16. Jahrgang | Nummer 17 | 19. August 2013

Bemerkungen

Zum Tod von Lothar Lang

Am 20. Juli starb im 86. Lebensjahr der Kunstkritiker und Autor Prof. Dr. Lothar Lang. Die Weltbühne bildete seit dem 9. Oktober 1957 die publizistische Grundlage für den Rang, den er vor allem für die Buchkunst mit seiner 1975 erstmals bei Edition Leipzig erschienenen „Expressionistischen Buchillustration in Deutschland 1907-1927“, der drei weitere Bände zur Buchkunst des 20. Jahrhunderts folgten, und mit seiner dort 1978 erstmals erschienenen „Malerei und Graphik in der DDR“ erlangen sollte. Bereits in den sechziger Jahren hatte er als Dozent am Institut für Lehrerweiterbildung in Weißensee und in Pankow für Musik- und Kunsterzieher mit Ausstellungen und bald auch mit der Kabinettpresse Weiterwirkendes schaffen können. Er selbst sah sich als Begleiter der Künstler seiner Generation, vor allem von Meisterschülern der Deutschen Akademie der Künste, der Jahrgänge zwischen 1925 und 1937. Als Redakteur (1964-1998) der Marginalien Zeitschrift für Buchkunst und Bibliophilie, herausgegeben von der Pirckheimer-Gesellschaft, konnte er das Feld der kunstkritischen Betrachtung in den Jahren der DDR erheblich erweitern. Im Staatlichen Museum Schloß Burgk, wo er, in Gemeinschaft mit der Pirckheimer-Gesellschaft im Kulturbund der DDR, dem Exlibris eine Basis gab, endete sein Direktorat 1990. Charakteristisch für ihn, für „Ein Leben für die Kunst“, wie er 2009 seine Erinnerungen genannt hat, war seine Freundschaft und oft enge Beziehung zu Künstlern sowohl als deren publizistischer Förderer als auch als Sammler ihrer Werke. Zu seinem 60. Geburtstag hatte es auf Schloß Burgk ein großes Fest gegeben, zu dem besonders viele Künstler aus Berlin anreisten. Das sehr parteikonforme Typoskript zur (Ost-)Berliner Kunst, das im Henschelverlag vorlag, ist wohl zu seinem Glück 1990 nicht mehr erschienen. Im Streit mit dem Chefredakteur der Weltbühne schied er kurz vor dem Ende der Zeitschrift als stets zuverlässiger Autor aus, weil der Verantwortliche Zusätze beziehungsweise Änderungen in einem Artikel zu Harald Metzkes verlangte. Langs Bedeutung liegt in dem, was er als Außenseiter, als der er sich selbst sah, in gut drei Jahrzehnten erreicht hat. Ein mir befreundeter Künstler schrieb mir: „Er war uns jungen Künstlern ein aktiver Wegbegleiter und Förderer der Künste sowieso.“

Leo Piotracha

Die Bundeswehr rüstet ab

… könnte man meinen, wenn man liest, dass rund 42 Prozent der von der Bundeswehr genutzten Geräte im Rahmen des Abzugs aus Afghanistan zurückgelassen werden. Diese Ausrüstungen werden entweder an die Afghanen übergeben, verkauft oder verschrottet. Bei weiteren elf Prozent hängt die Entscheidung vom Zustand des Materials ab. Geländewagen vom Typ „Wolf“ etwa, die ein bis zwei Jahre im Einsatz waren, werden in der Regel nicht zurückgeführt. Der aktuelle Wert des Kriegsgeräts, so das Verteidigungsministerium, liege weit unter dem Anschaffungspreis, eine Rückführung sei somit unwirtschaftlich. Der Gesamt-Neuwert des derart entsorgten Bundeswehrmaterials soll sich auf 150 Millionen Euro belaufen. Richtige Abrüstung wird das natürlich wahrscheinlich trotzdem nicht, wie der Hinweis auf den Anschaffungspreis zumindest andeutet.

