27. Jahrgang | Nummer 4 | 12. Februar 2024

Alternativen für die deutsche Republik

von Max Klein

In den vergangenen Wochen demonstrierten vielleicht eine Million Menschen gegen Rechtsextremismus. Medien beschreiben die Gefahren einer erstarkten Rechten, lassen Menschen sogar mit der Sorge zu Wort kommen, wo sie denn hingehen könnten, sollte es ähnlich kommen wie 1933. Umfragen deuten auf bemerkenswerten Rückhalt für die AfD hin, für eine Partei, die eine Alternative für Deutschland sein will. Einer ihrer wenig angenehmen Führer darf Faschist genannt werden und könnte im Herbst in Thüringen Ministerpräsident werden. Die SPD erwartet drei Prozent in Sachsen (man weiß um den beschränkten Wert von Umfragen, die jedoch Indikatoren sind.). Es ist denkbar, dass bei der Bundestagswahl 2025 die FDP die Fünf-Prozent-Schwelle unterschreitet und SPD und Grüne/Bündnis90 ganz erheblich an Stimmen verlieren. Manch eine Demonstration für ein besseres Leben kann oder will sich gegen jene nicht wehren, die laut sofortige Neuwahlen einfordern. Wirtschaftsverbände schreiben offene Briefe in Sorge um die Zukunft des Standorts Deutschland. Die Stimmung im Land ist gereizt und gibt Anlass zur Sorge, auch mit Blick auf das Ende der Weimarer Republik. Sorge nicht zuletzt im Hinblick auf den Anspruch aller Menschen, gleich welcher Herkunft oder Religion, auf ein gleichberechtigtes, sicheres Leben, ein Anspruch, der bereits im Artikel 1, Absatz 2, des Grundgesetzes festgeschrieben ist: „Das Deutsche Volk bekennt sich […] zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“

Sehr viele Menschen fragen sich nun nicht nur, was eigentlich geschehen ist, sondern mehr noch, sie machen sich Gedanken darüber, was zu tun ist, um diese reiche, zauberhafte Republik wieder zu befrieden und ihre wahre innere Kraft und äußere Vorbildwirkung zu erneuern. Diese Fragen nahezu alle mit der AfD zu verbinden, greift zu kurz, wird auch von der besonders gern gehört, bedeuten doch Schlagzeilen Aufmerksamkeit in der von den unsozialen privaten und unreifen öffentlichen Medien so stark beeinflussten Republik.

Es ist schon interessant zu bemerken, dass die AfD bei den Bundestagswahlen 2013/2017/2021 jeweils 4,7/13/10 Prozent der abgegebenen Stimmen erhielt, und ihr nun 19 vorhergesagt werden (Forschungsgruppe Wahlen 2. Februar 2024). Die NSDAP kam 1932 mit einem „Wirtschaftlichen Sofortprogramm“ daher; Gewalt, Mord und Krieg folgten. „Wehret den Anfängen“ ist nicht damit getan, dass Bundeskanzler Scholz die AfD, im Juni 2023, eine „schlechte Laune Partei“ nennt. Es ist notwendig, wie auch er weiß. Man ist jedoch gut beraten, die akuten Probleme Deutschlands nicht nur vornehmlich mit dieser einen rechtsextremen Vereinigung zu verbinden und so zu tun, als sei sonst alles in Ordnung, sondern zu suchen, warum zu viele Menschen sich abwenden von der Demokratie, und wirksame Alternativen für die deutsche Politik zu finden.

