20. Jahrgang | Nummer 25 | 4. Dezember 2017

Bemerkungen

Schiller, Schulz und ein Leu mit Namen Kaeser…

Man muss sich schon bis zur 21. Strophe von Friedrich Schillers „Lied von der Glocke“ durchkämpfen, um auf die folgenden bemerkenswerten Verse zu stoßen: „Gefährlich ist’s, den Leu zu wecken, / Verderblich ist des Tigers Zahn“. Martin Schulz, Beinahe-Kanzler und aktuell ein wenig Arbeiterführer, hat das nicht gepackt bis zur 21. Strophe. Sonst hätte er die Raubkatze in Ruhe gelassen. Aber er hat auch kein Abitur, wie er selber immer wieder sagt, und muss somit das Schillersche Hyper-Gedicht nicht kennen. Allerdings sollte er seine Ratgeber rauswerfen. Die haben eines, und die haben auch hochwertige Studienabschlüsse und wissen genau, niemand greift ungestraft dem Löwen in den Rachen. Noch dazu nicht diesem Löwen… Der heißt in realiter Joe Kaeser und ist Vorstandsvorsitzender der Siemens AG. Kaeser residiert am Wittelsbacher Platz in der bayerischen Landeshauptstadt. Und das Wappentier des Freistaates ist… Sie ahnen es: ein Löwe. Joe Kaeser hat nun dem „sehr geehrten Herrn Schulz“ am 22. November einen Brief geschrieben. Vorausgegangen war dem ein Auftritt des neuen Arbeiterführers vor den gegen die Schließung ihrer Werke protestierenden Siemensbeschäftigten in Berlin. Schulz, malerisch mit fast richtig rotem IG-Metallschal drapiert, schimpfte auf „Manchester-Kapitalismus“ und „verantwortungslose Manager“. Selbst das Wort „asozial“ fiel. Da der Ex-Kandidat anders als vor Wochen diesmal keine Widerworte oder fliegenden Eier befürchten musste, lief er rhetorisch zur Hochform auf. Kaeser nun reagierte verschnupft und machte etwas recht Fieses: Er operiert in seinem Brief mit realen Daten der Beschäftigtenentwicklung bei Siemens – hier gibt es, gelinde gesagt, gewisse Widersprüche zu den Angaben der IG-Metall. Nach Kaesers Rechnung wird der Umbau des Konzerns in Deutschland zwar mit dem Abbau von 2.900 Arbeitsplätzen in der Kraftwerkssparte begleitet sein, aber im selben Zeitraum käme es zu 16.000 Neueinstellungen. Und dann schlug er dem armen Schulz auch noch die Fast-Pleite des Konzerns im Zusammenhang mit dem Absturz des Telekommunikationssektors um das Jahr 2000 herum um die Ohren und meinte, ein „konstruktiver Dialog“ wäre allemal nützlicher, als „sich der Verantwortung und dem Dialog [zu] entziehen.“ Die Siemens AG habe immerhin „mehr zu verlieren als nur eine Wahl“. Das nennt man eine Watsche ersten Ranges.
Natürlich ist das ein perfides Schreiben. Dass das nun ausgerechnet von den Kollegen der etwas wirtschaftsnäheren Medien genüßlich seit Tagen im Volltext in die Welt posaunt wird, wundert uns nicht. Wer kommt schon auf die absurde Idee, ökonomischen Sachverstand ausgerechnet bei einem deutschen Parteianführer zu vermuten? War da nicht mal was mit „brutto und netto“? Ach so, Schiller… Damit der Reim aufgeht, seien hier noch die beiden dem Eingangszitat folgenden Verse wiedergegeben: „Jedoch der schrecklichste der Schrecken, / Das ist der Mensch in seinem Wahn.“
Nachsatz: Natürlich hätte Martin Schulz vor seinem Auftritt in Berlin in München anrufen können, wie denn das mit den Arbeitsplätzen gemeint sei. Aber woher sollte er wissen, dass das überhaupt funktioniert. Hatte Siemens nicht seinerzeit „seine Wurzeln“ (Joe Kaeser), die Telekommunikation, abgeschafft? Und Telekommunikation sind doch wohl auch Telefone…
Wie wir sehen, klappt das mit den Briefen ganz gut.

