Vor 1000 Jahren – Konrad II.
Im September 1024 wurde der erste Herrscher aus der fränkischen Dynastie der (erst später so genannten) Salier zum römisch-deutschen König gewählt und wenige Tage später in Mainz feierlich gekrönt. Gewählt wurde ein Ururenkel von Kaiser Otto dem Großen. Der nunmehrige neue König des Ostfränkischen Reiches wurde unmittelbar darauf auf den Thron Karls des Großen in Aachen erhoben. Er wird halten, was die Vorschusslorbeeren versprechen.
Nur drei Jahre später wird er als Konrad II. in Rom zum nominellen Herrscher des westlichen Abendlandes gekrönt, ein römisch-deutscher Kaiser des zunächst noch Heiligen Römischen Reiches, aus dem viel später das Heilige Römische Reich Deutscher Nation hervorgehen wird.
Ein besonders wichtiger Ort für Konrad war das am Rhein gelegene Speyer, eine der ältesten Städte Deutschlands. Der Baubeginn des romanischen Kaiserdoms der Salier in Speyer erfolgte zu Beginn seiner Regentschaft. Großen und für die Zeit ungewöhnlichen Einfluss auf diese hatte seine Gemahlin Gisela von Schwaben.
Konrad wirkte zielstrebig und baute seine Macht tatkräftig aus. 1033 konnte er eine weitere Krone auf sein Haupt setzen, er wurde zusätzlich König von Burgund und vereinte nunmehr drei Reiche.
Zugute kam ihm seine Popularität, die erwarb er sich auch durch eigene waghalsige, mitunter grausame kriegerische Aktionen in vorderster Front mit dem Schwert in der Hand, etwa gegen die Slawen an den sumpfigen Ufern der Elbe.
Konrad wurde um 990 geboren, in seiner Jugend lernte er kaum richtig lesen und schreiben, zeichnete sich jedoch zeitlebens durch Pragmatismus aus. Er starb 1039 und wurde im Dom von Speyer, der erst später fertiggestellt wurde, beigesetzt. Am Ende erlebte sein riesiges Reich eine relativ friedliche Blüte. Nie wieder, auch nicht in den folgenden zwei Jahrhunderten unter den Staufern Friedrich Barbarossa und Friedrich II., sollten deutsche Kaiser eine solche Machtfülle erreichen.
Nach seinem Sohn wurde sein Enkel Heinrich IV. ein Nachfolger, der bis heute allgemein bekannt ist. Unter diesem geriet das Reich in einen schweren Konflikt mit dem Papsttum in Rom, der sich vor allem im Investiturstreit zwischen weltlicher und geistlicher Macht äußerte, und der am Ende in Heinrichs legendärem Bußgang zu Papst Gregor VII. im tiefsten Winter 1077 nach Canossa gipfelte.
Ein deutscher König bittet den Papst reumütig um Verzeihung und um Annullierung des Kirchenbanns – für Konrad II. wäre diese Unterwerfung noch völlig undenkbar gewesen.
Brunhilde Hanke, Potsdamer Grande Dame
Potsdam am 19. September. Im Innenhof des „Güldenen Arm“, einer Oase der Potsdamer Kulturszene, stellen die Keramikerin Dorothea Nerlich und der Stadt- und Kunsthistoriker Klaus Büstrin ihr Buch Hätte ich immer nur malen können über den Maler, Wehrmachtsdeserteur, Landeskunstschul-Begründer und Ehrenbürger der Stadt Potsdam Werner Nerlich (1915-1999) vor. Auch Ex-Oberbürgermeisterin Brunhilde Hanke ergreift das Wort. Sie tut es mit gewohnt klarer, warmherziger Stimme und gewinnender Gestik, und wie gewohnt, wird ihr freundlicher, dankbarer Beifall zuteil. Es wird ihr letzter Auftritt dieser Art bleiben. Am 13. Oktober ist Brunhilde Hanke, geboren am 23. März 1930, 94-jährig gestorben.
