24. Jahrgang | Nummer 1 | 4. Januar 2021

Bemerkungen

Pannen-Andy

Als wäre Corona nicht schon Strafe genug, haben wir da auch noch diesen Bundesverkehrsminister an der Backe. „Fragt man in einer kleinen geselligen Runde“, so Henryk M. Broder unlängst in der WELT, „politisch interessierter Mitbürger – natürlich nicht mehr als zehn Personen aus zwei Haushalten – nach Andreas Scheuer und was der so macht, ist meistens jemand da, der mit einer Gegenfrage antwortet: ‚Ist der etwa immer noch Minister in Merkels Kabinett?‘ Ja, das ist er. Und er wird es bleiben, bis die Kanzlerin das Zepter aus der Hand legt. ‚Andy‘, so nennen ihn seine Freunde, steht beispielhaft für eine radikal nachhaltige Politik, ohne jeden Sinn für Verantwortung und Konsequenzen.“
Dem wäre nach dem von Scheuer angerichteten Maut-Debakel, das die Öffentliche Hand und damit uns Steuerzahler, von der diese den größten Teil ihrer Finanzen bezieht, mit Schadenersatzforderungen in Höhe von 600 Millionen Euro beglückt hat, eigentlich nichts mehr hinzuzufügen.
Eigentlich – gäbe es da nicht auch noch die Sache mit der Autobahn GmbH.
Die hat am 1. Januar 2021 von den bisher gemischten Zuständigen, nämlich vom Bund und von den Ländern, die zentrale Zuständigkeit für Bundesfernstraßen übernommen und soll vom Neubau bis zum Unterhalt alles organisieren, was hiesige Autobahnen betrifft. Leider aber steckte das Projekt, eine gewaltige Verwaltungsreform, bereits vor dem Start tief in der Krise, weil der Andy und seine Mannen auf diesem Felde noch weniger hinbekommen, als es Kritiker der Reform vorausgesagt haben. Deswegen zeichnet sich gerade eine Steigerung der Kosten für externe Berater auf bis zu 130 Millionen Euro ab. Insgesamt dürfte die bloße Errichtung dieser GmbH mehr als 300 Millionen Euro kosten.
Doch damit nicht genug. Jüngst stellte der Bundesrechnungshof fest, dass ein Teil der Regelungen für den Übergang von der Länder- und Bundeszuständigkeit verfassungswidrig sei. Offen ist, ob deshalb bereits geschlossene Verträge über Straßenbauprojekte mit einem Kostenvolumen von insgesamt rund 20 Milliarden Euro neu ausgeschrieben werden müssen. Doch wer sollte das tun? Viele bisherige Ländermitarbeiter wollen nicht in die GmbH wechseln, sodass dort große Personallücken klaffen …
Bundesverkehrsminister Scheuer wird, so kann zusammengefasst werden, vom Steuerzahler praktisch dafür entlohnt (mit monatlich etwa 15.000 Euro), dass er Steuergeld ohne Ende verbrennt, ohne dass er dahin geschickt würde, wo er hingehört – zum Teufel.
Was bedeutet das eigentlich für eine Kanzlerin, die in ihrem Kabinett die Richtlinienkompetenz innehat, den Andy „ohne jeden Sinn für Verantwortung und Konsequenzen“ aber immer weiterwursteln lässt? Am 18. Dezember 2019, da war das Maut-Debakel schon voll in Fahrt, hatte sie in Kameras und Mikrofone übrigens gesagt: „Ich finde, dass Andy Scheuer eine sehr gute Arbeit macht.“

Alfons Markuske

Mediterranes Musiktherapeutikum

Eine akustische Urlaubsreise ans (Mittel-)Meer versprechen die begnadeten Musiker von Quadro Nuevo mit ihrem im Spätherbst 2020 erschienenen Album „Mare“.
Das Instrumentalquartett, aktuell bestehend aus Mulo Francel (Saxophon, Klarinette), Didi Lowka (Kontrabass, Percussion), Andreas Hinterseher (Akkordeon, Bandoneon) sowie Chris Gall (Piano), hat im Lauf des letzten Vierteljahrhunderts sage und schreibe 3000 Konzerte gegeben – von Sidney bis Ottawa und von Kuala Lumpur bis New Orleans.
Die mediterrane Musizierkunst, die Quadro Nuevo präsentiert, umfasst beispielsweise italienische Tänze, französische Valses und neapolitanische Gassenhauer.
Da echte Reisen bis auf Weiteres nur sehr eingeschränkt möglich sein werden, können wir uns wenigstens an einer Mittelmehrrundfahrt als musikalisch fundierte Gedankenreise erfreuen.
Wem also die Coronare-Schwermütigkeit zu befallen droht, sollte sich als Therapeutikum die mediterrane Leichtigkeit des Seins von Quadro Nuevo verschreiben (lassen).
Meine persönlichen Anspieltipps sind die alte Canzone „Torna a Surriento“ aus Neapel sowie der von dem südeuropäischen Hit „El Bimbo“ inspirierte Song „Beach anno ’75“.

