26. Jahrgang | Nummer 21 | 9. Oktober 2023

Bemerkungen

Kriegsbeendigung durch Waffenstillstand und Friedensverhandlungen

Ende August 2023 haben Professor Dr. Peter Brandt, Professor Dr. Hajo Funke, General a.D. Harald Kujat, Professor Dr. h.c. Horst Teltschik den bisher umfassendsten und wegweisendsten Friedensvorschlag seit Beginn des Ukraine-Krieges vorgelegt. Das Blättchen dokumentierte das Papier in der Ausgabe 19/2023.

In der Berliner Zeitung vom 26.09.2023 hat der deutsche Ex-OSZE- und UN-Diplomat Michael von der Schulenburg sich dazu geäußert, „warum gerade jetzt ein solch detailliert ausgearbeiteter deutscher Friedensvorschlag von so großer Wichtigkeit ist. Er bricht mit dem verhängnisvollen Glauben, militärische Siege könnten einen Frieden bringen, und skizziert demgegenüber Wege, durch politische Verhandlungen eine friedliche Lösung dieses Krieges zu erreichen. […] So fordern die Initiatoren einen sofortigen Waffenstillstand entlang des bestehenden Frontverlaufes, aber eben auch den gleichzeitigen Beginn von Friedensverhandlung, um so ein „Einfrieren“ dieser Waffenstillstandslinie und damit des ganzen Konfliktes zu verhindern. Um Friedensverhandlungen nicht durch lange politische Winkelzüge zu verzögern, schlagen sie Verhandlungslösungen zu den kontroversen Kernproblemen des Konfliktes vor: zu einer neutralen Ukraine, Sicherheitsgarantien für die Souveränität und territorialen Integrität der Ukraine sowie eine politische Lösung für den zukünftigen Status der Regionen Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson sowie der Krim. […] Im Gegensatz zur politischen Auffassung in der EU teilen die Initiatoren des deutschen Friedensvorschlags die Einschätzung nicht-westlicher Länder, dass der russische Präsident Putin sehr wohl zu Verhandlungen bereit ist.“

gm

Tag der Deutschen Einheit – Nachgedanken

„SPD, Grüne und FDP spielen in mehreren ostdeutschen Ländern kaum noch eine Rolle, selbst die Linkspartei nur mit stark abnehmender Tendenz. Hingegen hält sich die CDU auf einem relativ hohen Niveau, aber selbst sie wird von der AfD in den Schatten gestellt. […] Die meisten Erklärungsversuche beugen sich über die ehemalige DDR nach alter Gewohnheit wie über ein zurückgebliebenes Kind: lernunwillig, unerfahren, missverstanden, benachteiligt, populismusanfällig – ‚abgehängt‘, wie westdeutsche Lehrmeister feststellen und ostdeutsche Zonenkinder gerne mitjammern, weil sich die Opferrolle gut anfühlt. Würden die Ostdeutschen in Duisburg-Marxloh, Mannheim-Jungbusch oder Offenbach leben, hätten sie allesamt eine andere Meinung über Migration? Gäbe es jedes Jahr eine Oderflut, würden sie vollends Grüne wählen? Vielleicht werden sich die nächsten Einheitsfeiern mit der Frage beschäftigen müssen, ob die Deutschen im Westen gar nicht die Avantgarde sind. Darauf deuten jüngste Umfragen. Das Gefühl, von der Politik bevormundet zu werden, war erst eine ostdeutsche Spezialität und ist nun eine gesamtdeutsche. Und dass die Migrationspolitik in die völlig falsche Richtung führt, sagen nicht mehr nur Ostdeutsche, die keine Erfahrung mit Migranten haben. Sie sind nur nicht so zimperlich, was ihre Meinungsbildung angeht. Radikal wählen, wenn alles andere nicht hilft? Im Westen gibt es dafür historisch eingeübte Hemmschwellen. Im Osten nicht.“

Jasper von Altenbockum

FAZ, 04.10.2023

Längst vergessen?!

Fundstücke aus DDR-Jahrgängen der Weltbühne, die dank einer Spende aus Leserhand nunmehr im Blättchen-Archiv stehen.

Die Redaktion

Pkw-Statistik

Bei einem Blick in das Statisti­sche Jahrbuch der DDR bin ich unlängst auf interessante Zahlen über die Pkw in unserem Lande gestoßen.

