Tierischer Aufstand
Das Märchen von den „Bremer Stadtmusikanten“ bietet gleich mehrere Merkwürdigkeiten. Auf die Idee, ausgerechnet die hansischen Pfeffersäcke böten in ihrer Stadt alt und schwach gewordenen Arbeitstieren „etwas besseres als den Tod“, kann wirklich nur ein Esel kommen. Aber kein Narr ist so närrisch, als dass andere es ihm nicht gleichtun können. Dann wurden die verhinderten Straßenmusikanten auch noch zu den wahren Symboltieren der Stadt – und das, obwohl sie niemals den Boden der Wesermetropole betreten haben.
Bremen hat sie inzwischen aufgenommen und ins hanseatische Herz geschlossen. In diesem Jahr feiert das Märchen seinen 200. Geburtstag. Zumindest die Grimmsche Fassung: 1819 erschien es in der zweiten Auflage der „Kinder- und Hausmärchen“. 1823 wurde es vom englischen Zeichner Georges Cruikshank für die Ausgabe der „German Popular Stories“ bei C. Baldwyn erstmals illustriert. Cruikshank zeigt, wie die Tiere mit entsetzlichem Radau und ziemlich rabiat in das Haus der Räuber einbrechen. Man soll ja nicht vordergründig „kontextualisieren“ – aber es war nicht zufällig die Zeit der Maschinenstürmerbewegung. Die soziale Frage brach sich mit Gewalt ihre Bahn in den gesellschaftlichen Diskursen. Seither sind die „Stadtmusikanten“ immer wieder Gegenstand bildkünstlerischer Auseinandersetzungen. Mit teils verblüffenden Ergebnissen.
Die Kunsthalle Bremen präsentiert derzeit eine beachtliche Auswahl dieser Arbeiten zwischen Kunst und Kitsch und liefert spannende Einblicke in die Hintergründe der Rezeption des Märchens. Bemerkenswert ist der große Anteil von Werken der Moderne: Von Gerhard Marcks (dessen Figurengruppe vor dem Bremer Rathaus aus dem Jahre 1953 inzwischen weltbekannt sein dürfte) über Jeff Koons, Ayse Erkmen und Glenn Ligon bis hin zu Hiwa K reicht das Spektrum. Meine Lieblingsgruppe kommt gleich in zweierlei Gestalt daher. 1995 schuf der italienische Künstler Maurizio Cattelan „Love Saves Life“, um 1997 „Love Lasts Forever“ nachzuliefern. Worin der Unterschied besteht, soll hier nicht verraten werden. Die Ausstellung läuft noch bis zum Spätsommer, und Bremen feiert bis dahin den „Stadtmusikantensommer 2019“.
W.B.
„Tierischer Aufstand. 200 Jahre Bremer Stadtmusikanten in Kunst, Kitsch und Gesellschaft“, Kunsthalle Bremen bis 1. September 2019, Di 10–21 Uhr, Mi–So 10–17 Uhr; Katalog.
Film ab
Dass das Kino in der vierten Dimension, der olfaktorischen, noch auf sich warten lässt, darf auch bei diesem Western als Glücksfall gelten. Könnte man dieses mörderische Brüderpaar Eli (John C. Reilly) und Charly (Joaquin Phoenix), mit Nachnamen Sisters, das immer wieder gefühlte Endlosigkeiten lang nicht aus dem Sattel, geschweige denn aus den Klamotten, in die Wanne und zu frischer Wäsche kommt, nämlich auch noch durch die Nase wahrnehmen – es müsste die Härte sein! Als die längst verloren gegebenen Söhne zum Schluss dann doch zur Mutter zurückkehren, ist deren „Jung’s, ihr riecht scheußlich.“ jedenfalls mit Sicherheit eine Untertreibung von hohen Graden …
Dass auch Europäer Western können, ist seit Sergio Leone zwar nicht die Regel, aber bis in jüngere Zeit schon vorgekommen – zuletzt 2014: Andreas Prochaska, „Das finstere Tal“. Nun also der Franzose Jacques Audiard.
