16. Jahrgang | Nummer 21 | 14. Oktober 2013

Bemerkungen

Moderne Tagelöhner und die Santa Maria

„An einem warmen Sonntag im Mai 2010 steigt Andreas Läufer in einem Hinterhof in Berlin auf sein Mofa und fährt davon. Er überquert keine Grenze, er bleibt in Deutschland. Aber die Bundesrepublik lässt er hinter sich. Er verlässt sie über die Karl-Marx-Straße, im Kopf ein paar eigene Gedanken zu Staat und Kapital.“ So heißt es im ersten Absatz von Mario Kaisers journalistischem Porträt „Der lange Abschied“, in dem er Leben und Gedankenwelt eines Arbeitslosen schildert. Für diesen Text aus dem Magazin der Süddeutschen Zeitung und einen zweiten, „Herrn Inces Lohn“ über den „Prototyp eines modernen Tagelöhners“, wie Kaiser es formuliert, wurde dem 42-Jährigen der diesjährige Kurt Tucholsky-Preis zuerkannt. Er wird ihm am 20. Oktober als Abschluss und Höhepunkt der Jubiläumstagung der Kurt Tucholsky-Gesellschaft zu deren 25. Jubiläum in Russischen Haus für Wissenschaft und Kultur in Berlin überreicht. In den Tagen zuvor wird es dort eine heiter-ernsthafte Geburtstagsgala und eine wissenschaftliche Tagung zum Thema „Schriftsteller und Revolution“ geben.
Die Sonntags-Matinee mit der Preisverleihung ist aber auch insofern interessant, als sie mit der nach allen Recherchen ersten Berliner Aufführung von Tucholskys einzigem Theaterstück „Christoph Kolumbus oder Die Entdeckung Amerikas“ gekoppelt ist, das der Spötter unter seinem Pseudonym Peter Panter gemeinsam mit Walter Hasenclever verfasste. Nach der Uraufführung in Leipzig 1932 wurde das Stück unter dem Vorwand der Beleidigung gleich wieder abgesetzt. Tatsächlich gibt es zahlreiche aktuelle Anspielungen, die es später schwer machten, es ohne Verlust neu herauszubringen. Schon 1937 wagte der 25-jährige Satiriker Jura Soyfer, der schon zwei Jahre später im KZ Buchenwald umkam, eine eigene Version in Wien. Auch spätere Fassungen, etwa von Hanns Anselm Perten in Rostock 1962 oder der Fernsehfilm von Helmut Käutner 1969 modernisierten die Vorlage.
In Berlin wird nun die Bearbeitung der verdienstvollen Tucholsky-Bühne aus Minden vorgestellt, die im Sommer bereits zahlreiche Aufführungen erlebte. Eduard Schynol hat die Grundsubstanz und viele Dialoge beibehalten, aber auch aktualisiert und (ähnlich wie einst Soyfer) Musikeinlagen hinzugefügt. Die höfischen Intrigen um Kolumbus und Königin Isabella werden mit Ironie und Witz gestaltet, aber der eigentliche Mittelpunkt der Handlung sind die kleinen Leute, die Schiffsbesatzung der Santa Maria und die amerikanischen Ureinwohner – korrespondierend zu Mario Kaisers Texten. Man darf gespannt sein, wie die Aufführung des spielfreudigen Amateurensembles in einem opulenten Bühnenbild im Großen Saal des Russischen Hauses wirkt.

Frank Burkhard

Verleihung des Kurt Tucholsky-Preises am 20.10. um 10 Uhr; Aufführung „Christoph Kolumbus“ 11 Uhr; Kartenbestellungen unter Tel. 030-20302320.

