Wider den Atomkrieg
Bei ihrem jüngsten Gipfeltreffen in Genf haben die Präsidenten Russlands und der USA, Wladimir Putin und Joe Biden, in einem „Joint Statement on Strategic Stability“ (gemeinsame Erklärung über strategische Stabilität) die fundamentalste Konstante des Nuklearzeitalters erneut bekräftigt, die 1985 von den damaligen Führern beider Staaten, Michail Gorbatschow und Ronald Reagan, formuliert worden war – nämlich „dass ein Atomkrieg nicht gewonnen werden kann und niemals geführt werden darf“.
Vor diesem Hintergrund hat jetzt das European Leadership Network (ELN), ein Zusammenschluss von ehemaligen Ministerpräsidenten, Außenministern, Verteidigungsministern sowie erfahrenen diplomatischen, militärischen und wissenschaftlichen Persönlichkeiten aus Europa, inklusive Russland und Türkei, mit dem Ziel, Bedingungen für eine friedliche, atomwaffenfreie Zukunft zu schaffen, die fünf Ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates (die Atommächte Russland, USA, China, Frankreich und Großbritannien) aufgerufen, „diese einfache und kraftvolle Formel gemeinsam zu bekräftigen und eine wichtige Demonstration von Führungsstärke zu liefern, die den NVV (Atomwaffensperrvertrag – W.S.) stärken würde“. Das ELN erklärte zugleich: „Wir sind bereit, ihre Bemühungen zu unterstützen, um die Welt in eine sicherere und hoffnungsvollere Richtung zu bewegen.“
Anti-Atomwaffen-Protest
Auf dem Fliegerhorst der Bundesluftwaffe in Büchel in der Eifel lagern bekanntlich die letzten circa 20 US-Atombomben in Deutschland und stehen deutsche Jagdbomber vom Typ Tornado für deren Einsatz bereit.
Am Fliegerhorst finden seit nunmehr bereits einem Vierteljahrhundert immer wieder Protestaktionen von Friedensaktivisten statt. Das war auch beim vierten Aktionstag gegen Atomwaffen in Büchel am Samstag, dem 3. Juli 2021, der Fall. „Noch immer begreift man hier, dass Frieden auf dem Spiel steht“, so sagte die Präsidentin der Evangelischen Kirche der Pfalz, Dorothee Wüst. Und der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf, Präsident der katholischen Friedensbewegung Pax Christi, erklärte in seiner Predigt: „Jeder Mensch hat die Berufung, Frieden zu stiften, aktiv für Frieden zu arbeiten.“ Es sei zynisch zu sagen, ein endgültiger Frieden sei eine Utopie und es werde ihn erst im Himmel geben.
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Die internationale Organisation „Mayors for Peace“ („Bürgermeister für den Frieden“) wurde 1982 durch den damaligen Bürgermeister von Hiroshima, Takeshi Araki , gegründet. Das weltweite Netzwerk setzt sich vor allem für die Abschaffung der Atomwaffen ein. Mehr als 8000 Städte weltweit gehören dem Netzwerk mittlerweile an, darunter mehr als 700 deutsche.
400 von diesen beteiligten sich am 8. Juli 2021 am sogenannten Flaggentag, an dem jährlich Fahnen gegen Kernwaffen gehisst werden. An diesem Datum vor exakt 25 Jahren hatte der der Internationale Gerichtshof in Den Haag in einem bemerkenswerten Rechtsgutachten die Feststellung getroffen, dass die Androhung eines Einsatzes von Atomwaffen sowie der Einsatz selbst generell gegen das Völkerrecht verstießen. Zudem stellte der Gerichtshof fest, dass eine völkerrechtliche Verpflichtung bestehe, „in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen und zum Abschluss zu bringen, die zu nuklearer Abrüstung in allen ihren Aspekten unter strikter und wirksamer internationaler Kontrolle führen“ – ein klarer Bezug auf Artikel VI des Atomwaffensperrvertrages, dem zumindest jene fünf Kernwaffenmächte angehören, die zugleich Ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrates sind.