Alfons Markuske

Vom Ich zum Wir

Wenn’s der Wählerwerbung dient, sind sich auch die dem freiheitlichen Individuum verpflichteten Parteien der Bundesrepublik nicht zu schade, pathetisch an das Kollektive unseres Gemeinwesens zu appellieren, das sie gern zu regieren wünschen. Am – im wahrsten Sinne des Wortes – plakativsten betreiben das derzeit die Sozialdemokraten. „Das Wir entscheidet“ lautet jener Spruch, der nicht nur eigene Plakate füllt sondern auch jedwedem Wahlwerbematerial als übergreifender Sinnspruch beigefügt ist. Und so würde, den allerdings wenig wahrscheinlichen Wahlerfolg der SPD voraussetzend, denn vollendet, was in DDR-Zeiten als Zielvorgabe schon immer lautete: „Vom Ich zum Wir“. Einige Jahrzehnte später wissen wir halt auch, warum das erstrebenswert ist, denn „Das Wir entscheidet“.
Übrigens soll sich der Wahlkampfetat der SPD auf 23 Millionen Euro belaufen und ist somit der größte der deutschen Parteienlandschaft. Man stelle sich vor, die Sozis auf lediglich einem der landauf, landab angepappten Plakate verkünden, dass sie (abzüglich der Produktionskosten eben jener Plakatierung) diesen Betrag komplett einem karitativen Zweck zur Verfügung stellt statt ihn in tonnenweise produzierte, transportierte und verteilte Poster, Broschüren, in China hergestellten Gummienten, Kondome, Bierflaschenöffner oder Sattelschoner umzusetzen – jedenfalls bei vernunftbegabten Wählern dürfte das viel einnehmender ankommen als die Verausgabung für – alles in allem: Ramsch.

