14. Jahrgang | Nummer 2 | 24. Januar 2011

Bemerkungen

„Wir sind die Guten“

Wer der DDR entstammt, hat in beschämend hohem Maße mit Geheimdiensten denkbar schlechte Erfahrungen gemacht. Nach über 20 Jahren Daueraufklärung über diese speziell-perfide Nähe der DDR-Führung zum ungeliebten und misstrauisch beäugten Volk weiß man, das dort, wo solches obwaltet, Demokratie nun wirklich nicht beheimatet ist.
Soweit, so schlecht.
Hatten über all die letzten beiden Jahrzehnte Hinweise auf durchaus ähnlich gelagerte Praktiken auch „guter Geheimdienste“ wie des BND verständlicherweise das Hautgout einer ebenso unzutreffenden wie demagogischen Gleichsetzung von Despotie und Demokratie, so macht es einem die Bundesrepublik zunehmender Jahre immer schwerer, sich den elementaren Unterschied zu verflossen realsozialistischen Zeiten einigermaßen plastisch merken zu können.
Ausspähungsskandale bei Post, Bahn oder Einzelhandel gaben sich erst letztens die bildlich hinkende Klinke in die Hand; von den metastasenartig wuchernden Videoüberwachungen oder gar den staatlichen Versuchen, via Vorratsdatenspeicherung auch ein Scherflein zur absehbaren Rundumüberwachung beitragen zu wollen, ganz abgesehen.
Nun also Neues aus Absurdistan. In der Heidelberger Uni hat die Polizei einen IM angesetzt, der linke Kommilitonen auszuspitzeln beauftragt war. Und aus Kundus erreicht mancherlei Feldpost seine Empfänger entweder gar nicht oder eben nur als inhaltsloses Couvert.
Natürlich ist alle Welt empört. Eine gründliche Untersuchung hat stante pede eingesetzt. Sie wird wohl ebenso brutalstmögliche Aufklärung erbringen, wie bei anderweitigen Demokratiebeschädigungen auch. Wetten, dass?

Hella Jülich

IM „Adler“

An den ziemlich braun gefärbten Neubeginn (bundes)deutscher Demokratie-Personage wird hierzulande medial sehr viel zurückhaltender erinnert als an die Stalinismus-Affinität der DDR-Offiziellen. Und so droht gerade wieder mal etwas im Nachrichtenüberfluss unterzugehen, was dies zumindest ebenso wenig verdient wie die politischen Leichen in ostdeutschen Politik-Kellern. Klaus Barbie, der überaus berüchtigte und als Kriegsverbrecher in Abwesenheit zum Tode verurteilte „Schlächter von Lyon“ war nach seiner Nachkriegsflucht nach Südamerika noch im Jahr 1966 (!) für den Bundesnachrichtendienst tätig. Als IM „Adler“ war der faschistische Mörder so fleißig, dass der BND ihn als „intelligent“, „sehr aufnahme- und anpassungsfähig“, „verschwiegen und zuverlässig“ bewertet hat.
Glückwunsch für einen Geheimdienst, der bei seinem Einsatz für die Demokratie niemanden zurück ließ …

Hajo Jasper

Warm im Darm

Eigentlich ist die Berliner Zeitung ein meinerseits gemochtes, weil informatives und vor allem niveauvoll-streitbares Frühstücksblatt. Nur, wie allzeit auch hier unübersehbar, ist sie freilich ebenfalls eine gewinnorientierte Ware und muss sich in dieser Hinsicht schon der vielen Konkurrenz wegen an die Decke strecken. Hinsichtlich der lästig vielen Werbung ist das ja auch noch nachvollziehbar, zudem man solcherlei blöde Reklame, jedenfalls so diese ganzseitig daherkommt, leicht überblättern kann.
Zum „An-die-Decke-strecken“ gehört allerdings mehr und mehr auch die unverhohlene Kumpanei mit der Obrigkeit unseres so schönen Gemeinwesens. Hat man sich früher mehr auf informelle Kontakte von „Hintergrundgesprächen“ mit Polit-Großkopferten beschränkt, so feiert man mittlerweile den Bruderbund mit der Macht fast so wie einstmals den der DDR zum Lande Lenins. Das gilt auch – leider – für die Berliner Zeitung. Drei ganze Seiten hat sie jüngst für Fotos vom Neujahrsempfang der Mediengruppe M. DuMont Schauberg freigeräumt, alle schön bunt und mit den allweil lächelnden Konterfeis der üblichen Verdächtigen gefüllt.
Gewiss, noch ist’s nicht wie bei Honeckers fotografisch protokollierten Messerundgängen, bei denen nur immer wieder eine Person abgelichtet wurde. Eine Annäherung auf dem Weg dorthin darf der Berliner Zeitung aber gern zuerkannt werden. Also, Kollegen: Weiter so, bei der Erfüllung der Beschlüsse der Vorstandskonferenzen! Im Darm ist’s halt immer schön warm.

