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3.266 Beiträge im Forum

  1. Werner Richter sagt:

    Wem der sichtverzerrende Nato-Filter vor seinem Ukrainebild noch nicht auffiel, kann ihn ganz gut damit finden:
    http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2015/03/09/britischer-forscher-eu-politik-in-der-ukraine-war-dummheit-im-grossen-stil/

  2. Werner Richter sagt:

    Anfrage ans ZDF
    Sag mal, ZDF, wie schaffst Du es, beste Sendezeit mit lauwarmem Gesülze von Christopher Clark zu vergeigen und kein Zuschauer fordert sein Geld zurück? Und wieso ausgerechnet Clark? Na gut, hat den 1. Weltkrieg neu erfunden, da kann man sich schon mal dankbar zeigen, versteh ich. Kann man ganz gut brauchen, um dann den 2. Weltkrieg neu zu schreiben. Aber reicht dafür nicht eine Staffel, müssen es denn gleich zwei sein? Hat er nicht schon mit einer seine Leistung gerecht bezahlt bekommen? Knete hat der doch jetzt genug. Schreibt der etwa auch den 2. Weltkrieg neu und kriegt Vorauszahlung? Der kommt mit seiner Methode aber höchstens bis Stalin, weiter nicht. Hör mal, ZDF, ich habe auch ein Buch fast fertig. Darin konnte ich mit Eurer üblichen Geschichtsmethodik den Nachweis führen, daß Stalin Deutschland zum Überfall provoziert hat, tatsächlich. Liegt genau auf Eurer Linie der Berichterstattung zu Rußland und Ukraine. Und Putin ist ja der Nachfolger, wer weiß, der paßt da auch noch rein. Sieh mal, ZDF, ich fahre seit Jahren einen Mercedes C-Klasse und möchte mir auf meine alten Tage mal einen der E-Klasse zulegen. Aber meine Rente reicht dafür nicht. Könnt Ihr das Buch brauchen? Wäre doch ein Schnäppchenpreis, Ihr habt‘s ja jetzt.
    Noch was. Der Buschfunk meldet, der Knopp ist noch häufig in Euren Gemäuern zu sehen. Kennt Ihr nicht? Das ist der, der sich immer mit „Knopp, Historiker“ vorstellt, der Scherzkeks. Hat mal bei Euch die neue Geschichtsschreibung eingeführt. Naja, Historiker ist er ja nicht, aber hat da schon lange vor Clark die neue Perspektive gefunden. Die ist wie die Beschreibung einer Plastik. Bisher haben wir immer genau davor gestanden. Legt man sich aber direkt davor flach auf den Boden und schaut aufwärts, sieht man ganz andere Dinge. Da sind die Füße plötzlich riesengroß, der Bauch ist dann auch viel größer, die Hakennase mit Pickeln ist weg, nur zwei große Löcher sind zu sehen und Kopf ist auch nicht mehr da. Das sind dann die Fakten. Macht ja der Clark auch und mein Buch geht genauso vor.
    Hör mal, gehen Euch diese Anstaltsleute nicht auf den Keks? Den Schramm habt Ihr ja gekonnt mit dem Priol vertrieben, der dann doch nicht viel zustande brachte und aufgab. Jetzt habt Ihr aber die Uthoff & Wagner am Hals, die sind doch genauso schlimm wie Schramm! Mit denen kriegt Ihr Euer Rußland-/Ukrainebild nie fertig. Könnt Ihr Euch nicht mal den Nuhr ausleihen? Der ist universal einsetzbar und hat bisher noch jeden Satirekeim beseitigt. Großartig, der Kerl. Seht mal in sein Gesicht, wenn er loslegt. Phantastische Selbstbeherrschung. Jeder andere würde früher oder später nicht mehr an sich halten können und losprusten, der nicht.
    Was ist, wollt Ihr den Schinken?

  3. Kai Ehlers sagt:

    Oh, pardon, Herr Richter! Da hat der Sarkasmus bei mir offenbar das Gegenteil dessen erzeugt, was er erzeugen sollte. Dank für Ihre unprätentiöse Richtigstellung. – Für mich wirft dieses kleine Missverständnis allerdings die Frage auf, ob Sarkasmus bei der Sachlage dieser schwierigen und emotional aufgeladenen Fragen die geeignete Form der Verständigung ist. Man kennt das ja auch als E-Mail-Problem, wo ein Scherz sich leicht in sein Gegenteil verwandelt, wenn er nicht mit „ha, ha“, mit einer lächelnden Sonne odergleichen freundlichen Verlegenheitszeichen versehen ist (J). Zumal dann, wenn die Partner schon mit scharfen Urteilen drohen…
    Also, ich wiederhole noch einmal meinen Wunsch nach einem offenen Dialog und grüße Sie und die anderen Dialogpartner freundlich, Kai Ehlers .

    • Werner Richter sagt:

      Tapfer, tapfer lieber Herr Ehlers und viel Haltung. Nur ist wohl Festhalten an Sachlichkeit vertane Liebesmüh, wenn dürftig getarnt „westliche“ offizielle Prämissen, Friede, Freude, Demokratie, als Ziel der EU-/US-/Nato-Strategie übernommen und inbrünstig verteidigt werden. Sarkasmus scheint mir da genau die richtige Behandlung.

  4. Kai Ehlers sagt:

    Es freut mich zu sehen welch lebendiger Disput um meinen kleinen Text entstanden ist. Die Frage ist allerdings: Worum geht’s es? Geht es um Haltungen oder um Fakten? Wenn es um Haltungen ginge, würde ich mich ungern beteiligen. Das kann eigentlich nur in unsinnigen Unterstellungen enden. Wenn es um Tatsachen gehen soll, hätte ich zunächst eine kleine Anmerkung zu der Kritik von Herrn Wohanka zu machen, der meint, der Text werde seinem eigenen Anspruch nicht gerecht, der in der Frage „Was hat´s gebracht?“ liege.

    Dazu sehr kurz: Ich stimme mit Ihnen, Herr Wohanka widerspruchslos darin überein, dass es keinerlei Sinn macht, mit dem Zeigefinder des Besserwissers und Skeptikers auf Revolutionen zu zeigen. Ich finde das vermutlich genauso unangenehmen wie Sie. Aber bitte, die von mir gewählte Frage „Was hat´s gebracht?“ ist nicht identisch mit der auch möglichen Frage, die ich jedoch nicht gestellt habe: „Hat´s was gebracht?“ Die erste Frage zielt auf Feststellung von Tatsachen, die zweite formuliert die Skepsis, die Sie, Herr Wohanka zu Recht kritisch beleuchten. Nur, wie gesagt – diese Skepsis ist nicht der Inhalt meines Textes. Der Text fragt nicht, o b die Ereignisse etwas gebracht, sondern w a s sie gebracht haben. Unter dieser Vorgabe beschränkt er sich expressiv verbis darauf Tatsachen zu benennen. Hierhin gehört auch die Bezeichnung der Gebiete Lugansk und Donezk als Volksrepubliken. Diese werden damit nicht „veredelt“, wie Herr Carraciola meint. Sie werden mit der Bezeichnung benannt, welche die Menschen vor Ort sich selbst geben. Daran ändern auch Anführungsstriche nichts. Aber selbstverständlich sind die Gebiete weder als Novorossia, noch die Menschen dort als Separatisten oder gar als Terroristen richtig benannt. Was die Menschen dort wollen, ist Autonomie, die ihnen bisher nicht, in Zukunft aber vielleicht doch zuteil wird. Womit könnte man sich, was die Benennung betrifft, in dieser Situation behelfen, ohne sich in vagen und komplizierten Umschreibungen einerseits oder parteilichen oder gar aggressiven Zuweisungen andererseits zu verlieren? Wenn jemand dazu einen Vorschlag hat – bitte!

    Auf der Gegenseite zu beklagen, wie Herr Richter es tut, man könne nicht einfach harte Fakten zu einem Bild zusammenfügen, zeigt sehr schön und eigentlich nur, wie unterschiedlich Erwartungen sind, die Menschen einem Text gegenüber haben können. Ja, man kann natürlich sehr viel mehr erklären, wenn der Text lang ist. Aber darum geht es Herrn Richter wohl gar nicht? Er möchte mehr „Haltung“. Ja, Herr Richter, das sagen Sie mal Herrn Wohanka oder besser vielleicht noch Herrn Carraciola, denen das Wörtchen Volksrepublik schon zu viel Haltung ist. Oder sagen Sie es Herrn Rieger, der sich wünscht, dass „der Geist dieses Artikels im Blättchen nicht Fuß fassen“ möge.

    Ist das die Haltung, die Sie sich wünschen? Ich kann es kaum glauben. Ich sage sogar, ich möchte es nicht glauben. Ich möchte mir vielmehr wünschen, dass wir uns hier im Blättchen – und nicht nur hier – auch weiterhin im offenen Dialog begegnen, statt uns gegenseitig Haltungen abzuverlangen.

    Ich verbleibe mit freundlichen Grüßen, Kai Ehlers, http://www.kai-ehlers.de

    • Werner Richter sagt:

      Oh, Herr Ehlers, jetzt bringen Sie mich in Verlegenheit. Hatte gedacht, genug Sarkasmus eingerührt zu haben und jetzt schmeckt Ihnen meine Suppe fade. Zur Nachhilfe: Der ältere, aber leicht besoffene Herr von damals zog auch wie Sie eine ernüchternde Bilanz ohne politische Ausschmückung. Das war sein Verdienst, den ich Ihnen ebenso zukommen lassen wollte. Lesen Sie bitte das Ganze nochmals mit einem Schuß Ironie, dann schmeckt es doch.

  5. Stephan Wohanka sagt:

    Zu Kai Ehlers: Ich muss den bisherigen Kritikern recht geben – der Artikel wird seinem Anspruch nicht gerecht! Mehr noch – ich halte sogar den Anspruch in Teilen für zweifelhaft; ein Anspruch, der in der Frage liegt: „Was hat´s gebracht?“
    Eingangs schreibt Ehlers von einem „über Monate gewachsenen Protest gegen eine korrupte Regierung und die Forderung nach Westöffnung des Landes“, um dann auf die eben zitierte Frage zu antworten: „Eine Westöffnung des Landes wurde nicht erreicht – erreicht wurde eine Teilung des Landes in einen mit der EU assoziierten Westen auf der einen und einen mit Russland faktisch verbündeten Osten auf der anderen Seite, die miteinander in diesem erbitterten Bürgerkrieg verhakt sind“.
    Was hätte es denn bringen sollen? Nach dem Lenin zugeschriebenen Diktum „Wenn die oben nicht mehr können und die unten nicht mehr wollen“ haben derartige soziale Erhebungen spontanen Charakter und die Frage „Was hat´s gebracht?“ ist eben nicht nur eine rhetorische Floskel; nein sie ist diffamierend und sie gibt dem, der sie stellt, ein angenehmes Gefühl von Aufgeklärtheit und Bescheidwissen: Ich hab´s eh schon gewusst, dass das nichts wird!
    Sollten die Völker denn erst „anfragen“, ob das Risiko kalkulierbar sei, sich gegen die Zustände im Lande, gegen dessen innere Verfasstheit, gegen Tyrannen aufzulehnen? Hätten die Führer, die sich dann finden und sich an die Spitze solcher Proteste und Revolten stellten, hätten ein Marat, Danton, Robespierres in der Französischen Revolution oder ein Lenin, Trotzki, Bucharin in der Oktoberrevolution vorher prüfen sollen, was ihr umstürzlerisches Treiben, sie selbst anrichten? Zum Beispiel Robespierre: Wie kein zweiter unter den damaligen Protagonisten verkörperte er einen totalitären Terror und eine fanatische Unduldsamkeit und Intoleranz, die selbst heutigen Islamisten alle Ehre machten. Es gab nur Freund oder Feind; wer sich ihm nicht anschloss, war des Todes – bis er selbst umgebracht wurde; nota bene durch die Guillotine, die er selber als „Sichel der Gleichheit“ pries. Oder der „rote Terror“ der Tscheka, der später in den Stalinschen mündete. Er gipfelte in mehreren „Säuberungs“-Wellen mit Schauprozessen und Hungersnöten, forderte Millionen von Opfern; zahlreiche „Volksschädlinge“ fristeten, völlig unschuldig, in Straf- und Arbeitslagern ihr Dasein.
    Alles in allem: Was haben denn diese Revolutionen unmittelbar oder sogar längerfristig gebracht? Woran wäre das zu messen? Wir Heutigen können auf deren historische Abläufe und das, was „herauskam“ zurückschauen und unsere widerstreitenden Urteile fällen…
    Dieser von Ehlers (und anderen) gepflegte westliche Skeptizismus bezüglich derartiger Erhebungen, dieses indirekte oberlehrerhafte Verteilen von Noten ist verfrüht, wird der Sache nicht gerecht und war übrigens auch bezüglich des „Arabischen Frühlings“ ein gern gepflegter Topos: Die da unten kriegen ja sowieso nichts hin! Wie kann man derartige Eruptionen in sich unterdrückt fühlenden Völkern – und das festzustellen, liegt ausschließlich bei diesen selbst, alle äußeren Einflüsse dabei einrechnend – an der sofortigen Durchsetzung aller sozialen und politischen Positiva wie Freiheit, Selbstbestimmung. Menschenrechten, Wohlstand oder was man auch immer dafür hält messen? Vermessen!

    • Bernhard Romeike sagt:

      Das ist laut gebrüllt. Nur stimmt der Vergleich nicht. Poroschenko nach Janukowych ist nicht Danton oder Robespierre nach Ludwig XVI. oder Lenin und Trotzki nach Nikolaus II. Eher Louis-Philippe nach Karl X. (nach der französischen Juli-Revolution 1830). Der eine König bzw. Oligarch wurde durch einen anderen abgelöst, nicht die Oligarchen-Herrschaft überhaupt abgeschafft. In diesem Sinne hat Ehlers eben doch recht. Zu fragen ist, ob der sogenannte „Maidan“ überhaupt in eine solche Revolutionsreihung gehört.

    • Stephan Wohanka sagt:

      Werch ein Illtum! Es geht nicht um Vergleiche, sondern eine Haltung.

    • Bernhard Romeike sagt:

      Mag sein. Im Skispringen beispielsweise ersetzt die Haltungsnote nicht die Bewertung der Weite. In der Sozialwissenschaft ist das ähnlich: auch die honorigste Absicht kann inhaltlichen Unsinn nicht ausgleichen.

    • Werner Richter sagt:

      Nein Herr Ehlers, man kann nicht einfach harte Fakten zu einem Bild zusammenfügen wie weiland der ältere Herr zu seinem Abgang oder wie schön formuliert, keine Vergleiche, Haltung. Ihr Resümee mag zwar stimmen, aber es fehlt die westliche Sicht. Die zeigen tagein tagaus alle verantwortungsvollen Journalisten und auch überraschend andere. Wer soll denn sonst ihre Artikel kaufen? Das klappt schon ganz gut. Da werden die Fakten aneinandergereiht und nach Haltung sortiert, unpassende Fakten ins 2. Glied geschoben und durch den Fakt: “Die ukrainische Regierung macht Putin für … verantwortlich.“ ersetzt. Reicht, Putin stimmt immer. Die Sammlung ergibt ein schönes Faktenbild, Kommentierung wird dann überflüssig, zu riskant. Ein neuer Fakt ist der „hybride Krieg“. Woher kommt dieser Begriff? Haben den Journalisten geschlußfolgert? Nein, eher nicht. Abgeschrieben, jawohl, nur von wem? Ich nehme an aus einer US- oder GB-Dienstvorschrift. Wann zog er aber dort ein? In den 80-ern, als SIS-„Instrukteure“ verdeckt das Kommando über die Mujaheddin übernahmen? Oder war es in Libyen nach gleichem Muster, diesmal aber unter Mitwirkung des französischen Geheimdienstes? Vielleicht erst nach geheimer Mission des französischen Geheimdienstes in Syrien, worauf der IS entstand? Gar erst in der Ukraine, nachdem Nationalisteneinheiten, durch die CIA in geheimen Camps in Polen präpariert, den Maidan in Besitz nahmen, wohlmöglich das Massaker dort und in Odessa vollbrachten und die MH 17 abschossen? Die Russen sind eben unberechenbar, machen einfach auch das, was sich die Demokratien so ausgedacht haben. Da muß man wissen, auf wessen Seite man sich stellt, sonst wird man flugs links-orthodox. Also, immer Haltung zeigen!

  6. Kurt Weiland sagt:

    Der Historiker Götz Aly hat in seiner heutigen (Dienstag, den 3.3.) Kolumne in der Berliner Zeitung angeregt, den 9. Mai unabhängig von offiziellen Vorgängen zum Thema Befreiung durch eine öffentliche Initiative als den Tag zu begehen, der er verdient, gefeiert zu werden. Ich meine, das sollten möglichst viele Berliner wissen und sich beteiligen.
    http://www.berliner-zeitung.de/meinung/kolumne-was-tun–kriegsende–russen-und-deutsche,10808020,30014390.html

  7. Rudolph Caracciola sagt:

    Zum Ehlers-Beitrag in der aktuellen Ausgabe:
    Eine Darstellung der Ereignisse in der Ukraine unter Weglassung der ausländischen Akteure (USA, EU, Russland, Polen, baltische Staaten) ergibt ein ziemlich unvollständiges und damit irreführendes Bild. Und: Die Sezessionsgebiete in der Ost-Ukraine zu „Volksrepubliken“ zu adeln, ist ein Unding, dass des Autors Eingangseinlassung „Ließen wir alle Polemiken beiseite“ ad absurdum führt.
    Das ist nicht der Stil des BLÄTTCHENS, den ich schätze.

    • Bernd Rieger sagt:

      Ein (fast unverdient) kulturvoll vorgetragener Kommentar zu einem Artikel, dessen Geist im Blättchen bitte nicht fußfassen möge.

    • Bernhard Romeike sagt:

      Jeder mag sein Blättchen schätzen, wie er will. Nimmt man den Ehlers-Text nicht als ideologisches Konstrukt, sondern als Tatsachen-Feststellung, gibt er eine sehr realistische und zugleich bedrückende Beschreibung der tatsächlichen Lage in der Ukraine, wie sie jetzt ist. Eine Fehlstelle bezüglich der äußeren Akteure vermochte ich nicht zu entdecken. Was wäre denn sonst ein „Stellvertreterkrieg“ zwischen den USA und Russland auf Kosten der ukrainischen Bevölkerung? Vielen Dank, Kai Ehlers, für diesen Text!

    • Rudolph Caracciola sagt:

      Also nochmal, Herr Romeike: Die Separatisten-Gebiete in der Ost-Ukraine zu VOLKSREPUBLIKEN zu „veredeln“ – eben das macht es unmöglich, den Ehlers-Text nicht als „ideologisches Konstrukt“ zu nehmen. Manchmal verrät ein Begriff, wes Geistes Kind der Autor ist, obwohl er sich ansonsten „objektiv“ gibt.
      Um aber nicht missverstanden zu werden: Wenn die USA bereits bis zum vergangenen Jahr 5 Milliarden Dollar (Noland) eingesetzt hatten, um die Entwicklung in der Ukraine auf Westkurs zu bringen, weil man in Washington dem „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ und dem „Recht auf freie Bündniswahl“ allein offenbar nicht traute, ist es durchaus legitim, etwa die Frage aufzuwerfen, welche Mittel Moskau eigentlich noch zu Gebote standen, um einen NATO-Vorposten Ukraine vor seiner Haustür zu verhindern. Als Legitimation hybrider Kriegführung ist diese Frage meinerseits zwar keinesfalls gedacht, aber als Hinweis darauf, was herauskommen kann, wenn Washington (und die EU) meinen, mit Russland nach Gutsherrenart verfahren zu können, schon.

    • Bernhard Romeike sagt:

      Lieber Herr Caracciola, das Wort „Volksrepubliken“ als Hauptproblem? Nach meinem Verständnis ist das im Kern nur die Selbstbezeichnung als Terminus technicus. Wir nennen Frau von der Leyen doch auch „Verteidigungsministerin“, obwohl man Kriegsministerin sagen müsste.

    • Rudolph Caracciola sagt:

      Danke für die Klarstellung, Herr Romeike. Wie schon gesagt: Bisweilen enthüllt ein Begriff, wes Geistes Kind einer ist. Und wenn sich dabei zeigt: links-orthodox, dann kann die Debatte, weil sinnlos, beendet werden.

  8. Werner Richter sagt:

    Zu Günter Hayn, Armes reiches Deutschland Heft 4 2015
    Wieso erleben wir ein rollback in die Klassengesellschaft, gab es die bisher nicht mehr? Man sollte nur nicht dem alten Pseudomarxismus folgen, wonach die Klassenbestimmung anhand des Entwicklungsstandes der Produktivkräfte vorrangig aus marxscher Zeit übernommen wurde, also der Nähe zu den Produktionsmitteln statisch nach dem „Handarbeits“kriterium. Zu empfehlen ist dazu Hobsbawm „Wie man die Welt verändert“. Gab es denn, neben Absichtserklärungen, inzwischen eine tatsächliche signifikante Besserstellung nichtakademischer Schichten? Ist das Problem unserer Gesellschaft mit der Verteilung, hier auch die „Aufstiegschancen“, ausreichend erfaßt, würde der Aufstieg von Gruppen aus sozial ausgebeuteten Klassen in die Führungsspitzen der Kapitaldiener, alter Traum des Opportunismus, die Gesellschaft grundlegend verändern und den Kapitalismus, der die Art der Verteilung festlegt, abschaffen? Zweifelhaft.

  9. Petra Abt sagt:

    Im herzerwärmenden Gegensatz zu manch anderen Einträgen leider auch im Blättchen-Forum möchte ich meine Sympathie für solcherart Meinungs- und Gedankenaustausch loswerden, wie dieser grade zwischen Theoseibeios und H.-P. Eberlein stattfindet: Kritisch, ja auch polemisch, aber eben sachlich und von Geist und nicht Diffamierungswillen gespeist. Wenn Theoseibeios nun auch noch zu erkennen gäbe, dass er aus solchem Austausch selbst auch Bereicherung ziehen würdfe – es wäre für die politische Debattenkultur hierzulande kaum auszuhalten vor Hoffnungsfülle.

    • Erhard Crome sagt:

      Dieser Beitrag, verehrte Frau Abt, ist putzig. Ihre Einlassung in Bezug auf meinen Griechenland-Text kam ja nicht im Sinne hochmögender Debatten-Kultur daher, sondern Sie warfen mir vor, gegen die schöne neue Welt des Neoliberalismus anschreiben zu wollen und deren Segnungen nicht zu verstehen. Zudem geruhten Sie, mich in eine Reihe mit der nordkoreanischen Kim-Familie zu stellen. Da werden Sie mir schon nachsehen müssen, dass ich darauf einzugehen keine Lust hatte.

    • Theosebeios sagt:

      Liebe Frau Abt,
      aber natürlich ist Herrn Dr. Eberleins Antwort für mich ein Gewinn, ja sogar die recht burschikose des Herrn Ehlers, der mir „eitle Selbstdarstellung“ vorwirft, weil ich eine Berührung seiner Schulter mit der von Angela Merkel zu erkennen glaubte …! (Ist doch eigentlich nicht so schlimm, oder?)
      Dass meine Exegese des Textes von Herrn Eberlein letztlich aber doch danebenging, gibt mir zu denken. Ich muss noch üben u. klammere mich momentan an den Strohhalm, den mir der Verfasser mit seinem Bekenntnis zu Hegel hingehalten hat. Über diesen großen Philosophen hat ja der junge Friedrich Engels das Gerücht verbreitet, keiner außer einem hätte ihn, Hegel, verstanden. Und dieser eine hätte ihn leider auch noch falsch verstanden.
      (P.Scr.: Schade, dass die Redaktion offenbar zu philosophischen Artikeln wenig Neigung* hat …)

      * – Meinte dies, selbst welche zu schreiben, träfe das P.Scr. ins Schwarze. Was allerdings die Entgegennahme von Beiträgen der insinuierten Art samt (zum Zwecke eventueller Publizierung) wohlwollender Prüfung anbeträfe, wäre es um die „Neigung“ eher gegenteilig bestellt.
      Die Redaktion

  10. Erhard Weinholz sagt:

    Noch ein Nachtrag zu meinem soeben erschienenen Text „Mutprobe. Die VL und der 18. März 1990“: Vor welchen Problemen eine weiterhin selbständige DDR in einem weitgehend veränderten Umfeld stehen würde, haben wir in der VL meines Wissens damals überhaupt nicht diskutiert. Eine solche DDR wäre zum Beispiel in viel stärkerem Maße als bisher weltmarktabhängig gewesen – was hätte das für Folgen gehabt? Ich will nicht sagen, daß ein Fortbestand der DDR unmöglich gewesen wäre – wo ein politischer Wille da ist, läßt sich vieles bewältigen -, aber die Schwierigkeiten wären doch immens gewesen und hätten uns viel abverlangt.

  11. Hermann-Peter Eberlein sagt:

    Lieber Theosebeios (welch schöner Name!),

    danke für Ihre konstruktive Kritik an meinem Artikel zu Religion und Toleranz! Ihre differenzierten Bemerkungen zur Problematik des Toleranzbegriffs nehme ich gern zur Kenntnis. Weil dies ein weites – für solch einen kleinen Essay – zu weites Feld ist, bin ich bewusst von der sicherlich sehr zugespitzten Formulierung Tucholskys ausgegangen, die im BLÄTTCHEN ja nicht verkehrt ist. Damit ist das Thema natürlich nicht ausgelotet. Statt das hier nachzuholen, nur einige kurze Bemerkungen zu Ihren Punkten:
    1. Ich kannte den „Fall Latzel“ beim Abfassen meines Textes noch nicht. Seine demagogische und unreflektierte evangelikale Art ist mir von Herzen unsympathisch – man braucht nur die Website seiner Gemeinde zu lesen.
    2. Sie ordnen mir – wahrscheinlich meines Berufes wegen – Glaubensgewissheit zu; das ist ehrenwert, aber falsch. Ich stehe durchaus auf der Seite Castellios gegen Calvin und Pierre Bayles gegen die reformierte Orthodoxie seiner Zeit. Beispiele wie diese beiden zeigen, dass sich die Toleranzidee in der frühen Neuzeit gegen die Kirchen entwickelt hat und nur insofern aus ihnen heraus. Die Kirchen sollten den Mund in dieser Hinsicht also nicht zu voll nehmen. (Ob die EKD das gut findet oder nicht – kleine Lichter wie ich haben den Vorzug, dass man es nicht für nötig hält, sich behördlicherseits mit ihnen zu beschäftigen.)
    3. Das Abendland – reicht es nun so weit, wie die lateinische Messe gelesen wird oder Voltaire rezipiert? Gehört die Aufklärung dazu oder nicht? Für Benedikt XVI. ganz klar nicht, für mich wie für Sie schon, samt Deutschem Idealismus und „Holzwegen“. Da liegt ein Problem – und wieder werden wir auf die Frage geführt, wie Kontinuität und Diskontinuität zwischen den christlichen Konfessionstheologien und der sich entwickelnden säkularen Moderne in der frühen Neuzeit einzuschätzen sind. Ich sehe das derzeit ein wenig vulgär-hegelianisch. Aber ich lasse mich gern belehren.

  12. Theosebeios sagt:

    Teil II (zu Eberlein: Religion und Toleranz):

    SEID (GEFÄLLIGST) TOLERANT!
    c) Aber – worin besteht denn überhaupt Toleranz? Jetzt muss ich ein wenig Kritik üben, Herr Eberlein. Sie stellen zwar fest, diesen vielschichtigen Begriff nicht klären zu können, übernehmen aber unter Hinweis auf „eine gewisse Übereinstimmung“ (ausgerechnet) den herrschenden politischen (manipulativen) Sprachgebrauch, wonach Toleranz mehr sei „als bloße Duldung: nämlich Anerkennung“. Das enthält der Begriff aber nicht, weswegen ja nicht nur Conchita Wurst u. Freunde „Akzeptanz statt Toleranz“ fordern. Die sozialwissenschaftliche Forschung hat einige Zeit gebraucht, um lange nach Herbert Marcuse die Schattenseiten des Toleranzbegriffs im Blick auf volkspädagogische Absichten zu erkennen. Mit spürbarem Erschrecken musste das Institut für interdisziplinäre Konflikt- u. Gewaltforschung anhand einer sorgfältigen empirischen Studie (siehe Kölner Zeitschrift für Soziol. u. Sozialpsych. 65, 2013, S. 277-300) feststellen, dass Toleranz u. Vorurteile durchaus zusammenpassen. Der Grund liegt darin, dass Toleranz notwendigerweise eine „Ablehnungskomponente“ enthält, die stets für Überraschungen gut ist. Ich kann die Studie u. den interessierten Bielefelder Umgang mit ihr hier nicht weiter darstellen, gelange über sie aber
    d) zu dem Punkt, den ev. Pfarrer Eberlein gegen seine eifernden u. Toleranz fordernden Widersacher in Schutz nehmen zu können. Christliche Glaubensgewissheit u. Toleranz passen durchaus zusammen, wenn man den Toleranzbegriff von der Überdehnung durch diejenigen Moralapostel befreit, die gerne „auf die anderen mit dem Finger zeigen“. Ich hoffe, dass Ihnen im Konfliktfalle auch Herr Steinacker beistehen wird. Sicher bin ich mir da nicht.
    e) Der Begriff der Toleranz, in dem die Ablehnung eines Nicht-Wir eine Bewegungsform in den Grenzen der Vernunft findet, ist eine Errungenschaft des christlich geprägten Abendlandes. Insofern bin ich unzufrieden mit Ihrer harschen Kritik an der Pegida (siehe Ihren Artikel vom 5.1.15). Sie zeigen in „Religion und Toleranz“ doch gerade, wie sich aus christlichen Konflikten der Toleranzgedanke entwickelt u. ein Sebastian Castellio der Aufklärung den Weg weist. Und daraus folgt gewiss, dass man nicht in eine Kirche gehen muss, um sich auf das Abendland zu berufen. Man darf auch die geistig-kulturellen Errungenschaften Europas bewahren wollen, ohne sich den impliziten Machtansprüchen einer Religionsgemeinschaft zu unterwerfen. Das ist keine leere Rhetorik. Abendland, dieser „schwammige Begriff“, umfasst selbstverständlich die Aufklärung, die idealistische deutsche Philosophie oder die „Holzwege“ Heideggers, Wege, in denen vom Kirchgang nicht mehr die Rede ist, an dem Sie die Wahrhaftigkeit einer Pegida-Rhetorik messen wollen.

  13. Franka Haustein sagt:

    Kürzlich war er noch BLÄTTCHEN-Autor: Fritz J. Raddatz – der geniale und gockelhafte Literaturkritiker, Essayist und Literat, der nie als großer Schriftsteller Anerkennung fand, woran er bis in seine späten Jahre litt.
    In seinen Tagebüchern war Freitod, bevor die selbst empfundene Leere und die gesundheitlichen Malaisen des Alters völlig unerträglich werden, ein wiederholtes Thema. Nun hat er den Schritt vollzogen.
    Sein letztes Interview gab er Arno Widmann erst vor kurzen: http://www.fr-online.de/literatur/fritz-j–raddatz-im-interview–ich-war-eine-sehr-schnelle-ratte-,1472266,29709404.html
    Die SÜDDEUTSCHE hat seine wichtigsten Lebensstationen nochmals Revue passieren lassen: http://www.sueddeutsche.de/kultur/zum-tod-von-fritz-j-raddatz-er-mochte-das-traeumen-nicht-lassen-1.236964.
    Und Theo Sommer, Chefredakteur der ZEIT zu jener Zeit, als Raddatz dort Kulturchef war, hat ihm einen Nachruf gewidmet, in dem auch die Ecken und Kanten nicht zu kurz kommen: http://www.zeit.de/kultur/literatur/2015-02/fritz-j-raddatz-nachruf-theo-sommer.
    Fritz J. Raddatz war ein intellektueller Paradiesvogel im besten Sinne des Wortes und somit von einer Art, die leider ausgestorben ist.

  14. Theosebeios sagt:

    Offenbar ist mein Kommentar zu Herrn Dr. Eberleins kleinher Abhandlung „Religion und Toleranz“ nicht angekommen oder er sollte nicht freigegeben werden. Falls letzteres zutrifft, bitte ich darum, den Text an Herrn Dr. Eberlein weiterzuleiten, da er an den dort geäußerten Argumenten interessiert sein könnte.

    Teil I (zu Eberlein: Religion und Toleranz):

    SEID (GEFÄLLIGST) TOLERANT!
    Sehr geehrter Herr Dr. Eberlein, ich erlaube mir einige Bemerkungen zu Ihrem interessanten u. überraschenden Beitrag „Religion und Toleranz“, will mich aber vorab schon entschuldigen für den Fall, Ihre Ausführungen trotz intensiven Lesens in Richtungen zu deuten, die von Ihnen nicht beabsichtigt sind.
    Welche Bedeutungsschichten Ihres Essays sehe ich? Da ist
    a) die assertorische Wucht des Satzes: „Glaubensgewissheit und Toleranz gehen nicht zusammen.“ Das verweist Glaubensgewissheit in den Bereich der Intoleranz. Toleranz zersetzt demnach den religiösen Glauben. Darüber wird sich die EKD betroffen u. empört zeigen. Wenn man es dort läse. Überdies wäre das Urteil des Bürgers klar, denn „alle“ fordern von allen: „Ihr sollt tolerant sein!
    b) Liest man Ihren Text als Kommentar zum bremischen „Fall Latzel“, so enthält er eine mutige Positionierung, denn ich ordne Ihnen die Glaubensgewissheit zu, obwohl das textexegetisch n i c h t gewiss ist. In Bremen haben sich die Vertreter Ihrer Kirche, die „nicht die Sprache der Stillen im Lande“ sprechen, mit der Linkspartei gegen einen Ihrer Kollegen verbündet. Die Staatsanwaltschaft muss prüfen, ob Volksverhetzung vorliegen könnte. Und die Bürgerschaft hat am 18.2.15 die „Hasspredigt“ – hunderttausendfach im Internet abgerufen – verurteilt. Latzel hatte u.a. den Katholizismus wegen des Reliquienkultes kritisiert u. Buddha-Figürchen auf christlichen Kommoden als Götzendienst bezeichnet. Das wäre für die herrschende Meinung hinnehmbar gewesen, aber darüber hinaus hat er das Zuckerfest einen Blödsinn genannt u. sich gegen das gemeinsame Gebet von Christen u. Moslems gewandt. Schwerer Verstoß gegen das Gebot: Ihr sollt tolerant sein!?
    Wen das Thema interessiert, der sei auch an den satirischen Kommentar von H. Martenstein im TAGESSPIEGEL vom 17.2. verwiesen. (Köstlich!)

  15. Stephan Wohanka sagt:

    Im Blättchen wurde dazu aufgefordert, eine Petition zu unterzeichnen, in der gegen den zentralisierten Büchereinkauf für die ZLB und die Vernichtung von Beständen, die länger als zwei Jahre nicht ausgeliehen würden, protestiert wird.

    Nach allem, was zu lesen und zu hören ist, ist die Lage von den Initiatoren doch wohl etwas überzeichnet und dramatisiert worden! Von 70.000 Medien, die die ZLB jährlich erwirbt, sind 22.500 Pflichtexemplare. Von den restlichen 47.500 sollen in Zukunft etwa 24.000 über den Großhändler kommen – und zwar vor allem s.g. Standardware wie Ratgeber, Reiseführer, neue Romane, Handbücher. Blieben immer noch 23.500, die weiterhin eigenständig erworben würden und die ganz offensichtlich erst das eigentliche Profil der Bücherei ausmachen. Diese Praxis habe sich in vielen – auch großen – Bibliotheken in Deutschland bewährt.

    Auch was die Entsorgung von Medien angeht, sieht die Sache wohl so aus: Es bleiben weiterhin alle in Berlin erscheinenden Medien und alles, was sich um Berlin dreht, archiviert. Von allen anderen Medien bleiben Belegexemplare im Bestand und nicht entliehene Medien, die nicht unter die Archivierungspflicht fallen, werden überprüft und gegebenenfalls auch entsorgt; bei hoher Sorgfalt, was schwer zu beschaffende Literatur betrifft.

    Ich habe die Petition nicht unterzeichnet.

  16. Petra Abt sagt:

    Dieser Galgenliederreim Christian Morgensterns ist wohlbekannt:
    „Weil, so schließt er messerscharf,
    nicht sein kann, was nicht sein darf.“

    Was Erhard Cromes ehrenwert-solidarische Haltung zu den Vorstellungen Griechenlands vom Ausbrechen aus den dominanten Mustern politökonomischer Gegebenheiten in Europa und der Welt (abzüglich Nordkorea) betrifft, so ließe sich Morgenstern bei allem Bedauern über die obwaltenden Umstände vielleicht so adaptieren:
    Und, so kam er zu dem Schluss:
    es geht, weil es doch gehen muss.
    Betrachtet man das Geschehen in Athen dergestalt, ist einem auch die Koalition der dortigen Linksregierung mit Nationalisten plausibel.

    Nochmal Morgenstern:
    „Laß die Moleküle rasen,
    was sie auch zusammenknobeln!
    Laß das Tüfteln, laß das Hobeln,
    heilig halte die Ekstasen!“

    • Manne Murmelauge sagt:

      Im Rektum des Spätkapitalismus ist es schön warm, zumindest solange das Ungeheuer noch lebt.

  17. Franka Haustein sagt:

    US-Waffenlieferungen an Kiew / Ergänzung zum Beitrag von W. Schwarz in der aktuellen Ausgabe: Das ZDF-Magazin FRONTAL 21 informierte gestern Abend darüber, dass die US-Streitkräfte im März ein erstes Bataillon in die Ukraine schicken werden, um drei Bataillone des ukrainischen Innenministeriums auszubilden. Woran wohl? An veralteten ukrainischen Waffen?
    Während Kanzlerin Merkel um eine diplomatische Lösung ringt, schaffen die US-Falken Tatsachen – im Sinne einer militärischen Befeuerung des Krieges in der Ost-Ukraine. So der Tenor des ZDF-Beitrages.
    Der kann übrigens in der ZDF-Mediathek aufgerufen werden: http://frontal21.zdf.de/

  18. Stephan Wohanka sagt:

    Zu Wolfgang Bittner
    „Offensichtlich können wir … schreiben, was wir wollen – es hat kaum Auswirkungen“. Ja warum denn nicht? Weil es an Anmaßung grenzt, vom eigenen Schreiben zu erwarten, dass es stets „Auswirkungen“ habe. Denn das wiederum unterstellte, das „Richtige“ geschrieben zu haben, was quasi jedermann überzeugen müsse, um ihn zum kritiklosen, kreuzbraven follower zu machen. Ein uneinlösbarer, ja absurder Anspruch! „Verschleierung, Lügen, Hetze, Provokationen, Kriegsgefahr, regionale Krisen und Kriege“ sind es in der Wahrnehmung des einen Beobachters, in der eines zweiten sind es das gerade nicht oder sogar noch etwas Drittes.
    Es ist jedermann unbenommen, zu allem und jedem eine Meinung zu äußern, Gottseidank. Jedoch folgt daraus nicht, dass das, was gesagt oder geschrieben wird, von anderen zu akzeptieren ist. Um es zu belegen; Bittner schreibt: „Man kann gar nicht so viel Verschwörungsphantasie (meine Hervorhebung – St. W.) haben, wie die kriminellen Verschwörer der Geheimdienste und deren Agenturen an Verschwörungen realisieren. Zum Beispiel haben Wissenschaftler wie Uwe Krüger („Meinungsmacht“) und Daniele Ganser („Nato-Geheimarmeen in Europa“) recherchiert, … (weiter bei Bittner bis) … was gravierende Folgen für die europäische Politik und Medienberichterstattung hat“.
    Der Kommunikationswissenschaftler Christoph Neuberger wirft der Studie Krügers mangelnde Wissenschaftlichkeit vor: Nähe zu Institutionen werde ohne Grund und mit selektiver Auswahl geeigneter Zitate als Vereinnahmung interpretiert; Krüger betreibe so selbst „Meinungsmache“.
    Historiker, wie der Däne Peer Henrik Hansen, kritisieren Gansers Buch als wenig wissenschaftlich und teilweise verschwörungstheoretisch (sic!). Sein Umgang mit Sekundärquellen sei fragwürdig, er habe hauptsächlich Presseberichte und Politikeraussagen verwendet, ohne Desinformation auszuschließen und seine Methodik zu erläutern. Ähnlich sieht das Tobias Hof: Unkritisches sich Einlassen auf unzuverlässige Quellen wie Presse, Zeugenaussagen, umstrittene Untersuchungsberichte. Ein anderer Historiker, Gregor Schöllgen, urteilt, Ganser „überzeichnet grotesk“ auf spärlicher Quellenbasis das tatsächliche Ausmaß der Stay-behind-Aktivitäten. Während Ganser von „geheimen deutschen Nazi-Stay-behind-Armeen“ in Divisionsstärke ausgehe, sprächen andere für die 1960er Jahre von weniger als 100 hauptamtlichen BND-Mitarbeitern und etwa 500 Helfern. Und endlich urteilt Philipp Gessler, dass Ganser sich mit seiner These, Gladio stecke auch hinter dem Oktoberfestattentat von 1980, auf „dünnem Eis“ bewege.
    Nun behaupte ich nicht, diesen Kritiker zu glauben, jedoch ist die Strahlkraft beider Gewährsleute Bittners wohl so groß nicht wie unterstellt.
    Und ganz deutlich: Wieso kann es „inzwischen auch als erwiesen gelten, dass die Ukraine-Krise durch die USA und EU inszeniert wurde, um des Weiteren gegen Russland vorgehen zu können“? Ich (und andere) teilen diese Annahme so nicht. Nicht in dieser einseitigen Schuldzuweisung. Denkt nicht auch Putin in Einflusszonen? Und ist das nicht „altes Denken“? Sowohl westlicher als auch östlicherseits? Dass frühere Warschauer-Pakt-Staaten der Nato beigetreten sind, kann man als Umsetzung einer „grand strategy“ der USA respektive der NATO sehen, aber auch als stabilisierenden Faktor, der Staaten im politischen Umbruch einbindet und stützt. Und dass Russland sich provoziert fühlt, ist wohl so, aber dass Putins Handlungen für Menschen im Westen desgleichen ein Schock sind, ist wohl auch so. Und so weiter und so fort…
    Es geht mir nicht um ein „Sowohl-als-Auch“. Sondern ich wende mich gegen das Apodiktische in Bittners Text; dagegen, dass er den Eindruck erweckt, seine Behauptungen hätten die Qualität, dass deren Gegenteil oder auch nur eine abweichende Meinung nicht möglich wären, da ihr Beweisgrund allgemein anerkannte unumstößliche Gewissheiten seien. Derartige „Gewissheiten“ sind immer nur die des Autors, mehr nicht! Und sie sind so „Meinungsmache“ der besonderen Art.

