25. Jahrgang | Nummer 26 | 19. Dezember 2022

Bemerkungen

Ein notwendiger Nachtrag

In unserer Ausgabe 24/2022 veröffentlichten wir einen Aufsatz der Budapester Slawistin Prof. Dr. Zsuzsa Hetényi, die sich unter dem Titel „Das russische Krokodil“ mit der Stimmung in der russischen Bevölkerung angesichts des Ukraine-Krieges auseinandersetzt. Die Autorin machte uns darauf aufmerksam, dass die Übermittlung ihres Textes offensichtlich fehlerhaft war und ein ihr sehr wichtiger Absatz verloren ging. Wir bedauern und liefern den uns von Zsuzsa Hetényi übermittelten fehlenden Textbestandteil gerne nach.

Die Redaktion

Wer in Ungarn den Russen vorwirft, dass sie keine starke Opposition aufbauen, dass sie keinen Aufstand, keinen Streik, keine Protestbewegung organisieren, der sollte erst einmal in sich gehen und schauen, was er in seinem eigenen Land tun kann, wo Frieden herrscht, das heißt nur interner Krieg, und wo abweichende Meinungen nicht offen bestraft werden – nicht mit Gefängnis, Lager oder Kugel auf offener Straße. Ob er mit dem Ergebnis der letzten Wahlen zufrieden war und wie er sie beeinflussen konnte. Wie und mit welchem Erfolg er oder sie die Probleme, die er oder sie sieht, angegangen ist, um die gewünschten Veränderungen herbeizuführen. Zu welchen Opfern er in der Lage ist, um dies zu erreichen. Oder wenn er machtlos ist, warum er machtlos ist.

Dann kann er möglicherweise besser darüber nachdenken, was dort drüben vor sich geht.

Zsuzsa Hetényi

DGB-Gewerkschaften im Sinkflug

Für Gewerkschaften gibt es nichts Wichtigeres als Mitglieder. Wenn sie die Unternehmen nicht mit Mitgliedern beeindrucken können, können sie sie auch nicht mit Streikdrohungen erschrecken. Wer nicht einmal mit Streiks drohen kann, der braucht an den Tischen der Tarifverhandlungen gar nicht erst Platz zu nehmen.

Die Zahl der Mitglieder, die in den DGB-Gewerkschaften organisiert sind, ist seit der Wiedervereinigung um etwa die Hälfte eingebrochen. Im Jahr 2017 ist sie erstmals unter 6 Millionen gesunken und zum Jahresende 2021 waren es noch 5,7 Millionen, ein Minus von 130.000 Mitgliedern gegenüber dem Vorjahr.

Von offizieller Seite wird diese Entwicklung hauptsächlich auf die demografischen Einflüsse, Beschäftigungsabbau allgemein, Strukturwandel in der Berufswelt und neuerdings zusätzlich noch auf die Pandemie, mit ihrer erschwerten Mitgliederwerbung geschoben. Doch diese Sichtweise ist mehr als kurzsichtig, die Gründe sind vielfältiger und durch den DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften auch hausgemacht.

Zum Beispiel haben die DGB-Gewerkschaften es zugelassen, dass in Deutschland der Trend zur Tarifflucht seit mehreren Jahrzehnten anhält und nur noch weniger als die Hälfte der Beschäftigten unter einen Tarifvertrag fallen.

Jahrzehntelang war es normal und ganz selbstverständlich, dass die Regelungen, die Gewerkschaften und organisierte Unternehmerschaft aushandelten für eine deutliche Mehrheit der Beschäftigten galt – Tarifverträge waren verbindlich, meist einheitlich für ganze Branchen.

Tarifbindung bedeutet erst einmal Sicherheit und ein Tarifvertrag garantiert Mindestbedingungen, die auf keinen Fall unterschritten werden dürfen. Ob es um die Höhe der Arbeitsvergütung geht oder um Regelungen zur Urlaubslänge und Urlaubs- und Weihnachtsgeld: Beschäftigte, deren Arbeitsverhältnis von einem Tarifvertrag flankiert wird, sind durchgängig bessergestellt, als ihre Branchenkollegen ohne Tarifvertrag. In den nicht tarifgebundenen Unternehmen werden durchweg niedrigere Löhne gezahlt, deshalb kann der Niedriglohnsektor deutlich reduziert werden, wenn es Branchen-Tarifverträge gibt und die für allgemeinverbindlich erklärt werden.

