27. Jahrgang | Nummer 15 | 15. Juli 2024

Bidens Kriegsbilanz

von Erhard Crome

In der Nacht auf Freitag, den 28. Juni 2024, fand in den USA das TV-Duell zwischen US-Präsident Joe Biden und seinem Vorgänger sowie Herausforderer Donald Trump statt. Es war die erste TV-Debatte des US-Wahlkampfes 2024, beide Kandidaten machten sich gegenseitig schwere Vorwürfe. Der bleibende Eindruck jedoch war der, dass der 81-jährige Biden Schwierigkeiten hatte, der Diskussion zu folgen, klare Sätze zu formulieren und sich wiederholt verhaspelte. Später redete er sich darauf hinaus, er sei müde gewesen, erschöpft von den Weltreisen in Sachen Weltpolitik. Seither wird medial und auch von Politikern seiner eigenen Partei gefragt, ob er für weitere vier Jahre Amtsführung überhaupt noch geeignet sei.

Wichtiger wäre allerdings die Frage, was Biden globalpolitisch in den vergangenen Jahren vollbracht hat. Zu reden ist da zuerst über seine Kriegspolitik. Der Ukrainekrieg tobt seit Februar 2022. Die USA haben im Grunde alle ihre Ziele erreicht: Die Ukraine ist auf Dauer von Russland abgetrennt, mindestens für zwei Generationen. Die jahrzehntelang guten Beziehungen zwischen Deutschland und Russland sind auf ein Minimum reduziert; vor allem ist Deutschland von den preiswerten russischen Energielieferungen abgetrennt, was das deutsche Wirtschafts- und Exportmodell sichtbar schwächt, nicht zuletzt in Konkurrenz zu den USA. Die deutsche Außenpolitik, die unter den Kanzlern Schröder und Merkel eine vergleichsweise große Handlungsfreiheit erreicht hatte, ist wieder den Weisungen aus Washington subordiniert, wie einst die der BRD im Kalten Krieg. Deutschland und die EU sind die Verpflichtung eingegangen, den Wiederaufbau der Ukraine zu finanzieren – die USA im Grunde nicht. Russlands Ruf ist in weiten Teilen des Wertewestens und seiner Föderaten ruiniert. Auch wenn der größte Teil des globalen Südens den Sanktionen gegen Russland nicht folgt, so hat es doch deutliche Mehrheiten in den UNO-Abstimmungen zur Verurteilung des russischen Angriffs gegeben.

Damit könnten die USA eigentlich ohne Verzug aus diesem Krieg aussteigen. Wären da nicht die seit Jahren verkündeten vollmundigen Versprechungen gegenüber dem ukrainischen Präsidenten Selenski, die auch zu Zusagen der NATO gemacht wurden. Allerdings ist NATO-Generalsekretär Stoltenberg Anfang Juli mit seinem Versuch gescheitert, im Vorfeld des gerade beendeten NATO-Gipfeltreffens der Ukraine längerfristig Militärhilfen in Höhe von jährlich mindestens 40 Milliarden Euro zu garantieren. Eine solche Zusage erfolgte lediglich für das kommende Jahr. Das heißt, sie steht unter dem Vorbehalt des Ergebnisses der für November anstehenden Präsidentenwahl in den USA.

Auf den Schlachtfeldern in der Ukraine hat Russland dem Vernehmen nach eine Verlängerung der Frontlinie erreicht und erobert jeden Tag einzelne Landstriche. Die ukrainischen Streitkräfte mussten ihre begrenzten Ressourcen an Menschen und Material weiter ausdünnen. Dass eine hinreichende Zahl von Männern, die angesichts des Krieges das Land verlassen haben, jetzt freiwillig zurückkehrt, scheint äußerst unwahrscheinlich. Kurzum, ein militärischer Sieg der Ukraine ist nicht in Sicht. Ob Trump die US-Unterstützung des Krieges nach seiner möglichen Amtsübernahme einfach beenden wird, wie es Biden in Afghanistan getan hat, ist nicht sicher, liegt aber im Bereich des Möglichen.

Israel führt seit dem Überfall der Hamas und der Ermordung von etwa 1200 Israelis am 7. Oktober 2023 einen brutalen Krieg im Gaza-Streifen. Das Palästinenser-Gebiet ist ein Trümmerfeld, 1,9 Millionen Menschen sind auf der Flucht, mehr als 85 Prozent der Bevölkerung. Mit Stand Anfang Juli 2024 wurden etwa 38.000 Palästinenser getötet und über 87.000 verletzt. Bei der Zerstörung von Krankenhäusern durch die israelische Armee starben etwa 500 Mitarbeiter des Gesundheitswesens, 200 UN-Mitarbeiter wurden getötet. Die Beschlüsse des UN-Sicherheitsrates sowie des Internationalen Gerichtshofes (IGH) zur Einstellung des Krieges hat die israelische Regierung ignoriert. Spanien ist Ende Juni als erstes EU- und NATO-Land der Klage Südafrikas vor dem IGH beigetreten, Israel wegen Völkermordes zu verurteilen.

