16. Jahrgang | Nummer 24 | 25. November 2013

Bemerkungen

Feind, Todfeind, Parteifreund – oder:
Wann zerfällt, was nicht zusammengehört?

Wie heißen die Steigerungsformen von Feind? Siehe Überschrift. Der Witz hat so einen Bart! Dachte man …
Dieser Tage schnappte die Berliner Zeitung am Rande der Koalitionsverhandlungen auf: „Wie geladen die Stimmung zwi­schen den Unionsparteien ist, zeigt sich am Rande eines Treffens der Fi­nanz-AG. Die Sitzung ist gerade vor­bei, Finanzminister Wolfgang Schäuble rollt zum Ausgang und sagt in Richtung der SPD-Unter­händler Olaf Scholz und Peer Stein­brück, man sehe sich ja gleich noch. Die Kanzlerin hatte Schäuble beauf­tragt, in kleiner Runde über die Fi­nanzmarktregulierung zu sprechen. […] Der bayerische Finanzminister Markus Söder (CSU) schnappt die Worte Schäubles auf und fragt laut: ‚Wie, gibt es jetzt noch ein Geheimtreffen? Wieso weiß ich davon nichts?‘ Ziemlich trocken entgegnet Schäuble darauf: ‚Das ist eine Runde nur für Staatsmänner.‘ Söder kontert kühl: ‚Manch einer ist vielleicht die längste Zeit Staatsmann gewesen‘, sagt er in Richtung des
71 Jahre alten Ministers. Schäuble verhehlt seine Abneigung gegen den Bayern nicht länger: ‚Herr Kollege, es gibt Leute, die bleiben Staatsmann ein Leben lang. Und es gibt Leute, die werden es nie.‘“
Noch Fragen?
Ja: Wann zerfällt, was nicht zusammengehört?
Antwort: Nie – Machterhalt geht allemal vor.

am

Steinmeiers Pirouetten

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier im Dezember 2012 – die Parteibasis beruhigend – zum Thema Große Koalition: „Für uns ist diese ganze Geschichte […] nicht gut ausgegangen“, sagte er mit Blick auf die Regierungszeit mit der Union. „Ich glaube schon, dass Sozialdemokraten damals in diesem Kabinett die Leistungsträger waren. […] Gerechnet hat sich das am Ende für uns nicht.“
SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier im Oktober 2013 – bei seiner Partei um Bereitschaft zu Kompromissen werbend, damit wieder eine Große Koalition zustande kommt:. „Am Ende wird es doch hoffentlich davon abhängen, was wir an Verbesserungen durchsetzen.“ Und nicht ohne Pathos: „Wir dürfen nie Angst vor der Verantwortung und nie Angst vor dem eignen Versagen haben.“
Und im nächsten Wahljahr erzählt uns Onkel Frank-Walter ein neues Märchen.

n.n.

Luftkrieg? Geht gar nicht!

Mache Sachen finden den Weg ins Blättchen,
weil, wie Tucholsky sagte:
„Einer allein kann das gar nicht glauben.“
Die Redaktion

Feinde, mit denen in absehbarer Zeit möglicherweise Luftschlachten geschlagen werden müssten, hat die Bundesrepublik seit dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes und der Sowjetunion gottseidank keine mehr. Das ist auch gut so, denn über allzu viele Kampfflugzeuge, die dafür geeignet sein sollten, verfügt die Bundesluftwaffe heute so wenig, wie sie das künftig wird. Für richtig große Stückzahlen ist das Fluggerät inzwischen einfach zu teuer. Vom neuesten Modell, „Eurofighter“ geheißen, hat es nur noch für knapp über 100 Maschinen gereicht. Aber nicht genug damit: Nach internen Berichten der zuständigen Wehrtechnischen Dienststelle, sind die Vögel oft und lange – bis zu mehreren Jahren – nicht einsetzbar, weil Reparaturen anstehen oder irgendetwas nachgerüstet  werden muss. Technische Fehler sowie Mangel an Ersatzteilen und Prüfspezialisten gehören zu den häufigeren Ausfallursachen. Jüngst klebte gar die ganze Armada am Boden: Ein unsachgemäß eingebauter Schleudersitz war entdeckt worden, so dass alle Maschinen gecheckt werden mussten.
Der austro-amerikanische Psychotherapeut, Soziologe und Philosoph Paul Watzlawick wusste bekanntlich dereinst „Vom Schlechten des Guten […]“. In der Praxis kann es aber durchaus auch umgekehrt sein: Wenn die „Eurofighter“ nicht aufsteigen, fällt zumindest ein Teil der durchschnittlichen Kosten in Höhe von rund 80.000 Euro je Flugstunde nicht an.

