von Max Klein, zz. Chicago
Keine Ahnung von irgendetwas habe der Mann, so Joe Biden kürzlich auf dem demokratischen Konvent energisch über Donald Trump, dessen silberglänzendes Hotel unübersehbar in der City von Chicago ist. Im amerikanischen Fernsehen wird bereits unermüdlich das Duell Donald gegen Hillary vermarktet, und wahrlich, schweigen kann man nicht, schon gar nicht, wenn, wie gestern geschehen, Trump seine Konkurrentin in die Nähe des Schusswaffengebrauchs rückt. Es gibt Leute, die das einen missglückten Scherz nennen, witzig war da gar nichts, und andere halten das für einen wenig missverständlichen Aufruf zur Gewalt oder gar Mord. In Deutschland spricht wenigstens der Außenminister öffentlich Klartext, in den USA der amtierende Präsident, der vor nun acht Jahren im Grand Park von Chicago vor ein jubelndes, hoffnungsvolles Publikum trat (Blättchen 24/2008). Er hatte die Wahl, leider redet man von „Kampf“, zu seinen Gunsten entschieden, John McCain „geschlagen“, McCain, dem Trump kürzlich vorwarf, in Vietnam in Gefangenschaft geraten zu sein. Jeder Auftritt dieses Kandidaten ist im Grunde eine Beleidigung des zivilen Verstandes. Unerträglich erscheinen Sprache und Auftreten, so sehr, dass die eigenen Parteigranden sich endlich zu Widerstand durchringen.
Die Kampagne von Trump ist so unredlich, unklar, dröhnend, dass nahezu jeder von ihr gehört hat. Hier beginnt vielleicht das eigentliche Nachdenken. Mit dieser Lautstärke und beständigen Provokationen erreicht dieser Kandidat Massen von Menschen, durch Medien, die daran gut verdienen, aber auch online, vorbei an den Untiefen öffentlicher Auseinandersetzung und Bewertung. Das ist gewollt, natürlich. Seine Frau, so Trump neulich, hätte ihm geraten, präsidialer aufzutreten, dann jedoch hätte er viel weniger Zuhörer als gegenwärtig – es sei dahingestellt, ob Donald das überhaupt könnte, auch George W kam so weit ja nicht.
Die laute Unwahrheit hatten auch Nigel Farage und Boris Johnson vertreten, blanke Lügen, etwa über den Einsatz von Geldern für das Gesundheitssystem NHS oder über die Möglichkeit, „die Kontrolle zu gewinnen“, wenn man dies nur national regeln könne. Vorgetragen in einem – relativ zu Trump – halbwegs zivilen Stil, wenn man einmal absieht von dem unsäglichen Vergleich der nicht nur heimeligen EU-Zentrale mit Napoleon und Hitler. Ungeachtet dessen wurde der blonde Boris sogar Außenminister des einst großen Britanniens, dessen Zerfall nun nicht ausgeschlossen ist.
Auch Murdoch verdiente gewiss gut. So gibt es ein neues, bedrohliches Phänomen: unverantwortliche Politiker, Kommunikatoren eher, deren Aussagen immer irrwitziger werden, bestimmende Medien, die diese transportieren, sowie Parlamente, wie das House of Commons oder das Repräsentantenhaus, die gelähmt sind und allenfalls Theater spielen. Denkt man etwa an Theresa Mays unerfreuliche Tirade gegen Jeremy Corbyn am Tag ihres Amtsantritts, bevor sie lächelnd zu Angela Merkel fuhr, oder auch, und bedenklicher, die Trident-Entscheidung inmitten all der Aufregung, getragen vom Kampf gegen „Feinde Englands“ (May). In all dem Besorgnis erregenden Lärm fallen manche historische Entscheidungen.
Die Parteien von Anglo-Amerika, grand old, sind nahezu dabei sich zu zerlegen, die Demokraten haben „the Bern“, die Republikaner tranken erst „Tea“ und werden jetzt durch ihr eigenes Geschöpf begraben, die Konservativen sind so klug, über Nacht eine Frau hervorzuzaubern, die sich erst einmal von ihren eigenen Thesen verabschiedete. Brexit ist natürlich nicht einfach Brexit, und Labour bringt sich selbst gerade um, wie es scheint. Die Idee der gesicherten Stabilität durch allein zwei Parteien ist in dem Moment nicht mehr tragfähig, wo auch nur eine nicht mehr kann.