Brunhilde Hanke war etwas sehr Besonderes. Aus der bedrückenden Armut einer Erfurter Arbeiterfamilie kommend, war sie die einzige Oberbürgermeisterin in der DDR und auch die einzige Frau, die bisher je an der Stadtspitze Potsdams stand. Und dies 23 Jahre lang: von 1961 bis 1984. Auch war sie Mitglied der Volkskammer und des Staatsrates der DDR (1963/1964-1990), aber bei Kriegsende 1945 hatte sie außer dem Volksschulabschluss nichts gehabt als den Willen, dass es besser werden müsse. Der freilich ließ sie, gepaart mit allem Enthusiasmus ihrer Jugend und ihrer in der Sorgearbeit für die kleinen Schwestern erworbenen Sozialkompetenz, entschlossen die Tür durchschreiten, die sich ihr öffnete in Gestalt des Werbens der neuen, antifaschistischen, sozialistischen Macht um die junge Generation.
Unmöglich, hier die einzelnen Etappen ihres Weges aufzuführen. Mit 31 Jahren jedenfalls wurde sie – seit 1952 verheiratet mit ihrem Mitstreiter und späteren Professor für Kulturtheorie Helmut Hanke und Mutter dreier Kinder – Stadtoberhaupt. Am 24. September 1961. In einer Stadt, deren barockes Zentrum in Kriegstrümmern lag und deren Bevölkerung im Schock des Baus der Berliner Mauer, die auch eine Potsdamer war, am 13. August. So unendlich viel war zu tun. Fast 40.000 Wohnungen wurden in Brunhilde Hankes Amtszeit errichtet in den neuen Stadtteilen Waldstadt, Schlaatz, Am Stern und Zentrum Ost mit Schulen, Kindergärten und -krippen, Kaufhallen, Jugendtreffs und Straßenbahn- und Busanbindung. An der Havelbucht wurde „die Platte“ mit einem hochgelobten Ensemble aus gewinkelten Elfgeschossern, Punkthochhäusern und der Gaststätte „Seerose“ des legendären Betonschalenbauers Ulrich Müther geadelt – um nur Markantestes herauszuheben.
Das ist – im Wissen um ihr Sozialistin-Sein, das Brunhilde Hanke nie verleugnet hat – einem großen Teil der Potsdamer Bevölkerung in so guter Erinnerung geblieben, dass sie auch nach 1990 immer gern gesehen war. Sogar beim Nachbau des Garnisonkirchenturms, dem sie 2020 den einmillionsten Ziegelstein einfügen durfte. Sie hatte 1968 gegen den Willen ihrer Parteiführung die Sprengung der Ruine der Garnisonkirche nicht gewollt, und auch jetzt hatte sie ihren eigenen Kopf.
Bleiben wird vom Besonderen ihres Lebens unbedingt das 2010 erschienene Buch „Wir wollten ein anderes Land. Eine Familiengeschichte aus der DDR.“ Verfasst von dem namhaften westdeutschen Publizisten Uwe-Karsten Heye und der ihrerseits als langjährige Direktorin des Filmmuseums namhaften Hanke-Tochter Bärbel Dalichow, die 1985 unter dem Vorwurf der „Vorbereitung der Republikflucht“ von der Staatssicherheit vieltägigen Verhören unterzogen worden war. Es macht es auf eine selten zu erlebende offene Weise die schmerzhaften Widersprüche und existenziellen Zerreißproben sichtbar, mit denen es Brunhilde und Helmut Hanke auf ihrem Lebensweg zu tun bekamen. Darüber ohne Verbitterung mit der Familie und mit der Stadtöffentlichkeit gleichermaßen im Gespräch geblieben zu sein – auch darin war Brunhilde Hanke wahrhaftig eine Grande Dame.