    • Werner Richter sagt:

      Da haben Sie wohl etwas in den falschen Hals bekommen, Herr Wohanka. W. Bittner beklagt nicht die Unwirksamkeit jeglichen Schreibens und erhebt keine Forderung nach dem Gegenteil mit Wahrheitsanspruch. Er konstatiert und winkt ab, mehr nicht. Soweit meine Wahrnehmung. Die Vorwürfe wirken stark aufgesetzt. Edward Snowden, Julian Assange und Chelsea (Bradley) Manning äußerten mitnichten ihre Meinung, sondern stellten harte Fakten in den Raum. Denen kann man schlecht eine subjektive Wahrnehmung dazu überstülpen und hierein paßt das Argument einer „Meinungsäußerung“ schon gar nicht. Darauf bezieht sich jedoch der Autor. Es ist angesichts der Flut an Informationen aus unterschiedlichen Quellen enorm anstrengend, nicht die Orientierung zu verlieren; darin dürften wir alle übereinstimmen. Uns bleibt nur Marxens Credo: Alles immer wieder in Frage stellen, Erkenntnisse dauernd überprüfen. Panta rhei. Ihre Prüfung der Bücher von Uwe Krüger („Meinungsmacht“) und Daniele Ganser („Nato-Geheimarmeen in Europa“) an den Aussagen von Wissenschaftlern kann e i n Weg sein, darf aber nicht absolut werden. Somit würden denn die Autoren abqualifiziert werden, bevor eine Einordnung erfolgen kann. Wissenschaftler haben nämlich ein Problem, sie lassen nur gelten, was schwarz auf weiß zu fassen ist. Damit liegen sie zum nicht geringen Teil als „Opfer“ genau in Schußrichtung der aus Geheimen „Informierenden“ und werden auch unterstützender Teil strategischer Manipulationskampagnien. Verschwörungstheorie? Ja, wenn empirisch logische Schlüsse ohne Belege auskommen müssen, weil diese Belege geheim gehalten werden und der Konsument der gezielten Des-, weil Halbinformationen, nur das Veröffentlichte wahrnehmen soll, muß man, will man nicht unter die Räder kommen, meinetwegen auch Verschwörungstheorien nachgehen. Die Summe der Erkenntnisse, immer wieder geprüft, wird weitaus näher der Wahrheit kommen als die Summe der offiziellen Darstellungen, wegen der Wirkung der Halbwahrheiten. Spinnerei? Gestern abend wurde in „Zapp“ einmal am Fall der „Geisterschiffe“ der „Schlepperbanden“ im Mittelmeer die Manipulation öffentlich gemacht. Seltene Ausnahme. Diese Sendung kann ins Lehrbuch der Psychologischen Kriegsführung, es sind alle Schweinereien der permanenten Manipulation von den Thinktanks der wirklich Herrschenden über wissenschaftliche Einrichtungen, der Regierungen und Parlamente, der Justiz und nicht zuletzt der Medien sichtbar. Führe man sich dieses Beispiel vor Augen: http://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2015/Fuehrungsloses-Fluechtlingsschiff-Wie-Frontex-die-Wahrheit-verdreht-,schleuser164.html
      Das ist nichts für Feiglinge, die Abgründe, die sich da auftun, sind grauselig. Es scheint keine offizielle oder offiziöse Verlautbarung zu geben, die im Kern die Wahrheit abbildet. Warum zum Teufel gestehen wir den verantwortlichen Politikern und Gremien, bestimmten Wissenschaftseinrichtungen und –vertretern und Hauptmedien überhaupt noch ein Quantum an Seriosität zu?
      Und Glückwunsch, Herr Wohanka, für die Adelung der NATO als Stabilitätsfaktor. Mehr Zynismus geht wohl nicht mehr.

  19. Achim Höger sagt:

    Nö, Herr Wengierek, es war nicht Lutz Jahoda, der die Melniker Polka sang, sondern Richard Adam.

  20. wolfgangbr sagt:

    Fehlerhaftes im Netz…
    Manchmal funktioniert etwas nicht richtig, manchmal geht eine Nachricht zu schnell raus, ehe man die entsprechende Korrektur anbringen kann: Kai Ehlers ist Kai Ehlers! Ich habe tatsächlich beim Freischalten nur fehlerhaft geklickt – ich bitte um Nachsicht für die entstandenen Irritationen.
    Wolfgang Brauer

  21. Theosebeios sagt:

    Herrn Ehlers‘ FRAGEN AN DIE „KANZLERIN ALLER DEUTSCHEN“
    Ausgehend vom recht befremdlichen Lob für unsere Kanzlerin, in einem FAZ-Interview nicht beansprucht zu haben, „allwissend“ zu sein u. der vergleichbar merkwürdigen historischen Erinnerung, Wilhelm II. habe „zuletzt“ behauptet, „Kanzlerin aller Deutschen“ zu sein, stellt der Verf. „Fragen an Angela Merkel“. Dabei stimmt er ihr in manchen starken Behauptungen auf deklaratorische Weise zu: D a habe sie Recht (dass Terroranschläge bei uns „nicht völlig auszuschließen“ seien), und d a habe sie Recht (dass der Islam ein Teil Deutschlands sei) und d a habe sie wieder Recht (sich gegen „islamophobe Demagogie“ zu wenden) und auch d a r i n habe sie Recht, eine „intensivere Integrationspolitik“ zu fordern. Bei so viel Rechthaberei u. dem augenscheinlich engen Schulterschluss zwischen einer CDU-Kanzlerin u. dem Mitbegründer des (untergegangenen) Kommunistischen Arbeiterbundes in Sachen Islam, wird man unsicher, ob man diese Festigkeit des Volksvorurteils, wie Karl Marx Herrn Ehlers‘ Darstellung vielleicht bespötteln würde, ohne soziale Ausgrenzung in Frage stellen darf. Ich erlaube mir aber gleichwohl zu fragen:
    1.) Wo liegt nach Ihrer Auffassung die Scheidelinie zwischen „islamophober Demagogie“ (à la Ehlers / Merkel) u. zulässiger Islamkritik?
    2.) Wo verorten Sie – diesseits oder jenseits dieser Scheidelinie – „Charlie Hebdo“ u. „Pegida“?
    3.) Unterstellen Sie vielleicht auch – in Rückerinnerung an alte Zeiten – dem jungen Karl Marx „islamophobe Demagogie“ (man vgl. etwa die damals sicher zu Ihrer Pflichtlektüre gehörende ‚Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie‘: „Die Kritik der Religion enttäuscht den Menschen, damit er denke, handle, seine Wirklichkeit gestalte …“ [MEW 1, S. 379] Und diese Kritik kann recht derb ausfallen, denn, so Marx, sie ist auch „die Kritik im Handgemenge …“ [S. 381])
    Schließlich scheint Herr Ehlers Merkels Bekenntnis zum Islam – wenn ich das mal so salopp wiedergeben darf – doch nicht ganz ernst zu nehmen, ja, die Aufforderung, verdächtige Vorgänge in Moscheen zu melden, sei gar die Aufforderung zur Denunziation. Lieber Herr Ehlers, in welcher Welt leben Sie denn? Meinen Sie wirklich, Sie könnten in die tribalistisch-familiären Strukturen sich radikalisierender Mohammedaner anders als mit Denunziation u. geheimdienstlichen Methoden eindringen? Haben Sie denn, bevor Sie mit lockerem Wurf „islamophobe Demagogie“ behaupten, einmal einige der letzten herausragenden Terroranschläge studiert? Zum französischen Fall Merah gibt es immerhin (mindestens) vier Bücher! Zu unserem „Frankfurter“ Arid Uka allerdings kein einziges, nicht einmal einen wissenschaftlichen Aufsatz, nur das seichte Geschwätz in der Presse – nicht unbedingt die Schuld der Wissenschaft. Man muss sich eben an das Ausland halten. Das BKA hat das gesamte erhobene Datenmaterial zum Fall Uka „nach abgeschlossener Auswertung“ vernichtet. Und natürlich hat kein investigativer journalistischer Hahn danach gekräht. Aber … ach … verzeihen Sie … ich habe mich verrannt. Denn natürlich haben diese Terroranschläge nichts mit dem Islam zu tun. Und wenn ausnahmsweise doch, dann ist sicher die „imperiale Expansion Deutschlands“ (Ehlers) daran schuld. Die bekämpft dann u.a. die Leipziger Antifa durch gefährliche Eingriffe in den öffentlichen Bahnverkehr – von der Presse nachsichtig wie ein Kavaliersdelikt behandelt.
    Um nicht missverstanden zu werden, Herr Ehlers, auch ich mag keine Denunziation. Allerdings ist sie doch schon lange gängige Praxis im bekannten „Kampf gegen Rechts“. Das wissen Sie doch sicher. Landeskriminalämter haben z.B. Hotlines geschaltet, über die Sie anonym u. ohne Erstattung einer Anzeige dem geneigten polizeilichen Ohr Ihren Mutmaßungen freien Lauf lassen können. Nach diesem Muster versucht man nun, der zunehmenden islamistischen Plage Herr zu werden. Natürlich ist dies auch mit einer beträchtlichen Personalaufstockung verbunden.

    • Kai Ehlers sagt:

      Sehr geehrter Theosebeios, alias Unbekannt.

      In der Regel beantworte ich anonyme Zuschriften und Kommentare gar nicht. Da sie mich nun aber auch noch direkt über meine Website anschreiben, will ich Ihnen nicht verschweigen, warum ich speziell auf Ihren Kommentar nicht geantwortet habe:
      Ihr Schreiben ist ganz offensichtlich nicht auf Klärung offener sachlicher oder politischer Fragen gerichtet, sondern auf eine höchst eitle Selbstdarstellung bzgl. Ihrer Fähigkeiten zu hämischen und unsachlichen Formulierungen, auf die einzugehen schlichtweg keinen Sinn macht. (z. B. „Schulterschluß zwischen CDU Kanzlerin u. dem Mitbegründer des (untergegangenen) Kommunistischen Arbeiterbundes in Sachen Islam“, “ ‚islamophobe Demagogie‘ (à la Ehlers /Merkel)“). Da tut es einem doch um jeden Buchstaben leid, den man auf die Zeilen quälen müsste, um solchem Unsinn entgegen zu treten.
      Im Übrigen wüßte ich nicht, wo ich selbst „islamophobe Demagogie“ behauptet hätte…
      Was schließlich die „Denunziation“ betrifft, so haben Sie sicher recht, daß es so etwa schon lange gibt in dem von Ihnen zitierten „bekannten ‚Kampf gegen Rechts‘ „. Es scheint, daß sie diese Tatsache besonders berührt. Das ist dann aber wohl Ihr Problem – und hat mit meinem Text nichts zu tun.

      Seien Sie trotzdem gegrüßt,
      vielleicht schaffen Sie ja einen nächsten Kommentar ohne dergleichen sinnlose Verrenkungen.
      Kai Ehlers

  22. Birgitte Nyborg sagt:

    14„Wer hat uns verraten? / Sozialdemokraten!“
    Manche wollen’s ja immer noch ´nicht glauben oder polemisieren gar dagegen.
    Aber der jüngste KUCKUCK (v. 5. Februar) bringt’s mal wieder an den Tag:
    http://kuckuckuck.tumblr.com/

  23. Franka Haustein sagt:

    Deutsche Wirtschaft wirbt in Moskau für gemeinsamen europäischen Wirtschaftsraum (Teil II)

    Eine Belebung der Wirtschaftsbeziehungen benötigt aber die sofortige Einstellung der Kampfhandlungen in der Ukraine. Dann kann eine Freihandelszone Lissabon-Wladiwostok wie ein großes Konjunkturprogramm für alle
    Cordes und Seele sprachen sich in Moskau für eine schnelle Befriedung des Ukraine-Konflikts aus. „Dieser Konflikt schadet wirtschaftlich allen Beteiligten massiv. Ohne einen Waffenstillstand und die Umsetzung des Minsk-Abkommens, zu dem sich ja alle Seiten bekannt haben, wird sich die wirtschaftliche Lage weiter verdüstern“, so Cordes. „Wir dürfen hier keine Zeit mehr verlieren.“
    Kritisch sehen die deutschen Unternehmen im Russland-Geschäft die Wirtschaftssanktionen: 42 Prozent der Befragten halten Wirtschaftssanktionen grundsätzlich für ein ungeeignetes Mittel, um politische Konflikte zu lösen. 34 Prozent lehnen Wirtschaftssanktionen zumindest zum jetzigen Zeitpunkt ab. Nur 24 Prozent halten die EU-Wirtschaftssanktionen als Reaktion auf das russische Vorgehen in der Ukraine für angemessen.
    „Die wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland müssen von der deutschen Wirtschaft umgesetzt werden. Daran halten wir uns“, sagte Cordes: „Wir betonen als Ost-Ausschuss aber gerade in Deutschland immer wieder, dass gegenseitige Sanktionen die Probleme nicht lösen, sondern dass beide Seiten dadurch nur verlieren können. Immerhin hat die EU deutlich gemacht, dass sie dazu bereit ist, die Wirtschaftssanktionen gegen Russland schnell abzubauen. Positive Signale aus Moskau, auch auf den Vorschlag eines gemeinsamen Wirtschaftsraums, wären dazu sehr hilfreich.“
    Der Wirtschaftsabschwung in Russland und die Sanktionsspirale beeinträchtigen die Geschäftslage der deutschen Firmen in Russland spürbar. Dies hat Folgen für die Einstellungs- und Investitionsbereitschaft: Nur noch ein Zehntel der Befragten will die Zahl ihrer Mitarbeiter ausbauen, dagegen planen 30 Prozent, ihr Personal zu reduzieren. Fast drei Viertel der befragten Unternehmen wollen in den nächsten zwölf Monaten keine Investitionen in Russland tätigen, gleichzeitig wurden aufgrund der Krise Investitionen in dreistelliger Millionenhöhe zurückgestellt.
    Für die aktuellen wirtschaftlichen Probleme Russlands machen die Unternehmer vor allem den Ölpreisverfall und die westlichen Sanktionen verantwortlich. Daneben werden aber auch hausgemachte Ursachen identifiziert, wie mangelnde Strukturreformen und die fehlende Diversifizierung der Wirtschaft. Die deutschen Unternehmen, die auf dem russischen Markt aktiv sind, sehen daher anhaltend hohen Reformbedarf in fast allen Bereichen des unternehmerischen Umfelds: Bürokratischer Aufwand und Korruption werden von ihnen weiterhin als größte Hindernisse wahrgenommen. Deutlich zugenommen haben offenbar protektionistische Hemmnisse, denn der Reformbedarf in diesem Bereich ist nach Ansicht der Unternehmen größer geworden. „Wir blicken mit Sorge auf die Zunahme des staatlichen Protektionismus. Diese Entwicklung konterkariert die eigentlich guten Erfolge bei der Verbesserung des Investitionsklimas, die im Ranking der Weltbank „Ease of doing business“ deutlich abzulesen sind, in dem Russland sich auf den 62 Platz verbessert hat“, fasst Seele die Stimmung der Unternehmen zusammen.
    Als Vorteile des russischen Marktes werden wie im Vorjahr die Konsumnachfrage, die Wachstums- und Gewinnchancen und die als gering betrachtete Steuerlast an erster Stelle genannt. Dabei erwarten die befragten Unternehmen erstmals in der Land- und Ernährungswirtschaft das stärkste Wachstum für die kommenden Jahre. Möglicherweise spielen hier die russischen Sanktionen im Agrarsektor eine Rolle, die nach dem Willen der russischen Regierung auch der Entwicklung des heimischen Sektors dienen sollen.
    Die vollständigen Umfrageergebnisse finden Sie im Internet unter:
    http://www.ost-ausschuss.de und http://www.russland.ahk.de.

  24. Franka Haustein sagt:

    Deutsche Wirtschaft wirbt in Moskau für gemeinsamen europäischen Wirtschaftsraum (Teil I)

    Der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft und die Deutsch-Russische Auslandshandelskammer haben im Januar 2015 zum zwölften Mal ihre jährliche Umfrage zum Geschäftsklima in Russland unter ihren Mitgliedsunternehmen durchgeführt. Schwerpunkte waren die Investitionsbedingungen vor Ort, die aktuellen Geschäftseinschätzungen der Unternehmen und deren Erwartungen an die zukünftige russische Wirtschaftspolitik, aber auch die Folgen des Ukraine-Konflikts und des wirtschaftlichen Abschwungs in Russland. 156 Unternehmen haben sich zu den Fragen geäußert, deutlich mehr als im Vorjahr. Diese setzen rund 19 Milliarden Euro in der Russischen Föderation um und beschäftigen dort 71.000 Mitarbeiter.

    Eine klare Mehrheit der deutschen im Russland-Geschäft aktiven Unternehmen wünscht sich Verhandlungen über einen gemeinsamen Wirtschaftsraum zwischen der Europäischen Union (EU) und der Eurasischen Wirtschaftsunion als wichtigen Schritt zur Lösung des Ukraine-Konflikts. Dies ist ein Ergebnis der gemeinsamen Geschäftsklima-Umfrage des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft und der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer (AHK), die der Präsident der AHK Rainer Seele und der Ost-Ausschuss-Vorsitzende Eckhard Cordes heute in Moskau vorstellten. Mehr als drei Viertel der 156 befragten Unternehmen würden die Ukraine demnach gern als Teil eines gemeinsamen Wirtschaftsraums der EU mit der Eurasischen Wirtschaftsunion sehen.
    „Die wirtschaftliche Spaltung Europas in zwei Blöcke wäre ein riesiger Fehler. Welche Folgen dies hat, sehen wir an dem furchtbaren Tauziehen, das um die Ukraine eingesetzt hat. Diesen Irrweg müssen wir beenden und über einen gemeinsamen Wirtschaftsraum in Europa sprechen, zu dem die EU, Russland und die Ukraine gehören können“, sagte Cordes auf der Pressekonferenz. „Wir sind sehr froh, dass Bundeskanzlerin Merkel, Wirtschaftsminister Gabriel und die EU-Außenbeauftragte Mogherini für direkte Gespräche zwischen der EU und der Eurasischen Union eintreten und hoffen auf eine positive Reaktion der russischen Regierung.“ Cordes erinnerte daran, dass Russland und die EU bereits 2003 ein Konzept für einen gemeinsamen Wirtschaftsraum präsentiert hatten, dann aber nicht mehr weiterverfolgten. „Wir brauchen hier einen Neustart“, so der Ost-Ausschuss-Vorsitzende.
    Wie stark der Ukraine-Konflikt das Russland-Geschäft der deutschen Unternehmen beeinträchtigt, zeigen die Umfrageergebnisse: Auf mehr als drei Viertel der befragten Unternehmen wirkt sich der Konflikt negativ oder sogar stark negativ aus. 91 Prozent der Unternehmen erwarten, dass sich die russische Wirtschaft 2015 negativ entwickeln wird. Das ist in der zehnjährigen Historie der Umfrage ein Tiefstwert. „Russland steckt in einer Rezession, die direkte Auswirkungen auf die russische Bevölkerung, die russische Wirtschaft und nahezu alle ausländischen Unternehmen hat. Eine schnelle Lösung wird es nicht geben“, so Rainer Seele. „Aber, Russland ist nach wie vor der größte Handelspartner Deutschlands in der Region, und die deutsche Wirtschaft hält an dem Land fest. 6.000 deutsche Firmen im Markt bestätigen das. Das ist ein deutliches Zeichen. Auch in Richtung Politik, alles zu unternehmen, um schnellstmöglich wieder miteinander ins Gespräch zu kommen und nachhaltige Lösungen zu finden.“
    Die Einschätzungen der Unternehmen spiegeln sich in der Entwicklung des deutsch-russischen Handels wider: Die deutschen Ausfuhren nach Russland sind 2014 nach aktuellem Stand um rund 18 Prozent oder umgerechnet über sechs Milliarden Euro zurückgegangen. Die russische Krise zieht zudem Zentralasien und viele Länder in Osteuropa, einschließlich der Ukraine, in Mitleidenschaft. Die deutschen Exporte in die GUS-Staaten insgesamt sind im Vorjahr um etwa 18 Prozent eingebrochen. Das zeigt, wie dramatisch die Krise für die ganze Region ist.

  25. HP Kurz sagt:

    Liebe Frau Haustein,
    Väterchens Sippenhaft-Profis hätten ihre helle Freude an Ihrem unbestechlichen Urteil gehabt.
    Hans-Peter Kurz

  26. Lieber Sarcasticus – wenn das keine Erfolgsmeldungen sind, dann weiß ich auch nicht. Um den Weltfrieden muss uns jedenfalls nicht bange werden. Zumal unser Friedenstäubchen Ursula von der Leyen nun unseren Soldatinnen und Soldaten auch mehr Freizeit schenken möchte und sie in Teilzeit schicken will. So bekommt der Begriff Friedensarmee eine völlig neue Bedeutung. Schwerter zu Pflugscharen.

  27. Stephan Wohanka sagt:

    Zu Ulrich Buschs Überlegungen zur aktuellen Lage des/der Euro(zone) ist noch eine anzufügen: Ohne die „maroden“ Südländer der Eurozone mit Griechenland an der Spitze würde bei deren Ausscheiden aus dem Euroverbund der dann entstehende „Nordeuro“ eine Hartwährung werden – mit Folgen namentlich für Deutschland als gewichtiger Exportnation. Einen analogen Effekt hätte auch eine „Rückkehr zur DM“ – gefordert an so manchem Stammtisch und nicht nur dort….
    Folgen für Deutschland: Der gegenwärtig relativ „weiche“ Euro ist ein Grund dafür, dass laut Ifo-Instituts München unser Land einen Überschuss in der Leistungsbilanz 2014 von 285 Milliarden Dollar erwirtschaftete; und das weit vor China (150 Milliarden Dollar) und dem Ölexporteur Saudi-Arabien (100 Milliarden). Deutschlands Überschuss entspricht 7,5 Prozent der Wirtschaftsleistung. Damit wäre es dann vorbei; Arbeitsplätze gingen hierzulande verloren.
    Da die EU-Kommission Werte von dauerhaft mehr als sechs Prozent im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt – und das ist im Falle Deutschlands gegeben – als international stabilitätsgefährdend einstuft, steht das Land angesichts seiner starken Exportstärke immer wieder am Pranger. Auch das US-Finanzministerium sieht in den Überschüssen ein Risiko für die weltweite Finanzstabilität, da Länder mit hohen Überschüssen solchen gegenüber stünden, die ihre Importe über Schulden finanzierten. Die Kritiker empfehlen, mehr in Deutschland zu investieren und so die binnenländische Nachfrage zu stärken.
    Hierzulande stoßen diese Vorhaltungen gegenüber den deutschen Leistungsbilanz- und Exportüberschüssen natürlich auf Unverständnis. Als vermeintlichem ökonomischen Musterknaben Europas erscheint die Einmischung der EU unangemessen. Reflexhaft wird der Vorwurf erhoben, die Brüsseler Behörde wolle die deutschen Ausfuhren begrenzen und gehe mit planwirtschaftlichen Methoden gegen die deutsche Exportstärke vor. Die wirtschaftspolitische Wahrheit liegt wohl irgendwo in der Mitte.

    Zu etwas Anderem: Es ist jetzt ja wohl Mode in Blogs und Foren, mit Invektiven – je toller desto besser – um sich zu werfen. Bernhard Romeike bringt es mit dem „bigotten Militärpfaffen im Bellevue“ jedenfalls zu einiger Meisterschaft in dem Metier. Man kann, ja muss von Gauck halten, was man will, aber diese Charakteristik ist wohlfeil, intellektuell armselig, eben aktuelles „Bloggerniveau“.

    • Bernhard Romeike sagt:

      Werter Herr, so ist das mit der Gesellung: man verteidigt den, dem man sich nahe fühlt.

  28. Britta Kammer sagt:

    Ich finde, es wäre fatal, wenn der kulturelle Querbeetbesteller Wengierek mit seinem Hinweis auf sein Jubiläum im Blättchen allein bliebe: Ich jedenfalls finde seine in schöner Regelmäßigkeit hier vorzufindenden Beiträge als eine große Bereicherung des Blättchens, zumal Herr Wengierek damit ein längerzeitiges Defizit hinsichtlich der Theaterthematik auf so kenntnisreiche wie wunderbar lesbare Weise beseitigt hat.
    In schöner Erwartung auf die nächsten 50 Queerbeete,
    Britta Kammer

  29. Werner Richter sagt:

    Sind wir wieder im „Kalten (Propaganda)Krieg“ angelangt? Am Sonntag, dem 01.02.2015 zu bester Sendezeit nach 23:30, auch das wohl symptomatisch, brachte die Reihe ZDF-History, das aufgepäppelte Kretin unseres geschätzten Guido Knopp, warum auch immer einen Beitrag zu den Irrtümern der Forensik. Der Beitrag ist in der ZDF-Mediathek nachzuschauen, aber Vorsicht, z. Z. sind Würmer um die Player-Software am Nagen. Nach einem Einleitungsbeispiel, kann so eingeordnet werden, über die falschen Wertungen der Daktyloskopie im England der 80-er Jahre wurde unerwartet, jedenfalls ist in der Darstellung des Falles bisher nichts Ähnliches aufgefallen, der Fall Litwinenko eingespült. Es sei erinnert: Litwinenko war in London als Überläufer aus Putins Diensten in den Dunstkreis von Beresowksy, des sauberen Multimilliardärs, ist ja ordentlich verdientes Geld, und „Putinkritikers“, so war er interessant und sauber zu waschen, aufgetaucht. Er durchlief die Medien, ausführlich kolportiert in ARD und ZDF, als potenter Insider der Machenschaften Putins und Gefahr für ihn. Plötzlich erkrankte Litwinenko, man kam als Voyeur am Dahinsiechen des Mannes voll auf seine Kosten, und es wurde das berüchtigte, aber seltene, weil teure Polonium als Krankheitsursache verifiziert. Seit dem war unerschütterlich klar, über das Polonium verfügte nur Putin, der seinen gefährlichen Gegner, wenn er denn tatsächlich einer war, denn auch das steht in den Sternen, beseitigen mußte und wollte. Jetzt, erst jetzt, hub ZDF-History an, offensichtlich von Anfang an bestehende Zweifel von Experten an dieser Auslegung von zu Recht gefeilten Fakten gnädig zu zulassen. Warum sollte Putin den Bauern beseitigen, wenn auch gleiches mit König Beresowksy hätte gemacht werden können? Das riecht sehr streng nach Geheimdienstaktion, hier wurde vielleicht ein unsicherer Patron eliminiert und Putin untergejubelt. Diese Variante hat größere Wahrscheinlichkeit als die propagierte. Läuft aktuell die Fortsetzung dieser Aktion? Erlebten wir gerade die Tatortreinigung des ZDF mit dem Reinigungsmittel „Unzulänglichkeiten der Forensik“? In der ARD kann man ebenfalls den Wechsel der Sendung „Zapp“ zu gleicher Funktion miterleben, die Wandlung von einem medienkritischen Magazin zu einem kritikabwehrenden, tatortbereinigenden Instrument. Schade darum, liebe kluge und bisher um Korrektheit bemühte Damen Inka Schneider und Anja Reschke. Warum wundert Sie der Vorwurf „Lügenpresse“?
    Nein, liebe öffentlich-rechtliche Journalisten, Ihr seid nicht frei, wie immer trotzig beteuert. Ihr spürt nur nicht die Euch verpaßte Brille, die Euch die Gitterstäbe nicht sehen läßt.
    Knopp kann sich beruhigt zurück lehnen, auch wenn er gern weitergemacht hätte, hat er doch fähige Nachfolger gefunden. Naja, ganz haben sie seine Routine noch nicht, das wird aber werden. Wetten daß?

    • Theosebeios sagt:

      Herr Richter, „Chapeau“ für diesen fulminanten Kommentar! (Warum liest man so etwas nicht in der … äh … FAZ? Ach … deswegen.)

    • Werner Richter sagt:

      Hallo Theo, jetzt schwant mir, wie eine steigende Zahl von Followern sich anfühlt. Muß mal nachschauen, ach ja, dort bin ich ja gar nicht und FAZ kenne ich nur vom Hörensagen. Nur, wer oder was ist denn „…äh…“?

  30. Birgitte Nyborg sagt:

    Um bodenlos impertinentes dummes Zeug zu lesen, muss man hierzulande längst nicht mehr zu BILD greifen. DIE ZEIT genügt völlig, z. B.: http://www.zeit.de/politik/ausland/2015-01/griechenland-russland-europa-gefahr?
    Wenn RT Deutsch aus Moskau dazu Stellung nimmt (http://www.rtdeutsch.com/10653/meinung/das-hat-uns-gerade-noch-gefehlt-die-zeit-als-trojaner-der-atlantikbruecke/), dann mag man das als Propaganda abtun. Aber das muss ja nicht heißen, dass jedes Argument falsch ist …
    Und im Übrigen: Etwas anderes als Propaganda war der ZEIT-Beitrag ja auch nicht.

  31. Korff sagt:

    Manne Murmelauge verdanken wir ein in der Analyse gewiß zutreffendes Urteil, freilich mit der fatalen Auswirkung, dass seither vielsagende Stille im „Forum“ herrscht …
    Aus gegebenem Anlaß möchte ich mit einem Zitat unterbrechen:
    „Beide Teile müssen dem vereinigten Deutschland beitreten.“
    Es gibt – gab – schon Bundespräsidenten, derer man sich nicht nur ob ihrer Fehlurteile erinnern wird – in Deutschland und um Deutschland herum.
    Richard v. Weizsäcker war und bleibt so einer.

    • Franka Haustein sagt:

      De mortuis nil nisi bene, lieber Korff? In der Verkürzung liegt häufig schon der Beginn der Verklärung. Daher zwei weitere Episoden aus dem Leben des Verstrorbenen, die ihn natürlich auch nicht vollständiger oder gar vollständig charakterisieren. Weizsäckers Vater war SS-Brigadeführer (das war der niedrigste Generalsrang bei der SS) und Staassekretär, in Nürnberg wegen aktiver Beteiligung an der Deportation französischer Juden nach Auschwitz angeklagt und zu 7, später 5 Jahren verurteilt; ein Mitarbeiter seiner Verteidigung war Sohn Richard. Als der später in leitender Funktion bei Boeringer beschäftigt war, will er erst Jahre danach erfahren haben, dass das Unternehmen Ausgangsprodukte für AGENT ORANGE an Dow Chemical lieferte; diese Aussage ist immer angezweifelt worden …

    • Bernhard Romeike sagt:

      Liebe Dame, Sie werden doch aber zugeben, dass im Vergleich zu Lübke, Köhler, Wulff und dem jetzigen bigotten Militärpfaffen im Bellevue Richard von Weizsäcker eine Lichtgestalt unter den Bundespräsidenten der BRD war?

    • Franka Haustein sagt:

      Aber gewiss doch, mein Herr. Nur beantwortet das noch nicht die Frage, ob die Lichtgestalt nicht zum Teil auch deswegen so herausticht, weil die Finsternis drumherum eben gar so dunkel war und ist. Denn dass man Weizsäcker die eine Rede von 1985 so zum Verdienst anrechnet, wie es auch jetzt wieder geschieht, das dient doch damals wie heute nicht zuletzt der Kaschierung der Schande, die die politische Klasse des Landes auf sich geladen hatte, indem sie sich 40 Jahre weigerte, den 8. Mai als Tag der Befreiung, wenn schon nicht zu begreifen, so doch wenigstens anzuerkennen und damit immer während Brecht bestätigte: Der Schoß ist fruchtbar noch, / aus dem das kroch …

    • Korff sagt:

      Ihre zweite Einlassung, Franka Haustein, beschreibt das Dilemma Deutschlands, dieses „schwierigen Vaterlandes“, sachlich zutreffend.
      Ein Kollege von mir berichtete Mitte der 60-er Jahre, wie er mit Herausgebern und Chefredakteuren namhafter Hamburger Zeitungen und Zeitschriften über Kopien zum Vorleben des seinerzeitigen Bundespräsidenten Lübke brütete und – zwar undiplomatisch, aber entschuldbar, weil genervt – ausrief: „Habt Ihr denn keinen Politiker mit unangreifbarer antifaschistischer Vita für diesen Posten, den man zudem unbesorgt ob seiner Rederei in der Welt herumreisen lassen kann“? Antwort eines dortigen Chefredakteurs, Jahrgang 1929: „Bring einen.“ Tage später telefonierte mein Kollege mit ihm. „Hab’ ich: 1914 in Dortmund-Scharnhorst geboren, Auschwitz-Häftling Nummer 58866; von den SS-Wärtern ‚Judenkönig‘ genannt.“ Und: „Kann was.“
      Kurt Julius Goldstein, der in der DDR zwar keinen Antifaschismus verordnete, aber von dieser Basis aus auch Ehrenvorsitzender des Internationalen Auschwitz-Komitees war, international gewählt. In der Bundesrepublik Deutschland, zu welcher Zeit auch immer, hatte und hat „so Jemand“ keine Chance für hohe Ämter.
      Zufall oder Zustand der Gesellschaft? Soviel Zufall gibt’s nicht.
      In Ihrer ersten Reaktion, Franka Haustein, haben Sie in Ergänzung zu meiner Mitteilung auch auf Familie und sonstige Betätigung des verstorbenen Präsidenten hingewiesen; war mir nicht ganz neu.
      Nur der Ordnung halber: Richard von Weizsäcker war „Geschäftsführender Gesellschafter“ von Boehringer, nicht irgendeiner. Und seine Einheit kam bis kurz vor Moskau, war zeitweilig auch im besetzten Hinterland tätig. Und das Urteil zu seinem Vater hat er auch nach seiner Rede von 1985 nicht akzeptiert.
      Und dennoch: Wäre es nicht angenehm, von seinem gegenwärtigen Nachfolger auch ohne Seitenhiebe mal ähnliches zu hören, wie in dem Zitat als Aufgabe und Funktion deutscher Einheit gefordert?
      Was familiäre „Verstrickungen“ anlangt – im Rahmen ihrer sozialen Gegebenheiten haben seine Eltern samt Onkel ihrerseits alles Mögliche getan, solche wegzubügeln – bis hin zum Aufbau einer publikumswirksamen familiären Opferrolle. Ach so – seine Erziehung auch! Und das Ergebnis? „Die einen sagen so, die anderen so“.

  32. Theosebeios sagt:

    SPRACHE BEHERRSCHEN ……

    Es ist schade, dass Artikel u. Kommentare hier so schnell untergehen. Das animiert Autoren, die auf Zugriffszahlen u. Wahrnehmbarkeit Wert legen, nicht, einen Beitrag einzureichen. Frage an die Redaktion: Haben Sie sich schon mal auf dem amerikanischen Internetmarkt umgesehen u. Alternativen geprüft?
    Bevor Herrn Weinholz‘ interessanter Essay ‚verschwindet‘, hier ein paar Anmerkungen:

    Da Sie „rücksichtslos“ als „Lieblingswort der Nazis“ erwähnen u. Rosa Luxemburgs „Menschenmaterial“ kritisieren, so wäre darauf hinzuweisen, dass die polnische Sozialdemokratin „rücksichtslos“ ebenfalls nicht verschmähte u. etwa in dem Aufsatz „Zur russischen Revolution“ ggf. „in rücksichtlosester Weise“ Diktatur auszuüben beschwor (Quelle zzt. nicht zur Hand). Hier finden Sie sogar den von Nationalsozialisten gerne benutzten Superlativ wieder! Aber ich möchte ‚unsere Rosa‘ doch ein wenig in Schutz nehmen. Sie sagt klar, was sie will, bei unseren zeitgenössischen ‚Diskursherrschern‘ bin ich mir da nicht sicher.

    Überdies: Hat nicht sogar das personifizierte Über-Ich unserer Fortschrittsgeister, Sigmund Freud, von „Objekten“ gesprochen u. Menschen gemeint?

    Bei den heutigen sprachlichen Euphemisierungstendenzen, deren Kehrseite die pejorative Ausgrenzung der Andersdenkenden ist, sollten wir uns stets daran erinnern, dass eine klare Sprache nicht immer eine rücksichtsvolle sein muss. Papst Franziskus scheint das zu wissen. Unter anderen Umständen riefe sein Karnickel-Vergleich wütende Gutmenschen auf den Plan. Oder — ist die Staatsanwaltschaft evtl. bereits mit Vorermittlungen befasst?

    • Manne Murmelauge sagt:

      Bei manchen Kommentaren ist es segensreich, wenn sie bald dem Vergessen anheimfallen.

    • Erhard Weinholz sagt:

      Danke für den Hinweis. Anscheinend hat man sich früher noch leichteren Herzens zu seinen Rücksichtslosigkeiten bekannt als heute, was immerhin für einen gewissen Wandel des Bewußtseins spricht. Im übrigen staune ich über den von Ihnen zitierten Luxemburgschen Superlativ: Weniger als keine Rücksichten kann man ja wohl nicht nehmen.

  33. Stephan Wohanka sagt:

    Lieber Herr Richter,
    ich halte im Gegensatz zu Ihnen die „Konzeption der Feierlichkeiten“ nicht für „recht befremdlich“. Zum 70. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz sollte „der Befreiungsakt“ – also die entsprechende militärische Operation – zwar nicht völlig „in den Hintergrund treten“ (was wohl auch nicht passieren wird), jedoch sollte in der Tat „vorrangig das Schicksal der Ermordeten“ und – noch wichtiger – der Befreiten im Mittelpunkt stehen. Warum? Die Befreiung von Konzentrationslagern war in der Regel keine militärisch bedeutsame Operation; die SS-Schergen waren in der Regel (schon) geflohen und hatten die in den Lagern noch ausharrenden Häftlinge ihrem Schicksal überlassen. Insofern sollten diese Überlebenden, von denen es bekanntlich immer weniger gibt, durchaus im Fokus des diesjährigen Erinnerns stehen!
    Um nicht falsch verstanden zu werden – um die, wie gesagt, militärisch und für den (weiteren) Kriegsverlauf wenig wichtige „Eroberung“ von Konzentrationslagern überhaupt möglich zu machen, waren vorher (und auch noch danach) gewaltige kriegerische Anstrengungen notwendig, waren die blutigen Siege der Roten Armee bei Stalingrad, Kursk usw. unabdingbare Vorrausetzung. Und dass diese Armee die Hauptlast bei der Niederwerfung des deutschen Faschismus getragen hat, steht ebenso wenig außer Frage, ist aber ein anderes Kapitel.

    Stephan Wohanka

  34. Webstrolch sagt:

    Lieber Herr Romeiken, ach bitte…
    Wenn es zu der besagten Veranstaltung keine personengebundenen Einladungen gegeben hat und sich Russland für die Entsendung eines Botschafters entschlossen hat, dann ist dies nun mal Russlands Angelegenheit. Und wenn Deutschland seinen obersten politischen Repräsentanten schickt, dann muss dies – solang Gauck dort Schuld und nachwirkende Verantwortung Deutschlands daran bekennt und bekräftigt, was in Auschwitz (und anderswo) „in deutschem Namen“ geschehen ist – alles andere als inakzeptabel sein.
    Wollen Sie nicht wenigstens Gaucks Auftritt dort abwarten?
    Dass dieser Wunsch nach dem Verzicht auf ideologische Vorurteile kein Verzicht auf Anerkennung der Tatsache ist, dass die Geschichte des Zweiten Weltkrieges und vor allem dessen Sieger bei diversen Gelegenheiten zu revidieren versucht wird (nicht nur in D.), steht jedenfalls meinerseits nicht in Frage.