Der lässt um 1850 von Oregon bis Kalifornien reiten und kommt damit ohne das totgefilmte Monument Valley aus, hat jedoch andere grandiose Landschaften abgelichtet. In Rumänien, wo die in der Wildnis spielenden Parts des Films entstanden. Seine städtischen Kulissen fand der Regisseur unter anderem im Western-Themenpark ‚Fort Bravo‘ nahe dem spanischen Almeria.
Es war im Übrigen eine Zeit, als mehrschüssige Colts zwar schon existierten, aber wegen der noch ausstehenden Erfindung der Patrone zum Nachladen auseinandergenommen werden mussten. Das war, wie in Sisters Brothers zu sehen ist, vor der professionellen Durchführung von Gunfights entsprechend zu berücksichtigen.
Trotzdem war es eine Periode, in der es selbst im Wilden Westen auch wirklichen Fortschritt gab – etwa in Gestalt des Einzugs moderner Mundhygiene mit Zahnbürste und -pulver. Das Vorzeigen der zaghaften Einübung des Umgangs damit, inklusive anschließender Geruchsprüfung des eigenen Odems, dürfte eine Premiere innerhalb des Genres sein. Nur so viel an die ewigen Kritiker desselben und ihr penetrantes Genörgel, der Wildwestfilm sei „auserzählt“.
Insgesamt ein Streifen, den vor allem Liebhaber eher klischeeloser Spätwestern gewiss goutieren werden, und Freunde guter Schauspielkunst nicht minder. Wobei dieses Mal nicht Superstar Joaquin Phoenix die beeindruckendste Vorstellung abliefert, da er nur einen im Vergleich zu seinem Bruder ziemlich eindimensionalen Haudrauf zu geben hat. Wie John C. Reilly jedoch zwischen seinen Auftritten als kaltschnäuziger, treffsicherer Profikiller immer wieder Seele und Zartheit im Umgang mit Pferden und Frauen und nicht zuletzt mit sich selbst sowie Ansätze lebensphilosophischer Selbstreflexion erkennen und sich dabei auch von seinem bar jeder Sozialkompetenz und Empathie agierenden Bruder nicht beirren lässt, das wird man sicher nicht gleich wieder vergessen.
Menschen allerdings, die unter Arachnophobie leiden und hoffen, die Wissenschaft liege mit ihrer Behauptung richtig, die unpossierlichen Mehrbeiner würden feuchte Stellen meiden und daher keinesfalls Schlafenden in ihre geöffneten Münder kriechen, sollten dem Streifen vorsichtshalber fern bleiben. Zumal wenn sowieso schon eine Neigung zum Alpträumen besteht.
Clemens Fischer
„The Sisters Brothers“ – Regie und Drehbuch (Mit-Autor): Jacques Audiard. Derzeit in den Kinos.
Eine Lanze für den Sozialneid
Als Deutsche-Bank Chef John Cryan im April 2018, nach nicht einmal drei Jahres auf diesem Chefsessel, wegen offenkundiger Unfähigkeit, die Probleme des Geldinstitutes in den Griff zu bekommen, aus dem Amt gejagt wurde, geschah dies gleichwohl, wirtschaftsüblich, mit goldenem Handschlag – mit einer Abfindung in Höhe von knapp 8,7 Euro. Seine Gesamtvergütung für den Kurzauftritt bei der Deutschen Bank summierten sich damit auf 22 Millionen Euro oder 20.000 Euro pro Tag im Amt.
Auch was die Dax-Konzerne mittlerweile für Firmenpensionen zurücklegen, geht über jede Hutschnur. Dem Handelsblatt zufolge summieren sich die bilanziellen Rückstellungen für Versorgungsansprüche ehemaliger Vorstände auf inzwischen drei Milliarden Euro. Die Spitze hält der Staatskonzern Volkswagen mit 324 Millionen Euro. Es folgen Thyssen-Krupp (280 Millionen) und Daimler (270 Millionen). Ehemalige Dax-Vorstände können derzeit im Mittel mit einer monatliche Höchstrente von 40.000 Euro rechnen.
Konkret sieht das dann so aus: Daimler-Chef Dieter Zetsche – Pensionszusagen von 42 Millionen Euro, Frank Appel (Deutsche Post) – 22 Millionen Euro und Eon-Boss Johannes Teyssen – 2 Millionen Euro.
