von Günter Hayn
„Was für ein Wahlsinn!“ titelte BILD am Tag nach dem 13. März. Die Assoziation zum meistgebrauchten Mauerfallwort „Wahnsinn“ war gewollt. „SPD zweimal von AfD überholt“, hieß es weiter. Endlich geschafft, sollte das wohl bedeuten. Kein Wort über DIE LINKE.
Im Südwesten der Republik hat diese Partei sowieso nur die Messwerte eines Spurenelementes. Seit ihrer Gründung fährt sie dort Ergebnisse um die drei Prozent ein. Die Landesverbände in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz haben das Kunststück fertig gebracht, sich trotz niedriger Mitgliederzahlen (2.836 beziehungsweise 1.594 per 31. Dezember 2015) heil- und zukunftslos in das politische Nirwana zu zerstreiten. Über die Ursachen dieser Misere mag man geteilter Meinung sein. Auffällig ist allerdings, dass der Frauenanteil in den Westverbänden der LINKEN nur ein knappes Viertel der Mitgliedschaft beträgt. In den ostdeutschen Landesverbänden liegt er zwischen 40 und 50 Prozent. Auffällig ist auch, dass es der Partei nicht gelang, in den sozialen Milieus der dortigen Industriearbeiterschaft – egal ob in festangestelltem oder Leiharbeiterzustand – Fuß zu fassen.
Immerhin gäbe es dort Neueintritte, pfiff sich dieser Tage das neue deutschland Mut im schwarzen Walde zu. Die Zeitung meldete einen „Neumitgliederstrom“ in Baden-Württemberg, nannte aber keine Zahlen. Es handele sich hauptsächlich um „radikalisierte Jugendliche“, die man politisch schulen und denen man Raum für Aktivitäten bieten solle. Der Autor war sich nicht zu blöde, die vermeintlichen Vorteile solcher Klientel herauszustellen: „Vor allem Menschen unter 25 sind unbelastet von der Vergangenheit und kennen Begriffe wie Agenda 2010, WASG, PDS und DDR allenfalls aus den Erzählungen der Älteren.“ Das Wissen um die eigene Geschichte war schon immer ein konterrevolutionärer Klotz am linken Bein.
Am Wochenende zuvor wählten die Hessen ihre Kommunalparlamente. DIE LINKE erzielte vor allem in städtisch geprägten Regionen einige Zuwächse. Im Landesdurchschnitt steigerte sie sich von 2,7 auf 3,5 Prozent. Die AfD dagegen erreichte gleichsam aus dem Stand 11,9 Prozent. Von Interesse sollte der Vergleich mit den NPD-Werten sein: Die erreichte in Büdingen 14,2 Prozent, in Altenstadt 12,3 und selbst in Wetzlar 9,6 Prozent. In allen drei Städten war die AfD so gut wie gar nicht präsent. Bildet sich hier nicht doch eine Sammlungspartei mit erheblichen Schnittmengen in das rechtsextreme Spektrum, die eben (noch) nicht den braunen Ludergeruch an sich hat? Am 6. März schrillten in Hessen jedenfalls die Alarmglocken.
Der linke Spitzenkandidat in Sachsen-Anhalt Wulf Gallert kochte sich derweil unverdrossen mit dem Kartoffelsuppentopf („Eine Kartoffel widerspricht wenigstens nicht, wenn man sie schält.“) über die Marktplätze des Frühaufsteherländchens. Den Symbolwert solcher Aktionen hielten seine Wahlkampfstrategen für unwiderstehlich. Gallert sollte endlich Koch und nicht mehr nur Kellner sein… Denn jahrelang sei das Land von einer Regierung geführt worden, „deren heimlicher Chef SPD-Finanzminister Jens Bullerjahn zu sein schien. Es wurde gespart, dass es krachte“, teilte neues deutschland vor den Wahlen mit. Und auch, dass die SPD einen Wechsel in Aussicht gestellt habe. Was zumindest das tumbe Wahlvolk nicht kapierte. Weshalb in drei Teufels Namen sollte der Rollenwechsel vom Kellner zum Koch einen deutlichen Politikwechsel zur Folge haben?
Für wie vergesslich hält man in den Magdeburger Parteibüros die eigenen Landeskinder? Von 1994 bis 2002 hatte Wulf Gallert de facto schon einmal das Land mitregiert. Unter seiner Führung tolerierte die seinerzeitige PDS zunächst eine SPD-Grüne-Koalition, dann ab 1998 das SPD-Minderheitenkabinett Reinhard Höppners. Höppner konnte nichts Wichtiges ohne Billigung Gallerts entscheiden. Die einzigen, die jetzt nachhaltig etwas von einer rot-roten Koalition gehabt hätten, wären die abstiegsgefährdeten Sozialdemokraten Katrin Buddes gewesen. Und die wollte schon gar keiner mehr haben. Die SPD landete bei 10,6 Prozent. Budde hatte als Fraktionsvorsitzende im Landtag dem als Buhmann auserkorenen Bullerjahn zehn Jahre lang den Rücken politisch frei gehalten.
Warum ein „Wechsel“ um des Wechsels willen? Diese Frage konnte in Sachsen-Anhalt kaum jemand beantworten. Stattdessen wurde auch hier zunehmend heftiger die „Flüchtlingskarte“ auf den Tisch geknallt – wohl wissend, dass niemand, der nicht Horst Seehofer heißt, damit gegen die Rechtspopulisten der AfD punkten kann. Lediglich CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff versuchte sich als Seehofer-Double und verließ, wenn auch mit erheblichen Blessuren, als vermeintlicher Sieger die Wahlstatt. Der wahre Sieger ist bekannt.