Vater und Kind

Von Vätern weiß man, dass sie in dem Augenblick, wo sie es werden, in leichte Verwirrung geraten. Legt man ihnen den Sprössling in die Arme, dann stellen sich gemischte Gefühle ein. Dieses kleine rote Bündel soll ein Teil ihrer Selbst sein? Befremdlich. Doch da die Umstehenden gratulieren, muss es damit wohl seine Richtigkeit haben.
Väter befürchten, das soeben Geborene, obwohl leicht von Gewicht, könnte ihnen entfallen, so zerbrechlich wie es ist. Und sie reichen es deshalb, etwas verlegen, der nächststehenden Person. Noch zweifeln sie daran, bei ihrer eigenen irdischen Ankunft so ausgesehen zu haben. Etwas verknautscht und zerdrückt. Allmählich jedoch wächst das Interesse an dem unwirklich wirklichen Wesen, verbunden mit der Hoffnung, dass es sich künftig zum Vorteile verändern werde. Da der Nachkömmling in gewisser Weise zu ihnen gehörig sein soll, möchten sie vor allem wissen, ob er gesund ist. Doch woran erkennt man diesen Zustand?
Caspar David Friedrich (1774-1840), der Maler, wird Vater. Im Jahr zuvor war er mit der um Vieles jüngeren, hübschen, lebendigen, dem Humor geneigten Christiane Caroline Bommer die Ehe eingegangen: „Dresden, den 28. Januar 1818. Meinen Brüdern, Verwandten und Bekannten sey hiermit kund und zu wissen getan, daß ich den 21. Januar früh um die sechste Stunde in der hiesigen Kreuzkirche mit Caroline Bommer bin getraut worden; also acht Tage schon Ehemann.“
Vor Begründung des eigenen Hausstandes sah man seltener weibliche Figuren auf Caspar Davids Gemälden. Nun aber hielten sie Einzug in die Kompositionen. Schlanke, jugendliche Frauen, zumeist in rückwärtiger Stellung. Eine Huldigung an seine Caroline, die unschwer auf den verschiedenen Bildwerken zu erkennen ist: In der Morgensonne; auf dem Segler; am Fenster; auf den Kreidefelsen von Rügen; am Meer. Das deutet alles auf ein glückliches Befinden des Malers hin. – Und nun wird er Vater.
Zweifellos ergeht es ihm wie allen Vätern vor und nach ihm. Auch er sorgt sich um die Gesundheit der Tochter Emma. Allerdings liegt Friedrichs Vorteil in seiner exakten Beobachtungsgabe, und er versteht sofort die Anzeichen der Natur. Im August 1819 teilt er den Brüdern mit: „[ … ] Das Kind scheind gesund zu seyn, denn es hat schon 12 Mal genießt.“
Ergo: Väter, achtet auf den Niesvorgang Eures Nachwuchses und vergesst nicht, die Nieser zu zählen!

Renate Hoffmann

Glücks Spieler

Kaum, dass Andreas Dresen des Schreibens kundig war, fing er an, kleine Bücher zu verfassen. Darunter auch das Märchen von der traurigen Lokomotive, die immer nur auf einem Abstellgleis steht und doch so gern nach Afrika fahren möchte. Die desillusionierte Einsicht darin, dass daraus nichts wird, findet in der frühreifen Erkenntnis Platz: „Man kann ebend nicht alles haben.“ Ebend mit „d“.
Das Interview-Buch, das Hans-Dieter Schütt mit und über Andreas Dresen geschrieben hat, endet mit der Bekräftigung besagter Einsicht, diesmal des grade 50 Jahre alt gewordenen; das Leben ist halt so. Klar, auch dieser Andreas hat und kann nicht alles, was er aber hat und was er kann, ist von einer Art, wie sie eifersüchtig zu machen imstande ist – nämlich den, dem daran gelegen ist, das zu sein, was man einen ehrlichen und also redlichen und zu alledem unverstellt freundlichen, leisen Menschen nennt, der überdies mit viel, sogar sehr viel Talent gesegnet ist.
Von Wesen und Talent des Andreas Dresen erzählt dieses Frage-und-Antwort-Buch und macht den nach wie vor jungenhaft Wirkenden noch sympathischer als es seine öffentlichen Auftritte – um die Dresen sich nicht reißt – und ganz und gar seine Filme eh schon bewirken. Wobei Frage-und-Antwort-Buch für dieses wie auch für alle anderen Interview-Bücher Schütts nicht eigentlich eine treffende Etikettierung ist, denn Schütt fragt eben nicht nur ab, sondern weiß sich in seinen Partner einzudenken und auch einzufühlen. So findet über weite Strecken keine bloße Examinierung von Biografischem aus Leben und Werk sondern ein Gespräch statt. Ich verzichte hier bewusst darauf, Dresen mit einem seiner vielen klugen Gedanken zu zitieren oder ein Beispiel seiner bis zur Selbst-Preisgabe (abseits indes jedweden wirkungsbedachten Masochismus) reichenden Offenheit, den Einblick in eigene Unsicherheiten und Denkumbrüche inklusive, anzuführen. Wer Dresen mag und ihm noch näher kommen möchte, sollte dieses Buch lesen. Nicht zuletzt, weil man erfährt und verstehen lernt, dass und warum dieser nun 50-Jährige Menschen liebt und sie ihm auch und gerade bei seiner Arbeit als Kollektiv und Korrektiv so wichtig sind. Schütt dazu: „Wenn man mit einem Menschen wie Andreas Dresen geredet hat, dann weiß man, dass Gemeinschaft ein Tätigkeitswort ist.“