W. Brauer

Me too!!!

Lange, allzu lange habe ich es verborgen, wann, wo und wem gegenüber ich es nur verbergen konnte. Nun aber ist die Zeit reif, überreif. Wer jetzt nicht gesteht, gestehet nimmermehr, um Rilkes Herbstgedicht einmal zeitgeistig zu adaptieren. Also: Ich bin ein Sexist!!! Ja, Sie lesen richtig: Ich bin ein Sexist!!! ME TOO!!!!!! Nicht nur, dass ich mein Erwachsenenleben lang immer mal wieder bei Frauen gelegen habe – das ließe sich ja noch dem selbst vom Katholizismus tolerierten Fortpflanzungstrieb zuschreiben und wäre so also leidlich entschuldbar.
Nein, es war und ist schlimmer: Ich bewundere nicht nur schöne Alleen oder prachtvollen Blumenflor – nein, ich bewundere die Schönheit der Frau. Gewiss, aus erklärlichen Gründen, nun nicht jeder Frau, aber doch so überwiegend, dass ich nun unumwunden meine Verderbtheit einzugestehen bereit bin: Ich schaue mir gern Frauen ob der ästhetischen Vollendung ihrer Physis und/oder Physiognomie an und erfreue mich daran (wie gesagt: nicht in jedem Falle), und zwar, ohne dabei den Blick von dem abzuwenden, was halt die körperbaulicher Spezifik des weiblichen Geschlechtes ausmacht.
Der AStA der Alice-Salomon nun hat mir final die Augen geöffnet, und zwar so, dass ich sie also künftig schließen werde, wo und wann immer mir Weiblichkeit ins Blickfeld gerät, womit dank des statistischen Übergewichtes (hier ist die Anzahl gemeint, damit nicht schon wieder Häme unvermutet wird) der Frauen ja leider immer mal wieder zu rechnen ist. Denn nun habe ich geschnallt, dass ich bislang …nur eine klassische patriarchaische Kunsttradition reproduziert habe, in der Frauen* ausschließlich die schönen Musen sind, was zudem unangenehm an sexuelle Belästigung erinnert, der Frauen* alltäglich ausgesetzt sind.
Schlimmer noch – hat meine visuelle Wahrnehmung von Frauen diese doch anwidernd daran erinnert, dass diese sich als Frauen* nicht in die Öffentlichkeit begeben können, ohne für ihr körperliches „Frau*-Sein“ bewundert zu werden. Eine Bewunderung, die – was doch so verdammt augenscheinlich ist – häufig unangenehm ist, die zu Angst vor Übergriffen und das konkrete Erleben solcher führt.
Was mag ich angerichtet haben in all jenen 50 Jahren, die ich mindestens ein Auge auf der Frauen Schönheit geworfen habe? Wie dümmlich unreflektiert habe ich Gedichte, Romane, Filme, Theaterstücke inhaliert, Gemälde oder Plastiken betrachtet, in denen andere Sexisten diese Schönheit geschrieben, gemalt, in Stein gehauen und so gepriesen haben? Wo ich doch hätte besser wissen können, ja: müssen, denn wozu hat sich Alice Schwarzers Emma jahrzehntelang so abgemüht? Der auch von mir angerichtete Schaden ist unübersehbar, mein Leben verpfuscht, von dem der betroffenen Frauen ganz zu schweigen.
Was mir nun noch bleibt – kümmerlich genug –, ist tätige Reue. Ich habe damit angefangen und wende den Blick ab nun von allem, was auch nur ein weibliches Prädikat trägt – sicher ist sicher. Ich kann es zwar nicht beschwören, aber ich habe durchaus das Gefühl, das die Frauen das registrieren. Meine Ehefrau in jedem Fall, die allerdings – so verzwickt widersprüchlich ist das Leben – nun wieder vorgibt, freundliche Blicke oder gar Komplimente zu vermissen. Was aber weiß die schon von Feminismus oder gar Sexismus. Anders als die Berliner Student_*Innen muss sie wohl noch viel lernen. Jenen darf man allerdings wohl auch weiterhin die Pflege eines Selbstverständnisses wünschen, das da lauten könnte: Gaudeamus igitur, iuvenes dummmm sumus.

