16. Jahrgang | Nummer 9 | 29. April 2013

Bemerkungen

Weisheiterkeit

Das Wort Wirtschaftsweiser ist irreführend. Da sich die Regierung so bezeichnete Leute hält und mit ihnen die Inanspruchnahme von Sachverstand behauptet, denkt der Arglose, das Wort habe etwas mit Weisheit zu tun. Tatsächlich hat ein Wirtschaftsweiser mit Weisheit gerade so viel zu tun wie ein Wegweiser im Wald, der auch dann noch Wegweiser heißt, wenn er in die falsche Richtung zeigt oder wenn auf ihm gar keine Schrift mehr zu erkennen ist. Ein solcher Wirtschaftsweiser, Präsident eines Institutes für Wirtschaftsforschung, hat „vor einem Mindestlohn gewarnt“. Er hat ihn als „Spiel mit dem Feuer“ und 8,50 Euro die Stunde als „entschieden zu hoch“ bezeichnet. Dafür dass in Deutschland manche Arbeitnehmer nicht von ihrer Arbeit leben können, sei „vor allem die erhöhte Bedürftigkeit von Haushalten mit Alleinerziehenden, einem arbeitslosen Partner oder vielen Kindern“ verantwortlich. Wenn Arbeitnehmer von Hungerlöhnen nicht leben können, sind sie also selber schuld. Sie haben zu hohe Bedürfnisse, zu viele Kinder und womöglich auch noch arbeitslose Partner. Fast sieht es so aus, als ob ein Wegweiser immerhin noch mehr mit Weisheit zu tun hat als so ein Wirtschaftsweiser.

Günter Krone

Menetekel für die Linke?

Claudia Roth gab sich staatstragend: Die von der „Alternative für Deutschland“ (AfD) propagierten Thesen schadeten den deutschen Interessen und einem starken Europa, erklärte die Lieblings-Vizekanzlerin des eigenen Herzens am Tage nach der Parteigründung der AfD dem Sender Radio Eins. Bernd Riexinger, Ko-Parteivorsitzender der LINKEN wird von der Agentur AFP mit dem Satz zitiert, dass die AfD die „derzeit gefährlichste Partei am rechten Rand“ sei. Nun ist das mit den Rändern so eine Sache (siehe die Analyse von Fritz E. Gericke in diesem Heft). Wirklich gefährlich wird die AfD augenblicklich den kleineren Oppositionsparteien: Die Neugründung erreichte bei den Meinungsumfragen aus dem Stand drei Prozent Zustimmung. Damit läge sie gleichauf mit den Piraten. Grüne und LINKE verloren jeweils einen Punkt. DIE LINKE rutscht damit wieder in eine gefährliche Nähe zur Fünf-Prozent-Hürde. Ungleich dramatischer sind jedoch die potenziellen Zustimmungswerte. Die Institute vermeldeten eine „vorstellbare“ Wählerzustimmung zwischen 23 Prozent (Forsa) und 27 Prozent (YouGov). 33 Prozent derjenigen, die 2009 FDP wählten, können sich nach Angaben von ZEIT ONLINE vorstellen, AfD zu wählen. Das wird nur noch getoppt von der Gruppe der seinerzeitigen Linkspartei-Wähler: Hier liegt das Potenzial für die AfD bei 35 Prozent! Riexinger ist zuzustimmen, die „Alternative für Deutschland“ ist gefährlich. Aber derzeit in erster Linie für die Linkspartei. Die ist offensichtlich in zunehmendem Maße nicht in der Lage, alternative Politikansätze auf eine überzeugende Weise den Wählerinnen und Wählern zu vermitteln. Von der Personage ganz abgesehen. „Sie muss seriös werden“, meinte Markus Decker vor wenigen Tagen in der Berliner Zeitung. „Und seriös war die Linke seit 2009 eher selten.“ Sie habe sich zurück verwandelt von „einer gesamtdeutschen Herausforderin der SPD … zu einer ostdeutschen Regionalpartei mit westdeutschem Protest-Appendix.“ Noch hat die Partei Zeit zum Umdenken – und Umformulieren. Des in der Qualität seines Politchinesischs kaum noch steigerungsfähigen Wahlprogrammes zum Beispiel. Auf eine lesbare „Kurzfassung“ soll dem Vernehmen nach zum Beispiel verzichtet werden. Es könnte sich ja eine Gruppierung vernachlässigt fühlen… Komplexität muss schon sein, auch wenn man zugunsten einer neu-rechten Partei wieder aus dem Bundestag rausfliegt. Macht nichts, nach gut-linkem Selbstverständnis ist der „bürgerliche Parlamentarismus“ sowieso Teufelszeug.

Günter Hayn

Wald

von Margit van Ham

Ein sandiger Weg führt
am Feld vorbei in den Wald.
Zwischen den Bäumen
wird mein Atem tief und
Lächeln besucht das Gesicht.
Ich bin hier zu Hause. Bei mir.

Der Waldweg ist gesäumt
mit Lasten, die ich abwerfe
Schritt um Schritt. Kreiselnde
Gedanken liegen nun ruhig,
Ängste schweigen, verlieren sich
im Spiel der Blätter mit dem Licht.