In den ersten sechs Monaten des Krieges hat die israelische Armee 650 eigene Soldaten verloren, 3200 wurden verletzt. Der Krieg ist inzwischen der längste je von Israel geführte. Die vielen Reservisten, die zum Kampf eingesetzt sind, arbeiten nicht und tragen nicht zum Bruttosozialprodukt bei. Tourismus, normalerweise eine wichtige Einnahmequelle des Landes, findet kaum statt. Große Teile der israelischen Bevölkerung in der Nähe des Gaza-Streifens und im Norden, an der libanesischen Grenze, wurden evakuiert und leben seit Monaten im Landesinneren in Hotels. Insgesamt sind die wirtschaftlichen Folgen des Krieges nicht absehbar. Wie lange kann Israel diesen Krieg ohne ausländische Hilfe, nicht nur militärisch, auch finanziell weiterführen? Die Frage scheint derzeit nicht beantwortbar.

Die Bereitschaft der säkularen Mehrheitsbevölkerung, ihre Söhne und Töchter in den Krieg und schlimmstenfalls in den Tod zu schicken, während ultraorthodoxe Juden bisher vom Wehrdienst freigestellt sind, hat in dieser Lage weiter abgenommen. „Auf dem Höhepunkt eines harten Krieges ist die Belastung durch eine ungleiche Verteilung der Bürde größer denn je und erfordert eine Lösung“, stellte der Oberste Gerichtshof Israels Ende Juni fest und erließ ein Urteil: Es gebe keine juristische Grundlage, Ultraorthodoxe von der Wehrpflicht zu befreien, die gelte ohne Unterschied. Seither gab es massenhafte Proteste dagegen, der Streit eskalierte, Polizisten wurden verletzt. Die Verwerfungen innerhalb der Gesellschaft nehmen weiter zu.

Der Gaza-Krieg wurde für alle Beteiligten ein Scheidepunkt. Israel schwächt sich durch diesen selbst und damit auch die Positionen der USA im Nahen Osten. Indem Netanjahu sich ostentativ den Wünschen Bidens zur Beendigung des Krieges verweigert und eine Beachtung des Völkerrechts, insbesondere des Kriegsvölkerrechts durch Israel nicht erfolgt, setzt sich dies fort. Der Emanzipationsprozess der arabischen Länder geht weiter, und der Iran wird stärker. Die Teile der US-Bevölkerung, die früher Demokraten wählten und jetzt für Solidarität mit Palästina und gegen die Kriegsunterstützung Israels sind, könnten den Ausschlag geben, dass Biden nicht genug Stimmen für die Wiederwahl erhält (sofern es bei seiner Kandidatur bleibt).

Globalpolitisch lenken diese beiden Kriege die USA und ihre Verbündeten von der eigentlich beabsichtigten Konzentration der Kräfte des Wertewestens gegen China ab. Der globale Süden hat sich freigeschwommen und entscheidet über sein Schicksal zunehmend selbst. Die BRICS-Gruppe setzt ihre Formierung weiter fort und wickelt ihre wirtschaftlichen und finanziellen Beziehungen zunehmend untereinander und ohne westliche Zwischenhändler ab. Weitere Staaten wollen sich den BRICS anschließen. Obwohl der Ukraine-Krieg für den Süden ein Krieg der Weißen in Europa ist, betrachten zahlreiche dieser Staaten die Friedensvorschläge Chinas und Brasiliens als ernsthafte Grundlage für eine Beendigung des Ukraine-Krieges. Das gilt auch für den Nahen und Mittleren Osten, wo China bereits zwischen Iran und Saudi-Arabien einen Ausgleich vermittelt hat und beide sich den BRICS zugesellt haben.

So gilt am Ende: Biden ist als erfahrener Globalpolitiker angetreten, um die Positionen der USA in der Welt zu stärken. Das Ergebnis seiner Präsidentschaft ist jedoch insgesamt deren Schwächung. Das hängt aber eher mit objektiven Faktoren zusammen, als mit Bidens altersmäßigen Aussetzern.

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Am 5. Juli wurde ein Fernseh-Interview mit Biden gesendet, das den Eindruck des Versagens gegenüber Trump verwischen sollte. Den Vorschlag, sich einem kognitiven Fitnesstest nebst neurologischen Untersuchungen zu unterziehen, lehnte er ab: „Ich absolviere jeden Tag einen kognitiven Test. Wissen Sie, ich mache nicht nur Wahlkampf, ich regiere die Welt.“ Eine solche Anwandlung von Größenwahn hatte bisher noch kein US-Präsident. So etwas gehört aber auch zu dem befürchteten Krankheitsbild. Bekommt die Menschheit für die nächsten vier Jahre also einen dementen Greis im Weißen Haus, die zittrigen Finger an dem berüchtigten Atomknopf?