Auch eine Stimme Russlands
„Der Krieg, den Russland gegen die Ukraine auslöste, ist eine Schande. Er ist unsere Schande, aber leider werden auch unsere Kinder und noch weitere Generationen von Russinnen und Russen dafür Verantwortung tragen müssen. Wir wollen nicht, dass unsere Kinder in einem Aggressor-Staat leben und sich schämen müssen, dass ihre eigene Armee ein unabhängiges Nachbarland angegriffen hat. Wir rufen alle Bürgerinnen und Bürger Russlands auf, zu diesem Krieg ‚Nein‘ zu sagen. Wir glauben nicht, dass eine unabhängige Ukraine für Russland oder irgendeinen anderen Staat eine Bedrohung darstellt. Wir glauben Wladimir Putins Behauptung nicht, dass das ukrainische Volk von ‚Nazis‘ beherrscht werde und ‚befreit‘ werden müsse. Wir fordern ein Ende dieses Krieges.“
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Das ist der Text einer Online-Petition, die der russische Journalist Michail W. Sygar kurz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine veröffentlichte. Wenige Tage danach musste Sygar Russland verlassen und lebt seitdem im Exil in Berlin. Seit Mai 2022 moderiert er im russischsprachigen Berliner TV-Sender OstWest das Magazin „Posle sawtra s Michailom Sygarem“ („Übermorgen mit Michail Sygar“). Für den Spiegel schreibt er regelmäßig eine Kolumne. Bis 2015 war Sygar in Russland Chefredakteur des russischen regierungsunabhängigen Fernsehsenders Doschd („Regen“), dessen mutige publizistische Arbeit auch im Blättchen Erwähnung fand. Doschd hatte sich dem staatsanwaltschaftlich verhängten Verbot, über den Ukraine-Krieg zu berichten, verweigert und musste in Folge dessen seinen Standort nach Riga verlagern. Im September 2022 entzog ihm Lettland die Sendelizenz. Nicht wegen überraschender lettischer Russlandfreundlichkeit – Doschd versäumte es, seine Sendungen mit der geforderten Audiospur in lettischer Sprache zu unterlegen, bezeichnete die russischen Streitkräfte als „unsere Armee“ und zeigte eine Karte, auf der die Halbinsel Krim als Bestandteil Russlands ausgewiesen war. Man saß also auch an der Daugava zwischen beiden Stühlen.
Da ein unabhängiges Arbeiten im Baltikum nicht mehr möglich war, verlagerte Doschd seinen Standort nach Amsterdam. Sendetechnisch ist das in Zeiten des weltweiten Netzes eigentlich kein Problem, rechtlich aber schon. Da Doschd jetzt mit einer niederländischen Sendelizenz arbeitet, wurde der Sender am 23. Juli 2023 in Russland als „unerwünschte ausländische Organisation“ verboten.
Ich meine, den wenigen noch hörbaren russischen Stimmen, die nicht die Kriegslieder des Kreml und des russischen Außenministeriums singen, sollte nachdrücklicher Gehör verschafft werden. Der von Vielen in Deutschland inzwischen vorgenommenen Gleichsetzung Russland-Putin – egal, von welcher Seite der „Front“ … – muss deutlicher widersprochen werden.
Über die Unterschiede von Parteien
Die Parteien scheiden sich weniger durch Programme und Prinzipien als durch die Personen, welche als Condottieri an der Spitze einer jeden stehn und für sich eine möglichst große Gefolgschaft von Abgeordneten und publizistischen Strebern anzuwerben suchen, die hoffen, mit dem Führer oder den Führern zur Macht zu gelangen. Prinzipielle programmatische Unterschiede, durch welche die Fraktionen zu Kampf und Feindschaft gegeneinander genötigt würden, liegen nicht in einer Stärke vor, die hinreichte, um leidenschaftliche Kämpfe zu motivieren, welche die Fraktionen glauben gegeneinander ausfechten zu müssen und Konservative und Freikonservative in getrennte Lager zu verweisen. Auch innerhalb der konservativen Partei haben wohl viele das Gefühl, dass sie mit der Kreuzzeitung und ihrem Zubehör nicht im Einverständnisse sind. Aber die prinzipielle Scheidelinie in einem Programme zu präzisieren und überzeugend auszudrücken, würden auch die Führer und Unterführer für eine schwere Aufgabe halten, gerade so, wie konfessionelle Fanatiker, und nicht bloß Laien, in der Regel der Notwendigkeit ausweichen oder die Auskunft schuldig bleiben, wenn man sie nach den unterscheidenden Merkmalen der verschiedenen
Bekenntnisse und Glaubensrichtungen und nach dem Schaden fragt, welchen sie für ihr Seelenheil befürchten, wenn sie eine der Abweichungen des Andersgläubigen nicht angriffsweise bekämpfen. Soweit die Parteien sich nicht lediglich nach wirtschaftlichen Interessen gruppieren, kämpfen sie im Interesse der rivalisierenden Führer der Fraktionen und nach deren persönlichem Willen und Strebertum; nicht Verschiedenheit von Prinzipien, sondern „Kephisch oder Paulinisch?“ ist die Frage.