  35. Bernhard Romeike sagt:

    Der von Götz Aly kritisierte Vorgang passt ins Bild. Der ukrainische Regierungschef spricht am 7. Januar 2015 in Berlin über den 2. Weltkrieg und redet von einer „sowjetischen Invasion der Ukraine und Deutschlands“. Zum Tag der Befreiung von Auschwitz soll der deutsche Präsident reden, dessen Eltern überzeugte Nazis waren, aber kein russischer Präsident. Zum 9. Mai 2015 hat das Kommando des Heeres nach Berlin zu einem rauschenden Heeresball geladen. Damit ist dann andgültig klar, wer den Krieg gewonnen hat.

  36. Webstrolch sagt:

    Danke, Herr Wohanka, für diese notwendige Korrektur bzw. Präzisierung der Umstände um die Auschwitz-Feier. Das repräsentative Ungleichgewicht bei diesem Ereignis, wenn man an Gaucks – nicht zu kritisierende! – Teilnahme denkt und an die diesbezügliche Zurückhaltung der russischen Seite, ist danach offenbar wohl letzterer geschuldet.

  37. wolfgangbr sagt:

    Verehrter Herr Theosebeios,
    Ihr Engagement für publizistisches Augenmaß in Ehren: Aber wer entscheidet, was „Petitessen“ sind? Wenn es denn nur um Seifenschaum ginge: Immerhin führte die skurrile Aldi-Entscheidung dazu, dass zumindest in Teilen der Netz-Community – es ist durchaus lehrreich, sich gelegentlich darin zu tummeln… – das Stammtisch-Urteil über DEN Islam und seine „Verbohrtheiten“ eine vielfache Bestätigung fand. Soviel zum Thema „falsche Meinungsbildung“. Wer entscheidet eigentlich, was eine „richtige Meinungsbildung“ ist? Ich würde mir das nicht zutrauen.

    • Theosebeios sagt:

      „Engagement für publizistisches Augenmaß“ …. Köstliche Interpretation meines Kommentars!

      Übrigens: Wie kommen Sie darauf, dass es sich um ein „Stammtisch-Urteil“ (ich nehme an, das ist negativ gemeint) handelt? Warum „Verbohrheiten“ in Anführungszeichen? (Gibt es die etwa nicht u. wäre die Beschwerde über Aldi nicht eine solche?)

      Die Aldi-Entscheidung ist Ihrer Meinung nach „skurril“ (= drollig). Soweit mir die Geschäftswelt durch meine Söhne bekannt ist, sind solche Entscheidungen zweckrational. Der Bezugskommentar suggeriert — „Aldi Süd reagierte nach weniger (als) einer Stunde“ –, dass das Management wohl nicht lange nachgedacht habe. Mit Sicherheit ein Fehlschluss, schließlich geht es um Reaktionsmuster, an denen intern lange gefeilt wird. Hier entscheidet doch nicht jeder Filialleiter nach Gusto! Hinter der „Petitesse“ (:-) steckt also vielleicht doch viel mehr, als ein ‚drolliger‘ oder ‚realsatirischer‘ Realitätsausschnitt, den uns der SPIEGEL zum Schmunzeln anbietet.

      Was die „richtige Meinungsbildung“ angeht, traue ich mir das natürlich auch nicht zu. Aber diesbezüglich werden wir beide ja vom quälenden Selbstdenken auf das Angenehmste entlastet: durch die „Obrigkeit“ (a.k.a. „Mainstream“ :-)

    • Theosebeios sagt:

      Schade, meine Antwort auf Ihren Kommentar scheint verlorengegangen zu sein. Jetzt muss es dabei bleiben, „die Zeit, der tolle Renner …“

    • Kontextleser sagt:

      Verehrter wolfgangbr.: Sie sind eben nicht Theosebeios!
      (In sanfter Erinnerung an meinen Hinweis vom 07. Januar über diese intensiv wahrgenommene Funktion unseres Kollegen im „Forum“).

  38. Webstrolch II sagt:

    Realsatire –
    rien ne va plus:

    Aldi Süd hatte am vergangenen Donnerstag angekündigt, die Creme-Seife „Ombia – 1001 Nacht“ nicht länger in der bisherigen Form anzubieten. Auf der Verpackung des Seifenspenders ist die Silhouette einer Moschee abgebildet. Ein Kunde hatte sich auf Facebook beschwert, die Abbildung eines religiösen Motivs auf einem Gebrauchsprodukt sei unpassend. Aldi Süd reagierte nach weniger einer Stunde mit einer Entschuldigung und kündigte an, die Seife werde „in Kürze nicht mehr in unseren Filialen erhältlich sein“. (Quelle: Spiegel-online)

    • Theosebeios sagt:

      Realsatire – rien ne va plus? Aber lieber Kommentator, da geht durchaus noch was …
      Warum jedoch diese Mitteilung? Wollen Sie sich denn über kultursensibles Marketing mokieren? (Vor allem: Wie hätten S i e als verantwortlicher Aldi-Manager reagiert?)

      Der SPIEGEL sollte sich nicht so aus dem Fenster hängen, man verliert schnell das Gleichgewicht. Hat er nicht 2007 ein Heft mit dem Thema „stille Islamisierung“ (http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-50990508.html) veröffentlicht, ohne diese als „angeblich“ zu kennzeichnen, wie es sich gehört hätte? Treffend hat der Mainzer Publizistikprofessor Hans Mathias Kepplinger festgestellt: Wir wissen heute, „dass das Publikum nicht nur Medienmeinungen übernimmt, sondern auch aus neutralen Mediendarstellungen selbst Meinungen ableitet. Diese scheinbar eigenständige Meinungsbildung kann durch die Auswahl der berichteten Themen, Ereignisse und Fakten gesteuert werden. Die Breite des Meinungsspektrums hängt deshalb nicht nur vom Spektrum der Begriffe ab, sondern auch vom Spektrum der bewusst, bzw. nicht bewusst gemachten Realitätsausschnitte“ (http://www.kepplinger.de/content/der-neue-tugendterror).

      Daher sollten solche Petitessen wie die über die Creme-Seife „Ombia“ nicht berichtet werden, wenn sie zu falschen Meinungsbildungen beitragen können.

  39. Webstrolch sagt:

    Götz Alys Kolumnen in der Berliner Zeitung sind immer klug und anregend provokant, und dies, ohne sich um den Meinungs-Mainstream zu scheren oder anderweitig um Akklamation zu buhlen. Unbedingt lesens- und bedenkenswert auch seine heutigen Zeilen über die politische Schandtat aller daran aktiv und passiv Beteiligten, Rußland nicht zur Gedenkfeier des 70. Jahrestages der Auschwitz-Befreiung einzuladen.
    In der Tat: widerlich, man möchte speien!
    http://www.berliner-zeitung.de/meinung/kolumne-zum-70–jahrestag-der-befreiung-von-auschwitz-auschwitz–guter-gauck—boeser-putin,10808020,29608770.html

    • Stephan Wohanka sagt:

      Götz Alys Kolumnen mögen manchmal tatsächlich die Qualität haben, die ihnen „Webstrolch“ zubilligt; die in Rede stehende jedoch nicht! Ich habe gerade einen Leserbrief an die zutreffende Zeitung geschickt; folgenden Inhalts:
      Götz Aly hat recht, die Rote Armee in den Fokus der Befreiung Auschwitz´ zu rücken. Ebenso richtig ist, dass damals in deren Verbänden – er macht das an den Juden deutlich – viele Nationalitäten, ja Völker gekämpft haben.
      Daraus folgt, dass – da es die Sowjetunion als Verbund all dieser Nationalitäten und Völker nicht mehr gibt – theoretisch alle Präsidenten respektive Regierungschefs ihrer Nachfolgestaaten mit gleicher Dringlichkeit wie Putin an den Feierlichkeiten hätten teilnehmen müssen; oder zählt nur schiere Größe, Quantität? Praktischerweise hätten zumindest die Präsidenten Weißrusslands und der Ukraine eingeladen werden müssen! Aber auch diese beiden wurden nicht eingeladen – da überhaupt niemand eine persönliche Einladung erhielt! Das bestätigt sogar Putins Sprecher: „Dies ist keine Veranstaltung, zu der formale Einladungen verschickt werden“, sagte dieser dem britischen Telegraph. Auch Christoph Heubner, Vizepräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees, wies den Vorwurf zurück, Putin sei nicht ein-, oder gar ausgeladen worden. Die Gedenkstätte Auschwitz habe auf Empfehlung des Komitees bei allen Botschaften in Warschau angefragt, ob eine Teilnahme erwünscht sei und auf welcher Ebene. Die polnische Regierung habe die Anfragen lediglich übermittelt und Russland habe daraufhin die Teilnahme seines Botschafters angekündigt.
      Denn anders als zum 60. Jahrestag der Befreiung, zu dem die polnische Regierung Einladungen an die dann teilnehmenden Staatsoberhäupter versandt hatte, übertrug sie die Ausrichtung des 70. Jahrestags an das Staatliche Museum Auschwitz-Birkenau. Dessen Leiter Piotr Cywinski wollte die Überlebenden in den Mittelpunkt stellen, nicht die Politik. Die Anfragen an die Botschaften enthielten deshalb auch die Bitte, ehemalige Häftlinge in die nationalen Delegationen aufzunehmen. Dass die polnische Regierung vielleicht ganz froh ist, wenn Putin nicht kommt, steht auf einem andern Blatt
      Was das alles mit einem „guten Gauck & bösen Putin“ zu tun hat, erschließt sich mir nicht!

    • Werner Richter sagt:

      Gut, Herr Wohanka, an Ihrem reichen Kenntnisschatz der konkreten Zusammenhänge und Abläufe teilhaben zu dürfen. Oberflächlich gebildete Meinungen gehen zu oft in „Allgemeinwissen“ ein, bleiben dort kleben. Davor sind auch Historiker nicht gefeit, auch wenn sie nicht bewußt den politisch gewollten Mainstream bedienen.
      Es ist zwar für Nichtjuden immer problematisch, zumindest nach meinem Empfinden, sich zur Shoa zu äußern, die historische Last ist groß. Drücken davor ist keine Lösung und behutsame, angemessene Fragen zu den Motiven der Akteure müssen zulässig sein. Auch wenn mir die Person des Museumsleiters nicht näher bekannt ist und sich Urteile damit von selbst verbieten, ist doch die wahrscheinliche Konzeption der Feierlichkeiten recht befremdlich. „70. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz“, und da soll der Befreiungsakt in den Hintergrund treten? Stand am Anfang aller Überlegungen, die Russen rauszuhalten und von wem angestrebt, oder der Gedanke, vorrangig das Schicksal der Ermordeten ohne Bezug auf die Befreiung zum Inhalt der Feier zu machen? Letzteres kann wohl nicht sein, denn dann wären Merkel und Gauck etwas deplatziert. Sie sehen, es hat doch was mit Gauck zu tun. Ist die erste Annahme zutreffend, und danach sieht es aus, kommt dem Beobachter sofort die Patenschaft des (polnischen) Nationalismus hierbei in den Sinn. Gute Gelegenheit, den „Erbfeind“ Rußland zu desavouieren. Nun ist der gut gepflegte polnische Nationalismus kein Deut besser als der deutsche oder der russische, jeder ist verlogen und borniert. Hier bietet sich die Chance, die „russische Gefahr“ weiter zu befeuern, obwohl, außer in den Hirnen sich selbst immer wieder bestätigender Propheten, dazu kein Beleg existiert. Unter diesem Aspekt ist das Konzept schon merkwürdig. Es unterstützt die aggressive Linie der osteuropäischen Regierungen, auch der polnischen, ja keine Gelegenheit zur Überwindung der zum erheblichen Teil selbst aufgerissenen Gräben zu zulassen. Das Konzept des Museums ist kein Fakt, auf den man sich unkritisch beziehen sollte.
      Zum Schluß, lieber Herr Wohanka, reiten Sie eine sagenhafte Volte, phänomenal. Mit einem Satz gelingt Ihnen die komplette Rehabilitierung unseres „Prediger der Unfreiheit“ (m.E. von Heiko Lietz). Dies ist patentreif. Darauf wäre Seibert nie gekommen.

  40. Korff sagt:

    Wenn der Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag dienstgemäß Frau Wagenknecht „empört“ abwatscht, so bleibt dies als Facette von „Demokratie“ immer noch sachlich falsch und persönlich geschmacklos, ist aber so usus.
    Sollte er hingegen als Politiker und Mensch, also auch mit Gedächtnis und Archiv ausgestattet, auch meinen und politisch exekutieren, was und wie er da abqualifiziert, ist zumindest Besorgnis geboten. Wird aber wenig ausgeübt.

    Sein Anwurf: Jegliche außenpolitische Orientierung verloren zu haben, (schließt immerhin die Möglichkeit ein, dass Wagenknecht irgendwann eine hatte). Dazu passend: „Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt,“ so Verteidigungsminister Struck. Das war/ist also richtige Orientierung nach Oppermann. Dazu paßt wiederum „Spiegel-Online“ vom 04. September 2011: „Die deutsche Beteiligung am Afghanistan-Krieg war zu keinem Zeitpunkt zwingend. Stattdessen hat die damalige Bundesregierung den USA militärische Hilfe aufgedrängt.“ Damals hieß es in Texten der Friedensbewegung warnend: „Wenn solches Denken Schule macht, landet die Welt über kurz oder lang im Chaos. Mit demselben Recht könnten Pakistan, Indien, China oder jedes x-beliebige Land in ihren Militärdoktrinen festlegen, dass deren Verteidigung am Rhein stattfindet“. (Heise-Forum, Beitrag von Dirk Eckert, v. 13.12.2002) Was ist „kurz“ – was „lang“? Etwa 13 Jahre her; Hindukusch noch immer da. Aber: Heute sichern verunsicherte Fallschirmjäger Belgiens die EU-Einrichtungen!

    Sein Anwurf: Der Hinweis, „auch die Bundeswehr ist für den Tod unschuldiger Menschen in Afghanistan verantwortlich“, sei „eine unsägliche Entgleisung und Beleidigung für alle deutsche Soldaten“. Lassen wir mal die Anmaßung „für alle“ beiseite. Oben genannter „Spiegel-Online“- Recherche entnehmen wir: „Auch der damalige Innenminister Otto Schily sieht die deutsche Beteiligung inzwischen kritisch: ‚Wir sind da in einen Konflikt geraten, der manchen Fehler zwangsläufig entstehen läßt’ Wenn man ein Dorf bombardiere, um einen Terroristen zu töten, ‚dann haben Sie einen Terroristen getötet und hundert neue geschaffen’ sagt er“. „Er“ – das ist Schily; von Frau Wagenknecht nur bestätigt. Was nun, Herr Oppermann? Sind die beiden nicht der Wahrheit näher? Bleibt die „Beleidigung für alle deutschen Soldaten“: Einer, der da hätte beleidigt sein können, wäre Oberst Klein, der einen „Verteidigungsangriff“ bestellte. Aber dessen Beleidigung ist ja geheilt – ist jetzt General. Was hingegen „alle Soldaten“ anlangt, frage ich im fiktiven Beispiel (dies muß sein, zum Ausschluß des Geheimnisverrats-Vorwurfs): Der Hauptgefreite Hugo Schulze, zuvor arbeitslos, aus Demmin, ist – was ihn nicht mehr so gelehrt wurde, wie Hans Adolf Jacobsen und Wolf Graf v. Baudissin es seinerzeit erfanden, nämlich „Staatsbürger in Uniform“ zu sein – von sich aus dort? Abenteuer-Urlaub?

    Wollen wir die Verantwortung doch dort belassen, wo sie ist. Und dazu gehört zumindest Ordnung im Archiv der Bundestagsfraktion der SPD. Schön wäre auch eine mindere Art von Fairness bei der Anerkennung von Tatsachen parteiübergreifend, wie es sich unter „Patrioten“ (BP Gauck) gehören sollte.

  41. Die Redaktion sagt:

    „Pegida macht Fuffzehn“ (http://kuckuckuck.tumblr.com/) – vielen Dank, Herr Zauleck! Ihre Kuckucke helfen uns über manche Delle im gesellschaftlichen Alltag!

  42. HWK sagt:

    Die Tendenz ist bekannt, das Ausmaß erschreckend: Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer schneller auseinander, ist – aus heiterem Himmel! – zu lesen: „Vom kommenden Jahr an wird das reichste Prozent der Weltbevölkerung mehr als die Hälfte des weltweiten Wohlstands besitzen“, faßt eine Spiegel-Online-Meldung eine Analyse der britischen Organisation Oxfam zusammen und zitiert: „Die Kluft zwischen den Reichsten und dem Rest wird schnell tiefer.“ Wir sind sicher, dass diese überraschende Bestandsaufnahme kapitalistischen Wirtschaftens die Teilnehmer des alljährlichen Weltwirtschaftsforums in Davos, erschüttern wird, wenn dieser in zwei Tagen beginnen wird. Im Graubündischen dürfte mit einer Vielzahl selbstentleibender Verzweiflungstaten zu rechnen sein.
    HWK

    • Werner Richter sagt:

      Ebenso können wir sicher sein, es wird in Davos die „Verteilungsgerechtigkeit“ als Maßstab herausgefunden werden. Das sind sich die Teilnehmer, auf ihre Finanziers schielend, schuldig. Erwarten können wir nur die Empfehlung des Drehens an den Justierschrauben des Systems, das unbeschädigt bleiben muß. Ansonsten wäre ja der schöne Zirkus um Piketty-Superstar umsonst gewesen. Daß dabei die „Südländer“ ausgeschlossen bleiben ist bedauerlich, aber der Härte des Lebens geschuldet. Keinesfalls wird die Infragestellung des perversen Systems, über den Umweg des Marktes wegen der Selbstverwertung des Wertes und die damit zwangsläufige Schaffung von abstraktem gesellschaftlichen Reichtum, was immer zu dessen Konzentration und Zentralisation führen muß, Bedürfnisse befriedigen zu wollen, erfolgen. Aber es werden Scharen von Theoretikern und Medienmacher nach tieferer Bedeutung der Davos-Thesen schürfen, obwohl sie dabei grandiosem Irrtum auflaufen, teils sogar Blasphemie betreiben. Ist nicht der Glaube an die Einzigartigkeit und Endgültigkeit der Warenwirtschaft sogar bis in alternative Kreise recht verbreitet?

  43. Rudolph Caracciola sagt:

    Ich las und fand bedenkenswert:
    „Ich kann gut die Motivation derer begreifen, die deklarieren: ‚Ich bin Charlie.‘ Trotz aller Sympathie gegenüber den Opfern und ihren Nächsten würde ich mir nie das Abzeichen mit diesem Logo anstecken. Denn ich bekenne mich zu einer anderen Gestalt unserer Kultur – zu jener nämlich, die auch Humor und Ironie sowie Polemik gegen den Fanatismus und Fundamentalismus kennt und die Freiheit des Wortes verteidigt, jedoch auch empathisch sein kann gegenüber den anderen und deren Werte achtet, einer Kultur, die weiß, dass diese Achtung kein weniger wichtiger Wert ist als die Redefreiheit. Ich rufe nach keiner Zensur, nach keinen Institutionen, die von außen her über die Grenzen des Geschmacks entscheiden. Ich bin überzeugt, dass zu Kultur die Fähigkeit zu kritischer Selbstreflexion gehört, zu Freiheit und mündigem Handeln, zu Unterscheidung. Stellt tatsächlich die Verantwortungslosigkeit, die die Zeitschrift ‚Charlie Hebdo‘ als Untertitel führt, eine des Feierns und des allgemeinen Beifalls würdige Tugend dar?
    Ich protestiere nicht gegen die Existenz der Zeitschrift, ich erlaube mir nur zu denken, dass die Existenz solcher Zeitschriften vielmehr der Preis für die Freiheit ist als die Galionsfigur der freien Kultur. Zur freien Kultur gehört zwar auch ein Raum für Dekadentes, Geschmackloses und billig Provokatives, aber wenn man die Freiheit gegen Gewalt und Hass verteidigt, sollte man sich doch vor dem anderen Extrem hüten, nämlich davor, das Dekadente und Zynische als heiliges Sinnbild unserer Kultur und Freiheit zu feiern: Zu Freiheit gehört Verantwortung.“
    Tomáš Halík
    Professor an der Karlsuniversität Prag, Schriftsteller und Hochschulpfarrer
    http://www.faz.net/aktuell/politik/gastbeitrag-warum-ich-nicht-charlie-bin-13374816.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2

  44. Helge Jürgs sagt:

    Wenn auch in wohlgesetzte Worte gefaßt: Diese Argumentation läuft auf genau das hinaus, was jedweden Fortschritt in Denken und Tun verhindert,. mindestens aber ausbremst, auf Aufrechnung: Warum die, wenn andere ja auch nicht?
    Ich gehe auch auf die Straße, wenn Nazis z.B. Moslems Gewalt antun, die oft genug zum Mord wurde. Und ich tue dies, um – wie dann meist viele andere auch – zu zeigen, dass ich mit dieserart „Deutschen“ und vor allem mit dem, was sie „Denken“ und Tun, nichts zu tun haben will, auch wenn ich selbst dadurch – genau wie diese Ganoven – Deutscher bin und bleibe.
    Ich versuche, dank des Kontextlesers Nachilfe, mir vorzustellen, was es – sagen wir es mal freundlich – geschadet hätte, wenn z.B. ein paar zehntausend der Berliner Muslime z.B. unter Losungen wier „Nicht in unserem Namen“ dies bekundet hätte.
    Dass Sie, verehrter Kontextleser, sich das offenbar nur als Ausschmückung der standardisierten und oft genug heuchlerischen Politiker-Betroffenheit vorstellen können, ist der Kontext Ihrer Phantasie, nicht meiner.
    Helge Jürgs

  45. Theosebeios sagt:

    Das ist ja ein ganz schrecklicher Kommentar, Frau Haustein, vielen Dank für den Hinweis, ich hätte solche Entgleisung sonst nicht für möglich gehalten.

    Moi, je ne suis pas Charlie. Jetzt werden auch noch diese scheußlichen Zeichnungen überall nachgedruckt. Damit schürt man Verachtung und Hass der Moslems auf der ganzen Welt. Merkwürdig, wie viele Menschen sich daran beteiligen, wohl in der irrigen Annahme, der Terroranschlag sei gegen Meinungsfreiheit gerichtet gewesen.

  46. Helge Jürgs sagt:

    Die gestrige Mahnwache vor der Französischen Botschaft in Berlin: Was wäre das für eine Chance gewesen für die rund 250.000 Muslime dieser Stadt, Ihre Verurteilung des islamistischen Terrors öffentlich zu demonstrieren! Anwesend unter den , offenbar sehr hochjgerechneten, 10.000 Teilnehmern waren – außer einigen wenigen Moslems aber wieder nur Funktionäre ihrer Verbände. Bei allem Respekt gegenüber deren klaren Worten: die Moslems dieser Stadt haben eine bislang einmalige Gelegenheit vertan, sich massenhaft – und zwar öffentlich – von jenem Terror zu distanzieren, der sich perfider Weise auf ihre Religion beruft. Das ist – leider – mehr als nur schade.
    Helge Jürgs

    • Kontextleser sagt:

      Es gibt fast immer mehr Dinge zwischen Himmel und Erde als man im Zustand unmittelbarer Betroffenheit zu bedenken vermag.
      Dies bestätigte sich jüngst im „Forum“ durch die stringente nachträgliche Anempfehlung von Helge Jürgs an 250 000 Bürger dieser Stadt, sie hätten sich massenhaft und öffentlich, „von jenem Terror zu distanzieren, der sich perfider Weise auf ihre Religion beruft“, denn: sie sind doch Muslime, zwar meistenteils deutsche Staatsbürger, aber eben mit einem besonderen Merkmal, das sie moralisch zu besonderen Verhaltensweisen verpflichte. Sind das wirklich die „richtigen“ Adressaten? Und wie berechtigt ist diese Post?
      Nun bedeutet das hohe Gut der Versammlungsfreiheit für niemanden die Pflicht, sie wahrzunehmen; es bedeutet aber schon gar nicht das Recht, anderen dies als moralische Pflichtverletzung anzukreiden („mehr als schade“).
      Zu meinen Bekannten gehört der Angestellte eines wohl international renommierten medizinischen Unternehmens; er operiert.
      Da kommen ihm auch Kassenpatienten unters Handwerkzeug; aber auch selbstzahlende Muslime aus reichen Balkanländern, mehr noch aus Nahost, Juden und Christen, ja Atheisten, falls z.B. ein Herr Jelzin ein solcher gewesen und geblieben sein sollte. Manche Rechnungen oder Teilleistungen wurden wohl ganz privat und diskret auch von Frau Frieda Springer beglichen. Andere kommen als Geber und Nehmer auf Einladung von Behörden. Zu Frau Timoschenko mussten die zuständigen Fachärzte allerdings zunächst hinreisen. Vielleicht konnte man das irgendwie mit der stehenden Einladung verrechnen, oder auch nicht. Ukraine insgesamt ist ja nicht billig; da fällt der Freundschaftsdienst von Frau Merkel nicht sonderlich ins Gewicht. (Nur mal als Info, was so im Rahmen staatlicher Entwicklungshilfen gezahlt wird.)
      Das alles kann und darf den Arzt bei seiner Arbeit nicht bewegen; wie die Patienten nicht seine sonstigen Eigenschaften.
      Und jetzt, Helge Jürgs, wird ein Politikum draus: Warum sollte dieser Deutsche mit bosnischen Wurzeln, Moslem wie seine Eltern und andere Vorfahren, sich da bei der Mahnwache einfinden, etwa (hypothetisch, real wäre er da ja nicht hingekommen, wg. Sicherheit) mit den Spitzen der Gesellschaft einhaken und die ihm wie 250 000 anderen eingeräumte „Chance“ zwecks „Distanzierung“ an einem bestimmten öffentlichen Ort „zu nutzen“? Ist seine Distanz näher, weiter oder genau gleich der unsrigen, also Ihrer und meiner? Und was würde sich an Einstellung wo ändern, wenn Sie ihn dort, als Person unbekannt, gesehen hätten? Integration ist’s: ja oder nein. Wenn ja, dann ist keine Verhaltens-Zuweisung für Muslime als „Gruppe“ legal – ist Privatsache.
      Diese Brisanz hat der Herr Bundespräsident in seiner Rede dort klug erkannt – wenn wohl auch nicht so begründet, wie hier:
      „Gott mit uns“ stand auf den Koppelschlössern der deutschen Wehrmacht, die am 8./9. 1945 bedingungslos kapitulierte, die katholischen und protestantischen „“Kriegspfarrer“ eingeschlossen. Kam und käme da jemand auf die Idee, dass sich jeder Angehörige dieser Kirchen damals oder zur 70. Wiederkehr davon zu distanzieren habe, dass damit religiöse Werte missbraucht wurden? War jenes „Gott mit uns“ minder Gottes lästerlich, denn der aktuelle Missbrauch des Islam?
      Dem Koppelschloß der Bundeswehr ist „Gott mit uns“ abhanden gekommen zugunsten der Umschrift „Einigkeit-Recht-Freiheit“.
      Aber bei jedem Auslandseinsatz von Kontingenten der Bundeswehr, ob auf einem Kriegschiff oder in Afghanistan, ist die christliche Militärseelsorge mit staatlich besoldetem Bodenpersonal, virtuell bis zum Militärbischof, zwingend dabei. Über eine jüdische Beteiligung an der Militärseelsorge – insgesamt ist das ein eigener Bereich im Hause der Ministerin – wird in diesem Zusammenhang wohl noch nachgedacht. Und „Seelsorge“ für den Rest? Das kriegen wir später. „Thron und Altar“ ist/bleibt heikel – überall.

  47. Franka Haustein sagt:

    Unter der Überschrift „Wenn der Rinnstein Trauer trägt“ schreibt Christian Bommarius im Leitartikel der gestrigen Bertliner Zeitung: „Die Trauer der Pegida-Organisatoren um die ermordeten Journalisten ist so aufrichtig wie das Mitleid des Henkers, der nach der Vollstreckung ins Ohr seines Opfers flüstert: ‚Tut mir leid.‘ … Wer die ermordeten Karikaturisten beleidigen will, der lässt sie von Pegida betrauern.“
    Wer den ganzen Beitrag lesen will: http://www.berliner-zeitung.de/meinung/leitartikel-zu-pegida-und-charlie-hebdo-wenn-der-rinnstein-trauer-traegt-,10808020,29546456.html

  48. Theosebeios sagt:

    Für die aus beruflichen Gründen täglich redende u. veröffentlichende Zunft besteht stets eine gewisse Versuchung, bei der Eloge auf einen Großen des Faches sich diesem (wenigstens) sprachlich gewachsen zu zeigen. Bei einem kurzen Text / einer kurzen Rede möchte man sodann in Stein meißeln. Das will wohl überlegt sein. Wie lange mag Herr Prantl über „das utopische Maß“ nachgedacht haben, bevor er diese Worte in ein Tucholsky zugewiesenes Material klopfte?

    Das Maß der Utopie überlässt den Leser bestenfalls seinen vielgestaltigen Phantasien. Es ist ein Widerspruch in sich, da Utopien per definitionem nicht realisiert sind, ihr „Maß“ also immer nur mit Ansprüchen verglichen werden kann. Finden Utopien einmal kurzfristig einen historischen Ort, so wird man, nachdem dieser den Realitätstest nicht bestanden hat, häufig besser von Dystopien sprechen. Die Übergänge sind fließend.

    Immerhin regt der Titel zum Nachdenken an. Wahrscheinlich war er auch in diesem Sinne gedacht. Dass aber „das Maß von Utopia“ per se „ein gutes Maß“ sei, erscheint mir doch als ein Zuviel des Guten für Leser, die das Meißeln in intellektuelles Gestein stets mit einem leichten Misstrauen betrachten.

  49. Stephan Wohanka sagt:

    Unlängst hörte ich im Radio ein Interview zum Drei-Königstreffen der FDP; es ging dabei natürlich auch um aktuelle politische Lage. Der Befragte, ein Politologe, sprach darauf gemünzt von der „Angst vor der Freiheit“ – mehr Fromm geht nicht!
    Ich bin entgegen der Auffassung Theosebeios´ der dezidierten Meinung, dass Fromm uns auch heute noch etwas zu sagen hat; man lese das Vorwort seines Buches „Escape from Freedom“: „Die These dieses Buches lautet, dass der moderne Mensch, nachdem er sich von den Fesseln der vor-individualistischen Gesellschaft befreite, die ihm gleichzeitig Sicherheit gab und ihm Grenzen setzte, sich noch nicht die Freiheit – verstanden als positive Verwirklichung seines individuellen Selbst – errungen hat; das heißt, dass er noch nicht gelernt hat, seine intellektuellen, emotionalen und sinnlichen Möglichkeiten voll zum Ausdruck zu bringen. Die Freiheit hat ihm zwar Unabhängigkeit und Rationalität ermöglicht, aber sie hat ihn isoliert und dabei ängstlich und ohnmächtig gemacht. Diese Isolierung kann der Mensch nicht ertragen, und er sieht sich daher vor die Alternative gestellt, entweder der Last seiner Freiheit zu entfliehen und sich aufs neue in Abhängigkeit und Unterwerfung zu begeben oder voranzuschreiten zur vollen Verwirklichung jener positiven Freiheit, die sich auf die Einzigartigkeit und Individualität des Menschen gründet“.
    Dass Pegida entgegen den teils wütenden Reaktionen auf entsprechende Äußerungen vor allem ein regionales ostdeutsches Phänomen ist, halte ich inzwischen für erwiesen. Liest man den Frommschen Text unter diesem „ostdeutschen“ Gesichtspunkt, verblüfft der Terminus der ´vorindividualistische Gesellschaft´ ob seiner Präzision: Er ist der andere Begriff für die kollektivistische Gesellschaft der DDR, die ´Sicherheit gab´ und ´Grenzen setzte´. Als ´ängstlichen und ohnmächtigen´ Individuen ist es manchen Ex-DDR-Bürgern sichtlich weiterhin verwehrt, ´voranzuschreiten zu jener positiven Freiheit´ – und da sind wir bei dem in Rede stehenden Teil von Pegida! Bei Menschen, die die Flucht ins Nostalgische, ins politische Beharren, ins Individuell-Destruktive angetreten haben, die sich mit den Spielregeln des Politik-und Medienbetriebes schwertun, desgleichen mit den alt- und neubundesrepublikanischen Eliten, bei Enttäuschten, Überforderten, Menschen voller Ängste und auch Hass. Darauf deuten die diffusen und zum Teil grotesken Aussagen der Demonstranten hin. Dass damit nicht die „gesamte“ Pegida-Bewegung erklärt ist, ist richtig, aber eine „Gesamterklärung“ ist nicht mein Ansinnen….
    … denn hinzukommen erhebliche Versäumnisse der Politik, die – wie zu lesen ist – „sich erklären muss, in härter werdenden Zeiten das Schwierige benennen muss, Zumutungen thematisieren muss“. Ja! Dann höre und lese man Merkel: „Wir wollen den Bürgern Angebote machen“. Die glatte Verneinung dessen, was nötig wäre – kaum eine Festlegung, keine Erklärung, geschweige denn Zumutung! Politischer Streit um Lösung findet kaum noch statt; die auf die Spitze getriebene Entpolitisierung der Politik. Die über allem schwebende Kanzlerin drängt die Menschen in eine Beobachterrolle – egal ob sie Kernkraftwerke Jahrzehnte laufen lässt oder sofort abschaltet, ob sie Griechenland mal keinen Cent zugesteht oder das Land mit Bürgschaften in Milliardenhöhe stützt, ob sie die Wehrpflicht aussetzt, ob Rente mit 67 oder 63, ob, ob… Emotionslos. Tonlos. Alternativlos. Menschen sind zu Zuschauern degradiert – staunend, bangend, sich ängstigend, kaum teilnehmend. Auch dafür ist die Quittung Pegida!

    • Theosebeios sagt:

      „… sich aufs Neue in Abhängigkeit und Unterwerfung zu begeben …“ (Erich Fromm)
      (Soumission!)
      Vielen Dank für das Zitat. Werde jetzt den alten Fromm wieder hervorholen und aus seiner Perspektive Houellebecqs Roman lesen. Von diesem glaubt die ZEIT — ohne schon vom heutigen Terroranschlag zu ahnen — , dass er wie eine „Pegida-Theorie“ klinge.

  50. Kontextleser sagt:

    Ihr Schlag an die eigene Brust, Herr Theosebeios, verdient Erbarmen: „Verflixt“ – so schreiben Sie zerknirscht – „daß meine Kommentare so schwer zu deuten sind.“ Das ist schon anderen so ergangen, bei einigen mit der positiven Folge, daß sie sich künftig deutlicher offenbarten.
    Im ersten Brief des Paulus an die Thessalonicher, Kap. 5, 19 – 21, heißt es, auch für Sie hoffnungsvoll: „Den Geist dämpfet nicht. Weissagungen verachtet nicht. Prüfet aber alles, und das Gute behaltet“. (Wörter in unterschiedlichen Bibel-Ausgaben unterschiedlich, aber kein anderer Sinn)
    Falls Sie mit dem Foristen gleichen namens in anderen Blogs, also dann mit sich selbst „identisch“ sein sollten, wäre eine läuternde „Offenbarung“ in diesem „Forum“ doch allseits nützlich. Falls hingegen Verwechslung oder Mißbrauch vorliegt, ist nachfolgender Test gegenstandslos, Klarstellung willkommen.
    Wortlaut jenes Theosebeios: “ Ich muß sagen, die eminente Gewaltbereitschaft einer steigenden Zahl von Linksextremisten beunruhigt mich viel mehr als die überschaubare Gruppe von Scharia-Fans. Der fromme Mohammedaner respektiert in der Regel mein bescheiden-alldeutsches Dasein, der Linksextremist will es auslöschen. Wo immer sich Gruppen bilden, die deutsch oder konservativ sein wollen, werden verblendete haßerfüllte linke Deutsche auftauchen und im Namen der Menschenrechte die unseren zerstören wollen. Migration dient ihnen dabei als Mittel der eigenen Zwecke. Und insofern ließe sich tatsächlich von einer exterminatorischen Migration sprechen.“ (5. Mai 2014)
    Falls dies „Statement of Truth“ von unserem aktiven Schlechtachter für andere Beiträge stammt, hätten auch diejenigen im „Forum“ wohl keine weitere Veranlassung dazu, sich an den feingeistigen Anmerkungen ernstlich abzuarbeiten. Denn, was sollten wir doch von Paulus lernen?: „Das Gute behaltet“. Dazu sind Offenbarungen mitunter hilfreich.

    • Theosebeios sagt:

      „Schlechtachter für andere Beiträge“
      Ich finde, das ist eine unfaire Bewertung meiner Kommentare. Bin aber für die Wortneubildung aufgeschlossen, die kannte ich noch nicht. Werde gelegentlich einen eigenen Beitrag einreichen, damit Sie ihn kommentieren können.

      “Den Geist dämpfet nicht. Weissagungen verachtet nicht. Prüfet aber alles, und das Gute behaltet”
      Da haben Sie und der Apostel meine volle Zustimmung!

      Für Weiteres muss ich aber erst mal prüfen, ob was gegen „Kontextleser“ vorliegt :-)

  51. Günter Hayn sagt:

    Erhard Crome bilanziert in seinem Text „Nachlese 1914“ den neuen Historikerstreit um die Bewertung der Rolle der verschiedenen Großmächte im Ersten Weltkrieg. In nuce stellt er fest, dass die Kritiker der Positionen Christopher Clarks und Herfried Münklers zu nichts anderem in der Lage gewesen seien, als zu purer Negation. Insonderheit Wolfram Wette und Kurt Pätzold geraten in Cromes Visier. Nun ist Pätzolds zitiertes Büchlein tatsächlich einigermaßen oberflächlich. Womit Wette den göttlichen Zorn des Autoren verdient hat, geht aber aus Cromes Text nicht hervor. Wolfram Wette und einigen anderen Blauäugigkeit hinsichtlich der geopolitischen Vorstellungen der Entente-Mächte vorzuwerfen, ist mitnichten belegbar. Der Zaren Traum vom Bosporus wird niemand, der auch nur einigermaßen historischen Verstand besitzt, ernsthaft negieren wollen. Fritz Fischer und – Erhard Crome spricht den Namen nicht aus, wirft ihn aber mit in die Tonne seines Verdiktes – Fritz Klein vorzuwerfen, sie hätten die Archivbestände aus St. Petersburg (richtiger: damals Leningrads…), Moskaus und Ankaras nicht ausgewertet und alles ziemlich aus der „deutschen“ Brille betrachtet, ist schon karnevalesk: Wenn man um die nachgerade weltoffene Archivkultur dieser beiden Länder in den 1950er und frühen 1960er Jahren weiß… Wette und andere, warum in drei Teufels Namen ist das Crome entgangen?, haben nicht mehr und nicht weniger verlangt, als im Diskurs um den Kriegsausbruch (nicht die Kriegsziele!) nicht wieder hinter den Erkenntnisstand zum Beispiel von Fischer und Klein zurückzufallen. Das haben Clark und Münkler getan. Ersterer entschieden geschickter und quellenkundlich solider als Letzterer. Man sollte bei Christopher Clark auch nicht seine Hohenzollern-Arbeiten außer acht lassen… Da rundet sich schon das Bild. In einem würde ich allerdings Erhard Crome sofort zustimmen, leider formuliert er auch diesen Gedanken ziemlich verschwurbelt: Wenn „linke“ Historiker Clark und Münkler einen Rückfall hinter Fischer und Klein vorwerfen, dann muss man der linken Geschichtsschreibung auch an den Spiegel stecken, dass sie seit Fritz Fischers „Griff nach der Weltmacht“ und Fritz Kleins Standardwerk über Deutschland im Ersten Weltkrieg dieses Thema – von verdienstvollen Einzelstudien abgesehen – schlichtweg vertrieft hat. DAS bot – um im militärhistorischen Bilde zu bleiben – Clark und Münkler erst die Möglichkeit, sich auf einem weitgehend störfeuerfreiem Gefechtsfeld austoben zu können. Leider trifft dieser Befund nicht nur auf den Ersten Weltkrieg zu.

    • Erhard Crome sagt:

      Lieber Günter Hayn, Sie argumentieren auf einer anderen Ebene. Ich befasse mich mit der „linken“ Rezeption des Jahres 1914 im Jahre 2014. Da kommt Fritz Klein nicht vor, da er aus bekannten Gründen nicht mehr dabei war. Auch war es nicht mein Anliegen, das Lebenswerk von Herrn Wette zu würdigen, sondern er kommt hier vor, weil er einer der ersten war, die den ideologischen Stein warfen, als die deutsche Ausgabe von Clark noch nach Druckerschwärze roch. Im übrigen habe ich mich zur Qualität von Münklers Opus nicht geäußért, sondern ihn als ideologischen „Vordenker“ auf der deutsch-imperialen Seite, sozusagen der Gegenseite zitiert. Was die Quellen in Russland anbetrifft, empfehle ich ihnen, in der Tat Sean McMeekin zu lesen, und zwar auch die langen Fußnoten zu den Archiven, seiner Archivnutzung und welche sowjetischen Autoren vor ihm welche Quellen tatsächlich genutzt haben bzw. nutzen konnten. Danach können wir gern weiter diskutieren.