Sarcasticus

Liegt die Wahrheit in der Mitte?

Man kann den Hintern schminken, wie man will,
[…] es wird kein ordentliches Gesicht daraus.
Kurt Tucholsky

[…] dass es bisweilen gelingt,
aus einem Hintern ein Gesicht zu machen, wenn man ihn gut schminkt.
Ullrich Rosski

Die Wahrheit lügt in der Mitte.
André Brie

Brass meets Wagner

Als ich vor Jahren meiner Liebsten erstmalig vorschlug, der Blasmusik einer österreichischen Kapelle einen Abend zu widmen, fing ich mir einen Blick und eine Gegenvorschlag ein. Der Blick war von jener mitfühlenden Art, die gleichwohl ihre Sorge um die geistige Gesundheit des Fragenden nicht gänzlich zu verbergen vermag. Und der Gegenvorschlag lautete: „Die können wir uns doch bestimmt auch bei Carmen Nebel oder Florian Silbereisen anhören.“
Da mir eine gewisse Hartnäckigkeit eigen ist, begleitete sie mich schließlich aber doch und fühlte sich hernach – formidabel unterhalten. Das war 2008, die Kapelle hieß Mnozil Brass, und wir hörten mit „Irmingard“ deren erste und bisher leider immer noch einzige Oper – eine Skurrilität von hohen Graden, aber im Grunde nur wenig absurder als die meisten Opern –, in der die sieben gloriosen Blechbläser alle Rollen und Instrumente selbst sangen und spielten.
In Berlin gastiert Mnozil Brass stets im Berliner Ensemble. Dieses Mal mit „HOJOTOHO. Eine Wagner-Blech-Comedy“, und das Haus war, wie gewohnt, ausverkauft. Ob an diesem Abend auch Liebhaber üblicher Wagner-Inszenierungen und -Interpretationen – merke: im Vergleich zu Monzil Brass sind jegliche andere Wagner-Aufführungen übliche – im Saale waren, kann nicht mit Bestimmtheit gesagt werden. Doch falls ja, haben sie sich weder durch Unmutsäußerungen zu erkennen gegeben, noch die Vorstellung vorzeitig verlassen. Warum zu Beidem Veranlassung bestanden haben könnte, verrät Wikipedia, wo es über das Septett heißt: „Ihre Auftritte werden durch komödiantische Einlagen sowie durch Gesangsdarbietungen im Stile eines Musik-Kabaretts ergänzt.“
Kennern von Mnozil Brass sei gesagt: Es war ein Abend, wie man ihn erwarten durfte – einschließlich der obligatorischen Standing Ovations und einiger grandiosen Zugaben am Schluss.
Nicht-Kennern von Monzil Brass allerdings zu erklären, was konkret man an einem solchen Abend eigentlich erwarten darf, ist einigermaßen unmöglich. Das muss man einfach selbst hören und sehen – gegebenenfalls auf Youtube.

