16. Jahrgang | Nummer 26 | 23. Dezember 2013

Bemerkungen

Rebellen und Guantánamo

Nun ist Mandela also zu Grabe getragen worden. Es war seltsam, die große Einigkeit bei der Wertschätzung seines Lebens aus den verschiedensten politischen Spektren zu hören, aber auch das macht wohl das Einmalige seiner Persönlichkeit aus. Dennoch – vor so manchem konnte sich Madiba nun nicht mehr wehren. Er wollte nicht auf Sockel gestellt werden… Er hatte es abgelehnt, George W. Bush zu empfangen – wegen des Irakkrieges. Und nun konnte man ihn auf der Ehrentribühne der Trauerveranstaltung sehen. Obama hielt eine für sich genommen gute Rede – allein mit der Erfahrung seiner bisherigen Regierungstätigkeit war es der reine Hohn, seine Sorge über die Menschen zu vernehmen, die in verschiedensten Ländern nicht frei ihre Meinung äußern könnten oder sogar eingekerkert seien. Guantánamo springt ins Gedächtnis bei solchen Worten, Chelsea Manning und Edward Snowden fanden sich vermutlich auch nicht angesprochen.
Madiba, der einst den unbewaffneten Widerstand aufgegeben hatte angesichts der Gewalt, die das Apartheidregime eingesetzt hatte, wäre unter heutigen Bedingungen vielleicht nicht auf Robben Island, sondern in Guantánamo. Ein Terrorist. So wie er bis in die 2000er Jahre auf den US-Listen stand. Das westliche Deutschland hatte lange Jahre beste Beziehungen zum Apartheidregime. Die Unterstützung des ANC war aus anderer Richtung erfolgt. Ich habe niemanden gehört, der bedauert hätte, dass man Mandela so lange die Unterstützung verwehrt hatte – oder Schlussfolgerungen für das Heute gezogen hätte.
Mandela war ein Rebell, er konnte – wie er sagte – nicht anders als gegen das Unrecht zu kämpfen. Heute heißen diese Rebellen Edward Snowden, Chelsea/BradleyManning, Sarah Harrison, Julian Assange, Glenn Greenwald. Sie fühlen sich verpflichtet zum „Rebellentum“, weil sie es nicht mit ihren moralischen Ansprüchen vereinbaren können, nichts zu tun. Auf Seiten der meisten Regierungen, die eben Reden über Freiheit an Madibas Grab schwangen, ist keine Unterstützung für ihr Tun zu finden. Aber – Mut steckt an, sagt Snowden.