Kephisch oder Paulinisch: Neues Testament, 1.Korinther 1:12: „Ich sage aber davon, daß unter euch einer spricht: Ich bin paulisch, der andere: Ich bin apollisch, der dritte: Ich bin kephisch, der vierte; Ich bin christisch.“ Die Sozialdemokraten finden in Bismarcks politischem Kosmos auch 1898 keinen Platz, die sind auch nach seinem Sturz für ihn nicht satisfaktionsfähig.
Kleine Museen – Heimatmuseum „Mechanicus Horn“ in Harra
Museologen schlagen sicherlich die Hände über dem Kopf zusammen. Die brauchen eine „Erzählung“, also eine inhaltliche Leitlinie, der sich alles unterzuordnen hat. Die Phantasie, die Freude am Entdecken, der Spaß an den Objekten bleiben dabei häufig auf der Strecke.
Das Heimatmuseum in der kleinen Rennsteiggemeinde Harra ist das ganze Gegenteil. Es befindet sich mitten im Ort in einem recht imposanten, zweistöckigen ockerfarbenen Gebäude mit Satteldach. Am Sockel sind an der Giebelfront zwei Mühlsteine angebracht. Man kann es nicht verfehlen. Hier lebte und arbeitete vor 200 Jahren der Kunst- und Möbeltischler Johann August Horn (1787-1848). Dessen Tochter Amalie betrieb samt Ehegatten Heinrich Triebel im Haus des Vaters von ca. 1875 bis 1930 einen Kolonialwarenladen. Amalie schmiss nichts weg. Für das 1998 gegründete Museum ein Glücksfall. So blieb die Werkstatt Horns komplett erhalten, mit allen Werkzeugen, begonnenen Möbel-Arbeiten – Horn war für seine „Hirschbein Meubles“ bekannt – und anderen Artefakten. Sein berühmtestes Werk ist die hölzerne Wendeltreppe im Jagdschloss „Waidmannsheil“ in Saaldorf. Das Museum zeigt ein hübsches Modell der Treppe.
„Waidmannsheil“ hatte sich Heinrich LXXII., Fürst zu Lobenstein und Ebersdorf, 1834 bis 1837 erbauen lassen. Das war der mit der Lola Montez. Horn wurde für seine Arbeit von Serenissimus mit dem Titel „Mechanicus“ dekoriert. Schloss und Treppe lassen sich nicht mehr besichtigen. Zugang haben derzeit neben der Eigentümerfamlie Reuß nur die Ermittlungsbehörden. „Waidmannsheil“ soll das lokale Zentrum der Verschwörung von Heinrich XIII. Prinz Reuß gegen die Bundesrepublik Deutschland gewesen sein. Aber davon lassen wir uns beim Gang durch das Haus des „Mechanicus“ nicht stören. Auch der Kolonialwarenladen der Tochter – dass es so etwas noch gibt! – ist noch im Originalzustand erhalten. Bei einem netten Gläschen dort präsentierten Kräuter-Likörs kommt man rasch ins Schwatzen. Von den Mitgliedern des Betreibervereins erfährt manch Wissenswertes über das Haus, seine Objekte und das Oberland. Hübsch anzusehen auch die Wohnräume. In Gender-Zeiten dürfte die Betrachtung der üblichen Aussteuer „für Mädchen im heiratsfähigen Alter“ des 18./19. Jahrhunderts durchaus Effekt machen: 2-3 Federbetten, 12 Bettbezüge mit Doppelkissen, 6 Baumwollbetttücher, 2-4 Paradekissen, 24 Handtücher, 12 Geschirrtücher, 2 gestickte Oberhandtücher, 12 Leinenhemden, 12 Paar gestickte Strümpfe, 6 grobleinene Säcke, 2 Tafeltücher, 6 Tischtücher und Decken, dazu eine nicht genannte Zahl an Taschentüchern … Das musste man erstmal zusammenkriegen! In alten Filmen wird Mädchen gerne etwas „für deine Aussteuer“ zum Geburtstag geschenkt. Jetzt wissen wir, was gemeint war.
