von Erhard Crome
Andrew Stephen „Andy“ Grove (1936–2016), in Ungarn geboren als András István Gróf, war in den USA einer der Männer des Silicon Valley, Mitbegründer und jahrelang Chef der Firma Intel, die als bahnbrechend für die Entwicklung von Mikroprozessoren gilt, ohne die die gesamte moderne Computertechnik undenkbar ist. Sein Wahlspruch war: „Nur die Paranoiden überleben“. Das wurde denn auch der Titel seines autobiographischen Buches, das den Untertitel erhielt: „Strategische Wendepunkte vorzeitig erkennen“.
Liberale Autoren in den USA folgen dem jetzt: vorzeitiges Brandmarken von Donald Trump. Dazu gehört zuvorderst Timothy Snyder, Historiker und Professor an der Yale Universität. Bekannt wurde er mit dem Buch „Bloodlands“, in dem er die Vernichtungsstrategie Nazideutschlands und die Massenmorde des Stalinismus zusammenhängend darstellt, die im Osten Europas in einem klar umrissenen Raum stattfanden – vor allem im östlichen Polen, in Weißrussland, dem Westen Russlands, der Ukraine. Hier waren die größten Opfer unter der Zivilbevölkerung zu beklagen. Bekannt auch das Buch „Nachdenken über das 20. Jahrhundert“, das aus Gesprächen mit dem 2010 verstorbenen Historiker Tony Judt hervorging.
Bereits zwei Wochen nach der Wahl Trumps publizierte Snyder in dem Online-Magazin Slate, das der Washington Post gehört, einen Text, in dem er die Wahl Trumps mit dem Aufstieg Hitlers verglich. Anfang 2017 folgte ein schmaler Band mit dem Titel: „Über Tyrannei“, Untertitel: „Zwanzig Lektionen für den Widerstand“. Er erschien zeitgleich auch in Deutschland. Der Verlag kündigt an, es ginge um „Lektionen für den Widerstand, mit denen Timothy Snyder die Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika vorbereitet auf das, was gestern noch unvorstellbar zu sein schien: einen Präsidenten, der das Gesicht der Demokratie verstümmelt und eine rechtsradikale Tyrannei errichtet“. Die Lektionen lauten: „Leiste keinen vorauseilenden Gehorsam“, „Verteidige Institutionen“, „Hüte dich vor dem Einparteienstaat“, „Glaube an die Wahrheit“, „Engagiere dich für einen guten Zweck“ und ähnlich. Es ist wie im christlichen Katechismus „Unterweisung im Glauben“: jeweils eine kurze Aufforderung und dann eine knappe Untersetzung, meist unter Verweis auf Entwicklungen in Europa im 20. Jahrhundert.
Snyder begründet sein Anliegen so: „Geschichte macht uns vertrauter, und sie kann eine Warnung sein. Am Ende des 19. Jahrhunderts, genauso wie am Ende des 20. Jahrhunderts, weckte die Ausweitung des Welthandels Fortschrittshoffnungen. Am Anfang des 20. Jahrhunderts, genauso wie am Anfang des 21. Jahrhunderts, wurden diese Hoffnungen durch neue Vorstellungen von Massenpolitik in Frage gestellt, in denen eine Person oder eine Partei für sich in Anspruch nahm, den Willen des Volkes unmittelbar zu repräsentieren. Die europäischen Demokratien brachen in den 1920er und 1930er Jahren zusammen und mündeten in rechten Autoritarismus und Faschismus.“
Das ist, mit Verlaub, Geschichtsklitterung. Die Brüche in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind nicht zu verstehen, ohne die beiden Weltkriege, vor allem den ersten in den Blick zu nehmen. Die verantwortlichen Politiker der Großmächte haben die hoffnungsvollen Fortschritts-Vorstellungen in den Schlachten des Weltkrieges zerstört. Die Demokratie fiel später in den Staaten, in denen sie mühsam erst nach diesem Krieg errichtet worden war, in den alten Demokratien Großbritannien und Frankreich dagegen blieb sie erhalten. Frankreich musste 1940 erst von Hitlerdeutschland erobert werden, um dort die Demokratie zu unterdrücken. Die Briten kämpften, später zusammen mit den USA, der Sowjetunion und anderen, bis Nazideutschland völlig besiegt war.
Bei Snyder gibt es dann eine Passage zur „kommunistischen Sowjetunion“ und zur Ausdehnung ihrer Macht in den 1940er Jahren. Auch hier nur moralisierende Argumentationsfiguren. Kein Verweis darauf, dass der sowjetische Kommunismus Ergebnis des Ersten Weltkrieges und seine Ausdehnung nach 1945 Folge des Zweiten Weltkrieges war. Kurzum, die Texte in den einzelnen Katechismus-Abschnitten sind schlüssig geschrieben. Weshalb aber Trump der Errichter einer Tyrannei sein soll, ist mit keinem Wort begründet. Es gibt nur ein paar Satzfetzen aus Wahlkampfreden Trumps und Zitate von Steve Bannon, der als Präsidentenberater umgeht, von dem aber niemand genau weiß, ob er wirklich den ihm zugeschriebenen Einfluss hat.
