Schein als Meditation
Der bekannteste Schein, den wir kennen, ist der Geldschein. Betrachten wir ihn näher. Welche Kraft hat er? Nun, er hat die Energie, die wir ihm verleihen. Die Kraft zu kaufen, sprechen wir ihm zu, und als Verkäufer und Käufer halten wir uns daran, akzeptieren diese Potenz als seine. Wir wissen, was wir gar nicht zu denken brauchen. Unsere Zueignungen sind Folge und Resultat des Fetischs, den wir uns angeeignet haben. Ohne ihn geht nichts. Unsere Kraft ist unsere Kaufkraft, unser Vermögen unser Geldvermögen. So leben wir, und so erleben wir uns.
Der Geldschein vor uns ist eben kein Fetzen Papier, auch wenn er nichts anderes ist. Er ist das zentrale Mittel, das Medium unseres Daseins. Er erst macht möglich, was wir auch so bewerkstelligen könnten, aber ohne Dienst am Fetisch uns nicht zugestehen dürfen, da es weder obligat noch zulässig ist, ohne seinen Beistand über unsere Leistungen und Produkte frei zu verfügen.
Derweil, der Fetisch ist, was die Produktion betrifft, nicht nötig – er ist kein Rohstoff, kein Werkzeug, keine Tätigkeit, keine Fertigkeit; er ist auch nicht nötig zur Distribution – er ist kein Lastkraftwagen, keine Lagerhalle, keine Logistik; er ist auch nicht nötig zur Konsumtion – er ist keine Speise, kein Getränk, kein Gusto, kein Genießen, keine Geselligkeit. – Wozu also? Trotzdem beherrscht dieses Nichts alles. Trotzdem sitzt dieses Nichts tief in uns, ist nicht aufgesetzt, sondern unablösbar, eingebettet, verhaftet allen Erlebnissen wie Ergebnissen. Der Fetisch ist nichts, aber er kann alles: Er baut Gebäude und Straßen, erntet Felder und Gärten, transportiert Kühlschränke und Waschmaschinen, montiert Heizungen und WC-Anlagen, pflegt Alte und versorgt Kinder. Ohne Fetisch ginge das doch alles nicht! – Oder? Täglich beweist er uns, was er alles kann und dass wir ohne ihn nichts können. Vor solcher Macht muss man sich verneigen. Tief bückt man sich und erweist ihm die Ehre, indem man fast alles über ihn und nicht ohne ihn erledigt. – Warum?
Franz Schandl, Wien
Kurze Notiz zu Bad Dürrenberg
Bad Dürrenberg hat ein Gradierwerk und sonst nichts. Das ist traurig, aber nicht zu sehr, denn andere Städte im Umkreis – nennen wir Leuna – haben noch weniger, also gar nichts.
An den üblichen Wochenenden lässt es sich in aller Ruhe durch „Dörrnberch“ schlendern, entlang der Saale vielleicht oder durch den höher gelegenen Kurpark. Im Restaurant Altes Badehaus prangen Audrey Hepburn und Kollegen nicht ganz stilecht neben ländlichen Küchengeräten an einer Wand, deren Farbe mit dem Kupferglanz der Tiegel und Backformen dafür umso mehr harmoniert. Dass hier insgesamt eher ländlich als Hollywood vorherrscht, beweist die Kellnerin, die duzend und mit mütterlichem Wohlwollen serviert. Aber die Mütterlichkeit kommt von keiner lieben, guten Matrone, sondern von einer halben Raucherleiche mit kaltem Aschgeruch. Und es gibt hier auch nur wenig Kuchen, noch weniger Gäste, trotzdem die Kellnerin versichert, dass welche da seien. Nur eben gerade zur Kaffeezeit nicht im Café. Man flaniere wohl lieber durch die Kuranlage, die sich aber auch als menschenleer erweist, wenngleich das hier nicht stört.
Zum Glück hat ja Bad Dürrenberg sein Gradierwerk! Wo sonst – eben an den üblichen Wochenenden – verträumt Salzluft inhaliert werden kann, findet einmal im Jahr das Brunnenfest statt. Seit 250 Jahren inzwischen. Zum diesjährigen Jubiläum haben sich die Veranstalter etwas ganz Besonderes einfallen lassen: Eintrittsgelder.