Solche sozialdarwinistischen Sumpfblüten provozieren radikale Therapieansätze: Die ganze Mischpoke mit der „Titanic“ auf Jungfernfahrt schicken!
Aber das kommt in einer so wenig wehrhaften Demokratie wie der unseren ja nicht wirklich in Frage. Wie wäre jedoch damit, den von Politikern und Medien so gern geschmähte Sozialneid zur Bürgerpflicht zu erheben? Das änderte kurzfristig zwar auch nichts, aber durch die dauerhafte Stigmatisierung der Raffke-Elite dann vielleicht doch …
Alfons Markuske
Der Fortschritt kommt uns teuer zu stehen
Der Fortschritt als allgemeiner Zuwachs an Wohlstand und Bequemlichkeit ist natürlich ein Phänomen, das aus Sicht des Individuums überhaupt nur positiv bewertet werden kann. Wer will schon kein besseres Leben?
Wirft man allerdings einen Blick auf die „Nebenkosten“ und Kollateralschäden, ergibt sich eine ziemliche Horrorbilanz. Das geht aus der bisher umfangreichsten Studie zu diesem Thema überhaupt hervor, die 500 Forscher aus 50 Nationen im Auftrag der UN-Organisation „Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services“ (IPBES) auf mehr als 8.000 Seiten erstellt haben. Die Studie soll im Mai veröffentlicht und an alle Staats- und Regierungschefs übermittelt werden.
Ihre Kernaussagen sind:
- Der Ressourcenverbrauch der Menschheit verläuft mit einer Geschwindigkeit, die die Fähigkeit des Planeten zur Selbsterneuerung bei weitem überschreitet.
- Allein in den USA erfolge Naturausbeutung jährlich im Umfang von rund 24 Billionen US-Dollar.
- Die Preise von Lebensmitteln bilden die Kosten der ökologischen Abwertung bis heute nicht ab.
- Die Zerstörung von Wald, Weideland und Feuchtgebieten kostet die Menschheit rund zehn Prozent des jährlichen globalen Bruttoinlandsprodukts.
- Sinkende Bodenproduktivität und Klimawandel führen zur sozialen Destabilisierung der Gesellschaften. In rund 30 Jahren werden sich bis zu 700 Millionen Menschen allein aufgrund von Naturkatastrophen auf der Flucht befinden.
Angesichts dieser Bilanz stehen die Warner von gestern – etwa der Club of Rome mit seinen „Grenzen des Wachstums“ von 1972 – heute fast wie Verharmloser da.
Auf grünen Wahlplakaten war in den 1980er Jahres zu lesen: „Wir haben die Welt von unseren Kindern nur geliehen“.
Heute stehen wir offenbar kurz davor, sie irreversibel gestohlen zu haben.
Clemens Fischer
Von der Leyen & die Berater
Ihrer Karriere auf inzwischen diversen Ministerposten scheint Ursula von der Leyen eine Devise wie die folgende dauerbegleitend beigestellt zu haben: „Dass ich keine Ahnung habe, geht niemanden etwas an. Und damit das keiner merkt, kaufe ich mir die Experten-Kompetenz einfach extern ein.“
2005 wurde die Dame erstmals Ministerin auf Bundesebene, zuständig für Familie. Und schon begann sich eine Tendenz abzuzeichnen: Die Ausgaben für externe Berater stiegen in ihrer vierjährigen Amtszeit von 3,1 auf 15,5 Millionen Euro.
Dies ließ für die Nachfolgejahre im Arbeitsministerium einiges erwarten, und so kam es: Die Ausgaben für externe Fachleute pendelten zwischen 2009 und 2013 zwischen 15 und 27 Millionen Euro. Davor und danach lagen sie „nur“ zwischen drei und zehn Millionen Euro.
Mit ein wenig Veranlagung zur kritischen Selbstreflexion hätte von der Leyen spätestens jetzt nach Wegen zu müssen, der opulenten Ausschüttung von Steuergeldern auch mal entgegenzuwirken. Zumal das sehr einfach gewesen wäre. Schon mit wenigen Sucheingaben und Mouseklicks im Internet wäre sie fündig geworden – in Gestalt der „Empfehlungen des Präsidenten des Bundesrechnungshofes als Bundesbeauftragter für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung zum Einsatz externer Berater in der Bundesverwaltung“.
