Atomare Ignoranz
Es war einmal Kalter Krieg, gekennzeichnet durch die Ost-West-Konfrontation und das Wettrüsten zwischen NATO und Warschauer Vertragsorganisation (WVO). Und gegen Ende dieser 45-jährigen Periode gab es den sogenannten NATO-Doppelbeschluß, der die Sowjetunion veranlassen sollte, ihre auf Westeuropa gerichteten atomaren Raketen vom Typ SS-20 zu verschrotten, anderenfalls amerikanische Systeme vom Typ Pershing 2 und Cruise Missile dagegengerüstet würden. Dieses atomare Teilwettrüsten, das die schon seit Jahrzehnten bestehende Gefahr einer Auslöschung Europas in einem Schlagabtausch zwischen NATO und WVO in ein breites öffentliches Bewußtsein rückte, rief eine gewaltige oppositionelle westdeutsche (und westeuropäische) Friedensbewegung auf den Plan, die zu Großdemonstrationen – z. B. im Bonner Hofgarten – bis zu einer halben Million Menschen auf die Straßen brachte.
Das ist Geschichte, und das Risiko eines Nuklearkrieges auf europäischem Boden besteht praktisch nicht mehr. Diese Entwicklung sollte aber nicht mit einer heilen Welt verwechselt werden, denn das nukleare Zerstörungspotential in der Welt ist trotz alledem hunderttausendmal so groß wie das der Bombe, mit der die Amerikaner 1945 Hiroshima zerstörten. Zu den alten Nuklearmächten sind so unsichere neue Kantonisten wie Israel, Indien, Pakistan, und Nordkorea hinzugekommen. Und hierzulande lagern noch immer militärisch längst funktionslose taktische US-Kernwaffen, die allenfalls Terroristen zu dem Versuch motivieren könnten, sie im Handstreich in die Hände zu bekommen – wenn die Sicherheitsmaßnahmen um das entsprechende Lager in Büchel in der Eifel immer noch so unzulänglich sind, wie eine amerikanische Untersuchungskommission einmal festgestellt hatte. Und die Reaktion des öffentlichen Bewußtseins in der Bundesrepublik ist – kaum noch wahrnehmbar .
Der geistige Vater des NATO-Doppelbeschlusses, Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt, der sich inzwischen für eine kernwaffenfreie Welt engagiert, äußerte dazu unlängst: „Ich habe kein Verständnis dafür, daß die Angst vor Atomwaffen inzwischen auf null gesunken ist.“
Hans-Peter Goetz
Blick zurück im Spaß
Es ist schon richtig, daß die Vergangenheit unentwegt von allen möglichen Leuten bewältigt wird. Wenn man es selbst tut, stößt man immer wieder auf bemerkenswerte Begebenheiten. Winston Churchill zum Beispiel. Zum Schlagwort geworden ist sein Spott, er vertraue nur den Statistiken, die er selbst gefälscht habe. „Wir leben in einer Zeit großer Ereignisse und kleiner Leute“, hat er an anderer Stelle angemerkt. Als ihm George Bernhard Shaw für eine seiner Premieren zwei Karten schickte und ihn mit der Bemerkung foppte, die zweite Karte sei für einen Freund, falls er noch einen zweiten habe, gab er die Karten zurück mit der Antwort, er möchte gern Karten für die nächste Vorstellung, falls es noch eine zweite gebe.
„Weil Politiker nie glauben, was sie sagen, sind sie überrascht, wenn andere ihnen glauben“, hat Charles de Gaulle gesagt.
Nikita Chruschtschow, man glaubt es nicht, lästerte einst: „Politiker sind überall gleich. Sie versprechen Brücken zu bauen, auch wenn gar kein Fluß vorhanden ist“. Talleyrand, als er hörte, daß der Liebhaber einer verheirateten schwedischen Adligen auf der Folter den Ehebruch gestanden hat, kommentierte: „Pfui Teufel. Ein Franzose hätte das zwar jedem erzählt, aber er hätte nie gestanden“.
Friedrich II. hat den Vorschlag des Geheimrats von Taubenheim, die Gehälter der unteren Beamten aus Ersparnisgründen um die Hälfte herabzusetzen, folgendermaßen pariert: „Ich danke dem Geheimen Rat von Taubenheim für seine guten Gesinnungen und guten ökonomischen Rat. Ich finde aber solchen um so weniger applikable, da die armen Leute jener Klasse ohnehin schon kümmerlich leben müssen, da die Lebensmittel und alles jetzt so teuer ist, und sie eher eine Verbesserung als Abzug haben müssen. Indessen will ich doch seinen Plan und die darin liegende gute Gesinnung annehmen und seinen Vorschlag an ihm selbst zur Ausführung bringen und ihm jährlich 1000 Taler mit dem Vorbehalte an dem Traktament abziehen, dass er sich übers Jahr wieder melden und Mir berichten kann, ob dieser Etat seinen eignen häuslichen Einrichtungen vorteilhaft oder schädlich sei“. Man möchte und könnte solche Lichtblicke in dicken Büchern sammeln, um die Erkenntnis zu verbreiten, daß es früher dort, wo man es nicht vermutet, Politiker mit Geist und Witz und manchmal sogar mit Herz gegeben hat.