Peter Hopf

Harfenjule-Gedenkjahr

Am 12. Januar 1911 starb in Schöneberg, das gehörte damals noch nicht zu Berlin, Louise Nordmann, geborene Schulze. Zur Legende wurde sie unter dem Spottnamen „Harfenjule“: „Ick bin die Harfenjule mit jroßem Pompadur, / in janz Berlin und Rixdorf spiel ick die Harfe nur!“ Rixdorf heißt heute Neukölln, und ihr Pompadur war ein breitrandiger, ziemlich ramponierter schwarzer Strohhut. Eigentlich war sie ein armes und bedauernswertes Ding. Am 6.12.1829 in Potsdam blind geboren verschaffte ihr eine Augen-OP im Alter von elf Jahren wenigstens einen Schimmer Augenlicht. Manche sagen, die Operation wäre dem Professor Albrecht Graefe zu danken, aber der war 1840 gerademal zwölf. Louise verdiente sich ihr Brot als Hofsängerin, nee nicht bei Hohenzollerns, sondern bei Meier-Müller-Schulze-Schmidt … 1865 heiratete sie den Puppenspieler Emil Nordmann und spielte in dessen Wandertheater. Zwei Kinder wurden geboren, die starben ebenso wie ihr Emil 1871 an der Tuberkulose, der Armeleutekrankheit. Louise zog wieder als Hofsängerin mit ihrer Harfe durch die Stadt. „Harfenjule“ – das ist überhaupt nicht rührend. Nichts kann schmerzhafter sein als Spottergüsse von Straßenjungs über andere arme Leute.
Bis zu ihrem Tode lebte sie in einer Schöneberger Kellerwohnung. Auch Kellerwohnung („Souterrain“) war nicht schön. Begraben wurde sie in Lichterfelde-West auf dem Parkfriedhof. Das Grab zerstörte der letzte Krieg. Eine rührige Fangemeinde sorgte dafür, dass Louise Nordmann 1969 wieder einen Gedenkstein erhielt. Nur steht der auf dem Luther-Friedhof in Lankwitz. Aber der Ort ist nicht so entscheidend. Wichtig ist, dass sie nicht vergessen wird – und das ist auch dem „Harfenjule Organisationsteam“ mit Judy Kadar an der Spitze zu danken. Es wird ein ganzes Festjahr geben und die Lieder der Harfenjule werden hoffentlich oft zu hören sein und Louise wird von ihrer Wolke nach unten gucken und sich amüsieren wie Bolle. Aber Bolle ist ein anderes Thema.

wb

TINA ins Grundgesetz!