Heinz Jakubowski

Hans-Dieter Schütt: Andreas Dresen. Glücks Spiel, be.bra verlag, Berlin 2013, 287 Seiten, 16,95 Euro.

Film ab

Der Titel des Films lautet „Gravity“ und die Kürzestkritik für ganz Eilige: „Weltall, Erde, Mensch“. Für alle anderen aber doch ein paar Sätze mehr.
In Katastrophenfilmen stecken die Helden nicht selten in einem Stakkato von Situationen, deren gemeinsames Muster am besten durch Murphys Law auf den Punkt zu bringen ist: „Alles, was schief gehen kann, geht schief.“ Gegen jede Wahrscheinlichkeit und häufig auch gegen das Einmaleins der elementaren Logik überleben die Heldinnen und Helden dies nicht nur – nein, am Ende gibt’s dann meist auch noch ein Happy End. Da macht „Gravity“ gar keine Ausnahme, obwohl zuvor selbstverständlich und durchaus grauslig, allerdings dankenswerter Weise nur in Maßen gestorben worden ist.
Das Personaltableau des Films ist höchst minimalistisch, aber hochkarätig – Sandra Bullock, George Clooney und sonst praktisch niemand. Die Show gestohlen wird den beiden, die im Orbit am defekten Hubbel-Teleskop herumklempnern, allerdings vom eigentlichen Star des Films, der Erde: Atemberaubende Weltraumaufnahmen in immer neuen Ausschnitten – Länder, Kontinente, Ozeane, Wolkenfelder, Megastädte bei Nacht – bilden die Hintergrund-„Kulisse“ des ersten Teils des Films. Fast stört da die Handlung im Vordergrund, als plötzlich eine Menge Weltraumschrott auf die Klempner zurast. Die Russen – natürlich, wer auch sonst! – hatten einen eigenen Satelliten irgendwie unsachgemäß mit einer Rakete zerstört. Wie dann allerdings in schönster 3D-Animation erst das Space Shuttle von Bullock & Clooney getroffen und später die ganze Raumstation IISS zerlegt wird, das hat man so, geradezu physisch präsent, noch nicht gesehen.
Klaustrophobisch veranlagt sollte man bei diesem Kinogang möglichst nicht sein, schwindelfrei dafür jedoch schon. Anderenfalls empfiehlt sich die Mitnahme einer jener Tüten, die man in der Zivilluftfahrt der Einstecktasche in der Rückenlehne des Vordersitzes entnehmen kann. Auch zum kritischen Überdenken des Berufswunsches Astronaut bei Jugendlichen dürfte „Gravity“ bestens geeignet sein. Selbst für die, die trotzdem dabei bleiben, kommt eine beherzigenswerte Botschaft rüber: Bei jedem Ausstieg ins All empfiehlt sich unbedingt die Mitnahme eines Feuerlöschers. Warum? Ja, das soll hier dann doch noch nicht verraten werden.

Clemens Fischer

„Gravity“, Regie: Alfonso Cuarón; derzeit in den Kinos.