Laurenz Nurk

Mehr Informationen im Gewerkschaftsforum.

Paradox

von Jean Bodin

Die Schriften
vergehen,

Mitwisser

blind wie wir,
ohne Wohlwollen,

das Wort
bleibt.

Handwerksredenarten und ihre Geschichten

Angesichts der steigenden Energiepreise hat mancher sicher schon „unter Strom gestanden“, vielleicht sind ihm auch „die Sicherungen durchgebrannt“. Oder er hat seinen Energieversorger angerufen und wollte „wissen, was Phase ist“. Alles sprichwörtliche Redewendungen, die Tag für Tag in aller Munde sind. Sie bringen Farbe in unsere Alltagssprache und sorgen mit ihren bildhaften Vergleichen für Pep. Häufig sind sie uns so sehr in Fleisch und Blut übergegangen, ohne dass wir kaum etwas über ihre Herkunft und Hintergründe wissen.

Der Sprichwortexperte Rolf-Bernhard Essig, bereits mehrfacher Autor zu diesem Thema, hat in seinem neuen Buch „Pünktlich wie die Maurer“ 300 Redensarten zusammengestellt, die ihren Ursprung im Handwerk haben. Über die Jahrhunderte entstanden sie in den Werkstätten und auf den Baustellen und sind dann aus dem Alltag der Handwerker in unsere Sprache eingewandert. Dort wurden sie heimisch und sind bis heute geblieben.

Außer der schieren Fülle der Redensarten fasziniert ihre Unterschiedlichkeit, die von „ein ungehobelter Mensch sein“, über „kleinere Brötchen backen“ oder „Schmalhans als Küchenmeister“ bis zu „Nägel mit Köpfen machen“ reicht. Neben traditionellen Spezialausdrücken wie „über die Schnur hauen“ aus dem Vokabular der Zimmerleute gibt es auch ganz allgemeine Redewendungen wie „jemandem ins Handwerk pfuschen“.

Redensarten wie „Schuster, bleib bei deinem Leisten“ oder „Klappern gehört zum Handwerk“ sind uns geläufig, andere dagegen wie „19-Zoll-Gespräche führen“ sind bisher wenig im Sprachgebrauch. Dabei sind nur Gespräche unter Experten der Elektrotechnik gemeint. Oder wissen Sie, warum „der Hund in der Pfanne verrückt wird“? Kein Grund, „Muffensausen“ zu bekommen, der Autor erklärt ausführlich, welche Begebenheiten, Anekdoten oder historischen Hintergründe sich hinter den Redensarten verbergen – und das in einer bunten Mischung aus Fakten und Spaß an der Sprache, unterstützt von humorvollen Illustrationen von Till Laßmann.

Zum Schluss äußert der Autor noch die Bitte, ihm weitere schöne Beispiele von sprichwörtlichen Redensarten zum Handwerk zu schicken, denn auch in den modernen Berufsbranchen entwickeln sich neue Spracheigentümlichkeiten. So sind „einen Blackout haben“, „total verpixelt sein“ oder „etwas rebooten“ längst geflügelte Ausdrücke geworden.

Manfred Orlick

Rolf-Bernhard Essig: Pünktlich wie die Maurer, Duden Verlag, Berlin 2022, 192 Seiten, 12,00 Euro.

Von wegen Lammkotelett

Fast dreißig Jahre existiert mittlerweile die US-amerikanische Band „Lambchop“. Hungrige Seelen mögen bei „Lambchop“ an ein Lammkotelett denken, musikalisch beseelte Menschen assoziieren hier sofort den ungekrönten König des Alternative oder Americana Rock, Kurt Wagner.

Der Mastermind von Lambchop formte die Band nach seinem Gusto immer wieder um. Inspiriert von dem musikalischen Schmelztiegel Nashville wurden das Kennzeichen von Lambchop eine sehr sparsame Instrumentierung und der rauchige Sprechgesang des Bandleaders.

Der große Durchbruch gelang Lambchop mit dem Album „Is a Woman“ im Jahre 2002. Ein gut einstündiges Album wie aus einem Guss. Kein einziges Lied sticht hier hervor, das gesamte Album frönt der minimalistischen Instrumentierung von Wagners rauer, aber schmeichlerischer Stimme.

