von Jan Opal, Gniezno
Auf den großen Jubiläumstag am 11. November 2018 hatten sich Polens Nationalkonservative beizeiten und gründlich vorzubereiten versucht. Nicht kleckern, sondern klotzen! So die Devise im Zusammenhang mit der Hundertjahrfeier der staatlichen Unabhängigkeit von 1918. Staatspräsident Andrzej Duda wollte an diesem Tag ein Referendum durchführen lassen über die Verfassung, um die geltende Verfassung aus dem Jahre 1997 ohne hindernde parlamentarische Zweidrittelmehrheit aus dem Weg räumen zu können. Und versprochen wurde, an diesem Tag ein großes Museum für Józef Piłsudski vor den Toren Warschaus zu eröffnen, um die Frage der rechten Nachfolge des legendären Staatsgründers endgültig klären zu können.
Am Vorabend des Feiertags konnte der Kulturminister immerhin den Rohbau des künftigen Piłsudski-Museums übergeben, vom geplanten Referendum indes war nichts mehr zu hören. Als Ersatz diente dem Regierungslager dafür die überstürzt wirkende Enthüllung des Denkmals für Lech Kaczyński, dem beim Flugzeugunglück am 10. April 2010 tragisch ums Leben gekommenen damaligen Staatspräsidenten. Andrzej Duda erklärte auf dem traditionsreichen Piłsudski-Platz im Zentrum der Stadt unfreiwillig komisch, der hier gewürdigte Politiker sei nach Piłsudski nunmehr Polens größter Staatsmann in der Geschichte. Dementsprechend forderte Jarosław Kaczyński seinerseits nun ein ganzes Museum für den Zwillingsbruder, denn was dem Staatsgründer zustehe, dürfe dem anderen Großen in Polens Geschichte nicht vorenthalten werden. Dass nahezu sämtliche gesetzliche Regelungen, die normalerweise bei der Errichtung von Denkmälern in der Öffentlichkeit eingehalten werden müssten, in diesem staatstragenden Akt außer Kraft gesetzt wurden, focht den mächtigen Staatslenker nicht an.
Und einem Coup gleich wurde schließlich ein Ungetüm „verstaatlicht“, vor dem Kaczyński in den zurückliegenden Jahren vorsichtshalber immer der Stadt den Rücken gekehrt hatte. Denn er wollte auf gar keinen Fall in die Nähe von primitivem Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus gebracht werden. Der sogenannte Unabhängigkeitsmarsch am 11. November, dessen Organisatoren sich offen zu faschistischen Positionen bekennen, hatte im letzten Jahr erschreckende Ausmaße angenommen, die die Weltöffentlichkeit aufhorchen ließ. In diesem Jahr sollten andere Bilder um die Welt gehen – die eines ungetrübten Fahnenmeers in weiß-roter Farbe. Kurzerhand wurde der Marsch zu einer Art „Staatsmarsch“ erklärt, als Schirmherr wurde Duda höchstpersönlich eingesetzt. Die verstoßenen Nationalisten-Organisatoren waren schließlich zum Kompromiss bereit, erklärten ihrerseits, den Marsch dem des Staates unterordnen und überdies die geforderten Bedingungen akzeptieren zu wollen. Die nun legte Duda fest, indem er dazu aufrief, nur die Nationalfarben zu zeigen, sonst nichts. Am 11. November erklärte der Staatspräsident dem staunenden Volk den tieferen Sinn: Weiß-Rot sei ein Fahnentuch, unter das alle Polen passen müssten, denn es sei nie eine weiße Fahne der Kapitulation gewesen, so wie es auch nie wieder eine rote Fahne werden könne.
Die Stimmung im Marschblock schlug beizeiten um. Während in übersichtlicher Zahl die Vertreter der Macht mit Kaczyński und Duda an der Spitze vorneweg liefen, übernahmen hinten die Nationalisten-Organisatoren das Heft des Handelns, so wie sie es in den letzten Jahren geübt hatten. Das Verbrennen der EU-Fahne, die mitgeführten faschistischen Symbole sowie die Rufe nach Vergeltung und die Aufforderungen, die Kommunisten endlich aufzuknüpfen, sind unmissverständliches Bekenntnis. Vielleicht marschierten über 250.000 Menschen durch Warschau, im großen Maße war es das Wählerspektrum der Nationalkonservativen, herangebracht vor allem aus den Hochburgen im Osten und Südosten des Landes. Aber Kaczyński und Duda schauten untätig zu, als diese Menschenmenge den eingefleischten Verfassungsfeinden und Gegnern der EU-Mitgliedschaft als Beute überlassen wurde.
Der Plan, umgekehrt die Faschisten im Meer der weiß-roten Fahnen verschwinden zu lassen, ging nicht auf. Kaczyńskis Strategen suchen angestrengt nach einer Lösung, wie sie innerhalb eines Jahres das Wählerpotential erweitern können, um nach den Parlamentswahlen im nächsten Herbst die Alleinregierung fortsetzen zu können. Der diesjährige Marsch am 11. November in Warschau verdeutlichte die gefährliche Sackgasse, nicht den möglichen Ausweg.
Das meint auch Donald Tusk, der als EU-Ratspräsident zu den Feierlichkeiten in sein Heimatland gereist war. Wie Piłsudski vor hundert Jahrenkam er am 10. November nach Polen, hielt am selben Abend in Łódź eine den warnenden Vergleich suchende Rede. Piłsudski sei der Vater der Unabhängigkeit, weil er die Bolschewiken geschlagen habe. Lech Wałęsa sei hingegen der Vater der Freiheit, weil er die damaligen Bolschewiken geschlagen habe. Im heutigen Polen gelte es nun Unabhängigkeit und Freiheit zu verteidigen – gegen die jetzigen Bolschewiken. Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil – so mittlerweile die zugespitzte Situation an der Weichsel.
Schlagwörter: "Unabhängigkeitsmarsch", EU, Jan Opal, Jarosław Kaczyński, Jozef Piłsudski, Nationalkonservative, Polen