A.D. Mirador

Glaube und Zweifel

Der Glaube versetzt Berge, der Zweifel erklettert sie.
Karl Heinrich Waggerl

Wenn es einen Glauben gibt, der Berge versetzen kann, dann ist es der Glaube an die eigene Kraft.
Marie von Ebner-Eschenbach

Was werden Sie jetzt von mir denken – sagen dumme Frauen meist dann, wenn es gar keinen Zweifel mehr gibt.
William Somerset Maugham

Wo die Zweifel aufhören, hört auch die Wissenschaft auf.
Pjotr Kapiza

Das Credo des heutigen Menschen lautet: „Ich glaube an das Image, an den Computer und an die Demoskopie.“
Vittorio De Sica

Lachen tötet die Furcht, und ohne Furcht kann es keinen Glauben geben. Wer keine Furcht mehr vor dem Teufel hat, braucht keinen Gott mehr.
Umberto Eco

Es ist besser, sich von Zweifeln beunruhigen zu lassen, als lange im Irrtum zu verweilen.
Alessandro Manzoni

Überzeugung ist der Glaube, in irgendeinem Punkte der Erkenntnis im Besitze der unbedingten Wahrheit zu sein. Dieser Glaube setzt voraus, daß es unbedingte Wahrheiten gebe; ebenfalls, daß jene vollkommenen Methoden gefunden seien, um zu ihnen zu gelangen; endlich, daß jeder, der Überzeugungen habe, sich dieser vollkommenen Methode bediene. Alle drei Aufstellungen beweisen sofort, daß der Mensch der Überzeugungen nicht der Mensch des wissenschaftlichen Denkens ist; er steht im Alter der theoretischen Unschuld vor uns und ist ein Kind, wie erwachsen er auch sonst sein möge.
Friedrich Nietzsche

Das Hauptproblem dieser Welt besteht darin, daß die Fanatiker so selbstsicher sind, während die Klugen ständig zweifeln.
Bertrand Russell

Der Zweifel ist ein Schmerz, der zu einsam ist, um zu wissen, daß das Vertrauen sein Zwillingsbruder ist.
Khalil Gibran

Wer in Glaubenssachen den Verstand befragt, kriegt unchristliche Antworten.
Wilhelm Busch

Von den sichern Dingen das sicherste ist der Zweifel.
Bertolt Brecht

Das Problem mit der Welt ist, daß intelligente Menschen voller Zweifel und Dumme voller Selbstvertrauen sind.
Charles Bukowski