Aufmerksamen Zeitgenossen ging hier auf, dass der Bandname wohl weniger mit einem Lammkotelett zu tun hatte. Die Auflösung des Namens mutete dann trivial an: Lambchop war eine Sockenpuppe, die ein weibliches Lamm darstellte, in einer populären Kindersendung in den 1950er und 1960er Jahren.

Die Fangemeinde reagierte nicht einhellig positiv, als mit dem Album „Flotus“ 2016 elektronische Musikelemente Einzug bei Lambchop hielten. Für die Puristen unter den Americana Rockmusik-Fans sind Synthesizer und Drumcomputer Teufelszug.

Apropos Teufel: Die verordnete Einsamkeit in der ersten Corona-Zeit, die Pflege seines schwerkranken Vaters sowie die Lektüre des Schriftstellers Henry David Thoreau mit seinem entsagungsreichen Leben in der Einsamkeit des Waldes waren der Hintergrund für das neue Album. Er verließ hierfür das heimatliche Nashville.

„The Bible“ entstand im Sommer 2021 in Minneapolis in einer stillgelegten Lackfabrik, die kurzerhand zum musikalischen Proberaum umfunktioniert worden war.

Wagner gehört nicht zum Kreis der religiös Erweckten. Er definiert sich eher als spiritueller Mensch: „I’m not a religious person but I do believe that there’s a spirituality to a lot of people and they’re not religious. You don’t have to be religious to be a spiritual person, right?

Die sperrigen Texte des Kurt Wagner sind alles andere als selbsterklärend. Doch Text und Musik bilden eine gelungene Einheit, die auch Menschen anspricht, die sich nicht als spirituell definieren.

Thomas Rüger

Lambchop:The Bible, CD, Label City Slang, 2022, circa 15,00 Euro.

Streifzüge aus Wien über Sorgen

„Die einfache ,Sorge‘ ist aller Dinge Anfang“, schreibt Albert Camus in „Der Mythos des Sisyphos“. Menschen bedürfen der Sorge. Man muss sich um sie kümmern, damit es ihnen gut geht. Nur so finden sie ein Auskommen in der Welt. Vorerst ist Sorge altruistisch. Es gilt bereit für andere zu sein. Nur im Du findet das Ich zu sich. Sorge mag sich selbst, weil sie die Anderen mag und sie das Andere an sich selbst weiß. Jedes Andere ist nicht nur ein Du, es ist auch ein Ich.

Wir leben heute in einer Gesellschaft, in der die Entsorgung wichtiger ist als das Sorgen. Mit Entsorgen sind nicht bloß der Müll gemeint oder die „plannend obsolescence“, sondern ebenso die Menschen selbst. Werden Probleme zu groß, sind die „Problemfälle“ zu exkludieren, zu entsorgen. Sobald solche Bedürfnisse und Anliegen dem Markt zugeführt werden, sind sie in ihrer Substanz schon gebrochen, da sie fortan unter der Prämisse der Finanzierung modifiziert, also kommodifiziert werden. Die Sorgen wie das Sorgen werden immer mehr zu einer kommerziellen Größe, sie werden professionalisiert und somit auch entmenschlicht.

Aktuell erleben wir Zeiten wilder Umgruppierungen und harscher Zerwürfnisse und oft ist es nicht leicht, die draußen zu halten. Vor allem die Auseinandersetzungen werden schärfer und geraten schnell in das Fahrwasser von Denunziation und Bezichtigung. Man denke an Corona oder die Ukraine. […]

Franz Schandl, Wien

Streifzüge, Nr. 86, Herbst 2022. Zu den Artikeln der Ausgabe im Internet.

Blätter aktuell

In der Januar-Ausgabe der Blätter für deutsche und internationale Politik zeigt Thomas Assheuer, wie rechte Systemsprenger mit Mythen gegen den Liberalismus zu Felde ziehen. Herfried Münkler analysiert die Bedingungen für einen Verhandlungsfrieden mit der revisionistischen Macht Russland. Bruno Latour und Nikolaj Schultz ergründen, wie ein neues politisches Subjekt entstehen kann: die ökologische Klasse. Elisa Simantke und Harald Schuhmann warnen vor einem Europa ohne Öffentlichkeit. Und Stefan Schulz weist der »Altenrepublik Deutschland« Wege aus der Demographiefalle.