Schall und Wahn als Siegesplan
… macht im Blätterwald gewaltig Rauschen – doch ach! schon bald, in zwei, drei Tagen, wenn gnadenlos die Wirklichkeit den Träumer drängt zu neuem Traum, ist längst schon wieder neues Kleinholz aus dem Wald geschlagen und mit neuen News bedruckt, ganz andern. Der Präsident und Träumer Wolodimir Selenski, dieses ab origine mediale Serienprodukt, dieser arme ukrainische Macbeth, dem ein Hexen-Dreigespann aus Politik, Militärs und PR mit ihren hohlen Parolen die Macht versprochen und den Verstand geraubt hat, und der nun unablässig westwärts hetzt, von einem Einflüsterer zum nächsten, und, statt um Gnade zu bitten, die es immer weniger zu geben scheint, immer nur das immer Gleiche fordert, das nur immer noch mehr Verderben bringen kann, während unausweichlich auch von Osten her ein Wald von Birnum immer bedrohlicher vorrückt auf sein Dunsinane – dieser traurige Ritter kann nicht mehr, was der Shakespeare’sche noch konnte im letzten Akt seines Dramas: eingestehen, dass das Leben nur „a tale“ ist, „full of sound and fury, signifying nothing!“ Nein, nurmehr selber noch mehr Wahngebilde setzt er in die Welt und ruft mit letzter Kraft: „Fair is foul and foul is fair!“ – und nichts greifen freilich unsre Meinungsmache lieber auf und hauen es uns stante pede um die Ohren, dass auch uns Hören und Sehen vergeht. Da lese ich doch lieber nur noch meinen guten alten William, meine Zeit ist da viel profitabler investiert. Oder Melvilles „Moby Dick“. Oder Faulkners „Schall und Wahn“. Oder …
Ein jüdischer Verleger in Berlin
Erich Reiss Verlag? Selbst Literaturkenner werden vielleicht die Schulter heben, dabei war der jüdische Verlag zu Beginn des 20. Jahrhunderts einer der führenden Literaturverlage in Deutschland. Das Unternehmen war jedoch alles andere als ein „jüdischer Verlag“; er umfasste vielmehr das breite Spektrum deutscher Literatur, der solch namhafte Autoren wie Egon Erwin Kisch, André Gide, Yvan Goll, Ernst Toller oder Klabund in seinem Verlagsprogramm hatte. Außerdem erschien hier von 1909 bis Mitte 1912 die bekannte Wochenzeitschrift Die Schaubühne, die 1918 in Die Weltbühne umbenannt wurde.
Über das Leben des jüdischen Verlegers Erich Reiss war bisher wenig bekannt. Der Germanist Peter W.H. Kröger hat nun eine erste Biografie vorgelegt, mit der der Name Erich Reiss aus der Vergangenheit zurück in die Gegenwart geholt werden soll. Reiss wurde am 24. Januar 1887 als Sohn eines Fabrikanten in Berlin geboren. Mit gerade einmal 21 Jahren gründete er mit dem väterlichen Erbe 1908 in Berlin den Erich Reiss Verlag. Der Sitz des Verlags war der heutige Berliner Ortsteil Westend. Bereits im ersten Jahr gab Reiss 26 Titel heraus. Besonders theatertheoretische Literatur fand sein Interesse; einige Jahre wirkte er sogar parallel zu seinem Verlagsgeschäft als Dramaturg.
Neben den bekannten Autoren widmet sich Kröger auch jenen Autoren, die Reiss verlegte und die heute nahezu vergessen sind. Junge moderne Schriftsteller (Johannes R. Becher, Hugo Ball oder Kasimir Edschmid) fanden hier ebenfalls eine verlegerische Heimat. Eine Neuentdeckung für den deutschen Büchermarkt war der Däne Georg Brandes, von dem im Reiss Verlag acht Publikationen erschienen. Für die Ausstattung seiner Bücher engagierte Reiss auch namhafte Künstler wie George Grosz.
Durch das Missmanagement des Prokuristen geriet der Verlag 1926 in schwere Turbulenzen. Eine endgültige Auflösung konnte zwar noch abgewendet werden, aber von den finanziellen Schwierigkeiten erholte sich der Verlag nicht mehr richtig. Zur alten Bedeutung fand man nicht mehr zurück; es wurden nur noch wenige Buchtitel publiziert. Viele davon landeten bei der Bücherverbrennung 1933 in den Flammen. Das endgültige „Aus“ des verlegerischen Lebenswerkes von Erich Reiss kam 1938. Am Tag nach der Pogromnacht vom 9. November wurde er festgenommen und ins Konzentrationslager Sachsenhausen deportiert. Durch die Fürsprache internationaler Schriftsteller konnte Reiss danach zunächst nach Schweden und dann in die USA emigrieren, wo er 1944 die US-amerikanische Staatsbürgerschaft erhielt. In New York lebte er mit seiner Lebensgefährtin, der bekannten Fotografin Lotte Jacobi, in sehr bescheidenen Verhältnissen. Am 8. Mai 1951 starb Erich Reiss mit 64 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls.
