Dritte Jahreszeit
In den Büschen
hüschen
die Mäuse
in ihre Gehäuse.
Es ist abends kühl.
Es fiel
Frost.
Zum Trost
nur zwei Nächte.
Man dächte,
vielleicht kehrt der Sommer zurück,
nur ein winziges Stück.
Das würde genügen
zum Vergnügen.
Am Erscheinungstag dieser Ausgabe des Blättchens
(22. September) beginnt mit der herbstlichen
Tag- und Nachtgleiche der Herbst, die – Dritte Jahreszeit.
Legendenpflege en passant*
Wenn Thomas Fasbender („Europa und die USA im Schmollwinkel“, Berliner Zeitung, 04.09.2025, S. 11) schreibt, dass im Sommer 1945 „die Kriegspartei in Tokio […] die Amerikaner zur Invasion und in einen totalen Landkrieg“ (auf den japanischen Hauptinseln) zwingen wollte, dann leistet er – en passant – der von den USA seit 1945 sorgsam gepflegten Legende Vorschub, die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki am 6. und 9. August 1945 hätten Japan zur Kapitulation veranlasst und damit Hundertausenden von US-Soldaten das Leben gerettet, die anderenfalls bei einer Invasion umgekommen wären.
Fakt ist vielmehr, dass es zu jenem Zeitpunkt auf den japanischen Hauptinseln überhaupt keine nennenswerten kriegsfähigen Verbände der japanischen Land- und Luftstreitkräfte gab, die einer US-Invasion einen blutigen Empfang hätten bereiten können. (Fasbender selbst weist einen Absatz später geradezu darauf hin: „Mehr als eintausend amerikanische Flugzeuge bombardierten allein am 14. August das japanische Festland. Dass die Bomberflotte ohne Verlust nach Hause kam, sprach für die Abwesenheit jeglicher Gegenwehr.“)
Der letzte einsatzfähige, wenn auch mit schwerem Kriegsgerät eher dürftig artmierte Großverband der japanischen Landstreitkräfte war die sogenannte Kwantung-Armee, über 600.000 Mann umfassend und stationiert im Nordosten von China.
Am 9. August 1945 griff die Rote Armee, wie Stalin es den Westalliierten während der Potsdamer Konferenz zugesagt hatte, mit 1,5 Millionen Mann an, kesselte mit einer klassischen Zangenoperation die Kwantung-Armee ein und überrollte sie. Binnen weniger Tage fielen über 80.000 Japaner und hunderttausende gerieten in Gefangenschaft (nach sowjetischen Angaben). Am 15. August kündigte der japanische Kaiser im Rundfunk die bedingungslose Kapitulation des Landes an …
Gegen die Legende von der kriegsbeendenden Rolle der US-Atombombenabwürfe spricht nicht zuletzt der Sachverhalt, dass der japanischen Führung die Opfer der eigenen Zivilbevölkerung gleichgültig waren. In der Nacht vom 9. auf den 10. März 1945 hatte ein Großangriff von US-Bombern auf Tokio etwa 100.000 unmittelbare Todesopfer gefordert, mehr als später jeweils in Hiroshima und Nagasaki. Von Kapitulation war deswegen keine Rede gewesen.
* – Dieser Text erreichte die Redaktion als Leser-Mail.
Ein kurzer Text über das Überflüssige
Das Gehirn ist an sich ziemlich dämlich. Es merkt sich Überflüssiges: dass Reichspräsident Hindenburg am 2. August 1934 gestorben ist, dass am 4. Dezember 1871 das Gesetz betreffend die Ausprägung von Reichsgoldmünzen erlassen wurde. Nicht aber, wo ich geparkt habe oder wo der Autoschlüssel ist.
Ich weiß seit über 40 Jahren Gedichte auswendig, zum Beispiel Petrarcas 217. Sonett in der Übersetzung Karl Försters: „O könnt ich je der Rach‘ an ihr genesen, / die mich durch Blick und Rede gleich zerstöret […]“. Um Himmels Willen, wer will so was hören? Aber das Passwort für meinen flickr-Account habe ich natürlich vergessen. Mich ärgert schon lange, dass der überflüssige Mist in meinem Gehirn den Platz blockiert, den vernünftige und wichtige Dinge einnehmen sollten.
