Ach, Karl Kraus …
In der deutschen Bildung nimmt den ersten Platz die Bescheidwissenschaft ein.
Sozialpolitik ist der verzweifelte Entschluß, an einem Krebskranken eine Hühneraugenoperation vorzunehmen.
Das Geheimnis des Agitators ist, sich so dumm zu machen, wie seine Zuhörer sind, damit sie glauben, sie seien so gescheit wie er.
Wer Meinungen von sich gibt, darf sich auf Widersprüchen nicht ertappen lassen. Wer Gedanken hat, denkt auch zwischen den Widersprüchen.
Geistige Zuckerbäcker liefern kandierte Lesefrüchte.
Die Mission der Presse ist, Geist zu verbreiten und zugleich die Aufnahmefähigkeit zu zerstören.
Vervielfältigung ist insofern ein Fortschritt, als sie die Verbreitung des Einfältigen ermöglicht.
Keinen Gedanken haben und ihn ausdrücken können – das macht den Journalisten.
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Im Nationalen Warenhaus
Weihnachten ist soeben perdu, aber geschenkt wird ja trotzdem weiter, und ein nächstes Weihnachten steht quasi schon wieder vor der Tür. Für das dabei auftretende Dilemma, dass einem nichts Originelles einfallen will, mit dem man die Seinen zu erfreuen vermag, gibt es eine Lösung, die noch immer ein unverdientes Schattendasein führt: Das „Nationale Kaufhaus“ der „Deutschen Stimme, dem Organ der „Volksunion NPD“. Ganz ohne V-Leute zu bemühen, lässt sich hier in Augenschein und auch in Anspruch nehmen, was unsere braunen Mitbürger – völlig legal offenbar – unter die Leute bringen. Das Angebot ist üppig, deshalb seien hier nur einige der viele Bestseller erwähnt, die unter www.ds-versand.de zu finden sind: Der Skulptur Reichsadler etwa, eine Wanddekoration aus bronzepatiniertem Kunststein. Höhe 13,5 cm, für schlappe 36 Euro zu haben. Oder die Bildwand „Das ganze Deutschland soll es sein!“, ein Werbeplakat des Österreichisch-Deutschen Volksbundes aus dem Jahr 1930 von Dr. Dr. Friedrich Lange, Format 50 x 70 cm, nur 10,80 Euro. Anmutig auch die Sammlerfigur MG-Schütze im Winter 1944 aus einer Zinnlegierung mit extrafeiner Bemalung. Dieses Schmuckstück zeigt einen liegenden deutschen Soldaten in Tarn- und Winterbekleidung am Maschinengewehr 42 im Winter 44 und kostet 49,90 Euro. Ungemein putzt seinen Träger auch ein Gesinnungsknopf, von denen jener mit der Aufschrift Das Reich kommt wieder für 1,30 Euro fast geschenkt ist. Last but not least – der Dauerbrenner: die Reichskriegsflagge 90x 150 cm, für die 10 Euro nun wirklich nicht zu viel verlangt sind. Wunder- ,wunderschön auch die Kerze „Flamme empor“, über die das Warenhaus völlig zurecht sagt, dass sie zum Abbrennen eigentlich fast zu schade ist. Ginge dann doch der Text jenes Gedichtes verloren, das dem Talglicht aufgedruckt ist:
Flamme empor!
Siehe, wir stehn/ Treu im geweihten Kreise
Dich zu des Vaterlands Preise/ Brennen zu sehn!
Heilige Glut!/ Rufe die Jugend zusammen,
Daß bei den lodernden Flammen/ Wachse der Mut!
Auf allen Höhn,/ Leuchte, du flammendes Zeichen,
Daß alle Feinde erbleichen/ Wenn sie dich sehn!
Flamme empor!
Aber keine Angst – die wollen nur spielen. Fragen Sie den V-Mann Ihres Vertrauens, er wird es Ihnen bestätigen.
Hajo Jasper
Im Neuen Deutschland hat Frank von der Heide eine Anmerkung zur Praxis deutscher Kriminalitätsstatistik gemacht, die wir bei dieser Gelegenheit gern auch den Blättchen-Lesern zur Kenntnis geben möchten: „Die Regierung fälscht seit Jahren nicht nur die Zahlen der Opfer rechtsextremistischer Gewalt, sondern auch die Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). 16 Landeskriminalämter und Innenministerien wetteifern darin, wer jedes Jahr die geschöntesten Zahlen verkündet und damit sein Land als das sicherste darstellen kann. Diese manipulierten Zahlen fasst dann das BKA zusammen und stellt sie als die Kriminalität Deutschlands dar. Methode und zugleich Geheimnis liegen in der Anwendung der Neuen Steuerungsmodelle aus der Betriebswirtschaftslehre. So vereinbaren die Innenministerien mit den Polizeibehörden jährlich die Zahlen, die man am Jahresende gerne haben möchte (sogenannte Zielvereinbarungen). Geschichten aus dem Tollhaus? Alles das kann man seit elf Jahren regelmäßig nachlesen in Veröffentlichungen des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, zum Beispiel in der Fachzeitschrift „der kriminalist“, Hefte 9/2000, 4/2005 und 07-08/2007.“
HWK
Inflation, eine Definition
Inflation: Wenn Politiker sagen, dass es keine geben wird, sollte man fest mir ihr rechnen.