    • Günter Hayn sagt:

      Lieber Erhard Crome, Ihrer Empfehlung, McMeekin zu lesen, folge ich gern. Ich lese auch Fußnoten… In Ihrem Text ging es aber nicht um sowjetische Autoren. Über die Qualitäten einer bestimmten Art apologetischer Geschichtsschreibung sind wir uns sicher einig. Mag sein, dass wir über unterschiedliche Dinge sprechen, das war aus Ihrem Text aber auch nicht so klar ersichtlich. Den ersten „ideologischen Stein“ warfen, wenn ich mich recht entsinne, die PR-Menschen aus dem medialen Umfelde Clarks. Wobei: Welche Geschichtsschreibung ist ideologiefrei?

  52. Waldemar Landsberger sagt:

    Und weiter Pegida. Alles sehr deutsch: Die größte Pegida-Demonstration am 5. Januar, in Dresden, wo kaum ein Islamist zu sehen ist; die größten Anti-Pegida-Demonstrationen dort, wo kaum Pegida zu sehen ist.
    Die Kanzlerin sowie die Selbsternannten, die das Bürgerrechtler-Erbe der späten DDR verwalten, reklamieren das Monopol auf das Motto: „Wir sind das Volk!“ Wer aber die Demonstrationen in Dresden für „Deutschland einig Vaterland“ und zur Bejubelung des im Westen zu jener Zeit abgehalfterten Helmut Kohl am 19. Dezember 1989 erinnert, wird zugeben, dass nicht nette Leute wie Friedrich Schorlemmer, sondern deutschnationale Sachsen in Dresden demonstrierten. Die Vorstellung, dass das heute dieselben Leute mit denselben Vorstellungen sind, sofern sie noch leben, ist nicht einfach wegzureden. Außerdem war es damals analog: während in Dresden Kohl umjubelt wurde, haben am 19. Dezember 1989 in Berlin tausende DDR-Bürger gegen deutsche Vereinigung und den Ausverkauf der DDR demonstriert.

  53. Jürgen Scherer sagt:

    Sehr geehrter Herr Thesebeios, ich halte Ihre Erstreaktion auf Peglaus sehr erhellenden Artikel zum besseren Verständnis von PEGIDA für nochmal überdenkenswert.
    Zunächst ist mir völlig unklar, was das Ablenkungsmanöver in Bezug auf W. Reich gleich zu Beginn Ihres Forumsbeitrages soll. Soll Reich damit desavouiert werden und mit ihm gleich der Autor Peglau, weil er einen Wissenschaftler zum Zeugen beruft, der dann, so muss man das ja wohl lesen, auf Abwege geriet? Selbst wenn man das so sehen kann, ist ja wohl gegen grundlegende Erkenntnisse, und genau um die geht es Peglau, in Reichs „Massenpsychologie“ nichts einzuwenden. Und so geht es in Ihrer Argumentation weiter. Dann ist Fromm dran. Na ja, der ist wohl überholt, Herr Peglau, auch wenn e i n Satz von ihm anscheinend noch akzeptabel ist! Die Wissenschaft ist da wirklich weiter, Herr Peglau, so der Tenor Ihres Beitrages. Auch bei Ihnen, Herr Peglau, fehlt es an der angemessenen Differenzierung. Sie wettern gegen die „Sprache der Herrschenden“ und benutzen sie ja selbst. Das Wort „Ausländerfeindlichkeit“ übernehmen Sie geradezu kritiklos, Herr Peglau. Wissen Sie, Herr Peglau, so richtig ernst kann ich Sie mit Ihrem Anliegen nicht nehmen, Sie sind ja nicht mal auf der Höhe der derzeitigen sozialwissenschaftlichen Diskussion. Eigentlich wollten Sie uns doch das Phänomen Pegida wissenschaftlich untermauert erklären, Herr Peglau, nicht wahr? Einfach unglaubwürdig, Ihr Vorgehen, Herr Peglau, vom Stand Ihres Wissens ganz zu schweigen!
    Wenn Sie das so gemeint haben sollten, Herr Thesebois, warum haben Sie es dann derart verbrämt dargelegt?

    • Theosebeios sagt:

      Lieber Herr Scherer, ich wollte Sie nicht kränken u. Herrn Peglau auch nicht, habe aber in der Sache nichts zurückzunehmen. Der Hinweis auf die Entwicklung von Reich sollte auch niemanden desavouieren. R. geriet nach meiner Bewertung auch nicht auf „Abwege“, im Gegenteil, seine Wende zur Naturwissenschaft verlangt höchsten Respekt. (Und wenn Einstein ihn nicht hätte abblitzen lassen, wer weiß, was aus der Orgonomie geworden wäre. ) Mit meinem „Ablenkungsmanöver“ hoffte ich anzudeuten, dass Reich die „Massenpsychologie“ als zeitbedingtes „Jugendwerk“ eingestuft haben dürfte. Sich dennoch darauf zu berufen, schafft dann doch irgendwie einen erhöhten Begründungsaufwand.
      „Erstreaktion“ finde ich übrigens eine gute Bezeichnung, denn Herrn Peglaus Artikel regt (mich) zum Nachdenken an u. ist insofern ein guter Artikel.

  54. Theosebeios sagt:

    Lieber Herr Peglau,
    als ausgewiesener Kenner von W. Reich wissen Sie natürlich, dass sich dieser später von der Psychoanalyse abwandte u. mit der Entdeckung des Orgons etc. eine ganz andere Linie verfocht! Aber das nur am Rande, es sollte dem geneigten Leser nicht verborgen bleiben …
    Dass E. Fromms 1941 (!) vorgetragene Thesen immer noch zutreffen, ist natürlich eine sehr gewagte Behauptung. Von denen, die F. da im Blick haben mochte — mehr als ‚im Blick‘ war es wohl ja nicht, das träfe heute nicht mehr die Standards sozwiss. u. psychol. Forschung –, lebt kaum noch jemand. Die Welt hat sich doch sehr verändert, nicht wahr? Wenn auch noch folgendes Zitat gilt …

    „Die sozio-ökonomische Struktur einer Gesellschaft formt den Gesellschaftscharakter ihrer Mitglieder
    dergestalt, dass sie tun wollen, was sie tun sollen.“

    … dann frage ich mich allerdings, wies kommt, dass es Sie u. andere Aufgeklärte überhaupt gibt? Und diese, also die Besseren, Klügeren, sind ja möglicherweise sogar in der Mehrzahl!

    Kritisch sehe ich auch, dass Sie den Begriff „-feindlich“ (unreflektiert) aus dem gesellschaftlich dominanten Diskurs (manche sagen: Diskurs der Herrschenden) aufnehmen. Immerhin gilt (Ihnen): „Pauschalisierungen wie „Wer etwas gegen Ausländer sagt, ist ein Faschist“, sind also nicht zu rechtfertigen …“ Mehr noch wäre bei solcher „Pauschalisierung“ aber zu fragen, welchen gesellschaftlichen Interessen sie wohl dienen könnte. (Ich bitte zu bedenken, dass hier das gleiche Muster vorliegt wie in der „Pauschalisierung“, dass jeder ein Terrorist sei, der sich zum Koran bekenne.)
    Wäre es nicht angemessen, zunächst zu begründen, wann denn von „-feindlichkeit“ überhaupt gesprochen werden
    kann? Ich empfehle hier u.a. die Lektüre des Aufsatzes eines (sehr linksparteilich orientierten) Kriminalsoziologen:
    Volksgemeinschaftsteufel, Voodoo-Kritik und die Selbst-Delegitimierung marktförmiger Jugendkriminalitätszählung /
    Walter Fuchs. In: Kriminologisches Journal ; 41(2009)4, S.261 – 271
    … der polemisch zerpflückt, wie ein bekanntes Institut dazu kommt, einen recht hohen Anteil rechtsextrem denkender Jugendlicher zu behaupten. Gerade wenn man mit Fromm u. Co. zu wissen glaubt, welche Interessen „unsere Gesellschaft“ verfolgt u. welche Typen sie gerne hätte, sollte man nicht ausblenden, dass auch die ‚Aufgeklärten‘ (u. nicht zuletzt diejenigen, die die „-feindlichkeit“ erforschen) den meinungs- u. typenbildenden Kräften ausgesetzt sind.

  55. Webstrolcher sagt:

    Sehet, die Rettung ist nah!

    Grußadresse der Komintern (SH*) aus Anlass des 135. Geburtstags des Genossen J. W. Stalin
    21. Dezember 1879 – 21. Dezember 2014
    (…)

    Es lebe der 135. Jahrestag des Genossen Stalin!
    Der Stalinismus wird uns zu endlosen Erfolgen und Siegen führen!
    Den Genossen Stalin zu verteidigen, bedeutet gleichzeitig, alle anderen Klassiker des Marxismus-Leninismus zu verteidigen!
    Es leben die 5 Klassiker des Marxismus-Leninismus – Marx, Engels, Lenin, Stalin und Enver Hoxha!
    Es lebe die gewaltsame sozialistische Weltrevolution und die bewaffnete Diktatur des Weltproletariats!
    Es lebe die Weltsozialismus und der Weltkommunismus!
    Es lebe die Komintern (SH) – der einzige treue Bannerträgerin der 5 Klassiker des Marxismus-Leninismus!

    * Stalinisten-Hoxhaisten

    • Bernhard Romeike sagt:

      Der Herrgott ist doch ein Spieler. Zuweilen spielt er auch mit Hirnen.

  56. Literat sagt:

    Eigentlich „ Literat fragt“, und zwar: Kennen Sie Jewgeni Mintschenko? Falls nicht:Der ist ein Politikwissenschaftler in Russland. Nun ist das kein Alleinstellungsmerkmal in der russischen Wissenschaft. Vermutlich gibt es mehrere davon. Aber er tut etwas, was dringlich bekannt gemacht zu werden verdient. Einem Hauptbeitrag des „Neuen Deutschland“ vom 29. Dezember – schon auf der Titelseite angekündigt ! – entnehmen wir:
    „Dem Politbüro 2.0 lastet Jewgeni Mintschenko die Hauptschuld dafür an, dass Putins wichtigster Deal mit dem Westen – Modernisierung der russischen Wirtschaft gegen Energiesicherheit –scheiterte. Er und sein Freundeskreis hätten die Rolle demokratischer Institutionen im Westen total unterschätzt. Unterschiedliche Werteordnungen und die Intransparenz der Entscheidungsprozesse, die für den Westen nicht nachvollziehbar sind, hätten die Kluft zu Europa und den USA weiter vertieft.“
    Die Autorin hat nicht nur diesen Kronzeugen. Sie beschreibt auch die Institution mit dem fatalen Fehlverhalten so:
    „Politbüro 2.0 nennen kritische Beobachter das Gremium, in dem, vorbei an Verfassung und Parlament, Kremladministration und Regierung sämtliche Grundsatzentscheidungen zu Politik und Wirtschaft fallen.“
    Am 10. Dezember hatte ich hier Gelegenheit, auf Nr. 50/2014 des „Spiegel“ zu verweisen mit der Bild und Text-Aufmachung „In Putins Kopf“. Ziemlich gewagte Aufgabe. Nun erfahren wir aus anderer Quelle, was und wie das da hineinkommt – und auch noch Unfug ist.
    Wie mag wohl das vergleichbare Verfahren anderswo und richtig gehen?
    Vielleicht erfahren wir demnächst aus dem „nd“, wie richtige Entscheidung der Staatschefs in anderen Staaten funktioniert: also ohne persönliche Berater ( nicht: „wie einst eine kleine Schar Getreuer“), weil alles im Parlament erörtert, mit allen Regierungsmitgliedern besprochen, auch mit dem Bundespräsidialamt abgestimmt wird, ohne Lobby, und vor allem immer gemäß Verfassung. Letzteres freilich unter dem Vorbehalt: „Beamte können nicht den ganzen Tag mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen“, so Bundesinnenminister Höcherl (Spiegel Nr. 18/1963).
    Wenn Putin sich so mustergültig verhielte, wäre das „für den Westen“ offenbar besser nachvollziehbar, lernen wir von Mintschenko. Und darauf kommt es ja für Russland ganz besonders an. Danke für die Info „Vom Politbüro zum Freundeskreis Putin“ !

    • Waldemar Landsberger sagt:

      Man könnte es sich leicht machen und sagen, dass es in der Moskauer Intelligentsia spätestens seit Ende der 1980er Jahre eine Spezies gibt, die von US-Diensten bezahlt wird und immer prompt das mitteilt, was jene wünschen. Wenn man sich das nicht so leicht machen will, muss festgestellt werden, dass es dort westlich orientierte Politikwissenschaftler gibt, die das auch glauben, was sie schreiben. Den Streit zwischen Westlern und Slawophilen in Russland gibt es ja seit dem 19. Jahrhundert. Die Frage ist nur, warum muss uns das außer FAZ, Die Welt und Die Zeit auch noch das ND mitteilen? Ist es bequemer, mit den Wölfen zu heulen? Vielleicht sollte der staunende Abonnent doch lieber zum junge Welt-Abo umsteigen.

  57. Frank Linnhoff sagt:

    Persilschein für Folterknechte

    Wer auch immer sich im Internet über Folter informiert, stößt nach kurzer Zeit auf Berichte, Dokumentarfilme über die „modernen Foltermethoden der CIA“, ja selbst auf das ehemals geheime Folterhandbuch KUBARK der CIA, welches jeder Interessierte herunterladen kann. Seit 1963, immerhin seit mehr als 50 Jahren, foltern CIA und US-Armee systematisch nach wissenschaftlichen Foltermethoden, welche unter anderem in Deutschland seit 1951 erarbeitet wurden. Auf YouTube kann man sich einen deutschen Dokumentarfilm anschauen, welcher 2010 auf 3Sat gezeigt wurde unter dem Begriff „moderne Folter der CIA“. Unter anderem hatte der wissenschaftliche Leiter der Folterforschung, Dr. Bracher von der Harvard Universität, den deutschen Folterspezialisten und ehemaligen KZ-Arzt Dr. Schneider eingestellt, um die Foltermethoden von Gestapo und SS kennenzulernen. Womit sich der Kreis schließt. Ab 1963 hat die CIA weltweit Folterknechte für befreundete auhthoritäre Regime in ihren wissenschaftlichen Foltermethoden geschult; besonders berüchtigt die School of the Americas in Panama. Mehr als 1 Milliarde Dollar pro Jahr hat die CIA in den 50er Jahren ausgegeben, um Methoden der Gehirnwäsche und der psychischen Folter zu vervollkommnen.

    Ich bin entsetzt, dass das Thema Folter der CIA schon jetzt aus der öffentlichen Diskussion bei uns verschwunden ist. In den USA ist dies ebenfalls kein Thema. Es sieht danach aus, dass Folter zu den „westlichen Werten“ gehört.

  58. Theosebeios sagt:

    Interessanter u. ausgewogener Kommentar, Herr Landsberger, ich wage aber doch zu fragen, ob die einleitende Qualifizierung der Organisatoren („überwiegend wohl eher unappetitliche Leute“) auch ein Stück weit jener ‚repressiven Toleranz‘ geschuldet ist, mit der nach Vorgabe unserer Meinungsträger den Demonstrierenden bestenfalls zu begegnen sei. Das doppelte „überwiegend“ eines ansonsten stilistisch perfekten Essayisten bezeugt gleichwohl Unsicherheit darüber, welches Milieu denn wohl das „Nichts“ sein könnte, aus dem diese — ja, wie sagt man am besten, Menschen? — kommen könnten. Nun, J. Augstein hat bei SPON soeben einen neuen Ton angeschlagen, den man nicht überhören wird.

    Die am Ende (Ihres Textes) zitierte „schlichte, alltagstaugliche Antwort“ Ihrer „guten Bekannten“ hat mich an die gute Bekannte eines alten Freundes erinnert. Sie wohnte seit 30 Jahren in Ffm-Fechenheim u. äußerte, den Ort zu verlassen. Warum? Mein Freund berichtete, sie würde von Kindern u. Jugendlichen beschimpft („deutsche Schlampe“, „Nazi-Hure“) u. könnte sich nicht dagegen wehren. Da ich Kontakte zum hiesigen „Netzwerk gegen Gewalt“ habe, dachte ich daran, ihr einen Ansprechpartner des Netzwerks zu empfehlen. Nach näherem Nachdenken habe ich mir selbst jedoch abgeraten, ihr zuzuraten. Vielleicht ist es das beste für sie, dass sie umgezogen ist.

    Nach nochmaligem Lesen revidiere ich meinen negativen Eindruck der Einleitung. Unappetitlich dürfen die aus dem „Nichts“ gekommenen Organisatoren durchaus sein. Sie wollten sie ja keinesfalls vernaschen.

  59. Korff sagt:

    Wie anderes auch, haben Begriffe ihre natürlichen „Gezeiten“. Kommt aber immer wieder vor, dass dieser Rhythmus von Interessenten spürbar verändert wird; was die Frage impliziert, warum?
    Aktuell gibt es als Beispiel dafür die Hausse des Wortstamms „Verschwörung“, besonders gern gebraucht in Verbindung mit dem, auch akademisch behandelten Berufsbild des „Verschwörungstheoretikers“. Muß das erörtert werden? Offenbar ja, denn:
    Erstaunlicherweise werden solche derzeit in größeren Mengen bei öffentlichen Auftritten als solche definiert, erkannt und bekannt gemacht.
    Was üblicherweise nicht so die Sache von Theorie ist – ich meine beides: Einerseits so wirksam zu werden und andererseits von aufmerksamen Beobachtern, gern mit Abstandswahrung, zur Kenntnis genommen zu werden.
    Ob es da mal wieder um handfeste Interessen geht, die hinter der einen und der anderen Position stecken oder vermutet werden müssen? Vielleicht möchte „jemand“ einen Neben-Aktionsplatz haben, um von wichtigen gesellschaftlichen Aufgaben abzulenken, bei denen weniger die Unterschiede als vielmehr die Konzentration der Kräfte das Mittel zu Veränderungen wäre? Kann man dagegen was machen? Dies wäre eine Möglichkeit: Wie wäre es, wenn das Augenmerk gemeinsam stärker auf die Wirksamkeit der „Verschwörungspraktiker“ gerichtet würde.
    Erinnerlich oder auch nicht: Oktober 2008 mit dem vielstündigen Krisentreffen von Bundesbank, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, Privatbanken (Damals gab es auch einen Herrn Ackermann!) auch Bundeskanzlerin nebst Finanzminister.
    Da war nichts mit Parlament und so; wenn es Absprachen gab, dann mit vergleichbaren Institutionen und Personen in den USA, woher die Krise ja wohl auch herüber „entsorgt“ wurde. Und dann traten Frau Merkel und Herr Steinbrück zur besten Sendezeit vor die deutschen Sparer und die internationale Öffentlichkeit mit der Versicherung, „Wir“ übernehmen die Garantie für euer Geld – nur, wenn die Lawine in Schwung gekommen wäre: Die Deckung war nicht hinreichend. Auch so kann Verschwörungspraxis funktionieren, bleibt aber Verschwörung.
    Wenn die US-amerikanische CIA gegen Geld in Polen und im Baltikum ihren Aufgaben nachgeht und die führenden Staatsmänner der beteiligten Länder höchstens vom Hörensagen davon Kenntnis hatten: Da kämen „Verschwörungstheoretiker“ nicht so leicht drauf. Dazu bedarf es der „Verschwörungspraktiker“.
    Und deren Betätigung zu beobachten und kritisch zu kommentieren wäre in der Sache wichtiger, denn die Abqualifizierung als: „Verschwörungstheoretiker“. Ohne den Theorie-Gegenstand wissenschaftlich zu behandeln, bedeutet das, das Wort wird bewusst als Kampfbegriff eingesetzt.
    Womit sich wiederum die Frage stellt, wem das nützt – oder nützen soll.

  60. Die Redaktion sagt:

    Uns erreichte folgende Mail, die wir hiermit zur Kenntnis geben möchten:

    Seit Wochen schüren in Dresden die Initiatoren von Pegida Ängste vor einer angeblichen „Islamisierung des Abendlandes“ und ernten bundesweit Aufmerksamkeit. Wir sind entsetzt, dass die Diskriminierung von Menschen islamischen Glaubens und von Flüchtlingen wieder hoffähig zu werden droht. Eine Form gegenzuhalten ist gutes Kabarett: „Humor ist der Knopf, der verhindert, dass uns der Kragen platzt“, sagte schon Joachim Ringelnatz.
    Nun hat der Kabarettist Claus von Wagner in der Sendung „Die Anstalt“ Pegida aufs Korn genommen – und erklärt, was der Weihnachtsmann, Helene Fischer und Pegida miteinander zu tun haben. Sehen Sie sich das Video an – und verbreiten Sie es bitte, wenn es Ihnen gefällt.
    Hier klicken und das Video über Pegida ansehen: http://blog.campact.de/2014/12/pegida-menschenfeindlichkeit-muss-enttarnt-werden/?utm_campaign=%2Fcampact%2F&utm_term=Blog1a&utm_medium=Email&utm_source=%2Fcampact%2Funterstuetzen%2F&utm_content=random-a&_mv=5Dal5hIpVnepO0XpAHHX14.

  61. Helge Jürgs sagt:

    Hans Erxlebens Besprechung von „Kruso“ scheint mir ein weiteres Beispiel dafür zu sein, wie unterschiedlich Bücher auf jemanden wirken können. Ich für meinen Teil vermag mich seiner Eloge jedenfalls nicht anzuschließen. Gewiß, der Rückzug von – vielen – Menschen der DDR ins Private war ein überaus aussagekräftiges Symptom für die Abstoßungskraft des realen Sozialismus, zumal gegen Ende der DDR. Suchealso nach wenigstens einem Binnen-Exil, wenn einem schon verwehrt war, das Land zu verlassen. Dass Hiddensee ein solcher Sehnsuchtsort wurde, ist bekannt und schon dank seiner Inselbeschaffenheit und Lage am DDR-Rand gut nachvollziehbar.
    Ein literarisches Sujet bietet diese durchaus prototypische Situatiion von innerlich längst Ausgewanderten also unbedingt, und daraus einen zeitgeschichtlichen Roman zu machen, ist mehr als legitim.
    Indes: Stelle ich mal die sicher korrekte Authentizität der geschilderten Umständeals literarischen Wert hintan und betrachte, was mir das Buch an Innerlichkeit vermitteln soll, so hat sich mein Eindruck dazu verdichtet, dass es – mich! – unangehm berührt hat in seiner mythischen, mystischen und quasireligiösen Manieriertheit, mit der die um Erleuchtung (gern immer mal wieder wörtlich) ringenden Protagonisten ihr auserwähltes Dasein fristen.
    Sorry, irgendwie erinnert mich das – bei allen Unterschieden – an einen früheren und ebenfalls preisgekrönten „Wenderoman“, den „Turm“.
    Um nun nicht nur zu sagen, was ich n i c h t für preiswürdige DDR-und-Wende-Literatur halte, möchte ich bei allem, was mir dazu je vor Augen gekommen ist, Peter Kahanes Fim, „Die Architekten“ (von 1990!) positiv allem voranstellen. Ohne alle Künstlichkeiten und Manieriertheiten, ohne die Denunziation auch nur irgend einer der handelnden Kräfte hat dieser ebenfalls in der DDR-Endzeit angesiedelte (und größtenteils sogar gedrehte Film) aufnahezu blutgefrierende Weise vorgeführt, wie junge und bereit- und aufbauwillige Menschen ideologischer Dogmen und ökonomischer Hilflosigkeit wegen einfach kaputtgespielt wurden; mit dem allzeitigen Hinweis auf die „gute Sache“, um die es ginge, versteht sich.. Und obwohl sicher viele von jenen sich dann ebenfalls private und gesellschaftsferne Rückzugsorte gesucht haben: Es dürfte überwiegend wohl ohne jene relgiöse Verzücktheit abgegangen sein wie die auf Krusos Insel Hiddensee .
    Was freilich aber halt nur meine Meinung ist.
    Helge Jürgs

  62. Mein Beitrag vom 10. Dezember: Hallo Theosebeios, war das jetzt ein echter Mutmacher oder ironisch gemeint ….?

    • Theosebeios sagt:

      Verflixt, dass meine Kommentare so schwer zu deuten sind! Den Mut zur Politik haben Sie doch wohl!
      Wer einen solchen Rundumschlag hinlegt, sollte auch in der politischen Praxis Farbe bekennen. Denn reden und fordern — „natürlich kann ich auf eine Drehbank steigen und rufen …“ — kann man bekanntlich viel.
      Eine Partei will ich Ihnen natürlich nicht empfehlen. Aber darauf kommt es ja in der Politik nicht unbedingt an. Also, nur zu!
      Nur eines bitte ich unbedingt zu beachten: „Heuerswerder“, das darf’s nicht noch mal geben, auch nicht durch einen Jungpolitiker.

  63. hwk sagt:

    Zwei Tage vor der Wahl Bodo Ramelows zum neuen Ministerpräsidenten Thüringens, hatte die sächsische Justiz eine Aufhebung seiner Immunität verlangt. Das soll ein Strafverfahren wegen des Verdachts ermöglichen, vor vier Jahren in Dresden eine friedliche Blockade gegen eine genehmigten Neo-Nazi-Aufmarsch mitorganisiert zu haben.
    Christian Bommarius kommentiert dies in der Berliner Zeitung als Blamage des Rechtsstaates. „Wenn das Ausdruck einer ´unabhängigen Justiz´ sein soll, wie es der sächsische Ministerpräsident behauptet, möchte man nicht wissen, wie eine abhängige Justiz arbeiten würde.“

  64. Die Friedensbewegung muss sich sorgfältig abgrenzen
    Werden da die „echten“ deutschen Friedensaktivisten gerade bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt? Drängt da ein unwissender, emotional erregter, ansonsten aber eher vor sich hin träumender Teil unserer Gesellschaft plötzlich in düstere Kolonnen, die mal Putin, mal Poroschenkow, immer aber die bösen Islamisten verdammen? Vor Wochen gab sich das noch klarer. Da wurde gegen die entstellende Berichterstattung von ARD und ZDF in Sachen Ukraine protestiert. Da ging es heftig gegen den IS, doch gleichzeitig auch gegen deutsche Waffenlieferungen in Spannungsgebiete. Da stand der Frieden noch weitgehend unbeschädigt auf der Agenda. Dann aber vermischte sich alles völlig regellos und waberte schließlich nahezu eingleisig. Plötzlich ging es nur noch gegen die Islamisten, sprich: Salafisten, dann aber mit sehr viel mehr Schwung gegen alles, was den Islam in Deutschland hoffähig macht. Zu viele Muslime, stöhnte die Qualle – ein Gebilde, dass sich selbst aufbaute, ergänzte und anstachelte. Was da in Dresden abging und sich heute über die sächsische Landeshauptstadt hinaus ausbreitet, ist beispiellos. Gerade dort, wo der Anteil zugewanderter Migranten besonders gering ist, bäumt sich die Schar der Verächter. „Wir sind das Volk“ brüllen die und beschmutzen, was uns allen wichtig war/ist. Dieser „Gemengeschar“ treten dann ebenso viele Multi-Kulti-Bunti-Anarchi entgegen – deren Standort auch nicht immer klar auszumachen ist. Noch treffen die Gruppierungen nicht aufeinander. Noch trennt sie ein massives Polizeiaufgebot. Aber demnächst? Könnte nicht morgen schon so etwas wie ein kleiner Bürgerkrieg stattfinden? Etwas, dass bestimmt und nach klaren Winkelzügen geordnet den Ruf absondert: Bleibt, wo der Pfeffer wächst! Deutschland ist alles andere als ein sicheres Land. Und sein Luxus ein Gral für Gutbetuchte, umkränzt von Scheinblüten.
    Sicher: Deutschland kann nur so viele Flüchtlinge/Migranten aufnehmen wie politisch aushaltbar ist. Gegen massiven Widerstand läuft nichts – allenfalls die Wiederholung von Heuerswerder und Mölln. Angesichts der Weigerung gut situierter Länder, ebenfalls Hilfe – und zwar in gleichem Umfang – zu leisten, steht die Politik nackt da. Sie soll auch hier den Vorreiter spielen, was alles andere als fair, aber angesichts deutscher Wohlsituiertheit wohl angesagt ist. Das ist so ähnlich wie Italien und Lampedusa, noch aber verlustloser.
    Es geht auch um Arbeitsplätze. Vor allem im Osten. Diejenigen, die die wenigen noch verfügbaren Jobs ausfüllen, fühlen sich bedroht. Und die Arbeitslosen noch aussichtsloser in die Ecke gedrängt. Ja, die Schere zwischen ARM und REICH öffnet sich hier zu Lande immer mehr. Die Wirtschaft interessiert das nicht. Sie agiert wie immer gnadenlos. Sie braucht gut ausgebildete, preiswerte Arbeitskräfte. Und die finden sich zunehmend in zugereisten Ausländern, in Spaniern, Portugiesen, morgen vielleicht auch in Syriern und Afrikanern. Wer einmal den Fuß in der Tür hat, nimmt ihn nicht wieder heraus. Und den Konzernen ist es scheißegal, wer die anstehende Arbeit ableistet. Hauptsache sie wird … und das in der notwendigen Qualität. Wenn dann die Regierenden den aufkommenden Brain Drain durch Lockrufe zusätzlich schüren, wenn sich also die Lobbyisten nach und nach durchsetzen, dann lassen sich die Produktionskosten noch einmal senken, was die ohnehin exzellente Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands (aber sagen wir besser: der großen deutschen Player) neuerlich steigert. Davon hat der kleine Mann herzlich wenig, denn die Steuern der Unternehmen, die ihm über Infrastruktur-Maßnahmen der öffentlichen Hand theoretisch zustünden/zufließen müssten, werden Zug um Zug ausgedünnt. Siehe Luxemburg!
    Wenn es den Interessierten also gelingt, die Migrantenflut durch abschreckende Ereignisse wie Straßenschlachten und Pogrome einzudämmen und andererseits die Möglichkeit für gut ausgebildete Fachkräfte eröffnet wird, die Green- oder Blue-Card zu erwerben, dürfte sich einiges zu Gunsten des marodierenden Neoliberalismus ordnen. Genau so scheint das Ziel definiert. Bleibt die Frage nach den Drahtziehern. Sind diejenigen, die für ausbleibende Resultate bei den NSU-Prozessen sorgen, auch auf dieser Baustelle aktiv? Ist es das geheime Kalkül der großen Volksparteien, auf der einen Seite den heuchlerischen, migrantenfreundlichen Schleim abzusondern und im Backstage heimliche Hetze zu betreiben?
    Ich weiß nicht, in welcher Gruppe ich demonstrieren sollte. Für die Pegida und ihre zahlreichen Ableger habe ich nichts übrig, obwohl auch in diesen, von Rechtsextremen durchsetzten „Truppen“ Forderungen aufgemacht werden, die man ernst nehmen sollte. Nur leider scheinen die allzu oft in huliganen, anarchistischen oder neofaschistischen Kontexten zu schwimmen.
    Die Gegen-Demo umfasst einige der maßgeblichen Parteien und Organisationen, auch Kirchen und Migranten-Verbände. Selbst die Gewerkschaften (ja, wie viele eigentlich?) tönen mit. Doch größere Pulks der LINKEN, der attacis und campactis sucht man vergebens. Hier dürfte es ähnlich unschlüssig zugehen wie in meinem Kopf und Studierzimmer. Wer schon will mit CDU-Leuten gegen Rechts antreten, wenn er vermuten muss, dass eben diese mit der zweiten Arschbacke im falschen Club sitzen. Dort nämlich, wo die große Verschwörung angeheizt/ignoriert oder gebilligt wird.
    Was wir brauchen, ist massiver Druck auf die Regierenden. Auf diejenigen, die die Suppe einfach kochen lassen – ohne Rezepte, ohne Konzepte. Merkel muss endlich Farbe bekennen. Sie muss sich von der Sparpolitik verabschieden (die wegen weiter einbrechender Wirtschaft in den Südländern ganze Heerscharen von ausländischen Fachkräften nach Deutschland schwemmt), sie muss klare Ansagen zur Zuwanderungspolitik machen, einen Gleichheitsgrundsatz für Migration in der gesamten EU einfordern/durchsetzen, die zugewanderten Migranten sinnvoll unterbringen, die Asylverfahren beschleunigen und gleichzeitig dem neofaschistischen Mob die Grundlagen entziehen. Letzteres geschieht am besten dadurch, dass man im öffentlichen Bereich mehr Arbeitsplätze schafft. Jeder weiß, dass allein in der Daseinsfürsorge Tausende Pflegekräfte, bei den Ordnungskräften Tausende von Polizisten, bei der Steuerfahndung ebenso wie bei der Massentierhaltung Tausende von Inspektoren fehlen. Diese Reihe ließe sich beliebig fortsetzen. Aber NEIN! Schäuble will die lügnerische schwarze NULL. Keine neuen Kosten, obwohl all das, obwohl auch tausende, akute Infrastrukturmaßnahmen nach Geld schreien.
    Da kann ich nur sagen. Das Geld ist da. Nehmen wir’s von der Bundeswehr und lassen die künftig … schön zu Hause !

    • Theosebeios sagt:

      Herr Scharfenorth, ich finde, Sie sollten in die Politik gehen. Viel Erfolg!

  65. Literat sagt:

    „Im Zweifel links“ heißt bekanntlich die Kolumne von Jakob Augstein im „Spiegel“ – ob als Bekenntnis oder weil sich das provokativ von Anderen unterscheiden soll, so genannt – mag dahin gestellt bleiben, weil in der Sache, für die Meinung, unerheblich.
    So auch in der – jüngsten – Ausgabe ( 50/2004) zu dem inhaltlich ausgelutschten Medienthema, hier mit dem Titel: „ In Putins Kopf“.
    Das Resümee der Interessen-Darstellung in der politischen Gegenwart fordert bei sonstiger Sympathie allerdings zu einem Kommentar heraus, der das Gegenteil als Ausweg postuliert: Wenn keine Umkehr möglich – neu anfangen! „Der Westen hat die russischen Interessen missachtet. Für eine Umkehr ist es schon zu spät. Für beide Seiten.“
    So Augstein. Seine Bilanz der Deformationen ist zutreffend. Daraus abgeleitet aber auch die eingeschlossene Absage an „Das Rettende“?
    Brecht wollte nie Politiker sein, Politik machen wollte er schon, und dazu hat er auch diese Erkenntnis parat: „Wer a sagt, der muß nicht b sagen. Er kann auch erkennen, dass a falsch war.“
    Lieber Jakob Augstein, können wir es bei dieser Erkenntnis bewenden lassen? Die rhetorische Frage bedarf keiner rhetorischen Antwort. Die Sache aber schon. Zur Erinnerung:
    Als in beiden deutschen Staaten die Spitzenpolitiker sich darin einig waren und häufig direkt und durch Emissäre nach Auswegen suchten, wie „das Teufelszeug“ aus Deutschland wegzukriegen sei, angesichts der strategischen Interessen ihrer Vormächte an der Stationierung weiterer atomar bestückter „Kampffeldwaffen“ in Mitteleuropa: da schien es aussichtslos. Und dennoch – vielleicht rettete doch „ein höheres Wesen“? Lassen wir die Spekulation in der Gedanken-Sphäre. Aber Frage an den politischen Praktiker Augstein, auch ohne Amt:
    Ist damit der Appell an und für Deutschland, jetzt als Mittler zwischen den Interessen – auch in einer Art Dankbarkeit dafür, dass es seinerzeit „gut gegangen“ war – Lehren aus der Geschichte zu ziehen, wirklich und unabänderlich sinnlos? Also: Laß kommen, was da wolle?
    Falls ja, schließt der berufsmäßige Optimist daraus: Dann wäre das der ausstehende Beweis für das Ende des „historischen Optimismus“. Also wissenschaftlicher Wert an sich. Und Deutschland verbliebe „Gedanken reich, doch Taten arm“ (Hölderlin, Goethe und Volksgut).

    • Theosebeios sagt:

      Dass Sie dem Herrn Augstein so eine logische und psychologische Selbstverständlichkeit — wie die Brechts vom Jasager / Neinsager — ins Stammbuch schreiben müssen, wirkt irgendwie — komisch. Man fragt sich — wie bei vielen Kommentarjournalisten –, ob sie wohl ihr eigentümliches Meinen je als korrekturbedürftig empfunden haben mögen. Vielleicht fühlen sie sich aber auch verpflichtet, zu allen Dingen eine Meinung haben zu müssen. In der Branche genügt es dann natürlich nicht, sie zu haben. Man muss sie auch, möglichst auktiorial, mitteilen. Beeindruckend.

  66. Birgitte Nyborg sagt:

    Liebes BLÄTTCHEN, schön, dass Du Dich auch mal wieder mit Joachim Ringelnatz schmückst.
    Aber eine Erwähnung, dass sich der Todestag des Dichters (17.11.1934) gerade zum 80. Male gejährt hat, hätte doch auch drin sein müssen …

  67. Korff sagt:

    Alles verändert sich, wie es war.
    Am 3./4. Juni 1961 fand in Wien ein „Gipfeltreffen“ zwischen Kennedy und Chruschtschow statt, wie der Kenner weiß. Was möglicherweise nicht so in Erinnerung ist und schon gar nicht in den Schulbüchern steht, ist die danach als Witz kursierende Berichterstattung in „Neues Deutschland“ und damaliger „Junge Welt“ über den Ausgang eines Wettlaufs der beiden beim morgendliche Jogging. Die übereinstimmende Schlagzeile habe gelautet: „Chruschtschow hervorragender Zweiter – Kennedy nur Vorletzter“.
    Am 05. Dezember meldete „SpiegelONLINE“ um 10.50: „Im zweiten Anlauf am Ziel. Der Linkspolitiker Bodo Ramelow ist zum Thüringer Ministerpräsidenten gewählt worden.“
    Was in beiden Meldungen ist wohl jeweils die wichtigste Botschaft und sollte nach den Regeln der Informationsvermittlung an der Spitze zu stehen?
    Richtig – immer das, was gerade in den eigenen Streifen passt. Manche nennen das allerdings Parteilichkeit und finden das bei andern nicht so gut.

  68. Natürlich geht es um eine neue Qualität!
    Lieber Werner Richter, Dank für Ihren Kommentar vom 23. November! Wiederholung soll ja die Mutter der Weisheit sein, auch was das Nachdenken darüber, was in der Wirtschaft vor sich geht und was die Politik in Bezug auf die Wirtschaft zu tun hat, betrifft. Ich fasse mich in meiner Erwiderung auf Ihre Ausführungen so kurz wie möglich und konzentriere mich auf die Frage des Geldes.

    Erstens: Ich betrachte durchaus nicht „nur die quantitative Seite des Geldes“. Im Gegenteil! Sein verändertes Wesen, nämlich nicht mehr (allgemeines) Äquivalent zu sein, drückt eine neue Qualität aus. Es ist beziehungsweise hat keinen eigenen Wert, vertritt solchen auch nicht (zum Beispiel den des Goldes), sondern ist zur direkten Information über gesellschaftliche Durchschnittsarbeit und Anspruch darauf geworden. Darin äußert sich auch eine neue Qualität der Beziehungen zwischen den Menschen im gesellschaftlichen Reproduktionsprozess, der mittels dieses Mediums der (Zentral-)Bank reguliert wird. Das ist nicht nur eine „neue Geldform“, sondern der Sache und Funktionsweise nach etwas anderes als das Geld des 19. Jahrhunderts. Zentrale gesellschaftliche Regulierung ist heute nicht nur eine Notwendigkeit, sondern weitgehend auch Realität geworden – wenn auch noch mit völlig ungenügender Konsequenz. Insbesondere mangelt es an der Erkenntnis, dass der Umgang mit diesem neuen „Geld“ nicht mehr eine private, sondern eine gesellschaftliche Angelegenheit ist und gesellschaftlicher Regeln und Regulierung bedarf, beispielsweise die Einkommen und die Verfügung darüber betreffend. Und dies gilt nicht nur im nationalen Rahmen, sondern wenigstens auch für ganze Währungszonen wie den Euro-Raum (Stichwort beispielsweise: Länderfinanzausgleich). Finanzminister Schäuble hingegen glaubt, in seinem Sparwahn den anderen EU-Ländern ein Vorbild sein zu müssen. Dem Schwaben steckt der Zwang zum Sparen tief im Blut. Er hat es von der Pieke auf so gelernt, und seine Vorstellungen vom Geld und vom Wirtschaften sind eben noch die voriger Jahrhunderte.