Die Philosophin Susan Neiman kommt ebenfalls aus den USA. Sie ist Direktorin des Einstein-Forums in Potsdam. Sie hat ein „Manifest“ verfasst, das den „Widerstand der Vernunft“ gegen Trump beschwören will. Immerhin beschreibt sie seinen Aufstieg vor dem Hintergrund der Lügen des Präsidenten George W. Bush zur Anzettelung des Irak-Krieges: Saddam Hussein hätte Massenvernichtungswaffen, und des Präsidenten Bill Clinton in seiner Sex-Affäre mit der Praktikantin Lewinsky. Als mitentscheidend sieht sie die geistigen Bestände an, die in den Jahrzehnten des Neoliberalismus vorherrschend wurden: echte Werte seien Marktwerte, Wahrheitsansprüche seien immer Machtansprüche. „Reagan und seine Verbündete Margaret Thatcher haben Vorgänge in der Welt verankert, die später zu Trump und zum Brexit führten.“
Bemerkenswert ist, wie Neiman die postmoderne Theoriebildung kritisiert. Wenn alles Narrativ ist, geht es um alternative Narrative. Wenn es keinen natürlichen, vorurteilsfreien Zugang zur Wahrheit gibt, wir stets von der Sprache gefangen sind, sprechen wir immer von einem bestimmten eigenen Standpunkt. Dann gibt es keine „objektive“ Wahrheit. Die Konsequenz dessen macht sie bei den Rechten fest: Darwin hat ein Narrativ angeboten, die Bibel ein anderes. Dieses Muster kann man dann auch auf wissenschaftliche Befunde in der Klimaforschung und deren Negierung anwenden. Die „alternativen Fakten“ in der Formulierung Trump’scher Politik haben hier ihren Ausgangspunkt. Aber auch die linksliberale Identitätspolitik agiert spiegelverkehrt. Es waren „Linksliberale, vor allem in der späteren US-Bürgerrechtsbewegung, die die Identitätspolitik erfunden haben, eine Politik, die der reaktionäre Nationalismus eines Carl Schmitt widerspiegelt“.
Neiman nennt die Identitätspolitik „ein gefährliches Spiel. Wenn die Ansprüche der Minderheiten nicht als Menschenrechte, sondern als die Rechte bestimmter Gruppen anerkannt werden, was hindert die Mehrheiten daran, auf ihre eigenen (Stammes-)Rechte zu pochen?“ Die Alternative kann nur ein Universalismus sein. Und gegen die „alternativen Fakten“ und die „postfaktischen“ Diskussionen plädiert sie für einen „aufgeklärten Vernunftbegriff“ .
Das klingt alles gut und konsequent. Lesenswert sind insbesondere ihre Kritiken an den linksliberalen intellektuellen Verdrehungen und verkürzten Interpretationen von Marx, die die gegenwärtige geistige Situation mit hervorgebracht haben. Gleichwohl ist auch ihr Faschismus-Verdikt gegen Trump rein rabulistisch hergeleitet. Auch „wenn man umsonst nach faschistischen Glaubensbekenntnissen sucht, werden faschistische Tendenzen immer deutlicher: Im Schüren latenter Ängste, in der offenen Verachtung und der Bedrohung von Presse-, wissenschaftlichen und kulturellen Einrichtungen sowie in der öffentlichen Androhung von Gewalt zeigen sich deutliche Anzeichen einer Annäherung an faschistische Tendenzen.“ Um das zu unterstreichen, nimmt sie einen von Umberto Eco entlehnten Terminus: „Urfaschismus“. Für den sei „Denken unmännlich und Kultur suspekt“. Das wiederum macht sie an Trumps Machismo, seinem – aus ihrer Sicht – schlechten Geschmack und daran fest, dass er keine Bücher lese.
Neimans Faschismusbegriff ist, freundlich ausgedrückt, nicht theoriegeleitet und fußt auf keiner ernsthaften Analyse der derzeitigen Lage in den USA. So konzediert sie Trump, er habe „noch nicht offen zur Gewalt gegen die Opposition gegriffen“. Besonders betont ist „noch“. Tatsächlich schreibt die Presse in den USA wie eh und je, was sie will, und die Opposition im Capitol kann sich ebenfalls faktisch und postfaktisch bewegen, wie sie will. In der internationalen Politik hat Trump bisher weniger Gewalt anwenden lassen, als Obama in jedem vergleichbar langen oder kurzen Zeitraum seiner Regierungszeit.
Manifeste und Lektionen, wie die hier besprochenen, sind Ausdruck paranoider Ängste des liberalen, der Demokratischen Partei nahestehenden Establishments der USA und ihrer Intellektuellen vor dem Hintergrund des für sie unerwarteten Wahlsieges von Donald Trump und der Republikaner. Den haben sie nach wie vor nicht verkraftet.
Timothy Snyder: Über Tyrannei. Zwanzig Lektionen für den Widerstand, Verlag C.H.Beck, München 2017, 127 Seiten, 10,00 Euro.
Susan Neiman: Widerstand der Vernunft. Ein Manifest in postfaktischen Zeiten, Ecowin Verlag, Salzburg/München 2017, 79 Seiten, 8,00 Euro.
Schlagwörter: Donald Trump, Erhard Crome, Faschismus, Kommunismus, Menschenrechte, Minderheiten, Susan Neiman, Timothy Snyder, USA