Viel Trost schwingt mit, wenn Goethes Mephisto in die höhere Sphäre sich aufschwingt: „[…] denn alles was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht.“ Am Wahlabend in Brandenburg läuteten wohl die Sterbeglocken für eine Partei, die ihren Aufstieg in glanzvolle Zeiten nicht zuletzt den Wahlerfolgen im Land zwischen Elbe und Oder verdankte. Unter Lothar Bisky stellte die Partei mit der Orientierung auf den demokratischen Sozialismus (PDS) frühzeitig die Weichen in eine Richtung, die ihr den Ruf einbrachte, in den ostdeutschen Bundesländern gar so etwas wie eine Volkspartei zu sein. Am 22. September 2024 waren es allerdings nicht einmal mehr drei Prozent der abgegebenen Stimmen, die Linke – in der die PDS später aufgegangen war – verlor mit einem Schlag in diesem für sie so wichtigen Bundesland jegliche politische Bedeutung. Ein Schiffbruch sondergleichen, da braucht nicht lange herumgeredet werden. Fast 35 Jahre hat das Boot getragen, jetzt ist es an den rauen Klippen zerschellt, die Schiffbrüchigen suchen nach Rettung.
Der Blick des ungläubigen Betrachters geht am Wahlabend noch einmal weiter zurück, sieht auf die Anfänge nach dem Untergang der DDR, nach dem politischen Neustart im benachbarten Polen und nach der Gründung einer Tschechischen Republik. Die Übriggebliebenen der drei Staatsparteien von einst schlugen rasch ganz unterschiedliche Wege ein, die eingeheimsten Erfolge schienen die strategische Richtungswahl auf der jeweiligen Seite zu bestätigen. Auf den Trümmern der DDR kam es zur Neugeburt eines demokratischen Sozialismus, dessen Standarte trotzig gegen die hereinstürmende Bundesrepublik gehalten wurde. Der Bezug zum Sozialismus in der DDR war auffällig, er wurde auch nicht aufgekündigt bei denjenigen, die sich fest von der Vision eines freiheitlichen Sozialismus leiten ließen. Ernst Bloch und vor allem Rosa Luxemburg verkörperten in vorderster Linie die Tradition, an die man sich hielt – die Verheißung eines auf politischer Freiheit gegründeten modernen Sozialismus.
Im benachbarten Polen wurden die Leitplanken anders gesetzt, denn der politische Raum war – im Unterschied zur Bundesrepublik – frei und unbesetzt für eine sich findende demokratische Linke, weil es ansonsten ohnehin fast alle ins konservative oder konservativ-liberale Spektrum hinzog. Die SLD (Demokratische Linksallianz) wurde bereits 1993 stärkster Teil einer Koalitionsregierung, stellte bis 1997 zwei Ministerpräsidenten, schaffte schließlich 1995, was kaum jemand für möglich gehalten hatte. Ihr Kandidat Aleksander Kwaśniewski schlug in der Direktwahl die Partei des Staatspräsidenten Lech Wałęsa, legendäre Gestalt aus den „Solidarność“-Tagen. Kwaśniewskis zündende Losung war: „Wir wählen die Zukunft.“ Entsprechend trat er für die konsequente Westbindung Polens ein, die 1999 mit dem NATO- und 2004 mit dem EU-Beitritt besiegelt wurde – bis heute feiert Polens Linke diese beiden Ereignisse als ihre größten politischen Erfolge! 2001 erlebte die Partei den größten Triumph, sie schlitterte bei den Parlamentswahlen denkbar knapp an der absoluten Mehrheit der Sejm-Sitze vorbei. Vier Jahre später indes der dramatische Absturz, die Parlamentswahlen 2005 bedeuteten einen Einbruch um 30 Prozentpunkte beim Wähleranteil. Es lag nicht am eingeschlagenen Weg der Westbindung, das Wahlvolk setzte ganz einfach auf andere Versprechungen – personifiziert durch Jarosław Kaczyński und Donald Tusk. Polens Linke schlingerte ordentlich, ging 2015 sogar unter, um 2019 wiederaufzutauchen. Veränderungen der Organisation sind selbstverständlich und an der Tagesordnung, heute werden in Umfragen für die vereinten Linkskräfte Werte um die acht Prozent notiert. Immerhin.
Die Kommunisten Tschechiens (KSČM) orientierten frühzeitig auf „Sozialismus im 21. Jahrhundert“, der immer noch gehörig mit Lenin geschwängert war. Von NATO- und EU-Mitgliedschaft hielt man nichts, als Blaupause galt der NATO-Krieg gegen das verkleinerte Jugoslawien (Serbien und Montenegro) von 1999. Entsprechend wurde 2014 die Krim-Annexion Russlands nicht verurteilt, im Gegenteil: Es gab den deutlichen Schulterschluss mit Moskau, vermittelt über die engen Kontakte zu den Sjuganow-Kommunisten im Riesenland. Bei den Parlamentswahlen im Herbst 2021 verfehlten die Kommunisten den Einzug mit 3,6 Prozent deutlich. Heute hat sich die Partei im populistischen Bermudadreieck zwischen Corona-Verschwörung, Migrationsablehnung und dem angeblichen amerikanischen Stellvertreterkrieg in der Ukraine verrannt. Die feste Bindung an die Kommunisten in Russland wie China ist geblieben.
In den Sternen steht, wie es nun weitergeht mit der Linken in Deutschland. Die einstige feste Basis in der gewesenen DDR ist aufgebraucht oder verschwunden. Der riskante Spagat zwischen der Vision eines modernen Sozialismus, der die politische Freiheitlichkeit nicht nur aushält, sondern konstituierend voraussetzt (also in keinem Fall noch leninistisch ist), und der programmatischen NATO- wie der insgeheimen EU-Ablehnung ist gescheitert. Die Wahlergebnisse in Thüringen, Sachsen und vor allem Brandenburg bedeuten, dass die Hoffnung nun ausschließlich in den verbliebenen großstädtischen Milieus etwa in Berlin, Hamburg, Bremen und Leipzig liegt. Ein kräftiger Zuspruch bei jüngeren Wählerschichten – deutlich über dem sonstigen Durchschnitt und nun ausgerechnet im Westen! – wäre wohl die letzte Chance. Fast mutet es an, als riefen die Schiffbrüchigen jetzt wie einst Kwaśniewski: „Wir wählen die Zukunft.“ Indes – inzwischen sind ganz andere Zeiten angebrochen …
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