Wer soll deutscher Kaiser sein? / Der Fürst von Schleiz-Greiz-Lobenstein!“ heißt es in einem Spottlied der Revolution von 1848/49 auf die monarchischen Träume der Frankfurter Paulskirchenversammlung. Ich weiß nicht, ob der reußische Putsch-Prinz Heinrich XIII., der sich schon als Reichsverweser betrachtete, dieses Lied kennt. Genealogisch gehört er einer Nebenlinie der weit verzweigten Familie an, obwohl er in heftigen juristischen Auseinandersetzungen mit den Treuhandnachfolgern, dem Freistaat Thüringen und diversen Kommunen bestrebt war, das im Umfeld der Bodenreform und sonstiger kommunistischer Enteignungsorgien zerstreute Erbe des Fürstentums Reuß jüngere Linie wieder zusammenzukratzen. Es hätte ihm selbst auch wenig genutzt, auf der „Thronfolgerliste“ nimmt er einen abgeschlagenen Platz 17 ein – und aus dem „Familienverband“ trat er selbst bereits 2008 aus. Offensichtlich träumte Prinz Heinrich schon damals von Höherem. Die Familie soll sich von ihm distanziert haben. Zumindest einige halten ihn wohl für verwirrt.
In der Reußen-Geschichte ist das nicht neu. Schon 1848 erhielt ein Mitglied der Sippe einen solchen Stempel verpasst. Es handelte sich um Heinrich LXXII., seit 1822 Fürst Reuß zu Ebersdorf. Dem fielen dank Aussterbens anderer Linien noch die Territorien Reuß Hirschberg, Lobenstein und Gera zu. Die seit längerem völlig zersplitterte Herrschaft Reuß wurde so per Zufall zu einer einigermaßen überschaubaren Einheit. Das trieb den Modernisierungsdrang Heinrichs an, der ansonsten ein ziemlicher Luftikus war.
In jenen Jahrzehnten brannte es ständig an irgendeiner Ecke, das ruinierte nicht nur die ökonomische Substanz des Fürstentums, sondern trieb auch manche Hausbesitzerfamilie ins Elend. Schon der Vater Fürst Heinrichs kam 1819 auf die Idee einer Feuerversicherung für alle. An sich ein löblicher Gedanke, allerdings war die von Serenissimus verordnete Versicherung für viele nicht bezahlbar. Die Bauern hielten das Ganze sowieso für ziemlich überflüssig. Man verweigerte sich. Jetzt wollte der neue Fürst die Beitragszahlung „exekutieren“. Er schickte zwei Kompanien Militär nach Harra, auf dem dortigen Dorfplatz hatten sich am 6. Oktober 1826 die Widerspenstigen versammelt. Die Truppe schoss auf die Versammelten. 17 Menschen blieben auf der Strecke. Schon im Deutschen Bund gab es in solchen Fällen Untersuchungskommissionen, zuständig war die Bundesversammlung. Und wie heute liefen auch seinerzeit die Ermittlungen ins Leere. Keiner hatte natürlich irgendeinen Feuerbefehl gegeben … 1980 wurde an der damaligen Dorfgaststätte „Eintracht“ eine Gedenktafel an die „Harraer Schlacht […] gegen Fürstenwillkür und Unterdrückung“ angebracht. Die Gaststätte gibt es nicht mehr, die Tafel hängt aber noch dort.
Sein Durchgreifen machte Fürst Heinrich nicht unbedingt populärer. Er war dennoch weiter um „Modernisierungen“ bemüht, durch seine kostspieligen Hobbys immer in Geldnöten – und machte das seinerzeit bei Fürstens Übliche. Er erhöhte die Abgaben.
