22. Jahrgang | Nummer 5 | 4. März 2019

Alter Eimer

von Sarcasticus

Was würde wohl der gesunde Menschverstand von politischen Verantwortungsträgern sagen, die einem Bericht des Spiegel zufolge für ein Wasserfahrzeug, das zum Zeitpunkt seiner Indienststellung 1958 umgerechnet nicht einmal 4,5 Millionen Euro teuer war, zwischen 2004 und 2015 um die 24 Millionen Euro für Reparaturen ausgegeben hatten?
Halt! Das war erst der Anfang.
Denn seit 2015 sollte schon wieder an dem alten Eimer rumgeflickt werden. Dieses Mal waren zehn Millionen veranschlagt, und als sich diese Summe auf 135 Millionen mehr als verdreizehnfacht hatte, war von den Verantwortungsträgern die Reißleine immer noch nicht gezogen worden.
Jetzt!
„Ja sind die denn alle komplett bescheuert!“, würde der gesunde Menschverstand wahrscheinlich sagen, wenn er es nicht vorzöge, gleich Anzeige wegen krimineller Verschleuderung von Steuergeldern zu erstatten.
Es geht hier, dem informierten Leser schwant es, um das Segelschulschiff „Gorch Fock“ der Bundesmarine.
Apropos Segelschulschiffe: Die Verfechter einer Beibehaltung derselben in modernen Seekriegsflotten – zur seemännischen Erstausbildung künftiger Marineoffiziere – wissen mit luziden Argumenten aufzuwarten, wie etwa:
– dass solche Schiffe in Deutschland eine lange Tradition haben,
– dass damit eine Art eine Art Gruppenbildungs- und Belastungstestseminar für angehende Offiziere realisiert werde, prinzipiell gut und wünschenswert, und
– dass nirgendwo der Einfluss des Wetters auf Schiff und Besatzung so intensiv erlebt und zur gesicherten Erfahrung werde, speziell in den Rahen der „Gorch Fock“ bei einer Sturmfahrt.
Das mag alles nicht grundsätzlich falsch sein, allerdings würde niemand bei Verstand auf die Idee kommen, auf vergleichbarer Grundlage vorzuschlagen, dass künftige Kampfpiloten ihre Initiation am besten auf Fluggerät der Brüder Montgolfier absolvieren sollten. Im Übrigen müsste man jeden, der von „den Rahen […] bei […] Sturmfahrt“ schwärmt, einfach mal in Höhen bis 45 Meter aufentern lassen, und zwar überwiegend ungesichert. Das kann schon im Hafen tödlich ausgehen – wie im Falle jener Seekadettin, die 2010 im brasilianischen Salvador de Bahia bei Kletterübungen beim Abstieg aus Höhe des Großbramsegels, des zweitobersten am mittleren Mast, den Halt verlor und aufs Deck fiel. Tödliche Unfälle durch Stürze aus der Takelage des Schulschiffes hatte es bereits 1998 und 2002 gegeben.
Das jetzige finanzielle „Gorch Fock“-Desaster nahm im November 2015 seinen Anfang, als das Schiff bei der Bredo-Werft in Bremerhaven in eine routinemäßige schiffbauliche Untersuchung ging, die „über viele Umwege in seine heutige Totalzerlegung mündete“, wie es im Spiegel hieß. (Der letztere Sachverhalt wird noch eine Rolle spielen.) Ziel war, für knapp zehn Millionen Euro Außenhaut, Segel, Masten und Motor des Schiffes zu überholen. Doch je tiefer man grub, desto mehr und desto schwerere Schäden zeigten sich. An manchen Stellen soll der Stahl bereits so dünn sein, dass man quasi mit dem Finger ein Loch pulen könnte. Damit jedoch gewann die Drehung der Kostenspirale rasant an Fahrt: über die Stationen zwölf Millionen (März 2016), 33 Millionen (Sommer) und knapp 65 Millionen (Herbst) war im Januar 2017 die 75-Millionen-Marke erreicht.