Eine besondere Beziehung verband Erich Reiss seit den 1920er Jahren mit Gottfried Benn, den antisemitischen Äußerungen Benns zum Trotz. 1922 erschienen dessen Gesammelten Schriften im Erich Reiss Verlag. Von seinem amerikanischen Exil suchte Reiss 1946 den Kontakt zu seinem ehemaligen Freund, von dem er seit 1939 nichts mehr gehört hatte. Es entwickelte sich ein reger Briefwechsel, der hier mit redaktionellen Anmerkungen erstmals vollständig veröffentlicht wird. Reiss schilderte darin sein Leben im Exil, verbunden mit Erinnerungen an seine erfolgreiche Verlegertätigkeit. Benn versorgte dagegen seinen alten Freund mit seinen neuen Publikationen.
Im Anhang der Neuerscheinung, die mit zahlreichen historischen Abbildungen ausgestattet ist, findet man eine Auflistung der Lebensdaten des Verlegers sowie eine Auswahl der Publikationen des Erich Reiss Verlags 1908-1936.
Peter W.H. Kröger: Erich Reiss – Ein jüdischer Verleger in Berlin und sein Briefwechsel mit Gottfried Benn 1946 bis 1951. Nicolai Verlag, Berlin 2024, 240 Seiten, 44,00 Euro.
Pandemie, Ahnenforschung und Toleranz
Als die Menschen wegen Corona und des damit verbundenen Lockdowns zu Hause sitzen mussten und kaum Kontakte hatten oder haben durften, sind sie auf verschiedenste Beschäftigungen gekommen, um sich abzulenken. Hape Kerkeling hat sich der Erforschung seiner Ahnen zugewandt. Die Ergebnisse waren für ihn selbst so verblüffend, dass er sie uns in vorliegendem Buch in seiner gewohnt drolligen Art vorstellt. Da er dies einbettet in historische Ereignisse bzw. Lebenswelten von Menschen in anderen Jahrhunderten und Ländern sind diese Erzählungen auch für eine Leserschaft interessant, die sich vielleicht nicht unbedingt für Hape Kerkeling interessiert – so es diese denn gibt. Dabei ist er ehrlich bis zur Schmerzgrenze auch gegenüber sich selbst und reflektiert ausführlich seine Gefühle bezüglich seiner großen Liebe, der damit verbundenen Angst vor Aids und der gesellschaftlichen Ächtung der schwulen Szene in den 1980er Jahren.
Seine Lebensgeschichte beginnt er mit einer Erzählung über seinen Schüleraufenthalt in England in einer Gastfamilie, die eigentlich keine Deutschen aufnehmen wollte. Schon dieses Kapitel ist eine bemerkenswerte Darstellung einer Erfahrung an die sich auch andere Austauschschüler erinnern werden …
Munter geht es weiter mit ersten Engagements und deren Ende, weil er sich keine Alibifreundin zulegen wollte. Immer wieder wechseln diese Lebensgeschichten mit Erzählungen aus den Biografien seiner gefundenen Vorfahren – zu denen nicht nur Martin Luther, sondern auch Royals gehören. Am interessantesten für mich waren jedoch die Schilderungen aus den Niederlanden, insbesondere aus Amsterdam. Vorgestellt werden Familienleben, Hochzeitsbräuche, Feiertage und Geschäftsbeziehungen ebenso wie die meist weniger bekannten Grenzen der Toleranz. So dominierte selbst in diesem, uns häufig als Vorbild für Freizügigkeit dargestelltem Land durchaus nur eine Kirche: Andersgläubige mussten ihre Gottesdienste und Rituale im Geheimen abhalten – Stichwort: katholische Flüstermessen. Ein Papagei sei damals das Erkennungszeichen für diese Kirchen gewesen. Allerdings wurden diese durchaus bekannten Heimlichkeiten auch zur Stabilisierung von Geschäftsbeziehungen genutzt. Diese eingespielte Doppelmoral habe den Amsterdamern die Chance gegeben, den anderen sowohl politisch als auch wirtschaftlich in Schach zu halten.
Ähnlich sei es heute mit den sogenannten Coffeeshops – jedes Kind wisse, dass es dort keinen Kaffee gibt, aber bestimmte Notlügen würden in den Niederlanden über die Jahrhunderte zu einer unterhaltsamen folkloristischen Tradition gemacht.
Insofern liefert das Buch viel historischen Stoff und Anekdoten über Hape Kerkeling – und selbst wer daran weniger interessiert ist, kann zumindest lernen, wie Ahnenforschung funktioniert – man braucht dazu nicht unbedingt eine Pandemie.
