von Sandra Beyer
Ich habe mit Gleichsetzungen der beiden „Inseln“ meine Probleme. Und doch scheint es fast ein zynischer Fingerzeig zu sein, dass das Symbol für das Versagen der Atomkraft ausgerechnet in Japan Fukushima heißt. In diesem Monat jährten sich die Tage der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki zum 67. Mal. Da scheint es sich auf den ersten Blick anzubieten Parallelen zu ziehen. Beide Male werden die Opfer und Betroffenen „Hibakusha“, Geschädigte der Atomkraft, genannt. Und doch ist eine Gleichsetzung des Unfalls mit dem Abwurf zweier Atombomben ahistorisch und politisch unangemessen.
Als ich das erste Mal das Friedensmuseum von Hiroshima betrat, war ich nur schockiert und hatte danach eine Woche lang Albträume. Ich war wütend auf diejenigen, die unbedingt auf den Schockeffekt auswaren. Die die Besucher in einer Ecke, an der sie nicht vorbeikommen, eine Figurengruppe von Mutter und zwei Kindern beiderlei Geschlechts mit erhobenen Armen wie Zombies auf sich zukommen lassen. Doch anders geht es wohl nicht, die gewünschte Reaktion von Entsetzen und erhoffter Katharsis zu erreichen. Wenn ich an das Gästebuch am Ende des Museums mit den vollmundigen Versprechen für eine bessere Zukunft von all den großen Männern dieser Welt denke, kann ich diesen Versuch sogar verstehen. Die Filme mit Erzählungen der Überlebenden scheinen schwerer zugänglich zu sein, auch wenn sie dankenswerterweise Englisch untertitelt sind. Sie werden nur seltener gesehen.
Hiroshima („Weitläufige Insel“) steht für den Ort, der als der 6. August 1945 festgeschrieben ist, und für Nagasaki gleichermaßen. Die „Glücksinsel“ (Fukushima) ist ebenso ein Symbol. Sie ist zum Synonym für einen Reaktorunfall geworden, der die japanische Gesellschaft verändern wird. In welche Richtung ist noch nicht abzusehen. Der 11. März 2011 ist jedoch zu jung, um schon Mythos zu sein, und schon deshalb ist eine Gleichsetzung politisch und historisch gefährlich. „Fukushima“ ist in seinen Auswirkungen und Konsequenzen noch im Werden. Zu sagen, dass es „Hiroshima“ ähnlich wäre, ist eine grobe Vereinfachung, weil es die handelnden Menschen außen vorlässt und Verantwortlichkeiten aus dem Blick nimmt. Der 11. März 2011 ist nicht der 6. oder 9. August1945. Der eine ist die Auswirkung menschlichen Handelns in einer neoliberalen kapitalistischen Demokratie des 21. Jahrhunderts, die beiden anderen Verbrechen in dem wohl schlimmsten Krieg, den Menschen sich bis dahin angetan haben.
Es lohnt sich, genau hinzusehen, was das Museum in Hiroshima über den geschichtlichen Kontext des Bombenabwurfes versucht zu erzählen. Es ist keine Relativierung zu zeigen, dass ein verbrecherischer Eroberungskrieg und Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie das Massaker von Nanking von Japan ausgingen. Und doch rechtfertigt nichts die Atombombe und deren Abwurf. Auch aus diesem Grund verbietet sich eine Gleichsetzung.
Die Menschen in Hiroshima haben die Atombombe über ihren Köpfen nicht gewollt. Viele von ihnen werden das totalitäre Systems des Militärs und das autokratische Tennôsystem in Tokyo unterstützt haben. Sie werden auch nicht gegen den Krieg gekämpft haben, denn diejenigen, die es taten, saßen in Gefängnissen. Eine ganze Literatur erzählt von den Zuständen in der Gefangenschaft. Die Regierung in Tokyo ließ die Bevölkerung der Ryûkyû-Inseln in den Gefechten mit den US-amerikanischen Verbänden verbluten, auch wenn der Krieg für das Land schon längst verloren war. Der Unwillen zu kapitulieren, kostete vor allem die Menschen dort das Leben, und das belastet die Beziehungen der Präfektur Okinawa zur Zentralregierung noch heute.