Nicht abhalten lassen sollte man sich vom Besichtigen des Fundus‘. Unter dem Dach sind eine Vielzahl von Objekten zusammengestopft, die von den Bewohnern Harras dem Museum gespendet wurden. Die Dörfler haben meine Bewunderung dafür, dass sie den Werbern von „Bares für Rares“ und anderen Antik-Fischern nicht auf den Leim gegangen sind. Da hängen Schlittschuhe von den Dachbalken, Puppenwagen und Schaukelpferde – denen man die intensive Nutzung ansieht – stehen herum, Küchenutensilien, Musikinstrumente, alte Schuhe, Schelllackplatten und und und … Hier gibt es keine „Erzählung“, die Objekte erzählen. Man sollte ihnen lauschen. Und natürlich in den Keller steigen. Kopf einziehen! Diese alten Keller haben verdammt niedrige Gewölbebögen. Hier befindet sich eine exzellente Mineraliensammlung. Nicht nur, aber hauptsächlich aus dem Thüringer Raum.
Ein kleiner Geheimtipp: Jeweils am letzten Augustsonntag und am ersten Oktoberwochenende ist Backtag! Für Harra und Umgebung ein Ereignis. Einen Wermutstropfen gibt es allerdings, die Öffnungszeiten. Derzeit ist noch sonntags von 14.00 Uhr bis 16.00 Uhr geöffnet. Man sollte vorher anrufen.
Heimatmuseum Harra, Angergasse 2, 07366 Rosenthal am Rennsteig. Informationen über die Touristinformation in Blankenstein (Telefon 036642 29533).
Längst vergessen?!
Fundstücke aus DDR-Jahrgängen der Weltbühne, die dank einer Spende aus Leserhand nunmehr im Blättchen-Archiv stehen.
Neues aus Oldenburg
Aus Oldenburg, wo die Studenten und Professoren seit fünf Jahren um den Namen Carl von Ossietzky für ihre Universität kämpfen, erfährt man von einem neuen skandalösen Vorfall: Das niedersächsische Wissenschaftsministerium untersagte der Hochschule, auf dem Vorlesungsverzeichnis – wie 1976/77 geschehen – weiterhin das Ossietzky-Bild und den Text „Universität Oldenburg, Carl von Ossietzky“ zu verwenden. Der dazu herausgegebene Erlaß bestimmt, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ zu berichten weiß, in Veröffentlichungen müsse alles unterlassen werden, was den Eindruck erwecken könne, die Universität führe eine andere Bezeichung als „Universität Oldenburg“.
Damit sollen auch Initiativen der Hochschule abgewürgt werden, den 4. Mai 1978, den 40. Todestag des international geachteten Leiters der „Weltbühne“ in den Jahren 1926 – 1933, als Ossietzky-Tag zu begehen und einen Gedenkstein für den aufrechten Antifaschistischen und Friedensnobelpreisträger einzuweihen.
Doch trotz Verbot, Polizeiaktionen und gerichtlichen Verfolgungen bestehen die Universitätsgremien nach wie vor darauf, den Namen Ossietzkys zu tragen, und so steht im Impressum der „Uni-Informationen“ weiter der Satz: „Der Gründungsausschuß, das Konzil und der Senat haben einstimmig beschlossen, daß die Universität den Namen Carl von Ossietzky führt.“
Da bisher alle Repressalien, seinerzeit von der niedersächsischen SPD/FDP-Regierung, dann von der CDU-Minderheitsregierung und jetzt von der CDU/FDP-Koalition, erfolglos blieben, greift Wissenschaftsminister Pestel neuerdings zu böswilligen Unterstellungen. Wie die FAZ berichtet, behauptete er auf einer Versammlung der Universitätsgesellschaft, „die Initiatoren der Namensgebung hätten jedoch offensichtlich andere Absichten gehabt, als den Friedensnobelpreisträger und Widerstandskämpfer zu ehren“. Den Beweis für diese Infamie blieb er natürlich schuldig.
Außer Frage steht indessen, daß die Landesregierung in Hannover den mutigen Antifaschisten Carl von Ossietzky keineswegs zu ehren gedenkt. Womit sie sich selbst in trefflicher Weise charakterisiert hat.
Leider ist es der Redaktion nicht gelungen, den Autor zu identifizieren. Wir bitten daher darum, sich gegebenenfalls mit uns in Verbindung zu setzen.