Als erste aus der Gilde zeitgenössischer Großpolitiker dürfte Maggie Thatcher auf den Dreh gekommen sein, ihre Politik mit Stentorstimme zum Gelben vom Ei zu erklären. „There Is No Alternativ“ lautete ihr geflügeltes Wort für jene Grausamkeiten, mit denen sie Britanniens öffentlichen Sektor mittels brachialer Privatisierungen in den 1980er Jahren in die soziale Schrottreife führte. TINA ist seitdem längst zum Prinzip politischer Führungen in aller Welt geworden: Für nahezu alle Entscheidungen der Mächtigen gibt es erklärtermaßen „keine Alternative“. Der Vorteil: Demokratische Teilhabe braucht´s bei einer solchen Basta-Politik nicht, da es ja ausdrücklich nichts zu verhandeln gibt. Der Nachteil: Die Demokratie geht dank dieser unglaublichen Anmaßung peu a peu noch mehr zum Teufel.
Mit solcherlei politischen Prinzipien ist es aber eben auch wie mit einer Droge – irgendwann braucht es eine noch höhere Dosis, um auf die bewährte Weise weitermachen zu können. Und immerhin in dieser Hinsicht gibt’s zu TINA ja wirklich noch eine Steigerungsmöglichkeit – jene offizielle Unfehlbarkeitserklärung zum Beispiel, mit der die Oberhäupter im Vatikan ja schon jahrhundertelang stabil regieren.
Also – ran ans Grundgesetz und ein solcherart gesteigertes TINA-Postulat hineinbeschlossen. Und als „Unwort des Jahres“ müsste sich alternativlos anschließend auch nicht mehr apostrophieren lassen. Das wäre dann nämlich – verfassungsfeindlich!

HWK

Verspätete Taube

Trotz aller durchaus praktizierten Gleichberechtigung in der DDR gab es auch im künstlerischen Schaffen Männerdomänen, in die Frauen nur schwer eindrangen. Dazu gehörte die Filmregie, speziell die Spielfilmregie. Man kann die Namen der DEFA-Spielfilmregisseurinnen an einer Hand abzählen. Neben Hannelore Unterberg („Konzert für Bratpfanne und Orchester“), die sich ausschließlich auf die Arbeit für Kinder konzentrierte, waren es die schon 1971 jung verstorbene Ingrid Reschke („Kennen Sie Urban?“), Evelyn Schmidt („Das Fahrrad“), der viele Steine in den Weg gelegt wurden, und Iris Gusner („Alle meine Mädchen“). Sie stellten im Spielfilm teils brisante Gegenwartsthemen zur Diskussion. An Iris Gusners Arbeit ist seit wenigen Monaten neues Interesse erwacht, weil ihr Erstlingsfilm von 1972 jetzt verspätet das Licht der Leinwände erblickte. Der Gegenwartsfilm „Die Taube auf dem Dach“, von ihr geschrieben und inszeniert, wurde 1973 verboten und sollte vernichtet werden. Kameramann Roland Gräf fand jedoch 1990 noch eine Arbeitskopie des Films, und eine kleine, kaum beachtete Premiere folgte kurz darauf. Danach war der Film erneut verschollen. Nach umfangreichen Recherchen konnte er nun endlich wiedergefunden und im Herbst durch die DEFA-Stiftung zum Kinostart gebracht werden.
Iris Gusner, die vor wenigen Tagen ihren 70. Geburtstag beging, hatte an der Moskauer Filmhochschule WGIK, unter anderem bei Michail Romm, studiert. In ihrem Debütfilm erzählte sie von der Arbeiterklasse der DDR, einem „von oben“ immer wieder gewünschten Thema. Heute ungewohnt, aber faszinierend ist die zu dieser Zeit moderne „offene Dramaturgie“, die mosaikartig Situationen aneinanderreiht und den Zuschauer in einer kühlen Distanz lässt. Da sie dabei auch Defizite ansprach, den gedankenlosen Umgang mit dem Solidaritäts-Begriff hinterfragte und in der Handlungsführung deutliche Parallelen zu Frank Beyers verbotener Neutsch-Verfilmung „Spur der Steine“ zuließ, wurde der Film nach Fertigstellung bereits von den Leitungsgremien der DEFA nicht abgenommen. Der Film erzählt, dass da so manches nicht stimmte im Verhältnis der herrschenden Klasse zu ihrem Volk. Aufopferungsvolle Arbeit wird mit kleinbürgerlichem Wohlstand vergütet – wer mehr vom Leben will, wie der von Günter Naumann gespielte Brigadier, muss sich in seine Arbeit verbeißen. Die aparte Heidemarie Wenzel steht als Bauleiterin im Mittelpunkt dieses Films, der viel vom Lebensgefühl in der DDR der frühen siebziger Jahre vermittelt. Man vermisst noch den Wechsel der Stile und Ausdrucksmittel, der beispielsweise Iris Gusners Komödie „Kaskade rückwärts“ auszeichnete, aber der unbedingte Wille, vom wachsenden Selbstbewusstsein der Frau in der neuen Gesellschaft trotz aller Widrigkeiten zu erzählen, zeichnet den Film aus. (Seit September in ausgewählten Kinos im Verleih defa-spektrum.)