Von Schüssen ins Schwarze des Ofens

„Homo Ludens“, so will es das von mir konsultierte große Wörterbuch der Lateinischen Sprache, ist der spielende, der lachende, der spottende Mensch. Und in der Tat ist das Lachen aus dem Roman „Homo Ludens“ von Kurt Kies nicht wegzudenken. Wie ein großes Spiel voll hintergründiger Heiterkeit habe ich dieses Panorama der unterschiedlichen Lebensentwürfe von Menschen in der großen Stadt gelesen. So verschieden die Menschen sind, die einem hier begegnen, so verschieden sind ihre Ansichten vom Leben, und so verschieden ist der Umgang mit selbigem.
Da ist zunächst Vincent, der sich wie ein Spielball von Mensch zu Mensch, von Gefühl zu Gefühl, von Welt zu Welt, treiben lässt. Da ist Lydia, eine herrlich leichtlebige Idealistin mit Hang zur Weltverbesserung. Da sind die professionell betriebene Arbeitsverweigerung eines Klaus, die romantischen Spinnereien eines Norbert oder Mirons linksintellektuelle Geschwätzigkeit. Und über allem der lachende Autor, der amüsiert die Fäden zieht und einer jeden ausgereiften Positionierung seiner Charaktere sogleich das ironische Dementi folgen lässt. Mit sichtlicher Freude spielt Kurt Kies mit alten und neuen Sprachbildern, die für so manchen überraschenden Aha-Effekt am Rande sorgen. So lernt der Leser ganz nebenbei, dass auch ein Schuss in den Ofen ja irgendwie ins Schwarze trifft, oder dass schon so mancher im Toten Meer seiner beruflichen Ambitionen vor lauter Bequemlichkeit das Paddeln verlernte. Hin und wieder fragte ich mich beim Lesen, ob nicht die Schönheit der Sprachbilder besser zur Geltung käme, wenn deren überbordende Fülle reduziert und sie wie in einer Ausstellung sparsam platziert würden. Stattdessen schaut man bei Kurt Kies eher in die übervolle Werkstatt des Sprachkünstlers, der seinen Ideenreichtum einfach nicht zügeln kann. Aber was soll’s. Auch der Autor ist in dieser Hinsicht eben ganz „Homo Ludens“. Und mal ehrlich: Ein schönes Spielzimmer – das weiß jedes Kind – darf alles sein, nur nicht aufgeräumt.

Andreas Trebesius

Kurt Kies: Homo Ludens, NOEL-Verlag, Oberhausen, 2013, 104 Seiten, 16,90 Euro.
Andreas Trebesius, Jahrgang 1979, studierte Evangelische Theologie sowie Altphilologie und unterrichtet an einem Gymnasium Religion und Latein; er lebt in Leipzig.

Blätter aktuell

Obwohl die Europäische Union im Wahlkampf kaum eine Rolle spielte, kann von einer Beruhigung der Lage nicht die Rede sein. Stattdessen stehen bereits die nächsten Kreditanfragen aus Griechenland im Raum. Doch während etwa Wolfgang Streeck in der vorangegangenen Ausgabe der Blätter die gesamte Währungsunion in Frage stellt, hält der österreichische Ökonom Stephan Schulmeister die Euroabwicklung für einen katastrophalen Fehler. Sie würde Europa in einen Währungskrieg stürzen – und damit in eine globale Depression.
Whistleblowing, der gezielte Geheimnisverrat zum Zwecke des Gemeinwohls, ist rechtlich hoch umstritten. Andreas Fischer-Lescano, Staatsrechtler an der Universität Bremen, plädiert für eine erweiterte Rechtmäßigkeit derartigen Handelns. Denn andernfalls verwandle sich die herkömmliche juristische Abwägung in einen Anschlag auf die Menschenrechte.
Der „Marsch durch die Institutionen“ beförderte einst die Ökologiebewegung in die Parlamente. Reinhard Loske, Professor für Nachhaltigkeit und Transformationsdynamik, zeichnet nach, wie aus einer Bewegung der Engagierten eine Politik der Experten, wie aus einer abwehrenden eine gestaltende Kraft wurde. Doch trotz dieser Erfolgsgeschichte hat ein grundlegender gesellschaftlicher Bewusstseinswandel nicht stattgefunden: Noch immer begegnet die Politik partizipationswilligen Bürgern mit Misstrauen. Dazu weitere Beiträge – unter anderem zu diesen Themen: „Literatur und Politik: Die brasilianische Melange“, „Putins Nahost-Offensive“ sowie „Handelsschlager Kriegsmarine“.

