13. Jahrgang | Nummer 8 | 26. April 2010

BEMERKUNGEN

Zweifelsfälle

In einem Kreise Sachsens, so berichtet die Presse, ist die Zahl der Selbstmorde besonders hoch. Es waren in einem Jahr 26 solcher Weltfluchten auf 1000 Einwohner. Andersherum, in dieser Gegend haben nur 974 von 1000 am Leben bleiben wollen. Fachleute, die es für die Untersuchung solcher Vorgänge gibt, forschen nach den Ursachen, haben aber Schwierigkeiten, ein Ergebnis zu finden, weil neun von den Dahinscheidenden so ungezogen sind, keinen Abschiedsbrief zu hinterlassen, und so die Aufklärung behindern. Auch ohne solche Dokumentation fällt auf, daß unter den Ausgeschiedenen keine Prominenten sind. Diese ziehen, wenn sie am Ende mit ihrem Latein sind, eine andere Art der Seelenwanderung vor. Gekippte Regierungsmitglieder treten ordentliche Posten bei Unternehmen an, denen sie zu Amtszeiten Gutes getan haben. Oder, wenn sie weiblichen Geschlechts sind, tanzen sie im Fernsehen. Oder sie verzehren schlicht und einfach eine hohe Pension. Wenn sie tüchtig sind, kumulieren sie das. Pleitebosse nähren sich von ihrem Vermögen. Sportler, die in der Wirtschaft nicht so vernetzt sind, fabrizieren vor der Hoteltoilette zwischen mehreren Ehen ein außereheliches Kind und lassen über jedes Ereignis die Presse gegen Entgelt berichten. Warum Leute ohne Bekanntheitsgrad wie Arbeits- oder Obdachlose das anders halten und weder in Aufsichtsräte wechseln noch ihre Aktien verwerten noch außereheliche Kinder zeugen und die Medien daran teilhaben lassen? Man kommt nicht dahinter. Das haben sie sich selbst zuzuschreiben. Weil sie keine Abschiedsbriefe hinterlassen.

Günter Krone

Kritische Menschen

Wenn so um die fünf Millionen Bundesbürger von einem robusten Arbeitsmarkt vom Arbeitsmann zum Leistungsbezieher befördert werden, dann kann man journalistisch Menschlichkeit für die Opfer einfordern, oder sich mit den leistungstragenden Schöpfern von Leistungsbeziehern anlegen.

Option 1

ähnelt aber sehr der nicht so ganz kompetenten Übernahme des Seelsorgerstandpunktes, während auch, und erst recht,

Option 2

von meiner Mutter seit des seligen Adolfs Zeiten konsequent verworfen wird.

Ich fürchte, meine Mutter steht auch mit ihrer

Option 3,

nämlich in der Frage der selbstverschuldeten, unnützen Fresser, denen es viel zu gut geht, nicht allein da. Ihr „hat nämlich auch keiner was geschenkt…!“

Von dieser Mentalität wird also Tag für Tag die Welt auf den Prüfstand gestellt, ob sie denn Talent zur Anständigkeit habe, also von 1 bis 3 an den Leuten herumgenörgelt.

Und zwar vom allzeit standhaft moralischen Standpunkt ihrer Herren aus.

Es gäbe eine ungeläufige,

4. Sorte Kritik,

die darauf hinwiese, daß nicht trotz der erfolgreichen Bereinigung von Verwertungshindernissen auf dem Kapitalsektor, merkwürdigerweise die Arbeitslosenzahl zugenommen habe und zunehmen werde, sondern schlicht

WEGEN.

Christian Klotz

Verluderter Journalismus

Unlängst konstatierte Christian Bommarius – ein ebenso wacher wie scharfzüngiger Beobachter und Kommentator der Zeitläufte hierzulande – in der Berliner Zeitung: „Es gibt keine Krise der Medien, nur eine Krise des Journalismus. Ihr Erkennungsmerkmal ist die Hartnäckigkeit, mit der die Erstere beklagt und die Letztere beschwiegen wird.“ Auch wenn man nicht unbedingt der Meinung sein muß, daß ausgerechnet eines der Flaggschiffe des sich selbst gern als investigativ gerierenden Journalismus in der Bundesrepublik die meisten Lügen im Land verbreitet (siehe: dazu: http://www.perspektive2010.org/blog/2010/04/07/wer-verbreitet-die-meisten-luegen-im-land/), dürfte Bommarius im Hinblick auf den Journalismus im Allgemeinen keineswegs übertrieben haben. Da muß man – aus der jüngsten Zeit – nur an die Causa Margot Käßmann denken: Die kritische Bischöfin hatte ihr Fehlverhalten im Straßenverkehr natürlich selbst verschuldet und zu verantworten, aber politisch zur Strecke gebracht wurde sie in erster Linie von den Medien.