HWK

Der Bock als Gärtner

Es ist eine wirkliche Krux, die das Neue Deutschland in seinem respektablen Bemühen, eine wirklich unabhängige linke Tageszeitung zu sein, seit der Wende nahezu unvermindert begleitet: Es muss zwar nicht mehr – wie in DDR-Zeiten – Organ einer Partei sein und hat sich in dieser Hinsicht sehr wohl weitgehend von einstiger Abhängigkeit lösen können. Ein Großteil der seinerzeitigen Leserschaft samt deren Nibelungentreue ist ihr aber erhalten geblieben, soweit diese nicht von der – in ihrem Sinne wirklich revolutionären – Jungen Welt abgeworben worden ist; der noch viel „revolutionärere“ Rotfuchs vermag dies als monatliches Periodikum ja begreiflicherweise nur bedingt.
Dem ND, das – wie so viele andere und scheinbar viel renommiertere Tageszeitungen – seit Jahren darum kämpft, seine Auflage in einer wenigstens existenzsichernden Höhe zu halten, hat bei allem, was es an eigenständigen Meinungen seiner Autoren veröffentlicht, beständig die Drohungen jener alten Garde im Genick, das Abonnement aufzukündigen, wenn wieder einmal Raum dem gewidmet wird, das gegen die reine Lehre geht. Schon, weil es sich dabei eben nicht nur um Drohungen handelt, ist dies alles andere als ein beneidenswerter Zustand, der ohne diverse Spagate auch nicht zu bewältigen ist. Und der gewiss auch mit sich bringt, dass man selbst Kröten zu schlucken bereit ist, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, man verbiete einer Denkrichtung die Plattform dieser Zeitung – selbst dann, wenn das dahinter stehende Denken nur ein scheinbares ist. Weil das so ist, finden sich in den Leserbriefen des ND wiederholt Auftritte von vormalig einflussreichen Persönlichkeiten, die es einem quälend peinlich werden lassen, einmal – zumindest dank gleicher Parteimitgliedschaft – als einer der „ihren“ dazu gehört zu haben“. Abonnement auf die Leserbriefspalten hat zum Beispiel ein seinerzeit in der SED-Agitation und Propaganda hoch angebundener Funktionär. Sein dortiger jüngster (aber gewiss nicht letzter) Beitrag besteht nun in der furchtlos entlarvenden Anklage an den Springer-Verlag, all seinen Blättern die Veröffentlichung von Werbeanzeigen der Linkspartei zu den Bundestagswahlen zu untersagen. „Das ist ein Beleg, wie antilinkslastig die Pressefreiheit hierzulande ist. Eigentlich müssten ja nun die ‚Menschen- und Freiheitsrechtler’ von CDU, CSU, SPD und Grünen, die jeden Mangel an Rechtsstaatlichkeit im hintersten Winkel Sibiriens oder Chinas brandmarken, gegen den Boykott auf die Barrikaden gehen. Aber ihnen stellt Springer seine Spalten ja auch zur Verfügung“, ist da in der Ausgabe vom 27./28. Juli empörungstriefend zu lesen. Das ist nun freilich nicht falsch. Nur, wer dereinst an führender Stelle dafür gesorgt hat, dass in DDR-Medien nichts, aber auch gar nichts Platz hat auch nur erhoffen dürfen, das im Geiste einer ernsthaften Pressefreiheit auch nur im Ansatz anderem Denken als dem des zentral Vorgegebenen aus dem SED-Zentralkomitee entsprach – sollte der nicht einfach mal, sorry, sein Maul halten statt den Gegnern des heutigen ND sogar noch Futter zu verabreichen? Haben wir seinerzeitigen DDR-Journalisten mit einem Gros unserer Tätigkeit nicht genug Schaden angerichtet? Offensichtlich nicht genug, was unter anderem darin zum Ausdruck kommt, dass „Genossen“ von einst, die aus ihren seinerzeitigen Fehlern gelernt haben, (ohne übrigens dabei lediglich zu einer anderen politischen Position als einer linken konvertiert zu sein), von Rotfuchs-Auguren schon mal gedruckter Weise als „Schmeißfliegen“ bezeichnet werden. Es ist, wie so oft: Dieserart „alte Garde“, die seinerzeit führend daran mitgewirkt hat, den Imperialismus ausdrücklich abzuschaffen und „auf den Müllhaufen der Geschichte“ zu befördern, klagt nun bitterlich, das er es heute nicht gut mit ihnen und ihrem „Geiste“ meint und nur das praktiziert, was DDR-Doktrin war. Wobei dies heute auf eine solch unvergleichlich liberalere Weise vor sich geht, als man sich bei halluziniert andersartiger Vereinigung der beiden deutschen Staaten, also unter DDR-Vorherrschaft, vorstellen könnte.

Heinz Jakubowski

Ein Nachtrag zu Wilhelm Reich

Heute habe ich mich besonders über das Blättchen gefreut, weil Andreas Peglau einen Artikel über Wilhelm Reich veröffentlichte (Das Blättchen 16/2013 – die Redaktion) und ein Buch von ihm angekündigt wurde. Etwa 1973 habe ich Reichs „Massenpsychologie des Faschismus“ gelesen. Die abgegriffene Schwarte wurde mir geliehen. Ich glaube mich zu erinnern, dass sie in Moskau herausgegeben wurde. Wilhelm Reich ist vor allem mit seinen Theorien zur Persönlichkeit und später zur Sexualität hervorgetreten. Weil er in der „Massenpsychologie“ die antifaschistische Politik der Komintern kritisierte, wurde er aus der KPD ausgeschlossen. Seine Kritik wurde nicht verstanden. Später ist er in einem USA-Gefängnis gestorben, nachdem er wegen seiner Behandlungsauffassungen verurteilt worden war. Mittlerweile besitze ich ein Original der deutschen Fassung, 2. Auflage ohne Jahres- und Verlagsangabe, jedoch vermutlich 1934 in Kopenhagen erschienen. Seit 1971 ist das Buch dreimal im Kiepenheuerverlag erschienen, zuletzt 2003. Es ist einfach spannend zu lesen, wenn man bereit ist, sich in die damalige Zeit zurückzuversetzen und psychoanalytische Erklärungen vorurteilsfrei aufnimmt. Was viele nicht wissen: Ein deutscher Psychiater und Psychoanalytiker, Dr. John Rittmeister, war als Mitglied der „Roten Kapelle“ tätig und musste das mit dem Leben bezahlen.