Günter Krone
Heimatgefühle
Manch bedenkliches Signal spricht dafür, daß das öffentliche Interesse am Profifußball nachzulassen scheint. Um den desaströsen kulturellen, ökonomischen und sozialpolitischen Folgen dieser Tendenz entgegenzuwirken, ist den Klubs unserer Profikicker neben vielem anderen zu empfehlen, ihre heimatliche Verankerung per regionalbezogener Namensgebung noch deutlicher zu machen und damit die Fans emotional wieder stärker an sich zu binden ohne unbedingt besser spielen zu müssen, was bei den kümmerlichen Einkommen in dieser Branche eh nicht zu verlangen ist. Die Deutsche Eishockeyliga hat da seit langem gezeigt, welche Potenzen in dieser zumal noch unaufwendigen Verfahrensweise liegen. So martialisch allerdings, wie es dort etwa bei den Hannover Scorpions, Wolfsburger Grizzlys oder Straubinger Tigers oder Kölner Haien zugeht, muß es der Fußball ja nicht angehen.
Täte man beim DFB, wie hier uneigennützig und kostenlos empfohlen, würde sich die Tabelle der ersten Bundesliga dann etwa so lesen:
Schluchtenjodler München / Gazpromies Schalke / Conterganoven Leverkusen / Westfalentinos Dortmund / Stadtmusikanten Bremen / Tsunamis Hamburg / Geschschäftlhuber Stuttgart / Kapitalhaie Frankfurt / Mainzelmännchen Mainz / Werwölfe Wolfsburg / Dukatenscheißer Hoffenheim / Dicktürmer Möchengladbach / Pappnasen Köln /Ruhramöben Bochum / Rostwürstchen Nürnberg / Dadaisten Hannover / Glykolwinzer Freiburg / Killerplüschbären Berlin
Wer will bestreiten, daß das viel einnehmender klingt als die bürokratische Fassung von FC Dings und FC Bums?
Helge Jürgs
Mitleid
Das Mitleid sitzt Abend für Abend vor dem Fernseher und verströmt sich in profuser Erfüllung. In dieser Welt ohne alle Empathie möchte es ohne das köstliche Nass auf den Wangen nicht leben.
Als das Mitleid noch auf sich selbst und seine Mitwelt angewiesen war, ging es ihm gar nicht gut. Die meisten Leute sterben ums Verrecken nicht, wenn einem danach ist.
Man kommt eben in diesem Leben als der bessere der besten Menschen einfach nicht auf seine Kosten, selbst wenn man in die endgültigen Verlusterlebnisse Millionen solcher Menschen einbezieht, die das eigentlich gar nicht verdienen.
Christian Klotz
Journalisten!
„Gott im Himmel weiß: Blutdurst ist meiner Seele fremd, und eine Vorstellung von einer Verantwortung vor Gott glaube ich auch in furchtbarem Grade zu haben: aber dennoch, dennoch wollte ich im Namen Gottes die Verantwortung auf mich nehmen, Feuer zu kommandieren, wenn ich mich nur zuvor mit der ängstlichsten, gewissenhaftesten Sorgfalt vergewissert hätte, daß sich vor den Gewehrläufen kein einziger anderer Mensch, ja auch kein einziges anderes lebendes Wesen befände als – Journalisten.“
Sören Kierkegaard, 5. Mai 1813 – 11. November 1855
Ein Lichtblick
Vor dem Kino einer Provinzstadt. Auf dem Vorplatz künden Aufsteller die nächsten Ereignisse an. Zurzeit läuft beinahe jeden Abend Avatar, zwischendurch mal ein Theater- oder Liederabend.
Auf den Platz tritt ein altes Ehepaar, mustert die Plakate und bleibt vor der Ankündigung für Kalle Blomquist stehen, die Frau: „Kuck mal, am achten – heute.”
„Nee, heute ist doch März, äh, der achte März. Das ist erst am achten April.”
Schweigend verlassen sie den Platz.
Paul
Wirsing
In den Lokalnachrichten fand sich im Neuen Deutschland die Überschrift: „Kosovare springt vor Polizei aus dem Fenster“. So ist denn also die Polizei aus dem Fenster gesprungen, aber vor ihr bereits ein Kosovare. Wollte der Mann den Gesetzeshütern ein Beispiel geben? Oder wollte er in dem Spiel nur Sieger sein?
Auf Deutschlandradio Kultur gibt es zu später Stunde das Kulturmagazin Fazit. Dort erfuhr man kürzlich: „Der Countdown für die Oberammergauer Passionsspiele läuft und modernisiert sich weiter.“ Kurz nach Beginn des Beitrages schlief ich leider ein und werde wohl nie erfahren, wie sich ein Countdown weiter modernisiert.
Fabian Ärmel
Schlagwörter: Atomkrieg, Charles-Maurice de Talleyrand, Christian Klotz, Fabian Ärmel, Friedrich, Fußball, George Bernard Shaw, Günter Krone, Hans-Peter Goetz, Helge Jürgs, Helmut Schmidt, NATO, Nikita Chruschtschow, Paul, Sören Kierkegaard, Winston Churchill