Gut, das sind 124 Seiten. Etwas viel für eine viel beschäftigte Ministerin. Aber das scheint der Verfasser geahnt zu haben. So fasste er kurz und knapp zusammen:
1. Problem beschreiben und Ziel festlegen.
2. Notwendigkeit des Beratereinsatzes prüfen.
3. Wirtschaftlichkeit ermitteln.
4. Leistung eindeutig beschreiben.
5. Verträge eindeutig fassen.
6. Leistung öffentlich ausschreiben.
7. Leistung kontrollieren, steuern und abnehmen.
8. Abschließende Erfolgskontrolle durchführen.
9. Transparenz über Beratungsergebnisse und -ausgaben schaffen.
10. Gesamtes Verfahren dokumentieren.
Aber was sind schon blutleere Beamtenempfehlungen gegen den opulenten Berater-Barock, den von der Leyen seit 2013 von ihrem nunmehrigen Dienstsitz im Berliner Bendler-Block aus entfaltete – 2200 Mal wurden bis dato externe Berater beauftragt; Kosten: mehr als 660 Millionen Euro.
Was könnte man der Dame als nächstes noch anbieten? Um zu prüfen, ob es einmal nicht auch kein Ende der Fahnenstange gibt.
Sarcasticus
Gleich und gleich …
Gleich und gleich gesellt sich gerne, meint der Volksmund, und wird von der bisweilen nicht nur semikriminellen Finanzwirtschaft durchaus bestätigt. Da hatten, wie die New York Times (NYT) jetzt in einem Dossier ausbreitete, ein halbseidener Immobilienmogul, den fast alle anderen Banken für nicht kreditwürdig hielten, und ein Geldhaus mit hartnäckigen finanziellen Problemen und einer formidablen Perlenschnur von Skandalen zueinander gefunden. Der Mogul heißt Trump, Donald, und das Geldhaus Bank, Deutsche. Die NYT erkannte auf eine symbiotische Verbindung. Insgesamt versenkte die Bank zwei Milliarden US-Dollar in dieser Symbiose. Im Gegenzug, quasi zur „Landschaftspflege“, so der Terminus technikus für Bestechungsaufwendungen früher im deutschen Flick-Konzern, ließ Trump schon mal ein 15-köpfiges Team der Deutschen Bank mit seiner Boeing 727 nach Florida einfliegen, für ein Golf-Wochenende mit ihm in seinem Luxus-Resort Mar-a-Lago.
Hannes Herbst
Reden und schweigen können
Wenn gute Reden sie begleiten,
dann fließt die Arbeit munter fort.
Friedrich Schiller
Wer viel redet, erfährt wenig.
Armenisches Sprichwort
Wir reden uns ein, in einer Demokratie zu leben. Aber wir leben in einem kapitalistischen Unternehmen namens Deutschland. Die Demokratie ist nur das Präservativ, das über den Kapitalismus gestülpt ist.
Andrej Bahro
Es ist so unerhört lächerlich, daß alle die Länder, die von sich behaupten, sie seien die freiesten Länder, in Wahrheit ihren Bewohnern die geringste Freiheit gewähren und sie das ganze Leben hindurch in Vormundschaft halten. Verdächtig ist jedes Land, wo so viel von Freiheit geredet wird, die angeblich innerhalb seiner Grenzen zu finden sei. Wenn man so laut schreien muß: Wir sind ein Volk von freien Menschen!, da will man nur die Tatsache verdecken, daß die Freiheit vor die Hunde gegangen ist oder daß sie von Hunderttausenden von Gesetzen, Verordnungen, Verfügungen, Anweisungen, Regelungen und Polizeiknüppeln so abgenagt worden ist, daß nur noch das Geschrei, das Fanfarengeschmetter und die Freiheitsgöttinnen übriggeblieben sind.
B. Traven
Das menschliche Streben nach bequemster Erklärung der unbequemen Dinge des Alltags kann in bestimmten Notzeiten zu massenhafter und gieriger Anerkennung all dessen führen, was nach dem Mund redet, um den Bart geht, Honig ums Maul schmiert – kurzum: aller Demagogie.