Irgendwann widmete ich das nutzlose Wissen um. Aus zweckfreien Daten bastelte ich mir einen Gedenktagekalender. Da fiel der Geburtstag meiner ersten Frau mit der Schlacht von Großbeeren zusammen und der Todestag meiner Mutter mit der Schlacht von Austerlitz. Meine Tochter ist am gleichen Tag wie Bismarck geboren, eine Jugendfreundin korrelierte mit Bertolt Brecht und Tina feiert einen Tag nach Hindenburgs Todestag ihren Geburtstag. Hindenburg plus eins – unmöglich zu vergessen.
Als ich einem Kollegen einmal sagte, seinen Ehrentag könne ich mir gut merken, weil er auf den Geburtstag von Feldmarschall Bernard Law Montgomery fiele, war er ein wenig beleidigt. Übrigens ist mir aufgefallen, dass Feldmarschälle oft sehr alt werden – von Moltke der Ältere 91, Hindenburg 86, Montgomery 88, von Manstein 85 – und – anders als ihre Soldaten – friedlich in ihrem Bett sterben. Ich finde das bedenklich.
Für den 4. Dezember, den Tag der Goldmünzen, habe ich übrigens noch keine passende Belegung gefunden. Und wo zur Hölle ist schon wieder mein Autoschlüssel?
Der Kettensprenger
Houdini ringelt sich aus seinen Ketten.
Das Zuchthausgitter auf der Bühne bricht.
FRED, im Parkett mit höhnischem Gesicht,
Beginnt die Handgelenke einzufetten.
Als Amateur steigt er ins Rampenlicht.
Der Freund entriert nie dagewesne Wetten.
Fred knickt die Stäbe durch wie Zigaretten:
Die Welt durchfliegt der Sensationsbericht.
Fred mietet in New York ein Varieté.
Am Eingang, wo sich stets die Menge rauft,
Steht schon am frühen Morgen: „Ausverkauft“.
Houdini stürzt sich in den Bodensee.
Krupp-Essen laboriert im Prüfungssaal
Und sucht verzweifelt einen neuen Stahl.
Aus: F. Eisenlohr, L. Hahnon und L. Rubiner – Kriminal-Sonette.
Erstmals erschienen 1913 bei Kurt Wolff in Leipzig.
Zu weiteren Informationen siehe Blättchen 10/2025.
Mal wieder zum Buch greifen
Witze bei Luther und Schröder in der Hölle
Bei Peter Köhlers neuer Textsammlung braucht man etwas Zeit, um den Sinn des Buches und dessen Inhalt zu verstehen. OK, so richtig Sinn hat das Buch nicht, denn es enthält Geschichten, die es so nie hätte geben können, weil die Moderne mit der Vergangenheit zusammengeworfen wird und die Geschichten meist im Chaos enden. Aber es ist schon lustig, berühmte Menschen in der Welt des „kleinen Mannes“ zu sehen.
Bei Karl Marx erleben wir einen bärtigen Mann, der gar nicht an den Kommunismus denkt, sondern nur einen Lottogewinn feiern und später einlösen will. – Bei Luthers werden schweinische Witze erzählt und es wird gefurzt, bis sich die Decke hebt. Dabei kommt die Sprache auf Margot Käßmann, von der der Theologe Martin schnell mal eine Mail löscht. – Unser aller Goethe kann mit den Schriftstellern Theodor Fontane und Storm leider nichts anfangen, rümpft die Nase und weiß Besseres.
Herrlich spaßig wird es außerdem, wenn sogar Gerhard Schröder, über den viele Zeitungen immer wieder mal berichten, sich in die Hölle begibt. Ja und Hildegard von Bingen mahnt, dass endlich „ein Ruck durch Deutschland“ zu gehen habe.