So kommt man unweigerlich zu einer Regierung, die viele für ungeeignet halten. Man muss als erstes die Kriegsfrage(n) sehen, Willy Brandt folgend, der erklärte, „Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts“. Die SPD hat nun einen sogenannten Minister für Verteidigung, der das Gegenteil verkündet, offen und zu wenig widersprochen, und Deutschland „kriegstüchtig“ machen will. Das bedeutet eine Militarisierung des Denkens, ein Wiederaufleben deutscher, unseliger Militärtraditionen, die Wiedereinführung der Wehrpflicht, Aufrüstung, Maximalprofite für Rheinmetall und viele andere Rüstungskonzerne, kaum überschaubare Schulden des Staates, der doch der Präambel des Grundgesetzes verpflichtet ist, in der es heißt, man sei „von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen“. Es wäre das Ende des Sozialstaates, mit inhärenten noch größeren Gefahren. Die von Pistorius reich ausgestattete Brigade von 4000 Bundeswehrsoldaten in Litauen wird daran nichts ändern.

In der Debatte um die Bundeswehr werden Begriffe bewusst missbraucht. So erklärt man die Armee für kaputtgespart, bei etwa 50 Milliarden Euro Jahreshaushalt, der auch unter Angela Merkel stetig wuchs. Die Bundesregierung brachte es fertig, die 100 Milliarden Euro ein „Sondervermögen“ zu nennen, das tatsächlich eine Schuld ist. Das Gedächtnis mancher Politiker ist erstaunlich kurz. Man kann hören, dass Putin den Gashahn zugedreht habe, wohl wahr, nur weiß man noch, dass die EU vorher erklärte, kein russisches Gas oder Öl mehr abnehmen zu wollen. Die Sanktionen sind vor allem im eigenen Land schädlich und eben keine wirksame Bestrafung Russlands. Unterdessen ließ die deutsche Regierung nicht nur zu, dass jemand die Nord-Stream Pipeline zerstörte, sondern sie verzögert ganz offenbar die Aufklärung, vielleicht schon wissend, wo die Täter abfuhren.

Die Rechtfertigung für die Aufrüstung, die Olaf Scholz eine „Zeitenwende“ genannt hat, ist der Angriff Russlands auf die Ukraine. Darüber ist so viel geschrieben worden, auch im Blättchen, dass man alles nachlesen kann. Man muss kein (Ex-)General sein, um zu wissen, dass Russland, wohl nicht nur in dieser Auseinandersetzung, nicht militärisch zu besiegen ist, schon gar nicht „ruiniert“ (Baerbock) werden kann. Im an Verdun 1916 erinnernden, gegenwärtigen Stellungskrieg werden weitere Tausend junge Menschen sterben, bis es in der Ukraine vielleicht keine kriegsfähigen Männer mehr gibt. Es ist unverantwortlich, und widerspricht ehedem heiligen Prinzipien bundesdeutschen Waffenexports, ein riesiges Waffenarsenal in ein solches Kriegsgebiet zu übergeben, nur damit das Gesicht gewahrt bleibt, die Profite gesichert sind und die Politik gerechtfertigt erscheine. Ehe man diese Zeitenwende feiert und für alternativlos erklärt, gemeinsam mit der grünen Pflugschargarde, möge man den Frieden in Verhandlungen wiederherstellen, wozu im August 2023 Harald Kujat, Peter Brandt, Hajo Funke und Horst Teltschik einen zu wenig beachteten, jedoch durchdachten Weg wiesen, auch im Blättchen, der detailliert zeigte, dass Frieden nicht notwendig die Kapitulation der Ukraine bedeuten muss. In Jahrzehnten politischer Auseinandersetzung kamen Willy Brandt und Egon Bahr zu der Auffassung, dass Frieden in Europa nicht gegen, sondern nur mit Russland, seinerzeit der Sowjetunion, erreicht werden kann. Erstaunlich, dass es die SPD ist, die das nun offenbar vergessen machen möchte.