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Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, Oktober 2013, Einzelpreis: 9,50 Euro, Jahresabonnement: 79,80 Euro (Schüler & Studenten: 62,40 Euro). Weitere Informationen im Internet: www.blaetter.de

Eine magische Melange für die dritte Jahreszeit

Dreizehn 3-Minuten-Stücke, eines davon mit dem passenden Titel „three minute song“, beinhaltet die CD „Favorite Sin“, das dritte Album des Duos Carolin No. Und den beiden Musikern Caro und Andi Obieglo (sie sind nicht nur musikalische Partner!) ist ein erfrischendes Musikwerk gelungen, das durch die klare Stimme von Caro wie durch die multi-instrumentellen Fähigkeiten von Andi besticht.
Bei ihren selbst geschriebenen Pop-Miniaturen beweisen sie auch kompositorisches Geschick und Kreativität. Fast jedes Lied überrascht mit einem besonderen Intro oder Outro. Melancholische Balladen, Country-, Blues-, Elektro- und Gospelanklänge finden sich zu einer magischen Melange zusammen. Und vielleicht ist es gerade die dritte Jahreszeit, der Herbst, welcher diesen facettenreichen Stücken am ehesten entspricht?
Pikanterweise läuten die beiden Carolin No-Musiker mit diesem Album auch einen Rückzug ein, denn sie verlassen Berlin und kehren zurück in die unterfränkische Provinz. Aber es mag auch nur eine großstädtisch genormte Brille sein, die mit diesem Wohnortwechsel einen Rückzug assoziiert. Ihre Musik hat jedenfalls beileibe nicht das Flair provinziellen Miefs. Carolin No liefert den beschwingten Soundtrack zu mancher Liebesromanze, wobei Lebenslust und Liebesfrust oft nahe beieinander liegen. Ihr klangpoetisches Potential macht sie zu musikalischen Hoffnungsträgern, die nicht als geklonte Dutzendware in den Seichtgebieten der Hitparaden enden.

Thomas Rüger

Carolin No: Favorite Sin, Fuego Musik 2013, 19,99 Euro.

Aus anderen Quellen

„Fünf Jahre sind seit dem Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers am 15. September 2008 vergangen. Die Legitimität des Kapitalismus als Gesellschaftsordnung wurde dadurch schwer beschädigt. […] Die große Wende aber ist ausgeblieben, die Kritik hat das System nicht ins Wanken gebracht“, schreibt Serge Halimi, Direktor von Le Monde diplomatique, und fährt fort: „Die Kosten der Krise wurden einfach durch die Abschaffung diverser sozialer Errungenschaften, die man dem Kapitalismus einst abgerungen hatte, finanziert. […] Das System funktioniert weiter, inzwischen sogar wieder per Autopilot. Für seine Gegner ist das eher peinlich. Wie konnte das geschehen? Und was muss geschehen?“ Serge Halimi: Die Rückeroberung der Politik, Le Monde diplomatique, 11.10.2013. Zum Volltext hier klicken.

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„Auch wenn die Erkenntnis banal anmuten mag, kann man sie nicht oft genug wiederholen: Es gibt keine einfachen Lösungen für Syrien. Möglicherweise gibt es auf Jahre hinaus keine Lösungen, weil die Fronten viel zu unübersichtlich geworden sind und zu viele Akteure an der (Selbst-)Zerstörung des Landes mitwirken“, meint Michael Lüders und gibt einen ebenso kompetenten wie kompakten Überblick über Entwicklung, Akteure und gegenwärtige Lage im Konflikt in und um Syrien – „Zeitgeschichte aus Absurdistan“. Michael Lüders: Syrische Zeitenwende?, Blätter für deutsche und internationale Politik 10/2013. Zum Volltext hier klicken.

Großplatztauben

von Joachim Ringelnatz

Auf großen Plätzen in den Städten
Mästen sich Taubenschwärme.
Es gehen knurrend manchmal Gedärme
Vorbei, die nur ein solch Federvieh
Gar zu gern und gebraten hätten.

Man erziehe rechtzeitig sein Kind
Zu der Liebe zu allen Tieren.
Kinder, die schön angezogen sind,
Sollen mit reichgekleideten Müttern
Tauben öffentlich hätscheln und füttern
Und sich dabei
Neckisch und lieblich photographieren
Lassen. – Spatzen sind vogelfrei.

Ich habe vor markusplatzigen Tauben
Etwas Angst wegen meines Hutes.
Ich kann mir nicht viele Hüte erlauben.
Ich wünsche den Photographen nur Gutes
Und den Müttern auf der Parade –
Nicht ihrem Kind –
All das, wofür meine Hüte zu schade
Sind.