Peter Köhler, der 1957 in Eschwege das Licht der Welt erblickte, hat sich auf Satire, Kulturgeschichte, Literaturkritik und Schach spezialisiert. Lesen sollte man außerdem der hier angepriesenen Schrift auch seine Bücher „Respekt zu diesem Deutsch!“ – präsentiert werden „Sprachpannen auf massiv dünnem Eis“ – und die Abhandlung „Das Nonsens Buch“. Unvergesslich ist Köhler nicht zuletzt Lesern der taz. Für das Blatt schrieb er 2006 die Abhandlung „Polens neue Kartoffel“, die eine deutsch-polnische Krise nach sich zog, da sich polnische Politiker angegriffen fühlten.
Nun denn, wer ausspannen möchte und gern Humor liest, der irgendwie mit der Geschichte anbandelt, ist mit dem Buch „Als Marx im Lotto gewann“ gut versorgt. Leider fehlen Vignetten, die die Texte noch etwas auflockern würden.
Peter Köhler: Als Marx im Lotto gewann, Eulenspiegel Verlag, Berlin 2025, 176 Seiten, 15.00 Euro.
*
Was sagen die Rechten, und was meinen sie
Gerade mal 102 Seiten umfasst das schmale Buch von Heidrun Deborah Kämper, doch die haben es in sich. Die 1954 in Gevelsberg geborene Philologin und Politologin beschäftigt sich intensiv mit der Sprache der Rechten. Sie analysiert deren Wortschatz und erläutert, wann deren Rhetorik die Grenzen des Sagbaren überschreitet. Wir hier in Thüringen können das regelmäßig erleben, wenn der Faschist Höcke in seine Reden völkisch-nationales Gedankengut einstreut und Gesten verwendet, die ebenfalls aus der rechten Ecke kommen.
Ganz klar beschreibt die Autorin, wie sich die AfD das bürgerliche Milieu einverleibt. Auch zur Sprache kommt, dass die Rechten viele Falschinformationen verbreiten, verleumden und immer wieder von Verschwörungen reden. Viele Beispiele bringt HDK, die das Wahre der AfD aufzeigen. Sie macht die Gefährlichkeit dieser Partei erkennbar.
Ebenfalls eingegangen wird auf den Rechtsrock mit seinen Parolen und berichtet wird über Zwischenfälle im Bundestag, wo Normen, Regeln immer wieder gebrochen werden und Zwischenrufe sowie falscher Beifall an der Tagesordnung sind. Am Ende wird die Frage „Wozu ist sprachliche Ethik gut?“ geklärt.
Heidrun Deborah Kämper, die seit 2014 für die SPD im Mannheimer Stadtrat sitzt, die an der Neubearbeitung des deutschen Fremdwörterbuches mitarbeitete und bereits die Jugendsprache analysierte, hat ein wichtiges Buch geschaffen, das jeder Demokrat als Nachschlagewerk benutzen sollte.
Heidrun Deborah Kämper: Die Sprache der Rechten, Reclam Verlag, Stuttgart 2024, 104 Seiten, 7,00 Euro.
Der Dichter*, was spricht er?
Ich glaube, daß eine gute und stolze Liebe
den Menschen stark macht, und das hat er wohl nötig in seinem Leben.
Anna Seghers
Eine stillstehende Uhr hat doch täglich zweimal richtig gezeigt
und darf nach Jahren auf eine lange Reihe von Erfolgen blicken.
Marie von Ebner-Eschenbach
Die sich ergeben, wenn man sie bittet, haben eins voraus vor denjenigen,
die sich ergeben, die man niemals ersucht hat, und zwei vor denjenigen,
die sich ergeben, ehe man sie bittet.
Daniel Defoe
Alles, was mit Grammatik und Examen zusammenhängt, ist nie das Höhere.
Waren die Patriarchen examiniert oder Moses oder Christus?
Die Pharisäer waren examiniert.
Und da sehen Sie, was dabei herauskommt.
Theodor Fontane
Die wesentliche Schönheit der Menschen liegt darin,
daß sie sich voreinander durch ihre Arbeit auszeichnen,
daß sie für die Gemeinschaft denken,
daß sie einander um der Arbeit und um des Verstandes wollen achten.