Zum 1. Februar 2024 wollte Olaf Scholz, dass alle EU-Mitgliedstaaten genau vorlegten, was sie für die Bewaffnung und Hilfe der Ukraine zu liefern gedächten. Das Echo war mau, offenbar gab es wenig Freude an der Idee, gerade Deutschland gegenüber, eine noch dazu militärische Rechenschaft ablegen zu sollen. Mit der Verabschiedung des Haushalts im Bundestag am 2. Februar wurde auch eine Bemerkung verabschiedet, wonach man neue, hohe Schulden aufnehmen wolle, wenn die Entwicklung in der Ukraine dies erfordere, sprich, wenn Donald Trump das USA-Engagement in der Ukraine beenden sollte oder Joe Biden die Hände gebunden blieben. Scholz scheint allen Ernstes anzunehmen, dies sei der Zeitpunkt eines großen deutschen Einsatzes. Auf welcher realen Grundlage, so möchte man fragen, könnte denn Deutschland eine Rolle in der NATO übernehmen, noch dazu gegen Russland, die gegenwärtig die Vereinigten Staaten von Amerika innehaben?

Die friedliche Koexistenz mit Russland ist der einzige Weg in die Zukunft, auf dem sich Deutschland als Meister der Diplomatie und nicht der Waffen hervortun sollte. Mit anderen Worten, Olaf Scholz möge in Verhandlungen und durch beständige Zurückhaltung den Frieden suchen und nicht im plötzlichen Übereifer eines starken Mannes den fortgesetzten oder gar kommenden Krieg riskieren. Jene, die den fortgesetzten Krieg als einziges Mittel zu dessen Beendigung ansehen, wären, abgesehen von Rüstungslobbys und extremen politischen Zirkeln, gewiss einverstanden, gelänge es, den Frieden auf friedlichem Weg wiederherzustellen.

Es sind neben der Außenpolitik natürlich innenpolitische Fragen, die zu lösen sind, will man den inneren Zusammenhalt der Republik wiedergewinnen. Eine erste, vergleichsweise einfache Maßnahme ist die Rücknahme des Heizungsgesetzes, das die Umwelt kaum oder gar nicht bessern kann, und das von einer CDU/CSU geführten Regierung wohl ohnehin kassiert werden wird. Es gibt zu viele Denk- und Handlungsfehler, die diese „große Idee“ des Habeck Klubs mit sich brachte.

Zunächst ist die Vorstellung, geschätzte 50 oder mehr Prozent aller Heizungsanlagen dieses Landes auszuwechseln, schlicht weltfremd oder auch absurd zu nennen. Die Kosten sind für einen erheblichen Teil der Hausbesitzer, nicht die betuchten Freunde der Grünen oder der FDP, sondern die eigentliche Klientel der SPD, nicht tragbar. Das bedeutet, Menschen werden in der Tat und ohne Not aus ihren Häusern vertrieben oder zu großen Schulden veranlasst. Das reichte schon als Grund für eine massenhafte Abkehr von den Ampelparteien. Es ist aber mehr als dieser finanzielle Zwang, sondern der berechtigte Zweifel an der ganzen Maßnahme. Der technische Aufwand für die favorisierte Pumpenlösung ist alles andere als vernachlässigbar, der Strom für diese Wundergeräte wird beträchtlich und nicht grün sein. Eine Regierung, die sich gern und aus nicht zu kritisierenden Gründen für Europa einsetzt, die müsste wissen, dass klimarelevante Lösungen nicht isoliert realisiert werden können und auf das deutsche gute Beispiel niemand wartet.

Das gilt auch für die Frage der Zukunft der Kernenergie. Deutschland möchte gern eine grüne Insel der Energiegewinnung sein, ist jedoch umringt von mehr als 100 europäischen Kernkraftwerken, deren Strom sie auch annimmt, wenn nötig.