Zuerst: 1976 wurde in der DDR die Zwei-Millionen-Pkw-Grenze überschritten. Zieht man die gewerblich und von Verwaltun­gen genutzten Pkw ab, so ergibt sich, daß Ende vergangenen Jahres 28,8 von 100 Haushalten über ein Auto verfügten. Um das Tempo zu zeigen: 1970 waren es 15,6 Haushalte. Inzwischen wird die 30-Prozent-Marke erreicht sein. Der höchste Ausstattungs­grad mit Pkw je 100 Arbeiter- und Angestelltenhaushalte in unserem Lande (er beträgt für diese Bevölkerungsgruppe im Repu­bliksdurchschnitt bereits 33,8 Prozent) besteht nicht – wie vielfach vermutet – in Berlin. An erster Stelle stand am 31. August vorigen Jahres, dem statistischen Erfassungstag, der Bezirk Frank­furt/Oder. 44,4 Prozent der ge­nannten Haushalte hatten dort einen Pkw. Es folgten die Bezirke Cottbus (40,8), Gera (37,2), Halle (36,4) und Dresden (36,3). Die Hauptstadt kommt mit 32 Pkw auf 100 Arbeiter- und Angestelltenhaushalte erst an neunter Stelle. Aber das ist für Fußgänger in Berlin wenig tröstlich: In anderen Bezirken verteilen sich die Autos auf mehr Quadratkilometer.

In erster Linie kommen unsere fahrbaren Untersätze aus eigener Produktion. Letztes Jahr waren es 163.970 Pkw. Etwa die Hälfte davon blieb im Inland, die anderen wurden exportiert, und zwar vornehmlich in die RGW-Länder. Mehr Pkw als wir ausführten, wurden jedoch importiert: 94.776 Stück.

Sicherlich werden nicht in alle unserem Lande von der steigenden Motorisierungskurve begeistert sein. Manchem mag sie wiederum noch nicht steil genug sein. Es gibt viele Für und Wider. Eines ist aber unbestreitbar: Auch diese Entwicklung zeigt, daß es offensichtlich bei uns gut vorangeht.

H.-J. D.

Weltbühne, 48/1977

 

Leider ist es der Redaktion nicht gelungen, den Autor zu identifizieren. Wir bitten daher darum, sich gegebenenfalls mit uns in Verbindung zu setzen.

 

Der Lindenbaum

von Wilhelm Müller

Am Brunnen vor dem Tore
da steht ein Lindenbaum;
ich träumt’ in seinem Schatten
so manchen süßen Traum.

 

Ich schnitt in seine Rinde
so manches liebe Wort;
es zog in Freud und Leide
zu ihm mich immer fort.

 

Ich musst’ auch heute wandern
vorbei in tiefer Nacht,
da hab ich noch im Dunkel
die Augen zugemacht.

 

Und seine Zweige rauschten,
als riefen sie mir zu:
Komm her zu mir, Geselle,
hier findst Du Deine Ruh!

 

Die kalten Winde bliesen
mir grad’ in’s Angesicht;
der Hut flog mir vom Kopfe,
ich wendete mich nicht.

 

Nun bin ich manche Stunde
entfernt von jenem Ort,
und immer hör’ ich’s rauschen:
Du fändest Ruhe dort!

 

Heinrich Lund / Wilhelm Suhr (Hrsg.): Deutsches Dichterbuch,

Verlag Herrosé & Ziemsen, Wittenberg o.J.

 

Schwestern im Geiste

Sie können mit Fug und Recht als Schwestern im Geiste bezeichnet werden, auch wenn sie sich nicht persönlich begegnet sind, nie begegnen konnten. Denn Mascha Kaléko, mit jüdischen Wurzeln, aus Galizien stammend, in Berlin groß geworden und zur anerkannten Lyrikerin gereift, musste 1938 ins Exil gehen. Mitte der 1970er Jahre starb sie in Zürich Erst vier Jahre nach ihrem Tod erblickte die spätere Berliner Liedermacherin Dota Kehr das Licht der Welt.

Beide sind sie sprachverliebt und sprachsensibel, beweisen Sprachwitz und beschäftig(t)en sich in ihrem Œvre mit den glücklichen wie auch den schwermütigen Momenten des Lebens.

Wer Dota nur von ihren geistvollen Spaßliedern her (etwa „Rennrad“ oder „Konfetti“) kennt, wird angenehm enttäuscht sein. Zum zweiten Male präsentiert sie Vertonungen von Mascha Kaléko auf einem Tonträger und wird erneut von bekannten Musik-Kolleginnen und Kollegen – von Clueso bis Götz Widmann, von Anna Mateur bis zu Funny van Dannen – unterstützt.

Natürlich stehen die Texte, sprich die Gedichte, im Vordergrund. Doch Dotas Vertonungen unterstreichen, dezent, aber wirkungsvoll, die jeweiligen Inhalte. Es ist zu hoffen, dass Mascha Kaléko durch diese Lieder vor dem Vergessen bewahrt wird.

Wie hat die Lyrikerin selbst geschrieben:

„Kommt seine Zeit, dann schwindet das Dunkel,

Funkelt das wiedergeborene Licht.