    Zweitens: Man mag die Sache so sehen und verstehen wie ich oder wie Sie, lieber W. Richter. Die allermeisten Zeitgenossen scheinen ohnehin nur (dies oder das oder sonst was, gewöhnlich das Althergebrachte) zu glauben und nur der äußersten Not gehorchend dementsprechend, meist blind, zu handeln. Leider und vor allem wohl auch die Politiker!
    Was dabei die ganze ehemals und heute sozialistisch orientierte Bewegung betrifft, so wäre gerade für sie wichtig, die Gräben zu überwinden, die vor etwas mehr als hundert Jahren ihren Ursprung in zunächst theoretischen und dann politisch-praktischen Meinungsverschiedenheiten hatten. Bezeichnend dafür war die Auseinandersetzung zwischen Rosa Luxemburg und Eduard Bernstein. Mir scheint heute die Zeit reif zu sein, nach ersten praktischen politischen Versuchen auch in theoretischer Hinsicht durch neues Denken die Basis gemeinsamen Handelns zu festigen. Dies war zwar nicht der Zweck meiner umstrittenen Überlegungen, doch ihr Ergebnis führte mich zu auch für mich zuvor nicht erwarteten Schlussfolgerungen. Ihr Kern: Bei einer auch theoretisch begründeten Überwindung alter Feindschaften kann eine überwältigende gesellschaftliche Basis geschaffen werden, um dieser in ihrer ökonomischen Basis bereits entstandenen neuen Gesellschaft ihr absurd-kapitalistisches Antlitz zu nehmen und durch Reformen im Wirtschaftsrecht und Finanzwesen einen von den gesellschaftlichen Bedürfnissen geprägten Charakter zu geben (Stichwort: Überwindung des Wachstums- und Verwertungswahns durch ein Wirtschafts- und Finanzrecht, das den heutigen Erfordernissen gerecht wird).

  69. Bernhard Kellen sagt:

    … Und den Einwand, man könne doch nicht den Ukrainern nicht sagen, dass „sie nicht frei sind, ihre Zukunft selbst zu bestimmen“, kontert Kissinger mit einem abgeklärten „Warum nicht?“ …,
    heißt es in Marian Krügers Text in der neuen und sehr interessanten wie anregenden Ausgabe. Das nun ist m. E. genau jener imperiale Duktus, in dessen Zeichen us-amerikanische Politik seit Jahr und Tag steht, und woran Kissinger lange genug einen sehr persönlichen Anteil hatte. Nun wird eine solche Äußerung als Quasi-Rechtfertigung des russischen Vorgehens gegen jene Nachbarschaft in Anspruch genommen, die nun aber eben nicht mehr ein Teil des Reiches der Rus ist, sondern – wie im Falle der Ukraine – ein souveräner Staat, ob einem dessen Politik nun passt oder nicht. Während die „vernünftige Welt“ den amerikanischen Hegemonismus, ganz und gar, wo dieser gewalttätig war, allzeit und nahezu unisono verurteilt und bekämpft hat, wird dessen Credo (Was kümmern uns die Interessen von Völkern, wenn sie unseren Interessen entgegenstehen) nun in Anspruch genommen, um wieder einmal über das Schicksal eines Volkes zu befinden; es ist schon aufschlussreich, wer da eine geistige Brüderschaft dokumentiert.
    Bernd Kellen

  70. Ulrich Busch sagt:

    Kürzlich hatte Herr Mankwald den Lesern Marx als Geldtheoretiker nahe bringen wollen (Nr. 22/2014), jetzt versucht er es mit Marx als Kredittheoretiker (Nr. 24/2014). Fand jenes Vorhaben schon keine ungeteilte Zustimmung, so dieses noch weniger. Insbesondere muss der Behauptung, Marx habe zum Kreditwesen keine „eingehende Analyse“ vorgelegt, widersprochen werden. Dies schon aus formalen Gründen, denn Marx widmete dem Kredit als einem wesentlichen Element im Gesamtprozess der kapitalistischen Produktion einen ganzen Abschnitt des dritten Bandes seines Hauptwerkes mit 16 Kapiteln und insgesamt 276 Seiten. Es ist dies der umfangreichste Abschnitt im „Kapital“ überhaupt. Aber Marx befand sich damit auch inhaltlich durchaus auf der Höhe seiner Zeit. Dies gilt zumindest für die 1850er und 1860er Jahre, obwohl er der Banking School anhing, einer Theoriekonzeption, die sich in der englischen Bankgesetzgebung von 1844 nicht durchsetzen konnte. Aus der Perspektive des 20. und 21. Jahrhunderts freilich ist die Marxsche Kreditauffassung wegen der inzwischen veränderten ökonomischen Verhältnisse nur noch von theoriehistorischem Interesse. Aber das gilt ja bekanntlich auch für andere Analysen früherer Jahrhunderte.

    • Herr Busch wirft mir in seinem gestrigen Kommentar vor, dass ich eine Absichtserklärung von Karl Marx zitiere; ausführlicher lautet das Zitat: „Die eingehende Analyse des Kreditwesens und der Instrumente, die es sich schafft (Kreditgeld usw.), liegt außerhalb unsers Planes.“ (MEW Bd. 25, S. 413) Gleich im nächsten Satz erwähne ich, dass dennoch „einige Kapitel“ zum Thema entstanden sind; eigentlich dachte ich dabei, dass eine ironische Anspielung auf die Ansprüche, die Marx an seine Arbeit stellte, eifrige Blättchen-Leser nicht überfordern würde.

      Herr Busch schreibt, Marx habe „dem Kredit […] einen ganzen Abschnitt des dritten Bandes seines Hauptwerkes“ gewidmet. Allerdings befasst sich der erwähnte Abschnitt unter anderem auch mit dem Zins, mit der Akkumulation von Geldkapital, mit dessen Verhältnis zu wirklichem Kapital und mit den Auswirkungen der Ausfuhr von Edelmetallen auf die Wechselkurse. In der vorliegenden Form ist der ganze Band ohnehin das Werk des Herausgebers Friedrich Engels, der wichtige Ergänzungen beitrug; gerade für den fraglichen Abschnitt fand er nur einen „Ansatz von Ausarbeitung, der mehr als einmal in einen ungeordneten Haufen von Notizen, Bemerkungen, Materialien in Auszugsform ausläuft.“ In diesem Text eine gänzlich authentische Meinungsäußerung von Marx zu sehen wäre also verfehlt; der Vergleich mit der Gesamtausgabe bietet sicher noch Stoff für etliche Dissertationen.

      Die wesentlichste Beschränkung des Themas dagegen erwähnt Marx selbst: der Zusammenhang der oben erwähnten Phänomene mit der Entwicklung „des öffentlichen Kredits bleibt außer Betracht.“ Und in der Tat finden sich hierzu bei Marx nur vereinzelte Anmerkungen.

      Ob aber dessen Auffassungen über die Staatsschuld, über Kreditgeld, über Kredit als Grundlage der Spekulation, über „fiktives Kapital“, über den Zusammenhang zwischen Finanzkrise und Überproduktion wirklich „nur noch von theoriehistorischem Interesse“ sind – darüber mögen sich Leserinnen und Leser des „Blättchens“ selbst ein Urteil bilden.

  71. Werner Richter sagt:

    Zu „Die Aktualität von John Stuart Mill“ von Ulrich Busch“ Heft 23-2014
    (Wie man dieser Art Verteilungstheorie auch verstehen kann)
    Also, ich würde Mill nebst Piketty tiefer hängen. Der theoretische Wert ihrer Arbeiten könnte dürftig sein. Der Autor ist auch vorsichtig, kann aber seine Sympathie für Mill nicht verbergen. Was ist daran zu kritisieren? Nun, zunächst stellt der Autor Aussagen von Marx u.a. die Aufwertung durch Freud entgegen. Da stellt sich doch einfach die Frage: Können Marx, Nietzsche u.a. so irren und ist Freud der Richtige? Aber vielleicht ist Mill doch verkannt worden. „Zeitgenössische Urteile … seine politische und ideologische Unvoreingenommenheit, seine Kompromissbereitschaft, sein Harmoniestreben, …“ Welches Potential birgt besonders Mills „Unvoreingenommenheit“! Die erzwingt geradezu exakte Analyse und realistische Konzepte. Apropos „Harmonie“: wieviel davon hätten‘s gern? Bei expandierender Rüstungsindustrie ergäben sich ungeahnte Perspektiven. Die Völker tolerieren die Profitierung des Kapitals über Waffen, dafür spendet der Profiteur eine Henkersmahlzeit. Wo liegt denn eigentlich „wirklichkeitsfremde Modelltheorie“ vor? „ [Mills] „Reformideen .. menschliche Existenz … Lösung …, ohne … dadurch das System … [zu] gefährde[n].“ Welch große Unvoreingenommenheit, das System steht nicht zur Disposition und muß folglich nicht analysiert werden. „… die Ökonomie derart „zwischen Science und Art“ platziert, … weder wirklichkeitsfremde Modelltheorie noch theoriearme Politik…“ Kennt der Autor nur diese Alternative? Ziemlich fade Begründung, um aus lauen Ideen „Ökonomie“ zu machen, nur weil die Zeit es ermöglicht. „Mill … „Ökonomie als eigenständige Wissenschaft mit klar umrissenem Forschungsprogramm und eigener Methodik …““….“ … Ökonomie als strenge Wissenschaft…“ … „. Als politische Ökonomie bleibt sie für ihn „eine soziale und moralische Wissenschaft““ Und flugs hat man aus Gespinst[„zwischen Science und Art“] eine Wissenschaft gemacht. Abrakadabra! Peng. Hier wird es aber interessant. Piketty, der Mills Theorie kopiert, hütet sich tunlichst, seine als Wissenschaft zu verkaufen. Er weiß wohl um die Unmöglichkeit und hat Mill die historischen Erfahrungen voraus. Also, will er „politische Ökonomie“, eine semantische Täuschung, anstelle von Wissenschaft. Mill wollte Ökonomie als eigenständige Wissenschaft. Wie soll dann dessen Wissenschaft heißen: Wissenschaft von der heilen Welt auf Basis der Harmonielehre? Das wäre Traumtänzerei. Es liegt nicht im Alternativbereich der Kapitalisten, zu teilen oder nicht. Sie sind personifiziertes Kapital und müssen das tun, was das Kapital braucht oder sie versagen und gehen unter. Zum Ausweg mittels Verteilungstheorie: Welche Relationen bilden die Basis der Theorie mit welchen Kategorien/Definitionen? Um Mißinterpretationen vorzubeugen: Es steht nicht Notwendigkeit der Analyse von Einkommensverteilungen in Abrede. Sie hat jedoch nicht die Funktion des Ersatzes wissenschaftlicher Ökonomie. „Mill … „öffentlicher“ Denker … das heißt, er (machte) alle(s)… öffentlich und diskutierte (sie) in der Öffentlichkeit“ Mit Verlaub, das macht jeder reformierte Pfarrer auch, nennt sich jedoch nicht Ökonom oder Wissenschaftler! „… Beitrag leistete Mill auf dem Gebiet der Ökologischen Ökonomie.“ …„Mill und die gegenwärtige Ökologische Ökonomie… “ Verteilung ist ein wichtiger Indikator. Aber Veränderungen an Indikatoren, wie Mill versucht, vorzunehmen ist, wie eine neue Meßskala auf das Thermometer zu malen, um die gewünschte Temperatur nachzuweisen. Kann mir jemand erklären, wie Nachhaltigkeit (Grundthese der Ökologie) und Nachträglichkeit des Marktes (Kapitalismus) miteinander korrespondieren können? „Ein besonderer Stellenwert kommt bei Mill dem Begriff der wirtschaftlichen und politischen Freiheit…“ Sehr gut zu messen, oder? Aber beliebig anzuwenden! Unter der Herrschaft der Finanzgiganten ist auch Genossenschaft ein Ausbeutungsverhältnis, Freiheit des Kapitals von staatlicher, gesellschaftlicher und moralischer Begrenzung. Ach nee, bleibe lieber bei Marx.

  72. Werner Richter sagt:

    “ ZU Piketty und seine linken Kritiker“ Blättchen 23-2014 von Heerke Hummel
    Man kratze nur ein bißchen an Pikettys Hülle, und ein Anhänger der „Pferdeäppeltheorie“ wird sichtbar in Gestalt des harmonisierenden Verteilungstheoretikers. Niemand leugnet ernsthaft die Daseinsberechtigung der Verteilungstheorie. Aber als alleiniger Ansatzpunkt für den Wandel der Gesellschaft zu einer menschlicheren hat sie zu wenig Substanz.
    Der Autor ordnet Marxens Theorie so ein: „…[Die Verhältnisse] haben sich grundlegend verändert, und darum muss Marx‘ Theorie nicht dogmenhaft interpretiert…“. Klingt harmonisch, ist es aber nicht. „…Veränderung der Beziehungen der Menschen zu den Produktionsmitteln“ … „…technologisch als auch ökonomisch…“… „Letzteres äußerte sich besonders in der Veränderung des Wesens des Geldes.“…“ Geld war zu Marx‘ Zeiten, in dessen Verständnis und in seiner Theorie als Edelmetall eine „allgemeine Ware“…“ ist die gebräuchliche Charakterisierung.
    Hier haben wir eine übliche Vereinfachung von Marx. Zum „Wesen des Geldes“: hier – nur Ware, also nur die quantitative Seite des Geldes. Wo bleibt Marxens vollständige Gelddefinition? Neue Geldformen sind nicht automatisch Ausdruck neuer PV oder umgekehrt, wie es der Beitrag suggeriert. Es steht im Hintergrund der Vorwurf, Marx habe den WTF nicht erkannt und beachtet. Dazu sei Hobsbawm (Wie die Welt verändern?) empfohlen.
    „Mit kapitalistischer Warenproduktion, wie Karl Marx sie analysierte, hat [die jetzige Gesellschaft] kaum noch etwas zu tun. Viel eher mit seiner Vision von der neuen Gesellschaft in seiner „Kritik des Gothaer Programms“: …“
    Das ist eine völlig falsche Zuordnung der Marxschen Fiktion im „Gothaer Programm“. Im Gegenteil, Marx kam nie in den Sinn, aus einer Formwandlung des Papiergeldes eine neue Gesellschaft zu folgern. Wäre auch paradox, weil seine Kapitalanalyse die Analyse der allgemeinen Warenproduktion einschließt, sodaß klar ist, solange Warenproduktion dominiert, kann keine neue Gesellschaft entstehen. Von einer Übergangsgesellschaft kann erst die Rede sein, wenn signifikanten Anteile einer Nichtwarengesellschaft neben der Warenproduktion bestehen und der Übergang zur ersteren die Gesamtlage bestimmt.
    „Andererseits verzichtet diese heutige (missverständlich noch immer als kapitalistisch bezeichnete) Gesellschaft … In dieser Hinsicht einen Wandel herbeizuführen, kann nicht die Aufgabe einer neuen, zur Macht strebenden Klasse sein (die es nicht gibt), sondern liegt im objektiven Interesse aller Schichten der Gesellschaft (thematisiert bereits 1959 als Weg zum „Demokratischen Sozialismus“ im „Godesberger Programm“ der SPD, wenn auch nicht politökonomisch theoretisch begründet). Thomas Piketty mit seinem Buch ist Ausdruck dessen.“
    Richtig, Piketty folgt alten Vorstellungen a la Polanyi, hat also einen politischen, nämlich nichtökonomischen Ansatz. Darum nennt er seinen Weg „politische Ökonomie“ anstelle „Wirtschaftswissenschaft“, ein semantischer Trick. Ein theoretisches Anliegen (Marx) wird zur Farce (Piketty). Dem entspricht auch logisch die vollständige Abstinenz eindeutiger Kategorien. Er zieht beliebig gewählte Begriffe mit unklarer Definition (Kapital, Nationaleinkommen) vor. So holt er die sagenhafte Formel aus der Versenkung: „r>g“, eine Binsenweisheit, die er sehr einseitig interpretiert und die so untauglich wird, als Zentrum seiner Theorie. Bei deren Anwendung bezichtigen ihn Ökonomen jedoch der Tautologie. Gewaltige Leistung. Mein alter Mentor Helmut Faulwetter hätte gesagt: Keine echten theoretischen Erkenntnisse, aber die Fleißarbeit ist anzuerkennen. Es ist schon kurios, wenn Piketty den Begriff „Wissenschaft“ für seine Theorie wohl aus gutem Grunde ablehnt, den Mill und Polanyi, denen er kopierend folgt, diese Einordnung heftig für sich reklamierten.

  73. Hans-Peter Reller sagt:

    Der wunderbare Satiriker, Sprachpfleger und Aphoristiker Hans-Georg Stengel hat mal – sinngemäß – diese Zeilen gedichtet:
    Als er erfuhr, dass Rom liegt in Italien und Delft in den Niederlanden, bemerkte er gewichtig: Einverstanden!
    Werner Richters Einverständnis resp. sein Daumensenken hat Stengel seinerzeit nicht fürchten müssen.

    • Werner Richter sagt:

      Sind Sie sicher, Hans-Peter Reller, zu der Sache mit Rom? (auch ein Stengelsches Bonbon) Kenne Stengel ganz gut, hatte des Öfteren das Vergnügen, seinen Lesungen zu lauschen und ihn zu lesen. Aber daß er mich gekannt haben soll, ist mir neu. Ist Ihnen wohl entgangen: Das Forum ist a u c h eine Fortsetzung resp. Vervollständigung der Artikel. Neue Artikel zum gleichen Problem zu bringen wäre Unsinn, dem steht wohl auch die Redaktion entgegen. Also bleibt nur das Forum. Wenn mancher Leser sich daran stößt und sowieso lieber aus dem Hinterhalt lästert, ist das auch normal. Was kümmert es die Eiche… Und wenn ich helfen kann, gern.

  74. Werner Richter sagt:

    Zu Karsten D. Voigt „Neue Phase der deutschen Ost- und Russlandpolitik“ Heft 22-14
    Endlich mal eine klare Ansage. Sonst immer nur dieses Herumgedruckse, Klartext muß her, würden auch Andreas Wiemer & Werner Doye finden, hätten sie das Blättchen gelesen.
    „Russlands Politik gegenüber seinen westlichen Nachbarn wird positiv wie negativ durch eine Fixierung auf die USA geprägt. Russland strebt eine Rolle als gleichberechtigter und gleichmächtiger Machtpol neben den USA an.“
    USA spielen hier aber doch keine Rolle, oder haben wir die schon mal irgendwo erwähnt? Das uns die USA gegen Rußland zu unseren Lasten vorschicken, ist eine böswillige Verleumdung.
    „Mit seiner zunehmend autoritären Entwicklung ,dem Rückgriff auf Symbole und Politik der Zarenzeit und der nachlassenden Bereitschaft, die sowjetische Periode kritisch aufzuarbeiten, entfremdet sich Russland immer mehr von den demokratischen Staaten Europas.“
    BND hat herausgefunden, daß Putin sogar des Zaren Stiefel unter seinem Bett stehen hat und sie heimlich, kurz vor dem Schlafengehen, zusammen mit Stalins Fußsocken anprobiert. Mann, ist der gefährlich!
    „Mit der Nutzung der Energieversorgung als politisches Druckmittel untergräbt Russland das Vertrauen, das seit Anfang der 70er Jahre die Grundlage der energiepolitischen Zusammenarbeit mit Westeuropa gewesen war.“
    Ja, die Russen können doch nicht einfach die Bezahlung des Erdgases durch die Ukraine verlangen und den Hahn zudrehen, wenn nicht bezahlt wird. Ukraine hat eben kein Geld, das bißchen, das sie haben, wird für Waffen + Ausrüstung + Solde gebraucht. Machen wir doch auch nicht, wenn jemand nicht zahlen kann, dann kann er eben nicht. Wir liefern dann ungerührt weiter, nehmen dann eben die Kronjuwelen.
    „Erklärtes Ziel russischer Politik ist es – auch über die Krim und die Ost-Ukraine hinaus – Russen und russischsprachige Bürger in anderen Staaten zu „schützen“. Meiner Meinung gab es auf der Krim und in der Ost-Ukraine keine Diskriminierung russischsprachiger Bürger.“
    Jo, geht nicht, dürfen nur die Amis.
    Nein, nein, den Gesetzentwurf, unmittelbar vor Inkraftsetzung schnell in den Papierkorb, vermutlich zufällig von den Beratern entdeckt, zur quasi Staatenlosstellung russisch sprechender Ukrainer, hat es gar nicht gegeben wie auch kein analoges Gesetz in Estland.
    „Wenn es der russischen Führung aber wirklich darum gegangen wäre, eine angebliche Diskriminierung zu beheben, dann hätte sie sich in Verhandlungen mit der ukrainischen Regierung darum bemühen können. Dass dies Moskau nicht versucht hat,…“
    Hat Kiew nicht etwa um Verhandlungen gebettelt? Sogar die Androhung der Vernichtung aller Russen hat nicht geholfen. Nur, Rußland wollte immer nur über anderes verhandeln, 3-seitiges Abkommen anstelle Assoziierungsabkommen zwischen EU + Ukraine und so. Mit denen konnte dann ja keiner sprechen.
    „Dies spannungsreiche Nebeneinander einer auf Kooperation und einer auf Risikovorsorge und Gefahrenabwehr angelegten Politik stellt einen Rückschritt gegenüber den letzten Jahren und Jahrzehnten dar.“
    Da hat er aber Recht! Dieser Wandel in der sozialdemokratischen Politik, dem Herr Voigt verpflichtet ist, geht gewaltig, noch weit hinter Bismarck, zurück.
    „Das Angebot an Russland, gleichberechtigter Bestandteil einer europäischen Friedensordnung zu werden,…“
    Wir werden dem Putin schon töten, wenn ihm auch quiekt.
    „Aber wer gleichberechtigter Teil einer gesamteuropäischen Friedensordnung werden will, der muss die grundlegenden Normen, Prinzipien und Vereinbarungen dieser Ordnung als Richtschnur für seine politische Praxis akzeptieren.“
    Natürlich, unsere Normen!
    „Die deutsche Politik sollte sich auch weiterhin um einen regen Dialog mit der russischen Führung und der russischen Gesellschaft bemühen.“
    Sie werden es schon noch merken: Wir wollen doch nur spielen, beißen nicht.

  75. Ulrike Sobotzik sagt:

    Ein wunderbarer, weil bei aller Knappheit so treffender Text von Heino Bosselmann, der als Autor für das Blättchen überhaupt ein großer Gewinn ist.
    U. Sobotzik

    • Franka Haustein sagt:

      Dem Lobgesang auf Autor Bosselmann schließe ich mich an, sehe aber noch Potenzial für Steigerungen – z.B. im Hinblick auf historische Stimmigkeit.
      Sein aktueller Beitrag enthält 1 sachlichen Fehler – und zwar in diesem Satz: „Man integrierte das Portal VI des Hohenzollernschlosses, vor dessen Balkon Liebknecht am 9. November 1918 die sozialistische Republik ausgerufen hatte, in Honeckers Staatsratsgebäude.“ Wenn ich verrate, dass dieses Gebäude von 1962-64 errichtet wurde, liegt der Fehler quasi auf der Hand …

  76. Peter Kolbeck sagt:

    Lieber Wolf Biermann, Ihre Unterdrückung als freigeistiger Literat und ganz und gar Ihre Ausbürgerung aus der DDR waren unverzeihliche Selbstoffenbarungen dessen, was zu Recht Diktatur genannt wird. Ebenso gebührt Ihrer Courage, zu sich selbst zu stehen, bis heute großer Respekt. Was Ihre allerdings recht selbstgefällige Eigenwerbung als ultimativen Drachentöter betrifft, so empfiehlt sich ein Nachdenken über einen Strindberg-Satz in dessen „Totentanz“: „Wer zu lange gegen Drachen kämpft, wird selbst zum Drachen.“ (1901)

    • Wolfgang Brauer sagt:

      Lieber Peter Kolbeck, ich habe keine Ahnung, wo Wolf Biermann sich selber treu blieb. Höchstens mit der Maxime „Wes Brot ich eß, des Lied ich sing.“ Das war seinerzeit auch nicht besonders couragiert: Mit besten Beziehungen zur „first lady“ lässt sich trefflich ein garstig Lied singen. Das ist auch heute nicht besonders couragiert, sondern normales kreatürliches Freßverhalten.Natürlich muss man dann auch die Feinde des Ernährers angreifen… Um mich mal gleich präventiv zu entschuldigen: Natürlich fand ich damals (hab es auch laut gesagt, ohne eingesperrt zu werden…) die Ausbürgerung idiotisch und halte sie auch heute noch für ein idiotisches Bubenstück. Wenn es allerdings stimmt, was Reinhold Andert und andere behaupten, dass die ganze Sache seinerzeit vom Drachtöter und seiner liebsten Drachin ausgeheckt wurde, um ersterem ein auskömmlicheres Salär zu sichern, dann wäre das schon heftig. Der Barde mit den schlechten Versen hätte dann tatsächlich den Welt-Freiheits-Orden in Lebensgröße und massivem Gold verdient. Die Kiste wurde die Initialzündung zum Bruch zwischen der DDR und vielen ihrer besten Intellektuellen. Damit zum ersten Sargnagel. Biermann ist daran nicht Schuld. Honecker wars. Und Margot in jedem Falle.

  77. Werner Richter sagt:

    Piketty Superstar
    Gestern war ich bei Piketty, d.h., ich wollte, keine Chance reinzukommen. Meine Naivität wurde klar, als ich im überfüllten Bus an noch mehr Wartenden an allen Haltstellen vorbeifuhr. Tausende junger Leute, zumeist aus dem Studentenmilieu, aber mehr Freaks, weniger Ökonomen, standen gleich mir hoffnungslos am Einlaß. Ich hatte mehr den Eindruck einer Pop-Veranstaltung als einer Wissenschaftsvorlesung. Nach Gerüchten, durchaus glaubhaft, war entgegen der Ankündigung bereits vorher klammheimlich das Gros der Karten verteilt worden. Riecht sehr nach gezielter Auswahl, der auch das Podiumspersonal, sehr wahrscheinlich auch gezielt, entsprach. Keine Ökonomen darin. Dieser Eindruck trifft sich auch mit der Schlußerklärung in Pikettys Buch (788 unten), wo er den Begriff „Wirtschaftswissenschaft“ ablehnt und „politische Ökonomie“ favorisiert. Eine harmlos klingende, aber fadenscheinige Begründung seiner historisch empirisch angelegten Grundrichtung. Untermauert findet man diese Grundrichtung im Film „Der Kapitalismus“ Teil 6, den er als Protagonist entscheidend mitgestaltet: Dort beruft er sich nach Kritik der bisher üblichen Alternative „Hayeck gegen Keynes“ auf Karl Polanyi, den er interessanter Weise im Buch ausspart. Nachtigall… Sein Ansatz sei eine sozialdemokratisch-popperianische Anthropologie des Kapitals, ließ er die „Zeit“ wissen (Wikipedia). Wir haben mit ihm also eine neue Variante der Kapitalhüter in der Theorie im Vordergrund, wobei der Hayecksche Neoliberalismus in verschiedenen Formen die Wirtschaftspolitik voll im Griff hält, aber in der Theorie jede Glaubwürdigkeit verspielt hat, ausgelutscht ist. Piketty steht auf Abruf. Er wird popartig aufgebaut, damit ja niemand seine Theorie hinterfragt. Ist er Pop, setzt der Glaube ein. Halbgötter hinterfragt man nicht. Es wäre recht interessant, welche Rolle die „Blätter für deutsche und internationale Politik“ als Veranstalter in diesem Spiel übernehmen. Wir werden in Zukunft an einer Neuauflage historisch empirischer Theorie zu knabbern haben. Das ist mal was Neues, nach der eklektizistischen Richtung mal wieder eine historizierende.
    Ein erfreuliches Ergebnis brachte mein Ausflug doch, vor dem Haus der Kulturen der Welt verteilte ein kleines, unrasiertes Männchen Abzüge einer Piketty-Kritik, eingebracht am 01./02. November über das ND. Es ist anzunehmen, der Autor Klaus Müller, TU Chemnitz, himself verteilte die Blätter. Sehr anständig und auch eine nützliche Hilfe, denn Müller hat Pikettys theoretisches Gebäude geprüft und, nachvollziehbar, als dürftig empfunden.
    So bleibt nur, diesen „Piketty“ zu lesen. Es bleibt uns auch nichts erspart.

    • Müller, Klaus sagt:

      Lieber Herr Richter: Ich bin weder ein kleines, unrasiertes Männchen noch fahre ich aus dem Erzgebirge nach Berlin, um meine Artikel zu verteilen. Ihre Zustimmung hat mich dennoch gefreut. In einer winzigen Kolumne kann man aber leider keine tiefschürfende Kritik unterbringen. Es wäre mehr zu sagen.
      Herzliche Grüße
      Klaus Müller, TU Chemnitz

  78. Holger Kreuzner sagt:

    Inwieweit das Gros der alles dominierenden Einträge Werner Richters das Blättchen ziert, sei einmal dahingestellt; man kann sich seine Leser ja nur bedingt aussuchen. Seine Einlassung zur Grenzsicherung der DDR siedeln m.E. allerdings jenseits des Hinnehmbaren. Ich rede nicht mal davon, dass er den Begriff Republikflüchtlinge mit bezweifelnden Anführungszeichen versieht (diese Funktion haben diese Zeichen in der Regel an Stellen, wo man sie sonst eigentlich nicht benötigt) – seine Erklärung, dass mit Stacheldraht, Minenfeldern und ganz und gar nach innen gerichteten Selbstschußanlagen den NATO-Truppen in erster Linie der Überfall auf die DDR verwehrt werden sollte und besagte Flüchtlinge lediglich „die Dummen“ waren, könnte nur noch lachen machen, sofern dies der Gegenstand solcher Infantilität denn zuließe.
    Holger Kreuzner

    • Werner Richter sagt:

      Herr Kreuzner, Sie, wie ja auch alle anderen, können meine „Dominanz“ durchaus mit eigenen Beiträgen beeinflussen. Es war schon vorher klar, daß mein Beitrag Widerspruch erzeugen würde und das ist auch gut so. Mein Beitrag war darauf gerichtet, die übliche Wiedergabe allgemeiner Schubladenbezeichnungen etwas in Frage zu stellen. Bisher war ich der Auffassung, unter „Infantilität“ kritiklose Übernahme und gedankenloses Nachplappern von allgemeinen „Wahrheiten“ einordnen zu können. Da muß ich mich wohl getäuscht haben. Ich kann auch die Stelle nicht finden, an der behauptet wird, die Grenzsicherung wäre „in erster Linie“ gegen den „äußeren Feind“ gerichtet gewesen. Zur Vollständigkeit der Geschichte gehört jedoch auch, daß militärische Überlegungen, wie geschildert, zu Art und Weise der Organisation der Grenzsicherung beitrugen nebst den Auswirkungen. Auf Ausschließlichkeit der aus dem politisch gezielten Gebrauch von Begriffen wie Freiheit, Diktatur, Unrechtstaat hergeleiteten vereinfachten Darstellungen von geschichtlichen Ereignissen zu bestehen, bringt m.E. keinen wesentlichen Erkenntnisgewinn. Übrigens, wird „…“ auch verwendet, wenn es sich um Originalbegriffe, die aber an dieser Stelle nicht hinterfragt werden sollen, handelt.

  79. Literat sagt:

    Jetzt, am 31. Oktober, um 20.10 Uhr hat „Spiegel ONLINE“ erneut Grund zur Besorgnis: „Wollte Russland erneut provozieren?“
    Inzwischen, in eher begrenztem Vertrauen zum „Sturmgeschütz der Demokratie“ , ist es tunlich, nach dieser Meinungsäußerung vor der Nachricht (!), mal wieder die berühmte Klassenfrage voran zu stellen: Wer – wen?
    Denn, so klagt unsere Informationsquelle: „Wieder mussten NATO-Kampfjets einschreiten und nahe Portugal russische Militärflugzeuge im internationalen Luftraum abfangen.“
    Merke (um eine ständige Schlussbemerkung früherer Spiegel-Texte in Erinnerung zu rufen): Um der „Freiheit der Meere willen“ wurden schon zahlreiche Scharmützel und ausgewachsene Kriege geführt.
    Frage: Im internationalen Luftraum kann man einfach so „abfangen“, zumal mit der Begründung, dies „gehört zu den Standardvorgehensweisen bei der gemeinsamen Luftraumüberwachung“ (O-Ton)?
    Vielleicht wird damit aber auch nur für ein Maut-System geübt …

  80. Werner Richter sagt:

    Zu „Geldpolitische Grenzüberschreitung“ von Ulrich Busch, Heft 22-2014
    „Die EZB erwies sich in dieser Situation als „Retter in der Not“, indem sie die sechs Krisenländer großzügig
    mit Liquidität versorgte und dadurch vor dem Untergang rettete. Bei dem Geld, das sie dafür
    bereitstellte, handelte es sich natürlich um Kredite und nicht etwa um Geschenke. Als Zentralbank
    schöpfte sie diese Kredite, und damit das rettende Geld, aus dem „Nichts“ (siehe: Das Blättchen
    2/2014). Dies bedeutet aber keineswegs, dass der Umfang der Kreditschöpfung und die daran geknüpften
    Bedingungen gleichgültig wären. Ganz im Gegenteil: Kredite sind an Auflagen gebunden
    und müssen mit Zins und Zinseszins zurückgezahlt werden. Im Falle Irlands hat das ganz gut funktioniert,
    in den südeuropäischen Ländern dagegen weniger.“ Mit Verlaub, das ist ein Märchen! Man informiere sich bei Harald Schumanns „Staatsgeheimnis Bankenrettung“, leider auf youtube nicht mehr verfügbar, aber noch erhältlich. Dort beschreibt der irische stellvertretende Finanzminister den Ablauf der „Kreditvergabe“ der EZB: Der Finanzminister hatte kurz vor Crash die Staatsbilanz ohne Manko bis zum Folgejahr vorgestellt. Nach dem Zusammenbruch der in Irland ansässigen deutschen und französischen Banken, vielmehr deren Investableger, wurde der Minister zu deren Rettung durch die EZB genötigt, deren Verluste in die Staatsbilanz zu übernehmen. Dafür erhielt Irland die Kredite, die „bis Schalterschluß“, so der Minister, zurück überwiesen werden mußte, um den gefährdeten Banken ausgezahlt zu werden. Man sollte sich hüten, die Manipulationsargumente ungeprüft zu übernehmen, sonst wird es blasphemisch. Man kann annehmen, daß die Kredite an die Anderen der PIGS nach ähnlichem Muster abliefen.

  81. Werner Richter sagt:

    Zu Heino Bosselmann. Die Insel Lampedusa und das Palais Lobkowitz. Heft 22-2014
    „…zum anderen wiesen die Sperranlagen der DDR-Grenze ins Landesinnere des Arbeiter-und-Bauern-Staates
    und nicht wie bei El Paso oder Ceuta und Melilla nach außen“. Das ist nicht ganz vollständig und deshalb nicht ganz richtig. Es gab nach 1961 unter Militärs eine langwierige Diskussion, wie die DDR-Grenze zu sichern sei. Gegen die „Republikflucht“ wäre eine Fortführung der bis dahin grenzpolizeilichen Sicherung, weil dann mehr „Profis“ mit langjähriger Erfahrung gegeben wären, die effektivere Variante. Jedoch standen dem Überlegungen aus dem Faktum der „Systemgrenze“ mit der Konsequenz militärischer Sicherung, die suboptimal auch die grenzpolizeilichen Aufgaben übernehmen mußte, entgegen. Leidtragende waren dann die „Grenzgänger“, die auf militärisches Sicherungssystem stießen. Aber nur so schienen beide Aufgaben abgesichert zu sein. Indiz für diese Zwiespältigkeit war, daß die höchste Stufe der Grenzsicherung die „gefechtsmäßige Sicherung“ war, bei der die Einheiten im Sperrgebiet „Kompanie- und Zugstellungen“ bezogen und von diesen aus operierten. Übrigens löste der BGS die gleiche Aufgabe, indem er in Hundertschaften organisiert und schweres Gerät in seinem Bestand hatte, eine paramilitärische Variante. Die „gefechtsmäßige Sicherung“ der Grenztruppen war für den Fall vorgesehen, daß der BGS gemäß seiner internen Einsatzgrundsätze sein Einsatzgebiet in Spannungszeiten im DDR-Schutzstreifen, also auf DDR-Territorium, ansiedelte. Analoge Einsatzgrundsätze auf BRD-Gebiet gab es für die DDR-Grenztruppen nicht.

  82. Literat sagt:

    „Spiegel-Online“ vom 29. Oktober, 11.34 hat als Spitzenmeldung „Putins deutsche Gehilfen“. Der erste Satz: „Selbsternannte deutsche Experten sind schwer beliebt bei Russlands Staatsmedien“.
    Das lässt aufhorchen, da es allein schon bei „Spiegel“ nach eigenem Gehabe von Experten geradezu wimmelt, die wiederum z.B. im deutschen Fernsehen zu Bild und Ton kommen. Pars pro toto: Nikolaus Blome, Allround-Experte.
    Und dann erst die anderen, die nicht „Spiegel-geadelt. Wenn das Eigenaufkommen als Experte bei deutschen „Nicht-Staatsmedien“ unzureichend, wird gern eine Phalanx von „Experten“ bemüht.
    In diesem Jahr gern und reichlich mit Ein- oder Auslassungen zu 1914, zu 1939, zu 1989. Zu letzterer Erinnerung gibt es zum Beispiel Bildwände mit Porträts von Personen, die mehrheitlich bei ihren öffentlichen Äußerungen kraft Amtes im Experten-Status schon stehen bzw. als solche angeboten werden.
    Da „Putins deutsche Gehilfen“ nun als „selbsternannt“ qualifiziert sind, ergibt sich die interessierte Anfrage, wie es damit um Experten steht, soweit nicht als Putin Gehilfen tätig. Haben die im Unterschied zu diesen eine „Fremdernennung“? Wird der Status verliehen oder erworben? Kann man sich um den Titel bewerben, braucht man Lehrausbildung und gibt es dabei auch Graduierungen? Vielleicht durch ehemalige Bundesminister als „Experten“ dafür?
    Die hier zu Lande verwendeten Experten werden sich in Demut und Bescheidenheit ja doch wohl nicht etwa ohne Prädikat „selbsternannt“ haben – oder doch?
    „Spiegel-Leser wissen mehr“ produziert mal wieder ein kräftiges Fragezeichen.

  83. Ulrich Busch sagt:

    Herr Mankwald erinnert uns dankenswerterweise daran, dass Karl Marx ein ausgewiesener Geldtheoretiker war. Das ist unbedingt richtig, aber das waren andere vor ihm (Bodin, Law, Hume, Ricardo u.a.) und nach ihm (Hilferding, Keynes, Schumpeter) auch. Es wäre daher angebracht gewesen, den konkreten Beitrag von Marx zur Geldtheorie zu benennen. Dieser bestand m.E. in der Begründung des Kreditgeldes als dem eigentlich kapitalistischen Geld und dessen werttheoretischer Fundierung durch die Geldware Gold. Ersteres hat unser Autor übersehen, letzteres beschreibt er missverständlich, indem er das Gold (bis heute) als Geld ansieht. Aber Geldware und umlaufendes Geld waren schon zu Marx‘ Zeiten verschiedene Dinge, erst recht gilt dies nach 1914, und der Gold-Dollar-Standard (1944-1971) war kein richtiger Goldstandard mehr. 1971 kam die seit 1914 andauernde Demonetisierung des Goldes zum Abschluss. Seitdem haben wir „reines“ Kreditgeld. Die Goldvorräte in Bank-Depots ändern daran nichts. Mit der Ablösung des Goldes nicht nur als umlaufendes Geldmedium, sondern auch als Geldware (Aufhebung des Goldgehalts der Währungen 1971) wird aber auch die Geldtheorie von Marx geldpolitisch obsolet, d.h. zu einem bloßen Kapitel der Theoriegeschichte des 19. Jahrhunderts, platziert zwischen Ricardo und Schumpeter. Man sollte sich ihrer ab und an immer mal wieder erinnern, für die geldwirtschaftlichen Belange der Gegenwart ist sie aber ohne großen Erklärungswert und damit faktisch ohne Belang.

