25. Jahrgang | Nummer 7 | 28. März 2022

Bemerkungen

Ohne Titel

von Renate Hoffmann

Die Wälder schweigen.
Die Winde stehen still.
Das Wasser fließt nicht mehr.
Das Gras verwelkt,
so auch die Blumen.

Der Himmel trübt sich ein.
Die Wolken lasten schwer.
Die Vögel sind verstummt.
Kein Amselruf,
kein Schwalbenschrei,
die Lerche kennt kein Lied.

Die Sonne ist verhüllt.
Der Mond scheint blass.
Die Sterne funkeln nicht.
Das Licht verlosch.

Die Taube hat den Ölzweig längst verloren.

Selig sind, die Frieden stiften …

Am 13. März veröffentlichte die Wochenzeitung für die Evangelisch-Lutherische Kirche Sachsen Der Sonntag ein Interview, das Stefan Seidel mit dem Theologen Eugen Drewermann führte. Drewermann spricht einen schwierigen Erkenntnisschritt an, der seiner Meinung nach unabdingbare Basis für jeden Friedensprozess sein muss:
„Wir müssen die Angst des Anderen verstehen, die wir ihm machen, weil wir vorgeblich oder wirklich Angst vor ihm haben. Dieser Teufelskreis muss einmal gebrochen werden. Und jetzt rede ich nicht mehr politisch oder historisch, sondern ich meine das in allem Ernst als Christ: Frieden kann nicht kommen in der Politik der Stärke, die die Nato seit ihrer Gründung 1949 mit immer scheußlicheren Waffen – Atombomben, Wasserstoffbomben, Neutronenbomben, biologischen Waffen, chemischen Waffen, konventionellen Waffen, Napalm als Dauerregen über Vietnam – unendlich weiter vervollständigt. So wird nie Frieden sein, aus diesem Diktat der Stärke.“
Auf den Hinweis, dass seit 2000 Jahren die Botschaft der Bergpredigt konsequent überhört werde. kontert Drewermann mit Bernhard Shaw: „Ich höre dauernd, dass man mit der Bergpredigt keine Politik machen kann, aber dann versucht es doch wenigstens ein Mal.“

Günter Hayn

Film ab

Kenneth Branagh begann seine Filmkarriere 1984, und bereits 1989 erfolgte auch sein Debüt als Regisseur. Dass er sehr unterschiedliche Charaktere höchst eindrucksvoll zu mimen versteht, hat er zum Beispiel in Rollen wie der des bis zu seinem Attentatstod Hauptorganisators des Holocaust, Reinhard Heyderich (Die Wannseekonferenz, 2001), oder des Antarktis-Pioniers Ernest Shackleton (Shackleton, 2002) unter Beweis gestellt. Letzterem gelang es nach Einschluss im Packeis und Schiffsverlust unter unsäglichen Strapazen, alle Mitglieder seiner Expeditions-Crew lebend zurück in die Zivilisation zu bringen.

Branagh wurde in Nordirlands Hauptstadt Belfast in einem protestantischen Elternhaus geboren, und seine bis dahin behütete Kindheit in einem bis dahin friedlichen, gemischten protestantisch-katholischen Wohnviertel endete abrupt, als probritische protestantische Extremisten 1969 begannen, ihre anders gläubigen, politisch eher in Richtung Republik Irland tendierenden Nachbarn zu terrorisieren, Anschläge mit Verletzten und Toten inklusive. Es folgte bekanntlich ein blutiger Bürgerkrieg, der bis 1998 andauerte und der bis heute nachwirkt. Und wer von den männlichen Protestanten im wehrfähigen Alter sich seinerzeit nicht aktiv auf die Seite der Extremisten stellte, musste ebenfalls mit lebensbedrohlichem Druck rechnen, der auch vor Frauen und Kindern nicht Halt machte. Nicht wenige entschieden sich daher, ihre Heimat samt Familie zu verlassen.

Diese Geschichte seiner verlorenen Kindheit hat Branagh jetzt aus der Sicht des neunjährigen Knaben, der er damals war, auf sehr einfühlsame Weise erzählt. Dass im Film eine Schlüsselszene aus Fred Zinnemanns „High Noon“ („12 Uhr mittags“) von 1952 eingeblendet wird und wiederum eine Schlüsselszene von Branaghs Film mit dem Titelsong von „High Noon“ unterlegt ist, unterstreicht Branaghs Statement für den Wert und die Notwendigkeit von Zivilcourage in Zeiten von Terror und gesellschaftlichem Zerfall. Und noch einem weiteren klassischen Western erweist Branagh durch Einspielung einer kurzen Sequenz seine Hochachtung – John Fords „The Man Who Shot Liberty Valance“ („Der Mann, der Liberty Valance erschoss“) von 1962.