Eine dritte Frage ist die nach Transparenz und Bürokratieabbau. Man weiß nicht, ob man eine Bürokratie erfolgreich bitten kann, sich einzuschränken oder gar abzubauen. Der Seeheimer Kreis der SPD schlug soeben den Einsatz der Künstlichen Intelligenz vor, jedoch wird es ohne menschliche Intelligenz wohl nicht gehen. Viele Wirtschaftsunternehmen und Verbände fordern hier schnelle Verbesserungen. Dies wird auch von der Ampel angesprochen und könnte ohne sichtbare Kursänderungen möglich sein. Substantielle Fehler dieser Regierung, in der Finanzpolitik, beim Agrardieselthema, oder der Förderung von Elektroautos, lassen jedoch an ihrer Fähigkeit zweifeln, diese Gesellschaft mitnehmen zu können in eine gesicherte Zukunft. Jedenfalls sollten Frieden, Heizung oder Management keine Themen sein, die man „rechts“ ausnutzen könnte. Man gewinnt diese Gesellschaft daher nicht primär mit Aktionen gegen die AfD, so wichtig diese sind, sondern durch eine neue Politik für die Menschen. Die Überwindung der jetzigen Situation erfordert Einsicht, Umsicht, Verlässlichkeit und Umkehr von dieser Regierung, die dabei ist, nicht nur ihre Mehrheit, sondern den Zusammenhalt Deutschlands zu verspielen.

Es gibt historische Beispiele für radikales Umsteuern, wie den „New Deal“ von Franklin D. Roosevelt im Jahr 1933. Es gibt auch Beispiele für lethargisches Festhalten an der einen, ideologisch verklärten Wahrheit, die ganze Staaten nicht überlebten, wie auch die DDR 1989.

Die Frage der Migration nach Deutschland ist anderer Natur. Der hohe Lebens- und Sozialhilfestandard in Europa wird attraktiv für alle bleiben, denen es schlechter geht, vielen ja so schlecht, dass ihnen jede Hoffnung genommen ist. Wären doch nicht Elend und Hunger ihre Zukunft, blieben sie zu Hause. Das Grundgesetz regelt in Artikel 16A das Recht auf Asyl für politisch Verfolgte, mit detaillierten Ausführungen dazu, wie es durch Gesetz zu handhaben wäre. Was aber ist mit Menschen, die nicht politisch verfolgt werden, jedoch keine Lebensgrundlage mehr haben? Es ist dies ein Problem, dass nur mit Geduld, Weisheit, Humanität und ökonomischem, globalem Ausgleich gelöst werden kann. Die unsäglichen Summen für Waffen wären besser eingesetzt für die Entwicklungshilfe armer Länder. Man wird weiter nach organisatorischen Auswegen suchen, man wird verstehen müssen, dass die Aufnahmekapazitäten der betroffenen Länder endlich sind, und man wird sich hoffentlich abwenden von der britischen „Lösung“, wonach jeder Migrant „postwendend“ nach Ruanda abgeschoben werden soll, trotz der Ankündigung von Olaf Scholz „massiver abschieben“ zu wollen, ohne ersichtlichen Plan. Eine Gesellschaft wie die deutsche kann dieser Herausforderung nur begegnen mit der Bereitschaft zu teilen und der Zuwendung zu den globalen Ursachen der Migration. Es wird nicht helfen, dieses Problem der AfD zu übergeben, wie Italien deutlich macht. Es ist eine Frage, ob der moderne Kapitalismus die Welt hinreichend befrieden kann oder eher nicht.

Es geht nicht darum, ob die Ampelregierung bis 2025 bleibt und dann wiedergewählt wird, es geht um die Zukunft und den Zusammenhalt dieses Landes, das einst Weltkriege begann, gerade erst vereint ist und alles hat, um sich nicht narren zu lassen von den gegenwärtigen Stimmungen. Dazu muss diese Regierung nicht erklären, wie toll und weitsichtig sie ist, sondern sich befreien von ideologischer Blindheit, um sich radikal und schnell zu wandeln, sich auch besinnend auf historisch gesicherte Ansichten vor der „Zeitenwende“ des Kanzlers, der endlich verstehen möge, was eigentlich die „schlechte Laune“ macht. Dies könnte Deutschland auf bessere Wege zurück und zu Veränderungen führen, die eine breite Mehrheit verstünde und trüge. Eine demokratische Alternative für die deutsche Republik ist anders wohl nicht zu erreichen.