Frank Burkhard

Afrika an der Spree

Den Hekatomben von Touristen, die Berlin im Jahresrythmus neue Übernachtungsrekorde bescheren, gefalle es, so witzeln Einheimische, in der Stadt unter anderem deshalb so gut, weil sie nicht darin leben müssten. Das spielt darauf an, dass etwa im Hinblick auf die öffentliche Infrastruktur schon lange Schluss mit lustig ist. Wer schon mal in der deutschen Hauptstadt mit dem Auto gefahren oder häufiger auf eine der vor allem im jetzigen Winter eher willkürlich als nach Fahrplan agierenden S-Bahnen gewartet hat, der weiß, was gemeint ist. Dieser Tage befasste sich Harald Martenstein im Tagesspiegel mit der Misere: „Man muss … daran erinnern, dass die S-Bahn zu Mauerzeiten in beiden Stadthälften von der DDR betrieben wurde. Und die S-Bahn fuhr. Sie kam fast immer. Vermutlich auf Befehl der Sowjetunion. Berlin hat, ich vertrete diese These seit Jahren, nach 1989 einen ähnlichen Weg genommen wie viele afrikanische Staaten nach dem Ende der Kolonialherrschaft. Lokale Eliten kommen an die Macht, die ihrer Aufgabe nicht gewachsen sind, Misswirtschaft und Günstlingswirtschaft verbreiten sich, die Infrastruktur verfällt, während die Kaste der Mächtigen Partys feiert. Berlin ist ein sogenannter ‚failing state’, ein Staat, der seine Aufgaben nicht mehr erfüllen kann. Eine Rückkehr der Alliierten wäre sicher die beste Lösung, ist aber unrealistisch. Denkbar wäre die Übernahme der Regierung durch einen vom Bund ernannten Hochkommissar, etwa Heiner Geißler oder Peer Steinbrück. Für Grundvoraussetzungen städtischen Lebens wie den öffentlichen Nahverkehr, benutzbare Straßen, funktionierende Schulen und Gehwege müsste im Mogadischu Europas vorübergehend die Bundeswehr sorgen, oder Blauhelme.“ Dem ist nichts hinzuzufügen, außer vielleicht: Angesichts der anstehenden Verkleinerung der Bundeswehr auf dem Reformwege – besser gleich die UNO anrufen!

am

Wirsing

Die aus unerfindlichen Gründen immer sehr selbstbewusst auftretende Tina Mendelsohn kennt man von 3sat aus der Sendung „Kulturzeit“. Am 10. Januar moderierte sie einen Beitrag an, der offensichtlich zu Tucholskys 75. Todestag im vergangenen Monat entstand: „Gestern war sein 120. Geburtstag.“ Tatsächlich wurde Kurt Tucholsky an einem 9. Januar geboren, und zwar 1890. Ich schlage für 2011 vor, noch den 110. Geburtstag von Ernst Busch, den 100. von Brigitte Mira, den 75. von Woody Allen und vor allem den 15. Geburtstag von „Kulturzeit“ nachzufeiern!
Weil die Nachwelt dem Mimen manchmal doch Kränze flicht, erinnerte Neues Deutschland an den 260. Geburtstag einer großen Künstlerin, über die es da heißt: „Zunächst erlebte Corona Schröter die Welt von Warschau. Als sie drei Jahre alt war, verließ die Familie die Neißestadt.“ Bevor die später gefeierte Sängerin allerdings die Weltstadt Warschau an der Neiße erlebte, verbrachte sie bereits Kindheitsjahre in Guben an der Weichsel. Doch das ist Redakteuren in der Elbstadt Berlin weniger geläufig.

Fabian Ärmel