28. Jahrgang | Nummer 5 | 10. März 2025

Polen im Spagat

von Jan Opal, Gniezno

Lange hat Polens Ministerpräsident Donald Tusk gezögert, nicht das leiseste Wort war zu hören gegen die Ukraine-Politik des neuen Präsidenten der USA, seines Namensvetters. Während anderswo Donald Trumps verräterischer Kurs zugunsten des Aggressors längst offen kritisiert wurde, hüllte sich das offizielle Warschau in Schweigen. Selbst die laufende EU-Ratspräsidentschaft Polens war kein Anlass, klare Position zu beziehen. Erst der unerhörte Rauswurf Wolodymyr Selenskyjs aus dem Weißen Haus löste in Warschau die Blockade. Polens Ministerpräsident gehörte zu den ersten, die ihre Solidarität mit dem Präsidenten und den Menschen in der Ukraine mit dem Versprechen ausdrückten: „Ihr seid nicht allein!“

Andrzej Duda, dessen letzte Amtszeit als Polens Präsident noch bis zum August 2025 reicht, ging anders vor. Er hatte im November letzten Jahres Trumps Wahltriumph enthusiastisch bejubelt, gilt in Polen ohnehin als Trump-Fan. Also nutzte er die erste Gelegenheit, um persönlich Aufwartung beim neuen Herrn im Weißen Haus machen zu können. Vereinbart war am Rande der Konservativen Politischen Aktionskonferenz (CPAC) – dieser seltsam anmutenden Zusammenkunft entschiedener Trump-Anhänger – ein einstündiges Gespräch, von dem wegen Verspätung des Hausherrn allerdings nur ein kläglicher, auf zehn Minuten zusammengeschmolzener Rest übrigblieb. Doch der polnische Präsident durfte anschließend immerhin in vorderer Reihe den Ergüssen folgen, mit denen Trump seiner Anhängerschaft die Lage der Welt und die seines Amerikas näherzubringen suchte. Der zeigte auch prompt auf Duda, lobte den tollen Burschen und sowieso besten Freund, hob überhaupt Polen als großartigen Verbündeten hervor. Dort habe man verstanden, was er immer voraussetze, dass nämlich für militärische Verteidigung und Sicherheit finanziell selbst aufkommen müsse, wer die verlange und fordere. Anschließend hörte sich Duda tapfer die Schimpfkanonade gegen Trumps Amtsvorgänger Joe Biden an, denn der sei überhaupt der schlechteste Präsident in der Geschichte der USA gewesen, habe selbst einen Jimmy Carter noch in den Schatten gestellt, so dass er – also Trump – den ganzen Stall ausmisten müsse. Der Verweis auf Bidens „völlig verfehlte Ukrainepolitik“ fehlte selbstverständlich nicht.

Tusk nahm den eigenen Präsidenten zu Hause an der Weichsel demonstrativ in Schutz, schlug eine Brücke hinüber ins gegnerische nationalkonservative Lager, denn Polens Sicherheit müsse immer an oberster Stelle stehen, dürfe nicht durch kleinkariertes Spiel der Parteitaktik unterlaufen werden. Folglich sei der Duda-Besuch beim frisch ins Amt gekommenen Trump zu loben, man solle jetzt in den eigenen Reihen nicht schadenfroh die Hände reiben wegen der auf Minuten geschrumpften Gesprächszeit. Jede Möglichkeit, die Sicherheit des Landes zu stärken, sei jetzt willkommen und müsse genutzt werden.

Der Unterschied zwischen Tusk und Duda wurde erst wieder deutlicher, nachdem Trumps rüpelhaftes Vorgehen gegen den ukrainischen Präsidenten die europäische Öffentlichkeit schockiert hatte. Tusk stellte sich sofort und demonstrativ hinter die Ukraine, betonte, dort werde im Kampf gegen den russischen Angriff auch Polens Freiheit verteidigt. Zugleich unterstrich er beim Spitzentreffen europäischer Staaten, das Britanniens Premier Keir Starmer Anfang März in London einberufen hatte, es müsse „alles getan werden, damit Europa und die USA mit einer Stimme sprechen“. Und er verwies auf ein Paradox: 500 Millionen Europäer ersuchten die 350 Millionen US-Amerikaner, sie vor den 140 Millionen Russen zu schützen. Wollte sagen, auch er könne nachvollziehen, wenn aus Washington eine klare, vor allem finanzielle Neujustierung im transatlantischen Bündnis verlangt werde. Übersetzt also so: Die Ukraine entschieden unterstützen, aber das transatlantische Bündnis nicht aufgeben. Sein Ziel: Beide – Selenskyj wie Trump – im Boot halten. Präsident Duda nimmt die nationalkonservative Gegenposition ein: Es gebe weltweit außer den USA niemanden, der Russlands Aggression gegen die Ukraine stoppen kann, also müsse Kyjiv im Streit mit Washington zurückstecken und Kröten schlucken! Notfalls auch ohne Selenskyj.

Bevor Trump Anfang März die Entscheidung fällte, die Militärhilfe der USA für Kyjiv so lange einzustellen, bis man dort zu Friedensverhandlungen nach Maßgabe Washingtons bereit sei, wandte sich Altpräsident Lech Wałęsa mit einem offenen Brief an das Weiße Haus, der von weiteren „Solidarność“-Aktivisten in der Widerstandszeit gegen die Volksrepublik – darunter Adam Michnik – unterschrieben wurde. In dem Brief wird die Vorgehensweise des US-Präsidenten gegen den obersten Vertreter des angegriffenen Landes scharf kritisiert. Die auf Unterwerfung und Erniedrigung zielende Gesprächsführung im Weißen Haus habe die Unterzeichnenden an Verhörpraktiken in den Zeiten Volkspolens erinnert. Der republikanische Präsident Ronald Reagan etwa sei der „Solidarność“-Bewegung nie in den Rücken gefallen und werde im heutigen Polen über die politischen Lager hinweg hochverehrt. Erinnert wird an das Memorandum von Budapest 1994, als der Ukraine als Gegenleistung für den einseitigen Atomwaffenverzicht auch von den USA die Garantie für die territoriale Integrität gegeben worden sei.

Geschrieben am 4. März 2025