Um an dieses Grundsatzgutachten des Haager Gerichtshofes zu erinnern, hatte die Landeshauptstadt Hannover als Vizepräsidentin der „Mayors for Peace“ vor zehn Jahren den sogenannten Flaggentag in Deutschland eingeführt.
Zitiert
Es gibt keine Stabilität in Europa ohne die Beteiligung und Einbindung Russlands. Und ich weiß genau, dass Russland nicht so schwach bleiben wird, wie es im Moment ist. Wir können im Prinzip jetzt alles tun, was wir wollen, Russland kann es nicht hindern, es ist zu schwach. Aber ich warne davor, ein großes stolzes Volk zu demütigen.
Fakten zur Arbeitslosen-Statistik
Der Autor Werner Rügemer beschäftigte sich in den nds mit den Ergebnissen der Merkel-Jahre. Zur Arbeitslosen-Statistik stellt Rügemer fest: „Unter Merkel wurden die Fälschungen der Arbeitslosen-Statistik weiter ausgebaut. Im engen rechtlichen Sinne sind es keine Fälschungen, denn wie das Arbeits-Unrecht insgesamt sind sie verrechtlicht. Aber sie tragen zur Täuschung der Öffentlichkeit bei und stellen politisch eine bewusste Täuschung dar.“
Als nicht arbeitslos werden gezählt:
– kranke und sanktionierte Arbeitslose;
– Ein-Euro-Jobs;
– ALG-II-Bezieher, wenn sie über 58 Jahre alt sind;
– Teilnehmer an Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung und Eingliederung.
Die Zahl der Arbeitslosen ist also in Wirklichkeit etwa 25 Prozent höher als offiziell behauptet. Es kommt hinzu: Schon ab einer regelmäßigen und bezahlten Arbeitsstunde pro Woche gilt man nicht als arbeitslos.
Man fragt sich, warum die Arbeitslosenstatistik in den sogenannten Qualitätsmedien nicht hinterfragt wird. Aber – erwartet man überhaupt noch ernsthaften, hinterfragenden Journalismus . . .?
Über die Liebe
Die Lyrik von Henry-Martin Klemt ist Blättchen-Lesern seit langem vertraut. Doch nun spricht er, der Dichter – höchstselbst und zusammen mit seiner Frau Rita – über die Liebe. Natürlich hauptsächlich in Form von Gedichten. Doch verbunden mit wunderbaren Songs, die so manchem aus seiner Jugend Maienblüte noch vertraut sein dürften. Das beginnt mit dem äußerst poetischen „Liebeslied“ von Renft. Es folgt der Jahrhundert-Hit „Am Fenster“ von City, dessen Text dem Schreiber dieser Zeilen zwar seit Jahrzehnten Rätsel aufgibt, was völlig belanglos bleibt, weil dessen Musik immer noch die Seele zum Schwingen bringt. Dann folgt … nee, besser selber hören: einfach hier klicken.
Arm Kräutchen
Ein Sauerampfer auf dem Damm
stand zwischen Bahngeleisen,
machte vor jedem D-Zug stramm,
sah viele Menschen reisen.
Und stand verstaubt und schluckte Qualm,
schwindsüchtig und verloren,
ein armes Kraut, ein schwacher Halm,
mit Augen, Herz und Ohren.
Sah Züge schwinden, Züge nahen.
Der arme Sauerampfer
sah Eisenbahn um Eisenbahn,
sah niemals einen Dampfer.
Walton Ford in der Berliner Galerie Hetzler
Es ist schon wieder elf Jahre her, dass im Hamburger Bahnhof in Berlin eine große Walton-Ford-Ausstellung stattgefunden hat, die seinerzeit auch im Blättchen begeistert besprochen wurde. Der 1960 geborene US-Amerikaner ist bekannt für seine monumentalen und extrem detaillierten Aquarelle, die Einblicke in exotische Tierwelten eröffnen. Seine Werke bauen auf der Bildsprache und auf erzählerischen Komponenten der traditionellen naturwissenschaftlichen Malerei* auf.