Erst zu diesem Zeitpunkt erhielt die Hausherrin im Berliner Bendlerblock Kenntnis von der Kostenlawine. Das kann man allerdings nicht damit erklären, dass Projekte unter 25 Millionen Euro nicht der Zustimmung des Bundestages bedürfen und dass deshalb die Ministerin mit solchen Petitessen nicht behelligt wird. Diese Grenze war ja schon dreifach überschritten. So liegt vielmehr ein weiteres gravierendes Indiz dafür vor, dass Ursula von der Leyen auch in ihrem sechsten Dienstjahr als Bundesverteidigungsministerin ihren Laden einfach nicht im Griff hat. Und ob sie sich mit den richtigen Beratern umgibt, ist ebenfalls zu fragen, denn die rieten ihr in Sachen „Gorch Fock“: Augen zu und durch! Weitermachen habe „das geringste Umsetzungsrisiko“.
Gut ein Jahr später hatte sich die Kostenlawine auf sagenhafte 135 Millionen aufgetürmt, und der Apparat riet der Ministerin erneut, „die Instandsetzung […] mit dem bisherigen Auftragnehmer fortzusetzen“. Ist das noch Autismus?
Verausgabt waren nach Medienberichten bis Anfang 2019 bereits knapp 70 Millionen.
An dieser Stelle lohnt ein Blick auf den Auftragnehmer, die Elsflether Werft, für die die Bredo-Werft arbeitet. Spätestens seit 2017 kursieren bei der Marine Gerüchte über dubiose finanzielle Vorgänge bei diesem Unternehmen, doch der eigentliche Hammer datiert auf den 12. Dezember 2018. An diesem Tag informierte das Marinearsenal darüber, dass der Bundeswehrbeamte Peter G. seinem Vorgesetzten gebeichtet habe, von einem der (inzwischen entlassenen) Vorstände der Elsflether Werft, dem Hamburger Rechtsanwalt Marcus R., und von einem von dessen Vertrauten Privatdarlehen in Höhe von zusammen 800.000 Euro erhalten zu haben. Peter G. hatte sich einerseits als Bauherr einer Seniorenresidenz in Varel – sinnigerweise in der Gorch-Fock-Straße – schwer verhoben. Andererseits und vor allem aber fungierte er bei der Elsflether Werft als Preisprüfer der Bundeswehr für das Gorch-Fock-Projekt. Für die Frage nach möglichen Zusammenhängen zwischen der Kostenexplosion beim Projekt und der Darlehensvergabe interessiert sich derzeit die von der Polizei Oldenburg eigens gebildete Ermittlungsgruppe „Wasser“. Und die Elsflether Werft hat am 20. Februar Konkurs angemeldet.
Um ihre derzeitigen Optionen ist Ursula von der Leyen wahrlich nicht zu beneiden, denn selbst die Arbeiten einzustellen und den Pott abzuwracken würde eine Menge Geld kosten: Weil kein deutsches Unternehmen mit entsprechender Lizenz mehr existiert, müsste die komplett zerlegte „Gorch Fock“ erst einmal wieder schwimmfähig gemacht werden, um sie zu einem geeigneten Betrieb, etwa in den Niederlanden, schleppen zu können … Sollte sich die Ministerin dafür entscheiden, darf sie jetzt schon mit dem Sperrfeuer der Traditionalisten in der Bundesmarine und darüber hinaus rechnen. Bei Fortsetzung des Projektes könnte das Feuer derer, die den Kostenwahnsinn kritisieren, nicht weniger heftig ausfallen. Beide Varianten könnten zum letzten Stolperdraht für von der Leyen werden.
Auf die Fortsetzung des Dramas darf man gespannt sein.
Ironischerweise spricht man im Falle tödlichen Beschusses aus den eigenen Reihen beim Militär übrigens von „friendly fire“.