von Alfons Markuske
Nur noch bis zum 6. Juni kann man die Exposition „Walton Ford: Bestiarium“ im Museum der Gegenwart im ehemaligen Hamburger Bahnhof zu Berlin besichtigen, und wer neugierig ist auf Malerei jenseits jeglicher Main- oder anderer Streams, dem sei ein Abstecher auf jeden Fall empfohlen.
Gleich im Eingangsbereich starren dem Besucher aus einer großformatigen fahlen, kalten Winterlandschaft zwei fast lebensgroße grimmige Wölfe entgegen, die sich mit einem dritten um eine im Schnee gebauschte Schabracke gruppieren. Das Aquarell ist im Stile naturkundlicher Drucke französischer und britischer Illustratoren der Kolonialzeit des 19. Jahrhunderts gemalt. Erst beim Nähertreten bemerkt der Betrachter, warum die Schabracke gebauscht ist – sie verbirgt einen Leichnam, nur zu erkennen an einer bleichen, ledrigen Hand, deren Konturen sich im Schnee fast auflösen. Zugleich wird beim Nähertreten deutlich, daß in der Ferne die ganze hügelige, teilweise bewaldete Landschaft mit toten Menschen und Pferden „getüpfelt“ ist; Wildschweine, von denen man weiß, daß sie auch Aasfresser sind, streifen umher. „Borodino“ ist dieses Werk betitelt und wird durch einen nebenstehenden Text-Auszug eines französischen Generals, der das Schlachtfeld nach der Niederlage der Grande Armée beschreibt, zusätzlich „illustriert“. Nicht, daß das Bild dieses Zusatzes bedürfte. Der ist vielmehr konstituierend für den Arbeitsstil von Walton Ford: Er bezieht seine Bildideen fast durchweg aus historischen Quellen.
Aber naturalisierte Tierdarstellungen und -szenen – durch künstliche Stockflecken und in altmeisterlicher Schrift hinzugefügte Bildkommentierungen und naturwissenschaftliche Legenden vorsätzlich in die Zeit ihrer historischen Vorbilder „entrückt“ – malt Ford nur auf den ersten Blick. Seine Bilder sind voller ironischer und zeitkritischer Anspielungen, die sich mit Umweltfreveln und anderen barbarischen Eingriffen der so genannten Zivilisation in die Natur ebenso auseinandersetzen wie mit den allzumenschlichen Schwächen des Homo sapiens.
Daß Walton Ford über eine abgründige Phantasie verfügt, machen nicht zuletzt seine allegorischen Darstellungen deutlich – wie etwa das Aquarell Chingado. Da hat sich eine Raubkatze, augenscheinlich eine Leopardin, in den Hals eines zebuähnlichen Stiers verbissen und tatzt, allerdings mit sichtbar eingezogenen Krallen, nach dessen Maul. Auf diesem Bild fließt – im Unterschied zu manch anderer Fordschen Szenerie – kein Tropfen Blut. Warum das so ist, erschließt sich bei genauerem Hinsehen und soll in diesem Blättchen, das auch Kindern und Jugendlichen zugänglich ist, nicht näher beschrieben werden.
Der heute 50-jährige Ford, der in den Berkshires in Massachusetts lebt, holte sich frühe Anregungen im Naturkundemuseum von New York. Seine Bilder werden erstmals in Europa gezeigt, und den Freunden der Nationalgalerie, denen wir die Ausstellung im Hamburger Bahnhof verdanken, ist ein grandioser Querschnitt durch Fords Œuvre gelungen.
Bildband zum Œuvre: Walton Ford, Pancha Tantra, TASCHEN Verlag, Köln 2009, 319 Seiten, 49,99 Euro. Die auf 1.600 vom Künstler signierte Exemplare limitierte Edel-Ausgabe gleichen Titels – mit Box – kostet 1.250 Euro.
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