Tatsächliche Verliererin ist DIE LINKE. Die hatte zum wiederholten Male auf die Regierungskarte gesetzt – und musste schmerzhaft erfahren, dass weder die politische Programmatik noch das hochgejubelte Spitzenpersonal im Lande mehrheitsfähig sind. Bei der Nachwahlbefragung, wer von beiden „glaubwürdiger“ sei, Haseloff oder Gallert, zogen 30 Prozent der Befragten den ansonsten nicht sonderlich beliebten Ministerpräsidenten vor. Gallert landete kläglich bei zehn Prozent.
Schwer zu verkraften sind die massiven Einbrüche bei der eigentlichen Klientel einer linken Partei: 30 Prozent der Arbeiter wählten AfD (LINKE 16 Prozent!), ebenso 20 Prozent der Angestellten (LINKE 18 Prozent). Wer einmal ernsthaft versucht hat, linke Programme zu lesen, weiß, wie wichtig der Bildungsstatus linker Wählerschaft ist: Nur 14 Prozent der Besitzer des mittleren Schulabschlusses wählten noch DIE LINKE (AfD hingegen 31 Prozent), 17 Prozent der Hauptschulabsolventen machten ihr Kreuz bei dieser Partei (AfD 24 Prozent). Immerhin rekrutierte Letztere 17 Prozent ihrer Wählerschaft bei den bisherigen Anhängern der LINKEN.
Hier war man sehr schnell bei der gewohnten Kraftmeierei: „Wenn AfD-Positionen übernommen werden von anderen Parteien, führt das vor allem dazu, dass die AfD gestärkt wird“, tönte Ko-Parteichefin Katja Kipping bereits am Tag nach den Wahlen. Das ging gegen Oskar Lafontaine und vor allem gegen Sarah Wagenknecht („Wagenpetry“ wird sie inzwischen von linken Gralsrittern auf ihren facebook-Seiten genannt). Wagenknecht hatte in einem Berliner Boulevardblatt am Tag vor den Wahlen den Begriff „Kapazitätsgrenzen“ für die Aufnahme von Flüchtlingen in den medialen Ring geworfen. Wenige Tage später legte sie in der Frankfurter Rundschau nach: „Wir haben in der Flüchtlingsdebatte offensichtlich den Zugang zu einem erheblichen Teil unserer Wähler verloren.“
Damit wurde sie zum Beelzebub für den regierungssozialistischen Flügel der Partei. Dessen Analytiker Horst Kahrs und Benjamin-Immanuel Hoff – letzterer ist Chef der Staatskanzlei Bodo Ramelows in Erfurt – lobten die Spitzenkandidaten der drei Landesverbände für deren „Haltung für offene Grenzen für Menschen in Not und gegen Rassismus“, „doch öffentlichkeitswirksam wurden aus Partei und Bundestagsfraktion auch andere Positionen vertreten“. Da ist sie wieder, die linke Dolchstoßlegende. Die wirkt nachhaltig: „Nun besteht die Sorge, dass die Linke auch bei den kommenden Wahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern verlieren könnte.“ So die Frankfurter Rundschau in der Karwoche. Die Begründung für die Niederlagen im Herbst steht also bereits fest: Sahra warʼs…
Und die Chancen auf eine Doppelniederlage sind gut. In Berlin schickt DIE LINKE, wie der Landesvorsitzende Klaus Lederer selbstironisch seine parteiinternen Kritiker lächerlich zu machen versuchte, „eine handverlesene Liste von Jasagern“. Die besteht im Kern aus einem Spitzenteam, das den Berliner Landesverband zweimal hintereinander in die Niederlage – bei Verlust von gut 50 Prozent der Wählerschaft – geführt hat. Potenzielle Kritiker am ersehnten rot-grün-rotem Regierungsspiel wurden bewusst außen vor gelassen. Programmatisch verpassten die Strategen um Lederer und den Brüdern Wolf der Partei ein voluminöses 91-Seiten-Papier, das diese koalitionsreif machen soll, die Wähler aber einigermaßen im Unklaren über den realen Kurs des Dreamteams lässt. Selbst das dem Ganzen freundlich gegenüber stehende neue deutschland kommentierte ernüchtert: „Für eine Partei, die eine andere Politik und einen anderen Stil verspricht, ist der praktizierte innerparteiliche Umgang dennoch fragwürdig. Schließlich braucht es gerade jetzt angesichts des Rechtsrucks eine geeinte Linke, weit über die Partei hinaus. Die Chance der Einbindung wurde […] aber bewusst vertan.“ Spitzenkandidat Lederer verweigerte fast ein Drittel des Wahl-Parteitages die Gefolgschaft. „Ist doch alles schön!“, lautete sein lakonischer Kommentar.
In den Umfragen liegt die Berliner LINKE derzeit bei 14 Prozent an vierter Stelle, die AfD folgt mit sieben. In Mecklenburg-Vorpommern wird zwei Wochen vor Berlin gewählt. Die Linke liegt dort derzeit bei 19 Prozent, die AfD bei 16. Allerdings haben die Rechten dort binnen eines Monates um zehn Prozent zugelegt! Die LINKE punktete einmal mit dem Slogan, sie sei die Partei für den Alltag, nicht für den Wahltag. Derzeit stimmt weder das eine noch das andere. Sie steht am Rande des politischen Abgrunds. Ihr Hauptproblem ist eine realitätsferne selbstverliebte Führungskaste.
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