Hape Kerkeling. Gebt mir etwas Zeit. Meine Chronik der Ereignisse. Piper Verlag, München 2024, 368 Seiten, 24,00 Euro.
Bücher, auf die wir uns freuen – vom Bücherwurm vor Erscheinen entdeckt
„Versprecher bei Versprechen“
Bösartig meint der Volksmund, dass Ärzte allerlei verschreiben, was nicht hilft, während Politiker allerlei versprechen, was nicht kommt.
Auch deshalb schreibt Caspar David Ullermann, als Autor kurz C.D.U., in seinem angekündigten Buch „Versprecher bei Versprechen“, man müsse Politikern zugestehen, dass sie sich bei Versprechen versprechen bzw. verkürzt formulieren.
„Die Rente ist sicher.“ Dies sagte CDU-Bundesarbeitsminister Dr. Norbert Blüm im Wahlkampf 1986, und geboren ward „die Mutter aller gebrochener Politikerversprechen“.
Wirklich? Nichts anfangen kann der Autor mit der Version, während der Rede des Ministers habe seine Haushälterin ihm zugerufen, die Ente für den Sonntagsbraten sei bestellt, und seine dankbare Antwort habe gelautet: „Die Ente ist sicher.“ C.D.U. hält dies für eine Ente.
Er hat die Rede mit Hilfe von Tonbandklebstoff rekonstruiert. Der Minister sagt nun eindeutig: „Die Rente ist sicher von Zeit zu Zeit neu anzupassen.“
Norbert Blüm formulierte sein Versprechen seinerzeit auch auf einem eigenhändig geklebten Wahlplakat mit dem Text „denn eins ist sicher: Die Rente“ in exakt dieser Schreibweise. Nunmehr erscheint, nach neuerlicher Klebarbeit, auf dem Plakat die gemeinte Lesart: „denn eins ist sicher: Die Rente wird ständig neu angepasst.“
Ein anderes vollmundiges Versprechen stammt vom CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz, der ankündigte, die Wahlerfolge der AfD zu halbieren. Hier mahnt der Autor zur Geduld – das Versprechen werde „nicht zeitnah, sondern sukzessiv“ erfüllt. „In der Kleingemeinde Oberau am Stockgebirge gab es bei der letzten Wahl insgesamt acht AfD-Wähler, von denen inzwischen vier in die nahe Kreisstadt umgezogen sind. Damit ist die Halbierung in diesem Ort erreicht.“
Hingegen sei die von Friedrich Merz im Jahre 2003 versprochene „Steuererklärung, die auf einen Bierdeckel passt“ ein Scherz gewesen und Merz viel zu klug, sich mit all den Steuerberatern anzulegen, denen das „breit aufgestellte“ Steuersystem prächtige Einnahmen bringt.
Wohltuend fair reagiert C.D.U. auf ein vielzitiertes Versprechen von SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz: „Wer bei mir Führung bestellt, der bekommt sie auch.“ Der Autor verweist darauf, dass die Häkelgruppe des SPD-Ortsvereins Hinterwalden an der Demme beim Kanzler eine Führung durch den Reichstag bestellt und sie auch bekommen hat.
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„Auszeit fürs Gedächtnis“
Bücher haben ihre Schicksale, wie uns ein lateinisches Sprichwort lehrt. Das in Kürze zu erwartende Ratgeberbuch „Auszeit fürs Gedächtnis“ mit dem Untertitel „Doppelwumms kontra Cum-Ex“ machte einen Gestaltwandel durch, ehe es zur Veröffentlichung angenommen wurde. Den ursprünglichen Titel „Das No-Memory-Spiel“ fand der betreffende Verlag unverständlich, den Untertitel „Mit Amnesie zur Amnestie“ überdeutlich, das Autorpseudonym Olaf Kanzler durchsichtig. Der Autor nennt sich jetzt O. Hamburger.
