27. Jahrgang | Nummer 4 | 12. Februar 2024

Bildersprache und Sprachbilder

von Jürgen Hauschke

Ein außergewöhnliches Buch ist zu besprechen, nein, zu lobpreisen: „Hohenloher Sonette“.

Der Berliner Verlag PalmArtPress hat sich alle erdenkliche Mühe gegeben und ein wunderbar in der Hand liegendes Buch ediert. 80 Seiten von kräftigem Papier in hoher Qualität zwischen einem Hardcover in den Maßen von 17 mal 21 Zentimetern laden zum Blättern ein. Das Auge springt hin und her. Links jeweils ein Sonett, rechts ein Bild. Zusammen stehen sie in Korrespondenz, von der älteren Bedeutung des Wortes herkommend, stehen sie in Entsprechung oder Übereinstimmung, bilden sie eine Liaison.

Eine Malerin und ein Dichter, deren Herkunft kaum verschiedener sein könnte, konstituieren in dem Buch eine beeindruckende künstlerische Symbiose. Die Malerin, vornehmlich von Ölgemälden, ist Feodora Prinzessin zu Hohenlohe-Oeringen. Sie entstammt einem der langlebigsten Hochadelsgeschlechter Deutschlands, ursprünglich beheimatet in Süddeutschland. Sie lebt in Berlin-Schöneberg und hat ein Zweitatelier auf Schloss Ippenburg. Der Autor verschiedener Lyrikbände, Jürgen Rennert, Kind einfacher Leute, wuchs in Berlin-Neukölln auf, lebte in Hohen Neuendorf und Ost-Berlin, seit 2014 in der Prignitz. Sie wurde im Jahr 1952 geboren, er 1943.

Die Malerin aus Bayern und der Ostberliner Lyriker lernten sich 1997 kennen und schätzen. Beschrieben hat dies in einem einfühlsamen, das Buch einleitenden Essay die bekannte Autorin Regina Scheer. Ein treffendes Fazit von ihr lautet: „Feodora Hohenlohes Bilder brauchen keine Dichtung zur Interpretation, Jürgen Rennerts Gedichte wirken auch ohne die Bilder, aber im Zusammenspiel entsteht eine Spannung, manchmal auch ein Widerspruch, der staunen und lachen lässt.“

Bedauerlich ist hier sehr, dass das Blättchen – wie auch die Weltbühne – eher ein Organ des Wortes als des Bildes war und ist. Von den Bildern müssen wir also abstrahieren und verzichten auf ihre Darstellung. Wer dies nicht gänzlich will, kann auf Rennerts Webseite oder bei PalmArtPress einen Blick ins Buch werfen.

Im vergangenen Jahr hatte das Blättchen Rennert zum 80. Geburtstag ausführlich gewürdigt. Dabei wurde auch sein kontinuierliches dichterisches Schaffen dargestellt. Nun legt der Lyriker einen Band mit Sonetten vor.

Einige allgemeine Worte zu Sonetten scheinen mir erforderlich, natürlich nur für die wenigen laienhaften Leser. Das Sonett ist eine alte, besonders strenge lyrische Form. Es entstammt der romanischen Literatur, über Italien kam es nach Deutschland, ab dem 17. Jahrhundert war es sehr beliebt. Die Shakespeare-Sonette ausgenommen, besteht diese Lyrikform aus 14 Zeilen, die sich auf zwei Quartette (Vierzeiler) und zwei Terzette (Dreizeiler) verteilen. Die Gliederung wird oft durch eine strenge Reimstellung unterstrichen (abba abba cdc cdc).

In unserem Beispiel („Tauwetter“ im Blättchen) ist es das Reimschema abba cddc dfd fgg. Vom umschließenden Reim der Quartette heben sich die Terzette spürbar ab. Mit dieser äußeren Gliederung deckt sich häufig auch die inhaltliche Struktur. Bei Rennert hingegen finden wir oft ein Enjabement (der Satz überspringt die Zeilengrenze/Strophengrenze), wie auch im „Tauwetter“ zwischen den Quartetten und Terzetten zu beobachten. Der General ist keiner — die Pause am Ende des Quartetts täuscht, der Satz geht weiter, er ist doch einer, aber ein besonderer, ein General, der nicht tötet.