Thomas Rüger

Quadro Nuevo: Mare, CD 2020, Label: GLM (Edel-Vertrieb), 16,00 Euro.

Ist der Ruf erst ruiniert

Lange nichts von der Gorch Fock, vom Segelschulschiff der Bundesmarinem, gehört – dem alten Skandal-Eimer, an dem nach fünf Jahren im Dock und zu Kosten, die auf keine Kuhhaut gehen (Das Blättchen berichtete), immer noch geschraubt wird, statt ihn endlich zu verschrotten. Doch halt. Kürzlich war doch wieder was …
„Wird ‚Gorch Fock‘ mit illegalem Teakholz restauriert?“, wurde vor einiger Zeit in den Medien gefragt. Nach Recherchen des ARD-Magazin Report Mainz sind für den Neubau des Decks mehrere Tonnen der genannten Holzsorte aus Myanmar importiert worden, die womöglich nicht aus nachhaltigem Anbau stammten. Und die zuständige Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung war zu dem Ergebnis gekommen, dass Holz aus Myanmar gar nicht regelkonform eingeführt werden kann, unter anderem wegen des hohen Korruptionsrisikos in dem asiatischen Land. Der Korruptionsindex für Myanmar lag laut Transparency International im Jahre 2017 bei 30, womit sich das Land auf Platz 130 der entsprechenden Liste wiederfand, die bei 180 endet. Bereits seit Mitte 2018 gilt ein generelles Importverbot für Teakholz aus Myanmar.
Fest steht darüber hinaus, dass das Holz, von dem der World Wildlife Fund zwischenzeitlich wusste, dass es „von einem Mafiaboss in Myanmar stammt“, in den Zollpapieren nicht als Edel-, sondern als Schnitt- und Sperrholz deklariert worden war … Bestellt hatte übrigens die Bundeswehr selbst, bei einem Importeur aus dem Landkreis Harburg.
Naturschützer haben den Fall vor Gericht gebracht, um den Einbau auf der Gorch Fock rückgängig zu machen. Mit einer Entscheidung ist demnächst zu rechnen.
Wie in vergleichbaren Fällen scheint auch in diesem zu gelten: „Zuerst hatten wir kein Glück und dann kam auch noch Pech dazu.“

hh

Boom im Rüstungshandel …

… im Jahr vor Corona: 2019 sind die weltweiten Ausgaben für Waffen und andere Rüstungsgüter weiter gestiegen. Das Stockholmer Internationale Friedensforschungsinstitut (SIPRI) veröffentlichte Anfang Dezember 2020 Zahlen und summierte dabei den Gesamtumsatz der 25 größten internationalen Rüstungsunternehmen auf insgesamt knapp 300 Milliarden Euro. Das waren 8,5 Prozent mehr als 2018.
Der wichtigste Waffenhändler 2019 waren mit weitem Abstand die USA. Die zwölf amerikanischen Unternehmen, die im SIPRI-Ranking erfasst sind, standen für 61 Prozent der Verkäufe weltweit. Allein die fünf größten Rüstungsproduzenten Lockheed Martin, Boeing, Northrop Grumman, Raytheon und General Dynamics verzeichneten einen Umsatz von 136 Milliarden Euro.
Auf Platz zwei im weltweiten Waffenhandel folgte China mit 16 Prozent. Die vier vom SIPRI gelisteten chinesischen Unternehmen steigerten ihren Umsatz binnen eines Jahres um 4,8 Prozent.
Auf Platz drei in der globalen Rangliste fand sich Russland – mit einem im Vergleich zu den USA eher marginalen Anteil von 3,9 Prozent.
Die sechs größten westeuropäischen Unternehmen machten zusammen 18 Prozent aus. Deutsche Firmen rangierten nicht unter den Top 25. Allerdings konnte auch das größte deutsche Rüstungsunternehmen Rheinmetall seinen Umsatz um vier Prozent auf 3,2 Milliarden Euro steigern.

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Aus anderen Quellen

„Zwei verschiedene Systeme erfahren zu haben, ist ein struktureller Vorteil des Ostens Deutschlands“, konstatiert Holger Friedrich, Herausgeber der Berliner Zeitung, „auch ein Vorteil migrantisch Geprägter in der bundesdeutschen Gesellschaft. Das Undenkbare, den Systemwandel, die fundamentale Änderung der Lebensumgebung erlebt zu haben, lässt jedwede Meinungsgestaltung, Appelle an Angst und Verlust sowie die Unantastbarkeit von Orthodoxien an Wirkung verlieren. Diese tiefgreifende Erfahrung erlaubt dem Ministerpräsidenten Haseloff, die Diskussion über Reformbedarf und -umfang sowie einen Austausch über das öffentlich-rechtliche System einzufordern. Kein verantwortlich denkender und handelnder Mensch stellt dieses System infrage, doch scheinen Reformen notwendig.“

Holger Friedrich: 30 Jahre später und schon wieder alles anders?, berliner-zeitung.de, 31.12.2020. Zum Volltext hier klicken.