Gern wird im Zusammenhang mit der behaupteten Krise der klassischen Medien auf das Internet als deren akute, existenzgefährdende Bedrohung verwiesen. Dieser Verweis, so Bommarius weiter, „ist ebenso ubiquitär wie substanzlos“. Hingegen werde „jeder Hinweis auf den rapiden Niveauverlust des Journalismus von den Betroffenen – den Journalisten – als Rufmord abgetan, sofern der Vorwurf nicht mit dem Renditehunger der Verlage begründet, also umadressiert und damit diskutabel“ werde. Bommarius’ Fazit: „Der Journalismus leidet nicht an fehlendem Geld, sondern an fehlendem Journalismus. Und der Ernst der Lage ist daran zu erkennen, dass der Journalismus daran keineswegs zu leiden scheint. Er ist bestimmt vom zunehmenden Unvermögen, sich nicht als Dienstleistung am Kunden, sondern als Dienstleistung an der Gesellschaft zu begreifen, die auf die Leistung nicht etwa nur deshalb Anspruch hat, weil sie dafür bezahlt, sondern weil das Grundgesetz ihn ihr verschafft. Die Pressefreiheit ist nicht deshalb besonders geschützt, weil die Verfassung dem Unterhaltungsbedürfnis des Publikums entgegenkommen will und den Journalismus als förderungswürdige Sparte der Abteilung ‚Events, Fun & Entertainment’ betrachtet, sondern weil eine demokratische Gesellschaft ohne den freien Fluss relevanter Informationen, ohne deren professionelle Aufarbeitung und kritische Kommentierung, nicht bestehen kann.“

Bleibt zu fragen, ob seit Karl Kraus eigentlich eine Verbesserung der Verhältnisse eingetreten ist – oder eine Verschlimmerung. Kraus hatte Veranlassung gesehen anzumerken: „Wie wird die Welt regiert und in den Krieg geführt? Diplomaten belügen Journalisten und glauben es, wenn sie’s lesen.“

Clemens Fischer

Ach, der Mixa

Ich weiß gar nicht, was dem obersten katholischen Militärbischof – nach einigem Nachdenken, das es dafür gebraucht hat – nun leid tut. Und schon gar nicht, warum er nun zurücktreten will. Wenn er seinerzeit Kinder abgewatscht hat, dann geschah dies doch immerhin in voller Übereinstimmung mit der Heiligen Schrift. Nur zum Beispiel (!): „Wer liebhat seinen Sohn, hält stets den Stock für ihn bereit, damit er sich am Ende freuen kann. Wer seinen Sohn bestraft, wird Freude an ihm haben und sich vor den Bekannten seiner rühmen können.“ Buch Sirach 30,1–2. Oder auch: „Wen der Herr liebt, den züchtigt er, wie ein Vater seinen Sohn, den er gern hat.“ Sprüche 3,12. Warum also läßt sich Katholische Kirche, zumal von jeder Menge Heiden, dermaßen in die Defensive drängen?

Wobei, Bibelfestigkeit macht stimmiges Handeln auch nicht immer leicht. Denn, nehmen wir als Beispiel wieder Mixa: Wonach hat er sich denn nun richten sollen: Nach Deuterion 21, 18-21 „Wenn ein Mann einen störrischen und widerspenstigen Sohn hat, der nicht auf die Stimme seines Vaters und seiner Mutter hört, und wenn sie ihn züchtigen und er trotzdem nicht auf sie hört, dann … sollen alle Männer der Stadt ihn steinigen und er soll sterben.“ Ober aber nach den Sprüchen 19,18 im selben Buch der Bücher: „Züchtige deinen Sohn, solange noch Hoffnung ist, doch lass dich nicht hinreißen, ihn zu töten.“

Hmm…

Aber immerhin, von Steinigungen haben Mixa und seine einschlägig agierenden Brüder ja abgesehen. Und für die Hinterbliebenen deutscher Kriegsopfer wußte er allweil auch ein tröstend Wort zu sprechen. Das sollten wir ihm nicht vergessen.

