23. Jahrgang | Nummer 10 | 11. Mai 2020

„Das Teufelszeug muss weg!“

von Sarcasticus

Es war zwar mit Sicherheit nicht von ihr intendiert, aber die Gegner von Atomwaffen im Lande sollten AKK, der Bundesverteidigungsministerin – nicht der CDU-Vorsitzenden auf Abruf – für ihre Steilvorlage dreifach dankbar sein.

Erstens hat die Ministerin durch ihre Absichtsbekundung gegenüber ihrem US-amerikanischen Amtskollegen Mark Esper, 30 F-18 „Hornet“-Kampfflugzeuge als Kernwaffenträger erwerben zu wollen, um die altersklapprigen Tornados der Bundesluftwaffe auf dem Fliegerhorst Büchel in der Eifel zu ersetzen, die dort seit Jahrzehnten für eine solche Rolle bereitstehen, ein Problem in die breitere Öffentlichkeit katapultiert, das bis zu seiner Lösung auch unbedingt dort bleiben sollte – die sogenannte Nukleare Teilhabe Deutschlands. Die besagt: Im Kriegsfall sollen deutsche Trägersysteme amerikanische Atombomben ins Ziel bringen, und der einzige Gegner, den man dabei heute wieder im Visier hat, ist Russland, die atomare Supermacht vor unserer Haustür.

Dass in Folge ihrer Reichweitenbeschränkung weder die Tornados noch künftig möglicherweise die F-18 von Büchel aus relevante Ziele in Russland erreichen könnten, macht die Sache nicht besser. Flugzeuge können in einer Krise nach vorne verlegt und sie können in der Luft betankt werden. Auch sollen die bis zu 20 veralteten taktischen amerikanischen B61-Bomben in Büchel – an denen wahrscheinlich gerade eine bemerkenswerte Modifikation vorgenommen worden ist, wie Otfried Nassauer in der letzten Ausgabe berichtet hat – demnächst durch das neue Modell B61-12 ersetzt werden. Eine Hochpräzisionslenkwaffe von strategischer Qualität, über die Das Blättchen schon mehrfach berichtete, so unter anderem in den Ausgaben 17/2011 und 14/2017. Büchel dürfte von daher ein Platz im russischen atomaren Zielplanungskatalog gewiss sein – und zwar für ein großes Kaliber, denn die US-Bomben sind gegen Luftangriffe in gehärteten unterirdischen Silos gelagert.

Militärisch am sinnvollsten wäre die Bekämpfung eines Zieles wie Büchel übrigens, bevor die Flugzeuge von dort in die Luft gehen können. Der Fachmann nennt das präventiv (wenn die andere Seite überraschend angreift) oder präemptiv (wenn die andere Seite „nur“ meint, einem befürchteten Angriff zuvorkommen zu müssen). Für die vor Ort und in mehr oder weniger großem Umkreis davon Betroffenen macht das allerdings keinen Unterschied.

Zweitens hat AKK ihre Absichtserklärung gegenüber Esper zwar mit dem Vizekanzler und Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) und Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) abgestimmt, aber weiteres sozialdemokratisches Führungspersonal außen vor gelassen und damit aus dieser Richtung Reaktionen in einer Klarheit provoziert, die nichts zu wünschen übrig lässt. Der Chef der SPD-Bundestagsfraktion Rolf Mützenich erklärte: „Atomwaffen auf deutschem Gebiet erhöhen unsere Sicherheit nicht, im Gegenteil. Es wird Zeit, dass Deutschland die Stationierung zukünftig ausschließt.“ Zur weiteren Begründung führte Mützenich an: „Trumps Regierung hat verkündet, dass Atomwaffen nicht mehr nur der Abschreckung dienen, sondern Waffen sind, mit denen man Kriege führen kann. […] Das Eskalationsrisiko ist damit unüberschaubar geworden.“ Der SPD-Co-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans sekundierte: „Ich vertrete eine klare Position gegen Stationierung, Verfügungsgewalt und erst recht gegen den Einsatz von Nuklearwaffen.“ Und SPD-Co-Vorsitzende Saskia Esken twitterte kurz und bündig: „Ich stimme Rolf #Mützenich zu […].“

Und drittens schließlich beschwören seither die Apologeten der nuklearen Teilhabe im Lande wieder einmal all jene argumentativen Versatzstücke ihres Glaubensbekenntnisses, die letztlich nur verdeutlichen, wie dünn das Eis ist, auf dem es ruht. Zentrale Punkte dabei sind solche Behauptungen wie die, dass Deutschland durch einen Ausstieg aus der nuklearen Teilhabe:

  • nicht nur den Zusammenhalt in der NATO, sondern den Nordatlantikpakt generell gefährden würde. Es „wäre eine Katastrophe“, war in der Neuen Zürcher Zeitung zu lesen, und würde „die NATO und unsere Verbündeten bis ins Mark erschüttern“, tönte es im Deutschlandfunk. Ganz großes Theater. Doch nach dem Ende des Kalten Krieges sind nacheinander Kanada, Griechenland und die Türkei ausgestiegen, ohne dass das Bündnis merkliche Blessuren davongetragen hätte.
  • seinen „Einfluss auf die Nuklearstrategie der Nato [verlieren]“ würde. So der SPD-Verteidigungsexperte Fritz Felgentreu. Dieses „Argument“ ist entweder Ausdruck von Selbstbetrug, Ignoranz oder Dummheit, denn dass die USA in der sogenannten Nuklearen Planungsgruppe der NATO, in der übrigens die Mitgliedschaften von Kanada, Griechenlands und der Türkei zu keinem Zeitpunkt infrage standen, selbst ihren technisch – mit eigenen Trägersystemen – teilhabenden Verbündeten zu keinem Zeitpunkt mehr als ein völlig unverbindliches Konsultationsrecht darüber eingeräumt haben, ob, wann und gegen welche Ziele US-Kernwaffen mit deren Trägersystemen eingesetzt würden, ist unter Experten unstrittig. Dazu wusste DER SPIEGEL bereits 1969 zu berichten: „Konsultationsregeln: Amerikas Präsident behält uneingeschränkt die Freigabe- und Verfügungsgewalt über alle amerikanischen Nuklearwaffen, auch die der Nato. Er darf […] ohne Verzug oder Rückfrage atomar zurückschlagen. Ein Vetorecht dagegen hat niemand.“

Schweres Geschütz gegen Mützenich fuhr auch Johann Wadephul (CDU) auf: „Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion steht die Fortführung der nuklearen Teilhabe außer Frage. Sie ist aus gutem Grund im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Das ist nicht verhandelbar.“ Dieser Verweis auf den Koalitionsvertrag aus dem Munde eines CDU-Politikers ist zunächst einmal einigermaßen verwunderlich. Hatte dessen Partei sich doch im Jahre 2009 im damaligen Koalitionsvertrag verpflichtet, dass „wir uns im Bündnis sowie gegenüber den amerikanischen Verbündeten dafür einsetzen [werden], dass die in Deutschland verbliebenen Atomwaffen abgezogen werden“, ohne sich hinterher noch je daran zu erinnern, geschweige denn praktisch in dem nämlichen Sinne tätig zu werden. Dieses Mal jedoch kennt Mützenich das Dokument offensichtlich besser als sein CDU-Kritiker: „Die SPD hat dafür gesorgt, dass darin von der technischen nuklearen Teilhabe ausdrücklich keine Rede ist, sondern nur von der politischen nuklearen Teilhabe. Deshalb bewege ich mich mit meinen Vorschlägen im Rahmen dieser Abmachung.“

Und dann ist da natürlich noch die russische Bedrohung. Aber was, werter Kollege Daniel Brössler von der Süddeutschen Zeitung, macht denn das für einen Eindruck, wenn man dieselbe mit einem Konstrukt beschwören muss, das, um glaubwürdig zu erscheinen, die Vergesslichkeit des Publikums zur unabdingbaren Voraussetzung hat? Sie schreiben: „[…] die Schlüsselfigur für Sinn oder Unsinn der deutschen Teilhabe an der nuklearen Abschreckung [heißt] nicht Donald Trump, sondern Wladimir Putin. Der russische Präsident hat in den vergangenen Jahren Abrüstungsverträge gebrochen, internationale Verpflichtungen missachtet und erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg mit Gewalt Grenzen in Europa verändert. Er hat investiert in nukleare Waffensysteme und hat bewusst Unsicherheit geschürt, unter welchen Voraussetzungen Russland sein Atomarsenal zum Einsatz bringen könnte.“

Fakten gefällig? Bitte:

  • „Abrüstungsverträge gebrochen“? Der Plural ist erläuterungsbedürftig. Strittig aber war tatsächlich die Einhaltung des INF-Vertrages durch Russland. Moskau hat den USA wiederholt angeboten, dies im Verhandlungswege zu klären. Die USA haben ultimativ abgelehnt und den Vertrag aufgekündigt. Russische Vorhaltungen bezüglich amerikanischer Vertragsverletzungen – unter anderem durch Aegis Ashore (siehe Das Blättchen 4/2019) – wurden nicht aufgeklärt.
  • Erstmals „mit Gewalt Grenzen in Europa verändert“? Dieses historische „Verdienst“ gebührt keineswegs Russland, sondern dem Westen unter Führung der USA – mit seinem Bombenkrieg gegen Serbien im Jahre 2009 samt anschließender Separation des Kosovo.
  • In „nukleare Waffensysteme [investiert]“? Zweifelsohne. Aber das tun auf Seiten der NATO die USA, Frankreich und Großbritannien auch. Mit doppelten Standards lässt sich freilich das Feindbild schärfer konturieren.
  • „Unsicherheit geschürt“, wann Russland Atomwaffen einsetzen würde? Das ganze Gegenteil war der Fall. Der russische Präsident hat nicht nur einmal erklärt, „dass unsere Militärdoktrin besagt, dass Russland sich das Recht zum Kernwaffeneinsatz ausschließlich als Antwort auf einen Atomangriff oder einen Angriff mit anderen Massenvernichtungsmitteln auf das Land oder seine Verbündeten oder als Reaktion auf eine Aggression gegen uns mit konventionellen Waffen, die die Existenz des Staates selbst bedroht, vorbehält“.
    (Hier zitiert aus Putins Rede vor der russischen Föderationsversammlung am 1. März 2018.)

Stellte man dem Verfasser dieses Beitrages abschließend die Frage, was denn seine Position zu den verbliebenen US-Kernwaffen in Deutschland (wie zu Nuklearwaffen generell) sei, dann müsste er bekennen, dass er keine spezielle eigene dazu mehr hat. Seit in den 1980er Jahren ein weiland international geschätzter, wenige Jahre später tief gefallener deutscher Politiker gefordert hatte: „Das Teufelszeug muss weg!“

Wird fortgesetzt.