Franz Fühmann
Herr Luchs spricht keinem Menschen nach dem Mund;
Er buhlte schmeichelnd nie um Herrengunst,
Und doch gelang es ihm, so hoch zu steigen?
Ja; denn der Schalk versteht die feinre Kunst,
den großen Herren nach dem Mund zu schweigen.
Otto Ernst
Wer viel redet, glaubt am Ende, was er sagt.
Honoré de Balzac
Um etwas nicht zu sagen, muß man mitunter stundenlang reden.
Johannes R. Becher
Das Schweigen habe ich von den Redseligen gelernt, die Toleranz von den Unduldsamen, die Freundlichkeit von den Übelgelaunten. Und doch bin ich diesen Lehrern nicht dankbar.
Khalil Gibran
Gott gab uns nur einen Mund aber zwei Ohren, damit wir doppelt so viel zuhören können, als wir reden sollten.
Johann Wolfgang von Goethe
Wenn ein Problem zum Schlagwort geworden ist, wird es mit Sicherheit nicht gelöst, sondern nur zerredet werden.
Otto Heuschele
Eingesammelt von fbh.
WeltTrends aktuell
In Venezuela geht das „sozialistische Experiment“ offenbar seinem Ende entgegen. Dem „Fluch des schwarzen Goldes“ entging auch Hugo Chávez nicht. Unter ihm und seinem Nachfolger Maduro blieb das Land trotz revolutionärer Rhetorik bei der traditionellen Rentenökonomie. Wieder steht es nun vor einer großen Entscheidung. Diese muss vom venezolanischen Volk getroffen werden. Die Einmischung in die inneren Auseinandersetzungen seitens äußerer Mächte, auch Deutschlands, ist da unangebracht. Im Thema werden diese Fragen von verschiedenen Autoren analysiert.
Im WeltBlick geht es um die Wahlen in Schweden und der DR Kongo sowie um die Tragödie der Rohingya.
Ein bisher wenig bekanntes Kapitel des Nahost-Problems wird in der Historie beleuchtet: die Feisal-Weizmann-Vereinbarung von 1919, die ein Fenster für einen Kompromiss bot.
Im Gastkommentar blickt MdB Alexander Neu auf die diesjährige Münchener Sicherheitskonferenz zurück und setzt sich insbesondere mit dem westlichen Schlagwort der „regelbasierten Ordnung“ auseinander.
Das aktuelle WeltTrends-Heft ist zugleich eine Jubiläumsausgabe – nämlich die 150. seit dem Start als akademische Vierteljahresschrift vor über 25 Jahren. Heute erscheint WeltTrends monatlich.
Geblieben ist – mit den Worten von Walter Benjamin – der Anspruch, den Geist der Epoche zu bekunden.
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WeltTrends – Das außenpolitische Journal, Heft 150 (April) 2019 (Schwerpunktthema: „Regierungssturz in Venezuela?“), Potsdam / Poznan, 4,80 Euro plus Porto. Weitere Informationen im Internet.
Blätter aktuell
Die Gelbwesten, deren Proteste auch nach vier Monaten weiter anhalten, gelten manchen Linken vor allem als klassenkämpferische Bewegung für soziale Gerechtigkeit. Das aber ist eine gefährliche Illusion, warnt Blätter-Redakteur Steffen Vogel. Denn obschon die Gilets Jaunes sozialpolitische Forderungen stellen, kursieren bei ihnen doch auch in erheblichem Maße antisemitische Verschwörungstheorien und Demokratieverachtung. Schon jetzt zeigt sich, wer am meisten von dieser Bewegung profitieren wird: die Rechtsextreme Marine Le Pen.
Zu ihrem 70. Geburtstag wird sich die Nato als das erfolgreichste Militärbündnis der Geschichte feiern. Gleichzeitig befindet sie sich angesichts massiver politischer Spannungen und Konflikte, im Innern wie im Äußeren, in der vielleicht schwierigsten Phase ihrer Existenz, so der Politikwissenschaftler August Pradetto. Neben integrativen Phasen werde die Geschichte der Nato aber vor allem auch durch ihre Konfrontationspolitik gekennzeichnet. Um das Bündnis wie die Welt zu stabilisieren, helfe dagegen nur eines: eine globale Sicherheitspolitik basierend auf einem gemeinsamen völkerrechtlichen Fundament.