Arthur G. Pym

Medien-Mosaik

Kurt Tucholsky waren Hunde (und vielleicht mehr noch ihre Halter) nicht sympathisch. „Es muß wohl Katzenmenschen und Hundemenschen geben. Magst du den Hund? Ich auch nicht. Er brüllt den ganzen Tag, zerstört mit seinem unnützen Lärm die schönsten Stillen und wird in seiner Rücksichtslosigkeit nur noch von der seiner Besitzer übertroffen. (Protest des Reichsbundes Deutscher Hundefreunde. Kusch.).“ So Peter Panter 1927 in der Vossischen Zeitung.
Und von diesem Tucholsky gibt es nun ein Hunde-Buch! Eine gute Handvoll Texte, in denen sich der Meister der bissigen Ironie am intensivsten mit Hunden auseinandersetzte, hat der Herausgeber Claus Lorenzen zusammengetragen. „Der Hund als Untergebener“ aus der Weltbühne von 1922 gibt den Titel des Buches ab, „Zwei Lärme“ sowie das „Traktat über den Hund sowie über Lerm und Geräusch“ (auch aus der Weltbühne) gehören zu den wesentlichen Texten des Bandes. In einem kundigen Nachwort nimmt Lorenzen KT gegen den Vorwurf in Schutz, ein Hundehasser gewesen zu sein, und referiert auch die eifernden Leserbriefe (nebst Abo-Kündigungen), die Tucholsky auf seine Auslassungen erhielt.
Mindestens ebenso erfreulich wie die Texte sind allerdings die Illustrationen vom Altmeister Klaus Ensikat (dem älteren Bruder des verstorbenen Satirikers Peter Ensikat). Der mehrfach Preisgekrönte, der mit 20 Jahren 1957 begann, im Eulenspiegel zu veröffentlichen, hat die herrlichsten Zeichnungen beigesteuert. Eine Augenweide ist beispielsweise das stolze Schloß Gripsholm auf einer Doppelseite und daneben der kaum zu erkennende Tucholskysche Bulldackel! Die Gesichter von Hunden und Menschen, alle individuell, komisch und angsteinflößend zugleich. An dem farbigen Band sollten bibliophile Hundefreunde und -gegner, ja sogar Katzenmenschen nicht vorübergehen!
Kurt Tucholsky, Klaus Ensikat: Der Hund als Untergebener – Bissiges über Hunde und ihre Halter, Officina Ludi, Großhansdorf b. Hamburg 2013, 56 Seiten, 19,80 Euro. Vorzugsausgabe im illustrierten Schuber mit einem beiliegenden Original-Linolschnitt von Klaus Ensikat: für 160,00 Euro.

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Der Legende nach war es Tucholskys damaliger Freund Emil Jannings, der den Anstoß gab, Gustav Kadelburgs seit 1897 mäßig erfolgreiches Lustspiel mit Musik zu versehen. Eric Charell brachte als Produzent und Regisseur 1930 schließlich das Singspiel „Im Weißen Rößl“ heraus – das wohl erste deutsche Musical und ein Welterfolg! Die zu kurze Produktionszeit bewirkte, dass der Hauptkomponist Ralph Benatzky noch andere Tonschöpfer hinzuziehen musste, um rechtzeitig fertigzuwerden. Komischerweise werden diese – größtenteils aus dem Nazi-Reich vertriebenen – Komponisten wie Robert Stolz und Bruno Granichstaedten im Pressematerial der Neu-Verfilmung nicht genannt. Trotzdem ist die von Christian Theede besorgte Film-Modernisierung, in der eine junge Frau (Diana Amft) von ihrem Vater (Arnim Rhode) aus dem tristen und allzu geschäftigen Berlin der Gegenwart in eine angeblich heile Welt der fünfziger Jahre entführt wird, als Parodie auf die Sehnsucht nach Unbeschwertheit amüsant. Peter Alexanders Bild hängt in der Dekoration, und Waltraut Haas vermisst man. Aufgemischt wird das Ganze gekonnt, durch den vor zwei Wochen frischgebackenen Nestroy-Preisträger Gregor Bloéb, der als Sigismund den Bösewicht mimt, und in der virtuos gefilmten Schuhplattler-Meisterschaft sein Letztes gibt!
„Im Weißen Rößl – Wehe du singst!“, derzeit in den Kinos.