Denn das ist ja ein ganz hässlicher Trend hier im Land: Die Merseburger Schlossfestspiele, das Naumburger Kirschfest, das Querfurter Burgfest, das Bad Lauchstädter Brunnenfest und nun auch das Bad Dürrenberger: Alle Volksfeste in der Region sind plötzlich kostenpflichtig. Um die Qualität der Veranstaltung zu gewährleisten, sagen die Städte und reiben sich die Hände. Und um das Ganze überhaupt zu finanzieren. Zum Beispiel die Kassenhäuschen an den Zugängen zum Kurpark.
Armes Deutschland, wenn Volksfeste schon so flächendeckend zu Volkswirtschaftsfesten werden! Armes Bad Dürrenberg, dass die Fressbuden und – noch schlimmer – die Handtaschen, Herrenschuhe und Fensterreiniger trotzdem Zugang zum qualitätsgesicherten Brunnenfest gefunden haben! Am Gradierwerk stinkt es heute nach Klostein und lackiertem Kunstleder, Plüschhunde wackeln mit dem batteriebetriebenen Kopf. Auch Kittelschürzen gibt es hier.
Aber reißen wir uns zusammen, suchen wir nicht die Nadel im Heuhaufen: Was also hat das Brunnenfest, was hat Bad Dürrenberg heute zu bieten? Einen Aufmarsch der gewesenen Bergarbeiter aus Zielitz bei Magdeburg. Das Dauerwerbeprogramm einer Laienspielgruppe aus Weißenfels. Sächsische Kanoniere aus dem Dreißigjährigen Krieg ohne Kanone. Ritter, die sich ohne Schwerter verhauen. Eine Country-Band.
Und der Brunnen? Und Bad Dürrenberg? Die gibt es heute nicht, auf dem 250. Brunnenfest in Bad Dürrenberg, das ja nur ein Gradierwerk hat und eben nur das (als Kulisse) zum Fest beisteuern kann.
Thomas Zimmermann
Erziehungsschäden*
„Wenn ich es bedenke, so muß ich sagen, daß mir meine Erziehung in mancher Richtung sehr geschadet hat. Dieser Vorwurf trifft eine Menge Leute, nämlich meine Eltern, einige Verwandte, einzelne Besucher unseres Hauses, verschiedene Schriftsteller, eine ganz bestimmte Köchin, die mich ein Jahr lang zur Schule führte, einen Haufen Lehrer (die ich in meiner Erinnerung eng zusammendrücken muß, sonst entfällt mir hie und da einer, da ich sie aber so zusammengedrängt habe, bröckelt wieder das Ganze stellenweise ab), einen Schulinspektor, langsam gehende Passanten, kurz, dieser Vorwurf windet sich wie ein Dolch durch die Gesellschaft und keiner, ich wiederhole, leider keiner ist dessen sicher, daß die Dolchspitze nicht einmal plötzlich vorn, hinten oder seitwärts erscheint. Auf diesen Vorwurf will ich keine Widerrede hören, da ich schon zu viele gehört habe und da ich von den meisten Widerreden auch widerlegt worden bin, beziehe ich diese Widerreden mit in meinen Vorwurf und erkläre nun, meine Erziehung und diese Widerlegung haben mir in mancherlei Richtung sehr geschadet.“
*Aus: Franz Kafka, das Tagebuch. (Titel – die Redaktion.)