Mein Schritt wird eins mit
dem Rauschen des Waldes.
Ein Buntspecht klopft den Takt.
Ich nehme mein Gepäck wieder
auf, bevor ich den Wald verlasse.
Mir scheint mit leichterer Hand.

März 2013

Uli Hoeneß ist ein Netter!

Das ist furchtbar nett von Ihnen, dass Sie sich selbst anzeigten und freiwillig eine gewisse Summe auf den Konten des bayerischen Fiskusses deponierten. Reichtum verpflichtet schließlich, das lebten Sie ja immer gerne vor. Welch armem Luder von Finanzbeamten kann man schließlich zumuten, mit einem Vollstreckungsbefehl und in Begleitung eines Starnberger Dorfgendarmen (wahrscheinlich wären die an jenem Tage alle krankgemeldet) an der bescheidenen Hütte des allmächtigen Chefs des Nationalheiligtums FC Bayern anzuklopfen? Der Mann wäre doch toter noch als tot und keine auch noch so tapfere Tagesmutti würde es wagen, dessen Nachwuchs die tropfende Nase zu tupfen! Und das alles wegen einer typisch deutschen Neiddebatte. Ja sicher, die Neue Zürcher Zeitung schrieb etwas von 800 Millionen Schweizer Franken, die auf einem Konto der Privatbank Vontobel lägen. Aber das ist doch noch nicht mal die für den bayerischen Reichtumsritterschlag übliche Milliarde. Im Vontobel-Porträt 2013 „Über Reichtum“, Sie werden das kennen, es ist das Hausmagazin ihrer Bank, findet sich ein netter Artikel „Reichtum: Wie schützen und vermehren?“ Da scheint was schiefgelaufen zu sein. Wechseln Sie die Bank. Und schicken Sie wenigstens der Kanzlerin ein Blumen-Bouquet. Auch Frau Merkel ist sehr enttäuscht. Zumindest ließ sie das ausrichten. Peer Steinbrück hingegen ist offen neidisch. Der forderte ja erst kürzlich eine Anhebung des Kanzlergehaltes.

Alfred Askanius

Hollywood in Merseburg

Im Februar war er plötzlich da: Hollywood-Star George Clooney schwirrte auf Motivsuche für seinen neuen Film „The Monument Men“ durch Merseburg und auch wenn kaum einer den Schauspieler unter dem schwarzen Mantel und der tief ins Gesicht gezogenen Wollmütze erkannte, weht doch seitdem ein Hauch von Hollywood durch die Saalestadt.
Zuerst beherrschten die wildesten Spekulationen das Lokalblatt. Würde der Merseburger Dom tatsächlich Clooneys neustem Film als Kulisse dienen? Dann käme ja vielleicht am Ende noch Oscar-Preisträgerin Cate Blanchett her – und auch der ebenfalls gebuchte Daniel Craig! „James Bond in Merseburg“ zitterte das Blatt erregt. Doch ein Massencasting in Goslar und die ersten Drehtermine im Halberstädter Dom dämpften die Stimmung, im Lokalteil orientierte sich Merseburg nun wieder an den harten Fakten. Ja, im Café „Ben zi bena“ sei Clooney bei seiner Stippvisite eingekehrt, wusste Betreiber Klaus Oberbacher noch. Wenn auch nur kurz, wenn auch nur auf einen Cappuccino. Aber das reichte ja schon. „Die Anwesenheit von Herrn Clooney scheint eine heilende Wirkung auf meine Frau gehabt zu haben“, mutmaßt Oberbacher eifersuchtslos. „Am Morgen war sie noch stark erkältet, aber seit Herr Clooney da war, strahlt sie nur noch.“ Auch diese Story gab viel her. Wochenlang wurde darüber berichtet, wie „Herr Clooney“ seinen Zucker verrührt, wie oft er von dem dargebotenen Keks abgebissen hat – und eins wurde immer ersichtlicher: Wenn er doch nur noch einmal käme, würde er den dann georderten Cappuccino ganz bestimmt umsonst bekommen. Pure Großzügigkeit im „Ben zi bena“.
Doch seit dieser Woche werden die Fakten noch härter. Clooney hat sich nun doch endlich für Merseburg als Drehort entschieden. Wen er dabei haben wird, steht noch nicht fest. Wahrscheinlich wird das auch erst im Kino ersichtlich. Denn anlässlich der Dreharbeiten werden große Teile der Stadt weiträumig abgesperrt. Von wegen nur Domplatz und Schlosshof! Bis zu fünf Tage geht nichts mehr in Merseburgs Altstadt, Umleitungen sind ausgeschildert. Und plötzlich verliert sich der Hauch von Hollywood wieder und macht dem Verkehrssmog Platz. Und einem Murren über den Umweg.

Thomas Zimmermann

Peerfekt

„Immer mehr Berufstätige können von ihrem Hauptjob nicht mehr leben – und kommen nur mit einem Nebenjob über die Runden“, berichtet die Leipziger Volkszeitung unter Berufung auf eine Studie des Pestel-Instituts in Hannover. Da wird einem klar, dass Peer Steinbrück seine Notlage mit Vorträgen überwindet.