Manfred Gussmann

Terrorbürokratie

Die USA haben die meisten ihrer kurzzeitig wegen akuter Terrorwarnungen geschlossenen Botschaften vor allem in Nahost und Nordafrika derweil wieder geöffnet. Dass sich das Erwartete dort nicht ereignet hat, wird dabei wohl als Erfolg dieser Maßnahme gewertet – das Gegenteil kann eh niemand beweisen, die Kausalität von Botschaftsschließung und ausgebliebenen Attentaten allerdings auch nicht. Wieder einmal haben wir es mit einem klassischen und vermutlich kaum zu entschlüsselnden Deutungspatt zu tun, woran auch die verbreitet geäußerte Vermutung wegen ihrer Unbelegbarkeit nichts ändert, dass es in erster Linie um ein Ablenkungsmanöver gegenüber der global anerkannte Verfassungswerte wie der Unverletzlichkeit der Persönlichkeitsrechte samt des „Post“geheimnisses ging. Putzig mutet nun allerdings die Tatsache an, dass man die Botschaften wieder öffnet. Das unterstellt den Terroristen gleichsam so etwas wie verbindliche Geschäftszeiten von Kaufleuten: Kann der Terror dank seiner vorausschauenden Vereitelung nicht termingerecht realisiert werden, wird – sicher wieder über Telefon – ein neues Datum für das geplante Attentat festgelegt. Natürlich auch nur, wenn die diplomatischen Vertretungen regulär geöffnet haben (werktags von 10.00 Uhr bis 17.00 Uhr, an Sonn- und Feiertagen bleiben sie auch dann geschlossen, wenn keine Terrormeldung vorliegt).

Helge Jürgs

Unter strengste Kontrolle

Dieser Tage fiel mir ein altes Schriftstück in die Hände. Dem Vernehmen nach kannte ich es schon, mein Vater hatte mir davon erzählt. Während Sie das lesen, können Sie ja beiläufig überlegen, wann und wo das Folgende geschrieben sein könnte:
„Anweisung. Streng vertraulich! Es ist vonseiten der zuständigen Stellen zu achten, daß vor allen Dingen in größeren Städten irgendwelche aus dem Osten eingewanderte Juden keine Zuzugsgenehmigung erhalten. Es ist im großen Ganzen … nicht erwünscht, dass solche Personen hier seßhaft werden. Sollte schon irgendwo in Städten die Zusagegenehmigung an solche Personen erteilt sein, sind sie wenn irgend möglich rückgängig zu machen.
Auf dem Land sind diese Personen unter strengste Kontrolle zu nehmen, um ihnen jede Möglichkeit abzuschneiden, irgendwo als Gewerbetreibende oder selbstständige Kaufleute aufzutreten.
Meistens sind diese Leute im Besitz von ‚Opfer des Faschismus’-Ausweisen, worauf auf keinen Fall Rücksicht genommen werden braucht.
gez. Hausmann“
Und, was sagen Sie? Dieses Schriftstück wurde am 24. April 1946 ausgefertigt, Akt.Z. H/Ja .
Von der Polizei-Inspektion Nord-Mitte in Erfurt.