Während sich der „Doppelwumms“ selbst erklärt, wird erläutert, was man unter „Cum-Ex“ versteht: Eine Aktie vor der Gewinnausschüttung, also mit Dividendenanspruch, wird als Cum-Aktie bezeichnet („cum“, lateinisch: „mit“); eine Aktie nach der Ausschüttung als Ex-Aktie oder X-Aktie, wobei das Ex oder X für „ohne“ steht. Auf Dividenden ist in Deutschland die Kapitalertragsteuer zu zahlen, die jedoch für ausländische Banken entfällt. Mit raffinierter Trickserei mehrerer Beteiligter im In- und Ausland wurde beim Cum-Ex-Betrug fälschlich der Eindruck erweckt, diese Steuer sei entrichtet worden. Dann wurden mindestens 10 Milliarden Euro für nie gezahlte Steuern „rückerstattet“. Dieses Geld gehörte dem Bundeshaushalt, also uns allen.
Das Ratgeberbuch wendet sich vornehmlich an Finanzverantwortliche, die deutliche Verdachtsmomente ignoriert und damit den fortgesetzten Cum-Ex-Betrug ermöglicht haben. Wir zitieren die entscheidende Passage: „Verwicklung in Widersprüche, Verlust an Ansehen und Macht oder gar strafrechtliche Verantwortung – all dies lässt sich mit einem einfachen Mittel vermeiden. Ehe man vor einem Untersuchungsausschuss erscheint, bittet man eine Person seines Vertrauens um einen Doppelwumms. Dieser wird mit einem Gegenstand aus Hartgummi auf den Hinterkopf ausgeführt. Bei richtiger Dosierung wird das Erinnerungsvermögen vorübergehend geschädigt, ohne dass sichtbare Spuren entstehen. Eine etwa vom Untersuchungsausschuss angeordnete neurologische Untersuchung würde eine ‚transiente globale Amnesie – TGA‘ diagnostizieren. Diese Auszeit fürs Gedächtnis ist mehrfach anwendbar. Und wie heißt es in der Lutherbibel unter Sprüche 17,9? ‚Wer Verfehlung zudeckt, stiftet Freundschaft.‘“
Bücher haben nicht nur ihre Schicksale, sondern auch ihren Preis. Bei dieser baldigen Neuerscheinung wird er für jedes Exemplar zwischen den Anwälten des Verlags und denen des Käufers ausgehandelt.
Thesenanschlag
Am 31. Oktober 1517 waren an der Schlosskirche zu Wittenberg, die auch als Universitätskirche galt, „95 Thesen“ in lateinischer Sprache angebracht worden. Sie sollten als Grundlage für eine sachkundige Diskussion „zur Klärung der Kraft der Ablässe“ dienen. (Disputatio pro declaratione virtutis indulgentiarum) Verfasser und Vorsitzender des in Aussicht gestellten Disputes: „Der ehrwürdige Pater Martin Luther, Magister der freien Künste und der heiligen Theologie, sowie deren ordentlicher Professor daselbst (in Wittenberg) […].“ Luthers Absicht: „Aus Liebe zur Wahrheit und im Bestreben, sie zu erhellen […].“
Vermutlich noch Ende des Jahres der Thesenverkündung besorgte der Nürnberger Caspar Nützel eine Übertragung des Werkes in die deutsche Sprache. Das führte letztendlich zum Beginn der Reformation und veränderte den Lauf der Geschichte. –
Von einem Besuch in Wittenberg brachte ich ein Plakat mit, auf dem, gut lesbar, die 95 Merksätze Luthers verzeichnet waren. Ich befestigte es an der Etagenwand eines mehrstöckigen Hauses; der Öffentlichkeit wohlmeinend zur Kenntnis. – Unlängst sah man bei einigen Thesen deren Hervorhebung durch einen feinen Bleistiftstrich. Wer verbarg sich hinter dem Anonymus? Ein Christ? Ein Atheist oder gar ein Marxist? Ein Soziologe, Philanthrop, oder nur ein von Neugier Getriebener? Was bestimmte seine Auswahl? Sicherlich keine Willkür. War es ein Versuch, die jeweiligen Inhalte in eine Passform der Gegenwart zu bringen, ohne Ansehen der Institution? Gelänge es, so wäre dies wieder einmal der Beweis dafür, dass es nichts Neues gibt unter der Sonne. Gleich viel, man wird sehen:
– These 37. Jeder wahre Christ, sei er lebendig oder tot, hat Anteil an allen Gütern Christi und der Kirche, von Gott ihm auch ohne Ablassbrief gegeben.
– These 43. Man soll die Christen lehren: Dem Armen zu geben oder dem Bedürftigen zu leihen ist besser, als Ablass zu kaufen.