Für die diesjährige Oscar-Verleihung am 27. März 2022 ist der Streifen völlig zu Recht siebenfach nominiert worden – so als bester Film ebenso wie Kenneth Branagh für die beste Regie und das beste Originaldrehbuch, wie Judy Dench und Ciarán Hinds jeweils als beste Nebendarsteller und van Morrison für den besten Film-Song.

Clemens Fischer

„Belfast“, Regie und Drehbuch: Kenneth Branagh. Derzeit in den Kinos.

Der „Revolutionsbrunnen“

In den Wintermonaten von 1847 bis 1851 lebte Wilhelm Malte I., Fürst zu Putbus, mit seiner Frau Sophie Friederike Wilhelmine Louise von Lauterbach meist in Berlin. So auch während der Revolutionskämpfe 1848. Da „nicht zu übersehen war, ob nicht ein völliger Terrorismus eintreten werde“, kehrten beide nach Putbus zurück, schrieb der mit dem Königshaus und der Fürstenfamilie eng verbundene Geschichtsprofessor, Heimatforscher und Chronist Dr. Victor Julius Loebe 1910 in seiner „Festgabe zur Hundertjahrfeier der Gründung des Ortes“. In Putbus angekommen, bemerkten die Herrschaften, dass „in geringerem Grade […] Aufregung eingetreten war“. Zwar seien politische Klubs gegründet und „aufreizende Reden“ gehalten und durch Zeitungen und Plakate die Unzufriedenheit „aufgestachelt“ worden, die unruhige Zeit sei jedoch leidlich vorübergegangen. Nur wenige Bürger hätten sich „dem allgemeinen politischen Schwindel“ und – wie in Rügens „Hauptstadt“ Bergen – der „demokratischen Richtung“ angeschlossen.

Allerdings sei das frühere Verhältnis zwischen Fürst und Bevölkerung durch einige Maßnahmen getrübt gewesen, so habe der Fürst zwei von den Bürgern an der Straße errichtete Brunnen und einen weiteren im Park beseitigen lassen. Das habe einige Hausbesitzer ohne eigenen Brunnen in Verlegenheit gebracht und böses Blut erzeugt. Im Zuge der revolutionären Ereignisse sollen „die aufgeregten Massen“ mit immer neuen Forderungen und Anträgen aufgetreten sein, zwei Bürger wären beim Fürsten erschienen, um etwas „für sich herauszuholen“.

In seinem Tagebuch schilderte Johann Christian Katter, seinerzeit Tischlermeister in Putbus und Bademeister in Goor bei Lauterbach, die weiteren Ereignisse: Am 24. oder 25. Mai 1848 habe der Fürst den Zimmermann Wolff, der sich zufällig im Schloss befand, beauftragt, einige zuverlässige Leute im Stillen zusammenzurufen, um mit ihnen zu beraten, wie die Stimmung ruhig gehalten werden könne. Wolff versammelte zehn Bürger, von denen vier zum Fürsten gingen, unter ihnen Katter selbst und sein Stiefvater Wolff. Sie rieten dem Fürsten, sich ruhig zu verhalten, nichts Ungewöhnliches zu tun und dafür zu sorgen, dass die Arbeiter ihre Arbeit behielten. Der Fürst verzichtete auf einige „Gerechtsame“ der Grundherrschaft, so unter anderem auf das Monopol der Heringssalzerei, das Spinn- und Einliegergeld sowie verschiedene Hofdienste. Zugleich veranlasste der Fürst, die Luisenstraße (heute August-Bebel-Straße) zu pflastern, was die dort ansässigen Handwerker erfreute. Auf der Südseite des Marktes ließ der Fürst einen Brunnen errichten, um die Wasserversorgung zu verbessern. Fortan hieß der Brunnen im Volksmund „Revolutionsbrunnen“, auch „Revolutionspumpe“. Eine historische Ansichtskarte zeigt den säulenartigen Brunnenaufbau, augenscheinlich aus Sandstein, mit seitlichem Brunnenschwengel und gekrönt von einer nackten männlichen, aus einer Muschel (?) trinkenden Figur. Mit all diesen Maßnahmen gelang es den ohnehin gemäßigten politisch motivierten Unmut der Bevölkerung von Putbus und Umgebung zu dämpfen.

Der Brunnen wurde 1963 abgetragen.