zusammengestellt von bebe

Vom Lachen in der Finsternis

Seinem Hörbuch von 2016 „Krieg ist nicht gut für den Frieden“, die deutschsprachigen Kabarettisten während der Zeit des Ersten Weltkrieges gewidmet war, hat Stephan Göritz jetzt eine Doppel-CD über die Jahre der Nazibarbarei folgen lassen. Herausgekommen ist ein breiter, von Göritz sachkundig kommentierter Überblick, in dem auch Volker Kühn, der 2015 verstorbene Nestor der bundesdesdeutschen Kabaretthistoriographie, wiederholt zu Wort kommt.
Mit dabei ist natürlich der legendäre Conférencier Werner Finck, der in seinem Theater „Katakombe“ in Berlin immer wieder Subversives gegen die braune Pest äußerte, bis ihm das Haus 1935 endgültig dicht gemacht wurde. Da war er bereits durch den Goebbels zugeschriebenen Satz geadelt, dass Finck nicht durch das gefährlich sei, was er sage, sondern durch das, was er nicht sage. Dass Finck in seinen späten Jahren allerdings öffentlich äußerte, die Naziherrschaft werde in punkto Intoleranz und Maulkorbpolitik vom SED-Regime in der DDR noch übertroffen, war keine Sternstunde des Künstlers, schmälert aber, wie Göritz bemerkt, dessen bewundernswerte Lebensleistung nicht wirklich.
Erika und Klaus Mann hatten 1932 in München ihr Kabarett „Pfeffermühle“ gegründet. Der gleichnamige Literaturnobelpreisträger und Vater der Geschwister apostrophierte die Programme der Truppe als „Schwanengesang der deutschen Republik“. Folgerichtig konnte sich das Ensemble nach der Machtübernahme im Januar 1933 der sicheren Verhaftung – für den Völkischen Beobachter war Erika Mann eine „pazifistische Friedenshyäne“ – nur durch rechtzeitige Flucht entziehen. In den Folgejahren tourte die Truppe gleichbleibend angriffslustig durch insgesamt sieben europäische Länder. Doch der Versuch, 1937 auch in den USA Fuß zu fassen, misslang, man ging auseinander.
Emigration sicherte in vielen Fällen zumindest das Überleben. Das gelang denen, die den Faschisten in die Fänge gerieten, häufig nicht. Von diesen Ermordeten erinnert Göritz’s Edition:
– an Kurt Gerron, dessen kongeniale Interpretation des Mackie-Messer-Songs in der Uraufführung der Dreigroschenoper von 1928 wenigstens noch als Tondokument erhalten ist, und der in Theresienstadt das Ghetto-Kabarett Karussell gründete sowie auf Weisung der SS einen Propagandafilm zur Täuschung der internationalen Öffentlichkeit drehte – Tod in Auschwitz 1944;
– an Fritz Löhner-Beda, der vergeblich auf Hilfe seitens des Komponisten Franz Lehár hoffte, zu dessen Ruhm er mit diversen Libretti beigetragen hatte, und einer der Schöpfer des Lagerliedes von Buchenwald – Tod in Auschwitz 1942;
– an Fritz Grünbaum, der 1910 in einem Duell „auf Säbel und Pistolen“ verwundet worden war, nachdem er in einer Vorstellung einen k.u.k. Offizier, wegen antisemitischer Sprüche inmitten des Programmes geohrfeigt hatte und von diesem deswegen gefordert worden war, und der von 1914 bis 1938 im legendären Wiener Kabarett „Simpl“ auftraf – Tod in Dachau 1941;
– an Paul Morgan, 1924 Mitbegründer des „Kabaretts der Komiker“ in Berlin und vor allem als Schauspieler in zahllosen Stumm- und Tonfilmen bekannt – Tod in Buchenwald 1938.
Erwin Geschonneck, der Kommunist und spätere DDR-Star, der in die Sowjetunion emigriert war, dort ausgewiesen wurde und 1939 in Prag in die Hände der Gestapo fiel, überlebte die Lagerjahre und im Mai 1945 auch die Versenkung des KZ-Schiffes „Cap Arcona“ durch britische Flugzeuge in der Lübecker Bucht. Geschonneck spielte in Dachau im Lagerkabarett und antwortete Anfang der 1990er Jahre auf die Frage von Volker Kühn, ob man nicht zum Kollaborateur wurde, wenn man im Interesse der SS den Mitgefangenen half, das Lager zu ertragen, mit der ihm eigenen Lakonie: „Ohne Humor wären wir nicht durchgekommen.“

Thaddäus Faber

Stephan Göritz: Ohne Humor wären wir nicht durchgekommen. Kabarettisten und das Dritte Reich (Doppel-CD), duo-phon records, Berlin 2017, 19,90 Euro (UVB). Bei diesem Hörbuch handelt es sich um die erweiterte Fassung von zwei Sendungen des Deutschlandfunks aus der Reihe „Querköpfe“.

