von Franz Schandl, Wien
Ein Grundproblem des Staates ist freilich, daß er aus der Wirtschaft alimentiert wird. Auch der Staat verkehrt mit dem Zahlungsmittel des Marktes. Obwohl er sie druckt und prägt, schafft er seine Mittel nicht selbst, sondern muß sie durch Besteuerungen lukrieren. Eine gelingende Verwertung ist somit Voraussetzung seiner Tüchtigkeit. Staatliches Handeln ist gebunden an das zentrale Medium der Ökonomie, das Geld. Steuern müssen in der Ökonomie durch Arbeit erwirtschaftet werden, um abgeführt werden zu können. Politische Entscheidungen sind nicht Entscheidungen, so nach dem Motto: Was wollen wir?, sondern sie sind budgetär prädisponiert und limitiert. Leistbar ist das, was finanzierbar ist oder sein wird. Daher auch die permanenten Debatten über die Leistungsfähigkeit des Staates, über Staatsschulden und Budgetdefizite.
Es ist letztlich nicht der politische Beschluß, der den Staat prägt, sondern die ökonomische Potenz, die seine Handlungen dimensioniert. Jener ist innerhalb dieser zu verorten, seine Eigenständigkeit ist als Bewegung auf diesem Feld und nicht außerhalb davon zu suchen. Jeder politische Beschluß kennt so die Summe seiner Kosten und sollte er sie nicht erkennen beziehungsweise ignorieren, so erfährt er sie aus den monetären Konsequenzen.
Indes ist nicht immer leicht zu sagen, was da nun noch real oder schon fiktiv ist an den vagabundierenden Geldern. Gemeinhin erscheint es so: Die Realität des Geldes beweist sich in der Realisierung des Kaufakts. Ist das Geschäft gemacht, dann muß das Geld wirklich gewesen sein, sonst hätte es nicht kaufen können. Realhallunzination nennt sich das. Wenn jetzt jemand einwendet, das seien Zirkelschlüsse, die der primitivsten Logik ins Gesicht schlagen, dann ist zu antworten: Genau das. Die Rationalität war immer irrational gewesen, es sollte bloß nicht auffallen.
Inzwischen wird der Kapitalismus zusehends zum Pyramidenspiel. Würden tatsächlich die Gelder sich gleichzeitig zu realisieren versuchen, wäre der Zusammenbruch eine Frage von Stunden. Man sieht dem Geldschein, der Wertkarte, dem Konto nicht an, ob sie nun real oder fiktional sind. Ein nicht unbeträchtlicher Teil, das ahnen wir alle, ist reine Halluzination. Aber bis zu einem gewissen Grad trägt dieser Bluff. Was soll auch sonst noch tragen? Dort, wo das Getäuscht-werden-wollen und das Täuschen zur Grundkonstitution der Subjekte gehört, ist das so. Zumindest so lange, bis eine Blase platzt. Gegenwärtig erleben wir ja eine Phase sich aufpumpender Staatsblasen.
Der Staat als kapitaler Herrschaftsraum wird allerdings poröser. Dem flanierenden und marodierenden Kapital kann er kaum noch etwas entgegen setzen. Globalisierung heißt, daß der Markt den Staat sprengt. Staaten haben Grenzen, Märkte nicht. Das Steuermonopol einzelner Nationalökonomien wirkt immer lächerlicher. Die funktionalen Eigenschaften erschlaffen. Was die Geschwindigkeiten betrifft, scheinen der Weltmarkt immer schneller und der Nationalstaat immer langsamer zu werden. Er gibt nichts mehr vor, er gibt nur mehr nach.
Vor 200 Jahren sagte ein Schuldirektor namens Hegel seinen Nürnberger Gymnasiasten: „Wenn eine Familie sich zur Nation erweitert hat und der Staat mit der Nation in eins zusammenfällt, so ist dies ein großes Glück.“ Wahrlich, diesen Strömen des Glücks entspringen fast alle modernen Katastrophen. Das schiere Gegenteil ist zu behaupten: Der Staat, das ist nichts weniger als das heimliche Eingeständnis der menschenfeindlichen und autoaggressiven Charakters der kapitalistischen Gesellschaft. Das Glück ist jenseits davon.
Schlagwörter: Franz Schandl, Geld, Haushalt, Kapitalismus, Ökonomie, Staatsschulden