Ende Februar eskalierte erneut der Kaschmir-Konflikt. Das Verhältnis zwischen Indien und Pakistan ist seit jeher angespannt, es wird jedoch zu Unrecht als eine rein indisch-pakistanische Angelegenheit verstanden. Nach Auffassung des Politikwissenschaftlers Uwe Hoering verbirgt sich dahinter der Machtkampf zwischen China und Indien. Die Beziehung der beiden Atommächte ist eine zutiefst konfliktgeladene – und wird durch Chinas Neue Seidenstraße noch schwieriger. Dieser Kampf um die Hegemonie droht die ganze Region in die Krise zu stürzen.
Dazu weitere Beiträge, unter anderem: „ARD und Co.: Raus aus der Wagenburg!; „Israel: Der Auftritt der Generäle“ und „Portugal: Anti-neoliberal zum Erfolg“.
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Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, April 2019, Einzelpreis: 9,50 Euro, Jahresabonnement: 79,80 Euro (Schüler & Studenten: 62,40 Euro). Weitere Informationen im Internet.
Aus anderen Quellen
Auf die Frage, wie er die derzeitigen bilateralen Wirtschaftsbeziehungen charakterisieren würde, antwortete der russische Botschafter Sergej Netschajew dieser Tage: „Die wirtschaftlichen Beziehungen sind das Rückgrat der deutsch-russischen Zusammenarbeit. Nach einer Phase der Schwächung, die infolge der bekannten internationalen Entwicklungen eintrat, nehmen sie wieder Fahrt auf. 2018 wurde das gegenseitige Handelsvolumen mit über 60 Milliarden Euro beziffert. Für den Zuwachs sorgten sowohl die deutschen Exporte nach Russland als auch die deutschen Importe aus Russland. […] In Russland sind rund 5000 Unternehmen mit deutscher Beteiligung aktiv. Die akkumulierten deutschen Investitionen in Russland lagen 2017 bei 18 Milliarden US-Dollar. Im ersten Dreivierteljahr 2018 überstiegen die Direktinvestitionen in die russische Wirtschaft zwei Milliarden Euro. In Deutschland sind zirka 1500 Unternehmen mit russischer Beteiligung tätig. Die gesamten russischen Direktinvestitionen in Deutschland betragen etwa 3,2 Milliarden Euro.“
Stefan Huth: „Wir arbeiten nicht mit Ultimaten“ (Interview mit Sergej J. Netschajew, Botschafter Russlands in Deutschland), jungewelt.de, 23.03.2019. Zum Volltext hier klicken.
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Bereits im Februar 2014 hatten, wie Lenny Reimann berichtet, die Sprecher der „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel“, Paul Russmann und Jürgen Grässlin, Strafanzeige gegen drei Manager der Firma SIG Sauer wegen illegaler Exporte gestellt. Es ging um fast 40.000 Pistolen des Typs SP 2022 ins damalige Bürgerkriegsland Kolumbien – aus Sicht der Kläger „Beihilfe zu massenhaftem Morden“. Jetzt kam es zu einem Deal der anklageführenden Staatsanwaltschaft und den Tätern, und das Landgericht Kiel verhängte Bewährungsstrafen und Geldbußen. Eine für andere Waffenhändler abschreckende Wirkung werde „von diesem Urteil definitiv nicht ausgehen – ganz im Gegenteil“, so das Fazit der Kläger.
Lenny Reimann: Freibrief für Waffenexporteure, jungewelt.de, 01.03.2019. Zum Volltext hier klicken.
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1963 begann eine Fernsehinterviewreihe von Günter Gaus in der ARD, die, nicht zuletzt wegen Gaus’ stets distinguierter Gesprächsführung, legendär wurde und – mit Unterbrechungen – 40 Jahre währte. Der frühere Chefredakteur des Spiegel und spätere erste Ständige Vertreter der BRD in der DDR führte über 250 Interviews mit Prominenten aus Politik – darunter mit allen deutschen Bundeskanzlern während dieser vier Jahrzehnte –, aus Kunst, Wirtschaft, Wissenschaft sowie Religion. Und mit einer einzigen Sportlerin – Katarina Witt.