Blätter aktuell
Jahrelang hatten Studien wie die der Harvard-Ökonomen Carmen Reinhard und Kenneth Rogoff die Politik des Sparens angeblich wasserdicht abgesichert. Doch über Nacht stürzten die neoliberalen „Lehrgebäude“ in sich zusammen. Trotzdem, so der Vorwurf des Wirtschaftsnobelpreisträgers Paul Krugman, halten die politischen Verantwortlichen, an ihrer Spitze Angela Merkel, krampfhaft am Austeritätskurs fest: Schulden gehören abgebaut. Doch hinter dieser Lehre verberge sich in Wahrheit keine Wissenschaft, sondern eine verheerende Moralisierung der Ökonomie. Lange Zeit wurde marxistische Kapitalismuskritik in der Bundesrepublik kaum zur Kenntnis genommen. Durch die jüngsten Beiträge Wolfgang Streecks, auch in den Blättern, hat sich das offenbar geändert. Michael Brie, Direktor des Instituts für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung, verweist jedoch auf die Leerstellen und Versäumnisse der Streeckschen Analyse: Wo der Blick auf politische Akteure, ihre Widersprüche und Bündnismöglichkeiten gefragt wäre, herrscht ein falscher Dualismus zwischen „Staats-“ und „Marktvolk.“ Vorbei ist die Zeit, in der sich die deutsche Außenpolitik durch bewusste Zurückhaltung auszeichnete, auch bei den Rüstungsexporten. Immer lauter wird der Ruf der westlichen Partner, Deutschland solle international größere Verantwortung übernehmen. Leider, so die Historikerin Corinna Hauswedell, versäumt die Bundesregierung hier ihre große Chance, als Friedensförderer voranzugehen. Stattdessen bestimmen mehr und mehr sicherheitspolitische und wirtschaftliche Kalküle das deutsche Handeln. Dazu weitere Beiträge – unter anderem zu folgenden Themen: „Warum wir eine neue Russlandpolitik brauchen“, „Argentinien und das schwierige Erbe der deutschen Diplomatie“, „George W. Obama: Das Ende einer Hoffnung“ sowie „Iran: Der lila-grüne Sieg“.
am
Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, Juli 2013, Einzelpreis: 9,50 Euro, Jahresabonnement: 79,80 Euro (Schüler & Studenten: 62,40 Euro). Weitere Informationen im Internet: www.blaetter.de
45 Jahre Atomwaffensperrvertrag
Am 1. Juli 2013 jährte sich die Unterzeichnung des Vertrages über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NVV; englisch: Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons, kurz Non-Proliferation Treaty oder NPT), auch Atomwaffensperrvertrag genannt, zum 45. Mal. Der Vertrag, seine Stärken und Schwächen waren in den vergangenen Jahren wiederholt Gegenstand im Blättchen. Grundsätzliches findet sich dabei vor allem in folgenden Beiträgen:
– Der Iran, Libyen und die Bombe;
– Bollwerk mit Löchern;
– Atomwaffensperrvertrag;
– Über den Rubikon;
– „… hinten, weit, in der Türkei“: Pakistan – die etwas andere Atommacht (dort vor allem der letzte Abschnitt: „Rüstungsbegrenzung? Abrüstung? – Trübe Aussichten“).
Alfons Markuske
Kurze Notiz zu Raguhn-Jeßnitz und anderen Kopfgeburten
Raguhn ist eine kleine Stadt bei Bitterfeld. Und wie in so vielen kleinen Städten scheint auch hier die Zeit stehengeblieben zu sein. Es gibt eine Kirche zu besichtigen, ein Kriegerdenkmal zum Weltkrieg – dem ersten und, wie in Raguhn scheint, noch einzigen – und einen berühmtesten Sohn der Stadt: Paul Krause – gewöhnlicher lässt es sich fast nicht mehr heißen – saß knapp drei Jahre für die NSDAP im Reichstag. Und dann gibt es auch schon wieder ein Ortsausgangsschild, das auf sachsen-anhaltische Weiten verweist. Damit endet Raguhn.
Allerdings – Raguhn war einmal, denn inzwischen gehört es zu Raguhn-Jeßnitz, einer der vielen neuen und namentlich sperrigen Kleinstädte in Sachsen-Anhalt. Auch noch im Kreis Anhalt-Bitterfeld gelegen, der gleichfalls am Reißbrett brillanter Politiker aus Magdeburg geschaffen wurde.
Nun ist ja fast schon nebensächlich, dass durch die Magdeburger ein Großteil der Landesfläche zum Stadtgebiet erklärt wurde: Jede vierte der hundert (flächenmäßig) größten Städte Deutschlands befindet sich seit der letzten Gemeindegebietsreform in Sachsen-Anhalt. Gardelegen, Möckern und Zerbst sind größer als Köln. Einzeln, wohlgemerkt! Bei einer (gemeinsamen!) Gesamtbevölkerung, die keinen fünf Prozent der kölnischen ausmacht. Nun gut …
Auch soll es den Verantwortlichen durchgegangen lassen sein, dass die neuen Städte keine stadttypischen Eigenheiten (Marktplatz, Rathaus, zusammenhängende Bebauung), dafür umso mehr Wiesen und Ackerland aufweisen: In einem traditionsarmen, zusammengewürfelten Bundesland wie Sachsen-Anhalt spielen solche Bedenken nur eine untergeordnete Rolle. Wer mit diesem (dem Namen nach) neusten Bundesland hadert, kann auch mit seiner neusten Stadt hadern. Das fällt dann nicht mehr ins Gewicht.