Günter Krone

Zwischen Aarhus und Arizona

Vier waschechte Dänen aus Aarhus, Musiker mit Leib und Seele und mit starker Affinität zum melancholischen Indie-Rock amerikanischer Prägung, bilden die Band „The DeSoto Caucus“: Anders Pedersen, Peter Dombernowsky, Nikolaj Heyman und Thoger T. Lund. Sie profitierten in ihrer Entwicklung sicherlich vom Split der Indie-Bandlegende Giant Sand. Derem führenden Kopf Howe Gelb kamen vor etwa zehn Jahren zwei kreative Musiker, nämlich die Herren Burns und Convertino, abhanden, da diese beiden fortan als Chefs der Band „Calexiko“ firmierten und sich ganz auf dieses ursprünglich musikalische Nebenprojekt konzentrierten. Fortan verstärkten die dänischen Musiker die Gruppe Giant Sand. Und da Howe Gelb immer wieder eigene Wege ging oder andere musikalische Kombinationen zeitweise favorisierte, beispielsweise mit einem Gospelchor in Kanada tourte, nutzten die vier Dänen die Gunst der Stunde, also die freie Zeit, um als eigenständige Band Lieder aufzunehmen und mit diesen auch aufzutreten.
„Offramp Rodeo“ ist ihr zweites Album betitelt. Und es ist ein kleines Juwel für Freunde amerikanischer Rockmusik, speziell der Südstaaten, geworden. Aarhus scheint in Arizona zu liegen, dort halten sich die vier Dänen öfters auf – und hier lassen sie sich auch inspirieren. Sie lassen den Hörer aber nicht in weltschmerzumtosten Wogen von Mollakkorden untergehen. Sie bieten stilsichere Musik und garnieren sie mit Texten jenseits von Weltuntergangslarmoyanz oder Lagerfeuerromantik:

Here is one to tell you
we’re outrun anyway
that trouble comes in all colors
but always leave you in the grey.

Teilweise spielen sie mit Worten und Gedankenassoziationen … und wenn schon resignieren, dann aber bitte mit Stabreim: reluctant resignation / under heavy clouds.
Ihre Musik strömt eine coole Abgeklärtheit aus, die eine soghafte Wirkung beim Hörer hinterlässt. Die lässigsten Amerikaner scheinen ihren Erstwohnsitz in Aarhus zu haben.

Thomas Rüger

The DeSoto Caucus: Offramp Rodeo, Glitterhouse Records 2013, zirca 16,00 Euro

Die Müllecke

Der Erhalt des Euro ist uns lieb und teuer. Inzwischen schnürte der Deutsche Bundestag das zwölfte „Rettungspaket“. Und es ist gut, dass Finanztransaktionen heutzutage auf elektronischem Wege erfolgen. Real ist dies kaum noch machbar. Noch dazu mit der europäischen Währung: „Noch ist er teuer“, vermeldete am kürzlich der Moderator von Antenne Brandenburg, „bis zu 20 Kilo das Euro!“ Er wollte der Hörergemeinde irgendetwas über Beelitzer Spargel mitteilen. Aber 20 Kilo ist für eine Münze wirklich ein heftiges Gewicht. Erfahrungsgemäß sollte man etwas warten. Ende Mai wird auch in diesem schwierigen Spargeljahr das Euro wahrscheinlich um die zwölf Kilogramm kosten.
Neues Deutschland druckte am 23. April einen dpa-Artikel über die Wiedereröffnung des Deutsch-Russischen Museums in Karlshorst ab. Der Autor, Esteban Engel, beschreibt unter anderem einen verdunkelten Kubus, in dem „die ‚verbrecherischen Befehle’ für den Überfall auf die Sowjetunion“ ausgestellt werden. Warum diese Anführungszeichen-Distanz, Herr Kollege? Diese Befehle waren verbrecherisch!
In der Berliner Zeitung hatte die Autorin Cornelia Geißler den Schriftsteller Stefan Heym zu sehr gelobt. Das Blatt hat dies am 15. April korrigiert. Allerdings nicht mit einem redaktionellen Artikel. Man schob einen empörten Leser vor. Der schrieb eine E-Mail für die Rubrik „Einspruch“. Das PDS-Mandat für den Deutschen Bundestag sieht er Heym ja noch irgendwie als Alterstorheit nach. Aber „aufschlussreich und wissenswert“ für das hauptstädtische Blatt war die Mitteilung über Heyms „antideutsche Propaganda“ für die USA. Dann kommt es ganz dicke: „Zur Brechung der Moral der Deutschen machte er 1945 aus der Erschießung deutscher Spione eine Livesendung im Radio“. Sorry, „Moral der Deutschen“? Irritiert blätterte ich zurück zur Titelseite: Vor mir lag tatsächlich die Berliner Zeitung, nicht die Junge Freiheit und auch nicht die National-Zeitung.

G.H.