Dieter Naumann

Musikalisches Vermächtnis an eine rauchgeschwängerte Stimme

Das MIG Musiklabel hat im Rahmen seiner Kooperation mit Radio Bremen ein durchaus bemerkenswertes Konzertereignis ausgegraben, eine Art musikalisches Vermächtnis. Denn ein Jahr nach dem Konzert am 27. Februar 2008 verstarb der Künstler. Die Erstdiagnose für die Krankenhauseinweisung lautete noch Hepatitis C, letztendlich war es aber ein Bauchspeicheldrüsenkrebs, der Willy DeVille nur 58 Jahre alt werden ließ. Seine musikalische Karriere begann mit seiner Band Mink de Ville im Jahre 1977 und dem Album „Cabretta“, das vom Musikmagazin „Rolling Stone“ zum Album des Jahres ausgewählt wurde.

Mit seinem Rhythm & Blues, garniert mit stark lateinamerikanischen Akzenten, erschaffte sich der US-Amerikaner auf dem europäischen Kontinent eine größere Fangemeinde als in seinem Heimatland. Willy DeVille war mit seinem Habitus und seinem Outfit auch ein optisches Kunstwerk: schwarzberockt, langes, hochtoupiertes Kopfhaar und ein edelsteinblitzendes Lächeln. Doch am markantesten ist auch beim Bremer Konzert seine markante Stimme: rauchgeschwängert und trocken, aber durchaus auch emotional und sinnlich. Einerseits kokettierte er mit dem Habitus eines Outlaws oder Dandys, andererseits war er der Interpret gefühlvoller Liebesballaden, die er häufig in „Spanglish“ (einem Gemisch aus spanischen und englischen Textelementen) darbrachte.

Das Album „Venus of the Docks“ bietet einen guten Querschnitt über seine dreißigjährige Musikkarriere. Eigene Stücke wie „Spanish Stroll“ oder „Demasiado Corazon“ werden ergänzt durch Fremdkompositionen wie das Elvis-Stück „Heartbreak Hotel“ oder die Latinversion des Rockklassikers „Hey Joe“, bekannt durch die Interpretation von Jimi Hendrix. Und so erinnert sich der Rezensent auch an ein einmaliges Konzerterlebnis in Nürnberg, als ein sichtlich aufgebrachter Willy DeVille mitten im Konzert von der Bühne sprang und auf den Tontechniker losstürzte. Wohlmeinende Zuschauer konnten Schlimmeres verhindern, derweil spielte die Begleitband routiniert weiter. Wer das Rauchverbot auf Bühnen ignorierte, akzeptierte auch keine amateurhaften Akustikbedingungen bei einem Konzert …

Thomas Rüger

Willy de Ville & The Mink de Ville Band – Venus of the Docks, MIG Music GmbH 2022, CD, circa. 15,00 Euro.

Klapphorn- & artverwandte Verse

Der UR-Vers

Zwei Knaben gingen durch das Korn,
der andere blies das Klappenhorn,
er konnt’ es zwar nicht ordentlich blasen,
doch blies er’s wenigstens einigermaßen.

Friedrich Daniel, Fliegende Blätter, 14.07.1878

Anonym

Zwei Knaben gingen durch das Korn,
Der andre hinten, der eine vorn,
Doch keiner in der Mitte;
Man sieht – es fehlt der dritte.

Zwei Knaben gingen durch das Korn,
Der zweite hat seinen Hut verlorn!
Der erste würd ihn finden,
– Ging er statt vorne hinten.

Zwei Knaben gaben sich einen Kuss,
Der eine, der hieß Julius,
Der andere, der hieß Gretchen,
Ich glaub, das war ein Mädchen.

Artverwandt

Zwei Mädchen liefen durchs hohe Gras,
Dem einen wurden die Höschen nass,
Dem andern nur die Beine,
Denn Höschen trug es keine.

Ein Reiter trabte schnell daher,
Ein Wanderbursche kam nicht mit.
Dies zu erklären hält nicht schwer:
Der eine lief – der andere ritt.

In Hitz und Staub mit müdem Gang
Ziehn ihres Wegs zwei Wanderer
Einer sitzt froh beim kühlen Trank –
Doch dieses war ein anderer.

Die Müll-Ecke

Ulrich Seidler von der Berliner Zeitung hat offenbar wirklich die beiden dicken Bücher Florian Havemanns gelesen und geriet darob in einen geistigen Vollrausch: „Wer Florian Havemanns Biografie kennt, weiß alles über die DDR.“

Mit Verlaub, Kollege Seidler, ein wenig mehr war da schon …

GH

Aus anderen Quellen

Im Editorial der aktuellen Ausgabe des Schweizer Magazins Zeitgeschehen im Fokus heißt es mit Blick auf den Ukraine-Krieg: „Eine differenzierte Analyse, die nicht von dem banalen Schema ‚Westen und Ukraine gut – Russland und Putin böse‘ geprägt ist, lässt sich nur schwer finden. Kaum jemand denkt über die Ursachen dieses Konflikts nach, die nicht erst im Einmarsch der Russen in die Ukraine zu suchen sind, genauso wenig wie der Mord von Sarajewo die Ursache des Er­sten Weltkriegs war.“ Im Interview mit Jacques Baud wird der Frage nachgegangen: „Wie ist man zu diesem Punkt gekom­men, Krieg zu führen?“

Interview mit Jacques Baud, zeitgeschehen-im-fokus.ch, 15.03.2022. Zum Volltext hier klicken.