Margit van Ham

Klub der Märkischen Bruchpiloten

In meiner Kindheit gab es in den Tageszeitungen Possierliches zu lesen: „Ich erkläre hiermit, dass ich meine Behauptung, Elfriede M. sei eine Ziege, mit dem Ausdruck tiefsten Bedauerns zurücknehme. Paul Schmidt.“ „Ehrenerklärung“ nannte sich das. Leider gibt es so etwas nicht mehr. In den Zeiten des Persönlichkeitsschutzes muss Paul Schmidt für sich behalten, dass Elfriede M. eine Ziege ist.
Heute geben wir eine Ehrenerklärung ab – für Klaus Wowereit (Regierender Bürgermeister von Berlin/SPD). Am 14. Dezember titelte der Berliner Kurier: „BER-Bruchpilot Klaus Wowereit ist wieder am Start“. Das Blättchen betrachtet diese Schlagzeile als ruchlose Verleumdung. Klaus Wowereit sitzt nicht allein im Cockpit des Flughafensimulators. Allerdings wurde er nach dem Abgang seines seinerzeitigen Nachfolgers Mathias Platzeck (SPD) als dessen Nachfolger wiederum zum Flugkapitän gewählt. Ganz basisdemokratisch von der eigenen Crew. Die besteht aus folgenden honorigen Persönlichkeiten: Dr. Margarethe Sudhoff (Staatssekretärin für Finanzen in Berlin/SPD – ihr Chef, Senator Dr. Ulrich Nußbaum, hat es mehr mit Wasser und Fischen und weiß um die Gefahren von Pleite-Unternehmen), Frank Henkel (Innensenator in Berlin/CDU – wahrscheinlich wegen des Abschiebeknastes, für den aber eigentlich sein Kollege Justizsenator Thomas Heilmann zuständig ist, aber auch der weiß um die Gefahren…), Michael Zehden (der ist Hotelmanager und muss jemanden kennen…). Diese Elite des deutschen Flugwesens vertritt das Land Berlin. Aus dem Lande Brandenburg sind aufsichtsratsbeteiligt: Rainer Bretschneider (den kennt keiner; Ministerpräsident ist Dietmar Woidke/SPD, der hat flugs seinen Staatssekretär zum „Flughafenkoordinator“ befördert und in die Verbannung nach Schönefeld geschickt – auch Woidke ist offenbar ähnlich lernfähig wie die Herren Nußbaum und Heilmann aus Berlin), Ralf Christoffers und Dr. Helmuth Markov (beide Linkspartei-Minister im brandenburgischen Kabinett) und ein gewisser Dr. Wolfgang Krüger (IHK Cottbus – Cottbus?). Die Bundesregierung verzichtete vorsichtshalber gleich auf ministeriellen Glanz: Rainer Bomba (Bundesbau- und verkehrsministerium/SPD) sowie Werner Gatzer (Bundesfinanzministerium/CDU) heißen deren Vertreter, die so lange im BER-Dunkel tappen mussten. Die Arbeitnehmer schicken gleich fünf Vertreter: Holger Rößler (das ist kein richtiger Arbeitnehmervertreter, der ist Sekretär bei ver.di Berlin und wird gelegentlich durch klassenkämpferische Worte, keine Angst – nur Worte…, auffällig); Peter Lindner, Claudia Heinrich, Franziska Hammermeister und Sven Munsonius kommen wirklich aus Einzelunternehmen der Flughafengesellschaft.
Diese Herrschaften vollzogen den Wahlakt in einem Motzener Nobel-Hotel. Motzen kennt sonst keiner, aber der Aufsichtsratschef ist Mitglied im dortigen Golf-Klub. Ralf Christoffers (Die Linke) hat sich nach RBB-Angaben tapfer enthalten. Der Genosse Markov (Die Linke) war wohl gegen Wowereit. Nicht wegen der bisherigen Pleiten – dessen Position in Sachen Nachtflugzeiten geht den roten Adlern aus Potsdam nicht weit genug. Anton Hofreiter (MdB) von den Grünen meckerte natürlich sofort rum: „Das ist eine Mischung aus dreist, unverschämt und skandalös.“ Klar, die Grünen gehören nicht dazu. Lasst sie endlich reinkommen! Neben dem Unrecht, das der Kurier dem bemitleidenswerten Klaus Wowereit antat, ist seine Meldung zudem sachlich falsch. Von der als „Startbahn“ bezeichneten Beton-Piste startet vorläufig gar nichts! Auch kein Bruchpilot. Nur ein Eisenbahnzug fährt gelegentlich unter dem Terminal durch. Wegen der Belüftung des Bahnhofes. Damit wenigstens der nicht stinkt.
Im Übrigen sickert aus den üblichen – für gewöhnlich gut informierten – Kreisen der Hauptstadt durch, dass die Kanzlerin darüber nachdenken könnte, einen der bisherigen Regierungsstaatssekretäre durch ihre neue Kulturstaatsministerin Monika Grütters zu ersetzen. Die fliegt auch gerne und hat keine Ahnung vom Flughafen-Bau. Dafür kann sie schlechte Nachrichten gut verkaufen: Sie war einmal Pressesprecherin eines Senators, der eine Schneise der Verwüstung durch die Berliner Wissenschaftslandschaft schlug. Klaus Wowereit kennt sie zudem seit 1995 recht gut: Beide übten damals schon Große Koalition.