In der Berliner Galerie Max Hetzler ist jetzt Gelegenheit, erneut Bekanntschaft mit Werken von Ford zu machen. Ein originelles Beispiel für den Hintersinn und Humor des Künstlers ist dabei das „Porträt“ eines Mandrills, der Oskar Kokoschkas Gemälde eines Artgenossen einem Menschen zu entringen sucht, von dem man nur eine Hand sieht. Die allerdings ist feingliedrig genug, um eine von Kokoschka selbst zu sein … Das Bild trägt den Titel „Detested“, was man mit „verabscheut“, „verhasst“ übersetzen kann.
* – Einer der künstlerischen Vorgänger Fords und sichtlich einer seiner Anreger war und ist Jean-Baptiste Oudry (1686–1755), immerhin Hofmaler des französischen Königs Ludwig XV.; die weltgrößte Sammlung von Oudrys Tiermalereien beherbergt die herzogliche Gemäldesammlung im Schloss zu Schwerin, und die ist, so man die Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern besucht, auch wegen ihrer sonstigen Schätze immer einen Besuch wert.
Walton Ford. Aquarelle, Galerie Max Hetzler, Bleibtreustr. 45, 10623 Berlin, Dienstag – Samstag 11:00 bis 18:00 Uhr, Eintritt frei – noch bis 14.08.2021.
Eine lila Fee
Die Berliner Liedermacherin Dota Kehr gehört seit einigen Jahren schon zu den besonders kreativen und produktiven Musikerinnen aus deutschen Landen. Mit ihrer Band Dota hat sie nun die CD „Wir rufen Dich, Galaktika“ (auch als Doppelalbum mit Bonus-CD erhältlich) veröffentlicht.
Wer an der seichten Musik der unzähligen Guten-Laune-Sender verzweifelt, findet hier ein anspruchsvolles Kontrastprogramm. Ja, auch intelligente Popmusik ist machbar… mit Wortwitz, (Selbst-)Ironie, Melancholie. Keine dogmatischen Wahrheiten werden hier propagiert, eher der Spagat zwischen gefühlter Machtlosigkeit und dem Wunsch nach einer besseren Welt.
In dem Titelsong wird die lila Fee aus der Klappmaulpuppenserie „Hallo Spencer“ beschworen:
„Zauber das gute Leben für alle. Wir wollen Nachhaltigkeit aber ohne Verzicht. / Wir wollen irgendwie Revolution, aber dass sie uns was wegnimmt, wollen wir nicht.“
Ist die kritische Selbsterkenntnis der Anfang der Besserung – oder nur ein resignatives Eingeständnis eines Lebens zwischen privaten und globalen Krisen? Im Lied „Als ob“ heißt es:
„Ich leide an allen Krankheiten meiner Zeit.
Ich klebe den halben Tag am Telefon.
Zerstreut und reizbar, eitel und satt.
Gefangen von dem, was man hat.
Wirkungslose Empörung und viel zu viel Information.
Als ob das irgendetwas ändert.“
Musikalisch wirkt Dota auf diesem Album gereifter und abwechslungsreicher… Der Spannungsbogen umfasst Pop, Folk und Elektronik – eine passende Synthese mit den inhaltsreichen Texten.
Dota: Wir rufen Dich, Galaktika, CD, Label Kleingeldprinzessin, 2021, circa 15 Euro.
Aus anderen Quellen
Aus Frust über die stockende atomare Rüstungskontrolle und Abrüstung haben zahlreiche Nicht-Atombomben-Staaten vor vier Jahren den UN-Atomwaffenverbotsvertrag auf den Weg gebracht. Diese Staaten, so Tobias Schulze, „wollen mithilfe des Völkerrechts den Besitz von Atomwaffen ächten. 86 Staaten haben den Vertrag mittlerweile unterschrieben. Deutschland ist nicht dabei.“ Dabei ist es vielmehr bei der sogenannten Stockholm-Initiative, „die den Atomstaaten die Hand reichen will. Sie ist die nette Alternative zum Verbotsvertrag, ihre Vorschläge sollen nicht wehtun.“
Tobias Schulze: Standleitungen statt Armdrücken, taz.de, 05.07.2021. Zum Volltext hier klicken.
