14. Jahrgang | Nummer 13 | 27. Juni 2011

Bemerkungen

Es war nicht alles schlecht

Der eigenartige Beschluss der Bundestagsfraktion der Partei Die Linke zur Nahostproblematik, von dem man nach wie vor nicht recht weiß, ob er mehr mit der Sache selber oder eher mit innerparteilichen Grabenkämpfen zu tun hatte (siehe: Das Blättchen Nr. 12 vom 13. Juni 2011), schlägt weiter Wellen. Zur Erinnerung, beschlossen war: „Wir werden uns weder an Initiativen zum Nahost-Konflikt, die eine Ein-Staaten-Lösung für Palästina und Israel fordern, noch an Boykottaufrufen gegen israelische Produkte noch an der diesjährigen Fahrt einer ‚Gaza-Flottille‘ beteiligen.“ Niemand in der Linken, der das so nicht teilen mochte, hat „das Existenzrecht Israels zur Disposition“ gestellt. Dies ist die Behauptung, die in einem „Offenen Brief“ erhoben wird, der von Siegfried Prokop, Anni Seidel, Jürgen Hofmann, Jörg Rösler und anderen unterzeichnet wurde. Er erschien am 21. Juni in Neues Deutschland als „Anzeige“.
Es fällt auf, dass die Genossinnen und Genossen überwiegend Historiker sind, die vor allem zur Geschichte der DDR gearbeitet haben. Wahrscheinlich hatten sie gerade wieder die alten Zeitungen durchgeblättert, in denen die Zustimmungserklärungen der Kulturschaffenden zur Weisheit der Parteiführung und ihren richtungsweisenden Beschlüssen, etwa zum Mauerbau oder zur Ausbürgerung Biermanns abgedruckt waren. Und da dachten sie, es war nicht alles schlecht damals, das können wir unseren führenden Genossen doch heute auch kredenzen. Vielleicht freuen sie sich ja, die Genossen da oben, wenn wir ihnen sowas aufschreiben.

WL

DER MANN – kein Requiem

DER MANN gehört auf die Rote Liste der gefährdeten Arten. Dringendst! Aber wahrscheinlich ist es schon zu spät. Und vielleicht ist das auch besser so. Oder aber nicht?
Eine Alltagsszene – dieser Tage geschildert von Georg Diez im Spiegel – las sich so:
„Als neulich eine Kollegin in der Konferenz fragte, wie es eigent­lich uns Männern gerade gehe, da konnte man hören, wie die Frage aus dem 12. Stock fiel, wo wir saßen, ganz tief, bis sie auf dem Bürgersteig zerschellte.
Wie jetzt genau?
Der letzte Mann in der Redaktion war erst vor ein paar Tagen in den Ruhestand gegangen, ein meist grummelnder, düster in die Welt blickender Herr und Hüne, der in seiner Freizeit gern Militärmärsche summt.
Am Tisch saßen jetzt nur noch Typen, die schon mal Kochrezepte austauschen oder sich über Kindergartenplätze unter­halten, die an der Größe der Schulter­polster erkennen, ob ein Sakko von 2011 ist oder von 1999, die selbst vielleicht noch nicht im Enthaarungsstudio waren, ganz sicher jedoch jemanden kennen.
Aber Männer?“
Damit korrespondiert, was Diez auch festzustellen sich offenbar genötigt sah: „Wir wissen … nicht mehr recht, was ein Mann ist.
Ist er ein sexistischer Clown wie Silvio Berlusconi, dessen Bunga-Bunga-Irrsinn mehr zur Erniedrigung des männlichen Geschlechts beigetragen hat als 1.000 Stun­den Zwangslektüre von Alice Schwarzers ‚Bild’-Kolumne?
Ist er ein verzweifelter Allmachtstrottel wie Dominique Strauss-Kahn, der nicht merkt, wie arm es ist, wenn man sich daran aufgeilt, als sein eigenes billigstes Kli­schee durch die Hotels dieser Welt zu hechten?
Ist er eine Comic-Figur wie Arnold Schwarzenegger, dessen Körperbau so un­plausibel wirkte wie seine Ehe mit einer Frau aus dem Kennedy-Clan und der sich mit seinem unehelichen Kind auf eine Bo­ris-Becker-hafte Art lächerlich gemacht hat?“
Nun – wie immer man diese Fragen beantwortet, wenn derartige Vertreter der männlichen Spezies nur noch in einschlägigen Naturkundemuseen zu besichtigen wären, müsste ihnen keine Träne nachgeweint werden. Ob allerdings, was da alternativ und weichgespült nachwächst, der Evolution letzter Schrei sein sollte, muss sich auch erst noch erweisen: „Der Mann ist heute eine Frau. Oder jedenfalls das Klischee einer Frau: sensibel, rück­sichtsvoll, kümmernd.“ (Diez)
Ich halte es da lieber mit Regine Sylvester, Berliner Zeitung: „Ich stelle mir vor, ich wäre ein Mann, und zwar einer von den netten. Ich bin bindungsfähig, geduldig und fürsorglich. Ich bin dieser Typ mit Schultern zum Anlehnen. Ich halte Versprechen, kann zuhören und finde Worte für meine Gefühle. Ich bin ein wilder und zärtlicher Liebhaber. Ich habe Freunde.“ Ich kenne mehr als nur einen solchen, und auch Sylvesters Fazit kann ich teilen: „Ich wage Verallgemeinerungen, aber sie sind gespeist aus Erfahrung: Männer sind schlicht gestrickte, gutmütige Vorwärtsstrategen. Sie können mühelos mit einer Frau ins Bett gehen, ohne sich verlieben zu wollen. Sie sind Streuner, kehren aber in die bekannte Hütte zurück. Intelligente Männer betrügen großartige Frauen mit einer passablen Schnitte: Das läuft bei ihnen auf einem anderen Kanal. Eine Frau, die Männer eine Weile mit grundsätzlicher Sympathie betrachtet hat, erwartet nichts Unmögliches und wird nicht so leicht enttäuscht werden. Man könnte sich arrangieren.“ Das tue ich seit fast 25 Jahren, und von mir aus kann es gern so bleiben.