Japans Imperialismus und die Auswirkungen des zweiten Weltkrieges haben mit dem Aufbau politischer, vor allem parlamentarischer Strukturen und mit Fortschrittsglauben zu tun, aber nichts mit Fukushima als Symbol und mit dem Atomkraftwerk. Wer jemals den Komfort japanischer Technologien im Winter bei ungenügender Heizung und im Sommer bei Temperaturen von dauerhaft über 30 Grad Celsius erlebt hat, kann sich von Überflüssigem schlecht trennen. Die Frage, warum ein erdbebengefährdetes Land mit den Erfahrungen von Hiroshima und Nagasaki auf Atomenergie bauen kann, ist die falsche. Denn Hiroshima ist nun einmal nicht Fukushima. Das eine ist eine Bombe, das andere Energie, die Leben bequemer macht. Selbst wenn ich sage, ich möchte das Kraftwerk nicht in meinen Garten haben, bedeutet NIMBY (not in my backyard) dann in jemand anderes Garten. Bin ich nicht grundsätzlich bereit, mein Leben und meinen Verbrauch zu ändern, muss ich auf Energiequellen zurückzugreifen, die entweder mir oder anderen schaden. Das ist der fundamentale Unterschied zwischen den Orten. Die handelnden Personen in Fukushima sind Politiker und Manager, die sich nicht vorschreiben lassen, wohin sie welches Kraftwerk setzen. Und so lange diese gewählt und eingesetzt werden, wird sich das nicht ändern. Das mag aufgrund der jahrelangen Verschränkung von Bürokratie mit Abgeordneten der Direktwahlkreise in Japan, die in Familien fast schon vererbt werden und die wiederum gute Beziehungen zu lokalen Firmen haben, schwer sein. Aber Japan ist eine Demokratie mit einer kommunalen und lokalen Basis an Verbänden und Vereinigungen.
Als im letzten Monat wieder zwei Atomreaktoren ans Netz gehen sollten, demonstrierten 200.000 Menschen vor dem Parlament. Und trotzdem wurden sie wieder hochgefahren. Das sagt viel über die Machtverhältnisse innerhalb der japanischen parlamentarischen Strukturen aus und über die momentane Kraft von Bewegungen. Es gibt ein Occupy Kasumigaseki (der Parlamentsbezirk), unzufriedene Jugendliche, die auf die Straße gehen, die „Frauen von Fukushima“ und nun eine neue grüne Partei. Dass es eine parteienübergreifende Parlamentsinitiative gegen Atomkraft gibt, ist bewundernswert, aber hierarchische Strukturen verändern sich nur langsam. Und die nächsten Wahlen werden zeigen, ob nicht die einen Befürworter gegen die anderen ausgetauscht werden. Nur die Zeit wird zeigen, wie Bewegungen auf die parlamentarische Politik Einfluss ausüben können, aber die festgefahrenen Strukturen der Bürokratie werden sie nicht so schnell ändern. Wir müssten im Jahr 2012 aber schon von einem stark feudalen Staat ausgehen, wenn wir davon ausgehen, dass in Japan politisch gar nichts zu bewegen wäre. Ich fürchte nur, es fehlt gesamtgesellschaftlich der Wille, sich selbst dauerhaft zu verändern.
Ein Vergleich ist jedoch zulässig sein und unbedingt gezogen werden. Auch in Fukushima besteht die Gefahr, dass die Betroffenen gesellschaftlich ausgestoßen werden. Es ist nicht wahr, dass Auswirkungen von Strahlung nicht erforscht worden wären; die Ergebnisse sind nur unbequem. Sie sind mit Vorurteilen gegenüber den Opfern behaftet. Es steht zu befürchten, dass die Betroffenen von Fukushima auch im 21. Jahrhundert das Schicksal der Hibakusha teilen, wenn eine Gesellschaft nicht bereit ist, sich mit den Konsequenzen des eigenen Handelns auseinanderzusetzen. Deswegen muss eine ökologische Bewegung, die sich aus Fukushima heraus gründet, eine soziale und eine Friedensbewegung sein. Sie muss von Hiroshima lernen und nach Okinawa schauen.
Schlagwörter: Atomkraft, Demokratie, Fukushima, Hiroshima, Japan, Sandra Beyer