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„Die Welt ist heute weniger sicher als vor dreißig oder vierzig Jahren“, konstatiert Carlo Masala – er lehrt Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München. „Im Kalten Krieg war sie gefährlich, aber berechenbar. Heute ist sie unberechenbar.“ Und: „[…] die Amerikaner haben durch die Invasion im Irak die natürliche Gegenmacht des Iran in Schutt und Asche gelegt. Dass Teheran jetzt am Persischen Golf brachial eine regionale Hegemonie zu errichten versucht, ist eine Folge dieser Politik, gegen die sich wiederum die Saudis und andere wehren. Das ist die Schuld des Westens. Oder denken Sie an die Destabilisierung Nordafrikas durch die Intervention des Westens 2011 in Libyen.
Jörg Lau / Özlem Topçu: „Das ist die Schuld des Westens“ (Interview), zeit.de, 23.06.2021. Zum Volltext hier klicken.
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„Im Jargon der deutschen Wehrmacht hieß der riesige Betonklotz ‚Martha‘“, schreiben Charles Perragin und Guillaume Renouard. Heute verbirgt sich der von den Nazis nie vollendete U-Boot-Bunker unter einer rostroten Verkleidung. Jahrzehntelang war der Koloss am Rande des Hafens von Marseille verwaist. […] Doch heute ist der alte Bunker nicht mehr zugänglich. Seit dem 11. Juli 2020 betreibt hier das Unternehmen Interxion unter dem Namen ‚MRS 3‘ eines ihrer riesigen Rechenzentren. […] Der alte Bunker wird zwar zivil genutzt, aber abgesichert und überwacht wie ein militärischer Sperrbezirk. Das Ungetüm […] ist die Endstation für 14 Glasfaser-Seekabel, über die riesige Datenmengen aus der ganzen Welt übermittelt werden.“
Charles Perragin / Guillaume Renouard: Die Geopolitik der Datenströme, monde-diplomatique.de, 08.07.2021. Zum Volltext hier klicken.
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Ausgerechnet Horst Seehofer, der polternde Bayer, früher Bundesgesundheits- und heute Bundesinnenminister, dazwischen Ministerpräsident in München ein – „August Bebel der CSU“? Das täte man als blanken Nonsens ab, stammte die Formulierung nicht aus der Feder von Heribert Prantl …
Heribert Prantl: Prantls Blick – die politische Wochenvorschau, sueddeutsche.de, 04.07.2021. Zum Volltext hier klicken.
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„‚Deutschland gemeinsam machen‘, das steht da wirklich auf den CDU-Plakaten zur Bundestagswahl“, mokiert sich Meli Kiyak nicht nur über das grenzwertige Deutsch dieser Zumutung in Gestalt eines Wahlkampfslogans. Und: „Es ist eine Angstkampagne: Die CDU hat Schiss, und zwar zu Recht.“
Meli Kiyak: „Dieses Deutschland wird es nie geben“, zeit.de, 07.07.2021. Zum Volltext hier klicken.
Letzte Meldung
Kürzlich kehrten die letzten rund 500 Bundeswehrangehörigen aus Afghanistan zurück. Drei Militärairbusse A400M brachten Mannschaften und Offiziere vom Hindukusch zum Bundesluftwaffenstützpunkt Wunstorf.
In aller Stille.
Soll heißen: Kein verantwortlicher Politiker war vor Ort.
Die Bundesverteidigungsministerin weilte in Washington. Die Mitglieder des Verteidigungsausschusses des Bundestages waren entweder gar nicht oder zu spät informiert worden. Wahrscheinlich, damit nicht deren Anwesenheit das Fehlen von AKK umso augenfälliger machte.
Und die Bundeskanzlerin?
Zu ihr informierte die Berliner Zeitung: „Während […] Angela Merkel bei der WM 2014 in Brasilien schon nach dem Auftaktspiel den spärlich bekleideten Mesut Özil fast bis in die Dusche verfolgte, war sie in 16 Jahren Regentschaft bei keiner Ankunft deutscher Soldaten aus einem Auslandseinsatz dabei.“
Anmerkung der Redaktion: Was immer man von den Auslandseinsätzen der Bundeswehr halten mag – und es gibt häufig gute Gründe, strikt dagegen zu sein –, eine solche Missachtung von Soldaten, die auf Geheiß der Politik ihr Leben riskiert haben, gehört sich einfach nicht. Es ist würdelos.
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