Unter der Kappe der Grünen-Stiftung wurde kürzlich eine Ergebenheitsadresse an den neuen Präsidenten in Washington gesandt, prominent unterzeichnet von Ellen Ueberschär, einer der beiden Vorständler der Heinrich-Böll-Stiftung, sowie 18 weiteren Transatlantikern, darunter ein Generalleutnant a.D. und ein Brigadegeneral a.D. der Bundeswehr sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Atlantik-Brücke, des Aspen-Instituts, des German Marshall Fund und der Brookings Institution, ferner Patrick Keller, Vizepräsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, Boris Ruge, Vize der „Münchner Sicherheitskonferenz“, und der unvermeidliche James D. Bindenagel, einst Spitzendiplomat in US-Vertretungen in Deutschland, dann umtriebiger Lobbyist und derzeit Politikprofessor an der Universität Bonn.
In dem Papier „Transatlantisch? Traut Euch! Für eine Neue Übereinkunft zwischen Deutschland und Amerika“ wird in höchsten Tönen Joe Biden gehuldigt: „Auf den NATO-kritischsten folgt der atlantischste Präsident seit langem; auf einen Isolationisten ein Internationalist; auf einen Bilateralisten ein multilateraler Institutionalist; auf einen Klima-Skeptiker ein Klima-Aktivist“ und so weiter. Ob der so Angerufene in der Tat bereits „Klima-Aktivist“ ist, nur weil er sich von seinem in diesem Themenbereich ignoranten Vorgänger unterscheidet, mag den Verfassern der Eloge überlassen bleiben. Und welche geopolitischen, interventionistischen Konzepte sich hinter den wohlklingenden Schlagworten vom „Internationalismus“ und „Institutionalismus“ verbergen, soll hier ebenfalls nicht weiter erörtert werden. Diese Passage wurde deshalb in voller Länge zitiert, weil sie deutlich zeigt, dass es im Kern in erster Linie um die NATO, also ein Kriegsführungsbündnis und dessen Stärkung geht, und alles andere, auch die Klimafrage als nachrangig angesehen wird.
Im Einleitungsteil des Papiers wird gemeint, mit dem neuen Präsidenten Joe Biden biete sich die einzigartige Chance, die Krise in den transatlantischen Beziehungen zu überwinden und eine „neue Übereinkunft“ zwischen Deutschland (sowie dem EU-Europa) und den USA zu treffen, so dass „Deutschland und Amerika ihre Verantwortung für den Zusammenhalt und die Gestaltungskraft der Gemeinschaft liberaler Demokratien“ – wer immer das sein mag – „insgesamt annehmen“. Als Hintergrund wird genannt, „dass nach 500 Jahren nun Ostasien das strategische Zentrum der Welt ist“. Die USA sollten sich bei der kommenden Auseinandersetzung mit China nicht völlig von Europa abwenden, und dieses Deutschland sollte doch, bitteschön, der zweitwichtigste Akteur im Gefüge dieser liberalen Gemeinschaft sein.
Das Papier enthält auch einige vernünftige Vorschläge zur internationalen Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Covid-19, zu Klimafragen, zur internationalen Handelspolitik, Technologie und Digitalpolitik. Im Kern geht es jedoch um zweierlei. Zum einen wird das derzeit obligate Feindbild Russland gepflegt. Das Land habe eine „Konfliktstrategie“ und „sein wachsendes militärisches Potential“ verlange ein „amerikanisches Gegengewicht“. Da sind wir wieder bei einem Kernelement des strategischen Kalküls der deutschen politischen Klasse: man möchte mit US-amerikanischen Truppen Druck auf Russland ausüben. Zum anderen wird auch hier das Feindbild China gepflegt. Es gewinne wirtschaftlich, zunehmend aber auch militärisch und politisch an Einfluss. Es sei aber „nicht nur eine machtpolitische, sondern vor allem eine ideologische“ Herausforderung für den Westen. Dies aber nicht etwa, weil es versucht hat, in Deutschland oder den USA die Macht einer Kommunistischen Partei zu installieren, sondern weil es sich nach wie vor weigert, die „offene Gesellschaft, geprägt von Freiheit, Demokratie und Gewaltenteilung“ zu übernehmen. Weil die Autoren dieses Papiers meinen, dies sei „ein Erfolgsmodell von überragender Attraktivität“, müsse es auch auf China erstreckt werden. Kurzum, die Schimäre von China als ideologischer Herausforderung für den Westen ist – selbst in Zeiten seines machtpolitischen Niedergangs – die heutige Gestalt des westlichen Kolonialismus und seines „zivilisatorischen“ Sendungsbewusstseins.
Dessen sind sich die Autoren selbstredend nicht bewusst. Am 22. Januar 2021 trat der in der UNO ausgearbeitete Vertrag zum Verbot der Atomwaffen in Kraft. Gleichwohl wird in dem transatlantischen Papier postuliert, der „nukleare Schutzschirm der USA ist für alle nicht nuklearen NATO-Staaten in Europa unverzichtbar“, und zwar „solange es Nuklearwaffen gibt“. Das ist eine sich selbst bestätigende Konstruktion: da Deutschland, die USA und die gesamte NATO sowie die anderen Nuklearwaffenstaaten sich weigern, den Vertrag zum Verbot der Atomwaffen zu unterzeichnen oder zumindest untereinander in Verhandlungen einzutreten, wie man ihn umsetzen könnte, sind die Atomwaffen auf absehbare Zeit auf Dauer gestellt. Und solange das so ist, soll Deutschland an der „Nuklearen Teilhabe“ festhalten. Das bedeutet, US-Atomwaffen sollen weiterhin und unbefristet in Deutschland lagern, und für die Bundeswehr sollen neue atomwaffentaugliche Kampfflugzeuge beschafft werden.