1843 gab es einen weiteren Zwischenfall, der für Ärger sorgte. Lola Montez kam zu Besuch. Die hochstaplerisch begabte irische Tänzerin wickelte reihenweise europäische Fürstlichkeiten um ihren koketten kleinen Finger, machte einen Skandal und wandte sich dem Nächsten zu. 1843 jedenfalls war Heinrich LXXII. an der Reihe. An ihren Aufenthalt im Fürstentum erinnert im Ebersdorfer Schlosspark ein Gedenkstein. Sie habe hier die Fasanerie besucht. Die Fasanerie steht nicht mehr. Dafür findet man an derselben Stelle, wohl als Überbleibsel der Bundesgartenschau 2021, eine Tafel, die uns über so wesentliche Dinge wie die Besichtigung des Hirsches „Hansi“ (mal kein Heinrich!) durch Frau Lola aufklärt. Und über ihr „nicht standesgemäßes Verhalten“: Sie biss und kratzte die Dienerschaft. Auf die Spitze trieb sie es schließlich auf Schloss „Waidmannsheil“ bei Saaldorf, das Fürst Heinrich erst wenige Jahre vorher errichten ließ. Der hatte für sie dort einen Empfang organisiert, offenbar nicht glänzend genug. Heinrich erntete Hohn und Spott der Edleres gewohnten Dame. Die Saaldorfer Schulkinder, die ein Festprogramm aufführen mussten, wurden als Bauerntölpel beschimpft und mit Hunden traktiert. Fürst Heinrich musste sein erst kürzlich geködertes Spielding des Landes verweisen. Das rettete ihm noch für einige Zeit die Krone.
„Waidmannsheil“ ist jenes Jagdschloss, das im Herbst 2022 als eines der mutmaßlichen Logistikzentren der „Patriotischen Union“ des erwähnten 13. Heinrich von Reuß für die Bundesanwaltschaft auffällig wurde und einen Medienauflauf hervorrief. Wenn die Kollegen vom Fernsehen das mit der Montez geahnt hätten …
Zum Auslöser einer Revolution, eines Revolutiönchens zumindest, wird die Dame fünf Jahre nach ihrem Rauswurf aus Reuß-Ebersdorf dennoch. Am 20. März muss Ludwig I., König von Bayern, ob des Unmuts der Münchener über seine exzentrischen Eskapaden mit der feschen Lola abdanken. Genaugenommen war es keine Abdankung, sondern eher die Übergabe der Regentschaft an den ältesten Sohn Maximilian II. Wirklich abgedankt hat aber Heinrich der LXXII. Fürst Reuß, nachdem sich im März 1848 vor seinem Schloss die aufständische Bevölkerung versammelte. Heinrich flüchtete in das damals zur preußischen Provinz Schlesien gehörende Guteborn in der Lausitz. Er starb 1853 in Dresden. Ihm bleibt der viel zu selten erwähnte Ruhm, als einziger deutscher Fürst auf Druck der Revolution abgetreten zu sein – und das auch ernst gemeint zu haben.
In die von ihm hinterlassene Lücke schlüpfte ein anderer Heinrich – Heinrich LXII., Fürst von Reuß-Schleiz – und begründete das Fürstentum Reuß jüngere Linie. Den meint das anfangs zitierte Spottlied …
„Reuß jüngere Linie“ gab es offiziell bis 1918. Dann kam die Republik, mit der man sich nicht recht abfinden mochte. 1922 heiratete Ex-Kaiser Wilhelm II. im niederländischen Exil die verwitwete Hermine von Schönaich-Carolath, eine geborene Prinzessin Reuß ältere Linie. Vom Hohenzollern-Gatten ließ sie sich gerne „Kaiserin“ titulieren. Auf Schloss Burgk in der Nähe von Schleiz hängt ein rührendes Bild des Paares. Aus ihrer Idee wurde bekanntlich nichts. Auch die versuchte reußische Liaison mit den Braunen scheiterte im Frühjahr 1945. Der letzte „Reuß jüngere Linie“ wurde von den Sowjets interniert und starb wahrscheinlich in Buchenwald. Das war die Stunde der Köstritzer „Nebenlinie“ …
Wer nun annimmt, das war’s, dürfte sich täuschen. Die in Gera befindlichen Sarkophage der Fürstenfamilie gelten als Eigentum der Reußen. Der erwähnte Heinrich XIII. wollte auf dem Geraer Johannisplatz eine neue begehbare Gruft errichten. Nach der Festnahme des Prinzen nahm der Stadtrat seinen Beschluss über die Flächenzurverfügungstellung zurück. Anfang Januar 2023 meldete MDR Kultur aber, Gera wolle nun doch für eine Zugänglichmachung der Särge sorgen. Sicherlich nur aus Gründen der kulturellen Traditionspflege und des Denkmalschutzes … Wenn da Geld fehlt, wird sicher das Land zuschießen. Das Amt des Vorsitzenden des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz hat im Januar Thüringens Kulturminister Benjamin Hoff übernommen. Die nationalen Denkmalpfleger lieben monarchische Artefakte. Der deutsche Adel jedoch hat einen langen Atem. Die Herrschaften können warten – und durchaus auf die Anhänglichkeit ihrer Untertanen zählen.
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