Alexander Fadejew
Zur Anregung meiner Galle lese ich Nietzsche.
Es lohnt, ihn zu lesen, um sich darüber zu entsetzen,
woran sich die Leute begeistern.
Lew Tolstoi
Nur was man verstanden hat, kann man bewältigen.
Inge von Wangenheim
Einer Dame zu sagen: „Ich liebe Sie nicht“, ist dasselbe,
wie einem Schriftsteller zu sagen: „Sie verstehen nicht zu schreiben.“
Anton Tschechow
Erfolg erringen ist weniger schwierig als Erfolg vertragen.
Lothar Kusche
Ich glaube nicht, daß zwei zusammenkommen auf der Welt,
die sich nicht mehr oder minder ändern müssen,
wenn sie glücklich bleiben wollen.
Jeremias Gotthelf
Ja, das nenne ich kameradschaftliche Art:
Beistehen, wenn es not tut.
Modest P. Mussorgski
Das Gefährlichste, Zerstörerischste und Dümmste ist bleicher Ehrgeiz.
Thomas Mann
Unter allen Gaben Gottes ist das Reden die allerschönste und herrlichste.
Durch sie allein unterscheidet sich der Mensch von allen Tieren.
Sonst gibt es etliche Tiere, die in anderen Gaben den Menschen übertreffen:
etliche mit dem Gesicht, etliche mit dem Gehör, etliche mit dem Riechen,
aber keins kann reden.
Das beweist doch wohl, daß das Wort Zeugnis einer hohen Art
und eines hohen Verstandes sein muß.
Martin Luther
Man kann überhaupt für die Wissenschaft nicht viel tun,
wenn das Buch, aus dem man seine Wißbegierde nähren soll,
auf den Knien eines Mädchens liegt;
man ist dann viel mehr mit dem Pult als dem Buche beschäftigt.
Ludwig Kalisch
Das Konventionelle, das sind die Vorschriften,
die mittelmäßige Leute für mittelmäßige Leute aufgestellt haben.
Stendhal
Wer in der Demokratie pennt,
wacht in der Diktatur auf.
Udo Lindenberg
* – „Der Dichter“ in dieser Rubrik ist durchaus wörtlich, doch zugleich nicht minder als Metapher zu verstehen, denn es können auch Maler, Komponisten und andere originell denkende Künstler zu Wort kommen …
Kleinstadt-Pop-Prinzessinnen aus Bayern
Live-Alben entstehen nicht nur in großen Hallen oder Stadien. Und die Musik von Julia Fischer (Tasten, Gesang) und Karin Rabhansl (Gitarre, Mundharmonika, Gesang), die als Duo unter dem Künstlernamen „Fischer & Rabe“ firmieren, verströmt eher eine Wohnzimmeratmosphäre. Tatsächlich wurden die Lieder auf ihrer Live-CD bei kleineren Konzerten in Bayern und Thüringen eingefangen. Mit ihrem leichten Hang zur Selbstironie bezeichnen sie sich als „Kleinstadt-Pop-Prinzessinnen“.
Die beiden Musikerinnen verarbeiten in ihren Songs persönliche Erfahrungen, (Alp-)Träume, Lebensereignisse und veredeln ihre Werke mit einer Dosis Sprachwitz. Bis auf das Led Zeppelin-Cover „The Battle of Evermore“ sind alle Lieder auf dieser Live-Scheibe selbst geschrieben.
Und sie präsentieren sich dabei sogar dreisprachig: Englisch, Hochdeutsch und Niederbayerisch. Musikalisch abwechslungsreich changieren sie zwischen Pop, Rock und Blues. Das Lied „Rollercoaster“ (Achterbahn) enthält sogar eine vergnügliche Hommage an den Beatles-Song „Come together“.
Fischer & Rabe erweisen sich als professionelle Entertainer, die auf kleinen Bühnen ihr Publikum begeistern können.
