15. Jahrgang | Nummer 4 | 20. Februar 2012

Bemerkungen

Man hatte dringend geraten …

Man hatte dringend davon abgeraten, den Wald abzuholzen. Das Ministerium bestand darauf aus wirtschaftlichen Gründen. Ein halbes Jahr später begrub eine Geröll-Lawine den darunterliegenden Ort.
Der Minister erschien anlässlich des Treffens der bayrischen Bahnbesitzer und nahm dazu Stellung.
Er würdigte eingangs
führte dann aus
legte Wert auf die Fragestellung
wobei er besonders betonte
warnte ausdrücklich vor
vergaß nicht, darauf hinzuweisen
dass er durchaus die Meinung vertrete
was ihn nicht daran hindere
an alle den Appell zu richten
fügte sofort hinzu
verlieh seiner Hoffnung Ausdruck
bekräftigte ergänzend
räumte allerdings ein
bezweifelte
erinnerte aber
wobei er jeden Zweifel ausräumte
wies noch einmal ernst darauf hin
und dann energisch zurück
Von 21 Uhr bis 22 Uhr 30
untermauerte er seine Ausführungen.

Dieter Hildebrandt

Mit freundlicher Genehmigung des Autors.

 

WeltTrends aktuell

Globale, die gesamte Welt umfassende Phänomene gibt es eine ganze Reihe: die Ausbreitung moderner Kommunikations­mittel, das Internet, klimatische Veränderungen oder die Steve-Jobs-Biografie. Und auch in der Sphäre des Politischen scheint sich solch ein Phänomen herauszubilden – in Gestalt einer um sich greifenden Tendenz zum Autoritären. Die scheint sich – entgegen vielen Erwartungen der Politikwissenschaft und des gehobenen Feuilletons aus den frühen 1990er Jahren –durchzusetzen, und zwar auch global; in Ost und West, in Süd und Nord. Die Antworten, die poli­tische Regime weltweit auf die alten und neuen Herausforde­rungen geben, sie sind immer weniger demokratischer und immer mehr autoritärer Natur.
In der aktuellen, gerade erschienenen Ausgabe von WeltTrends geht es um diese sich weltweit verstärkende Tendenz zu autoritären Lösungen. Den offenen und den schleichenden. Dabei ist auch der Blick der Zeitschrift ein globaler. Er reicht von Nordkorea und China über Russland, Mitteleuropa und den Nahen Osten bis nach Südamerika. Damit wollen die Herausgeber der hiesigen Debatte zum Autoritarismus Impulse und Orientierung geben. Zugleich ist dieses Heft eine Referenz an den Altmeister der internatio­nalen Autoritarismusforschung, an Juan José Linz, zu dessen 85. Geburtstag. Die Beiträge der aktuellen WeltTrends-Ausgabe zeigen, dass die linzschen Gedanken über moderne autoritäre Regime, vor mehr als 40 Jahren formuliert, auch für die Vermessung der politischen Welt im 21. Jahrhundert sinnvoll und anregend zugleich sein können.

am

WeltTrends. Zeitschrift für internationale Politik, Nr. 82 – Januar / Februar 2012, Potsdam / Poznan, 9,50 Euro (für Bezieher des Newsletters: 6,- Euro) plus Porto. Weitere Informationen im Internet: www.welttrends.de

 

Ishimoto Yasuhiro

Am 6. Februar verstarb, 90-jährig, der japanisch-amerikanische Fotograf Ishimoto Yasuhiro. Ich kenne mich in seinem Werk kaum aus, und doch hatte ich die Chance, seine Schwarz-Weiß-Aufnahmen der kaiserlichen Villa Katsura im Bauhaus-Archiv in Berlin zu sehen. Nach dieser Begegnung wundert es mich nicht, dass seine Architekturfotografien Tange Kenzô und auch Walter Gropius beeindruckten und beeinflussten. Durch seine Herkunft gilt er als eine der versöhnenden Kräfte zwischen den USA und Japan. Er durfte als einer von nur wenigen die zurückgezogene Sommerresidenz der kaiserlichen Familie fotografieren. Der amerikanisch-japanische Friedensvertrag von San Francisco, in dessen Nachgang Ishimoto 1953 mit der Kamera in die Heimat seiner Eltern zurückkehrte, jährt sich 2012 zum 60. Mal.