In Frankreich ist die Lage sehr ähnlich, die Verkündung nationalistischer Thesen verschiebt und bedroht das ganze System. In einem Artikel im Daily Telegraph zitierte Walter Steinmeier kürzlich Francois Mitterand mit der Bemerkung „Le nationalisme, c’est la guerre“. Die Lage der großen alten Länder ist bedenklich und es sage niemand, er sähe das nicht. Auf merkwürdige Weise erscheint Deutschland stabil, eine Errungenschaft, die Horst Seehofer genauso wenig begreift wie die Eaton-Absolventen Cameron und Johnson, die dachten das Land, dem sie vorstanden, wäre eine Schaubühne. Es benahm sich dann sogar so, jedenfalls an jenem Wochenende der langen Messer, das an „Macbeth“ erinnerte.
In England ist es ungemütlich geworden. Man kann unfreundlich gebeten werden, endlich zu gehen, ist zu einem Verhandlungsobjekt geworden in einem bevorstehenden weiteren Poker. Nichts ist leichter anzuregen und auszunutzen als der Nationalismus und Hass gegen das Establishment. Trump tut nur das. Brexit führt genau dahin. Le Pen spielt diese Karte längst. Das unheimliche, so scheint es, ist, dass der Vorwurf, jemand habe „no clue“, zu dessen Vorteil ausgelegt werden kann. Er kann dargestellt werden als eine unqualifizierte Äußerung des Establishments gegen die der so Angegriffene sich zu wehren habe. Als Melanie Trump des Plagiats überführt worden war, klang ihre Rede doch wie jene von Michelle Obama, da wurde das Abschreiben ohne Quelle als übliches Verhalten dargestellt – Schranken des Anstands und der Zivilisation fallen, während am wirklichen Rand des „Westens“ mit Waffen gekämpft oder nachträglich und effizient geputscht wird.
Es ist gewiss so, dass die Anfälligkeit von Massen etwas mit ersichtlicher Ausgrenzung von Wohlstand und Zugang zur Bildung zu tun hat, es gibt gewiss soziale Fragen, die sich etwa in England wie in den USA zeigen, da Trump und Brexit auf dem Lande populärer sind als in den Städten. Oxford, nach Meinung manches Kollegen, würde gern eine Enklave der EU in Brexitland werden.
Sind das alles nur Spektakel oder kann man hier etwas verstehen. Die Dramatik der Entwicklung erinnert zuweilen an das Verschwinden der DDR, einen Prozess, den man erst im Nachhinein wirklich begriff und doch durchlebte. Es ist schwer etwas zu begreifen. Die USA haben im Nahen Osten Kriege geführt, deren Folgen sie nicht bewältigen. Asien bedrängt die Wirtschaft des Westens so sehr, dass der womöglich zerfällt, merkwürdig die Träume von besonders tollen Verträgen, die Großbritannien nun angeblich allein schließen kann. Die nationalistischen Bewegungen werden nicht einfach wieder abebben, auch nicht wenn Trump verliert, schon gar nicht, wenn er gewinnt. Man kann nicht alles begreifen in diesem Prozess, der manchmal Angst macht. Jedoch bleibt dem Menschen nichts als sein Menschsein – man muss sich wehren gegen die Usurpation von Urängsten, zuhören, Lügen als das bezeichnen was sie sind, Humanität und Aufklärung gegen Roh- und Dummheit setzen. Nicht das Volk ist dumm, aber es wird ersichtlich belogen und verführt. Völker mögen das auf Dauer nicht.
Soziale Sorgen und humanistische Maßstäbe haben Sanders und Corbyn groß werden lassen. Intellektuelle haben wieder die Wahl zwischen Beobachtung und Interpretation oder Aufklärung und Beteiligung. Der Brexit war eine eher noch harmlose Warnung vor den Folgen der Nichteinmischung vieler. Es ist denkbar, dass die Zivilisation an einem wohl nicht erwarteten Scheideweg steht, und wehe der Populismus bewaffnet sich, wehe irgendein Irrer folgt Trumps „Scherz“. „Never forget your humanity“, sagte der weise Jo Rotblath, nachdem er den Friedensnobelpreis mit seiner Pugwash-Bewegung bekommen hatte. Es geht um viel mehr als „no clue“, es geht etwas vor, das uns alle angeht.
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