Karin Kunstmann

Weniger Kleingeist im Kleinstaat

Das Fürstentum Liechtenstein besteht nach Ansicht vieler Zeitgenossen weitgehend aus Banken und Briefkästen, in denen diverse Firmen Platz finden. Sonst hört man selten etwas aus der Erbmonarchie, die in vieler Hinsicht als ein doch recht konservatives Staatsgebilde gilt. Das stimmt aber nur bedingt. Die 36.000 Fürstentümler sind keineswegs der Zeit jene 100 Jahre hinterher, die man deutscherseits gern den Mecklenburgern andichtet. Die soeben erst vollzogene Abstimmung über die Zulassung der gleichgeschlechtlichen Ehe als partnerschaftsgesetzlich festgeschriebenes Rechtsgut hat dies nicht nur irgendwie bewiesen, sondern auf ein sehr viel moderneres Denken im Kleinstaat hingewiesen, als dies zu vermuten war. Immerhin erklären sich rund 78 Prozent der Liechtensteiner als katholisch, und wer verfolgen konnte, wie vehement gerade die katholische Obrigkeit gegen die Gesetzesnovelle argumentiert hat, durfte sich wirklich die Augen reiben, als schlussendlich 74,2 Prozent der 9.239 Stimmberechtigten klar mit Ja votierten.
Die neue Gesetzgebung sieht vor, dass homosexuelle Partnerschaften nunmehr auf dem Zivilstandesamt beurkundet werden. Nicht zulässig bleiben allerdings die Adoption von Kindern sowie die „Anwendung von fortpflanzungsmedizinischen Verfahren … oder Leimutterschaft“.