HWK
Daniela Scherler, Herzen-Öffnerin
„Du hast die Macht über Dich“ ist ein Seminar vor allem für junge Menschen betitelt, das Sie als Heilpraktikerin veranstalten. Worum es da geht, lässt sich leicht erahnen, wen man auf Ihrer Webseite liest, wie Sie Ihre „Denkweise“ definieren:
„Die neue Denk- und Sichtweise, die ich Dir vermittle, ist nur aus einem Grund neu: weil wir lange von ihr abgeschnitten waren. Sie war den großen Gelehrten und Weisen dieser Welt immer bekannt. Erfolgreiche Menschen wenden sie heutzutage bewusst oder unbewusst an.
Im Grunde ist sie eine andere Art, Probleme und Konflikte zu betrachten. Es geht darum, die Existenz der universellen Lebensgesetze zu erkennen, sich danach auszurichten und so den Alltag leichter zu meistern.
Hast Du zum Beispiel vom Gesetz der Anziehung gehört? Von der Macht Deiner Gedanken? Sagt Dir die Redewendung: „Wie innen so außen. Wie oben so unten“ etwas? Nein. Aber diese hast Du bestimmt schon gehört: „Was man sät, das erntet man.“ Auch dahinter verbirgt sich ein universelles Lebensgesetz. Und, glaubst Du an Zufälle oder an Botschaften hinter den Ereignissen?
Meiner Erfahrung nach ist das, was wir in der Schule und von unseren Eltern lernen, nur die halbe Wahrheit, das halbe Wissen. Die andere Hälfte verbreitet sich jetzt. Sie ist schon in Dir. Also lass sie lebendig werden, um dadurch machtvoller, erfolgreicher und glücklicher zu sein!“
Nun würden Ihre esoterischen Ansätze, die Sie da verkaufen, kaum jemanden interessieren; indes – Sie sind Geschäftsführerin der Berliner Piratenfraktion im Abgeordnetenhaus. Und da wollen wir hoffen, dass Sie und Ihre Partei uns die „andere Hälfte der Wahrheit“ doch etwas erdverbundener zu verklickern versuchen. Immerhin versprechen Sie ja „Ich vermittle Wissen lebendig,
analysiere empathisch, schaffe Klarheit, öffne die Herzen und zeige Lösungswege auf.“ Fein, das hat im Abgeordnetenhais schon lange gefehlt.
HWK
Parteisoldatentum 2010
Ach, Wolfgang Schäuble: Zweimal haben Sie im Vorjahr Frau Merkel bereits gebeten, aus gesundheitlichen Gründen zurücktreten zu dürfen, beide Male habe sie abgelehnt, so haben Sie uns unlängst wissen lassen. Das weckt Erinnerungen: Als das langjährige SED-Politbüromitglied NN mit Blick auf den seinerzeit für 1990 geplanten XII. Parteitag bei Erich Honecker mit der Ankündigung vorstellig wurde, aus Altersgründen nicht ein weiteres Mal gewählt zu werden, beschied ihm EH kurz und bündig: „Wir bleiben zusammen“. Und NN – wie sich das für einen leibeigenen Parteisoldaten kommunistischen Verständnisses gehörte – zog sich mit diesem Bescheid stumm ins Glied zurück. Dass er nicht viel länger mehr Politbüromitglied bleiben musste, war dann ganz anderen Umständen geschuldet.
Nun hat Frau Merkel seinerzeit in den Kreisen der Machthaber wirklich nicht agiert, nicht mal in deren Nähe. Aber Parteisoldaten um sich herum zu versammeln, ist wohl ein gesellschaftsübergreifendes Herrschaftsgen. „Never change a winning team“, heißt die adäquate Formel im Fußball. Nur eben, dass weder die SED von damals noch die jetzige Koalition von Angela „winning teams“ sind. So gesehen kann einem der Parteisoldat Schäuble fast schon wieder leidtun.