bebe

Chapeau für Volkes Stimme

Mit Volkes Stimme ist es so eine Sache, blindlings sollte man Mehrheitsmeinungen, so diese denn überhaupt repräsentativ ermittelt sind, jedenfalls nicht trauen. Die deutliche Ablehnung der Bevölkerung von München und dessen Umlandes, 2022 dort Olympische Winterspiele zu veranstalten, darf allerdings wohl als Lichtblick öffentlicher Vernunft gelten. Der Sport, und mit ihm auch die einst quasi-heilige Olympische Idee, sind längst vorrangig zu Kommerz- und politischen Ablenkungszwecken verkommen. Die allerdings lassen sich all jene, die sich davon viel versprechen, Unmengen öffentlicher (!) Gelder kosten. Putin verausgabt soeben mal rund 30 Milliarden Euro für den Glanz, ein paar Wochen lang leuchtendes Zentralgestirn des sportlichen Kosmos zu sein. Was für dieses Geld allein in Russland Gutes hätte getan werden können …,
Coubertins olympisches Motto „Citius, altius, fortius“ ist, was seine sportliche Seite betrifft, längst in die Regionen chemiegestützter Leistungserweiterung abgedriftet. Mehr noch gilt für jene, die an Olympischen Spielen verdienen – Sportler, Sportverbände, Bauunternehmen finanziell, Politiker ideell: „Schneller, höher, stärker“ ist lediglich das Maß für das Event und seine Vorbereitung, danach mag die Sintflut kommen. Wie sich allein Olympische Winterspiele für deren Austragungsorte langfristig ausgewirkt haben, darüber ist bei Nolympia nachlesbar.
Daher nochmals: Glückwunsch an Nolympia und an die Bayern!

HWK

Aus anderen Quellen

Im Kontext des NSA-Skandals stößt man auch auf Überschriften wie diese: „Trotz Spähaffäre: Industrie hofft auf Freihandel mit USA“ und die zugehörigen Beiträge singen dann das hohe Lied der Segnungen eines Freihandelsabkommens mit den USA. Dabei wäre ein Scheitern der Vertragsverhandlungen der mit Abstand positivste Kollateralschaden der Spionageaffäre, folgt man dem, was Lori Wallach in den ersten Blaupausen des angestrebten Vertragswerkes gefunden hat. Mit diesem würden „sich einzelne Konzerne denselben Rechtsstatus wie Nationalstaaten verschaffen“, was etwa bedeutete, „dass Unternehmen eine Regierung verklagen können, ‚entgangene Gewinne‘ aus Steuergeldern auszugleichen“. Jede einzelne Bestimmung soll nur noch „mit Zustimmung sämtlicher Unterzeichnerstaaten geändert werden“ können, wäre also „praktisch irreversibel“.
Lori Wallach: TAFTA – die große Unterwerfung, Le Monde diplomatique, 08.11.2013. Zum Volltext hier klicken.

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Kritiker halten ethischen Konsum, „also die Vorstellung,“ wie Evgeny Morozow schreibt, „wir könnten durch bewussteres Kaufverhalten Gutes tun und auf diese Weise einige der schlimmsten Globalisierungsexzesse lindern“, bestenfalls für ein Placebo oder eine modische Macke saturierter Wohlstandsbürger. Es ist ja durchaus legitim, die Frage aufzuwerfen, ob „zwischen unserem Kaufverhalten und Problemen wie dem Klimawandel und der Zukunft der Demokratie auf der Welt eine Beziehung besteht“. Der Autor warnt allerdings vor vorschnellem Skeptizismus.
Evgeny Morozow: Fairphones werden die Welt nicht retten, FAZ.NET, 11.10.2013. Zum Volltext hier klicken.

Geld allein

von Joachim Ringelnatz

Wie gut, daß alle einander nicht gleichen.
Wie recht, daß manche es erreichen,
Daß sie eines Tages reich sind.
Wie gut, daß auch diese einander nicht gleich sind.

Schlechte Menschen ohne Geist, ohne Geschmack,
Wenn sie noch so reich sind, bleiben nur Pack.