HWK

Verfallsdatum

Dass in Deutschland keine Bananen wachsen verstehe, wer kann. Am Demokratieverständnis unserer Volksparteien jedenfalls liegt es sicher nicht.
In einer parlamentarisch verfassten Demokratie wie der bundesrepublikanischen ist die regelmäßige Abstimmung des Souveräns über sein Regierungspersonal die condicio sine qua non des Systems oder, um den Klassiker zu bemühen, des Pudels Kern. Das gilt natürlich zuvorderst für die Bundestagswahlen, und damit das dazu notwendige Procedere sich streng nach Recht und Gesetz vollziehe, wurde dafür das Bundestagswahlgesetz geschaffen. Zum 30. Juni dieses Jahres wird die Republik aber über kein verfassungsgemäßes solches mehr verfügen. Und das kam so.
Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahre 2008 wesentliche Teile des geltenden Gesetzes für verfassungswidrig erklärt; das geltende Wahlverfahren wurde in diesem Kontext als „willkürlich“ und „widersinnig“ apostrophiert. Es ging dabei um die so genannten Überhangmandate, die paradoxerweise bei einem Mehr an Stimmen für eine Partei zu einem Abzug an Mandaten für eben diese Partei führen können. Wie das im Einzelnen geht, muss man nicht mehr verstehen, denn das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Punkt grundlegende Revision angeordnet. Bis 30. Juni 2011.
Fest steht: Der Termin wird ergebnislos verstreichen, denn die schwarz-gelbe Koalition hat praktisch nichts unternommen, um der Auflage des Gerichts zu genügen. Treibender – oder besser: blockierender – Teil ist die Union, die derzeit im Bundestag über sämtliche 24 Überhangmandate verfügt und offenbar darauf spekuliert, bei der nächsten Bundestagswahl mit diesem verfassungsrechtlich zweifelhaften Instrument nochmals zu der parlamentarischen Mehrheit zu gelangen, die ihr das Wahlvolk mehrheitlich verweigern könnte.
Das ist offene Missachtung des Bundesverfassungsgerichts durch die Regierung, und zugleich wird von Merkel, Seehofer, Westerwelle, äh, Rößler, und Co. der Souverän verhöhnt, denn sein Mehrheitswille wird gegebenenfalls wieder durch Überhangmandate obsolet. Hier zeigt sich ein Demokratieverständnis, dem die Kritikberechtigung gegenüber Bananenrepubliken abzusprechen ist.
Es kann aber noch schöner kommen. Darüber hat sich Christian Bommarius kürzlich in der Berliner Zeitung Gedanken gemacht: „Niemanden würde es überraschen, wenn die sieche schwarz-gelbe Bundesregierung in den nächsten Wochen oder Monaten das Zeitliche segnen würde. Die dann fällige vorgezogene Neuwahl würde vielleicht mit einer Überraschung, in jedem Fall aber in einer Katastrophe enden. Weil das Wahlgesetz verfassungswidrig ist, würden die Karlsruher Richter einer Anfechtung der Wahl in jedem Falle stattgeben, die Bundestagswahl also für ungültig erklären. Infolgedessen gäbe es auch keinen Bundestag, der ein neues, verfassungsgemäßes Wahlgesetz beschließen könnte.“ Der 30. Juni 2011 würde in solchem Falle als Verfallsdatum der parlamentarischen Demokratie bundesdeutscher Prägung in die Annalen eingehen.

gm

Niemiecki Biurokracji

Ein neuer Lebensabschnitt begann. Die Klassenlehrerin betrat den Raum in einem Sportanzug, der ihre Profession anzeigte. Ein paar feierliche Worte. Wer weiß, was sich bewahrheiten wird? Mal schauen, wer nun den Weg in diese geheiligte Institution gefunden hat. Ein paar Namen und Gesichter merken. Alles ging flüssig, bis ein seltsam geschriebener Name auf der Liste auftauchte: „Alexander Pa… Palu… Palutzki? Ist das richtig? Das steht hier so komisch.“ Ein fremder Buchstabe stand dort. Der Schüler versuchte sich zu erklären, am Ende standen ein genervtes Ja und eine überforderte Lehrkraft. Nach viel Verwirrung wurde von Alex eine mit unverstandenem Augenzwinkern vermittelte, dem Deutschen affine Lösung gefunden: Paluki.
Ein Name, der blieb und dessen Geheimnis erst in den höheren Klassen einigen offenbart wurde, was dann wieder für viele Fragen und Würgelaute sorgte, bis sich das Gewohnte erneut durchgesetzte.
Auf dem Amt erschien Frau Pałucka, um ihren neuen Personalausweis zu beantragen. Die Amtsstute hinter dem Pult schaute die Formulare durch: „Also das habe ich bisher noch nicht gesehen… So was habe ich noch nie gehört! Und ihr Mann hat einen anderen Namen… So was gibt es nicht.“ Im Polnischen enden die Nachnamen der Männer auf i und die der Frauen auf a – für deutsche Verwaltungshirne schwer verständlich. Frau Pałucka hatte sich zu entscheiden: Entweder nahm sie einen Männernamen oder ihr Mann einen Frauennamen. Was wiegt für wen schwerer? Dieser außerordentliche Buchstabe ł (ausgesprochen: wu) hatte in jedem Fall zu verschwinden, so etwas existiert nicht, Hirngespinst – für deutsche Verwaltungsangestellte. Also wurde Frau Pałucka zu Frau Palucki – alles hatte wieder seine Ordnung.
Beim nächsten Grenzübertritt auf dem Weg in die Heimat schaute sich der polnische Grenzbeamte den Ausweis an, er schaute auf die Frau, ging in sein Häuschen, schluckte etwas Kaffee und zeigte das Dokument seinem Vorgesetzten, der schüttelte nur den Kopf: „Niemiecki Biurokracji” und gab den Ausweis wortlos an seinen Untergebenen.
Der Ausweis ging an die Besitzerin zurück, mit der stark betonten Aufforderung: „Kommen sie durch, Frau Pałucka”
Ein altes Spiel…

