis“ bezeichnet hat. Naumburg, die Stadt der Hotels? Aber nein, Natonek meinte vielmehr die Atmosphäre, die gedämpfte. Natonek ist seit genau fünfzig Jahren tot, sein Urteil alt. Naumburg aber ist dennoch „Pensionopolis“ geblieben. Und das bedeutet: Hier braucht alles seine Zeit, auch die Erkundung, für einen Quicky ist die Stadt nicht zu haben.
Lokal bekannt ist Naumburg als Kreisstadt vom Burgenland, regional bekannt für sein Hussiten-Kirschfest, das leider die längste Zeit freien Eintritts war, national bekannt als langjähriger Wohnort von Nietzsche und international bekannt für seinen Dom, genauer: für seine Domfiguren. Oder nur eine? Uta … Selbst wer gar nichts mit Naumburg anzufangen weiß, kennt doch diese manikürte Dame mit dem aufgeschlagenen Kragen: eine schmale, gerade Nase, hohe Wangenknochen, ein etwas mokierter (kapriziöser?) Blick. Die Audrey Hepburn des Mittelalters. Schön, aber … wahrscheinlich ziemlich anstrengend.
Wer bei einem Glas des hiesigen Saale-Unstrut-Weins in einer der Kaschemmen am Markt in sich geht oder wer an den Mauerresten entlang der Ringstraßen flaniert, kurz: wer das sächsisch-gemütliche Flair von „Pensionopolis“ zu genießen weiß, wird sich kaum für Uta, die Allerwelt-Schönheit, begeistern können. Der schwärmt für Reglindis, die andere Dame im Dom. Pausbäckig kommt die polnische Prinzessin daher, mit kessem Blick spielt sie an ihrem Mantel. Sieht aus, als würde sie gut backen können. Oder zumindest gern mittrinken. Macht sie den Mantel auf oder zu? Und was sie wohl dabei denken mag? Ach, da fällt gleich so viel ein … Schenken Se noch ma nach, jaja!
Naumburg ist schön! Weil es noch so viel alte, herausgeputzte Bausubstanz hat. Begrünte Innenhöfe, ineinander verschlungen übergehende Zwischengeschosse, das Knarren alter Treppen, feuchter Geruch aus dem Weinkeller und, ja, ein noch feuchterer, feucht-fröhlicher Abend im goldenen Oktober. Die Saale plätschert (hier tatsächlich!) fröhlich durch den Blütengrund … Hier lässt es sich für den Moment glatt romantisch sein – Herz, was begehrst du mehr?

Thomas Zimmermann

Vielflieger

„Wer betrügt, fliegt“, hat es aus Hoeness-Bayern geschallt und seither reißt die Polemik gegen diese Politformel nicht ab. Ihre CSU-Autoren gehören aber sehr viel ernster und vor allem wörtlicher genommen, als sie es scheinbar verdienen. Denn wenn man sich die Mega-Überfülle von Steuer- und anderen finanz- und wirtschaftspolitischen Betrügereien in deutschen Landen vor Augen führt, könnte man sich am Himmel ein lustiges Permanentflattern  vorstellen , mit einer solch hohen Flugkörperdichte, dass  diese die regulativen Potenzen der deutschen Flugsicherung wohl  überfordern würde.

Helge Jürgs

Aus anderen Quellen

Anfang der 1960er Jahre, als der Kalte Krieg zwischen Ost und West und auch zwischen den beiden deutschen Staaten mit am kältesten war, adelte die Bundesrepublik den Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht vom 15. Januar 1919 nachträglich offiziell zur standrechtlichen Erschießung und damit nach bürgerlichen Maßstäben zu einem Rechtsakt, so Otto Köhler. Im Bulletin der Bundesregierung – Kanzler war damals Konrad Adenauer, und sein engster Mitstreiter sowie Chef des Bundeskanzleramtes war Hans Globke, Mitverfasser und Kommentator der Nürnberger Rassegesetze der Nazis von 1936 – vom 8. Februar 1962 hieß es unter Bezug auf den unmittelbar für den Mord verantwortlichen Reichswehr-Major Waldemar Pabst, der seinerzeit und bis zu seinem seligen Ende unbehelligt in der Bundesrepublik lebte: „Pabst bestreitet nicht seine Verantwortung für die standrechtlichen Erschießungen (Hervorhebung – die Redaktion)“. Aber – „er versichert, es in höchster Not und in der Überzeugung getan zu haben, nur so den Bürgerkrieg beenden und Deutschland vor dem Kommunismus retten zu können“.
In einem nachgelassenen Brief Pabsts vom 26. Juni 1969 heißt es zur Rolle seiner damaligen Vorgesetzten bei den Ereignissen vom 15.01.1919: „Daß ich die Aktion ohne Zustimmung Noskes (Reichswehrminister, SPD – die Redaktion) gar nicht durchführen konnte – mit Ebert (Reichspräsident, SPD – die Redaktion) im Hintergrund – […], ist klar. Aber nur ganz wenige Menschen haben begriffen, warum ich nie vernommen oder unter Anklage gestellt worden bin. Als Kavalier habe ich das Verhalten der damaligen SPD damit quittiert, daß ich 50 Jahre lang das Maul gehalten habe über unsere Zusammenarbeit.“
Otto Köhler: Pabst lacht schallend, junge Welt, 11.01.2014. Zum Volltext hier klicken.

Danksagung

Wenn ich sehe, wie massenhaft vornehmlich allein in der Öffentlichkeit junge Leute heute an Handy und/oder Laptop hängen, wie Junkies an der Nadel, und wenn ich dann vermute, dass es unsereinem ebenso gegangen sein könnte, wäre er mit diesen Zeugs aufgewachsen, dann möchte ich mich beim Schöpfer abermals für die Gnade der frühen Geburt bedanken.

Hella Jülich

Wirsing

Da sich Phoenix bei seinen Übertragungen der Bundestagsdebatten, wenn es spannend wird, oft ausschaltet, kann der kluge Mann (gleich welchen Geschlechts) aufs Parlamentsfernsehen umschalten, damit er Perlen wie diese vom Linken-Politiker Axel Troost nicht verpasst. Der kritisierte am Koalitionsvertrag: „Die Steuerinnen und Steuerzahler bleiben weiterhin belastet.“ Als Dank für seine offenen Worte soll eine Gruppe von Steuerinnen schon einen Troost-Verein gegründet haben.

Fabian Ärmel