    • Werner Richter sagt:

      Marx immerfort als praktisch unfähigen Ökonomen zu kennzeichnen und so gewollt oder ungewollt zu disqualifizieren, ist, wie den glatzköpfigen Friseur in Frage zu stellen. Zu oft wird, wenn auch verlockend, fragwürdig.
      Zu Marxens „Geldtheorie“ wird von den meisten Autoren auch hier im Blättchen das Geld ausschließlich als „Maßstab der Preise“ bzw. Gold als Geldware und damit rein quantitativ zugeordnet. Logischer und leider üblicher Weise gerät man so auf die schiefe Ebene der Quantifizierung des Wertes. Die qualitative Seite der Marxschen Gelddefinition, das Maß der Werte, ist damit vom Tisch und Marx kann bequem unter, zumeist nicht mal neben, die übrigen Ökonomen geschoben werden. Marx, da historischer als die anderen, wird so seine Aktualität entzogen und die anderen ihm gegenüber aufgewertet, obwohl diese insgesamt und allgemein betrachtet nicht über die Rolle von Kapitalismusverbesserern hinauskamen. „Linke“ Ökonomie trottet so, folgt sie diesem bürgerlich, sprich kapitalistisch ausgelatschten Pfad, diesen hinterher. Diese Behandlung von Marx hat Methode. Zum einen wird strategisch fehlende Aktualität suggeriert, um die dominierenden Kapitalismuserhaltungs-Theorien abzusichern und keine fundamentalen Alternativtheorien ins öffentliche Bewußtsein zu lassen. Und andere Ökonomen fühlen sich gemüßigt, ihre marxistische Theorie zu modernisieren indem sie eine Wirtschaftstheorie der „sozialistischen Marktwirtschaft“ entwickeln, die sich aber nicht als alternative Gesellschaftstheorie entpuppt, sondern nur eine Variante warenwirtschaftlicher Verhältnisse ist.
      Marx hebt sich von allen anderen Ökonomen dadurch ab, dass er das Geld aus der Wertform entwickelt und den Wert als gesellschaftliches Verhältnis der Arbeit und von menschlichen Arbeitsprodukten definiert.
      Das Geld ist somit als allgemeines gesellschaftliches Vermittlungsmedium durch die gesellschaftliche Arbeit(szeit) sowohl qualitativ fundiert als auch quantitativ bestimmt, als Wertmaß und als Meßgröße (Wertgröße).
      Durch den Bezug zur gesellschaftlichen Gesamtarbeit ist der Wert immer eine reale Größe und nicht nur virtuell und fiktiv, auch wenn seine gesellschaftliche Größenbestimmung ein Iterationsprozeß ist.
      „Marx war und ist der einzige Wissenschaftler, der das Geldrätsel dechiffriert hat. Was Geld als gesellschaftlich Allgemeines und als allgemeine Geldware, als gesellschaftliches Oszillationszentrum für die Grundstruktur und das Funktionieren dieses Gesellschaftssystems für eine Bedeutung hat, bis heute und auch in der (marktwirtschaftlichen) Zukunft, dass das marktwirtschaftliche System damit steht und fällt (!), unabhängig vom Goldstandard, das haben diese Herren überhaupt nicht begriffen…. Das, was uns da als moderne Wirtschaftstheorien angeboten wird, sind theorielose Abhandlungen, aber mit der logischen systemischen Geldtheorie von Marx, die gleichzeitig auch die werttheoretische Grundlage eines ganzen historischen Systems ist, hat das rein gar nichts zu tun!“ (Harbach)
      Man führe sich die Filmreihe von ARTE „Der Kapitalismus“, leider vom Sender nicht in die Mediathek gestellt, jedoch schon angeregt, zu Gemüte. Im Teil 5 „Keynes versus Hajek“, am Dienstag, den 28.10.2014 gesendet, werden Entstehung und Inhalt beider Theorien von Experten vorgestellt. Beider Theorien basieren nach diesen präzisen Aussagen auf Glaubensbekenntnissen (Markt ist ewig- Kapitalismus ist die natürliche und einzig mögliche Bewegungsform der Gesellschaft und der Wirtschaft- was nicht dazu paßt, wird einfach ignoriert), die dann von ihren Nachfolgern bis heute weiter kultiviert werden. Welchen „Wert“ haben denn dann ökonomische Theorien, wenn sie genau diesem Glauben folgen? Können die noch als „links“ oder „wissenschaftlich“ eingeordnet werden? Selbst die Filmemacher, besser: die zu Wort kommenden Ökonomen, kommen zur bemerkenswerten Schlußfolgerung, ob überhaupt die Frage „Keynes versus Hajek“ die richtige Fragestellung sei. Auch wenn Piketty & Co., die diese Frage aufwerfen, die letzte Konsequenz scheuen, gehen sie weiter als alle bisherigen Protagonisten.
      Alle Betrachtungen zu realen Erscheinungsformen des Geldes, Banknoten, Edelmetall, Buchgeld, usw. können nur unter Einbeziehung dieses Zusammenhanges zur Bestimmung der Geldrolle führen. Es wäre ehrlicher, Marx, der sich nicht mehr wehren kann (man kann sich gut vor stellen, wie er mit diesen Kritikern verfahren würde) anstatt ihm immer hinterrücks ans Schienbein zu treten, als „tot“ zu erklären und sich in die Reihe der Marxtöter zu stellen. Die, dazu ließen sich jedoch nur einige ernsthafte Ökonomen herab, allerdings mußten inzwischen peinlicher Weise ihren Irrtum einräumen.

  84. Anja Böttcher sagt:

    Liebe Redakteure des Blättchens,

    angesichts des unkommentiert abgedruckten Beitrags von Karsten D. Voigt über den erneuten Konflikt mit Russland über die Ukraine, bin ich einfach nur noch fassungslos. Nicht dass die Position der Bundesregierung hier dargelegt wird (falls sie überhaupt eine eigenständige & durch transatlantischen Druck nicht modifizierte Position zu artikulieren imstande ist), sondern die Art & Weise, wie diese hier medial verbreitet wird, in einer derart extrem selektiven Sicht der Ereignisse, dass man nur von gezielter Täuschung reden kann, und in einer so manichäisch-demagogischen Präsentationsweise & Diktion, dass der übel bellizistische Ton unverkennbar ist, verursacht bei mir blankes Entsetzen.

    Reicht es nicht mehr aus, dass sich durch ein sorgsam geknüpftes transatlantisches Netzwerk die nicht mehr guten Gewissens als ‚Berichterstattung‘ zu bezeichnende Kampagnenaufbereitung dieser geopolitisch von den USA gewollten und seit der Ära Clinton in unzähligen Schritten herbeigeführten Großkonfliktlage auf alle Mainstreammedien von der Bildzeitung bis über die FAZ zur Zeit erstreckt? Muss selbst hier eine Washinton getreue hegemoniale Politik statt wenigstens im erholsamen Stil sachlicher Deskription im Modus des den geopolitischen Gegner dämonisierenden ideologischen Geheuls erfolgen? Ist es zu viel, dass noch in den letzten Oasen der freien politischen Reflexion ein Stil bewahrt wird, der dem Verstehen den Vorrang gibt vor dem Säbelrasseln? Hat etwa die Weltbühne unter Pluralität die Notwendigkeit begriffen, dem ideologischen Personal der Nachfahren Rosenbergs & Hugenbergs auch eine Plattform einrichten zu müssen, auf dem sie eine aggressive Politik gegen den Rechtsgehalt von Artikel 26 (1) im Stile der propagandistischen Märchenrhetorik des PNAC oder Zbgniews Brzézinskis verbraten dürfen?

    Wohlgemerkt: Als jemand der seit Jahrzehnten im Rahmen der Friedensbewegung aktiv ist, bin ich eine Gegnerin jeder Form hegemonialer Politik. Auch kenne ich die innen- & außenpolitische Sicht linkslibertärer Pol/innen, Balt/innn & Russ/innen gegenüber ihren Regierungen. Die dümmliche Diffamierung der prinzipiellen Gegner/innen jeder geostrategisch expansiven Konflikt- & Eroberungspolitik durch westliche Medien & Politiker/innen als Apologetentum eines autokratischen russischen Präsidialsystems prallt an uns so gleichgültig ab, dass sie uns noch nicht einmal eines Achselzuckens wert erscheint. Aber wenn unkommentiert & unwidersprochen auch noch die letzten kritischen Oasen des Denkens vom Kadettenstil verwüstet werden & von einer verzerrten Darstellung, die schlicht vorlügt, eine Seite dieses unglaublichen Kriegskurses sei schlichtweg nicht existent, dann kann man ob der Totalität, mit der die Menschen in diesem Land in den Gleichdenk- & Marschrhythmus getrieben werden sollen, nur noch auf Minustemperaturen gefrieren.

    Auch der in diesem Kontext alarmierende Geschichtsrevisionismus, von dem Herr Voigt nur eine erneut unkritische russische Sicht auf den Stalinismus beklagt, während er von der weit alarmierenderen Rehabilitation ehemaliger Nazikollaborateure nichts wissen will, obgleich diese in den baltischen Ländern wie in Ungarn (& der Ukraine seit der sogenannten ‚Orangenen Revolution‘) seit 2008 mithilfe mehr als zweifelhafter Gesetzesinitiativen – mit Wissen der EU – erfolgt sind. Als Konsequenz wurden inzwischen mehrere 80-90jährige Jüd/innen in diesen Ländern strafrechtlich verfolgt, weil sie nicht verschwiegen, als Jugendliche sich dadurch Deportation & Ermordung entzogen zu haben, dass sie russischen Partisanengruppen beitraten. Im Kontrast dazu werden dort ehemalige Naziverbrecher als Nationalhelden verehrt. Herrn Voigts SPD hat zu diesen Skandalen beharrlich geschwiegen, nicht aber liberale jüdische US-Publikationen.

    So ‚demokratisch‘ ist der aktuelle Furor der nationalen Erneuerung Osteuropas!

    Ich verbleibe in der Hoffnung, diesen Voigtschen Erguss noch analysiert zu sehen.

    Herzliche Grüße,
    Anja Böttcher

    • Werner Richter sagt:

      Liebe Frau Böttcher, insgeheim hoffte ich, ein anderer nähme sich Ihrer an. Aber scheinbar ist das Blättchen-Publikum auch ein Durchschnitt der Gesellschaft. Zudem hätte ich mir eine grundsätzliche Erklärung der Redaktion gewünscht, sie täte wohl not. Da weder das eine noch das andere eintrat, muß ich wohl meine Präsenz erhöhen, um Ihnen meine Erkenntnisse zu offenbaren. Vielleicht hilft das etwas. Die Redaktion verweist bei Anfragen, meist einsilbig, auf ihre Grundsätze, Dreifaltigkeit genannt und die passive Rolle des Leser, wie mir gesagt wurde, Ossietzkyscher Anspruch. Bei Bedarf gilt das auch für Autoren. Unter der Dreifaltigkeit konnte ich strikte Ablehnung offen faschistischer Texte und Autoren, Fäkalsprache und Angriffe unter Autoren ausmachen. Hinzu kommt Pluralismus als Prinzip. Hierbei ist Vollständigkeit nicht verbürgt. Gegen diese Prinzipien ist an sich nichts einzuwenden, sie erfordern aber andere als bisher gewohnte Leseeinstellung. Müssen wir eben immer üben. Den Beitrag von Karsten C. Voigt betreffend, sind keine Verstöße gegen obige Prinzipien festzustellen, also kommt er. Daß dabei Staats- und Parteipropaganda versteckt wohl formuliert ins Blättchen gerät, ist dann unter Kollateralschaden zu verbuchen. Selbst opponierte ich schon mehrfach aber vergebens dagegen, denn vorherige Artikel des Autors waren genauso gestrickt und der Autor hat seine Möglichkeiten richtig erkannt. Sein von Ihnen inkriminierter Artikel steht jedoch nicht allein, bisherige Beiträge verschiedener Autoren stehen ihm direkt entgegen. Die muß man aber mit einrechnen. Ich fürchte, Ihr Wunsch nach Analyse des Voigtschen Artikels wird sich unter diesen Umständen nicht erfüllen. Nebenbei bemerkt, wäre eine ernsthafte Analyse zu viel der Ehr. Jedoch eine Glosse ist er schon wert, vorausgesetzt, die wird nicht auch noch als Angriff auf den Autor abgewiesen.

  85. Werner Richter sagt:

    Zu Stephan Wohanka am 09.10.
    Dank der sorgenvollen Anteilnahme, Herr Wohanka. Kann Sie aber versichern, so leicht verfalle ich keiner Propaganda, mag sie noch so raffiniert erdacht sein. Das cui bono oder sein Berlinerisches Ponton „Merkt ihr nischt?“ Tucholskys gepaart mit zahlreicher Detailkenntnis bewahrt schon ganz schön vor dem absoluten Reinfall. Das ist nicht etwa eine allgemeine, pauschale Fragestellung und das war’s dann, sondern ein ständiger, differenzierter Denkprozeß an vielen Informationsstellen, in dem es keine Glaubwürdigkeitskonstanten gibt. Alles wird mit allem gemischt, geprüft, zusammengesetzt, neu formiert und wieder geprüft. Hinzu kommt eine gewisse Routine. So kann man zu fast allen Ereignissen der Wahrheit ziemlich nahe kommende Erklärungen erhalten, allerdings ohne letztendlich sicher zu sein. Dialektik und Marxsches Prinzip. Dies ermöglicht den größten Herausforderungen von Propaganda standhalten zu können. Zu den größten zähle ich die konzertierte und pausenlose Manipulation durch „westliche“ Politik und Medien gegen Rußland gerichtet, archaische Ressentiments der Fremdenangst (der unheimliche Russe) wieder aufwühlend. Die aktuellen Parolen: „Rußland hat Expansionsabsichten gegen die osteuropäischen Länder“, obwohl dafür keine Belege, „Putin ist der Böse, wir sind die Guten“, „Da Putin im Inneren gegen „wirkliche“ (?) Demokratie ist, ist seine Außenpolitik logisch ebenso gegen Demokratie gerichtet und muß aggressiv sein“, „Putin ist allein schuld an der Ukraine-Krise, wir dagegen wollten nur spielen“ usw. Viele dabei aufgeworfenen Fragen zu Details harren noch einer festeren Bewertung, jedoch gibt es genügend Anlaß, in der Tendenz die westliche Propaganda als Vertuschung der tatsächlichen Ereignisse zu erkennen. So zu den Maidan-Ereignissen, den Ursachen der Krimbesetzung und der Entstehung des ostukrainischen Separatismus, vom inneren Zustand der Ukraine, den Machtverhältnissen und deren Legitimität, mal abgesehen. Zum Absturz/Abschuß der MH 17 z.B. als e i n Puzzle im Gesamtbild gibt es nicht zu übersehende und sehr ernst zu nehmende Informationen wie die 10 Fragen des russischen Außenministeriums an die ukrainische Regierung, bis heute allerseits einfach ignoriert, aber völlig berechtigt und sachlich zwingend zu stellen. Oder das „Gutachten“, kann man so bezeichnen, des russischen Ingenieurverbandes zu den sichtbaren Artefakten der MH 17, ebenso ganz einfach ignoriert. Dieses Gutachten ist bei erstem Lesen technisch korrekt auf recht klare Fakten gestützt und legt den Abschuß durch Jagdflugzeuge nahe, wobei die von Rußland veröffentlichten Luftüberwachungsaufnahmen diese These stützen. Warum geben dann die USA ihre Aufnahmen nicht frei, wenn sie Rußlands Schuld beweisen sollen? Können sie es nicht, weil es die Russen nicht waren? Hier kann Ungeheuerliches schlummern. Neben der Ignoranz der Fakten und der russischen Veröffentlichungen fährt der „Westen“ eine allgemeine „Vorsicht! Rußland-Propaganda“-Kampagne“. Diese erbärmliche Reaktion schürt den Verdacht, daß die Russen wohl nicht ganz so Unrecht haben. Ach ja, die bösen Separatisten haben eine endgültige Bewertung durch menschenverachtenden Umgang mit den Artefakten für immer unmöglich gemacht. Wie kommt dann die niederländische Kommission plötzlich zur gegenteiligen Bewertung? Sie bescheinigt den Separatisten eine sachgerechte Sicherstellung, obwohl im Kampfgebiet und trotz der gleichzeitigen Angriffe der ukrainischen Armee, besser der faschistischen „Nationalgarde“. Die sekundierende Rolle der Hauptmedien ist an den Hauptlinien der Berichterstattung abzulesen. Aufbauschen von gesteuerten Fakes zu Fakten (2 britische Journalisten sahen, oder später doch vielmehr berichten, daß jemand das gesehen habe) vom massiven russischen Militäreinsatz, der zeitweise zum Faktum erhoben wird, um dann lautlos im All zu verschwinden, unsachliche Einordnung der russischen Aufklärungseinheit, die festgenommen wurde (man informiere sich mal über die Gepflogenheiten, mit der Aufklärungseinheiten a l l e r Militärmächte ständig auf der ganzen Welt agieren, dann erahnt man die Heuchelei der westlichen Einschätzung), „Gefechte unklarer Genesis“, obwohl ein kurzer Blick auf die Karte gepaart mit vorhandenen Informationen Klarheit schüfe, wer von wo aus geschossen haben muß und Verschweigen der drohenden Lebensgefahr für die Separatisten von Seiten der Gegner trotz einschlägiger öffentlich gewordener Informationen (Eindeutige Drohungen führender ukrainischer Politiker, die bewußt oder aus Dummheit bewaffneten Widerstand, der vorher nicht da war, regelrecht erzwangen). Das alles läßt die „westliche“ Interpretation ziemlich verlogen erscheinen. Man schaue sich nochmals die von der ZDF-„Anstalt“ am 23.09. (ZDF-Mediathek, youtube) verwendeten Filmaufnahmen zur Absturzstelle an. Aber Vorsicht, nicht beim Essen, denn der plötzliche Ekel über die westliche „Auswertung“ der Filme könnte zu Erbrechen führen. Es ist zu befürchten, daß den Ermittlungsergebnissen, der Black-Box-Auswertung und den US-Aufklärungsmaterialien das gleiche Schicksal widerfährt wie den Informationen zum Abschuß der libyschen Verkehrsmaschine 1980 über dem Mittelmeer, sie werden wohl für immer als „unaufklärbar“ verschwunden bleiben. Jedenfalls scheint die russische Propaganda das weitaus kleinere Problem zu sein, auch weil sie zum größten Teil aus der von westlicher Propaganda gefüllten Luftblase zu bestehen scheint. Außerdem interessieren naturgemäß eher die Lügen der eigenen Regierung nebst anderen Mächtigen, die unsere Lebensbedingungen bestimmen. Aber warum regt mich das auf, warum sollen sie, die bisher j e d e Politik mit Lügen begründeten, plötzlich der Wahrheit frönen.

  86. Literat sagt:

    „Der Geist von 1989 verflüchtigt sich“, beklagte man kürzlich in Leipzig.
    Ehe dies Unheil vollends hereinbricht, hätte ich mal diese Frage mit Bitte um Erläuterung durch die Fachleute (besser nicht vom Herrn Bundespräsidenten selbst, dessen Position bei den damaligen Ereignissen nicht von allen gleich günstig beurteilt wird, wie heute von ihm selbst): Wie geht friedlich, gewaltfrei – und dann auch noch „Revolution“! – einseitig ?

    • Korff sagt:

      Zu einer Antwort auf die Frage von Literat fühle ich mich nicht befugt, aber zur Relativierung veranlasst.

      Aktuelles Beispiel für die durchaus vorhandene positive Bewertung beider Seiten ist da die Berichterstattung zum Festakt in Leipzig. Da konnte man erfahren, dass die „Leipziger Sechs“ mit dem Aufruf gegen Gewalt Kurt Masur, der Theologe Peter Zimmermann, der Kabarettist Bernd Lutz Lange und drei SED-Funktionäre waren.

      Auch der von Literat in seiner Bereitschaft zum Ausgleich wohl nicht so geschätzte Bundespräsident persönlich bewertete die Beiträge der damaligen Machtinhaber durchaus als anmerkenswert, wenngleich ähnlich subtil hinsichtlich der Anteile:
      „Michael Gorbatschow sei Dank! Und wir, die wir unseren Gestaltungsspielraum immer mehr erweiterten, riefen bald nicht nur: ‚Wir sind das Volk!’ Bald kehrte auch ein verloren geglaubtes Wissen zurück: „Wir sind ein Volk“.

      Was bei dem ostdeutsch sozialisierten Bundespräsidenten an dieser Stelle verwundert, ist, dass der „Kanzler der Einheit“, von dem aktuell vermutet wurde, er sei Anwärter auf den Friedensnobelpreis, für ihn keiner Erwähnung wert war. Ein Aspekt, der zusätzlich fragen lässt: Wer war, wer ist heute „wir“? Bei Kanzler Kohl und in Memoiren anderer bundesdeutscher Akteure heißt es, inzwischen veröffentlicht spöttisch oder unwirsch, wenn auch zutreffend, die sich lobenden „Wir“ hätten aus eigenem Aufkommen seinerzeit ja nicht mal die Bambusstangen gehabt, an denen rasch wechselnde Losungen und immer häufiger werkneue Bundes-Fahnen befestigt waren. Aus DDR-Produktion?

      Einseitig war und ist gewiß nichts. Über die Salden und deren eventuellen Ausgleich wäre aber dennoch sinnvoll nachzudenken, zumal „man“ sich beim Rückblick als für andere zum Vorbild geeignet empfiehlt. Schon fragenswert.

  87. Stephan Wohanka sagt:

    Lieber Herr Richter, ich unterschreibe vieles von dem, was Sie in Ihrem Beitrag vom 7. Oktober schreiben! Nur mit Verlaub, verfallen Sie nicht am Schluss genau der Attitüde, die Sie so ausdauernd bekämpfen – nämlich übler Propaganda?

  88. Jürgen Scherer sagt:

    http://www.youtube.com/watch?v=OlTtMPt8Jvg
    Wie wär´s in Bezug auf Putinbashing, Putinverstehen,Natohandeln … mit etwas satirischem Durchblick.
    Obiger Link dient der Vertiefung und Erhellung einiger Aspekte in der derzeitigen Blättchen-Forums-Diskussion.
    Viel Spaß beim Gucken!

    Jürgen Scherer

  89. Werner Richter sagt:

    Zu „Das Ende der Geschichte oder das gestrandete Sowjetschiff“ von Stephan Wohanka Heft 20-2014
    Nun ist Herr Wohanka Gott sei Dank nicht ermächtigt, als Richter über richtige oder falsche Interpretationen von Aussagen zu entscheiden, wenn er das auch versucht. Auch fehlt ihm zur Justitia schon immer die Augenbinde. Richtig jedoch erkennt er, nur „Putinversteher“ können so wie seine Kontrahenten denken. Er aber impliziert mit seinem Angriff auf sie, daß nur „Putinnichtversteher“ in der Lage sind, die Dinge richtig zu deuten. Demnach sind Nato, EU und USA, die die Dinge so wie er sehen, Nichtversteher, die die Situation richtig deuten und mit ihrer Politik im Recht sind. Nichtverstehen ist also die Voraussetzung, die Realität richtig zu erfassen. Bemerkenswert.

    • Stephan Wohanka sagt:

      Sie haben mich, lieber Herr Richter, nolens volens zum nochmaligen Nachdenken gezwungen! Was immer gut ist; das Resultat: Die, die ich der Kürze halber als „Putinversteher“ bezeichnet habe und wohl auch Sie in deren Verteidigung haben mit der Metapher von der – wörtlich – „Schiffs-Katastrophe“ Recht! Putin nennt – darum geht es ja – den „Zusammenbruch der Sowjetunion die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“; mit anderen Worten – er nennt den Kollaps eines imperialen Konstrukts, und nichts anders war die SU in der Nachfolge des Zarenreiches, eine Katastrophe! Weiter interpretieren die „Versteher“ diese Erklärung so (wie schon im Artikel zitiert): „Es ist eine Beschreibung eines sachlichen Vorgangs, mehr oder weniger werturteilsfrei. Putin meinte damit das Stranden des ´Sowjetschiffs´“. Putin spricht ausdrücklich – oder habe ich das was übersehen? – von der SU und nicht etwa vom (sowjetischen) Sozialismus! Es geht ihm um Land, nicht um eine „höhere Idee“… und wenn schon, dann der von „Eurasien“, aber das erst seit Kurzem.
      „Gestrandetes Sowjetschiff“ also. Was tut man in einem solchen Falle? Als einstiger Seemann weiß ich das: Man stopft des Leck, wirft die Lenzpumpen an und macht den Dampfer wieder flott! Und genau das will Putin; den „Dampfer Sowjetunion“ wieder zum Schwimmen bringen und Fahrt aufnehmen lassen! Nicht mehr und nicht weniger habe ich andeuten wollen, dass nämlich genau das Putins Intension sein könnte.

    • Werner Richter sagt:

      Nochmals zu Stephan Wohankas Beitrag vom 07.10.2014
      Lieber Herr Wohanka, zunächst sei aus gegebenem Anlaß betont, daß ich (und andere) das Wort „Putinversteher“ sarkastisch verwende, weil dieser Begriff als ideologische Kategorie primitiver, aber wirksamer Bauart für unbequeme Fragensteller zur offiziellen Politik, ihrer Diskriminierung, und damit ihrer Fragen geschaffen wurde wie auch „Verschwörungstheoretiker“, „Tatarenmelder“ usw. Eigentlich, und zu Beginn der Propagandakampagne war es so in Gebrauch, sind die „Rußlandversteher“ gemeint. Aber „Putinversteher“ ist effektiver und verschleiert besser die Absicht dahinter, vorausgesetzt Putin erfährt, wie pausenlos geschehen, eine Verteufelung. Keiner der hier agierenden „Putin/Rußlandversteher“ (!) hat je Putin als „lupenreinen Demokraten“ bezeichnet oder ihn reinzuwaschen versucht. Seine Politik wurde nicht glorifiziert, sondern als knallharte Macht- und Interessenpolitik dargestellt. Immer unter der Prämisse, das j e d e Machtpolitik, auch die der polnischen, ukrainischen und anderer beteiligten Regierungen (einschließlich EU, BRD, USA, Nato) genau in dieses Raster paßt und um keinen Deut besser zu bewerten ist als die Rußlands. Sie jedoch gehen davon abweichend heran. Da Putin Machtinteressen vertritt, reicht dies für die Erklärung des Konfliktes völlig aus und es muß nicht weiter nach Schuldigen gefragt werden. So allerdings bewegt man sich stromlinienförmig mit der großen Manipulation. Diese läuft in bisher nicht gekanntem Umfang und konzertierter Harmonie. Alle Medien sind voll „eingebettet“ und von „Vertrauensleuten“ an Schlüsselpositionen gesteuert. Schaue man sich die exklusiv auftretenden „Experten“ und ihre Hintergründe an. Abweichler wurden stillgestellt und unterliegen, falls sie nicht kuschen, selbst der Feme. Ich würde unruhig werden, sollte ich dazu meine Kongruenz feststellen müssen.
      Ihr Vorschlag zur Lösung des Konfliktes ist gut, jedoch ist er nicht mehr und nicht weniger als die jahrelangen Vorschläge Rußlands zur Sicherheitspartnerschaft, die von Nato und EU, wie oft beschönigend kolportiert, leider nicht berücksichtigt, sondern bewußt brüskiert wurden. Es steht also nicht die Frage, ob Putin, der Böse, dazu bereit wäre, sondern die herrschende Faschistenclique in Kiew nebst ihrem demokratisch getünchten Präsidenten sowie die linienbestimmenden westlichen „Berater“, denen es schietegal ist (Elmar Brok), wer dort die Macht hat, Hauptsache, es läuft wie von Nato geplant.

  90. Werner Richter sagt:

    Zu „Kapitalistische Konstanz“ von Heino Bosselmann Heft 19-2014
    Nein, nein, Markt war nicht immer. Wie wäre es damit: Ab einer bestimmten Stufe der Entwicklung der Produktivkräfte + der Schaffung eines Bedarfsüberschusses beginnt der Mensch diesen mit Bedürftigen zu tauschen und so nicht selbst produzierte Bedarfsgüter zu erwerben. Wert entsteht und Warenwirtschaft nennt man das. Es bilden sich immer stabilere Märkte, da die Produktivität wächst. Ab einem bestimmten Stadium, abhängig von der Produktivität, organisieren vermögende Personen die Produktion für die Märkte, sie kaufen Arbeitsgegenstände, Werkzeuge/Maschinen sowie die Arbeitskräfte mit dem Ziel, sich den über die notwendigen Kosten hinausgehenden Teil der Produkte (Mehrarbeit) unentgeltlich anzueignen. Das ist nicht an zeitliche Grenzen gebunden, es kann niemand sagen, ab dann haben wir eine Gesellschaft des Kapitalismus. Diese Warenproduktionsform bildete sich über historische Zeiträume heraus und war lange Zeit in Koexistenz mit anderen Warenproduktionsformen, des Tauschhandels, der Fronarbeit u.a. Von Kapitalismus spricht man vereinfacht seit Dominanz dieser Form, wobei andere Formen auch heute noch existieren, Subsistenzwirtschaft ist aktuell in großen Teilen der Welt dominierend. Die eigentlich interessantere Frage ist jedoch, ist die Warenwirtschaft denn das Ende der Geschichte, ist sie unendlich oder können andere Produktionsweisen entstehen, die nicht auf Selbstverwertung des Wertes (Kapitalfunktion), Schaffung abstrakten Reichtums, sondern Bedürfnisbefriedigung basieren und gerichtet sind. Welche Bedingungen verlangen zum Wohle der Produktivkräfte und der Gesellschaft danach, wie kann diese Entwicklung einsetzen. In den (kapitalistischen) und anderen Produktionsformen von Bedarfsgegenständen über den Umweg der Ware, der den Bedarf zweitrangig werden läßt, liegen die tieferen Ursachen der Krisen, deren Zuspitzung bis zur Paralysierung der gesellschaftlichen Funktionalität und der sozialen Verwerfungen. Wenn es vor der Warenproduktion andere Formen gab, warum nicht auch danach? Näheres erfahren wir im „Kapital“ Bd. I, Kapitel 1 und den Grundrissen dazu. Mit dieser Problematik befaßt sich ausführlich Heiner Harbach in „Wirtschaft ohne Markt“, sehr zu empfehlen, außerdem Christian Siefkes „Beitragen statt tauschen“, der darin die Machbarkeit prüft.

  91. Werner Richter sagt:

    Zu U. Busch „Piketty und die Verteilungsdebatte“, Blä. 19-2014
    Der Skepsis des Autors zu Verteilungsstrategien als Lösung aller Übel kann man sich nur anschließen. Denn mit diesen können nur quantitative Verschiebungen der Einkommen, jedoch keine Aufhebung der Ursachen „ungerechter“ Verteilung erzielt werden. Als taktisches Zwischenstadium und Ausgangsbedingung für prinzipielle Veränderungen aber ist Verteilungsgerechtigkeit unabdingbar. Den Leser können aber einige weiterführende Betrachtungen doch etwas befremdlich aufstoßen. Was soll hier die „Leistungsgesellschaft“? War diese je ein Merkmal des Kapitalismus? Schließt nicht der Arbeitsmarkt (Lohn nach Angebot + Nachfrage) zumindest in den Hauptrelationen eine Bezahlung nach Leistung aus? Wird der mitarbeitende Kapitalist nach Leistung bezahlt? Wenn nicht Angestellte und Kapitalisten keinem Leistungsverhältnis unterliegen, wer dann? Doch nicht etwa die fürstlich überzahlten Rasenkasper! Für diese gelten wohl ebenfalls die Gesetze des Werbemarktes, also auch Angebot und Nachfrage. Die „Leistungsgesellschaft“ ist wohl eher in der politischen Propaganda anzusiedeln und dient der Verschleierung der realen Verhältnisse. Auch die Festlegung des Zeitpunktes einer finanzmarktkapitalistischen Phase der Verselbstständigung in die 70-er Jahre kann man in Frage stellen. Vor 40 Jahren stand bestenfalls H. J. Abs wie immer auf, blies seine berüchtigten Leibeswinde ins All, griff zur größten verfügbaren Schaufel, um dann den ganzen Tag gesellschaftlich abstrakte Reichtümer auf den größten Bergen der „Leistungsträger“ anzuhäufen, auf daß sich der Teufel auf sie setze. Die Trennung von autonomen Finanztransaktionen und Kapitalverwertung im produktiven Bereich erfolgte m.W. nochmals 40 Jahre früher. Kann man auch schlecht einer Leistung zuordnen.

  92. Holger Politt sagt:

    Lieber Stephan Wohanka,

    wenn Sie wüssten, wie sehr ich mich über Ihren Beitrag („Warum ich den Krieg in der Ukraine anders sehe“) freue, den ich erst jetzt lese. Selbstverständlich hat Putins Russland ohne alle Not fremdes Land annektiert und das wehrlose Nachbarland hinterhältig überfallen, was denn sonst? Welcher aufrechter Friedensfreund wollte das anders sehen? Wir leben in schwierigen Zeiten, da dem Kompass zu folgen, ist manchmal nicht einfach. Kein schlechter Ratschlag für Zweifler wäre, an 1968 und den Einmarsch in die Tschechoslowakei zu denken. Die Folgen sind bekannt.

    Holger Politt.

    • Stephan Wohanka sagt:

      Lieber Holger Politt,

      zwar verspätet – trotzdem: Ein Lob aus Ihrem Mund als intimer Kenner Polens und Osteuropas freut mich besonders.

      Beste Grüße
      Stephan Wohanka

  93. Sarcasticus sagt:

    Kaum war mein Beitrag über den maroden Zustand etlicher Hauptwaffensysteme der Bundeswehr – vom Eurofighter über die Transporthubschrauber CH-53 und NH90 bis zur Transall-Flotte – erschienen, rauscht das Thema durch den gesamten deutschen Blätterwald. Ich hatte nicht geahnt, dass DAS BLÄTTCHEN so ein „Trendsetter“ ist!
    Nachzutragen ist folgendes:
    Auch die 22 Marinehubschrauber der Bundeswehr vom Typ „Sea Lynx“ – seit den 1980er Jahren im Einsatz – sind derzeit dienstuntauglich. Mitte Juni wurden an einer Maschine, die im Rahmen der Anti-Piraterie-Mission „Atalanta“ im Indischen Ozean, am Horn von Afrika, als Aufklärer und Jäger von Piratenschiffen zum Einsatz kommen sollte, ein etwa 20 Zentimeter langer Riss im Heck sowie abgerissene oder zumindest lockere Nieten, die die Stahlplatten zusammenhalten, entdeckt. Der Helikopter, der mit 2.000 Flugstunden erst ein Drittel seiner Regellaufzeit hinter sich hatte, wurde aus dem Verkehr gezogen.
    Ähnliche Schäden wurden anschließend an weiteren Maschinen festgestellt, sodass derzeit die gesamte Flotte als nicht flugklar gilt.
    Die Marine verfügt über insgesamt 43 Hubschrauber. Die restlichen 21 sind Modelle vom Typ „Sea King“. Bei denen ist die Lage nicht minder desolat. Zwei Helikopter sind zwar am Horn von Afrika im Einsatz und ein weiterer steht für Rettungseinsätze an der Heimatfront zur Verfügung. Wie viele von den übrigen 18 Maschinen allerdings je wieder abheben werden, ist derzeit unklar. Sechs liefern nur noch Ersatzteile für die anderen zwölf, an denen mühsam herumrepariert wird.
    Folge: Die Fregatte „Lübeck“ ist dieser Tage ohne Bordhubschrauber in Richtung Indischer Ozean aufgebrochen.

  94. Kay Bliewand sagt:

    Über die Debatte um den Beitrag von Stefan Wohanka geht m.E. zu Unrecht jener des Sarkasticus etwas unter: Ein sehr informativer und aufschlußreicher Artikel, dessen Thema sich andere Zeitungen jetzt erst widmen. Nur eines macht mich nach dem lesen etwas ratlos, nämlich, wie man sich zu diesen Fakten nun verhalten sollte: Mit händereibender Genugtuung, wie das die freilich satirische Nachbemerkung des Autors anbietet, weil wir als Friedensfreunde eigentlich keine Armee mehr wollen und brauchen? Wenn man für die Existenz und Kampffähigkeit der Bundeswehr aber doch noch Gründe sieht – was wäre dann aus den desaströsen Zuständen zu folgern, wenn nicht, den Rüstungsetat zu erhönen?
    Als ein Otto Normalverbraucher bin ich ein wenig ratlos,
    Kay Bliewand

    • Sarcasticus sagt:

      „Wenn man für die Existenz und Kampffähigkeit der Bundeswehr aber doch noch Gründe sieht“, Herr Bliewand, dann steckt man wirklich in einem Teufelskreis, denn das Bundesverteidigungsministerium ist ein so verkrebster Moloch, dass Frau von der Leyen, wäre sie selbst eine Herkulesin, keine Chance hat, diesen – vor allen in Sachen Rüstungsbeschaffung – Augiasstall auszumisten. Das jedenfalls meinte Hans Rühle, der dort von 1982 bis 1988 als Leiter des Planungsstabes bereits mit vergleichbaren Problemen, wie sie heute für Pleiten, Pech und Pannen sorgen, konfrontiert war, im März in einem Beitrag für die DIE WELT (http://www.welt.de/politik/deutschland/article126309150/Ministerin-von-der-Leyens-management-by-terror.html).
      Damit ist die Frage nach einem gegebenenfalls höheren Militärhaushalt aber auch beantwortet: Das Geld könnten Sie ebenso gut gleich durchs Klo spülen.
      „Alles auf Anfang“ ist ebenfalls keine Option …
      Es gibt Situationen, da ist einfach keine akzeptable Alternative im Angebot. Aber natürlich gibt es eine: Abschaffen bis auf Restverbände, die von Fall zu Fall der UNO auf Anforderung zur Verfügung gestellt werden. Nur ist diese Option in der deutschen Politik (noch?) nicht mehrheitsfähig.

  95. Bernhard Probst sagt:

    Lieber Herr Romeike,
    Ihre Zitatenkenntnis zeichnet Sie gewiss aus. An einer Weiterung des Austausche mit Ihnen uninteressiert, würde ich Ihrer Sammlung dennoch ein weiteres anempfehlen:“Die von Irrtum zur Wahrheit reisen, das sind die Weisen. Die im Irrtum verharren, das sind die Narren.“ (Friedrich Rückert)
    Bernhard Probst

  96. Sehr geehrte Forum-Diskutanten,
    bitte achten Sie auf eine korrekte Eingabe Ihrer e-mail-Adresse, damit die Redaktion sich im Bedarfsfall an Sie wenden kann. Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
    Die Redaktion

  97. Erich Warlitz sagt:

    Lieber Herr Romeike,

    vielen Dank für Ihren Hinweis, dass wir in einem „neuen Zeitalter des Imperialismus“ leben, mit „Klassenfeinden“ und dem guten alten Klassenkampf. Ich bin da nicht so auf den Laufenden, aber sicher wird ernsthaft an diesem Theoriegebäude gearbeitet, speziell an dem Teil, wo es um den faulenden, parasitären und sterbenden Charakter des Imperialismus und den Kampf gegen ihn geht. Aber ich habe natürlich nicht vergessen, dass die Lehre vom Klassenkampf einer der Grundbestandteile des Marxismus-Leninismus ist – der bekanntlich deshalb allmächtig ist, weil er wahr ist. Eben Ideologie vom Feinsten – die vielfältigen gesellschaftlichen Prozesse in Vergangenheit und Gegenwart werden konsequent in das Prokrustesbett eines hermetisch geschlossenen Denkmodells gezwungen. Der Vorteil: das Puzzle geht letztlich immer auf, am Ende gelingt es stets, die nicht so schlicht gezogenen Klassenlinien, wie sie sagen, aufzudecken, besser noch: zu entlarven. Damit haben wir es ja so herrlich weit gebracht – wie man nach 70 Jahren SU und 40 Jahren DDR einigermaßen abschließend feststellen kann.

    Bislang hatte ich Grund zu der Annahme, dass das „Blättchen“ alles in allem eher der unorthodoxen Linken zuzurechen sei. Für die Auffassungen der revolutionären Linken wäre, wie bisher mir schien, eher der „Rotfuchs“ heranzuziehen. In dessen aktueller Ausgabe lese ich z.B.: „Um ihre eigenen Ziele im Ukrainekonflikt zu verschleiern, haben die Imperialisten und deren Medien die alte antibolschewistische Platte mit der Bedrohungslüge wieder aufgelegt. … Vom ‚Antisowjetismus‘ ging man nahtlos zur zur ‚Russophobie‘ … über.“ Unsere Altvorderen hätten sich gewundert, „welch seltsame Bettgenossen“ sich mitunter finden. Kurz gesagt: Gerade weil ich keine gestanzten Vorgaben im „Blättchen“ erwartet habe, hielt ich es für interessant. Ich hoffe, das genügt Ihnen als Antwort. Aber vielleicht gestatten Sie doch noch einen kleinen Hinweis zu Ihrer Überschrift: Lassen Sie das lieber sein mit der mehr oder weniger subtilen Ironie, es ist nicht so ihr Ding!

    Was den Hinweis von Herrn Schwarz auf die Sicherheitspartnerschaft mit einem Aggressor betrifft, so halt ich diesen für sehr bedenkenswert. Es muss wieder ein modus vivendi hergestellt werden, wie seinerzeit im KSZE-Prozess. Das ist eine Kernfrage für den Weltfrieden. Allerdings erscheint mir die Herstellung der territorialen Integrität der Ukraine dafür als eine unabdingbare Voraussetzung. Sollte sich der Westen auf Kosten der Ukraine, also auf fremde Kosten, mit dem Aggressor – und der ist nun mal in diesem Falle Russland, da helfen keine Verweise auf andere Konflikte – einigen, so wäre das ein Kuhhandel, der wohl kaum einen dauerhaften Frieden garantieren könnte. Die gescheiterte Appeasement-Politik der 30er Jahre ist ein Menetekel, das zu ignorieren im hohen Grade geschichtsvergessen wäre, wie mir scheint. Aber vielleicht diskutieren Sie diese Frage auch einmal mit Frau Muthesius.

