von Ulrich Busch
Die deutsche Vereinigung hat bewirkt, dass es heute vielen Menschen deutlich besser geht als noch vor 30 Jahren. Mit der wirtschaftlichen Leistungskraft ist der allgemeine Wohlstand gestiegen – im Osten wie im Westen. Auf einigen Gebieten konnte der Osten sogar aufholen, so dass zwischen Ost und West Gleichstand erreicht wurde. Dies gilt zum Beispiel für die Lebenserwartung. Auf anderen Gebieten, so beim Einkommen und beim Konsum, erscheint eine Niveauangleichung in absehbarer Zeit möglich, obwohl der Abstand heute noch beträchtlich anmutet. Diese Option gilt jedoch nicht für die Vermögensverhältnisse, bei denen sich zwischen Ost und West nach wie vor eine gewaltige Kluft auftut, die sich im Verlaufe der letzten drei Jahrzehnte nicht wesentlich verringert hat.
Die Tatsache, dass der Reichtum im vereinigten Deutschland westlich verortet ist und die Armut überwiegend östlich, stellt für die Politik, die für die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse verantwortlich ist, eine große Herausforderung dar. Die Wissenschaft arbeitet ihr zu, indem sie entsprechende Untersuchungen anstellt und Vorschläge zur Problemlösung unterbreitet. Das jüngste Statement hierzu kommt aus Halle, vom Präsidenten des dort ansässigen Wirtschaftsforschungsinstituts Reint E. Gropp, der apodiktisch konstatiert: „Gleichwertige Lebensverhältnisse wird es in Deutschland nie geben. Und das ist gut so.“ – Damit stellt er sich gegen das Grundgesetz, da hier genau das, „die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse“ im gesamten Bundesgebiet, festgeschrieben ist (Artikel 72 (2) GG). Es sei daran erinnert, dass dieser Artikel erst 1994 verändert worden ist. Zuvor war von der „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“ die Rede, was auf die Herstellung „gleicher“ Lebensbedingungen in Ost und West hinausläuft. Die jetzige Fassung bedeutet also bereits eine erhebliche Aufweichung dieses Postulats. Folgt die Politik nun Professor Gropp, so steht uns eine weitere Zurücknahme des Einheitsversprechens bevor – und damit eine weitere „Deprivation im Osten“ (Das Blättchen 24/2018).
Es gibt aber noch mehr Stimmen der Wissenschaft, die sich hierzu äußern. So gingen kürzlich drei Ökonominnen – Christine Laudenbach, Ulrike Malmendier und Alexandra Niessen-Ruenzi – der Frage nach, warum die Ostdeutschen nicht nur signifikant ärmer sind als ihre Brüder und Schwestern im Westen, sondern auch in Zukunft ärmer bleiben werden. Die Antworten, die sie darauf geben, sind von den drei Damen durchaus ernst gemeint, aber eher karnevalsreif. Sie wurden vor kurzem in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung kommentiert, worauf ich mich hier stütze. Danach stellte das Forscher-Trio zunächst einmal fest, dass die Ostdeutschen infolge ihrer DDR-Sozialisation mehrheitlich immer noch mit der Abschaffung des Kapitalismus „liebäugeln“ und die „sozialistische Idee“ auch 29 Jahre nach dem Niedergang des Sozialismus nicht gänzlich abwegig finden. Das lässt sich ihrer Meinung zufolge weder politisch noch sozio-ökonomisch erklären, sondern nur psychologisch. Es seien vor allem die „emotional prägenden Erfahrungen“, die das Gehirn formen und im Gedächtnis haften bleiben, auch wenn die später praktisch erfahrenen Tatsachen dem widersprechen. Die „Kommunismus-Nostalgie“ der Ostdeutschen, die sie unfähig macht, erfolgreich zu agieren und Vermögen anzuhäufen, wäre demnach auf emotional prägende Eindrücke zurückzuführen, die eine positive Einstellung zum „System“ geformt und befördert haben. Derartige „positive Eindrücke“ seien, so heißt es weiter, vom Sport ausgegangen. Die DDR hatte die Spitzenleistungen seiner Athleten, zum Beispiel bei Olympischen Spielen, als „zentrales Propaganda-Instrument“ benutzt, um die Überlegenheit des „Systems“ gegenüber dem westlichen Kapitalismus zu demonstrieren. Das Regime feierte Olympiasieger wie „nationale Helden“. Daraus leiten die Forscherinnen die Hypothese ab, dass diese Heldenverehrung eine lokale Ausstrahlung hatte und bei den Menschen, die im selben Landkreis wie die Sportler wohnten, eine bis heute nachwirkende „prokommunistische Langzeitgesinnung“ hervorbrachte. Die Folge ist, nicht zuletzt deshalb, weil die Heimatorte der Sportler über das gesamte Gebiet der DDR verteilt waren, dass die Ostdeutschen bis heute bei der Anlage ihrer Geldes ein „antikapitalistisches Anlageverhalten“ an den Tag legen, wodurch sie natürlich, verglichen mit ihren westdeutschen Zeitgenossen, nicht reicher werden können, sondern arm bleiben. Hinzu kommt, wie kann es anders sein, dass die Einwohner „sozialistischer Musterstädte“ wie Karl-Marx-Stadt, die „besonders stark mit sozialistischer Propaganda beregnet wurden“, oder Leute aus Regionen, die mehr als andere „von der Stasi infiltriert“ waren, ganz besonders stark einer kommunistischen Ideologie zuneigen und sich folglich von renditestarken Anlagen, Aktien, Optionsscheinen, Futures und dergleichen fern halten. Demgegenüber profitieren Menschen aus „katholisch geprägten Regionen“ wie dem Eichsfeld heute von ihrer antisozialistischen Einstellung und ihrer systemkritischen Haltung in der DDR. Indem sie im Unterschied zu Atheisten und Sozialisten keine Vorbehalte gegen einen Vermögensaufbau und die Erzielung überproportionaler Renditen haben und stattdessen eher „prokapitalistische Gefühle“ hegen, investieren sie in renditestarke Anlageformen und vermehren so ihren Reichtum. Sie stellen unter den Ostdeutschen jedoch eine Minderheit dar. Die Mehrheit verhält sich eben anders, womit „die DDR-Propaganda noch heute die Vermögenskluft zwischen Ost und West vergrößert“. Der Schluss ist eindeutig: Nicht die ungleichen Ausgangsbedingungen oder Vermögensverluste im Transformationsprozess und auch nicht die bis heute bestehenden erheblichen Einkommensdifferenzen liefern die Begründung für die anhaltende Ost-West-Diskrepanz bei den privaten Vermögen und die relative ostdeutsche Armut. Nein, es sind die SED-Propaganda und die kommunistische Indoktrination in der DDR, die dafür verantwortlich zeichnen, dass Ostdeutsche weniger auf der hohen Kante haben als Westdeutsche. Und auch dafür, dass dies in Zukunft so bleiben wird.
Wen diese Kurzdarstellung nicht überzeugt, der möge die beiden Studien der drei westdeutschen Wirtschaftswissenschaftlerinnen im Internet nachlesen: „The Long-lasting Effects of Propaganda on Financial Risk-Taking“ (2018) und „Emotional Tagging and Belief Formation. The long lasting Effect of experiencing Communism“ (2019).
Schlagwörter: Arm und Reich, DDR, Deutsche Vereinigung, Reint E. Gropp, Sozialismus, Ulrich Busch, Vermögen