Und wohl nur aus der Feder von (vermeintlichen) Kleinkünstlerinnen können solch schöne Formulierungen stammen wie „Kann es denn was Schöneres geben, als anonym zu sein?“ …
Fischer & Rabe: „Live – without feathers & scales“, CD, 2025,15,00 Euro.
Initiative wider das lame Denungs-h
Der Redaktion ist folgendes Schreiben zugegangen:
In diesen Zeiten wirtschaftlicher Gefar, da Schulden vermert als Vermögen bezeichnet werden, gibt es noch erliche Menschen, die here Einsparungsziele verfolgen. Unsere Inititative wert sich gegen das meist entberliche Denungs-h. Bei Wörtern wie „geht“ oder „steht“ mag es als Verweis auf den Infinitiv bleiben, ansonsten aber „Weg damit one Gnade!“
Lont sich dieser Eingriff in die Rechtschreibung? Ser! In Deutschland erscheinen järlich um die 70.000 Bücher mit durchschnittlich 175.000, also insgesamt 12.250.000.000 Druckzeichen. Unter der begründeten Anname, dass das Denungs-h mindestens 1,36 Prozent dieser Zeichen ausmacht, könnten järlich 1.666.600.000 davon eingespart werden, was die Druckkosten erheblich senken würde.
Ein weiterer unübersebarer Vorteil entstünde im Lerbereich „Deutsch als Fremdsprache“. Zalreiche Migranten könnten leichter Deutsch lernen.
Jeder sollte sich gegen das Denungs-h verwaren. Zwar wird sich unsere Bewegung nur allmälich Ban brechen, doch wir alle bezalen für jedes Zögern. Wir verhelen nicht, dass Gefar im Verzug ist. Hon aus jolenden Kelen werden wir kül ertragen. Wir begeren keinen Rum, fordern aber die Einrichtung eines Lerstuls, der sich kün auch der Abschaffung des änlich entberlichen i-Punkts zuwendet.
Neue Limericks (XII)*
Einem Inkontinenten in Wasserlosen
ging recht häufig was in die Hosen.
Nachdem er beendet den Jammer
mit einer Klammer,
hörte man’s inwendig heftig tosen
Ein Ophthalmologe aus Lohr**,
der operierte lieber am Ohr,
am Knie und am Magen.
Den hörte man sagen:
„Pardon, das kommt schon mal vor.“
Exkurs: Lohr bezeichnet sich offiziell als „Schneewittchen-Stadt“. Das geht zwar lediglich auf einen womöglich weinseligen Einfall des einheimischen Fabulogen Dr. Karlheinz Bartels aus dem Jahre 1986 zurück (siehe ausführlicher den XXL-Beitrag „Drei Notizen aus dem Spessart“ in dieser Ausgabe), soll hier aber Grund genug sein, einen weiteren einschlägigen Limerick zu zitieren – aus dem Repertoire der Blödel-Band MTS („Mut, Tatendrang & Schönheit“), die gerade ihr 50-jähriges Jubiläum auf der Bühne und den Abschied von derselben mit einer über 50 Konzerte umfassenden Tour zelebriert:
Es sprach der Prinz zu Schneewittchen
dereinst in ihrem Hüttchen:
„Mit sieben Männen
in einem Raum pennen –
du scheinst mir ein ganz schönes Flittchen!“
Der Nachtwächter von Frammersbach***
ist bei Tage meist hellwach.
Doch wenn die Sterne dann funkeln,
nickt er stets ein im Dunkeln
und wird erst am Mittag wieder wach.
Ein Schneiderlein aus Ebenroth,
das schlug sehr gerne Fliegen tot –
auf einen Streich,
und warn’s auch gleich
sieben auf seinem Butterbrot.
Ein Probst aus Schreckenmühle
hatte auch so seine Gefühle.
War der im Beichtstuhl allein,
dann konnte es sein,
er kam eigenhändig zum Ziele.
Einem Siechen in Hubertushöhe
war immer kotzelend und wehe:
Nicht bloß Diarrhö,
nein, auch Furunkel am Zeh!
Der hatte halt Läuse und Flöhe.