    • Bernhard Romeike sagt:

      Sehr geehrter Herr Warlitz,
      Sie bestätigen mit Inbrunst, dass die nachträgliche Rationalisierung des Realsozialismus und seines Endes bei vielen im Geiste von Bischof Remigius von Reims (436-533) erfolgte, der bei der Taufe von Merowinger-König Chlodwig diesem auftrug: „Bete an, was du bisher verbrannt hast, und verbrenne, was du bisher angebetet hast!“ So finden sich zwar keine Antworten auf die drängenden Fragen der Zeit, aber es lebt sich ruhiger in den Gewissheiten der Mainstream-Meinung.

  98. Stephan Wohanka sagt:

    Lieber Herr Richter,

    „welch schöner Streit, endlich mal Leben in der Bude“ – schreiben Sie. Richtig; trotzdem versage ich mir, auf jedes Ihrer Argumente einzugehen; und manches sehe ich diametral anders als Sie, z. B. Ihre Ansichten, die Sie um 9/11 gruppieren oder auch das „IS-Bashing“…
    Eine Sache jedoch will ich ausführlich aufgreifen, weil sie exemplarisch ist für vieles, was hier diskutiert wird – es sind Ihre Auffassungen zu Polen und namentlich zu dem, wovon Sie zum Stichwort „75. Jahrestag des Überfalls der Sowjetunion auf Polen“ reden. Ich muss es nicht wiederholen, es ist nachlesbar.
    Der gesamte Komplex „AK“ und dann natürlich quasi spiegelbildlich dazu der der „AL“ unterlagen und unterliegen in Polen weiterhin der Mythenbildung und sind Gegenstand der – zum Teil hoch ideologisierten und so nur „wissenschaftlichen“ – Geschichtsschreibung. Ich will das gar nicht denunzieren; die Ereignisse, die sich um diese beiden „Komplexe“ gruppieren, können in historisch relativ kurzem Abstand zum Geschehen und zumal unter ideologisch diametral unterschiedlichen Macht- und Regierungsformen in Polen noch gar nicht oder nur partiell in seriöse Gefilde der Forschung gelangt sein. Deutlich gesagt, reichen die polnischen Darstellung im Verlaufe der letzten quasi 70 Jahre von totaler Negation, Verschweigen in den 40.und 50. Jahren bis hin zu unkritischen Enthusiasmus dessen, was namentlich die AK angeht, heute. So kann man nach der Lektüre von Lehrbüchern der 50. Jahre zu dem Schluss kommen, dass die Leitung der AK den Zeitpunkt des Beginns des Warschauer Aufstandes mit den Deutschen abgestimmt habe und jetzt, mal andersherum, dass vor allem Stalins Rote Armee die Niederlage herbeigeführt habe. Völlig Naive könnten sogar den Eindruck gewinnen, dass die Rote Armee Warschau in Schutt und Asche gelegt habe…
    Wie gehe ich mit eben Geschilderten um? Ich habe vieles dazu gelesen, gehört, z. T. noch von Augenzeugen, habe als ein eine Zeitlang in Polen Lebender die Atmosphäre „aufgesogen“, bin an den Orten nicht nur des „engeren Geschehens“, sondern auch in KZs, der Wolfsschanze, Museen gewesen usw. usf. Dabei hat sich, gründend – wie ich schon vorher schrieb – auf meinen grundsätzlichen ideell-politischen Ansichten ein eigenes Bild Polens destilliert, dass mich – wenn es jetzt um die „Bedrohung Polens aus dem Osten“ geht – zu der Auffassung bringt, Polens Ängste und Befindlichkeiten ernst zu nehmen; nicht mehr, nicht weniger! Ich setze also weder auf die Geschichtsdarstellung der „Kommune“, wie es in Polen heißt, noch folge ich der neuesten, kritiklosen Variante der jetzigen „Geschichtspolitik“ Polens. Es geht auch nicht um eine Resultante, einen „Mittelweg“ aus bzw. zwischen beiden Versionen; nein, es geht um mein Bild der Sache. Und wissen Sie – da ist es mir einfach zu simpel festzustellen: „Ich jedenfalls mißtraue j e d e r Argumentation des Establishments“. Was ist schon auf dem Hintergrund des eben Entwickelten „Establishment“ und wenn schon – warum sollten andere nicht auch interessengeleitet argumentieren? Zweitens ist dann auch häufig unmöglich, zu übereinstimmenden Auffassungen zu kommen; weniger, aber auch, weil die Auswahl der Quellen differiert, sondern weil die „ideell-politische Basis“ der Protagonisten nicht in Übereinstimmung zu bringen ist.
    Nun zum Detail: Mit von dem Bach-Zelewski haben Sie sich den „krummsten Hund“ ausgesucht, wenn es um Zeugenschaft in Sachen Polen, AK usw. geht. Was das „vom SD gelenkt“ angeht, so können Sie das – denke ich – getrost unter Propaganda verbuchen. Nach Ausbruch des Aufstandes 1944 sondierte Bach bei der AK, ob man nicht lieber gemeinsam gegen die Rote Armee kämpfen sollte; später willigte er ein, die AK als Gegner gemäß dem Kriegsvölkerrecht zu behandeln; nach ihrer Kapitulation wurden deren Angehörigen auch als Kriegsgefangene behandelt. Das ist das eine, das andere: In den Nürnberger Prozessen diente er sich dem internationalen Militärgericht als Kronzeuge an, um seiner Auslieferung an die SU zu entgehen. Er sagte aus, dass alle Verantwortlichen für die besetzten Ostgebiete – Hitler, Himmler, Frank – größte Schuld für die Verbrechen auf sich geladen hätten, er selbst jedoch nicht!!! – Sie gehen so einem Mann auf den Leim? Musste er nicht Vergangenes fälschen; um sich reinzuwaschen seine Taten kleinreden und so auch die seiner Gegner?
    Was nun die Strategie der AK (wobei „AK“ auch immer viele „Unterabteilungen“ umfasst) angeht, so kann man durchaus der Meinung sein, sie sei mit Aufstand 1944 von ihrer bisherigen klugen Politik abgewichen. Diese beruhte bis dato darauf, die Kämpfe auf die notwendige Selbstverteidigung zu beschränken, auf Diversion, Sabotage, Spionage, Schulung von Kadern usw., um für den Moment X bei günstigen Umständen vorbereitet zu sein. Übrigens war eine der größten Sabotageaktionen gegen den Aufmarsch der Wehrmacht vor dem Überfall auf die SU gerichtet. Grundsätzlich war man bemüht, die „nationale Substanz“ vor unnötigen weiteren Verlusten – die sowieso schon sehr, sehr hoch waren – zu bewahren. Das Verlangen der Kommunisten, der AL also, nach einem allumfassenden Aufstand hat man so als antipolnische Provokation gesehen, da der mit einer Niederlage und einem Blutbad geendet hätte.
    So kann man das Ganze auch sehen oder mit anderen Worten: Urteile wie „Kennen Sie eine militärische Operation der AK gegen die deutsche Besetzung?“ werden der Sache nicht gerecht! Und das trifft mutatis mutandis auch auf die in Rede stehenden gegenwärtigen Sachverhalte zu, wobei das wiederum nicht einer eigenen Meinung entgegensteht; im Gegenteil. Es ist eben häufig nur um einiges komplizierter, komplexer als auf den ersten Blick sichtbar. Wobei ich auch nicht meine, zu Polen, der AK, AL usw. der Weisheit letzten Schluss geliefert zu haben. Auch bezüglich der Diskussionen über die Ukraine und andere Themen enthalte ich mich apodiktischer Stellungnahmen; ich weiß es nicht! Wenigstens nicht genau… Und das Apodiktische, das „Es genau zu wissen” stört mich manchmal schon ziemlich.

    Freundliche Grüße
    Stephan Wohanka

    • Werner Richter sagt:

      So weit auseinander wie es scheint, verehrter Herr Wohanka, liegen wir bei genauer Betrachtung gar nicht. Ich weiß natürlich auch nicht, was da im Einzelnen passierte. Jedoch drückt man besser die querliegenden Fragen nicht in den Skat und übernimmt nicht der Einfachheit halber die allgemeine Sicht der Ereignisse. Um im Beispiel zu bleiben zu Bach-Zelewski. Es wäre zu billig, ihn pauschal als notorischen Lügner unter Druck abzutun. Mit dieser Methode hätten wir überhaupt keine glaubhaften Zeitzeugen mehr, schauen wir uns doch mal unsere Altvorderen an. Wer von diesen verkörpert die reine Wahrheit? Warum sollte er nicht Teilwahrheiten wiedergegeben haben, sich natürlich ausgenommen? Nach dem Befinden soll er ja ein eiskalter Zyniker gewesen sein, der das Spiel mit Wahrheit und Lüge beherrschte. Es soll ja auch Dokumente geben, die seine Darstellungen stützen. Das hatte Wolfgang Schreyer wohl auch geprüft. Die Abservierungsmethode scheint mir eng mit dem Verschwörungstheorie-Vorwurf sowie dem der Tatarenmeldung verwandt zu sein. Es ist komplizierter aber ratsamer, die Fragen offen zu halten und ins Bild zu integrieren. So gerät man an den Blickwinkel, den Wolfgang Schwarz in Heft 19 offenbart und der wohl der Wirklichkeit näher kommt. Es ist in diesem Zusammenhang auch geraten den Artikel von Ossietzky in Heft 19 zu überdenken.
      Übrigens, die Friedensfreunde Obama, Gauck, v.d. Leyen, Merkel, Steinmeier, Brook und Rasmussen würde es freuen, Zustimmer in unserem Kreis zu wissen. Ich allerdings bekäme heftige Bauchschmerzen, sollte ich mit diesen „Friedensfreunden“ übereinstimmen. Irgendetwas muß ich dann übersehen haben.

  99. Peter Arlt sagt:

    Lieber Herr Romeike,
    diese Qualifizierung kenne ich noch aus den 50er und z.T. 60er DDR-Jahren. Dort lautete das Verdikt auf abweichende Ansichten: Das hast Du vom Klassenfeind!
    Peter Arlt

    • Bernhard Romeike sagt:

      Lieber Herr Arlt,
      das mag sein. Heute produziert der spätbürgerliche Medienbetrieb alltäglich die verordneten Meinungen. Die Frage aber ist, leben wir in einem neuen Zeitalter des Imperialismus? Und: Wenn ja, setzen wir uns mit den bürgerlichen Mehrheitsparteien in das Boot des verordneten „Burgfriedens“, das derzeit den anti-russischen Kurs steuert, oder trete ich für einen anderen Kurs ein? Dass die einfältigen Stalinisten in den 1950er Jahren die Gestalt des „Klassenfeindes“ missbraucht und verbraucht haben, heißt ja nicht, dass es ihn nicht gibt. Nur sind die „Klassenlinien“ nicht so schlicht gezogen, wie man damals dachte.

  100. Erich Warlitz sagt:

    Von verdrucksten Interventionisten und einsamen Tangotänzern
    Endlich wird es wieder interessant, die Beiträge des Blättchens zur Ukraine-Krise zur Kenntnis zu nehmen. Die bedingungslose Rechtfertigung der russischen Aggression durch die maßgeblichen Blättchen-Autoren Crome und Romeike sowie die ebenso häufigen wir mitunter ein wenig rätselhaften Leserbrief des Herrn Richter begannen schon, ein wenig langweilig zu werden. Aber immerhin hat uns der Letztgenannte stets mit den aktuellen Tatarenmeldungen der notorisch unabhängigen Putin-Blogger versorgt, wofür ihm unser Dank gebührt.
    Dass die Ukraine ein unverkürztes Recht auf Selbstbestimmung hat, ist erstaunlicherweise eine – soweit ich sehe – neue Erkenntnis, die Frau Voigt in den Diskurs eingebracht hat. Herr Augstein hat diese letztens im „Spiegel“ mit lobenswerter Klarheit ausdrücklich bestritten – ist es also links, etwas zu verschenken, was einem nicht gehört; Geschäfte zu Lasten Dritter abzuschließen?
    Hervorhebenswert aus der aktuellen Diskussion erscheint mir weiterhin die Meinung von Frau Haustein, dass wir es in der Ukraine mit einem „verdrucksten Interventionismus Russlands“ zu tun haben. Das ist doch schon mal eine Diskussionsbasis. Ein wenig unklar ist allerdings, wie sie sich eine Sicherheitspartnerschaft mit einem Aggressor vorstellt. Das bleibt zunächst ein Geheimnis von allen „Rußland-Verstehern“. Nebenbei bemerkt: Der Terminus Russland-Versteher ist ein ziemlicher Euphemismus. Vielleicht verstehen diese Leute Russland am wenigsten? Ihr prominentester Vertreter, Herr Schröder, hat eine schöne Probe seines überaus tiefen Russland-Verständnisses abgegeben, als er seinen Arbeitgeber Putin einen „lupenreinen Demokraten“ nannte!
    „Ist Russland (noch) ein potentieller Sicherheitspartner? Diese Frage wird man mit Blick auf das russische Vorgehen in der Ukraine (derzeit) nicht (mehr) reinen Herzens bejahen können. Wer die Gelegenheit nutzt, um einen Teil des Territoriums eines Nachbarstaates einzukassieren – mit welcher Begründung auch immer – der bewegt sich außerhalb des Regelwerkes der OSZE … Wer dagegen verstößt, legt die Axt an das Fundament einer europäischen Sicherheit und verspielt das Vertrauen, dass die Basis jeder Partnerschaft ist.“ Das habe ich nun nicht in einem der verdammenswerten Mainstream-Medien gefunden, sondern im Blättchen (Gabriele Muthesius: Tango tanzen kann man nicht allein. Blättchen Nr. 16).
    Die Verteidiger der russischen Aggression mögen das diese nach Kräften sich und anderen schönreden, aber bisher haben sie noch nicht so recht plausibel machen können, warum Russland sich mit der Krim, der Ostukraine und – in welcher rechtlichen Konstruktion auch immer – der Ukraine zufrieden geben sollte, wenn das Roll Back doch so gut gestartet ist. Es sollte doch zu denken geben, dass sich ein ausgewiesener Ukraine-Spezialist wie Herr Crome bisher als denkbar schlechter Prophet erwiesen hat. „Einige Politikwissenschaftler und Politiker im Westen, von den USA bis Polen und Estland, meinen nun alarmistisch, Russland werde nach Abchasien und Südossetien nun die Krim und dann weitere Teile der Ukraine und Kasachstans annektieren wollen. Ist das ernst zu nehmen?“ (Blättchen, Nr. 6). Das war eine rhetorische Frage, Herr Murmelauge!
    Momentan sind wir also bei der Annexion weiterer Teilen der Ukraine – und die Zustimmung von Herrn Crome et tutti quanti ist ungebrochen. Da will ich mich doch auch einmal an eine Prognose wagen: Die Zustimmung wird nicht geringer werden, wenn es dann um die ganze Ukraine, das Baltikum und andere ehemalige Teile der großen Sowjetunion oder Polen und andere ehemalige Satellitenstaaten gehen sollte. Denn wenn es um legitime Interessen des großen Russlands geht und der Westen ständig irgendwelche Linien überschreitet … Versteht sich, dass der Westen letztlich sowieso an allem schuld ist. Wohl dem, der so einen festen Standpunkt sein eigen nennen kann.

    • Wolfgang Schwarz sagt:

      Wie Sicherheitspartnerschaft mit einem Aggressor geht, Herr Warlitz, was ist das für eine geschichtsvergessene Frage? Die NATO demonstriert seit 1949, wie das funktioniert – eingeschlossen die vielfachen Aggressoren USA (u.a. Indochina, Grenada, Irak), Frankreich (u.a. Indochina, Ägypten, vielfach in Afrika) und Großbritannien (u.a. Ägypten, Falklaninseln, Irak), um die Aufzählung nur bei den großen zu belassen. Die führten dadurch zumindest keine Kriege mehr untereinander. Auch nicht mit dem vormaligen Todfeind, den faschistischen Achsenmächten Deutschland und Italien. Die wurden „einfach“ ebenfalls eingebunden.
      Ähnliches auch mit der atomaren Supermacht Russland in einem vertraglich kodifizierten und organisatorisch ausgestalteten politisch-militärischen Rahmen hinzubekommen, das wäre ja schon mal ein erstrebenswerter Anfang gewesen – in der Zeit seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Um die große nukleare Apokalypse auf eine weniger prekäre Art als im Kalten Krieg zu bannen. Die Chance wurde vertan, und zwar nicht von den Russen. Ein Ergebnis ist die jetzige Krise um die Ukraine …
      Allerdings bedurfte es auch erst eines 13. August, bevor mit „Wandel durch Annäherung“ ein Umdenken im Westen (und – dadurch befördert – später im Osten) einsetzte.

    • Bernhard Romeike sagt:

      Das ist richtig, verehrter Herr Warlitz, man stellt sich auf den Standpunkt des Imperialismus der USA und des jetzigen Deutschland, oder man kritisiert ihn. Tertium non datur!

    • Manne Murmelauge sagt:

      Vom verdrucksten FAZ-Leser und einsamen Bild-Zeitungs-Leser
      Das hätte, sehr geehrter Herr Warlitz, die sachgerechte Überschrift Ihres Beitrages sein sollen. Sie vermissen die dort gestanzten Vorgaben. Aber warum suchen Sie die ausgerechnet im „Blättchen“?

  101. Selbstverständlich, hochgeehrter Herr Dr. Adolphi, respektiere ich Ihre Datenexaktheit. Im Gegensatz zur Leninschen Dialektik des immer weiter Revolutionierens respektiere ich den nationalen Wunsch Polens nach Eigenstaatlichkeit in sicheren Grenzen 1918. Dass dieser Wunsch all die Papiere nicht wert war, auf dem sie geschrieben standen, ist ja gerade das Drama Polens. Polen hatte von 1918 an das Recht, bis 1920 um Eigenstaatlichkeit zu kämpfen. Wer wann und wo russisches und ukrainisches Gebiet annektiert hat, wurde 1944 klar: mit aller Härte zurück ins Reich – die Polen können sehen wo sie bleiben.

  102. Wolfram Adolphi sagt:

    Angeregt durch die Bemerkung von Stephan Wohanka, wonach, wenn es über den Krieg in der Ukraine ginge, nur über diesen zu reden sei und beim Krieg in Afghanistan nur über jenen, hier ein paar Tagebuchnotizen: Gestern, am 16.9., melden europäische Medien, dass in der Renmin Ribao, der größten chinesischen Tageszeitung (die Titelzeile noch handschriftlich von Mao Zedong entworfen), darüber resprochen werde, dass ein Dritter Weltkrieg angesichts der Spannungen zwischen den USA und Russland nicht mehr ausgeschlossen werden könne. – Heute, am 17.9., morgens berichtet das Frühstücksfernsehen, dass Matthias Wissmann, Ex-Bundesminister, heute Chef des Verbandes der Automobilindustrie, fordere, mehr Flüssiggashäfen zu bauen, damit sich Deutschland von den russischen Gaslieferungen unabhängig machen könne. – In den gleichen Nachrichten erfahre ich, dass die Ameriikaner wieder eigene Spaceshuttles oder andere Weltraumtransporter bauen wollen, um beim Betrieb der ISS nicht mehr von den russischen Raketen abhängig zu sein. – Immer dann, wenn unsere Oberen in den vergangenen Jahrzehnten stolz neue Wirtschafts- und Handels- und Wissenschaftsabkommen verkündeten, begründeten sie ihre Freude mit der gewaltigen Bedeutung dieser Avbkommen für Frieden und Sicherheit. Daraus ist selbstverständlich der Schluss zu ziehen, dass das Aufkündigen solcher Abkommen eben genau n i c h t dem Frieden und der Sicherheit dient, sondern dem Gegenteil davon.
    Wolfram Adolphi

  103. Wolfram Adolphi sagt:

    Endlich haben wir die Debatte. Aber, lieber Axel Matthies, warum die mit pappkameradlicher Gruppenbildung beginnen: „die unwissende Haltung vieler Linker“? Muss man sich eine Gruppe basteln, um besser diskutieren zu können? Das ist doch Quatsch mit diesen Nebenschauplätzen und diesem Oberlehrergestus. Viel wichtiger ist doch: Wer überhaupt ist denn wissend? Auch in der Geschichte? O Gott, da gibt es – wie der Ossietzky-Artikel zeigt – so viel damals Gewusstes und heute wieder Ungewusstes und zielgerichtet Instrumentalisiertes usw. usf. – Beispiele: 18.3.1921 Friedensvertrag von Riga zwischen Sowjetrussland und der Ukrainischen Sowjetrepublik einerseits und Polen anderersseits – Ende des polnischen Interventionsfeldzuges gegen Sowjetrussland und die Ukrainische Sowjetrepublik (von Ende April bis 12.10.1920). Polen erreichte, dass die Grenze östlich der sog. Curzon-Linie (vom Rat der Entente am 8.12.1919 beschlossen) verlief. Polen annektierte also russisches und ukrainisches Gebiet. – 15.7.1933 Viererpakt zwischen Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Italien. – 26.1.1934 Nichtangriffsvertrag zwischen Deutschland und Polen. – 25.11.1936 Antikominternpakt Deutschland-Japan. – 21.9.1938 Der Volkskommissar für auswärtige Angelegenheiten der UdSSR Litwinow erklärt in der Vollversammlung des Völkerbundes angesichts dessen, dass der Völkerbund in den Fällen Abessinien, Österreich, China und Spanien untätig geblieben ist und auch der offensichtlich schon im Gange befindlichen Zerschlagung der Tschechoslowakei nicht entgegen setzt, dass die Sowjetunion bereit ist, gemeinsam mit Frankreich die Tschechoslowakei zu verteidigen. – 29.9.1938 Münchner Abkommen. – 3.4.1939 Hitler-Befehl über Angriffsvorbereitungen gegen Polen. – 22.5.1939 „Stahlpakt“ Deutschland-Italien. – 23.8.1939 Hitler-Stalin-Pakt. – 25.8.1939 Beistandsvertrag zwischen Großbritannien und Polen. – 3.9.1939 Kriegserklärungen Großbritanniens und Frankreichs an Deutschland. – Warum diese Daten? Sie helfen, den Zeitgeist der dreißiger Jahre zu verstehen. Schützen davor, alles durch die Brille jetziger Stellungnahmen und Aufregungen und – jetzig-hiesiger – Auseinandersetzungsfronten zu betrachten. – Aus einer heutigen offiziösen „Geschichte Lettlands“ (in Französisch, Riga 2006): „Gegen Ende der 1930er Jahre bewahrten [in Europa] nur 12 von 29 Ländern ihr demokratisches System. Die Ereignisse in Lettland müssen natürlich im Kontext der politischen Entwicklung Europas begriffen werden. Lettland beschritt im Frühjahr 1934 den Weg zur autoritären Machtausübung – als letzter der baltischen Staaten.“ Und ein paar Seiten weiter: „Im Frühjahr 1939 manifestierten sich in der Politik der Großmächte Tendenzen, die die Baltischen Staaten großen Gefahren aussetzten. Der Entschluss Deutschlands, das ‚polnische Problem‘ mit militärischen Mitteln zu lösen, der bei Russland zu beobachtende Mangel an Interesse, Polen zu verteidigen, wie auch die Unfähigkeit Großbritanniens, Polen und den Baltischen Staaten wirksam zu Hilfe zu kommen, schufen eine Lage, in der die aggressiven Absichten der UdSSR und Deutschlands sich deutlicher artikulieren konnten. […] Lettland, an einer dauerhaften Neutralitätspolitik interessiert, schloss mit Deutschland am 7. Juni 1939 einen Nichtangriffsvertrag.“ – Was ich damit sagen will? Gar nichts. Es sind dies nur einige der unendlich vielen weiteren Momente des Nichtwissens. – Deeskalation ist das Gebot der Stunde! Deeskalation in der Gorbatschow-Tradition! Und Anti-Kriegs-Haltung in der Tradition von Jean Jaurès, Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Lenin 1915 und Eduard Bernstein ab 1916.
    Wolfram Adolphi

  104. Stephan Wohanka sagt:

    Lieber Herr Richter,

    Sie teilen meine Sicht der Dinge nicht; Ihr gutes Recht. Aber lassen Sie doch bitte das mit der „Objektivität und Subjektivität“! Es gibt nur subjektive Sichtweisen – unser Dissens ist der beste Beweis dafür! Ich für meinen Teil nehme nicht in Anspruch, das Geschehen – wenn schon – „objektiv“ beurteilen zu können; wer wollte schon diesen Anspruch erheben? Ich mache mir ein Bild aus den Informationen, die ich habe und täglich zugewinne; und das auf dem Hintergrund meiner grundsätzlichen, im weitesten Sinne politischen Überzeugungen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie und jeder andere anders verführen, ja verfahren könnten! Selbst vor Ort seiend können Sie ihren Blick jeweils nur in eine Richtung werfen, Ihr Ohr nur einem leihen usw. und selbst wenn Sie „alles“ läsen, ginge das durch den „Filter“ Ihrer Überzeugungen. Darüber hinaus kann man bewusst „Aspekte“ verdeutlichen, aber das ist eine andere Betrachtungsebene …
    Sie sagen „am Anfang stand die Nato-Strategie“. Ich meine, am Anfang stand – um wirklich nicht auf Adam und Eva zurückzugehen – das Ende der Blockkonfrontation: Der „Sieger der Geschichte“ räumte das Feld; Putin rief bekanntlich den „Zusammenbruch der Sowjetunion“ zur „größten geopolitischen (!) Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ aus. (Lesen Sie dazu die metaphysischen Purzelbäume zur Interpretation auf http://www.unbequeme.blogspot.de) Damit ist die russisch-putinsche Strategie klar: Die Scharte wieder auszuwetzen; nicht dass die SU wieder als SU entstehen sollte, aber Russland sich doch als bestimmende eurasische Großmacht installiert. Der Westen dagegen konnte sich tatsächlich als „Sieger der Geschichte“ fühlen, und er benahm sich auch so. Die Lage Russlands wurde deshalb einmal so beschrieben: Sleeping with a porcupine (Stachelschwein). Es sieht im westlichen Engagement den Versuch, eine unipolare Welt unter der Führung der USA aufzubauen; solch eine Welt hält Russland für instabil und konfliktanfällig.
    Während Russland seit 1991 (1. Tschetschenienkrieg) die teilweise bewaffneten Unabhängigkeitsbewegungen in Tschetschenien, Inguschetien und Dagestan ablehnte und bekämpfte, unterstützte es die Sezessionisten in Südossetien, Abchasien und auch Transnistrien auch militärisch, wenn auch eine formelle Anerkennung mit Blick auf die eigenen Minderheiten vermieden wurde. Es fällt auf: In historischen Rückblicken wie auch dem Ihrigen fehlen diese Ländernamen; und bildeten nicht „Neurussland“, die Krim und Transnistrien eine ebensolche Landbrücke, die der Ukraine den Zugang zum Schwarzen Meer „vermauerte“. Ich meine, dass ist ebenso plausibel wie Ihre Überlegung zur westlichen Strategie, oder?
    „Grotesk“ argumentieren Sie, wenn Sie Putins Völkerrechtsbruch mit anderen derartigen Verfehlungen legitimieren – ganz so, als ob Sie einem Mörder Absolution erteilten mit der Begründung, vorher habe es auch schon Morde gegeben. Nicht nur, dass Putin das „gewöhnliche“ Völkerrecht brach; nein er brach sogar den Vertrag, in dem Russland explizit die „Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine“ garantiert.
    Zu den Detailargumenten: Die Befindlichkeit der Polen „AK-freundlich manipuliert“. Früher war sie „AL-freundlich indoktriniert“; so eine Polemik führt doch nicht weiter! Derartige Phänomene ändern sich in Gesellschaften, auch abhängig von politischen Konstellationen (wieder die vermaledeite „Objektivität“!).
    Selbst wenn „ukrainische faschistische Einheiten“ in Polen ausgebildet wurden, dann sind diese niemals in Russland oder sonst wo einmarschiert. Und wieder das Gleiche: Die – sehr wahrscheinlichen – Aktionen russischer Soldaten auf ukrainischer Erde mit dem Einsatz von „MI5/6-Kräften, Special Forces und ´unseren´ KSK“ anderswo zu legitimieren, ist doch Quatsch. Wir sprechen über den Ukrainekrieg; sprächen wir über den Afghanistankrieg, wären deren Aktivitäten namhaft zu machen und zu kritisieren.

    Freundliche Grüße
    Stephan Wohanka

    • Werner Richter sagt:

      Welch schöner Streit, endlich mal Leben in der Bude. Herr Wohanka, da haben Sie aber wohl etwas in den falschen Hals bekommen. Mein wertfreier Hinweis auf den vergangenen Disput steht Ihren Ausführungen nicht entgegen. Mein Ansatz war ein anderer, als von Ihnen vermutet. Es geht dabei überhaupt nicht, auch bei Ihren derzeitigen anderen Opponenten, um eine Wertung Putins und der russischen Politik, sondern ausschließlich um die von EU, Nato und USA und wie sie uns in den Medien vorgekaut wird. Es ist die Darstellung, daß Putin allein der böse Bube in diesem Spiel sei. Es war bis vor kurzem nicht vorstellbar, einer so eindeutig pro-westlichen Propagandakampagne ausgesetzt zu werden, wie wir es im Moment erleben. Es kann kein Zufall sein, daß bisher kritische Köpfe wie die von Panorama, Zapp, oft die Politik hinterfragend, mucksmäuschen still wurden und auf ungefährlichere Themen auswichen. Ihnen muß klar gemacht worden sein, ein Ausweichen im Mainstream könnte sehr ungesund werden. Hier sind überraschende Parallelen zu 9/11 sichtbar. Damals wurden kritische Journalisten und Gesellschaftswissenschaftler innerhalb weniger Tage zu tausenden gefeuert. Kamen etwa gleichzeitig hunderte Chefredakteure und Uni-Rektoren solitär auf die Idee oder war es Teil eines US-Militärputschplanes, der mit diesem Ereignis anlief und den einige kritische Beobachter an harten Indizien nachfragen? Natürlich werden diese als Verschwörungstheoretiker von Politik und Medien abqualifiziert und wir übernehmen das in der Regel. Dabei sind überhaupt keine Theorien aufgestellt, nur Fragen, die bis heute lapidar abgeschmettert werden. Diese angeblichen Theorien sind logische Variantenmutmaßungen, die als Erklärung möglicherweise in Frage kämen. Was weg soll, sind die lästigen Fragen, auch zu heutiger Politik. Fällt nicht das massenhaft unwirsche Ausweichen fast aller Politiker vor nichtgenehmen Fragen auf? Zum Nahen Osten stellt sich z.B. die Frage, warum gerade jetzt das Anti-IS-Bashing, wo doch die Praxis der Perversität und Unmenschlichkeit seit mehreren Jahren abläuft, ohne eine Verurteilung von USA usw. Nur für vorher gibt es harte Belege für westliche Waffenlieferungen an ISIS und Koordination des Vorgehens von ISIS und Special Forces durch die US-Regierung mit besonderer Rolle von Saudi-Arabien und Katar. Gestern empfing Merkel den Katar-Scheich und die FS-Spätnachrichten veröffentlichten völlig wertfrei das wohl geforderte Statement, Katar habe nie ISIS unterstützt und Punkt. Gleiches geschieht auch zu Ukraine und Rußland und wir täten gut daran, alles, aber auch alles, was uns als Information vorgesetzt wird, zu hinterfragen und das ständig. Sonst gerät man in Gefahr, der weltweit ablaufenden Gehirnwäsche zu unterliegen. Das betrifft auch die Frage nach den Befindlichkeiten der Völker, die man so einfach nicht zu den zu akzeptierenden Realitäten zählen kann. 1914 wäre dann die Kriegsbegeisterung vieler Völker, in Realität nur eines Teiles, auch heute als akzeptabel einzuordnen, schauderhaft.

    • Werner Richter sagt:

      Nochmals zu einigen von Ihnen, Herr Wohanka, ins Feld geführten Details. Wie bereits im vorigen Beitrag reklamiert, legitimieren ich mit keiner Faser Putins Politik, ich wünsche sie mir nur in die richtigen Zusammenhänge gestellt und nicht mit der Rußland-böse Bären-Keule eingepflockt. Zur Erinnerung, als grotesk habe ich das Alleinschuldkonstrukt bezeichnet, nichts anderes. Bitte genauer lesen! Dieses ist auch Teil der fragwürdigen polnischen Antirußlandstimmung und wurde inzwischen auch Teilen der ukrainischen Bevölkerung eingebleut. Eignet sich auch hervorragend zur Vertuschung eigener Leichen im Keller. Wieso soll bei der Lagebeurteilung die geheime Ausbildung, Aufstellung und Inmarschsetzung faschistoider Paramilitärs bis nach Odessa (!) keine Beachtung finden? Ähnliches habe ich vom famosen Elmar Brook, einem Hauptstrippenzieher, vernommen: Was soll das heute, unwichtig ist doch, was diese Leute (Rechter Sektor) mal vor 3 Jahren gesagt haben, außerdem haben die ja die Wahl verloren, sind also unbedeutend. Glatte Lügen. Waren Sie nicht gefordert mal darüber und was da in Polen so kursiert zu berichten? Kann man die von verschiedenen Seiten immer wieder gehörte Einschätzung beiseitelassen, daß es ohne den Rechten Sektor den Maidan und alles was folgte, nie gegeben hätte? Hauptsache, der Maidan fand statt, egal von wem mit welchen Mitteln und in wessen Interesse ausgelöst? Was soll man dann noch alles weglassen, damit das gewünschte Geschichtsbild stimmt? Nennen wir das Ergebnis dann „Selektive Geschichte“? Bitte lassen Sie jetzt die Mär vom Volksaufstand stecken, die verläßlichen Fakten sprechen eine andere Sprache. Bedenken Sie auch, daß zu fast jedem ukrainischen Volksaufstand ein Pogrom als Warmmacher diente, deshalb Vorsicht mit Heroisierung.
      Gestern konnten wir in den Spätnachrichten ein zumindest für uns neues Feindklischee bestaunen, die Feier zum „75. Jahrestag des Überfalls der Sowjetunion auf Polen“. Mich warf es fast vom Sessel. Lassen wir jetzt die ganze Vorgeschichte weg, die gemeinsame Überfallplanung von Göring und Beck bis wenige Tage vor dem 01.09.1939 auf die SU, die Ablehnung Polens zum Angebot der SU auf Sicherheitsgarantien gegen den drohenden und intern (spät) bekannten deutschen Überfall, später die Rolle der polnischen Exilregierung und der AK (Kennen Sie eine militärische Operation der AK gegen die deutsche Besetzung? Ich kenne nur AL-Aktionen) als (ungewollten, aber akzeptierten) antisowjetischen Aufstand, vom SD gelenkt (Vernehmungsprotokolle Bach-Zelewskis)? Das ist wohlgemerkt k e i n e Rechtfertigung Stalins, aber es gehört unbedingt auch zur Geschichte, die noch heute im aktuellen Konflikt wirkt.
      Ich jedenfalls mißtraue j e d e r Argumentation des Establishments.

  105. Franka Haustein sagt:

    Der Westen und Russland – zum Diskurs

    Auch Beiträge wie der von S. Wohanka in der aktuellen Ausgabe gehören zu dieser Debatte. Trotzdem könnte man dem Autor – polemisch – vorhalten, dass sich in Sachen prinzipieller Kritik am verdrucksten Interventionismus Russlands wohlfeil durchexerzieren lässt, was gegenüber den USA mit ihrer militärischen Omnipräsenz gar keinen Sinn gehabt hätte: Natürlich sind über Serbien, in Afghanistan, dem Irak, in Libyen und anderswo keine grünen Männchen ohne Hoheitsabzeichen zum Einsatz gekommen. Die USA und die jeweils willigen ihrer NATO-Partner sind halt auch im Gebrauch ihrer militärischen Mittel noch viel „souveräner“ als Putin. Das führt aber in der aktuellen Krise nicht weiter.
    Bedenklich ist vielmehr, dass Wohanka und diejenigen, die ihm im FORUM zustimmend zur Seite eilen, Grundlegendes ausblenden: Gerade finden gemeinsame amerikanisch-ukrainische Flottenmanöver im Schwarzen Meer statt. Kiew will in die NATO, und Washington will das auch. Das läuft eben nicht nur, verehrte Frau Voigt, auf einen „Wegfall des Puffers zum Westen“ hinaus. Aus russischer Sicht stand die NATO einst an der Elbe, heute steht sie quasi vor der Haustür. Wenn das zu den von Ihnen aufgerufenen Wegen gehört, die zu gehen auch die Ukraine das Recht hat, ob es Moskau nun gefällt oder nicht, dann sollten Sie im Umkehrschluss Ihrer alle weiteren Aspekte ignorierenden Logik nicht wirklich verwundert sein, wenn Moskau vergleichbare Wege, die anderen nicht gefallen, einschlägt.
    Immer wieder gern wird ja auch das Beispiel der britisch-französischen Appeasement-Politik vor 1939 und ihrer katastrophalen Folgen bemüht. Vielleicht hat Moskau genau dieses Beispiel vor Augen: Immer wieder hat man das militärische Vorrücken des Westens nach Osten hingenommen. Bei Georgien und der Ukraine hat man dann rote Linien signalisiert. (Siehe dazu u.a. den hier im FORUM dokumentierten Offenen Brief ehemaliger US-Geheimdienstmitarbeiter an Kanzlerin Merkel.) Selbst diese Linien sollten aber überschritten werden …
    Mir unverständlich ist nicht zuletzt, dass Wohanka, Voigt u.a. nicht sehen, was eigentlich als Quintessenz der von ihnen angesprochenen historischen Fakten zum Umgang Russlands, später der Sowjetunion, mit Nachbarstaaten geradezu ins Auge springt: Staatlich-politische Sicherheit für solche Länder wie die baltischen, die Ukraine, auch Polen ist ohne Moskau oder gar gegen dieses und in Konfrontation nicht zu haben. Allenfalls ein prekärer Zustand gegenseitiger Unsicherheit wie zu Zeiten der Ost-West-Konfrontation, inklusive des Risikos nuklearer Eskalation. (Dafür genügt allerdings intellektuell unambitioniertes militärisches Muskelspiel, wie es auch die NATO gerade vorführt.)
    Wo demgegenüber wirkliche Lösungsansätze im Verhältnis zu Russland liegen – in Kompromissen, in Einbindung, breiten Vertragsbeziehungen, letztlich Sicherheitspartnerschaft, das muss ich hier nicht wiederholen: Das hat W. Schwarz mit seinen Beiträgen über die Jahre, nicht erst seit Ausbruch der aktuellen Krise, ein ums andere Mal getan.

    P.S.: Was die ganze Debatte in jedem Fall unbedingt befördert, verehrte Frau Voigt, ist das Abstempeln von Vertretern anderer Meinungen als „einschlägige Bescheidwisser“. Dazu meint übrigens der Volksmund – wer auf andere mit dem Finger weist, auf den weisen drei zurück …

    • Sibylle Voigt sagt:

      „Kiew will in die NATO, und Washington will das auch. Das läuft eben nicht nur, verehrte Frau Voigt, auf einen „Wegfall des Puffers zum Westen“ hinaus. Aus russischer Sicht stand die NATO einst an der Elbe, heute steht sie quasi vor der Haustür. Wenn das zu den von Ihnen aufgerufenen Wegen gehört, die zu gehen auch die Ukraine das Recht hat, ob es Moskau nun gefällt oder nicht, dann sollten Sie im Umkehrschluss Ihrer alle weiteren Aspekte ignorierenden Logik nicht wirklich verwundert sein, wenn Moskau vergleichbare Wege, die anderen nicht gefallen, einschlägt.“
      Liebe Franka Haustein, worin besteht der Umkehrschluß eines Vorgangs, bei dem auf der einen seite ein souveräner Staat (Ukraine) ein Bündnis eingeht, das dem Nachbarn (Rußland) nicht gefällt und der Nachbar dem mit den Mitteln von Okkuopation (Krim) und Krieg (Ostukraine) begegnet, was in Ihren Augen „vergleichbar“ ist und ganz und gar dann auch noch logisch? Mysteriöse Logik
      S. Voigt

  106. Voigt sagt:

    Geschätzter Herr Murmelauge,
    hätten Sie die Güte, Texte zu lesen, bevor Sie in solcher Weise polemisieren? Bezüglich des „Und willst Du nicht mein Bruder sein, …“ in meinen Anmerkungen ist die Rede von den Nachbarn bzw. zwischenzeitlich vereinnahmten Anrainerstaaten Rußlands. Ich möchte Sie ungern vorführen, indem ich diese mit dem Blick auf den Atlas aufzähle. Würden Sie sich einen solchen gönnen, wäre Ihnen gewiss nicht entgangen, dass Deutschland (als Aggressor der UdSSR) nie dazu gezählt hat – es sei denn, man akzeptiert das dank beiderseitiger Okkupation Polens zwischenzeitlich erreichte territoriale Nebeneinander.
    Ich finde es ärgerlich, wenn jemand sein demagogisches Wasser auch dann nicht halten kann, wenn er keinen korrekten Anlaß findet, es abzulassen. Sachdienlich ist es Diskussionen wie dieser hier gewiß nicht.
    Sibylle Voigt
    PS: Sollte sich weitere Einlassungen Ihrerseits auf diesem Niveau befinden, erspare ich mir neuerliche Reaktionen darauf.