Günter Hayn

Alternativloser Vorschlag

Was ist jemand, der im Bundestag weder Untersuchungsausschüsse einsetzen, noch Sondersitzungen des Parlaments einberufen, der auch kein Normenkontrollverfahren gegen womöglich verfassungswidrige Gesetze beim Bundesverfassungsgericht anstrengen noch sich gegen beschleunigte Gesetzgebungsverfahren der Regierung zur Wehr setzen darf? Richtig – das ist ein Niemand. Und wenn dessen offizieller Name dreimal Opposition lauten mag, dann ist das Etikettenschwindel. Ohne die genannten unverzichtbaren Kontrollrechte gibt es keine Opposition, die den Begriff rechtfertigte. Die Linke und die Grünen bräuchten 25 Prozent der Abgeordnetenmandate, um die gesetzliche Hürde für die Ausübung dieser Rechte zu nehmen. Die bringen sie mit ihren Wahlergebnissen aus dem Lande Liliput aber bekanntermaßen nicht zusammen.
Und was ist jemand, der dies ändern könnte, aber statt dessen lediglich die parlamentarische Redezeit beider Parteien von zusammen zwölf Minuten je Stunde (was deren 20-Prozent-Anteil an den Mandaten entspräche) auf 16 verlängert? Richtig – das ist ein Heuchler. Einer, der Opposition nicht wirklich will, aber nach außen ein Bisschen den Anschein erwecken möchte, dass das Gegenteil der Fall sei. So – jedenfalls bisher – die Große Koalition.
Soweit, so schlecht – wenigstens für Demokratie und Parlamentarismus hierzulande. Aber nun zum Guten: Alternativlos ist die Lage nicht. CDU/CSU und SPD könnten mit ihrer alles ermöglichenden Mehrheit die grundgesetzliche Fünf-Prozent-Hürde zur 15-Prozent-Hürde upgraden. Damit wäre das Problem dann ein für allemal aus der Welt.

Alfons Markuske

Dresdner Forschungen

Nicht alle Ossis sind aus dem Osten, jeder vierte ist aus dem Westen. Diese tiefschürfende Erkenntnis bescherte uns ein Politikwissenschaftler aus Dresden, der aber eigentlich aus Passau ist. Er meint natürlich nicht die „Hartzis“, die interessieren die Politikwissenschaft nicht so sehr, er spricht von Bundestagsabgeordneten. Von 103 ostdeutschen Parlamentariern würden 24 aus den alten Bundesländern stammen, fand der Major Prof. Dr. Werner J. Patzelt – den Dienstgrad gibt er im Internet an – von der Technischen Universität in Dresden heraus. Man müsse noch ein paar Abgeordnete aus den Wahlkreisen im Osten Berlins hinzurechnen… Als Erklärung für dieses Phänomen gibt Patzelt an, dass Ostdeutsche sich offensichtlich zu wenig parteipolitisch engagierten. Wenn der bayerische Politikprofessor aus Dresden allerdings auf die Idee käme, die Besetzung der Lehrstühle an ostdeutschen Hochschulen und Universitäten oder gar die der höheren Beamtenstellen in den Länderministerien zu untersuchen, würde ihm auffallen, dass die Ureinwohner-Quote der Ostdeutschen bei  ihren Bundestagsabgeordneten gar nicht so schlecht ausfällt… Die Geburts- und Ausbildungsorte unserer Besten sind nicht unwichtig, die können durchaus die politische Topographie bestimmen. Wer sich erinnert: Auch Sachsen und Thüringen liebäugelten einst mit Fusionsüberlegungen in Richtung Bayern und Hessen. Und Peter Sodann plauderte kürzlich in einem junge-welt-Interview aus dem Nähkästchen der Kommission, die um 1990 eine Landeshauptstadt für Sachsen-Anhalt suchte: „Es gab drei Vorschläge: Dessau, Magdeburg und Halle. Magdeburg wurde es, weil für die Beamten von dort aus der Weg in den Westen, also nach Hause, kürzer war.“
Eine kleiner Hinweis an Prof. Dr. Werner J. Patzelt: Am Institut für Politikwissenschaft der Technischen Universität Dresden, dort hat er den Lehrstuhl für „Politische Systeme und Systemvergleich“ inne – ist die „Ossi-Quote“ unter den Professoren gleich Null. Aber auch dafür wird Patzelt eine Erklärung haben. Die Ostdeutschen scheinen sich zu wenig für die politischen Wissenschaften zu engagieren. Sonst stünden mehr von ihnen hinter den Podien der ostdeutschen Hörsäle – und Patzelt hockte noch immer in einer düsteren Assistentenkammer der Uni in Passau. Unter welch ungeheuren Erkenntnisverlusten müssten wir dann leiden!