Henryk Goldberg

Film ab

Ich muss zugeben, ein ausgemachter Fan vom Tomi Ungerer bin ich nicht, und dass ich ihn insbesondere mit seinen Zeichnungen von Domenica, einst die bekannteste Prostituierte der Bundesrepublik und – nicht zuletzt wegen ihres sozialen Engagements – eine Legende im Hamburger Rotlichtmilieu, assoziiere, disqualifiziert mich als Großvater wahrscheinlich nachhaltig. Auch weil mir zugleich – merke: Übel kommen selten allein! – Ungerers Kinderbuchklassiker „Der Mondmann“ kein Begriff war, als ich in den Affenhitzetagen Ende Juli, als sich die Leiber in den Freibädern und an anderen Wasserstellen drangvoll stapelten, in den Programmen klimatisierter Berliner Kinos nach „oA“-Filme – geeignet für meinen viereinhalbjährigen Enkel Emil – suchte. Das „Angebot“ war blamabel schmal, aber „Der Mondmann“ (als Zeichentrickfilm) war dabei. Trotz einiger Skepsis infolge meines völlig unterbelichteten Ungerer-Wissens ging ich das Wagnis ein und – nun hat der Künstler als Kinderbuchautor einen Fan mehr!
Der Streifen ist liebevoll animiert, die Erzählweise ist eine langsame und sehr kindgerechte. Emil konnte problemlos selbst der moralischen Botschaft vom bösen Präsidenten folgen, der nach der ganzen Erde nun auch den Mond erobern will, den Kindern deswegen den Mondmann raubt und am Ende seine gerechte Strafe erhält, indem er in die Tiefe des kalten Weltalls entsorgt wird. Selbst das ist so in Szene gesetzt, dass bei kindlichen Zuschauern keine Alpträume zu befürchten sind. Auch die Mätresse des Präsidenten, deren dramaturgische Funktion in der Handlung nicht so recht deutlich wurde, sowie eine Passage, in der sie ihres Amtes waltet und die aus dem Off mit der Frage kommentiert wird: „Papa, woher die Kinder kommen, das weiß man ja. Aber woher kommen eigentlich die Erwachsenen?“, sind letztlich so dezent eingefügt, dass der Viereinhalbjährige keine Anzeichen von Irritation erkennen ließ. Und Katharina Thalbach mit einem so anrührenden und so offenkundig an E.T. (aus der deutschen Synchronfassung) erinnernden Bass („nach Hause“) wärmte auch dem Großvater das Herz.
Autor Ungerer hat es sich übrigens nicht nehmen lassen, dem Erzähler des Films seine ausnehmend wohltönende Stimme zu leihen. Nur der Vollständigkeit halber: Der Film ist auch der diesjährige Gewinner des Kindermedienpreises „Goldener Spatz“ in der Sparte Animation.
„Der Mondmann“, Regie: Stephan Schech; noch vereinzelt in den Kinos und bereits in Videotheken.