Weitere Themen sind Ukrainekrieg und Klimakrise: Die geschürte Polarisierung, COP27: Weltklima auf verlorenem Posten, China: Die Revolution der leeren Blätter, Erdogans Krieg: Das Ende von Rojava?, Johnson, Truss, Sunak: Tory-Elend ohne Ende, Dänemark: Eine Sozialdemokratie für das 21. Jahrhundert?, Das Geschäft mit dem Kinderwunsch, Die Privatisierung des Weltalls, Wohin gehören die Benin-Bronzen?

Zu beziehen über das Internet (Preis des Einzelheftes – print / digital – 11,00 Euro).

Aus anderen Quellen

Gottseidank – wenn schon nicht die Deutsche Bahn, die Bundeswehr und die örtlichen Verwaltungen, so sind doch wenigstens die deutschen Sicherheitsbehörden state oft he art! Gerade haben sie einen im Reichsbürger-Milieu geplanten Staatsstreich verhindert: 3000 Beamte, darunter zahlreiche bis an die Zähne bewaffnete Spezialeinsatzkräfte, haben in elf Bundesländern mehr als 150 Objekte durchsucht und 25 Festnahmen Verdächtigter durchgeführt.

Super! Das Volk kann weiter ruhig schlafen …

Es gibt allerdings Kritikaster, die schon wieder nicht nur einzelne Haare, nein, ganze Toupets in der Suppe gefunden zu haben meinen, und von einem PR-Coup der Behörden sprechen. Journalisten waren teilweise 14 Tage im Voraus über die Geheim(?)aktion informiert, offenbar um quasi Live-Berichterstattung zu ermöglichten. Auch Heribert Prantl, Süddeutsche Zeitung, ist einiges aufgefallen, das ihn resümieren lässt: „Es könnte sein, dass die staatliche Großaktion, in der Art und Weise, wie sie durchgeführt und arrangiert wurde, der Bekämpfung des Rechtsextremismus eher schadet als nützt – wenn und weil der Rechtsextremismus nun als eine eigentlich lächerliche Veranstaltung gelten könnte.“

Heribert Prantl: Prantls Blick: Die politische Wochenschau, sueddeutsche.de, 11.12.2022. Zum Volltext hier klicken.

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„Bundestag ordnet Holodomor als Völkermord ein“, ist auf der offiziellen Website des deutschen Parlaments unter dem Datum vom 30. November 2022 zu lesen. Der Begriff Holodomor bezeichnet – dem entsprechenden gemeinsamen Bundestagsantrag der Fraktionen von SPD, Grünen, FDP sowie CDU/CSU zufolge – die gezielte und massenhafte Tötung durch Hunger, der in den Jahren 1932 und 1933 Millionen Menschen, vor allem in der damals zur Sowjetunion gehörenden Ukraine, zum Opfer fielen. Der Antrag wurde mit der Mehrheit der Antragsteller, bei Enthaltung der Fraktionen der Linken und der AfD, angenommen.

Auf der Website german-foreign-policy.com heißt es dazu, damit habe der Bundestag „eine politisch motivierte Einstufung aus dem Milieu der ukrainischen Ex-NS-Kollaboration“, die Ende der 1980er Jahre aufgekommen sei und von Historikern mehrheitlich zurückgewiesen werde, „nicht zuletzt, weil die Hungersnot die Bevölkerung in agrarischen Regionen in der gesamten Sowjetunion traf“.

Auch der Historiker (und frühere Blättchen-Autor) Stefan Bollinger meint, dass es bei der Bundestagsentscheidung „nicht um die Auseinandersetzung mit früheren Verbrechen, sondern um den Einsatz dieses Themas in der heutigen politischen und militärischen Auseinandersetzung der Ukraine, des Westens, auch Deutschlands mit Russland“ gehe. „Der russische Gegner ist als das zu entlarven, was er schon immer gewesen sei: mörderisch, menschenverachtend, heimtückisch.“

Berlin und der „ukrainische Holocaust“, german-foreign-policy.com, 28.11.2022. Zum Volltext hier klicken.