Sandra Beyer

Spree-Athen

Eine Fülle finanzpolitischer Ratschläge, zugegebenermaßen ein beschönigender Begriff, wabert augenblicklich aus der deutschen Hauptstadt über die Köpfe unserer griechischen Freunde hinweg. Das ist ein schöner Anlass für einen genaueren Blick auf das haushaltspolitische Gebaren der an der Spree agierenden Finanzjongleure. Zumal die Berliner Landesregierung sich derzeit müht, einen Haushalt für die nächsten zwei Jahre aufzustellen. Die Stadt ist eigentlich pleite, das ist bekannt. Und auch hier wird die Not von oben nach unten durchgereicht. Sie kommt – was die Landesfinanzen anbelangt – bei den Stadtbezirken an, denen zurzeit etwa 111 Millionen Euro im Etat fehlen. Im Herbst versprachen die Fraktionsvorsitzenden von SPD und CDU – quasi als Morgengabe der neuen rot-schwarzen Koalition den Bezirken – eine zusätzliche Finanzspritze von 50 Millionen. Es fehlen dann immer noch 61 Millionen Euro. Aber auch die 50 Millionen Euro sind nicht gedeckt. Die Herren hatten vergessen, den Finanzsenator in die Planung ihrer guten Taten einzubeziehen. Der legte jüngst einen Haushaltsplanentwurf vor, in dem diese Summe nicht auftaucht. Befragt, wie das Versprechen der Koalition denn einzulösen sei, erklärte er lakonisch, dass jetzt die Stunde des Parlamentes schlüge. Der Haushalt sei schließlich dessen Königsrecht. Auf Deutsch: Die Parlamentarier sollen im Etat herumkürzen und die fehlenden Milliönchen zusammenkratzen. Das ginge zulasten einiger, von den jeweiligen Parteien erbittert verteidigt werdender Senatsressorts, wird also nicht zustande kommen. Aber auch darauf hat das Bremerhavener Finanzgenie von der Spree eine Antwort. Dann müsse man die Gelder halt als „pauschale Mehreinnahmen“ in die Bezirksetats einstellen. Was übersetzt nichts anderes heißt als: Die Bezirke dürfen 50 Millionen Euro „zusätzlich“ ausgeben, müssen sich aber gefälligst einen Schädel machen, wo sie die Gegenfinanzierung (die „Mehreinnahme“) aus dem eigenen Haushalt herausschneiden. Die Morgengabe müssen sie also schlussendlich selbst bezahlen.
Berlin nennt sich gern Spree-Athen. Passt!

 Günter Hayn

Budapester Schuhe

Ältere Anwohner in Berlin-Moabit schwärmen gern von den Zeiten, als die Turmstraße, eine Hauptgeschäftsstraße des Viertels, noch eine glänzende Einkaufsmeile gewesen sein soll: mit guten Möbelgeschäften, hochwertigen Bekleidungsläden und Budapester Schuhen.
Jetzt, so geht die Klage, gebe es nur noch Billigläden und Döner-Imbisse an der Turmstraße, und wenn man Nadel und Faden brauche oder bessere Angebote suche, müsse man zum Kudamm fahren.
Der Kudamm ist die kostspielige Prachtmeile Westberlins und – sozusagen – das Paralleluniversum zu Moabit, obwohl er nur ein paar U-Bahnstationen entfernt ist.
In Moabit wohnen (noch) viele Menschen mit sehr wenig Geld. Am Kudamm sieht man viele Touristen, perfekt gestylte Menschen, kleine Mädchen in Markenklamotten und ältere blondierte Damen im Pelzmantel flanieren. In Bistros gibt es guten und teuren Cappuccino, und alle teuren Modemarken haben hier wenigstens einen „Showroom“. Showroom bedeutet, dass es relativ wenig Angebot für relativ sehr viel Geld gibt.
Wo es hier Nadel und Faden geben soll, ist nicht ganz klar. Vielleicht in dem Drogeriemarkt? Dafür gibt es hier sehr viele Schuhgeschäfte. Auch die berühmten Budapester Schuhe. Im Schaufenster steht unter anderem ein paar Damensandaletten. Die sehen aus wie lila Flip-Flops (die Dinger, die zwischen den Zehen scheuern) mit ein bisschen Absatz. Neben den lila Schühchen steht ein Preisschildchen. Erst vermutet man einen Kommafehler, aber Kommafehler passieren diesem Exklusiv-Laden nicht.
Da steht: 1.250.
Gemeint sind Euro.
Man stellt sich dann vor, was wohl die Moabiter sagen würden, wenn sie plötzlich wieder einen Laden mit Budapester Schuhen und solchen Preisschildchen vor der Nase hätten. Genau jene Moabiter, die Angst vor Verdrängung haben und über steigende Mieten klagen, sich aber gleichzeitig über Billigläden und über türkische Imbisse und Geschäfte beschweren.
Entrüstung! Aufwertung!
Nadel und Faden bekommt man übrigens in den Ein-Euro-Läden und in den Drogeriemärkten an der Turmstraße. Möbel kaufen die meisten längst bei IKEA – dort gibt es ja auch so unglaublich preiswertes Frühstück.
Für lila 1.250-Euro-Flip-Flops muss man sich dann allerdings doch noch zum Kudamm bemühen.