Es ist ein bißchen so wie mit dem Rückblick auf die DDR: Es war halt nicht alles schlecht…

HWK

Bildung

Bildung, Bildung, Bildung, da sind sich alle Wortschwaller einig, gilt als das Universalmittel gegen alle Übel im Staate und für den gesellschaftlichen Aufstieg. Aber das ist, wie bei den Protagonisten zu erwarten, Unsinn. Was wäre aus Heidi Klum geworden, hätte sie, statt des Laufstegs, den Bildungsweg beschritten. Sicher, sie wäre in der Lage, ganze Sätze zu formulieren, aber wer braucht das? Verona Feldbuschs Aufstieg basierte gar auf zur Schau gestellter Blödheit. Oder nehme wir Josef Fischer, dessen Bildung im Straßenkampf mit der Polizei bestand und der es bis zum Außenminister brachte, wo ihm seine Schlägerkarriere half, die ersten Luftschläge seit 1945 gegen ein anderes Land voranzutreiben. So muß nun die Botschaft lauten: Verzichte auf Bildung und schärfe deine Durchsetzungsfähigkeit, entwöhne dich aller Selbstzweifel, sei egozentrisch und dreist, dann steht einem gesellschaftlichen Aufstieg wenig entgegen.

Martin Carl

Im Palmenhain thüringischer Dichtung

Halbjährlich eine Literaturzeitschrift wie den „Palmbaum“ (Jena) zu publizieren, ist – gemessen an den Möglichkeiten, die ein Verein wie der „Palmbaum – Thüringische Literarhistorische Gesellschaft e.V.“ hat – bemerkenswert. 1993 erstmals im quartus-Verlag von Detlef Ignasiak erschienen, umfaßt jede Ausgabe seit 2005 mehr als 200 Seiten. Auch das 50. Heft wird im Editorial des Redakteurs Jens-Fietje Dwars zu Recht „ein prall gefülltes Lesebuch“ genannt. Seit fünf Jahren ist der „Palmbaum“ ferner mit einer individuellen Einbandgestaltung ausgestattet. Den Umschlag des 50. Heftes gestaltete der Zeichner Kay Voigtmann aus Gera, der sich für die Deutung des Dichterrosses Pegasus als groteskes Urviech mit Reiter entschieden hat und im Heft von Dwars zu seiner bildkünstlerischen Poetik befragt wird.

Die 50. Ausgabe des „Palmbaum“ ist Anlaß genug, sich selbst zu feiern. Und zwar mit Texten von 50 Schriftstellern, die dem Periodikum verbunden sind. Viele Generationen und Genres sind hier vertreten. Die Spanne der Autoren, die gratulieren, reicht von Christoph Dieckmann (der einen kleinen Essay über Robert Enke, welcher beim FC Carl Zeiss Jena das Torhüter-Handwerk lernte) über Ingo Schulze (der mit einem Interview über Nutzen und Nachteile privatwirtschaftlicher Kulturförderung Auskunft gibt) bis hin zu Lutz Seiler (der ein Widmungsgedicht auf Einar Schleef beisteuerte). Zahlreiche weitere bekannte Namen sind darunter: Antje Babendererde, Matthias Biskupek, Wolfgang Haak, Landolf Scherzer etwa.

Bei aller Fülle fällt auf, daß einer der wichtigsten Autoren in Thüringen fehlt: Wulf Kirsten ist in dieser ansonsten so überaus vielfältigen Sammlung leider nicht vertreten. Ein schönes Zeichen wäre es auch gewesen, wenn man sich hätte entschließen können, einen Text aus dem literarischen Nachlaß der im Januar verstorbenen Gisela Kraft aufzunehmen. Als Ausgleich dafür findet sich ein sensibler literarischer Nachruf auf die Dichterin von Nancy Hünger.

Am Ende steht eine Kurz-Bibliographie der Ausgaben 1 bis 49. Und am Anfang des Jubiläumsheftes ist ein Grußwort der Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht zu lesen, in dem es u.a. heißt: „Die Thüringer Landesregierung unterstützt den Palmbaum e.V. gerne. (…) Die Koalitionspartner werden die Förderung der Literatur (…) weiter ausbauen.“ Die Autoren und Leser im Freistaat werden die Landesregierung an dieses Versprechen gern erinnern.