*

„Ohne lange darum herumzureden: Die russische Anerkennung der Volksrepubliken Donezk und Lugansk am 21. Februar 2022 ist ein klarer Bruch des Völkerrechtes“, schreibt Jürgen Wagner und fährt fort: „Der anschließende russische Angriff auf die Ukraine ist unabhängig davon, dass auch der Westen an der Misere einen erheblichen Anteil hat, durch nichts zu rechtfertigen […].“ Daraus folgt unter anderem: „Die Tatsache, dass sich die NATO bisher keineswegs in Zurückhaltung geübt, sondern im Gegenteil die Eskalationsspirale Jahr um Jahr weiter befeuert hat, wird nun hierzulande leider deutlich schwerer zu vermitteln sein.“ Trotzdem: „Dennoch ist es weiter wichtig, diese Vorgeschichte nicht unter den Teppich zu kehren […].“

Jürgen Wagner: Der NATO-Prolog des Ukraine-Krieges. IMI-Analyse 2022/06, 03.03.2022. Zum Volltext hier klicken.

*

„Ungeachtet der Eskalation und der blutigen Kämpfe in der Ukraine“, vermerkt Ben Müller, ist seit „dem 14. März 2022 der Nordatlantik und das norwegische Festland für drei Wochen zum Austragungsort der Militärübung ‚Cold Response‘. Etwa 35.000 Soldat*innen aus 23 NATO-Staaten sowie den Partnerländern Schweden und Finnland werden erwartet, davon etwa 14.000 aus Landstreitkräften, 13.000 aus der Marine und 8.000 aus Luftverbänden oder anderen Einheiten. Damit handelt es sich um die größte Übung, die Norwegen seit den 1980er Jahren geleitet hat.“

Ben Müller: Norwegens kalte Antwort, IMI-Studie 2022/2, 7.03.2022. Zum Volltext hier klicken.

*

Rainer Böhme und Wilfried Schreiber haben eine neue Ausgabe der Reihe dgksp – diskussionspapiere herausgegeben, die sich mit Russland im Ukraine-Konflikt und mit Kiews Militärstrategie befasst. Dokumentiert in deutscher Übersetzung sind auch die Ansprachen des russischen Präsidenten Wladimir Putin vom 21. und 24. Februar 2022.

Rainer Böhme / Wilfried Schreiber: Russland im Ukraine-Konflikt (2022) um eine neue Weltordnung und die „Militärstrategie der Ukraine“ (März 2021), dgksp – diskussionspapiere, März 2022. Zum Download hier klicken.

*

Mitte der 1980er Jahre huben der Begriff Zärtlichkeit und alle im Kontext dessen überhaupt nur imaginierbaren Gefühls- und Gedankenhubereien in den Feuilletons der alten BRD und andernorts in jenem damals fernen, heute bestenfalls noch befremdlichen Lande zum Höhenfluge an, und Eckhardt Henscheid ob dieser ebenso ubiquitären wie talmiintellektuellen Zumutung zu einer lamentösen Suada, an der heute nur eines verwundert: Wie wenig sich seither – im Prinzip – geändert hat. Henscheid damals unter anderem: „In einer Zeit der Realsatire auf Schritt und Arschtritt sind die abgewirtschafteten Blind- und Leerformeln gerade gut und zynisch genug, die Korruption zu fördern und anzufeuern – und je liebloser und gehaltloser diese Zeit, desto zärtlicherer Sprüche bedarf sie wohl. Was da scheinbar wieder einmal nach einem Zeitalter der Empfindsamkeit lechzt, ist in Wahrheit – und bestenfalls – nur scharf auf die letzten der einigen Adelsausweis versprechenden Vokabeln; in den mehreren Fällen nicht einmal das; sondern da quatscht und raunzt, gewissermaßen mit einiger Ehrlichkeit, nur noch, sich die Augen und Ohren zuzwickend, das Weltenunheil selber.“

Eckhard Henscheid, Zärtlichkeit und Schwerdummdeutsch, zeit.de, 07.11.1986. Zum Volltext hier klicken.