Ulrike Steglich

Spiel mir die Rendite vom Tod

„Man kann gar nicht soviel fressen, wie man kotzen möchte“, hat Max Liebermann gesagt, als er die Nazis durch das Brandenburger Tor ziehen sah und sehr wohl ahnte, was da kommen würde.
Gelegenheiten zu solcher Apodiktik bieten sich indes auch weiterhin reichlich, und sie sind auch nicht an Nazis und deren aktuelle Wiedergänger gebunden. Nicht zuletzt die Praxis diverser Banken bietet jede Menge Stoff zum Kotzen. Neuerlich nun auch – wieder mal – die Deutsche Bank, die ein Finanzprodukt anbietet, für die der Begriff „makaber“ ein Diminutiv sein dürfte: Mit dem Fonds Kompass Life 3 können Anleger auf die Lebenserwartung von Menschen spekulieren! „Bei Kompass Life 3 gibt es keine Versicherungen, keine Versicherungspolicen und keine Ablaufleistungen. Es gibt nur 500 ganz reale Referenzpersonen. Und es gibt eine Wette“, erläutert die Schutzvereinigung db Kompass Life Fonds. Diese Wette lautet ebenso schlicht wie zynisch: Wie lange leben die Referenzpersonen? Wenn dies um maximal 12 Monate länger der Fall ist, als medizinische Gutachter geschätzt haben, dann springt für den Anleger eine Rendite von gut sechs Prozent pro Jahr heraus. Bei zirka 38 Monaten verlieren die Anleger etwa die Hälfte ihrer Anlage, alles andere liegt irgendwo dazwischen …
Josef Ackermann hat übrigens grade erst bei seiner letzten Bilanzpressekonferenz als Chef der Deutschen Bank erklärt: „Als Marktführer in Deutschland und eine der führenden Banken weltweit sehen wir uns in einer besonderen Verantwortung, […] unsere ökonomischen Ziele auf ehrbare, das heißt moralisch vertretbare Weise zu erreichen“. Dreifach-Tusch und „Alaaf“ – Komischeres ist in der diesjährigen Faschingssaison noch niemandem geglückt.

Hella Jülich

P.S.: Könnte die Deutsche Bank per Spezialfond nicht hinsichtlich der in Afghanistan eingesetzten Bundeswehrsoldaten darauf wetten lassen, wer von denen im Zinksarg zurückkommen wird – natürlich auf eine „moralisch vertretbare Weise“?

 

Kronprinz Friedrich an den
Grafen zu Schaumburg-Lippe

Ruppin, 4. Mai 1739

Mein lieber Graf,

[…] Wir sind hier damit beschäftigt, aus Geschöpfen, die nur ein Menschenantlitz tragen, wirkliche Menschen zu machen. Wir sind nicht nur militärische Gesetzgeber, sondern uns ist auch die Kunst anvertraut, Menschen zu bilden. Aufsässige und wilde Gemüter unter das Joch der Disziplin zu beugen und ausschweifende, zügellose und verbrecherische Naturen zur Sittlichkeit zu erziehen, erfordert dauerndes Studium des menschlichen Geistes. Das Ziel ist, rohen Seelen Ehrbegriffe beizubringen. So undankbar diese Arbeit erscheint, tut man sie doch mit Vergnügen. Das Phantom, das man Ruhm nennt, das Idol der Kriegsleute, ermuntert und treibt uns, eine zuchtlose Horde an Ordnung und Gehorsamkeit zu gewöhnen. Im Geiste sieht man Feldzüge, Belagerungen und Schlachten voraus, und von diesen Vorstellungen erhitzt, malt uns die Einbildungskraft Siege, Lorbeeren und Triumphe aus. Könnten wir eines Tages doch diesen Ruhm und diese so schwer zu erringenden Lorbeeren teilen. Ich wünsche es von ganzem Herzen; ja sie scheinen mir sogar wertvoller, wenn man sie in guter Gesellschaft erringt.

Ich bin mit vollkommener Hochachtung, mein lieber Graf, Ihr treuergenbener Freund

Friedrich

 

Denken mit Karl Kraus

Nachdem er sich in der anarchistischen Partei unmöglich gemacht hatte, blieb ihm nichts mehr übrig als ein nützliches Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft zu werden und in die Sozialdemokratie einzutreten.

Wenn ich sicher wüßte, daß ich mit gewissen Leuten die Unsterblichkeit zu teilen haben werde. So möchte ich eine separierte Vergessenheit vorziehen.

Zu meinen Glossen ist ein Kommentar notwendig. Sonst sind sie zu leicht verständlich.

Es gibt Schriftsteller, die schon in zwanzig Seiten ausdrücken können, wozu ich manchmal sogar zwei Zeilen brauche.

Der Teufel ist ein Optimist, wenn er glaubt, daß er die Menschen schlechter machen kann.