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„Noch sind Industrie 4.0 und Arbeit 4.0 Schubladenbegriffe. Unterschiedliche Autoren füllen unterschiedliche Inhalte hinein“, vermerkt Mathias Greffrath und fragt: „Wo ist das Revolutionäre […]? Das Weißbuch Arbeit 4.0 des Arbeitsministeriums nennt ‚die Digitalisierung‘ die ‚heimliche Hauptfigur‘ der neuen Arbeitswelt. Das ist mehr als eine Metapher und es geht auch um mehr als um die Arbeitswelt, denn diese heimliche Hauptfigur verändert die Verhältnisse in fast allen Bereichen des Lebens, stellt Produktion, Konsum, Verteilung und Genuss auf eine neue Grundlage. Digitalisierung durchwebt die Gesellschaft als Ganze.“

Mathias Greffrath: Von der Zukunft des homo sapiens, deutschlandfunk.de, 22.11.2020. Zum Volltext hier klicken.

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„Die Beziehungen zwischen Russland und der Türkei“, so stellt Igor Delanoë heraus, „sind vom Ringen um Einflusssphären und Macht geprägt. Ihre Ambitionen stoßen in einem Krisenbogen aufeinander, der sich von Nordafrika über die Levante und das Schwarze Meer bis zum Kaspischen Meer erstreckt. In Syrien und in Libyen unterstützen Moskau und Ankara gegnerische Lager. Und in diesem Sommer ist mit dem armenisch-aserbaidschanischen Krieg um Bergkarabach ein weiterer Konflikt hinzugekommen. Gleichzeitig haben die beiden Länder im Energiesektor eine geoökonomische Partnerschaft aufgebaut. So versorgt die durch das Schwarze Meer verlaufende Pipeline Blue Stream die Türkei seit 2003 mit russischem Erdgas.“

Igor Delanoë: Erdoğans Drohnen, Putins Raketen, monde-diplomatique.de, 10.12.2020. Zum Volltext hier klicken.

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Ein „autonomes Waffensystem“, erläutert Jürgen Altmann in einem Feature, „ist ein System, das, nachdem es einmal aktiviert worden ist, ohne weitere Steuerung oder Einflussnahme durch einen Menschen Ziele selbständig auswählt und angreift. Diese Definition ist ganz ähnlich zu der, die das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, das ja mit der Überwachung von […] Kriegsrechts-Regeln beauftragt ist, […] benutzt. Und das ist eigentlich auch die, die sich in der Wissenschaft im Wesentlichen durchgesetzt hat.“

Matthias Martin Becker / Gerhard Klas: Kampf-Maschinen. Künstliche Intelligenz und die Kriege der Zukunft, deutschlandfunkkultur.de, 29.12.2020.

Das Feature kann nachgehört (hier klicken) oder als PDF downgeloadet (hier klicken) werden.

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„Das Jahr 2020 wird als das schwarze Jahr in die Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen eingehen“, resümiert Alexander Rahr. „Der Fall Nawalny, der wohl niemals wirklich aufgeklärt wird, könnte das bilaterale Verhältnis auf Jahre hinaus vergiften. In einer von gegenseitigen Vorwürfen und Vertrauensverlust geprägten Atmosphäre können sich weder die wirtschaftlichen Beziehungen noch das Verhältnis der Zivilgesellschaften zueinander verbessern. Russland und Deutschland führen keinen Dialog mehr […]. Sie sind in völlig unterschiedlichen Narrativen verfangen.“

Alexander Rahr: 2020/2021: Russland und Deutschland auf Abwegen, russlandkontrovers.com, 24.12.2020. Zum Volltext hier klicken.

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Der Ausnahme-Kabarettist Dieter Hildebrandt, mit dem ein ausführliches Gespräch zu führen Das Blättchen vor Jahren die Ehre hatte, war 1996 Gast von Günter Gaus in dessen Interviewreihe besonderer Persönlichkeiten, die 1963 unter dem Titel „Zur Person“ begonnen hatte und mit Unterbrechungen sowie wechselnden Titeln bis 2002 lief. Hildebrandts sehr persönliches Fazit: „Ich bin zu dem festen Entschluss gekommen, auf gar keinen Fall zuzugeben, dass ich resigniere. Ich will das nicht. Vielleicht ist das töricht, ich weiß es nicht. Aber ein bisschen töricht muss jemand sein, der auf eine Bühne geht.“ Oder der ein Blättchen macht …

„Aus Notwehr bin ich Optimist“. Günter Gaus im Gespräch mit Dieter Hildebrandt. Sendung vom 13.06.1996. Zum Volltext hier klicken.