So denkt das Regierungsviertel in Magdeburg. Und wirft nach Belieben Städte zusammen – besonders pittoresk: Oberharz am Brocken liegt weder im Oberharz noch am Brocken. Südliches Anhalt liegt südlich von Anhalt. Immerhin knapp daneben. Das Schlimmste aber sind die sperrigen Doppelnamen, die mit minimaler Rücksicht auf die Bewohner und mit überhaupt keiner Rücksicht auf Durchreisende gefunden worden sind. Dessau-Roßlau und Bitterfeld-Wolfen (beide 2007 erschaffen) sind da noch sprachlich tragbare Modelle. Aber Sandersdorf-Brehna (2009) und Wanzleben-Börde (2010) fordern schon einiges mehr an Zungenfertigkeit. Meine Favoriten (oh, die Auswahl fiel schwer!) lauten:
1. Oebisfelde-Weferlingen (2010), weil einfach unmöglich zu behalten, vor allem nicht beim Vorbeifahren. 2. Zahna-Elster (2011), weil hier 18 Dörfer als Stadt immer noch nicht auf 10.000 Einwohner kommen. 3. Wettin-Löbejün (2011), weil Magdeburg die Dorfgemeinschaft ursprünglich als Löbejün-Wettin verstädtern wollte, der neue Stadtrat aber die Umkehrung des Doppelnamens beschloss. Was die Landespolitiker in zehnjähriger Planung erfanden, wurde hier auf kommunaler Ebene in nur 90 Tagen gekippt. Man denke an all das Briefpapier und die Stempel, die zweimal in so kurzer Zeit geändert werden mussten. (Der Länderfinanzausgleich soll Tränen vergossen haben.)). Und schließlich wieder Raguhn in Raguhn-Jeßnitz. Bei Jeßnitz in Raguhn-Jeßnitz, beides bei Bitterfeld in Bitterfeld-Wolfen in Anhalt-Bitterfeld (was bis 2007 noch nie zusammengehörte) in Sachsen-Anhalt (das vor 1947 namentlich nie gab und in dieser Form erst seit 1992 gibt). Eine junge Stadt im jungen Kreis im jungen Land. Eigentlich schön, wären da nicht all diese Äcker inmitten der City …
Thomas Zimmermann
Medien-Mosaik
Noch trinkt die Welt zu wenig Rum. Darum hat sich die Firma Havana Club entschlossen, einen Film zu sponsern, der die Stadt Havanna und ihre Getränke feiert. Sieben international bekannte Regisseure wurden mit Episoden beauftragt, in denen Geschichten jeweils eines Tages erzählt werden. Der dabei entstandene Film „7 Tage Havanna“ hat naturgemäß stärkere und schwächere Seiten. Die Folgen von Alkoholgenuss kommen ebenso drastisch wie versöhnlich in der Dienstag-Folge „Jam Session“ des Argentiniers Pablo Tropero zum Tragen, in der Emir Kusturica sich mit viel Selbstironie auf einem Filmfestival für sein Lebenswerk ehren lässt und dabei sturzbetrunken ist. Die für ihn ausgerichtete Feier lässt er sausen, um sich auf einer Jam-Session kubanischer Musik hinzugeben.
Viele verschiedene Gesichter Havannas werden in dem Film gezeigt, Themen wie Prostitution, politische Indoktrination, Flucht vor ärmlichen Lebensverhältnissen, religiöse Verblendung werden angetippt, aber das meiste bleibt an der Oberfläche. Schließlich soll der Film unterhalten. Die Mittwoch-Episode „Cecilias Versuchung“ mit Melvis Estévez und Daniel Brühl ist sicherlich die berührendste. Der Spanier Julio Medem zeigt eine junge Sängerin im Zwiespalt zwischen Karrierewunsch und Heimatliebe. Am anstrengendsten ist die letzte Episode des Franzosen Laurent Cantet, in der eine religiöse Fanatikerin die gesamte Nachbarschaft für ihre Sache einspannt. Nach dem blutigen Laienspiel braucht man erst mal einen Rum!