Stefan Bollinger, Hunger und Geschichte als Waffen? Warum politische Interessen für Geschichtsschreibung nicht taugen, snanews, 02.12.2022. Zum Volltext hier klicken.

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„In den Zirkeln der außenpolitischen Analyse in den USA wird gerade Chinas Aufstieg, nicht seine tatsächliche Politik als Bedrohung angesehen“, so Erhard Crome vor dem Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe des Deutschen Bundestages. „Die Auseinandersetzung mit der Sowjetunion sei ein ‚Streit in der westlichen Familie‘ gewesen, während China der erste ‚nicht weiße‘ Rivale sei. Das kann man als Rassismus qualifizieren, muss man aber nicht. Es geht in erster Linie um die Macht im Weltsystem bzw. die Verteidigung des seit 500 Jahren bestehenden Weltsystems als Konstrukt westlicher, nordatlantischer Macht.“

Erhard Crome, Zu den Auswirkungen der Vorstellungen von einer „systemischen Konkurrenz“ auf die zwischenstaatlichen Beziehungen, Deutscher Bundestag, Ausschussdrucksache 20(17)33. Zum Volltext hier klicken.

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„Was trieb die Kanzlerin um, ihre Russland-Politik erneut erklären zu wollen“, fragt Petra Erler und fährt fort: „Diesmal gegenüber der ZEIT. Warum schweigt sie nicht? Sie hatte doch bereits allen [im Interview mit dem SPIEGEL – die Redaktion] klargemacht, dass sie sich nicht entschuldigen wird. Sie hatte bereits darauf bestanden, dass sie immer richtig gehandelt hätte, im jeweiligen geschichtlichen Kontext. […] Die politische Wirkung ihrer wiederholten Aussagen ist jedoch verheerend: Niemals ging es um Frieden in Europa. Das Minsk-Abkommen war, so Frau Merkel gegenüber der ZEIT, nur eine Scharade. Sie hätte Zeit kaufen wollen, für die Ukraine.“

Petra Erler, Wie Frau Merkel Deutschland und die EU ins Schlamassel redet, petraerler.substack.com, 12.12.2022. Zum Volltext hier klicken.

Letzte Meldung

Die Deutsche Post ist bekanntlich gesetzlich dazu verpflichtet, 80 Prozent aller Briefe am nächsten Tag zustellen. Das schafft sie offenbar immer seltener. Ob das an den durch Profitmaximierungsvorgaben der Eigentümer (der größte ist die Bundesrepublik Deutschland) oder durch vergleichbare Bestrebungen des Managements (wegen Boni?) bedingten Personalabbau und -wechsel hin zu Zustellern liegt, die bisweilen höchst bemerkenswerte Heimatsprachen, aber nur verbesserungsbedürftige Deutschkenntnisse vorweisen können – wer weiß es?

Doch da gibt es ja gottseidank Nikola Hagleitner, im Konzernvorstand für Briefe und Pakete verantwortlich. Die hat sich des Problems intellektuell angenommen und – in der DDR hieß der staatstragen Slogan für hartnäckige Fälle „Problem erkannt, Problem gebannt!“ – gleich eine Lösung parat: „Wir sollten überlegen, ob wir den Kunden die Wahl der Laufzeiten überlassen“, sagte sie der Frankfurter Allgemeinen. Die „könnten dann entscheiden, ob ihnen eine besonders schnelle Zustellung einen Aufpreis wert ist [Hervorhebung – am] oder ob die Briefe auch etwas länger unterwegs sein dürfen.“

Super!

Eine Ehrung als „Verdiente Neuererin“, mindestens in Bronze (alte DDR-Medaillen – leider nur im generischen Maskulinum – gibt’s zuhauf bei ebay) scheint uns überfällig!

Mehr noch: Warum den revolutionären Ansatz auf die Post beschränken? Es würde etwa der von Corona gebeutelten Gastronomie, die kein Personal mehr findet, um ihre Restaurants durchgängig zu betreiben, bestimmt sehr helfen, wenn ab sofort die Gäste zu entscheiden hätten, ob sie unbedingt von sauberem Geschirr essen müssen. Mit Spülzuschlag allerdings könnte man das natürlich weiterhin anbieten …

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