Aus anderen Quellen
Zum aktuellen Stand des russisch-ukrainischen Konflikts erklärte der stellvertretende russische Außenminister Miсhail Galusin: „Wir unsererseits halten weiterhin an unserer grundsätzlichen Position fest, dass eine umfassende, nachhaltige und gerechte Lösung nur möglich ist, wenn das Kiewer Regime die Kampfhandlungen und Terroranschläge einstellt und seine westlichen Sponsoren aufhören, Waffen an die ukrainischen Streitkräfte zu liefern. Die ursprünglichen Grundlagen der Souveränität der Ukraine – ihr neutraler, bündnisfreier und atomwaffenfreier Status – müssen bestätigt werden. Die neuen territorialen Realitäten müssen anerkannt werden, die Entmilitarisierung und Entnazifizierung der Ukraine muss sichergestellt werden, und die Rechte der russischsprachigen Bürger und der nationalen Minderheiten müssen im Einklang mit dem Völkerrecht gewährleistet werden.“
Das russische Außenministerium darüber, was Russland vom Westen und der Ukraine fordert, anti-spiegel.ru, 11.08. 2023. Zum Volltext hier klicken.
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„Es gibt zwischen China und Deutschland“, so Ken Wu, der chinesische Botschafter in Berlin, „weit mehr Konsens als Differenzen. Beide Länder sind Partner und nicht Rivalen. Die größte Bedrohung für die Stabilität der Welt und für die Weltwirtschaft besteht darin, dass manche Länder künstlich die Abspaltung und die Konfrontation sowie die Entkoppelung und den Abbruch der Lieferketten betreiben. Keine der Herausforderungen und Probleme, mit denen sich Deutschland derzeit konfrontiert sieht, wurden von China verursacht. Wenn Deutschland China als Wettbewerber und systemischen Rivalen betrachtet, entspricht dies nicht den Interessen beider Länder. Wir hoffen daher, dass Deutschland eine rationale China-Politik verfolgt. Eine China-Strategie aus ideologischer Sicht wird nur zu Missverständnissen führen und Fehlinterpretationen verstärken.“
Michael Maier: Botschafter Ken Wu – „China ist kein Risiko“, berliner-zeitung.de, 12.08.2023. Zum Volltext hier klicken.
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„Ich hätte mir noch vor ein paar Jahren nicht vorstellen können“, schreibt Helmut Scheben, „dass mein morgendlicher Gang zum Briefkasten, um die Zeitungen zu holen, begleitet sei von einem leisen Kontrapunkt aus Widerwillen und Langeweile. […] Die wirklichen Probleme der meisten Menschen, der Krieg in der Ukraine, der eskalierende Konflikt zwischen USA und China, also Vorgänge, die das Leben von Millionen Steuerzahlenden derzeit verändern und künftige Generationen belasten werden (Aufrüstung, Inflation, Energiepolitik, Sanktionspolitik, Asylwesen etc.) werden […] in unseren führenden Medien mit einem derart reduzierten Blickwinkel dargestellt, dass es mich fassungslos macht. Die Realitätsverweigerung erfolgt mit einer an Tollwut grenzenden Selbstverständlichkeit.“
Helmut Scheben: So verlor ich den Glauben an die etablierten Medien, globalbridge.ch, 13.06.2023. Zum Volltext hier klicken.
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Einen Blick auf Deutschland von außen wirft regelmäßig Eric Gujer, Chefredaktor (so heißt das dort) der Neuen Zürcher Zeitung – dieses Mal auf die AfD und die um sie drehenden Debatten: „Die graue Eminenz der Partei, Björn Höcke, […] pflegt eine Rhetorik, die beim historisch gebildeten Zuhörer manchmal den Eindruck erweckt, als sei sie eine Direktübertragung aus dem Sportpalast. Niemand belegt so eindrücklich wie Höcke, dass der Nationalsozialismus eines gewiss nicht ist: ein ‚Fliegenschiss‘ in der deutschen Geschichte, wie der frühere Parteichef Alexander Gauland behauptete. Wer so redet wie Höcke, berauscht sich noch immer an der Vergangenheit.“
Eric Gujer: Warum Deutschland im Umgang mit der AfD überfordert ist, email.nzz.ch, ohne Datum. Zum Volltext hier klicken.
Letzte Meldung
Bislang gehörten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika an. der BRICS-Gruppe (siehe ausführlicher die Beiträge von Erhard Crome und Walter Schilling in Blättchen 16/2023). Auf dem kürzlich beendeten BRICS-Gipfel in Johannesburg wurden zum 1. Januar 2024 sechs weitere Vollmitglieder aufgenommen: Ägypten, Argentinien, Äthiopien, Iran, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate.
Schlagwörter: AfD, Alfred Askanius, Carl von Ossietzky, China, Doschd, Heimatmuseum Harra, Höcke, Medien, Michail W. Sygar, Oldenburg, Otto von Bismarck, Parteien, Russland, Ukraine, WB, Wolfgang Schwarz