WB

Sportliche Aussichten

Wenige Wochen noch verbleiben noch bis zur Eröffnung der Olympischen Winterspiele in Sotschi. Und zweierlei dürfte dabei längst feststehen: Diese Spiele sind natürlich auch ein politisches Prestigeprojekt, wie das bei der Ausrichtung solcher Spiele übrigens immer war und wohl auch bleiben wird, hier nun jene eines Putin. Offenkundig ist zudem auch, dass es in Russland Menschenrechtsverletzungen gibt – so, wie das dem Gros aller Staaten dieser Erde, mal mehr, mal weniger – zu attestieren ist. Sieht man von der Frage ab, warum das IOC in Anbetracht der schon damals vorliegenden Umstände die Spiele 2007 eigentlich an Russland vergeben und kein Staat dagegen seinerzeit Boykottparolen ausgestoßen hat, ist allemal aufschlussreich, wie unser schönes deutsches Gemeinwesen auf das internationale Sportereignis medial eingestimmt wird. Die Führungsspitze des ZDF beeilt sich zum Beispiel, bereits heute kein Hehl daraus zu machen, dass es vorhat, die Spiele in Sotschi auch zur Abrechnung mit Putin zu nutzen. Die ARD-Programmdirektion verfährt in waffenbrüderbrüderlicher Eintracht. Man werde, so Volker Herres, „mikroskopisch genau“ hinschauen, was in diesem Falle nicht den Sport meint, denn „Wir werden auch die Kehrseite der olympischen Medaillen präsentieren: Die Missachtung der Rechte von Minderheiten, Umweltskandale, Kostenexplosion und Gigantismus.“  Da ARD und ZDF in zwei olympischen Wochen jeweils 120 Stunden live aus Sotschi übertragen werden, dürften die Sportjournalisten Mühe haben, sich auch noch den Wettbewerben auf Eis und Schnee zu widmen. Unseres antirussischen Mitgefühls können sie dabei sicher sein, es wird ja nicht zuletzt dank unserer Medien schließlich Jahr für Jahr fester gefügt.

HWK

Ein Geheimnis weniger

Ironiefrei lässt sich der Bertelsmann-Stiftung nachsagen, per diverser Erhebungen bereits eine ganze Reihe interessanter gesellschaftlicher Tatbestände zutage gefördert zu haben. Ohne Ironie lässt sich allerdings schwerlich auskommen, wenn man auf  das jüngste Ergebnis soziologischen Forschens durch die Bertelsmänner Bezug nimmt. Ist die Stiftung doch soeben zu dem Ergebnis gekommen, dass Arbeitslosigkeit der Demokratie schadet. Belegt wird das dadurch, dass bildungsferne und somit in hohem Masse allein schon deshalb auch erwerbsarbeitsferne Menschen in unserer heimeligen Gemeinschaft haufenweise nicht zur Wahl gehen, die Teilnahme an diesem urdemokratischen Prozess also verweigern. „Hinter der zunehmenden Ungleichheit der Wahlbeteiligung birgt sich eine soziale Spaltung der Wählerschaft“. Deutschland sei „längst zu einer sozial gespaltenen Demokratie der oberen zwei Drittel unserer Gesellschaft geworden.“ – Chapeau, da hat sich das Forschen gelohnt, denn anders hätte dieses Geheimnis sicher nicht lüften lassen. Bestenfalls durch die Beobachtung der gesellschaftlichen Realitäten, wofür allerdings kein Forschungsgeld zu beziehen ist. Wobei sich die Bertelsmann-Stiftung zu diesem Thema sogar ernsthaft hätte verdient machen können, indem sie nämlich untersucht hätte, ob sich unsere Gesellschaft noch immer tatsächlich in zwei Dritteln zu einem Drittel teilt. Immerhin wird ihr das schon seit mehr als 30 Jahren nachgesagt, und seither sind viele neue demokratische Sozialgesetze vom Volk ausgegangen, schließlich ist das ja hierzulande der Souverän.