7 Tage in Havanna, Filmverleih: Alamode, ab 11. Juli in ausgewählten Kinos.
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Von Torsten Schulz´ neuem Roman „Nilowsky“ sollte schleunigst eine spanische Übersetzung angefertigt werden, damit Gabriel Garcia Márquez ihn lesen kann. Dann wird der Meister feststellen, dass der Magische Realismus, den er in Lateinamerika zur Blüte trieb, nun wieder deutlich an den Ausgangspunkt Europa zurückgekehrt ist. Schulz erzählt von einer ungleichen, fast ambivalenten Freundschaft unter Heranwachsenden. Markus Bäcker bewundert den wenige Jahre älteren Reiner Nilowsky für dessen Konsequenz in der Lebensplanung, ehe er merkt, dass Nilowsky selbst ein unsicherer Mensch ist.
Einige Motive, die wir schon aus Torsten Schulz´ verfilmtem Buch „Boxhagener Platz“ kennen, kehren hier wieder. Da sind alte Damen mit Geheimnissen, die Kneipe „Feuermelder“ ist jetzt das „Bahndamm-Eck“, wieder geht man auf Friedhöfe, und es gibt mysteriöse Todesfälle. Der Kampf für eine bessere Welt, damals durch einen alten Frontkämpfer verkörpert, hat jetzt seine Entsprechung in einer Gruppe mosambikanischer Gastarbeiter. Voodoo-Zauber und seltsame Riten bestimmen die Tage, die keine Alltage mehr sind. Zwischen den beiden Jungen steht Carola, aus der ein Kirsch-Setzling wächst. Vieles scheint Traum und ist doch deutlich und realistisch am Ostberliner Stadtrand in den späten siebziger Jahren angesiedelt: ein DDR-Roman, in dem die DDR nicht die Hauptrolle spielt. Übrigens – in der Sprachgestaltung hat sich der ehemalige Drehbuchautor Schulz selbst übertroffen!
Torsten Schulz: Nilowsky, Klett-Cotta, Stuttgart 2013, 285 Seiten, Print: 19,95 Euro, E-Book: 15,99 Euro.
bebe
Ein Luxuseinkauf
Grade habe ich wieder mal zwei Bücher gekauft, ich brauchte Geschenke. Ordentliche Hardcoverausstattung, mittlere Seitenanzahl. Kosten: 39,98 Euro. Was – nur ganz, ganz leicht aufgerundet – 80 DM entspricht. Man muss sich den Irrsinn immer mal wieder vor Augen halten, den uns die Euro-Umstellung (nicht zwingend der Euro selbst) beschert hat.
Neu ist das nicht, ich weiß. Sogar schon ziemlich alt, wenn ich an Kurt Tucholskys öffentlichen Brief an seinen Verleger Ernst Rowolth aus dem Jahr 1932 denke:
Avis an meinen Verleger
Von allen Leser-Briefen, lieber Meister Rowohlt, scheint mir dieser hier der allerschönste zu sein. Er stammt von einem Oberrealschüler aus Nürnberg.
„Lieber Herr Tucholsky!
Erlauben Sie mir, dass ich Ihnen zu Ihren Werken meine vollste Anerkennung ausspreche. Das wird Ihnen zwar gleichgültig sein – aber ich möchte doch noch eine weitere Bemerkung hinzufügen. Hoffentlich sterben Sie recht bald, damit Ihre Bücher billiger werden (so wie Goethe zum Beispiel). Ihr letztes Buch ist wieder so teuer, dass man es sich nicht kaufen kann.
Gruß!“
Da hast es.
Lieber Meister Rowohlt, liebe Herren Verleger! Macht unsre Bücher billiger! Macht unsre Bücher billiger! Macht unsre Bücher billiger!
Kurt Tucholsky
(Die Weltbühne, 9/1932)
Schlimm war der inkriminierte Umstand damals, wie er es heute ist. Heute aber wohl umso mehr, als das, was als gedrucktes Kulturwerk (was bei weitem nicht auf alles in Buchdeckel Gepresste zutrifft) gelten darf, immer mehr nur noch Finanzkräftigen zugänglich ist. Für den dämlichen Rest gibt´s die Groschenhefte – und selbst für die müssen heute ganze Euronen hingeblättert werden.
