20. Jahrgang | Nummer 4 | 13. Februar 2017

Hochverräter, Vaterlandsverräter

von Jörn Schütrumpf

Nichts symbolisierte so unwiderlegbar das Scheitern der Revolution von 1917 – des Versuchs, Zustände herzustellen, in denen der Mensch kein erniedrigtes, geknechtetes, verlassenes, verächtliches Wesen ist – wie die Abriegelung der Grenze in Berlin. Das bürgerlich-kapitalistische System, das Ende der 1920er Jahre auf Abruf gestanden hatte und nicht nur in Deutschland in den Faschismus gemündet war, schien zu Beginn der 1960er Jahre – nach Weltwirtschaftskrise, Weltkrieg und antikommunistischem kalten Krieg nach innen – im sogenannten American Way of Life doch noch sein Heil gefunden zu haben. Die Aussicht, dass jeder den Weg vom Tellerwäscher zum Millionär bewältigen könne, hatte nicht nur den faschistisch-nationalistischen Strömungen, sondern auch jeder antikapitalistischen Quelle das Wasser abgegraben.
John F. Kennedy erhielt dafür schon zu Lebzeiten sein Denkmal: in Berlin, und zwar von seinem Gegenspieler Nikita Chruschtschow, der seine Schande – zumindest teilweise – auch noch bezahlen musste, weil er sich gezwungen sah, der DDR Vergünstigungen zu gewähren…
Längst ist der American Way of Life in der Sackgasse des Neoliberalismus verendet; Barack Obama erinnerte zwar an den jungen und modernen Kennedy, war aber, bei Lichte besehen, ein Mann der Vergangenheit: Er repräsentierte eine Kultur, deren Trümmerlandschaften nicht nur im mittleren Westen der USA zu besichtigen sind. So wie einst Rasputin dem Verfall des zaristischen Russlands leiht nun ein auf 25 umgeschminkter 70-jähriger alter Mann der einstigen „Supermacht“ sein ehrliches, unverstelltes Gesicht.
Die Karten liegen auf dem Tisch: Trump hat außer dem Dollar als Leitwährung und dem Militär keine Trümpfe mehr auf der Hand, geschweige denn im Ärmel. Deshalb soll es die faschistisch-nationalistische Antwort – Staatsverschuldung plus neue Kriege, gepaart mit Xeno- und anderen Phobien – richten; sie hat das Potential, die Welt in die nächste Katastrophe stürzen.
Zuerst kommt die EU, neben China der einzige ernstzunehmende Konkurrent, an die Reihe; sie soll – vorerst – friedlich und von innen zerlegt werden. Ted Malloch, in spe der Vertreter der USA in Europa, formuliert es verständlich: „Auf einem früheren diplomatischen Posten habe ich geholfen, die Sowjetunion zu stürzen. Vielleicht gibt es eine weitere Union, die ein wenig gezähmt werden muss.“
Eigentlich wäre es die Stunde der politischen Linken. Doch die steht weltweit weiterhin als Berliner Mauer in den Köpfen und wartet darauf, dass Gulag, Selbstschussanlagen und Stacheldraht in Vergessenheit geraten. Man kann ihr nur zurufen: Vergesst es. Die Idee einer Emanzipation von allen Verhältnissen – siehe oben – wird die Massen so lange nicht ergreifen, wie die Linke nicht begreift, dass nur schonungslose Auseinandersetzung mit 70 Jahren Staatssozialismus sowohl der Weg als auch der Stoff ist, aus dem der jüngst gern als Alternative beschworene „Sozialismus des 21. Jahrhundert“ zu gewinnen wäre. Anders als im bürgerlichen Heldenleben lässt sich im wirklichen Leben ein Erbe eben nicht ausschlagen…
Ohne dieses Erbe anzunehmen, um aus ihm – den Jahren der Macht und des Machtwahns –, sei es ein neues Manifest, sei es eine neue Bergpredigt zu schöpfen, wird die Linke ihre Sprache nicht wiederfinden, die ihr übrigens schon Anfang der 1930er Jahre, mit dem aufziehenden Stalinismus, abhandenkam. Ernst Blochs Satz von 1935 hat auch 80 Jahre später nichts von seiner Gültigkeit eingebüßt: „Die Nationalsozialisten haben betrügend gesprochen, aber zu Menschen, die Sozialisten völlig wahr, aber von Sachen.“ So breitet sich in Europa die faschistisch-nationalistische Seuche erneut aus.
Zu betonen, dass Nationalisten schon immer die ärgsten Feinde ihrer jeweiligen Nation waren, ist ebenso müßig, wie die Frage zu stellen, ob Le Pen, Wilders (der eben seinen „inneren Trump“ entdeckt hat), oder die AfD nur Trumps nützliche Idioten oder doch seine fünfte Kolonne sind. Denn das Ergebnis wäre dasselbe: Alle diese Kräfte dienen einer fremden Macht, die nicht nur die EU zerstören, sondern im Anschluss daran die einzelnen europäischen Staaten – deren einziger Schutz, trotz des mannigfach zu Kritisierenden, die EU ist – unter ihre Kontrolle bekommen will. Wie weit das gehen soll, kann man heute schon am Fall Mexiko studieren.
Ich denke, es ist an der Zeit, Trumps Handlanger als das zu bezeichnen, was sie sind: Hochverräter, Vaterlandsverräter. Das geht effektiver ohne Staatsanwalt; wirkungsvoller ist, es auf Plakate zu schreiben. Denn nicht nur in Frankreich wird demnächst gewählt…