von Sandra Beyer
Alfred Tetzlaff brüllt im Fernsehen auch gern. Wir können uns bei „Ein Herz und eine Seele“ sicher sein, dass er sich als guter Bürger seines (west-)deutschen Staates dabei in bester Gesellschaft befand. Das waren die 1970er Jahre, als die Kriegsgeneration einen Spiegel brauchte, um die eigene Vergangenheit zu sehen. Der Feind stand dabei im eigenen Wohnzimmer und jenseits des Zauns in den Ministerien des Establishments. Nun haben wir das Jahr 2013, und viel scheint sich nicht geändert zu haben. Der „gute Staatsbürger“, den mein geschätzter Mitautor Kai Agthe in „Die schwarzen Buben reloaded“ (Das Blättchen 04/2013) bemüht, scheint unserem Alfred nicht ganz unähnlich: die Fahne der selbstgerechten Indignation fest in der Hand, den Rücken zur Vergangenheit, um die Rechte des kleinen Mannes zu verteidigen.
Dabei ist die Gegnerin die „political correctness“, die Menschen jeglicher politischer Couleur emsig umtreibt, ihm unschuldige Worte und damit unschuldige Gedanken zu verbieten. Das böse N-Wort zu benutzen darf nicht verboten werden, schon gar nicht in Medien, die wir in der Erziehung unserer Kinder verwenden. Das Wort mag nicht schön sein, aber es ist nicht rassistisch, wenn es nicht rassistisch gemeint ist. So lerne ich in dem Text, dass Schimpfworte in Kinderbüchern stehen bleiben sollten, denn alles andere wäre Zensur.
Bei der Lektüre des Textes fragte ich mich, ob mein geschätzter Mitautor überhaupt weiß, was „political correctness“ ist. Sie ist seit den 1990er Jahren ein Kampfbegriff der politischen Rechten der USA, um in Kulturkämpfen in den Medien zu liberal erachtete Ideen zu verunglimpfen. Ob es einem Magazin wie dem Blättchen gut zu Gesicht steht, mit solchen Argumenten eine bitternötige Diskussion um Rassismus und die Auswirkungen des deutschen Kolonialismus auf unseren Umgang mit „ethnischer Herkunft“ abzuwürgen, möchte ich bezweifeln. Denn dass diskriminierende Sprache, die sich auf die phänotypischen Ausprägungen von Menschen bezieht, immer rassistisch ist, auch wenn sie Astrid Lindgren mit ihrem N-König nicht so gemeint hat, ist Teil des Problems. Auch dass Pippi Langstrumpfs Vater der Herrscher über eine Gruppe von Menschen wird, die sich von ihm äußerlich unterscheidet, ist eine imperialistische Erzählung in einem beliebten Kinderbuch um eine starke weibliche Hauptfigur. Denn nicht die Absicht zählt, sondern die Wirkung.
Im Zuge der unsäglichen Debatten um die Änderungen in Otfried Preußlers Buch „Die kleine Hexe“ im Januar meldeten sich die Herren des Feuilletons besonders heftig zu Wort. Es ging gegen Zensur und um die Allmacht des deutschen Wortes. Briefe von Ishema Kane (9) an die Zeit-Redaktion vom 19. Januar 2013, in welchem sie ihre Erfahrungen und ihre Verletzungen beschreibt, werden als ihre persönlichen Befindlichkeiten abgetan. Das Mädchen darf sich von Sprache nicht beleidigt fühlen. Dass sie als weiße Männer des Bildungsbürgertums sich nicht mit den alltäglichen Auswirkungen von Rassismus auseinandersetzen müssen, ist dabei eine kaum erwähnenswerte Fußnote gewesen. Denn es geht darum, unseren Kindern die Bücher in ihrer ursprünglichen Form vorzulesen. In diesem kolonialen Gestus wird ein Mädchen wie Ishema in unseren Kinderzimmern zu einer Fremden gemacht. Denn es geht um die „weißen“ Kinder, denen etwas weggenommen würde, veränderten wir unsere Sprache, die dieses Mädchen diskriminiert. Dass sie aufgrund ihrer Hautfarbe plötzlich nicht mehr eines „unserer“ Kinder ist, könnten wir auch einfach bei seinem hässlichen Namen nennen: Rassismus. Auch Kai Agthe entscheidet frei heraus, dass eine Sprache, die Bezeichnungen für Hautfarben benötigt, nicht beleidigend sein kann.