Hella Jülich

Paul Dessaus Musik beginnt wieder zu leuchten

Sobald ein Künstler in der DDR eine Auszeichnung bekam, war er nach der Übernahme des kleinen, einstmals kämpferischen, Landes durch die BRD nicht mehr tragbar. Man musste Pfarrer mit politischen Ambitionen gewesen oder angeblich verfolgt worden sein, um hofiert zu werden oder sogar einen Posten zugeschanzt zu bekommen, für den man eigentlich eine Nummer zu groß ist. Der gebürtige Hamburger (1894-1979) Paul Dessau wurde wohl zu Lebzeiten von der DDR für seine Kunst zu häufig ausgezeichnet, denn bis heute wird er gerne übergangen und seine Kunst wegen seines Bekenntnisses zum Sozialismus als minderwertig eingestuft. Da ist es egal, ob es immer wieder Konflikte mit den staatlichen kulturpolitischen Instanzen gab, wegen seiner eigenen Musik, der Zwölftontechnik, und wegen des Einsetzens für die Musik anderer Avantgardisten.
Schon in frühen Jahren beschäftigte sich Paul Dessau mit Musik. Er bekam Geigenunterricht, schlug dann aber die Laufbahn eines Dirigenten ein. So wurde er 1912 Korrepetitor am Stadttheater Hamburg und wenige Jahre später an die Kölner Oper engagiert, wo er einige Zeit mit Otto Klemperer zusammen arbeitet. Neben seiner Dirigentenarbeit schuf Dessau selbst Musik. Er komponierte für verschiedene Filmtheater experimentelle Tonfilm-Musik und 1929 für das Kammermusikfest Baden-Baden ein erstes langes Stück: „Episode“. In den zwanziger Jahren lernte Dessau Bertolt Brecht kennen und schuf einige Konzertwerke für Arbeiter-Kinderchöre. 1933 emigrierte der außergewöhnliche Künstler nach Paris, weil die Nazis seine Kompositionen als minderwertig einstuften und ihn das Arbeiten verboten. In der Zeit der Emigration beschäftigte sich Paul Dessau mit der Zwölftonmusik, entwickelte unter Pseudonym verschiedene politische Marschlieder („Thälmannkolonne“) und schrieb für Bert Brechts Schauspiel „Furcht und Elend des Dritten Reiches“ die Musik. Da der Künstler bereits 1928 Disneys Frühwerk „Alice im Cartoonland“ vertonte, konnte er nach der Flucht aus Frankreich in Hollywood Fuß fassen und für verschiedene Filmstudios als Komponist und Arrangeur arbeiten. Nach dem Krieg trat er 1946 in die US-KP ein und ging schließlich 1948 nach Deutschland zurück. Hier entwickelte er wieder gemeinsam mit Brecht verschiedene Opern, wie die von der Staatsführung zunächst kritisierte Oper „Das Verhör des Lukullus“, schuf die Klänge zu „Mutter Courage“ (1949), ein gewaltiges Theaterstück, das am Deutschen Theater uraufgeführt wurde, und zu „Der Kaukasische Kreidekreis“. Nach Brechts überraschendem Tod 1956 wandte sich Dessau erneut der Zwölftonmusik zu und zog so die Bewunderung der jungen Avantgarde auf sich. Trotzdem er Mitglied der Deutschen Akademie der Künste wurde und lange deren Vizepräsident, unterrichtete er an der Zeuthener Grundschule Musik, um die Idee der Musikerziehung in einem sozialistischen Staat durchzusetzen.
Nun hat es sich das Label Edel „gewagt“, eine Sammlung von Paul Dessau Musik auf den Markt zu bringen. Edel, die fast den kompletten Katalog von der DDR-Firma Eterna übernahmen, daraus fleißig veröffentlichen und mit der Wiederauflage bekannter und begehrter Klassik-LPs, eingespielt von DDR-Künstlern, bei Sammlern und Liebhabern auf sich aufmerksam machen, präsentiert nun eine 12-CD Box mit einstmals bekannten Sinfonien, Klaviermusik, Liedern und die vier Opern „Die Verurteilung des Lukullus“, „Puntila“, „Einstein“ und „Leonce und Lena“. So gibt es ein Wiederhören mit wundervollen Künstlern der DDR, die bis heute unvergesslich sind. Gisela May, Theo Adam, Peter Schreier, die Staatskapelle Berlin und das Rundfunk-Sinfonieorchester Leipzig sollen stellvertretend genannt sein. Endlich kann man sich vorurteilsfrei auf die Musik Paul Dessaus einlassen und besonders beim Hören der Sinfonien begeistert sein. So ist die Orchestermusik No. 3 „Lenin“ einfach großartig und konzentriert. Sie lässt den Hörer nicht mehr los, zumal einzelne Momente anrührend sind, sich verknappt auftun und so die Erinnerung an einen besonderen Menschen aufrecht erhalten. Wer sich nun der Tonsprache Dessaus weiter nähert und ganz hinein finden möchte, sollte zunächst die Musik von „Mutter Courage und ihre Kinder“ konzentriert aufnehmen und sich an den, von der überragenden DDR-Künstlerin Gisela May gesungenen, Liedern erfreuen und ganz fest in sein Herz einschließen. CD 11 und 12 beinhalten Dessaus letzte Oper „Einstein“ aus dem Jahre 1974, die ein komplettes Durchören herauf beschwört. Denn zunächst überkommt einen Langeweile, da alles plakativ und spärlich beginnt. Doch schon beim Erkennen einiger Bach-Zitate ändert sich die Substanz. Die sparsame Instrumentierung wird zum Fanal, die immer kräftiger werdenden Akkorde beginnen zu leuchten, alles erscheint aufregend, vielsagend und hörenswert. Mit dieser Box ist endlich eine vorurteilsfreie Annährung an den wichtigsten deutschen Komponisten der Nachkriegsära garantiert.