Nichts ist zu Ende. Alles geht weiter.

Und Du wirst heiter. Oder auch nicht.“

Es bleibt abschließend noch dem unbekannten Konzertbesucher zu danken, der vor gut fünf Jahren der Musikerin Dota Kehr einen Gedichtband von Mascha Kaléko in die Hand drückte. Ein Geschenk mit Langzeitwirkung …

Thomas Rüger

Dota: In der fernsten der Fernen, CD 2023, Label: Kleingeldprinzessin, um die 20,00 Euro.

 

Auf den Punkt gebracht

Ausnahme:

Man sage, daß sie „die Regel bestätigt“,

aber riskiere nie eine Erklärung, wieso.

Gustave Flaubert

 

Das Volk versteht das meiste falsch;

aber es fühlt das meiste richtig.

Kurt Tucholsky

 

Die Klugheit des Fuchses

Besteht zu fünfzig Prozent

in der Dummheit der Hühner.

Jose Ortega y Gasset

 

Das Unglück ist, dass jeder denkt,

der andere ist wie er, und dabei übersieht,

dass es auch anständige Menschen gibt.

Heinrich Zille

 

Denken ist schwer,

darum urteilen die meisten.

Carl Gustav Jung

 

Eines Tages wird alles gut sein,

das ist unsere Hoffnung.

Heute ist alles in Ordnung,

das ist unsere Illusion.

Voltaire

 

Keine Verbesserung ist zu klein oder geringfügig,

als dass man sie nicht durchführen sollte.

Theodor W. Adorno

 

Ein gutes Gewissen ist keins.

Martin Walser

 

Uneingeschränkte Toleranz führt

mit Notwendigkeit zum Verschwinden der Toleranz.

Denn wenn wir die uneingeschränkte Toleranz

sogar auf die Intoleranten ausdehnen,

wenn wir nicht bereit sind, eine tolerante Gesellschaftsordnung

gegen die Angriffe der Intoleranz zu verteidigen,

dann werden die Toleranten vernichtet werden und die Toleranz mit ihnen.

Karl Popper

 

Tatsachen muss man kennen,

bevor man sie verdreht.

Mark Twain

 

Kleine Stationen sind stolz darauf,

dass die Schnellzüge an ihnen vorbeifahren müssen.

Karl Kraus

 

Der Zufall ist der einzig legitime Herrscher des Universums.

Napoleon

 

Am Ende wird alles gut,

und wenn es nicht gut wird,

dann war’s noch nicht das Ende.

Oscar Wilde

cf

Aus anderen Quellen

Der Sicherheitsexperte Sergei Karaganow, Ehrenvorsitzender des russischen Council for Foreign and Defense Policy, hat vor nicht allzu langer Zeit dafür plädiert, dass Russland dem kollektiven Westen den Ernst der Lage in dessen Konfrontation mit Moskau durch einen begrenzten Einsatz von Atomwaffen begreiflich machen sollte (siehe dazu Das Blättchen, 15/2023). Jetzt hat Karaganow nachgelegt: „Mit unserer Nukleardoktrin, die die Schwelle für den Einsatz von Atomwaffen leichtfertig, wenn nicht gar rücksichtslos, hoch ansetzt, haben wir ungewollt zum Wachstum der westlichen Aggressivität beigetragen. Und die Amerikaner und ihre Vasallen schmarotzen davon: Sie haben einen großen Krieg gegen eine große Atommacht entfesselt und führen ihn, was früher undenkbar war.“ Und: „Die Aktivierung des nuklearen Faktors und des von ihm ausgehenden Schreckens ist notwendig, um zu verhindern, dass unvermeidliche Gegnerschaften zu Kriegen eskalieren. Wenn also Atomwaffen eingesetzt werden müssen […], muss der Schlag massiv genug sein.“

Funktioniert die atomare Abschreckung noch – und was, wenn nicht?, anti-spiegel.ru, 02.10.2023. Zum Volltext hier klicken.

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„Wir sind emotional darauf eingeschworen“, so der US-Experte Douglas Macgregor zur Marschrichtung des kollektiven Westens gegen Moskau, „Russland zu zerstören.“ Aber: „Das ist Wahnsinn, denn wenn man irgendetwas aus einer rationalen Perspektive betrachtet und die Ukraine auf der Karte betrachtet, ist die erste Schlussfolgerung, zu der man kommt: Mensch, das ist wundervoll. Lassen Sie uns eine neutrale Ukraine einrichten. Wenn der Ort neutral ist, bedeutet das Hunderte von Meilen zwischen den NATO-Truppen in Osteuropa und den russischen Truppen in Europa. Ist das nicht eine gute Sache? Natürlich ist es das!“

Die NATO eskaliert: Der Krieg tritt in eine neue Phase ein – Colonel Douglas Macgregor und Glenn Diesen, seniora.org, 21.09.2023. Zum Volltext hier klicken.