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Dass das Kapital bei entsprechender Aussicht auf Profit vor keiner Sauerei zurückschreckt, hat der britische Gewerkschafter Thomas Joseph Dunning bereits Mitte des 19. Jahrhunderts so pointiert auf den Punkt gebracht, dass Marx diesen Aphorismus im Wege des Zitats in seinem „Kapital“ verewigt hat. Derzeit heißt eine dieser Sauereien Fracking: Ein Mix aus Wasser, Sand und diversen Chemikalien wird unter Hochdruck in mehr oder weniger tief liegende Gesteinsschichten gepresst, um diese aufzubrechen und so genanntes Schiefergas freizusetzen. In den USA wird heute großflächig in vielen Bundesstaaten, quer durch das Land, gefrackt. Lane Sloan, einer der maßgeblichen Lobbyisten dieses Geschäfts, untertreibt nicht, wenn er sagt: „Amerika steckt mitten in einer Schiefergas-Revolution“.
Den betreffenden Grund und Boden jedoch müssen die Energiekonzerne zuvor von den Eigentümern erwerben oder zumindest pachten, und sie verschleiern und unterdrücken dabei systematisch und mit aller ihnen zu Gebote stehenden wirtschaftlichen und Medienmacht die negativen ökologischen Folgen des Frackings: Gift im Grundwasser, spontan explodierende Brunnen, tote Kühe auf Weiden, brennbare Flüssigkeit aus Trinkwasserhähnen … Das ist der Hintergrund von „Gelobtes Land“, in dem Hauptdarsteller Matt Damon als erfolgreicher, weil ziemlich abgebrühter Promoter übers Land zieht und Farmern und anderen Landeigentümern den Geldsegen durch Verpachtung an den vom ihm vertretenen Konzern als Lösung all ihrer drängenden finanziellen Probleme verkauft.
Das sozialkritische Thema – schnelles Geld und Profit gegen Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen –, das in den USA durchaus Wellen schlägt, liegt Damon offenbar am Herzen, denn er ist nicht nur Mit-Verfasser des Drehbuches, sondern auch Mit-Produzent des Films. Dass er mehr kann als eher triviale Blockbuster à la Bourne-Trilogie, das hat er schon vor Jahren mit „Good Will Hunting“ unter Beweis gestellt. Der Streifen erhielt 1998 neun Oscar-Nominierungen, und die bewährte Trophäe für das beste Originaldrehbuch ging seinerzeit an Damon (und seinen Kollegen und Freund Ben Affleck). Für den jetzigen Film holte sich Damon, der ursprünglich selbst Regie führen wollte, erneut Gus Van Sant, den Regisseur von „Good Will Hunting“. Gleichwohl mäandert „Gelobtes Land“ erkennbar entlang des schmalen Grates zwischen Sozialkritik und Sozialkitsch. Da grüßt Hollywood. Sehenswert ist der Streifen dennoch – nicht zuletzt, weil er altes, unaufgeregtes Erzählkino, eine sehr stimmige Filmmusik und auch eine Wiederbegegnung mit Frances McDormand bietet. Seit ich letztere Ende der 90er Jahre in „Fargo“ von den Coen-Brüdern so richtig für mich entdeckte, ist die Aktrice allein ein Grund, ins Kino zu gehen.

„Gelobtes Land“, Regie: Gus Van Sant; noch vereinzelt in den Kinos und bereits in Videotheken.

Clemens Fischer

 Westöstlicher Divan 2013

Der Pop- und Rockredakteur der Berliner Zeitung, Markus Schneider, konnte jüngst vor Begeisterung nicht an sich halten, griff zum Superlativ und erklärte im Konzertgefolge der Toten Hosen und der Ärzte auf dem Tempelhofer Feld besagte Akteure zu den „beiden zugkräftigsten und ältesten Rockbands Deutschlands“. Nur mal nebenbei: Als Campino und Farin Urlaub noch mit Windeln und Trommel vorm Bauch um den Weihnachtsbaum rannten, standen die Jungs von der Stern-Combo Meißen oder den Puhdys längst auf der Bühne. Aber vielleicht zählen die nicht zu Deutschland, weil östlich der Elbe schon Sibirien beginnt?

Thomas Heubner

Elfen und Trolle

Irgendwie drollig ist es schon, dass der Brandenburger Ministerpräsident Platzeck als eine seiner letzten Amtshandlungen ins Märchenland eintaucht. Vier Tage vor seiner Demission wird er am 24. August Brandenburgs „Miss Elfe“ küren. Der Akt findet auf der Odertal-Bühne in Schwedt statt, wo man Platzeck in Zukunft als „elder statesman“ vermutlich des Öfteren begrüßen kann. Er baut in der Uckermark und strebt für die Zukunft ein bäuerliches Leben mit kulturellen Einlagen an.
Bei den äußerst aktiven Uckermärkischen Bühnen liegt er da richtig. Obwohl Schwedt schon längst nicht mehr die aufstrebende Industriestadt ist, für die das noch immer modern wirkende Theater errichtet wurde, entwickeln die Schwedter Künstler bemerkenswerte Aktivitäten. Eine davon ist das große Elfenfest vom 23.-25. August. Elfenparade und Elfenmarkt umrahmen die Aufführung der beiden erfolgreichen Musicals „Durchgeknallt im Elfenwald“ und „Hinterhalt im Elfenwald“. Intendant Reinhard Simon hatte diese Ausstattungsstücke mit phantasievollen Kostümen und vielen Theatertricks für seinen Großen Saal bei einem Autorenteam in Auftrag gegeben und einen Volltreffer gelandet. Hatte man sich anfangs an Shakespeares „Sommernachtstraum“ orientiert, griff der zweite Teil nur wenige Personen der Sage auf, um eine Geschichte um Elfen und Harpyen zu erzählen. Der Troll Puck hält beide Stücke zusammen und ist in Gestalt von Susanne von Lanski absoluter Publikumsliebling. Aber auch Stefan Bräuler als Oberon, Saskia Dreyer als Titania oder die ebenso schöne Göttin wie böse Fee Ines Heinrich als Harpye faszinieren das Publikum. Kleine Rollen haben Künstler aus dem Nachbarland Polen übernommen und sind in ihrem witzig-artistischen Spiel eine Bereicherung der Aufführungen. Dass man auf vorhandene Schlager zurückgriff, freut die Zuschauer, denn der Wiedererkennungseffekt ist nicht zu verachten. Und auch Matthias Platzeck wird wohl aus vollem Herzen „Always look on the bright side of life“ mitsingen.