Thomas Behlert

Paul Dessau Edition, 12 CD, Edel Klassik / Brillant Classics

Blätter aktuell

Mitunter, schreibt Heiko Flottau, sind die Reaktionen auf Ereignisse ebenso erhellend wie das Ereignis selbst. Jüngstes Beispiel ist die Unterzeichnung eines Zwischenabkommens zwischen dem Iran und den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates sowie der Bundesrepublik. Die Einigung sieht vor, dass der Iran bis Ende Mai 2014 auf eine Weiterentwicklung seines Atomprogramms verzichtet. Im Gegenzug lockert der Westen die Wirtschaftssanktionen.
TAFTA und TTIP – unter diesen beiden Kürzeln ist nun die neue transatlantische Freihandelszone im Anmarsch: „Sie wird Europa und Nordamerika einen neuen Aufschwung bescheren, einen sanften Weg aus dem tiefen Tal der Stagnation und Depression.“ So verkündet es die EU-Kommission, so predigt es Kanzlerin Merkel, so hat es Präsident Obama Anfang dieses Jahres versprochen. Warum aber gerade jetzt? Dieser Frage geht Michael R. Krätke nach. Im vergangenen November tagte das dritte Plenum des 18. Zentralkomitees (ZK) der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh). Seither beugen sich Beobachter auf der ganzen Welt über die gefassten Beschlüsse und versuchen zu entschlüsseln, was diese bedeuten. Falk Hartig wirft einen Blick auf die Entwicklung in China. Dazu weitere Beiträge – darunter: „Prostitution: Die Doppelmoral der Sittenwächter“, „Große Koalition zum Dritten: Schluss mit Agenda“ und „Kaukasische Risse: Die Olympiade in Sotschi“.

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Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, Januar 2014, Einzelpreis: 9,50 Euro, Jahresabonnement: 79,80 Euro (Schüler & Studenten: 62,40 Euro). Weitere Informationen im Internet: www.blaetter.de