26. Jahrgang | Nummer 24 | 20. November 2023

Kaczyńskis letzte deutsche Karte

von Jan Opal, Gniezno

Jarosław Kaczyński, Chef der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), trägt schwer an der Niederlage vom 15. Oktober, das war in der ersten Sitzungswoche des neuzusammengesetzten Sejms gut zu beobachten. Die absolute Mehrheit der Sitze im polnischen Parlament, an die man sich seit Herbst 2015 gewöhnt hatte, ist futsch. Der großangelegte nationalkonservative Umbau des Landes ist vorerst beendet – das zumindest wird zugegeben. Kaczyński zieht auffallend die Parallele zu 2007, als vorgezogene Neuwahlen ihn nach nur zwei Regierungsjahren auf die Oppositionsbank zurücksetzten. So wie aus dem Anlauf von damals schließlich 2015 doch noch ein strahlender Siegeszug geworden sei, so werde auch diesmal das lachende Ende den Nationalkonservativen gehören. Nur werde es, sagt Kaczyński trotzig voraus, nicht die vielen Jahre brauchen, man werde schneller zurück an die Machthebel kommen als damals. Der gestrauchelte Mann, von manchen Polen nur kurz „Kaczka“ (Ente) genannt, teilt kräftig aus gegen die Gegner, die ihn besiegten, und nutzt dafür jede sich bietende Gelegenheit.

Am 11. November, dem polnischen Nationalfeiertag, stellte Kaczyński in Kraków den künftigen Ministerpräsidenten Donald Tusk ein weiteres Mal als hinterhältigen Verräter an den polnischen Interessen heraus: Dem Land stünde unter einer von Tusk geführten Regierung das Allerschlimmste erst noch bevor. In grellen Farben malt Kaczyński das Gespenst des drohenden Verlustes von staatlicher Unabhängigkeit und Souveränität an die Wand. Um den verhassten Konkurrenten zu treffen, der von 2014 bis 2019 Präsident des Europäischen Rates war, wird auf die EU eingedroschen.

Dort säßen einflussreiche Kräfte, die hinter verschlossenen Türen an einem neuen EU-Verfassungsvertrag herumdokterten. In seiner veränderten Form werde der vor allem den Interessen zweier großer Mitgliedsstaaten entgegenkommen – Deutschlands und Frankreichs. Die Belange des souveränen Polens aber blieben, sollten sich die angesprochenen Bestrebungen in Brüssel durchsetzen, auf der Strecke: „Polen wird in jedem Fall aufhören, ein unabhängiges und souveränes Land zu sein, es wird sogar aufhören, ein Staat zu sein, es wird lediglich ein noch von den Polen bewohntes, allerdings von außen regiertes Territorium sein.“

Hauptgegner Polens, das seine nationale Unabhängigkeit verteidigen müsse, sei aber Deutschland, das in diesem Teil der EU nach dem 15. Oktober umso leichteres Spiel habe. Von polnischer Seite müsse also entschiedener Widerstand geleistet werden, sonst sei die Sache verloren.

Kaczyński räumte an diesem 11. November zwar insgeheim ein, dass es zu einer Regierung unter Tusk kommen werde, aber nun sollten die Alarmleuchten angehen, denn „an der Spitze dieser Koalition steht nicht eine polnische, sondern eine deutsche Partei. Eine äußere Partei. So hat General de Gaulle die Kommunisten bezeichnet, wir aber dürfen ohne allen Zweifel die Bürgerplattform oder die Bürgerkoalition so bezeichnen.“

Nachdem die wichtigste Kraft in der künftigen Regierung auf diese Weise kurzerhand zum Fremdenkörper herabgestuft ist, wird dazu aufgerufen, nun zu kämpfen und nochmals zu kämpfen, damit sich der schändliche Vorgang der Auslöschung der polnischen Unabhängigkeit – wie vor über 200 Jahren geschehen – nicht wiederhole: „Wir kämpfen und wir werden gewinnen!“ Mit dem Verweis auf die Jahre von 1945 bis 1989 wird gewarnt: Polen sei in einen halbkolonialen, wenn nicht sogar kolonialen Zustand eingesunken gewesen. Nun drohe also die Wiederholung unter deutschen Vorzeichen. Überhaupt agiere Tusk, wie überall zu sehen sei, mit „Arroganz und deutscher Gemeinheit“.

Hatte Kaczyński im Frühjahr den liberalen Widersacher mit dem unglaublichen Anwurf aus dem Spiel zu nehmen versucht, bei Tusk handle es sich in Wirklichkeit um einen Agenten russischer Interessen, wird jetzt noch einmal ungeniert die deutsche Karte gezogen. Allerdings ist da kaum noch etwas übriggeblieben von der gigantischen Summe in Höhe von 1,2 Billionen Euro, die Deutschland an ausstehenden Reparationen wegen der Zerstörungen und Verbrechen im Zweiten Weltkrieg an Polen noch zu zahlen habe. Es geht alleine um den Dreck und den Schmutz, mit dem Polens kommender Ministerpräsident noch vor Regierungsantritt beworfen werden soll. Da wird in die deutsche Kiste gegriffen, ein altes Möbelstück, das so gar nicht mehr in die Zeit zu passen scheint. Geht der aufmerksame Betrachter heute zwischen Görlitz und Zgorzelec über die Neiße, zwischen Frankfurt und Słubice über die Oder, wird ihm schnell deutlich, welchem aus der Zeit gefallenen Spuk Kaczyński in seiner unbändigen Wut hinterherzulaufen sucht.