Paul

Von Klosters lernen, …

… heißt säubern lernen.
Der Berliner Senat begibt sich bekanntermaßen gern und nicht eben selten in Klausur. Vermutlich, um dabei nicht von Berlinern gestört zu werden, legen die Stadtregenten dann zwischen sich und ihr Volk gern etliche Kilometer Abstand; schön soll’s am Ort der Klausur meistens auch sein. Aber das lohnt auch, herauskommt dabei in der Regel sehr viel – leider fällt mir gerade nichts davon ein.
Nun gäbe es da einen Tipp für den Senat: Die kleine Schweizer Gemeinde Klosters hat nicht nur die zitierte Schönheit zu bieten und einen ordentlichen Tagungssaal sowieso – sie kann auch als Ort dienen, der für ein meines Erachtens zentrales Berliner Problem eine fulminante Lösungsmöglichkeit zum Vor-Ort-Studium anbietet. Hat die idyllische Tourismusgemeinde in Graubünden doch definitiv beschlossen, dass 100 Franken zu zahlen hat, wer Abfall auf öffentlichen und privaten Grund wirft. Nun ist innert dieser neuen Polizeigesetzlichkeit, noch nicht völlig geklärt, ob auch bereits ein Kaugummi oder eine Zigarettenkippe unter dieses Verdikt fallen, aber dass man es bitterernst meint, daran besteht kein Zweifel.
Und nun stelle man sich vor; Berlin würde diesem Beispiel folgen. Bei 100 Euro pro Vermüllungstat ließe sich in Anbetracht unserer doch ziemlich dreckigen Stadt vieles zum Besseren verändern. Im günstigsten Falle hätten wir nach einiger Zeit eine sauberere Stadt. Aber selbst wenn nicht – ein Abbau der öffentlichen Verschuldung und eine Sanierung des Haushalts wären auch ein schönes Ergebnis. Apropos: Allein aus fiskalischen Gründen müsste man ja dann geradezu wünschen, dass möglichst viele Hundehalter die Haufen ihrer Lieben auch weiterhin nicht entsorgen …
Senatoren aller Ressorts: Vereinigt Euch und klausurt in Klosters. Ein freundliches „Grüezi miteinand’ ist euch sicher.

Helge Jürgs, Graubünden

Wirsing

Schauspieler, Intendant und Fernsehliebling: Dieter Mann wurde kürzlich 70 Jahre alt. Der MDR zeigte aus diesem Anlass ein Porträt des Künstlers und warb dafür mit dem Text: „Seine Laufbahn begann 1964 mit einer fulminanten Hauptrolle im Dauerbrennerstück ‚Die neuen Leiden des jungen W.’ am Deutschen Theater. Goethe hätte jubiliert.“ Wieso nun gerade Goethe über ein Stück von Ulrich Plenzdorf jubilieren sollte, bleibt dahingestellt. Vielleicht hätte auch Levi Strauss jubiliert? Oder Louis Armstrong? Die fulminante Hauptrolle, mit der Dieter Mann 1964 tatsächlich im Deutschen Theater seine Laufbahn begann, war der Wowa in „Unterwegs“ von Wiktor Rosow (1913-2004). Den Edgar Wibeau spielte Mann erst knapp zehn Jahre später. Aber „Unterwegs“ war ein sowjetisches Gegenwartsstück und gehört nicht zum Kanon bundesdeutscher Bildungseinrichtungen. Darüber hätte nicht mal J.D. Salinger jubilieren können!

Fabian Ärmel