Palmbaum – Literarisches Journal aus Thüringen. Heft 1/2010 = Heft 50. 216 Seiten, 7,50 Euro

Kai Agthe

Smolensk – Eyjafjallajökull

Um das gleich klarzustellen: Der Ausbruch des Eyjafjallajökull war nicht der Versuch der Isländer, nach der Bankenkrise doch noch mit der Asche rüberzukommen. Er war Teil meines Versuchs, die Terrornetzwerke Nato und Al Qaida wieder dahin zu schicken, wo Sie hingehören: In die zweite Liga des internationalen Terrorismus.

Jetzt, nachdem es schiefgegangen ist, kann ich es ja verraten. Teil eins klappte ja ganz ohne mein Zutun: Als ich auf meinem internationalen Regierungs-Aktivitäten-Scanner (RAS) mitbekam, das Präsident Kaczynski in Smolensk bei starkem Nebel ankommen würde, vertraute ich ganz darauf, daß er nicht abdrehen ließe. Vielmehr war davon auszugehen, daß  er den Piloten der Regierungsmaschine zum wiederholten Mal daran erinnern würde, daß ein polnischer Offizier keine Angst kennen dürfe. Ich brauchte da weiter gar nichts zu manipulieren. Naja, gut, die Flughöhen-Anzeige, das war ich. Ist niemandem aufgefallen. War ja auch nur minimal, und vielleicht gar nicht nötig gewesen.

Teil zwei des Planes war dann die Iceland-Connection. Ich habe von meinen isländischen Netzwerkkollegen den sowieso bevorstehenden Ausbruch des Schläfer-Vulkans Eyjafjallajökull (Wikipedia-Rating: gehört nicht zu den aktivsten Vulkanen Islands) etwas beschleunigen lassen – bloß, die haben etwas zuviel des Guten getan. Naja, Terror-Anfänger eben. Die Glanzzeiten der Wikinger (mittelalterliches Terrornetzwerk) sind eben doch schon etwas länger her. Eigentlich sollten nämlich die Regierungsmaschinen mit den Trauergästen aus aller Welt in der Luft sein, wenn die Aschewolke kommt…

Leider wieder kein vorderer Platz in der Kategorie „Terror mit Flugzeugen“.

Der Kampf geht weiter!

Martin Franke

O-Töne

Die Zahl der deutschen Kriegerdenkmäler zur Zahl der deutschen Heine-Denkmäler verhält sich hierzulande wie die Macht zum Geist.

Peter Panter in: Die Weltbühne, 9. Juli 1929

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Bei manchem Fundraising-Dinner der FDP, muss ich ganz ehrlich sagen, habe ich mir gewünscht, es käme Hannibal Lecter als Maître de Cuisine vorbei.

Urban Priol, Kabarettist

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Die Tatsache, dass ein Pokerspieler jetzt die deutsche Außenwirtschaft koordiniert, müsste einem den Angstschweiß auf die Stirn treiben.“

Thomas Oppermann, SPD-Fraktionsgeschäftsführer im Bundestag, zur Berufung des Sportwetten-Organisators Jörg Arntz zum Abteilungsleiter im Auswärtigen Amt

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Wenn Sie sich die Kosten für eine Wasserstoff-Infrastruktur für Deutschland zusammenrechnen, kommen Sie auf drei Milliarden Euro. Das versenkt eine Landesbank an einem Vormittag.

Wolfgang Reitzle, Linde-Chef, über den Aufbau eines Wasserstoff-Tankstellennetzes für Automobile

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„Abends Tatort und Volksmusik – wir sind von Gewalt umgeben.“

Hagen Rether, Kabarettist

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Es kann kein Argument sein, dass man sagt: Wir können nur Hungerlöhne bezahlen, um Arbeit zu schaffen.

Michael Sommer, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB)

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Question: I am sorry you said that the market is always right.

Trichet: Yes, I said the market is always right.

Jean-Claude Trichet, Präsident der Europäischen Zentralbank in einem hausinternen Interview

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Vielleicht guckt sie ihren Mann deshalb immer so komisch an. Der ist abgetaucht, weil er auch so eine Krankheit hat: progrediente Nihilitas Vulgaris – gemeine Bedeutungslosigkeit im Endstadium.

Georg Schramm, Kabarettist, zur Bemerkung von Bundespräsidentengattin Eva Luise Köhler, sie kämpfe gegen Krankheiten, die nicht einmal Ärzte kennen

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Das ist kein Weg zur Sanierung der kommunalen Finanzen.

Gerhard Papke, Fraktionschef der FDP in Nordrhein-Westfalen, zur Einführung einer Prostitutionsabgabe

Zusammengestellt von Hans-Peter Götz