Der Postmeister von Wiesen
trug Hosen mit gelben Biesen,
stieß gerne ins Horn,
und wo der war, war vorn!
Der Kerl war ziemlich zum Schießen.
Das Schlossgespenst von Stetten
rasselt nächtens mit seinen Ketten
und röchelt sehr laut.
Mit ‘ner Gänsehaut
graust man sich da in den Betten.
Auf der Rückfahrt nach Berlin ergab sich längs der A71 noch dieser L.:
Ein Somnambuler aus Stützerbach
lag nachts in der Regel schlaflos wach.
So konnt‘ er nicht wandeln,
doch sah man ihn handeln:
Er holte das Ganze bei Tage nach.
* – Zugeflogen während einer Wanderwoche im Spessart.
** – Transparenzhinweis: Es handelt sich um keinen der Ärzte der am Ort ansässigen Augenklinik.
*** – Die Frammersbacher hatten lange Ausschau halten müssen nach einem geeigneten Aspiranten. Doch seit nun nicht mehr zu jeder vollen nächtlichen Stunde ein kraftvolles „Liebe Leute lasst euch sagen, / die Uhr hat eben zehn [elf, zwölf et cetera] geschlagen.“ durch ihre Gassen schmettert, können sie endlich wieder durchschlafen.
Aus anderen Quellen
„Viel Wissen, das in früheren Phasen der Friedensbewegung Allgemeingut war, ist verlorengegangen“, vermerken Peter Wahl, Erhard Crome, Frank Deppe und Michael Brie und fahren fort: „Für jüngere Generationen ist der Krieg historisch und geographisch weit weg. Wer im Jahrzehnt nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurde, wie die Mehrheit der heute Friedensengagierten, hat noch auf Trümmergrundstücken gespielt, und bei Gesprächen mit Eltern und Großeltern waren die Schrecken des Krieges immer präsent. Für heute Zwanzigjährige liegt der Zweite Weltkrieg so weit zurück, wie für Achtundsechziger der deutsch-französische Krieg 1870/71. Deshalb ist es unumgänglich, auch historische Erfahrung lebendig zu halten und grundlegende Einsichten in die Logik von Krieg und Frieden populär zu machen.“
Peter Wahl / Erhard Crome / Frank Deppe / Michael Brie: Jenseits von Gut und Böse, jungewelt.de, 08.09.2025. Zum Volltext hier klicken. (Es handelt sich um einen Vorabdruck aus dem Buch „Weltordnung im Umbruch. Krieg und Frieden in einer multipolaren Welt“, das beim PapyRossa-Verlag bestellt werden kann.
*
Bürgerkriege in Europa? Eine zunehmende Eintrittswahrscheinlichkeit sieht David Betz, Professor für „Krieg in der modernen Welt“ im Fachbereich Kriegsstudien am King’s College London: „Multikulturalismus und Identitätspolitik haben die gemeinsame Basis zerstört, die eine Demokratie braucht. Früher gab es ein stabiles Wir – heute dominiert ein ‚Wir gegen die Anderen‘-Muster. Verstärkt wird das durch soziale Medien, die isolieren und polarisieren. In Großstädten zeigen sich schon Symptome sogenannter wilder Städte (feral cities): verfallende Infrastruktur, Gebiete ohne effektive Polizeipräsenz oder nur ‚verhandelte‘ Polizeizugriffe, wachsende private Sicherheitsdienste, Mauern und Gitter vor Häusern. Solche Entwicklungen treiben eine ethnisch geprägte Abwanderung – wer kann, zieht dorthin, wo er ‚seine Leute‘ sieht.“
Moritz Eichhorn: „Fast alle Voraussetzungen für Bürgerkriege in Europa sind erfüllt“. Berliner Zeitung, 23./24.08.2025. Zum Volltext hier klicken.