Medien-Mosaik

Das Schriftsteller-Ehepaar Klaus und Aljonna Möckel war auf vielen Gebieten erfolgreich, etwa mit zwei Büchern über ihren Sohn Dan (vgl. Nr. 16/2016) oder die unter dem gemeinsamen Pseudonym Nikolai Bachnow geschriebenen acht Fortsetzungsbände zu Wolkows „Zauberer der Smaragdenstadt“. Der Name Bachnow verweist auf Aljonnas Mädchennamen Bach. Jetzt haben Möckels gemeinsam eine Broschüre über Aljonnas Vater Erwin Johannes Bach im Zeichen seines 120. Geburtstages im Oktober herausgegeben. Er starb 1961. Der Musiktheoretiker, Komponist und Schriftsteller Bach ist mit seiner einzig erhaltenen Sinfonie „Ruf an die Menschheit“, von ihm als „Sinfonisches Fresko“ bezeichnet, uraufgeführt vor einem Jahr in seiner Geburtsstadt Hildesheim, wieder in den Blickpunkt einer interessierten Öffentlichkeit gerückt. Die Erlebnisse im Ersten Weltkrieg ließen den Juden zum Kommunisten werden. Als junger Mann verfasste er sein theoretisches Hauptwerk „Die vollendete Klaviertechnik“, das in mehrere Sprachen übersetzt wurde. Vor den Nazis floh er 1933 in das „Heimatland der Werktätigen“, die Sowjetunion, die neben Ehre für seine Arbeit als Musikprofessor auch viele Enttäuschungen im Zeichen der stalinschen Säuberungen bereithielt. Die schwersten Monate verlebte er mit seiner Familie nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion im belagerten Leningrad, wo 1941 auch seine Tochter Aljonna zur Welt kam. Als er nach dem Krieg in der DDR lebte, schrieb er darüber den einerseits erschütternden, im Grundton aber optimistischen Text „Das Wunder von Leningrad“. Er ist das Zentrum des schmalen Bandes, der im Vorwort von Bachs verschlungenem Schicksalsweg von Deutschland in die Sowjetunion und wieder zurück erzählt, und im Anhang anhand von Briefen und anderen Dokumenten von seiner Arbeit und der kollegialen Freundschaft mit dem Komponisten Dmitri Schostakowitsch und dem Dirigenten Zoltan Fekete. Auch jüngere Forschungsarbeiten zu Bachs musikalischem Werk werden hier kurz angerissen. Doch sowohl Bachs Lebensweg als auch seine Arbeit als Autor und Übersetzer sind so spannend, dass der Wunsch offen bleibt, die Möckels würden die Kraft und wohl auch einen interessierten Verlag finden, ein Erwin Johannes Bach-Lesebuch zu veröffentlichen, das Aufschluss über das ruhelose Künstlerleben eines Linken im 20. Jahrhundert geben würde.

Erwin Johannes Bach: Das Wunder von Leningrad, Edition digital Pekrul & Sohn, Pinnow 2017, 60 Seiten, 9,80 Euro, als EBook 6,99 Euro.

*

Endlich wieder mal eine satirisch angehauchte Klamotte aus der Schweiz! Der Titel „Flitzer“ führt keineswegs zum Autorennen, sondern zu den berüchtigten Nackten, die Sportveranstaltungen stören – oder ihnen erst den richtigen Pep geben. Einem Lehrer kommen die anvertrauten Gelder für einen Sportplatz abhanden, und er kommt auf eine neue Wett-Idee: Wie lange kann sich ein Flitzer auf dem Rasen halten, bevor er vom Ordnungspersonal überwältigt wird? Die Spekulanten fahren auf diese Idee ab. Der Lehrer organisiert alles professionell, bis er fast an einer von einer Frau geführten Sonderkommission scheitert. Der Komiker Beat Schlatter hatte die umwerfende Idee und spielt selbst die Hauptrolle unter der Regie von Peter Luisi. Zusammen schufen sie einen amüsanten Familienfilm – ja, Familienfilm, denn Genitalien sind immer nur kurz zu sehen, und Kinder lernen ganz leicht, dass Nackte nicht peinlich sein müssen.

Flitzer, Regie: Peter Luisi, Schweizerdeutsch mit dt. UT, X-Verleih, seit 16.11. in ausgewählten Kinos.

bebe

Das Plättchn, kurza Lergang

Jede gedruckte Publikation muss heute mit ihrem nahen Ende rechnen, wenn es ihren Machern nicht gelingt, immer auch junge Leser für sich zu gewinnen. Da das Blättchen nicht nur Autoren- sondern auch Lesernachwuchs bitter nötig hat, (jedenfalls deuten einschlägige Börsenbewegungen am Aktienmarkt darauf hin), soll hier – einem Manifest ähnlich – eine Ansprache an die junge Generation erfolgen, die deren Schreib- und Lesegewohnheiten entspricht: Schreiben, wie manʼs spricht – das kommunikative Erfolgsrezept der schon nahen Zukunft – hält von nun an Einzug in die Blättchen-Seiten. Sie lesen den Pilot-Text:

Libe Mädchen und Jungn,
das Plättchn isne Puplikazion, die zweima in fürzen Tagn onlein gelesn wern kan. Sie fürt eine lange Tradizion fort.
Ihr könnt uns glaum, dass das Lesn des Plättchns fiele Forteile bitet. Man erfert zum Beischpiel eine ganze Menge über Polletik, und das is ja schließlich wichtich für jeen. Un wer es fertichbringt, dea kann och selba für das Plättchn schraim, die Redaktöre sind da janz offen, egal op grade Soma oda Winta is. Und auch, op Euer Vata oder die Mutta Euch dabei hülft. Zum Beischpiel beider richtichn fonetischn Schraipweis, die is im Land dea Dichta un Denka sowiso nich mea ßu stoppn.

Euer Willijam Scheksbier

Film ab

„[…] werden große Themen wie Freundschaft, Ethik, Toleranz und Verantwortungsbewusstsein keineswegs ausgespart, sondern vielmehr auf so bezaubernd unmoralinsaure Weise mit behandelt, dass man wünscht, die Filmemacher mögen sich allein deswegen aus den inzwischen 26 Büchern über den Helden recht bald den Stoff für ‚Paddington II‘ heraussuchen“, meinte der Besprecher Ende 2014. Da war der kleine Bär (aus dem dunkelsten Peru) mit den – wenn überhaupt, dann allenfalls von ET übertroffenen – im Wortsinne zu Herzen gehenden braunen Augen erstmals über hiesige Kinogänger gekommen. Nun ist es also soweit: Paddington ist wieder da, „der in uns allen immer das Gute sucht. Und, verdammt, er findet es auch“, so Henry Brown, das Oberhaupt seiner Londoner Gastfamilie. Den gibt erneut Hugh Bonneville, der nicht nur Adel kann, sondern auch Versicherungsangestellter mit einer „Krise in der Mitte des Lebens“, die ihn seine Nahrung pürieren lasse (O-Ton Paddington).
Von der Handlung des Films, der so familienkompatibel ist wie seine Nummer eins, soll hier nach üblichem Usus nichts verraten werden, also nur so viel,
dass, wer Paddington bereits anheimgefallen ist, nicht zögern wird, in den bekannten Ruf des Kleinen Hävelmanns einzustimmen;
dass, wer Yoga bisher nur in Erwägung gezogen hat, ein Argument mehr an die Hand bekommt, es einfach mal zu versuchen und
dass Gastfamilienmutter Mary Brown (Sally Hawkins) den Ärmelkanal durchschwimmt, leider ohne Pass, so dass – der Brexit ist offenbar bereits vollzogen – sie auch wieder zurückschwimmen muss.
Dass Brendan Gleeson außer tragischem („Am Sonntag bist du tot“, 2014) auch urst komisches („Brügge sehen… und sterben“, 2008) Potenzial hat, weiß man ja seit langem. Hier darf er seinem Affen mal wieder so richtig Zucker geben. Den Bösewicht des Streifens gibt Hugh Grant. Der galt lange eher als Leichtgewicht – auch boulevardesker jugendlicher Eskapaden wegen. Doch spätestens seit „Florence Foster Jenkins“ darf man mehr von ihm erwarten und wird auch hier nicht enttäuscht. Gewidmet ist der Film Michael Bond, der Paddington erfunden und ihn in insgesamt 27 Büchern zwischen 1958 und 2017 unsterblich gemacht, es aber einst abgelehnt hat, durch Verkauf der Filmrechte an Disney zum Millionär zu werden, und so ermöglichte, dass die beiden very britischen Filme überhaupt entstehen konnten. Er hatte sein wachsames Auge auch auf die zweite Verfilmung und ist am 27. Juni 2017, 91-jährig, verstorben.

Clemens Fischer

„Paddington 2“, Regie: Paul King. Derzeit in den Kinos.