Helge Jürgs
Marktwirtschaftsstarre
Was hat man der sozialistischen Planwirtschaft doch mit höchstmöglicher Verächtlichkeit fehlende Flexibilität, ja Starre, vorgeworfen. Freilich, das geschah durchaus zu recht, jedenfalls in vielerlei Hinsicht. Umso erstaunlicher erlebt man heutzutage, wie es der berühmt flexible Markt nicht fertig bringt, ein nun bereits ins vierte Jahr gehende Nahverkehrsdesaster wie das der jahrzehntelang tadellos funktionierenden Berliner S-Bahn zu bewältigen. Führt das Versagen von Verantwortlichen bei irgendeiner Leistungserbringung anderenfalls und -orts gern mal rasch zu fristlosen oder andersartigen Kündigungen, so werkeln die gewinnfixierten Betriebswirtschaftler von Bahn und Bahn-Tochter S-Bahn an dem Nahverkehrsmittel herum wie ein Sanitäter, dem für drei Platzwunden nur ein Pflaster zur Verfügung steht. Der Vertrag der Auftrag gebenden Stadt Berlin mit der S-Bahn reicht bis 2017. Und so lange dürfte sich das Trauerspiel fortsetzen, denn selbst wenn der Senat die Reißleine ziehen wollte und würde – keine Angst, gegen eine Wirtschaftsmacht wie den Bahn-Konzern traut er sich das nicht mal dann, wenn dieser doch dem Staat gehört – würde eine Legion von Anwälten mit jahrelangen Prozessen genau für jenen Effekt sorgen, der der sozialistischen Planwirtschaft als Makel mit Alleinstellungsmerkmal aufgedrückt worden ist – Starre.
Kurt Borg
Der fatale Pranzo
Seitdem ich in Rom arbeite, stehe ich morgens auf wie zu Schulzeiten: Spätestens um halb sieben Uhr. Der Grund: Alles, was zumindest ein gutes Dutzend Gehirnzellen in Anspruch nimmt, muss dringend erledigt sein, bevor der Pranzo und dessen Folgen mich bis in den Abend hinein in einen Dämmerzustand versetzen.
Der Pranzo ist das ganz normale römische Mittagessen, ein mehrgängiges Mahl mit garantierten Risiken und Nebenwirkungen: Nach seinem Genuss folgt der Verlust aller Konzentrationsfähigkeit, dann Müdigkeit und Schläfrigkeit, schließlich die sichere Frage: „Was mach ich hier?“, die dann mit „es geht nicht mehr“ und einem sofortigen Mittagsschlaf auf dem Schreibtisch oder auf dem Bürosofa beantwortet werden muss.
Erst vor einigen Tagen suchte ich Rat bei einem italienischen Kollegen, man hätte das gut am Telefon besprechen können. Natürlich schlug er vor: „Morgen Pranzo?“. Ich seufzte. In Rom kann man nichts besprechen ohne eine Tasse oder einen Teller vor der Nase. Ich sagte zu. Um halb zwei trafen wir uns in einer Trattoria „Enoteca Corsi“ im römischen Zentrum. „Zu trinken?“ fragte der Ober, der Kollege kam mir zuvor: „Einen halben Liter Weißen.“ (In Rom trinkt man zu jedem Essen außer dem Frühstück Wein.) Der Wein verringerte die Gegenwehr gegen alle weiteren Vorschläge des Kellners. „Antipasti?“ „Si!“, „Primo?“ „Si!“. Bei „Secondo?“ schüttelte ich zunächst den Kopf („Nee echt, ich muss noch arbeiten“), ließ mich aber dann doch überreden. Das Tiramisu wehrte ich aber tapfer ab, ich wollte mir zumindest noch geringe Chancen auf erfolgreiche Nachmittagsarbeit erhalten. So bestellte ich auch noch einen doppelten Espresso. Doch ich ahnte: Was werden die vielleicht zwei Dutzend vom Espresso aufgeputschten Körperzellen ausrichten können, gegen Millionen andere, die „wir wollen schlafen!“ skandieren?
Genau nichts. Zurück vom Pranzo am Schreibtisch tat ich zunächst ganz munter, stützte dann den Kopf auf, der Arm rutschte weg, bald lag mein Kopf dösend auf der Platte. Es gibt keinen sichereren Beleg dafür, wie wenig die Römer von heute mit den Römern der Antike zu tun haben, als die heutige, konsequente Missachtung des altrömischen Satzes „Plenus venter non studet libenter“, „Voller Bauch studiert nicht gern.“
Natürlich liegt der Vorschlag nahe, einfach weniger zu essen, wenn man zum Pranzo verabredet ist.
Aber er ist schrecklich unrealistisch.
Wer würde schon lange den Kopf schütteln können, wenn der Kellner im römischen Sing-Sang auflistet: „Also, was haben wir denn Schönes….wir haben Saltimbocca alla Romana, Lasagne al forno, Mini-Schweineschnitzel mit Zitronensoße……frische Dorade vom Grill……Rinderfilet mit grünem Pfeffer….“
Eben.
Dann doch lieber morgens früher Aufstehen. Und mittags schlafen.
Martin Zöller, Weltreporter, Rom
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