*
Zum aktuellen Stand militärischer Anwendungen von KI schreibt Christoph Marischka: „Eigentlich schreibt das humanitäre Kriegsvölkerrecht für jeden Angriff, bei dem zivile Opfer zu befürchten sind, eine individuelle Abwägung vor, ob der erwartete militärische Nutzen in einem vertretbaren Verhältnis zum zivilen Schaden steht. Es steht nicht explizit geschrieben, dass diese Abwägung von einem Menschen getroffen und verantwortet werden muss. Dass Abwägung und Verantwortung jedoch an informationstechnische Systeme delegiert werden könnten, ist bislang noch eine absolute Minderheitenposition und in keiner Weise konkretisiert. Israel hat diesbezüglich jetzt Fakten geschaffen – ebenso wie das Schweigen seiner Verbündeten.“
Christoph Marischka: Krieg, KI und Kontrollverlust, imi-online.de, 15.07.2025. Zum Volltext hier klicken.
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„Die1946 von Maud von Ossetzky und Hans Leonhard wiedergegründete Weltbühne“, so Maritta Tkalec, „galt in der DDR als Kultprodukt; wer etwas gelten wollte, hielt sie sich in Café, Mensa oder S-Bahn vor die Nase oder ließ das im Kopfbereich im bekannten Rot gestaltete Heftchen bedeutsam aus der Tasche lugen.“
Maritta Tkalec: Prügel von allen Seiten, Berliner Zeitung, 02.09.2025. Zum Volltext hier klicken.
*
„Rafael Schermann war ein begnadeter Graphologe, besser gesagt: Psycho-Graphologe, wie er sich selbst nannte. Er ist nicht nur einer der Protagonisten in Steffen Menschings […] Roman, sondern lebte wirklich. Er wurde 1874 in Krakau geboren und starb vermutlich 1943 in einem kasachischen Arbeitslager. In der Zwischenkriegszeit war er berühmt für seine Handschriftenanalysen, mit denen er zeitweilig sogar auf Tournee bis in die USA ging […] der Prager Psychiater Oskar Fischer veranstaltete ausführliche Untersuchungsreihen mit Schermann, über die er 1924 in seinem Buch Experimente mit Rafael Schermann berichtete“, schreibt Arnd Beise in seiner Rezension über Steffen Menschings 1918 erschienenen 820-Seiten-Roman „Scheermanns Augen“ und informiert weiter: „Fischers Studie fand sich auch unter den 4000 Büchern, die Steffen Mensching 1998 in einem New Yorker Antiquariat kaufte […]. Zugleich plante er schon länger ein Buch über die kommunistischen Opfer des Stalinismus, in dem die 1942 in einem sowjetischen Gefängnis erschossene, für die deutschsprachige Exilliteratur extrem wichtige Journalistin, Redakteurin und Schriftstellerin Maria Osten im Zentrum gestanden hätte. Zu diesem Buch kam es nicht.“
Doch gekommen ist es zu „Scheermanns Augen“. Beise nennt das Werk ein „brillantes Romanporträt der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“; andere äußerten sich ähnlich euphorisiert – „Kolossalgemälde“ (Christoph Dieckmann, DIE ZEIT); „Ich stehe fassungslos vor dieser Leistung. […] diese Fülle zu entdecken, aufzufinden und dann dieses riesige Wissen zu organisieren, das […] ein richtiger, ein wundervoller Roman wird – alle Preise der Welt gebühren dem Autor.“ (Christoph Hein, Autor); „faszinierende Lektüre“ (Andreas Platthaus, FAZ). Alle diese Äußerungen treffen nach Ansicht des Zusammenträgers zwar einerseits zu, fallen aber andererseits (angesichts von Menschings Leistung) eher in die Rubrik – Understatement.
Arnd Beise: Die Schrift lügt nicht!, literaturkritik.de, 10/2019. Zum Volltext hier klicken.
Schlagwörter: Atombomben, Fischer & Rabe, Heidrun Deborah Kämper, Herbst, Japan, KI, Krieg, Kriminal-Sonette, Limericks, Markus Hildebraa, Peter Köhler, Rainer Rönsch; Thomas Rüger, Renate Hoffmann, Scheermanns Augen, Steffen Mensching, Thaddäus Faber, Thomas Behlert, Thomas Weyrauch, Weltbühne