Sozialpolitik ist der verzweifelte Entschluß, an einem Krebskranken eine Hühneraugenoperation vorzunehmen.

In der deutschen Bildung nimmt den ersten Platz die Bescheidwissenschaft ein.

Wer Meinungen von sich gibt, darf sich auf Widerspüchen nicht ertappen lassen. Wer Gedanken hat, denkt auch zwischen den Widersprüchen.

Geistige Zuckerbäcker liefern kandierte Lesefrüchte.

Warum schreibt mancher? Weil er nicht genug Charakter hat, nicht zu schreiben.

Die kleinen Stationen sind sehr stolz darauf, daß die Schnellzüge an ihnen vorbeimüssen.

Wie wird die Welt regiert und in Kriege geführt? Diplomaten belügen Journalisten und glauben es, wenn sie´s lesen.

Entnommen dem ebenso vergnüglichen wie anregenden Buch Denken mit Karl Kraus. Sprüche und Widersprüche über Moral und Politik, Phantasie und Künstler, Frauen und Psychologen, Journalisten und Dummköpfe. Diogenes Verlag, Zürich 2011,153 Seiten,  8,50 Euro.

 

Unter dem Euro-Rettungsschirm

„Das Selbstbewußtsein des Franzosen beruht auf dem Glauben, daß er geistig wie körperlich unwiderstehlich bezaubernd auf Männer und Frauen wirkt. Das Selbstbewußtsein des Engländers beruht auf der Überzeugung, Bürger des besteingerichtetsten Staates der Welt zu sein und daher, eben als Engländer, immer zu wissen, was er zu tun habe, und desgleichen zu wissen, was er, eben als Engländer tut, ohne Zweifel gut und richtig ist. Das Selbstbewußtsdein des Italieners gründet sich darauf, daß er von Hause aus aufgeregt ist und leicht sich selbst und andere vergißt. Das Selbstbewußtsein des Russen hat seine Wurzeln darin, daß er nichts weiß und nichts wissen will, weil er nicht glaubt, daß man überhaupt etwas wissen könne. Das Selbstbewußtsein des Deutschen aber ist schlimmer, hartnäckiger und unangenehmer als das aller anderen Völker, eben weil er sich einbildet, er kenne die Wahrheit, das heißt die Wissenschaft, die er sich selbst ausgedacht hat, aber für die absolute Wahrheit hält.“

Lew Tolstoi
Krieg und Frieden, 1868

Gingrich Alaaf

Stimmt´s, werte Blättchen-Leser: Wenn einem jemand öffentlich verkünden würde, dass die UNO eine kommunistische Weltverschwörung plant, wüsste man sich entweder im politischen Kabarett oder gar in einer Quatsch-Comedy-Show von RTL. Indes: Man hätte sich geirrt – jedenfalls dann, wenn solcher Schwachsinn von führenden Leuten der amerikanischen Konservativen abgesondert wird. Denn die meinen das – mer gloobt’s nich – todernst. Das belegt eine Resolution, die das Führungsgremium der Republikaner, das Republican National Committee (NRC), im Januar während seines Wintertreffens in New Orleans verabschiedet hat, die die Agenda 21 aufs Korn nimmt, ein 1992 beschlossenes Aktionsprogramm der vereinten Nationen, das eine nachhaltige Entwicklung in Wirtschaft, Umwelt und Entwicklungspolitik zur globalen Aufgabe erklärt hat.
Im wahlkämpferischen Verständnis der NRC-Granden samt ihrem derzeitig wichtigsten Wahlkämpfers, Newt Gingrich, handelt es sich bei dem „radikalen Plan so genannter nachhaltiger Entwicklung“ um nicht weniger als um eine „sozialistische/kommunistische Umverteilung von Wohlstand“, stelle er doch unter anderem das Recht auf Privateigentum in Frage, den Besitz von Einfamilienhäusern, von Autos und Farmen und anderes mehr. (Die Vergesellschaftung der Frauen hebt sich Gingrich wahrscheinlich für die ganz heißen Phasen des Wahlkampfes auf.)
Wie auch immer, im September schon hat der alte Kämpe auf einer Veranstaltung der Tea-Party erklärt, es werde eine seiner ersten Anordnungen als Präsident sein, sämtliche finanzielle Unterstützung der Regierung für Projekte zu streichen, die mit der Agenda 21 zu tun haben.
Wer also gehofft hatte, dass sich mit der Ober-Tea-Dame Michele Bachmann bösartiger Schwachsinn zumindest aus den Reihen der Thronanwärter verabschiedet hätte, ist getäuscht. Amerika ist und bleibt das Land der unbegrenzten Möglichkeiten – auch der ahnungslosen. Wobei: Wenn´s doch nur Ahnungslosigkeit wäre …

Helge Jürgs