WeltTrends aktuell

Seit Amtsantritt der PiS-Regierung in Polen haben sich die Querelen zwischen dem Land und der EU gehäuft, aber auch zwischen Polen und Deutschland – nicht zuletzt im Hinblick auf die sogenannte Reparationsfrage. Die Schuld, die Deutsche im Zweiten Weltkrieg auf sich und die nachfolgenden Generationen von Deutschen, geladen haben, ist eine gewaltige und bis heute unfassbar. Das betrifft vor allem die Massenmorde im Osten, wie etwa die gezielte Ausrottung der polnischen Intelligenz: Während des Krieges kamen 40 Prozent der Ärzte, 30 Prozent der Wissenschaftler und 28 Prozent der Priester ums Leben, wie ein polnischer Autor im Thema betont.
Kann diese Schuld getilgt werden? Sind neue Reparationsforderungen berechtigt? Damit setzen sich Experten aus polnischer und deutscher Sicht auseinander.
Mit dem Streit zwischen Katalonien und der spanischen Zentralregierung sowie der internationalen Position des Inselstaates Fidschi, das die Präsidentschaft der kürzlichen UN-Klimakonferenz in Bonn innehatte, beschäftigen sich die Autoren im WeltBlick.
In der Analyse geht es um Logik und Rationalität Nordkoreas in der Nuklearfrage. Ist Kim Jong-un ein „Irrer mit der Bombe“?
Auflösung oder Transformation – im Forum wird die Diskussion über die Haltung zur NATO aus linker Sicht fortgesetzt.

am

WeltTrends – Das außenpolitische Journal, Heft 133 (Dezember) 2017 (Schwerpunktthema: „Schuld und Sühne“), Potsdam / Poznan, 4,80 Euro plus Porto. Weitere Informationen im Internet.

Aus anderen Quellen

Das Blättchen hat in dieser Rubrik schon wiederholt Meinungen und Einschätzungen zu Wort kommen lassen, die seine Macher zwar keineswegs teilen, aber in der laufenden Debatte für beachtens- und nachdenkenswert halten. Dies nur vorweg.
„Anders als es bei den sogenannten ‚Panama Papers‘ der Fall war, wo es in vielen Fällen um Geldwäsche und kriminellen Steuerbetrug ging“, so Rainer Hank, Verantwortlicher Redakteur für Wirtschaft sowie „Geld & Mehr“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, brächten „die ‚Paradise Papers‘ in aller Regel Fälle legaler Steuergestaltung an das Tageslicht“. Damit benennt Hank implizit und ohne Ross und Reiter direkt anzusprechen die eigentliche Wurzel: Gesetzgeber in überwiegend westlichen Ländern, die über die Jahrzehnte durch ihre klientelgeleitete Politik die Voraussetzungen für legale Steuerverkürzung überhaupt erst geschaffen haben und durch fintenreiches Hakenschlagen sowie gelegentliche Placeboänderungen deren wirkliche Beseitigung bis dato noch immer verhindert haben. Hank folgt dieser Fährte allerdings nicht, sondern versteigt sich lieber zu der schrägen These, Briefkastenfirmen „kann man nur erklären (und verstehen!) als die legale Reaktion der Unternehmen auf den aggressiven fiskalischen Zugriff der Staaten“, denn längst zahlten Unternehmen „mehr, als sie […] als Gegenleistung bekommen“.
Rainer Hank: Paradise Papers. Legal, illegal, ganz egal, FAZ.NET, 12.11.2017. Zum Volltext hier klicken.

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„Wie jeder grosse Komiker“, heißt es in Marion Löhndorfs Porträt des Monty Python-Stars John Cleese, bestehe auch dieser „darauf, dass man über alles Witze machen kann. […] Entsprechend wenig hält er von der Political Correctness: ‚Das begann als eine gute Idee und wird jetzt ad absurdum geführt. Und einer der Gründe dafür, dass es ad absurdum geführt wird, liegt darin, dass eine Menge politisch korrekter Leute keinen Sinn für Humor haben. Weil sie keinen Sinn für Proportionen haben, und ein Sinn für Humor ist eigentlich ein Sinn für Proportionen. Es geht darum, zu wissen, was wichtig ist.‘“
Marion Löhndorf: Blendend bös – John Cleese tourt durch die USA, Neue Zürcher Zeitung (online), 21.11.2017. Zum Volltext hier klicken.