Das „politische Korrekte“, um welches es Kritikerinnen und Kritikern angeblich immer nur ginge, ist ein geeignetes politisches Werkzeug, um Diskussionen umzulenken. „Wir“ brauchen nicht darüber zu diskutieren, warum Menschen wollen, dass unsere Sprache, die wir gegeneinander benutzen, überprüft und geändert wird. Es geht dem Autor um sein Recht und das jedes anderen „guten Staatsbürgers“, Worte zu lesen, die Menschen beleidigen. Dies geschieht nicht aufgrund individueller Merkmale, die Menschen dem Spott anderer preisgäben, sondern in diesem Fall aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Gruppe mit von anderen definierten körperlichen Merkmalen. Ein Verbot solcher Beleidigungen wäre Zensur, heißt es schnell. Nun hält niemand meinen werten Kollegen persönlich davon ab, andere zu beleidigen. Dann möchte ich jedoch eine Erklärung und keine Abwehr, womit die Herabsetzung von Menschen gerechtfertigt werden soll.
Mit Kinderbüchern verhält es sich jedoch etwas anderes. Es ist nicht so einfach, bei Erklärungsbedarf die Zusammenhänge zwischen diskriminierender Sprache, Rassismus und Kolonialismus zu erklären. Ich möchte gern einmal auf der Bettkante sitzen und lauschen, wenn mein geschätzter Kollege einem Kind diesen erzählt. Besser noch fände ich, wenn er Ishema erklärte, dass die Worte in einem für Kinder geschriebenen Buch nicht sie meinen. Aber da seine Vorfahren möglicherweise nicht aus Deutsch-Westafrika kommen und von der kolonialen Administration ausgebeutet und unterdrückt wurden, stellt eine solche Frage eher kein Problem in den Schlafzimmern „guter Staatsbürger“ dar. Und sollten die eigenen Großeltern doch in Afrika gelebt und geplündert haben, dann ist das sicher kein Thema, mit dem sich Familien in den eigenen vier Wänden beschäftigen möchten.
Der „Struwwelpeter“ ist auch nicht das geeignete Beispiel, um daran zu verdeutlichen, wie Kinder und deren Eltern mit schwierigen Themen umgehen sollten. Diese Art der Erziehung ist im 21. Jahrhundert in keinem Kinderzimmer mehr erstrebenswert. Kinder lernen, indem sie erleiden, was sie durch ihre eigenen Taten haben nicht verhindern können. Eltern sind dabei als Vorbilder bewusst außen vorgelassen, denn durch den Schmerz lernt der Mensch. „Die Geschichte der schwarzen Buben“ ist aus solchen Gründen schon etwas, was ich meiner Nichte nicht vorlesen würde. Es scheint kein Problem darzustellen, dass der Junge ohne Namen nur als Mittel zum Zweck dient, um den deutschen „weißen“ Lausbuben Ludwig, Kaspar, Wilhelm das Fürchten zu lehren. Jede literaturwissenschaftliche Lesung, die etwas auf sich hält, würde aufzeigen, dass dies eine koloniale Erzählung ist, Figuren als das Fremde zu objektivieren. Nichts an dem Jungen macht ihn zum Subjekt: Seine literarische Funktion ist, „uns Weißen“ Toleranz zu lehren. Kinder dadurch zu bestrafen, dass sie das Gleiche durchmachen wie derjenige, den sie vorher aufgrund seiner Hautfarbe geärgert haben, sieht nur von Weitem wie ein Lehrmethode aus. Sie wirkt nur, wenn die Hautfarbe ein Stigma und damit ein Ärgerungsgrund bleibt. Die Geschichte mag zur Entstehungszeit ein Bekenntnis gegen Diskriminierung gewesen sein. Im Jahr 2013 sieht das schon anders aus: Dass es sich bei dem Jungen um einen Menschen handelt, der aufgrund seines Menschseins nicht geärgert werden darf, erzählt sie nämlich nicht.
Schlagwörter: Diskriminierung, Kai Agthe, Rassismus, Sandra Beyer, Sprache, Zensur