Die Tageszeitung taz kommentierte das Papier unter der Überschrift: „Böll für die Bombe“, und machte darauf aufmerksam, im neuen Grundsatzprogramm der Grünen steht das Gegenteil: Deutschland von Atomwaffen frei zu machen und ein zügiges Ende der Nuklearen Teilhabe zu erreichen. Die Umsetzung dieses Ziels ist in der Partei zwar weiter in der Diskussion. Das Böll-Papier jedoch das glatte Gegenteil. Der altbewährte Grünen-Politiker und derzeitige Bundestagsabgeordnete Jürgen Trittin betonte daher: „Wer von einer Neubestimmung des transatlantischen Verhältnisses redet, sollte mehr liefern, als Rezepte der 80er Jahre. Wer das anachronistische 2-Prozent-Ziel, Aufrüstung und nukleare Abschreckung zum Kern eines neuen Bündnisses liberaler Demokratien machen will, singt ganz alte Lieder.“ Und er monierte, dass in dem Papier das Wort „Abrüstung“ kein einziges Mal vorkommt.
Kurz nach Veröffentlichung dieses transatlantischen Papiers der Böll-Stiftung wurde die Frage gestellt, ob nicht bei der Linken ebenfalls die parteinahe Stiftung, hier die Rosa-Luxemburg-Stiftung, solche rechtsdrehenden Windungen unternehmen könnte, um den Kurs der Partei zu verändern. Im Hintergrund steht auch eine Erfahrung, die Oskar Lafontaine Ende der 2000er Jahre kommuniziert hatte: Als er Parteivorsitzender der SPD war, hatte er sich zu wenig darum gekümmert, was in der Friedrich-Ebert-Stiftung passierte, mit der Folge, dass die dort seelenruhig all die neoliberalen Konzepte vorbereiteten, die Kanzler Schröder dann, nachdem er Lafontaine in der SPD ausgebootet hatte, mit der „Agenda 2010“-Politik und Hartz IV umgesetzte.
Die Antwort jetzt in Bezug auf Die Linke war, dass von der Stiftung so etwas nicht zu erwarten ist. Schon deshalb, weil die Linkspartei das in aller Regel selbst besorgt. Der Bundestagsabgeordnete Matthias Höhn hat kürzlich ein Papier mit der Überschrift: „Linke Sicherheitspolitik“ präsentiert. Bei Wikipedia heißt es dazu hochtrabend: „Höhn, sicherheitspolitischer Sprecher der Linksfraktion, hat 2021 in seiner Bundestagsfraktion ein Papier zur Diskussion gestellt, das ein ganz neues außen- und sicherheitspolitisches Programm der Linken skizziert.“ In diesem Papier meint Höhn, die USA, Russland und China seien gleichermaßen für die angespannte internationale Lage verantwortlich, weil es ihnen allen um Geopolitik gehe. Die Linke müsse daher Antworten finden, die „jenseits ausgedienter Freund-Feind-Bilder zu finden sind“, „altes Blockdenken“ genüge nicht mehr. Die Linke solle sich auf den Boden der NATO stellen und das „ungelöste Europa-Problem der LINKEN hemmt auch in sicherheitspolitischen Fragen“. Der Parteivorstand der Linken hat die bisherigen programmatischen Positionen gegenüber dem Höhn-Papier bekräftigt. Wolfgang Gehrcke, jahrelang außenpolitischer Kopf der Fraktion, stichelte: „Gute Gründe als überholt, alt, von gestern abzuwerten, ist ein beliebtes Muster neoliberaler Ideologen, um sich selbst als innovativ, modern, der Zukunft zugewandt darzustellen.“
Nun ist Höhn gewiss nicht als „neoliberaler Ideologe“ zu adressieren. Dennoch schwebt nach wie vor im Raum, was Egon Bahr einst an die Adresse der Linken gesagt hatte: „Wer in Deutschland auf Bundesebene mitregieren will, muss drei Bedingungen erfüllen: ein positives Verhältnis zu den USA, zur EU und zur NATO.“ Das bemüht sich Höhn in die Partei zu bringen, weil es ohne dies eine Koalition mit der SPD und den Grünen nicht geben wird. (Das gilt ungeachtet dessen, ob es denn im September 2021 am Ende zahlenmäßig reichen würde.) Diese Frage hatten vor der Bundestagswahl 2013 einige der damals einflussreichen Bundestagsabgeordneten der Linken ebenfalls gestellt, nur etwas anders: Können wir unseren Wählern, die uns wählen, um eine andere Sozial-, Renten- und Bildungspolitik zu machen, zumuten, eine rot-rot-grüne Regierungs-Koalition an der Außenpolitik scheitern zu lassen?
Das wurde dann mit Vertretern der Friedensbewegung diskutiert. Die Antwort lautete: Es gibt im Gesamt-Elektorat der Bundesrepublik Deutschland mindestens drei Prozent der Wähler, die ausschließlich die Friedensfrage zum Kriterium ihres Wahlverhaltens machen; die waren einst bei der SPD, dann bei den Grünen und sind nun bei der Linken. Wenn die zu Hause bleiben, weil die Partei ihre friedenspolitischen Positionen inzwischen geräumt hat, bedroht das bei Umfrage-Ergebnissen für die Linke von 6-7 Prozent den Wiedereinzug in den Bundestag. Rechtsdrehende Windungen führen nicht in die Regierung, sondern ins Nichts.
Schlagwörter: Die Linke, Erhard Crome, Friedensbewegung, Grüne, Heinrich-Böll-Stiftung, Matthias Höhn, NATO, Nukleare Teilhabe