Die Reihe begann unter dem Titel „Zur Person“ (1963–66; 32 Gespräche); es folgten „Zu Protokoll (1967–73; 29), „Deutsche“ (1984–89; 29) und erneut „Zur Person“ (1990–91 sowie 1992–2002, 161).
Zum Stil von Gaus, der seine Gesprächspartner nicht vorführen wollte, gehörte, dass die Interviews vor Ausstrahlung aufgezeichnet wurden. Eine nachträgliche Bearbeitung schloss Gaus aus.
Er entschied in jedem Falle selbst darüber, wen er interviewte. Das war schon in der Medienlandschaft der alten Bundesrepublik ein außergewöhnliches Privileg, das er sich zu wahren wusste. Unüblich war auch, dass aus den Gesprächen keine Ausschnitte in anderen Sendungen verwendet werden durften. Gaus würdigte damit die Offenheit seiner Gäste, häufig auch in privaten Dingen, und verhinderte so, dass Äußerungen aus dem Zusammenhang, in dem sie erfolgt waren, gerissen und „interpretiert“ werden konnten. Günter Gaus ließ seine Gäste im Vorhinein wissen, worüber er mit ihnen sprechen wollte. Die konkreten Fragen verriet er nicht, mit Ausnahme der ersten.
Als zeitgeschichtliche Dokumente und Zeugnisse eines leider verloren gegangenen kultivierten Journalismus bleiben diese Interviews nicht nur lesenswert, sondern auch eine ausnehmend spannende Lektüre.
Sein erstes Fernsehgespräch führte Gaus mit Ludwig Erhard, kurz vor dessen Nominierung zum Nachfolger Konrad Adenauers als Bundeskanzler. Die Ausstrahlung erfolgte am 10. April 1963:
„[…]
Gaus: Sie waren als Wirtschaftswissenschaftler enttäuscht von der Weimarer Republik?
Erhard: Nicht nur als Wirtschaftswissenschaftler. Nein, ich war zutiefst davon überzeugt, dass die Republik die würdigste Staatsform ist. Nur wollte ich dieser Republik gerne, ohne seinerzeit mir schon dessen bewusst zu sein, einen etwas glaubhafteren, einen überzeugenderen Ausdruck gegeben haben.
[…].“
„Das deutsche Volk vor Schaden zu bewahren.“Günter Gaus im Gespräch mit Ludwig Erhard, ARD, 10.04.1963. Zum Volltext hier klicken.
Letzte Meldung
In der westfälischen Stadt Ahlen war einer Familie der Haushund, ein Mops, gepfändet worden, weil hohe Schulden gegenüber der Kommune bestanden. Nach Fristverstreichung wurde das Tier über Ebay verkauft.
Ein eindeutiger Rechtsverstoß!
Denn, so das Innenministeriums von NRW, der Mops hätte öffentlich versteigert werden müssen. „Gepfändete Sachen sind auf schriftliche Anordnung der kommunalen Vollstreckungsbehörde öffentlich zu versteigern“, sagte eine Sprecherin des Ministeriums. Wer ein gepfändetes Tier auf einem privaten Ebay-Account anbiete, erfülle diese Voraussetzungen nicht.
Ob und gegebenenfalls wie die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen wurden sowie das weitere Schicksal des Mopses sind der Redaktion leider nicht bekannt.
Alfons Markuske
Schlagwörter: Alfons Markuske, Berater, Blätter für deutsche und internationale Politik, Bremer Stadtmusikanten, Clemens Fischer, Deutsche Bank, Export SIG Sauer, fbh, Fortschritt, Günter Gaus, Hannes Herbst, Kiel, Kolumbien, Kosten, Ludwig Erhard, Mops, Reden, Russland, Sarcasticus, schweigen, Sisters Brothers, Sozialneid, Trump, Venezuela, von der Leyen, Waffen, WeltTrends, Western, Zur Person