– These 46. Man soll die Christen lehren: Die, die nicht im Überfluss leben, sollen das Lebensnotwendige für ihren Haushalt behalten und keinesfalls für den Ablass verschwenden.
– These 67. Der Ablass, den die Ablassprediger lautstark als außerordentliche Gnaden anpreisen, kann tatsächlich dafür gelten, was das gute Geschäft anbelangt.
– These 86. Warum baut der Papst, der heute reicher ist als der reichste Crassus, nicht wenigstens die eine Kirche St. Peter lieber von seinem eigenen Geld als dem der armen Gläubigen?
Vielleicht darf man in dem Unbekannten einen neugierigen, interessierten Menschenfreund erwarten, der sich Zeit nahm, um Luthers Gedanken zu lesen, sie zu überdenken. Und der am Ende feststellte, dass heutzutage Ähnlichkeiten – im übertragenen Sinne – mit gewissen Vorgängen der Vergangenheit nicht auf reiner Zufälligkeit beruhen.
Apostroph der Deppen wird amtlich, nicht obligatorisch
Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat in seinem Regelwerk den Gebrauch des Apostrophs bei Eigennamen präzisiert. Wörtlich heißt es: „Die Verwendung des Apostrophs zur Abgrenzung des Genitiv-s bei Eigennamen ist möglich, wenn die Gesamtkonstruktion ein Eigenname ist: Eva’s Blumenladen oder Evas Blumenladen, Peter’s Taverne oder Peters Taverne; aber Evas Mutter, Peters Brille.“
Für manchen Leser, der Autor dieser Zeilen gehört dazu, sieht es noch immer zum Haareausraufen aus, wenn er vor Yvonne’s Haarschneiderei steht. Zukünftig – offiziell ab Herbst 2025 – werden wir es wohl als regelkonform akzeptieren müssen. Nur bleibt es uns unbenommen auf diese ursprünglich aus dem Englischen übernommene Genitivkennzeichnung zu verzichten.
Sprache lebt bekanntlich, und so ist es vermutlich bald vorbei mit der Trennung in diejenigen Menschen, die wissen, wann man einen Genitiv-Apostroph setzt (nach dem s bzw. Laut, wenn ein Eigenname auf s oder einen Zischlaut endet) und jenen, die ahnungslos sind. Warum eigentlich?
Aber „Rosi’s Intimvitrine“ und „Sigi’s Kaschemme“ machen die Menschen nicht mehr zu Deppen. Während ein Genitiv-Apostroph in der üblichen Sprachverwendung auch weiterhin nicht korrekt ist, wird er in Eigennamen, zum Beispiel von Lokalen, Firmen und Geschäften, möglich.
Jedoch auch zukünftig wird nicht korrekt sein und doppelt deppert bleiben: Aufstellung des Maibaum’s oder aktuelle Info’s. Auch im Plural: Kamera’s oder Handy’s. Alles schon gelesen. Ebenso ist und bleibt der oft anzutreffende Ersatz des Apostrophs durch einen Akzent falsch: Hasi’s Gemüsebude gut, Hasi`s Gemüsebude schlecht.
Letzte Meldung
Der weltweite Kampf gegen den Hunger stagniert. Noch immer seien, so informierte die Welthungerhilfe in ihrem jüngsten Jahresbericht, global 733 Millionen Menschen betroffen. Afrika südlich der Sahara sowie Südasien seien dabei die Regionen mit den höchsten Hungerraten.
Der Bericht untersucht die Ernährungslage in 136 Ländern. Krisen wie bewaffnete Konflikte, die Folgen des Klimawandels und die hohe Verschuldung überschneiden und verstärken sich nach Einschätzung der Organisation gegenseitig. In folgenden sechs Ländern wird Hunger als sehr ernst eingestuft: Burundi, Jemen, Madagaskar, Somalia, Südsudan und Tschad. In weiteren 36 Ländern sei die Lage ernst.
„Das Ziel, den Hunger bis 2030 zu beseitigen, scheint unerreichbar“, heißt es in dem Bericht. „Bei gleichbleibendem Tempo seit 2016 wird der globale WHI-Wert [WHI = Welthungerindex – am] nicht einmal bis im Jahr 2160 – also in mehr als 130 Jahren – ein niedriges Niveau erreichen.“
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