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Wer sprengte die Nord Stream Pipelines? Welche Warnungen gab es und wie hat die Ampel darauf reagiert? Wieso wurde nicht mit Hochdruck und einem großen Ermittlungsteam allen Fährten nachgegangen und warum schweigt die Bundesregierung so eisern zu den Ermittlungsergebnissen? Wem nützt es, dass die Pipeline zerstört ist, und gab es vergleichbare Anschläge auf Pipelines schon früher einmal? Und wenn die Täter tatsächlich im Auftrag der ukrainischen Armeeführung handelten, wie viele Medien mit Verweis auf Geheimdienstinformationen berichtet haben: Wie bescheuert sind wir eigentlich, einem Land, das unsere wichtigste Energieinfrastruktur zerstört, weiterhin Waffen und Geld in Milliardenhöhe zukommen zu lassen, während hierzulande schon wieder bei Gesundheit, Pflege und Bildung gekürzt wird? Diesen Fragen geht Sahra Wagenknecht nach. Und Seymour Hersh ist überzeugt, dass Bundeskanzler Scholz in den Nord Stream-Coup eingeweiht war.

Sahra Wagenknecht: Wer hat Nord Stream gesprengt? Cui bono und das Schweigen der Regierung, youtube.com, 21.09.2023. Zum Volltext hier klicken.

Seymour Hersh: A year of lying about Nord Stream, seymourhersh.substack.com, 26.09.2023. Zum Volltext hier klicken.

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„Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts“ – so könnte man die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage von Sevim Dagdelen und der Linksfraktion zusammenfassen, in der es um „rechtsextreme Ausprägungen der ukrainischen Geschichtspolitik“ ging. In geschliffenem Regierungssprech ist das natürlich feiner formuliert – zum Beispiel so: „Der Bundesregierung liegen keine eigenen, über Medienberichte hinausgehende Erkenntnisse […] vor.“ Und zu der Frage, ob sich „die Bundesregierung des Umstandes bewusst“ sei, „dass die OUN unter Führung Banderas einen ‚Säuberungsauftrag‘ an ihre militärischen Einheiten erteilte, in dem die ‚Liquidierung unerwünschter polnischer, moskowitischer und jüdischer Aktivisten‘ erlaubt wurde und zudem vorgesehen war, Juden ‚beim kleinsten Verschulden‘ zu liquidieren“, lautete die Antwort: Die Bundesregierung mache sich die „pauschale[…] Einordnung bestimmter (historischer) Gruppierungen oder Personen als rechtsextrem, antisemitisch, antiziganistisch oder sonst rassistisch […] ausdrücklich nicht zu eigen“. Dazu passt, dass sich die Bundesregierung mittlerweile gegen eine UN-Resolution ausspricht, die die „Glorifizierung des Nazismus“ verurteilt.

Sevim Dagdelen: „Keine eigenen Erkenntnisse“, jungewelt.de, 27.09.2023. Zum Volltext hier klicken.

Mit der Waffen-SS gegen Russland, german-foreign-policy.com, 28.09.2023. Zum Volltext hier klicken.

 

Zusammengetragen von Wolfgang Schwarz.

Letzte Meldung

Die etwa 34.000 rollenden Plattformen der Bundeswehr – vom Geländewagen über den Truppentransporter bis zum Kampfpanzer – verfügen bisher nicht über digitalisierte Funkgeräte. Ein wirkliches operatives Zusammenwirken mit Verbänden anderer NATO-Partner, die bereits moderner ausgestattet sind, ist daher praktisch kaum möglich. Das soll durch die Beschaffung neuer Funkgeräte geändert werden. Und könnte laut Presseberichten bis zu fünf Milliarden Euro kosten.

Die ersten 1,3 Milliarden Euro wurden vom Bundestag bereits bewilligt. Seit Januar 2023 werden die bestellten Funkgeräte ausgeliefert.

Jetzt wurde öffentlich: In eine große, wenn nicht übergroße Anzahl der Bundeswehrfahrzeuge können die Geräte gar nicht eingebaut werden. Wegen zu kleiner Lichtmaschinen, zu geringer Kapazität der Fahrzeugbatterien und dergleichen mehr. Also müssen erstmal die Plattformen umgerüstet werden. Dazu der SPD-Haushaltspolitiker Andreas Schwarz: „Das wird auch noch Jahre dauern. Wir geben hier Milliarden für Funkgeräte aus, die voraussichtlich im Regal verstauben und bei der Truppe wahrscheinlich lange nicht zum Einsatz kommen.“

Und wer ist schuld?

Vermutlich schon wieder – die Russen …

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