Viele Lyriker haben bedeutende Sonette geschaffen, von den Deutschen seien nur einige in zeitlicher Abfolge genannt: Andreas Gryphius, Johann Wolfgang Goethe, Heinrich Heine, Rainer Maria Rilke, Johannes R. Becher und Rainer Kirsch. Rennert stellt sich in diese Traditionsreihe. Und er besteht dort.

Die Geschichte des Sonetts kennt vielerlei Abwandlungen der strengen Form. Eine ist die Änderung der Metrik. Bei Rennerts Beispiel finden wir sieben und achtsilbige Zeilen im Wechsel. Bei anderen Sonetten von ihm auch neunsilbige oder fünfsilbige. Das Sonett ist eine anspruchsvolle Form und deshalb gegen belanglose Inhalte überaus empfindlich. Diese These beweist sich auch bei Jürgen Rennert.

Beim Blättern im Buch zeigt sich, in mehreren Bildern und Sonetten sind Tiere das dargestellte Sujet: „Der Widder“, „Fritz, der Hahn“, „Schmusekater“ „Eselchen“ sowie in „Nature Morte“ und in „Tauwetter“. In den letzteren steht das Tier nicht im Titel des Gedichts beziehungsweise Bildes. Im Stillleben, nichts anderes bedeutet „Nature Morte“, wörtlich eigentlich tote Natur, ist ein toter (getöteter?) Vogel in einem Bilderrahmen dargestellt.

Auf dem „Tauwetter“-Bild sehen wir einen mit mehreren Orden an der Brust geschmückten Pinguin, vor dem ein zweiter, größerer stramm zu stehen scheint. Beide in ihrer natürlichen Umwelt, aber Eis und Schnee beginnen zu schmelzen. Das Besondere an diesem Bild ist der reale Hintergrund des Pinguins Nils Olav in Edinburgh. Bei Rennert ist das Tier, der Pinguin Sir Nils Olav, durch seine Deutung gar „Mensch geworden“. Versehen mit diversen militärischen Insignien, geht er allerdings den „Watschelgang des Pazifisten“.

Der Dichter lässt in seinen Sonetten ganz selten ein lyrisches Ich sprechen. Im „Tauwetter“ spüren wir auch ohne ein solches „Ich“, dass da ein Subjekt eindringlich mahnt, das schließlich ausruft: „Wehe dem, der das begrient!“ Es ist ein zutiefst menschlich besorgter und aktueller Blick auf die „Neue Heißzeit, Kalte Krieger, / Trumpltiere sondersgleichen“.

Die Bilder waren immer zuerst da, die Sonette entstanden zu den Bildern, der künstlerische Weg war nie umgekehrt. Mit seiner feinen Ironie, die in vielen der Sonette aufblitzt, bezaubert Rennert durch seinem Blick auf die Welt. Zunächst ausgehend vom Blick auf ein Bild, wächst stets eine darüber hinausweisende, urteilende Sicht auf die Welt in ihren vielfältigen Facetten.

Der Widder erinnert an die biblische Opferung Isaaks, der Hahn an despotisches Gehabe, der Kater an unnahbares Selbstbewußtsein, der Esel an verdeckte Werte und der Pinguin an menschliche Friedenssehnsucht.

Rennert ist ein im christlichen Glauben tief verwurzelter Mensch, dem nichts Menschliches fern zu sein scheint. Seine lyrische Sprache ist klar und im besten Sinne einfach.

Ihm gelingen Verse, die an große deutsche Lyrik anknüpfen: „Wahrheit ist, was keiner kennt, / Dichtung, was sich Wahrheit nennt.“, heißt es in dem Sonett „Fanny im Blitzlicht“. Eine wunderbare Schlichtheit mit Esprit.

Feodora Hohenlohe / Jürgen Rennert: Hohenloher Sonette. Eine Korrespondenz. Mit einem Essay von Regina Scheer. PalmArtPress, Berlin 2024, 80 Seiten, 30,00 Euro.