HWK
Aus anderen Quellen
Die NSA und ihre britischen Juniorpartner spionieren die Welt aus, der BND hängt auch irgendwie mit drin, und bisweilen erweckt der ganze Medienhype um den Skandal den Eindruck, als passiere das alles erst seit gestern oder vielleicht allenfalls seit 9/11. Dieser Eindruck, wo er besteht, täuscht allerdings bei weitem. Vergleichbares – natürlich immer mit den technisch verfügbaren Mitteln der Zeit – reicht bis in die zweite Hälfte der 1940er Jahre zurück: „Am 5. September 2012 so Georg Mascolo in einem ausführlichen Beitrag zur aktuellen Affäre, „legte ein Sonderausschuss des Europäischen Parlaments seinen Untersuchungsbericht vor. Ein Jahr lang waren die Abgeordneten Hinweisen nachgegangen, dass ein weltumspannendes Abhörnetz existierte. Der Abschlussbericht ließ dann keinen Zweifel daran: Echelon‘, so der Name dieses Abhörnetzes, funktioniere wie ein gigantischer Staubsauger, der Telefonate, Mails und Kommunikation aller Art abfange. Dieses Programm spioniere die Welt aus, betrieben von einer Allianz aus Amerika, Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland. Und dieses Bündnis existiere seit dem Zweiten Weltkrieg.“
US-offiziell wird das Ganze im aktuellen Geschehen mit Erfolgen im Kampf gegen den Terrorismus gerechtfertigt. Aber Kritiker wie der amerikanische Verfassungsjurist David Cole meinen, „der größte Ertrag“ bestehe darin, „dass man eine Spende nach Somalia aufdeckt“ habe, berichtet Nicolas Richter aus Washington.
Georg Mascolo: Die Außenwelt der Innenwelt, FAZ, 25.06.2013. Zum Volltext hier klicken.
Nicolas Richter: Spähprogramm Prism Das neue Gold des US-Geheimdienstes, Süddeutsche Zeitung, 22. Juni 2013. Zum Volltext hier klicken.
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Es soll ja immer noch Menschen geben, die in deutschen Großstädten ein- oder umziehen wollen, weil sie nicht ahnen, was Ihnen dabei oder eigentlich bereits nur bei der Suche nach einer Bleibe, die ihren Vorstellungen entspricht, widerfahren kann, ja wird. Was Stefanie Zenkes Frontbericht aus Stuttgart (Zwischentitel: „Jedes Wochenende eine neue Besichtigung“, „Langsam droht der Koller“, „Und dann wird die Suche auch noch kriminell“.) läuft letztlich auf eine aktuelle Beweisführung für Zilles vor rund 100 Jahren getroffene Feststellung hinaus, dass man einen Menschen mit einer Wohnung erschlagen könne wie mit einer Axt.
Stefanie Zenke, Erstmal Kehrwochentest, Stuttgarter Zeitung, 02.06.2013. Zum Volltext hier klicken.
Amerikanische Vorherrschaft
„Als ich mich 1986 zu einem Gespräch mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten Gert Weisskirchen im Bonner Abgeordnetensilo ‚Der lange Eugen’ traf, eröffnete er das Gespräch lächelnd mit dem Satz: In diesem Haus hören entsprechend einer alliierten Vereinbarung die wichtigsten Geheimdienste der Welt alles mit. Das Protokollarische also hier, alles andere dann woanders. Ich muss ziemlich dumm geschaut haben, er ergänzte augenzwinkernd: Das kennen Sie doch auch aus Berlin.“1Die Empörung in der europäischen Politik ist inszeniert. Ein Teil der westeuropäischen Politiker fühlt sich heute stark genug, die amerikanische Vorherrschaft, der sie seit mehr als 65 Jahren gedient haben, zu beenden. Edward Snowden hat nur einen willkommenen Anlass geliefert.
Paul Lerner
- Dietmar Keller: In den Mühlen der Ebene. Unzeitgemäße Erinnerungen, Berlin 2012, Seite 95. ↑
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