Frank Burkhard

 Aus anderen Quellen

„Der einst mächtige Mythos von der separaten virtuellen Welt, in der es mehr Privatheit und größere Unabhängigkeit von gesellschaftlichen und politischen Einrichtungen gibt, ist geplatzt“, resümiert Evgeny Morozov zum NSA-Skandal und hält dagegen: „Wir haben eine Welt, eine Macht, und Amerika gibt die Kommandos.“ Und: Unternehmen wie Microsoft hätten ihre digitalen Produkte (in diesem Fall SKYPE) „an die Bedürfnisse der Sicherheitsdienste angepasst“. Der Publizist plädiert anhand eindringlicher Argumente für „ein schärferes […] Bild von der Datenapokalypse, die uns in einer Welt erwartet, in der persönliche Daten wie Kaffee oder jede andere Ware gehandelt werden“ und schreibt den politischen Parteien aller Couleur ins Stammbuch: „Wenn Parteien heute sagen, sie seien nicht für Probleme der digitalen Welt zuständig, heißt das im Grunde nichts anderes, als dass sie sich ihrer Verantwortung für die Zukunft der Demokratie entziehen.“ Denn: „Der Datenkonsum ist, genau wie der Energieverbrauch, eine sehr viel größere Bedrohung für die Demokratie als die NSA.“
Evgeny Morozov: Der Preis der Heuchelei, FAZ.NET, 24. Juli 2013. Zum Volltext hier klicken.

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Vergleiche des amerikanischen Abhörmolochs NSA mit der Stasi sind derzeit en vogue – selbst in CSU-Kreisen: Markus Ferber, Vorsitzender der CSU-Abgeordneten im EU-Parlament, sprach zum Beispiel von „Stasi-Methoden auf Amerikanisch“. Manuel Bewarder, Martin Lutz und Uwe Müller sind dem Phänomen nachgegangen und verweisen unter anderem auf eine App der Agentur Open Data City: „Glaubt man ,Stasi versus NSA‘, passen sämtliche Dossiers, die das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) in knapp 40 Jahren angehäuft hat, in 48.000 Aktenschränke (in die je 60 Aktenordner oder 30.000 Blatt Papier passen). Würde die NSA, die kaum noch mit Papier arbeitet, all ihre Kommunikationsdaten ausdrucken, was irgendwie eine ulkige Vorstellung ist, bräuchte sie unglaublich viele Aktenschränke gleicher Größe: und zwar 42 Billionen. […] Dieses Aktenschrank-Verhältnis lässt beim Betrachter nur einen Eindruck zu: Gemessen an der NSA, war die Stasi ein ziemlich harmloser Verein.“
Manuel Bewarder/Martin Lutz/Uwe Müller: Die NSA wird als neue Stasi verunglimpft, Die Welt, 3. August 2013. Zum Volltext hier klicken.