    • Manne Murmelauge sagt:

      Liebe Dame, gleichwohl stammt der Spruch: „Und willst du nicht mein Bruder sein, so schlag ich dir den Schädel ein!“ aus der deutschen Revolution von 1848. Dies war eine Verballhornung des „La fraternité ou la mort!“ (Brüderlichkeit oder Tod!) der französischen Jakobiner aus der Revolution von 1789-93. Reichskanzler Bernhard von Bülow hat den Spruch am 10. Dezember 1903 polemisch in einer Reichstagsrede benutzt. Vor diesem Hintergrund ist nun nicht recht erklärlich, weshalb dies ein Charakteristikum russischer Politik gewesen sein soll. – Wenn man im Internet sucht, findet man jedoch deutsche Webseiten, die den Spruch einfach Lenin zuschreiben. Nun denn!

  107. Sibylle Voigt sagt:

    Was mich bei nicht wenigen Betrachtungen – auch im Blättchen – irritiert ist, dass man nur immer ü b e r die Ukraine redet und sich den Kopf darüber zerbricht, was für sie gut und „richtig“ ist. Kaum einmal wird darauf Bezug genommen, dass es für Völker ein recht auf Selbstbestimmung gibt und dies nicht von Gnade oder Ungnade seiner Nachbarn und deren Interessen abzuhängen hat. „Willst Du nicht mein bruder sein, dann schlag ich dir den Schädel ein“ – war historisch langzeitig das politische Grundmuster Moskaus gegenüber seinen Nachbarn, die Rußland – erst durch den Zaren und später durch die Sowjetmacht – vereinnahmt hatte. Wenn diese nach dem Fall des roten Imperiums nun eigene (natürlich auch widerspruchsvolle und steinige, eventuell auch scheiternde) Wege gehen, die Moskau nicht gefallen, weil ihm damit ein Puffer zum bisherigen Westen entfällt, so kann das doch nicht die Maßgabe dafür sein, ihnen diese eigenen Wege zu verwehren, ob einem diese nun passen oder nicht.
    Herrn Wohanka jedenfalls danke ich ausdrücklich dafür, dass er dem linken Mainstream in Sachen Rußland/Ukraine eigene Gedanken mit sehr bedenkenswerten Aspekten entgegensetzt; einschlägige Bescheidwisser gibt es schon genug.
    Sibylle Voigt

    • Manne Murmelauge sagt:

      Wenn ich die Zeitungen dieses unseres Landes richtig lese, gibt es keinen „linken Mainstream“, sondern nur einen bürgerlichen, der derzeit anti-russisch und entspannungsfeindlich ist. Der schwappt auch in die linken Diskurse hinein, die versuchen, andere Positionen zu kommunizieren.
      Was das mit dem „Schädel einschlagen“ anbetrifft, hat doch wohl Deutschland am 1. August 1914 Russland den Krieg erklärt, und nicht umgekehrt, und am 22. Juni 1941 Deutschland die Sowjetunion überfallen, nicht diese Deutschland.

    • Werner Richter sagt:

      Wenn man über die Ukraine schreibt, wie es ja auch die Kommentatorin tat, muß man wohl über sie schreiben und sich gelegentlich den Kopf zerbrechen. Es ist, entgegen dem Kommentar, nur nichts zu finden, was als naseweise Bevormundung der Ukrainer zu deuten wäre. Die Kritiken richten sich alle gegen die Politik des Westens. Mit den Ukrainern wurde ein dreckiges Spiel abgezogen, sie hatten keine Chance. Der „demokratische“ Widerstand gegen die Regierung Janukowitsch, zunächst reiner Protest, wurde mit $-Hilfe in eine breite Bewegung umgeleitet (Es gibt glaubhafte Beobachter dieses Vorganges), nach ein paar Tagen die wirklich demokratischen Protestler vom Maidan geprügelt und die Dominanz des Rechten Sektors etabliert mit allen geplanten und dann durchgeführten Exzessen. Uns wurde vom wirklichen Mainstream die Mär von den Studentenprotesten aufgetischt, die in Wahrheit nur eine Minderheit waren. Mit diesem unter der Mehrzahl der Ukrainer ausgelösten Schreck war die Wahl eines plötzlich westlich orientierten Oligarchen und seine Einwechselung anstelle des russophilen nur noch Formsache. Unter den dann installierten, nicht gewählten Ministern sind bis heute fünf, die dem Rechten Sektor zugeordnet werden. Die haben alle militärischen, polizeilichen und geheimdienstlichen Schaltstellen in Händen und sie handeln nach faschistischer Art trotz der Wahlniederlage, die uns immer als Beweis für deren Harmlosigkeit angeboten wird. Das alles ist Ergebnis nicht des Volkswillens, sondern strategischer Planung und Lenkung des Westens. Unter diesen Umständen von Selbstbestimmungsrecht zu sprechen heißt Bestimmungsrecht des Westens in ein solches umzumünzen.
      Das „Schädeleinschlagen“ war und ist auch heute noch eine Hauptmethode aller imperialen Interessenvertretungen, spricht man z. Z. nicht von Steinmeiers Zuckerbrot- und Peitsche-Politik, einer Variante desselben? Problematisch ist es dann, aus dem Ergebnis des Kampfes zweier „Schädeleinschläger“, hier der Niederlagen der Verlierer Polen und Litauen (besser: deren Aristokratien) einen ewig unter den Russen Leidenden zu machen. Oder gab es keine panpolnischen und großlitauischen Vorstöße nach Rußland? Schwimmt in der Haltung der osteuropäischen Regierungen nicht im Hintergrund die Revanche mit? Mal sehen, wann die ersten Restitutionsansprüche polnischer Gutsbesitzerfamilien in der Ukraine gestellt werden, würde nicht verwundern. Das ist keine Rechtfertigung russischer oder sowjetischer Politik, dazu gibt es auch im Blättchen bisher keine andere Beurteilung, sondern der Hinweis, sich die Sache nicht zu einfach zu machen.
      Die ins Feld geführten Sicherheitsinteressen der baltischen, ukrainischen und polnischen Regierungen erweisen sich bei näherer Betrachtung als nicht auf russische Bedrohung beruhend, sondern wohl eher als Vorwand zur Begründung einer nötigen EU- und Nato-Mitgliedschaft. Man führe sich nur mal die permanenten Bettel- und Erpressungstouren in Westeuropa zu Gemüte. Ihre eigene Politik hätte an einer Bedrohungslage, wenn es sie gäbe, mehr Anteil als eine reale russische Gefahr. Wenn es eine gewachsene Kriegsgefahr in Osteuropa, dessen Bevölkerung als erste abenteuerliche Eskapaden auslöffeln müßte, gibt, dann ist gewiß nicht die Großmachtpolitik Putins an erster Stelle und allein daran schuld. Verweise auf die Geschichte, die aber auch permanente Bedrohung Rußlands und der SU einschließt, erklären die jetzige Situation nur begrenzt. Als Universalerklärung taugen sie nicht. Auch in der Vergangenheit erwies sich, oft im Nachhinein eingestanden, die „russische Bedrohung“ als Tarnmaßnahme eigener Aggressionspläne und Popanz westlicher Propaganda. In dessen Folge sprangen die Osteuropäer als erste über die brutale russisch-sowjetische Klinge. Wenn wir schon die Geschichte bemühen, wäre dann nicht auch die Frage zu stellen, wieviel Anteil die erbarmungslose westliche Interventionspolitik am Aufkommen des Stalinismus hat?
      Nochmals zu Info-Kanälen, die uns helfen können, die konzertierte Desinformationsfront aufzubrechen:
      http://www.heise.de/tp/artikel/42/42708/1.html
      http://www.voltairenet.org/de

  108. Dank an die Redaktion für den Abdruck des Beitrages von Stephan Wohanka. Völlig richtig erkennt Wohanka eine nach wie vor unwissende Haltung vieler Linker, vor allem älterer, zur Geschichte Polens. Die wenigsten Leute kennen die Geschichte der Teilung Polens ab 1792, noch weniger kennen sich aus mit der Behauptung Polens um die neu gewonnene staatliche Selbständigkeit aus. Polen musste von 1918 bis 1921 kämpfen, um eine eigene Staatlichkeit in den zugeordneten, aber niemals garantierten Grenzen zu erreichen. 1921 wollten die Bolschewiki über den „weißen Leichnams Polens“ hinweg die Revolution nach Deutschland tragen, ein Abenteuer, das nicht Wirklichkeit wurde. Das „Wunder von der Weichsel“ wurde so ein weiterer polnischer Mythos. Aber schon 1939 wurde es wieder zur Wurst im deutsch-sowjetischen Sandwich, dann wurde ein großer Teil der polnischen Intelligenz zu Toten von Katyn, den Rest übernahmen die Deutschen in Westpolen. Dann die Durchsetzung kommunistischer Staatlichkeit in einem eher konservativen, katholischen Land. Dieser in Jahrhunderten aufgestaute Frust entlud sich 1981, diese Glut war nicht mehr zu löschen. Die baltischen Staaten hatten auf andere Weise die Macht Russlands oder der Sowjetunion zu erleiden.
    Wenn diese Länder jetzt Sicherheitsbedenken für sich reklamieren, sollte man das erinnern. Es ist viel mehr als das Bellen von Möpsen wider den Bären. Es ist die historische Minute, wo man weiß, dass sich die Ereignisse von 1918 und 1939/40 nicht wiederholen können.
    Sicherlich kann diese historische Erinnerung nicht den Konflikt lösen, aber sie muss immer genannt werden. Die Ukrainer sind keine Faschisten und die Russen keine weißen Friedensritter. Es gibt kein Schwarzweiß in diesem Konflikt. Es gibt nur Menschen, die ihre Wohnung und ihr Hab und Gut verloren haben. Und der Gedanke, wie nah Europa 100 Jahre nach Beginn des ersten großen Krieges wieder an einem Krieg steht. Es sind keine Schlafwandler, die jetzt agieren, es sind Menschen, die Namen haben.

    Axel Matthies

  109. Werner Richter sagt:

    Zu Stephan Wohanka Heft 19 „Warum ich den Krieg in der Ukraine anders sehe“
    Natürlich kann man auch eine Sache wie den Ukraine-Konflikt unter verschiedenen Aspekten betrachten und dabei unterschiedliche Schattierungen feststellen. Das liegt in der Natur der Sache und passiert immer, siehe dazu auch den vergangenen Disput an dieser Stelle zu Objektivität und Subjektivität. Jedoch sollt man tunlichst vermeiden, grundlegende Zusammenhänge wie etwa die auslösenden Momente und Kräfte auszublenden.
    Wohl kaum zu bestreiten, am Anfang aber stand, nicht das Wort oder das Licht, sondern die Nato-Strategie. Es sei denn, der Wille zur Drehung des Bildes über die Ereignisse um 180° überwiegt. Die „Fehler des Westens“ als solche zu bezeichnen, ist ein Euphemismus. Dieser Begriff verharmlost die US-/Nato-Strategie und ist medail ablenkend rege in Gebrauch. Diese trat die Ereignislawine erstmal los, wozu hier schon genügend geschrieben wurde. D.h., ohne den Wortbruch zum Containment Rußlands hätte es vermutlich keine Annexion der Krim gegeben. Es ist, obwohl meines Wissens bisher in keine Überlegungen eingeschlossen, sehr wahrscheinlich, daß ganz am Anfang Teil der strategischen Nato-Planung war, über schleichende Einbindung der Ukraine einschließlich Bessarabiens letztendlich Rußland den Zugang zum Schwarzen Meer zu vermauern. Undenkbar? Nein, höchstwahrscheinlich. Grotesk wird es, Putin zum singulären Völkerrechtsbrecher zu stempeln und so alle Verantwortung ihm zu zu schieben. Man kann ja mal spaßenshalber die Völkerrechtsbrüche der Nato seit dem Jugoslawienkrieg zusammen zählen. Das Völkerrecht wurde und wird seit langem vom Westen gebrochen. Putin macht es jetzt ebenso, aber wohl aus nachvollziehbaren Gründen. Das ist nicht die feine englische, aber russische Art. In diesem Zusammenhang die Ursachen des Konfliktes als Historie und nicht mehr relevant zu qualifizieren erscheint höchst fragwürdig.
    Nun noch zu einigen Detailargumenten: Die „Befindlichkeit der Polen“, wer immer alles darunter subsummiert wird, es handelt sich wohl mehr um die öffentliche, also durch AK-freundliche manipulierte Geschichtsdarstellung. Bei aller Liebe kann man mit dieser nur bedingt übereinstimmen.
    Die kleinen grünen Putin-Männchen kann man aber auch im Zusammenhang mit der Ausbildung ukrainischer faschistischer Einheiten seit den 90-er Jahren gerade in Polen sehen und der tatsächlich in Kiew herrschenden Junta (sehr treffende Kennzeichnung), dann wird Putins Vorgehen verständlicher. So zu tun, als ob erst jetzt und nur in der Ukraine verdeckte russische Kräfte unterwegs sind, ist lächerlich. Was machen wir dann mit den MI5/6-Kräften als Führer und technisches Personal der Mujaheddin seit Anfang der 80-er Jahre, den Special Forces in nahezu 100 Ländern einschließlich „unserer“ KSK und den Söldnern seit Beginn des Maidan (Der stellvertretende CIA-Direktor sucht wohl immer noch nach einigen Verschwundenen)?
    Die Beweislage zu den Ereignissen ist gar nicht so sehr verworren, wie es scheint. Die USA veröffentlichen einige eindeutige Beweise, obwohl seit langem angekündigt, nicht, weil dadurch wohl die Behauptungslage zusammen bräche. Sie haben sehr genaue Informationen. Das hat überhaupt nichts mit einer Beschwichtigungspolitik zu tun. Diese existiert nur in einigen Köpfen oder bestenfalls zur Sicherung bis jetzt gewonnener Vorteile im Sch…spiel.

    • Peter Anders sagt:

      Verehrter Herr Richter,
      für Ihr allzeit kämpferisches Weltbild aus festgefügten Wahrheiten haben Sie meine Hochachtung. Bitte fallen Sie nie vom Glauben ab, sagen Sie uns auch fürderhin, was Sache ist, und benoten Sie auch weiter die Gedanken von Ungläubigen. Danke.
      Peter Anders
      *

      Verehrter Herr Wohanka,

      Ein Glück, dass mir Werner Richters Aufklärung rechtzeitug verfügbar gemacht worden ist – ich war schon nahe dran zu überlegen, ob Ihre Überlegungen nicht (in ziemlich hohem Maße) bedenkenswert sind …
      Das ist nun grade noch so verhindert worden und soll auch ganz bestimmt nie wieder vorkommen – großes Pionierehrerenwort!

  110. Zeitungsleser sagt:

    „Das in der Apple Watch zum Ausdruck kommende Menschenbild, gewissermaßen ihre ideologische Software, tritt somit deutlich hervor, als habe ein alter neoliberaler Traum endlich Gestalt angenommen: steter Konsum und eiserne Fitness im stählernen Gehäuse des Kapitals. Die Apple Watch ist wie jede andere Smartwatch oder auch jedes Fitnessarmband eine ans Handgelenk gewanderte elektronische Lifestyle-Fußfessel. Viel Spaß damit!“
    Christian Schlüter in einer Kolumne der Berliner Zeitung

    • HWK sagt:

      Dazu paßt herrlich, was ich heute (15.9.) in einem Berliner Radio hörte: Zwei junge Männer haben die ganze Nacht vor einem Apple-Shop verbracht, um dann die ersten zu sein, die das neue Smartphone ihr eigen nennen zu können. Einer von ihnen hatte zu diesem Zweck Urlaub genommen; der andere – zu einer Maßnahme des Arbeitsamtes verpflichtet – sich krank schreiben lassen.
      Des Menschen Dressierbarkeit macht Fortschritte, die mit dem rasanten Tempo der technologischen Entwicklung locker mithalten. Glückwunsch an die Dresseure! Gratulation aber auch den Dressierten zu solch vielversprechender Verblödbarkeit.
      HWK

  111. Zum Thema „Bildung“,

    das Herr Heino Bosselmann in den Heften Nr. 16 und 18 in sehr lesenswerter Weise angesprochen hat, habe ich ein schönes Zitat aus dem Jahre 1904 gefunden:

    „Ist das wirklich ‚allgemeine Bildung‘, wenn wir die Samniterkriege kennen und beim Ausbruch des russisch-japanischen Krieges nicht wissen, warum dieser Krieg kommen mußte, welche Aussichten die eine und die andere Seite hat, welche Rolle das Geld in diesem und in jedem Kriege spielt, welche Folgen ein Sieg der einen oder anderen Partei haben würde usw. usw., oder wenn unsere Jünglinge und Männer nicht wissen, was ein Reichstagsabgeordneter, eine indirekte Steuer ist, was das Wort ‚Klassenkampf‘ eigentlich bedeutet, wie Klassenkämpfe entstehen und wie sie verlaufen?“
    Aus: Otto Ernst: Zur Renaissance der Pädagogik. Zitiert nach: Ernst, Otto, Das Otto Ernst-Lesebuch. Hamburg: Kabel 1991.

  112. MEMORANDUM FÜR: Bundeskanzlerin Angela Merkel
    VON: Veteran Intelligence Professionals for Sanity (VIPS)
    THEMA: Ukraine und NATO

    Wir, die Unterzeichner, sind langjährige Veteranen der US-Nachrichtendienste. Wir unternehmen den außergewöhnlichen Schritt, diesen offenen Brief an Sie zu schreiben, um Ihnen die Gelegenheit zu geben, vor dem NATO Gipfel am 4. und 5. September Einblick in unsere Sicht der Dinge zu bekommen.
    Es ist beispielsweise wichtig für Sie zu wissen, daß Anschuldigungen hinsichtlich einer großangelegten russischen Invasion in der Ukraine offenbar nachrichtendienstlich nicht zuverlässig gesichert sind. Vielmehr scheint die „Intelligence“ von derselben politisch festgelegten Art zu sein, mit der vor 12 Jahren der Angriff auf den Irak „gerechtfertigt“ wurde. Wir sahen damals keine glaubwürdigen Beweise für Massenvernichtungswaffen; wir sehen jetzt keine glaubwürdigen Beweise für eine russische Invasion. Vor 12 Jahren verweigerte der damalige Kanzler Schröder in Anbetracht der vagen Hinweise auf irakische Massenvernichtungswaffen die Teilnahme am Angriff auf den Irak. Unserer Ansicht nach sollten Sie Anschuldigungen des US Außenministeriums und von NATO Vertretern hinsichtlich einer Invasion Russlands in der Ukraine mit angemessenem Misstrauen begegnen.
    Präsident Barack Obama versuchte am gestrigen Tage, die Rhetorik seiner eigenen führenden Diplomaten sowie der kommerziellen Massenmedien abzukühlen, als er die jüngsten Vorgänge in der Ukraine mit den Worten „…eine Weiterführung dessen was in den letzten Monaten geschehen ist … es ist nicht wirklich eine Änderung“ beschrieb.
    Obama hat jedoch nur schwache Kontrolle über die politischen Entscheidungsträger in seiner Regierung, die leider über keinen nennenswerten Sinn für Geschichte verfügen, keine Erfahrungen mit Kriegen haben und Politik mit anti-russischen Ressentiments vertauschen. Vor einem Jahr war es „Falken“ unter den Vertretern des Außenministeriums bereits beinahe gelungen, Obama zu einem großangelegten Angriff auf Syrien zu bewegen – wiederum basiert auf „nachrichtendienstlichem“ Material, das im besten Fall zweifelhaft war.
    Vor allem weil vermehrt Nachrichtendienstmeldungen hervorgehoben werden, auf die sich scheinbar verlassen wird und die wir für gefälscht halten, denken wir, daß die Wahrscheinlichkeit einer Eskalation der Kampfhandlungen über die Grenzen der Ukraine hinaus in den letzten Tagen erheblich gestiegen ist. Wichtiger aber ist, daß wir überzeugt sind, daß diese wahrscheinliche Entwicklung vermieden werden kann, in Abhängigkeit von der gesunden Skepsis, die Sie und andere führende Politiker Europas zum NATO Gipfel in der kommenden Woche mitbringen.

    Erfahrungen mit Unwahrheit

    Es bleibt zu hoffen, daß Ihre Berater Sie auf die durchwachsene Bilanz hinsichtlich der Vertrauenswürdigkeit des NATO Generalsektretärs Anders Fogh Rasmussen hingewiesen haben. Es erscheint uns, als würden Rasmussen’s Reden nach wie vor regelmäßig in Washington geschrieben.
    Dies war mehr als deutlich am Tag vor der US geführten Invasion im Irak, als er in seiner Funktion als dänischer Premierminister, seinem Parlament vortrug:
    „Irak hat Massenvernichtungswaffen. Das ist nicht etwas, das wir lediglich vermuten. Wir wissen es.“
    Bilder können mehr sagen als tausend Worte. Wir haben erhebliche Erfahrung mit der Sammlung, Analyse und Berichterstattung zu jeder Art von Satellitendaten und anderem Bildmaterial sowie anderer Arten nachrichtendienstlicher Quellen. Es soll hier ausreichen, deutlich zu machen, daß die am 28. August von der NATO veröffentlichten Bilder eine sehr fadenscheinige Grundlage dafür bilden, Russland eine Invasion der Ukraine vorzuwerfen. Traurigerweise haben sie starke Ähnlichkeit mit den Bildern, die am 5. Februar 2003 von Colin Powell vor der UN gezeigt wurden und die ebenfalls nichts bewiesen.
    An eben jenem Tag warnten wir Präsident Bush, daß unsere ehemaligen Analysten Kollegen „vermehrt verstört über die Politisierung der Nachrichtendienste“ waren, und wir sagten ihm geradeheraus, daß „Powels Präsentation nicht annähernd einen Grund biete“, der einen Krieg rechtfertigen würde. Wir mahnten Mr. Bush „die Diskussion…über den Kreis jener Berater hinaus zu erweitern, die klar einen Krieg anstreben, für den wir keinen überzeugenden Grund sehen, und dessen unbeabsichtigte Konsequenzen vermutlich katastrophal sein würden.“
    Betrachten Sie Irak heute. Schlimmer als katastrophal. Obwohl Präsident Vladimir Putin bisher beträchtliche Zurückhaltung im Ukraine Konflikt gezeigt hat, halten wir es für erforderlich, daran zu erinnern, daß Russland ebenfalls zu „Shock and Awe“ in der Lage ist. Wenn auch nur die kleinste Wahrscheinlichkeit besteht, daß derlei aufgrund der Ukraine Europa betreffen könnte, sollten nüchtern denkende Führungspersonen dies sehr sorgfältig durchdenken.
    Wenn die von der NATO und den USA freigegebenen Photos den besten verfügbaren „Beweis“ einer russischen Invasion darstellen, verstärkt dies unseren Verdacht, daß aktuell erhebliche Anstrengungen unternommen werden, um Argumente für den NATO Gipfel zu stärken, auf deren Grundlage Maßnahmen verabschiedet werden sollen, die Russland mit Sicherheit als Provokation ansehen wird. Sie sind zweifelslos vertraut mit dem Ausdruck „Caveat Emptor“. Es soll genügen hinzuzufügen, daß man allem, was Mr. Rasmussen oder selbst Außenminister Kerry zu verkaufen versucht mit äußerster Vorsicht begegnen sollte.
    Wir vertrauen darauf, daß Ihre Berater Sie hinsichtlich der Ukraine Krise seit Anfang 2014 auf dem Laufenden gehalten haben und auch darüber, wie sehr die Möglichkeit einer NATO Mitgliedschaft der Ukraine für den Kreml ein Anathema ist. Gemäß eines Telegramms vom 01. Februar 2008 (veröffentlicht durch WikiLeaks) von der US Botschaft in Moskau an die damalige Außenministerin Condoleeza Rice, wurde US Botschafter William Burns zu Außenminister Sergey Lavrov gerufen, der ihm Russlands starken Widerstand gegen eine NATO Mitgliedschaft der Ukraine erläuterte. Lavrov warnte spezifisch vor „Befürchtungen, daß das Thema das Land entzweien und zu Gewalttätigkeiten führen könnte oder sogar, behaupten so manche, zu einem Bürgerkrieg, der Russland dazu zwingen würde, über eine Intervention nachzudenken.“ Burns gab seinem Telegramm den ungewöhnlichen Titel „NYET heißt NYET: RUSSLANDS ROTE LINIEN ZUM THEMA NATO ERWEITERUNG“ und schickte es mit HÖCHSTER Priorität nach Washington. Nur zwei Monate später verabschiedeten NATO Führer auf ihrem Gipfel in Bukarest in einer formalen Erklärung, daß „Georgien und die Ukraine in der NATO sein werden.“
    Gerade gestern behauptete der ukrainische Ministerpräsident Arseny Yatsenyuk über sein Facebook account, daß er mit Unterstützung des Parlaments darum nachgesucht hat, den Weg zu einer NATO Mitgliedschaft offen zu halten. Yatsenuk war natürlich nach dem Staatsstreich am 22. Februar Washingtons erste Wahl für das Amt des Ministerpräsidenten. „Yats ist unser Mann“ sagte die stellvertretende Außenministerin Victoria Nuland einige Wochen vor dem Coup in einem abgefangenen Telefongespräch mit dem US Botschafter in der Ukraine, Geoffrey Pyatt. Vielleicht erinnern Sie sich, daß dies dasselbe Gespräch war, in dem Nuland sagte „f*ck die EU.“

    Zeitpunkt der russischen „Invasion“

    Die gängige Sichtweise, die noch vor wenigen Wochen von Kiew verbreitet wurde, war, daß ukrainische Kräfte die Oberhand im Kampf gegen die Anti-Coup Föderalisten gewonnen hatten, was im großen und ganzen als Reinigungsaktion dargestellt wurde. Aber dieses Bild der Offensive stammt fast vollständig von offiziellen Regierungsquellen in Kiew. Es gab nur sehr wenige Berichte, die unmittelbar aus der südöstlichen Ukraine stammten. Es gab jedoch einen, der den ukrainischen Präsidenten Petro Poroshenko zitierte, der Zweifel an den Regierungsdarstellungen aufkommen ließ.
    Gemäß der „Pressestelle des Präsidenten der Ukraine“ am 18. August ordnete Poroshenko eine „Re-gruppierung der an der Militäraktion beteiligten ukrainischen Einheiten im Osten des Landes“ an. „…Heute müssen wir eine Neuordnung der Kräfte vornehmen, die unser Territorium verteidigen werden – sowie fortgesetzte Bodenoffensiven.“ Sagte Poroschenko, und fügte hinzu „Wir müssen unter den neuen Umständen einen neuen Militäreinsatz in Betracht ziehen.“
    Falls die „neuen Umstände“ den erfolgreichen Vormarsch der ukrainischen Regierungskräfte bezeichnen sollte, weshalb sollte es nötig sein, die Kräfte „umzugruppieren“ und „neu zu ordnen“? Etwa zur selben Zeit begannen Quellen vor Ort über eine ganze Reihe erfolgreicher Angriffe der Anti-Coup Föderalisten auf die Regierungskräfte zu berichten. Nach diesen Quellen waren es die Regierungstruppen, die begannen, schwere Verluste zu erleiden und an Boden zu verlieren, weitgehend aufgrund von Ungeschick und mangelhafter Führung.
    Zehn Tage später, als sie eingekesselt waren und/oder sich zurückzogen, war in der „Russischen Invasion“ eine vorbereitete Ausrede gefunden. Exakt in diesem Augenblick wurden die verschwommenen Aufnahmen von der NATO veröffentlicht, und Reporter wie Michael Gorden von der New York Times wurden von der Leine gelassen, um zu verbreiten, daß „Die Russen kommen“. (Michael Gordon war einer der lautstärksten Propagandisten, die nach dem Krieg gegen den Irak gerufen hatten).

    Keine Invasion – aber reichlich andere russische Unterstützung

    Die Anti-Coup Föderalisten in der südöstliche Ukraine erfreuen sich erheblicher lokaler Unterstützung, zum Teil aufgrund der Artillerie Angriffe von Regierungstruppen auf große Bevölkerungszentren. Und wir vermuten, daß russische Unterstützung über die Grenze geflossen ist, einschließlich – und das ist von erheblicher Bedeutung – ausgezeichneter Gefechtsfeld Aufklärung. Allerdings ist es alles andere als klar, daß diese Unterstützung zu diesem Zeitpunkt auch Panzer und Artillerie umfasst – hauptsächlich weil die Föderalisten besser geführt wurden, um Regierungstruppen festzusetzen.
    Gleichzeitig haben wir keinerlei Zweifel daran, daß die Panzer kommen werden, falls und wenn die Föderalisten sie benötigen. Genau dies ist der Grund, weshalb die Situation eine gemeinsame Anstrengung für einen Waffenstillstand erfordert, den, wie Sie Wissen, Kiew bisher hinausgezögert hat. Was muß an diesem Punkt unternommen werden? Nach unserer Ansicht muß Poroshenko und Yatsenuk klargemacht werden, daß eine NATO Mitgliedschaft nicht auf dem Tisch liegt und daß die NATO keinerlei Interesse an einem Stellvertreterkrieg mit Russland hat – insbesondere nicht zur Unterstützung der zusammengewürfelten ukranischen Armee. Anderen NATO Mitgliedern muß das ebenfalls gesagt werden.

    Für die Lenkungsgruppe der Veteran Intelligence Professionals for Sanity (Pensionierte Nachrichtendienst Experten für den Gesunden Menschenverstand)
    William Binney, ehemaliger technischer Direktor, Welt geopolitische & militärische Analyse, NSA; Mitbegründer, SIGINT Automation Research Center (i.R.) Larry Johnson, CIA & Außenministerium (i.R.) David MacMichael, National Intelligence Council (i.R.) Ray McGovern, ehemaliger US Army Infanterie / Nachrichtenoffizier und CIA-Analyst (i.R.) Elizabeth Murray, stellvertretender National Intelligence Officer im Mittleren Osten (i.R.) Todd E. Pierce, MAJ, US Army Judge Advocate (Ret.) Coleen Rowley, Abteilungsanwältin & Special Agent, FBI (i.R.) Ann Wright, Oberst der US-Armee (i.R.); Foreign Service Officer (zurückgetreten)

    (Artikel geändert am 1. September 2014 um 09:30 Uhr)

    Einreicher Website: http://www.coleenrowley.com
    Einreicher Biographie: FBI-Agentin im Ruhestand und ehemalige Rechtsberaterin der Abteilung Minneapolis

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  113. Werner Richter sagt:

    Zu Wengierek Heft 18-2014 Querbeet
    Kleiner Einwurf: Meines Wissens aus militärischem Leben enstammt der Begriff 08/15 der Heeresdienstvorschrift HDV 08/15, die Vorbild für die spätere DV 10/3 der NVA wurde. Paßt auch besser, da mit dem Begriff allgemein Übliches, ohne Hinterfragung Anzuwendendes und genau Einzuhaltendes ausgedrückt wird. Die HDV bzw. DV waren so geschaffen.

    • Kästner,Dietmar sagt:

      08/15 war Teil einer Bezeichnung für ein Gewehr welchen im 1. Weltkrieg genutzt wurde. Es war in einer sehr schlechten Qualität hergestellt.
      Seit dem, ist die Bezeichnung 08/15 ein Ausdruck für schlechte Qualität, ein schnell hergestelltes Produkt mit schlechten Gebrauchseigenschaften, früher hätte man gesagt Ausschuss.

  114. HWK sagt:

    „Der Kapitalismus vollendet sich in dem Moment, in dem er den Kommunismus als Ware verkauft. Der Kommunismus als Ware, das ist das Ende der Revolution.“ – Finalsatz eines sehr lesens- und bedenkenswerten Beitrags des in Berlin lebenden und lehrenden Philosophen Byung-Chul Han in der „Süddeutschen Zeitung“: http://www.sueddeutsche.de/politik/neoliberales-herrschaftssystem-warum-heute-keine-revolution-moeglich-ist-1.2110256

  115. Hartwig Mehlhorn sagt:

    Amtshilfeersuchen
    Hat vielleicht irgendein Blättchen-Leser etwas über den Fortgang der Aufklärung des Flugzeugabschusses über der Ukraine gehört oder gelesen, seit doch nun schon wochenlange „intensive Untersuchungen“ laufen und auch der Flugschreiber längst gefunden ist?

  116. Franka Haustein sagt:

    Nicht für alle ist es ein Vergnügen, längere fremdsprachliche Aufsätze im Original zu lesen. Wer das Mearsheimer-Essay, auf das W. Schwarz in der jüngsten Ausgabe Bezug nimmt, „bequem“ auf Deutsch lesen will, der kann das hier tun: http://www.ipg-journal.de/kommentar/artikel/putin-reagiert-560/

  117. Werner Richter sagt:

    Für die, die noch nicht involviert wurden und sich auch dem Protest gegen TIPP und CETA anschließen wollen, hier nochmals die Möglichkeit:
    http://mailings.foodwatch.de/c/15209720/dd3601ff2558a-nb0rnr
    Man nütze auch die Möglichkeit als Multiplikator zu wirken und animiere den Bekanntenkreis. Auf daß dem dicken Gabriel der PC um die Ohren fliege!

  118. Literat sagt:

    Literat sagt:

    Warum, sind Sie, Herr Wohanka, ob Ihres Szenarios besorgt? Ihr lobenswerter Einfall wäre doch die Auflösung des Welträtsels, wieso es zu Krisen, Konflikten, auch der „alternativlosen“ Notwendigkeit zur Entsendung militärischer Kontingente kommt, ja kommen muß, und wie dem vermittels Eliminierung der „Russischen Armee“ durch dauerhaften Urlaub und Verlaufen… in den Weiten Westeuropas zu begegnen wäre.
    Vielleicht treffen die dann so zu Globetrottern gewordenen dort auch noch auf ein paar vereinzelte amerikanische Militärs und Privat-Armeen, die sich hier und um Europa herum offenbar ohne Zweck und Ziel so tummeln.
    Hier die Vision dank Ihrer Anregung, wie das ausgehen könnte:
    Dann machen alle gemeinsame Sache unter dem Kommando von Herrn Rasmussen. Dieser Personalvorschlag ist damit zu begründen, dass er
    sich in Kiew (obzwar kein NATO-Staat) gut auskennt,
    in der Ukraine wirkende russischen Armee-Urlauber gezählt hat,
    stets beste Handzeichnungen/ Fotos bei sich hat und in die Welt setzt, besonders eifrig auch vorab als Konjunktiv-Dokumentation „es könnte sein …“
    Gäbe es dann auf die von Ihnen befürchtete Weise keine reguläre russische Armee mehr, dann wäre der Weg doch frei für die beste aller Welten, ohne Mangel und Mängel, was infolge von Herrn Putin derzeit leider noch nicht der Fall sein kann. Aber daran wird ja gearbeitet …

    • Stephan Wohanka sagt:

      Wenn schon – dann mit offenem Visier! Das geschlossene Visier ist das Sinnbild des Sich-Verbergens. Tut mir leid, aber mit Leuten, die ihre Identität verheimlichen, pflege ich nicht zu diskutieren!
      Wohanka

  119. Birger Rudnik sagt:

    In der NATO, so ist verlautet, diskutiert man darüber, den Raketenabwehrschirm auch gegen Rußland in Stellung zu bringen. Das ist folgerichtig und konsequent, steht eine von Putin ausgelöste Invasion Westeuropas doch unmittelbar bevor. Dass ausgerechnet die Bundesregierung solche Pläne mit dem Hinweis bremst, man solle Moskau nicht ohne Not provozieren, lässt unsereins ein wenig verstimmt sein. Wie ganz anders, nämlich in erster Linie dankbar, man reagieren kann, hatte 2007 die damalige tschechische Verteidigungsministerin Vlasta Parkanova mitreißend demonstriert. Seinerzeit ward transatlatinsch angekündigt worden eine US-Radaranlage als Bestandteil des US-Raketenabwehrsystems in Böhmen oder Mähren zu installieren. Und da ein Bush-Besuch bevorstand, der diese frohe Botschaft offiziell verkünden sollte, hatte sich die gute Vlasta entschlossen und daran gemacht, dies auf einer CD zu besingen: „Guten Tag, Flagge mit Sternen und Streifen. Du hast dich über uns schon entrollt“, überschrieb sie ihre Hymne, bei dessen Kenntnisnahme sich Bushs Hose im Zwickelbereich sicher befeuchtet hat, spätestens, als er im Text dann solches vernahm: „Guten Tag, Radar, einfach Welcome! Endlich haben wir dich erlebt (…) Guten Tag Radar, ich applaudiere dir“. In Polen und im Baltikum sitzen ähnlich begabte Literaten gewiss bereits an vergleichbaren Texten.

    • Stephan Wohanka sagt:

      Vielleicht will der hehre Recke Putin wirklich nicht in Westeuropa einmarschieren lassen, aber ich befürchte folgendes Szenario: Die Russische Armee lässt sich in Gänze beurlauben und verläuft sich dann in den Weiten auch Westeuropas – so wie jetzt schon in der Ukraine…

  120. Andreas Dahms sagt:

    Blick zurück – nach vorn. Vielen Dank an Johann Weber und Werner Richter für die Kommentierungen zu meinem Artikel.
    Ich selbst verstehe mich eher als ein Beobachter als ein Analytiker. Die Reparationsausgangslage beider deutscher Staaten musste sicherlich erwähnt werden, aber sie ist eben nur ein Splitter meiner gedanklichen Reise an diesem Abend. Der Gedankenbogen ist einfach intuitiv in dem Artikel von mir weit geschlagen wie ein Zeitraffer, nicht mehr und nicht weniger.
    Meine kurze Reflexion über Schalck ist nicht unkritisch. Die Rolle der KoKo ist mir voll bewusst, auch ihre Verzahnung mit dem MfS. Schalck ist natürlich Spiegel der DDR gewesen. Es ist auch kein Zufall gewesen, dass Strauss und Schalk eine starke Sympathie zueinander entwickelten, ihre ähnliche Physiognomie illustrierte das auch. Letztendlich ist die Entwicklung seit 1983, eingeleitet durch den Swing und das Öffnen der Tür durch Schalck für Strauss zu Honecker nur ein Beleg dessen, dass hier langsam ein Wirtschaftssystem in sich zusammenbrach und die Bundesrepublik mit ihren intravinösen Spritzen das Leben der DDR mit verlängerte. Denn das Interesse an der Einheit war ja nicht vorhanden, im Ost-West-Karussell weitere Gewinne zu regenerieren war der Motor. Natürlich getarnt durch „demokratische Empörung“.
    Aber mit Sicherheit war Schalck ein tauglicher Problemlöser, aufgrund seiner politischen und geografischen Exterritorialität in der DDR war ihm das möglich. Das er sich dabei in seinen Lebensgewohnheiten zu einem Fürsten entwickelt hat, liegt in der Logik von Macht und Systemen, das war wohl schon immer so….
    Letztendlich möchte ich aber ausdrücklich anmerken, dass die DDR Bevölkerung mit ihren Mut zur Artikulation 1989 mich schon überrascht hat – ich hatte es ihr nicht zugetraut. Es zeigte auf, wie groß das Potential in der DDR war. Leider war der Staat durch seine Geschichte (Stalins Schatten) geprägt und intellektuell nicht zu Visionen, im Sinne eines tauglichen Sozialismus mit vernünftigen Wirtschaftsregularien, fähig. Was soll’s, nun leben wir halt schon im Jahr 24 des deutschen Kapitalismus‘, den Marx so klug beschrieben hat. Aber auch er bedarf der Finanzspritzen von Engels.

    • Werner Richter sagt:

      Nur für diejenigen, die nicht weiter denken wollten, weil sie dann mit der Parteiführung kollidierten, erschien Schalck als Problemlöser. Das Eingemachte und damit alle Reserven zu verkaufen, ist so ein großes Kunststück nicht. Dies anders zu sehen ähnelt sehr dem berühmten Mann von Salinger, der aus dem 10. Stockwerk fällt und bei jedem sagt: Bis hierher ging es gut.

  121. Wolfram Adolphi sagt:

    Bernhard Romeike legt mit seinem Beitrag zum Auftritt des Bundespräsidenten Gauck den Finger auf die Wunde, und es gibt noch mehr Finger auf mehr Wunden zu legen. Der Auftritt Gaucks im Elsass, die Versöhnungsgeste mit Hollande – alles richtig und doch zugleich falsch, weil auf dramatische Weise einseitig. Der Osten bleibt ausgeblendet, das ist unverzeihlich! Romeike verweist auf die Opfer Russlands im Ersten Weltkrieg, auf die Brutalität der Kämpfe auch an der Ostfront und auf die große Zahl der toten Zivilisten. Aber im Mainstream-Gedenken an den Krieg gibt es nur die Westfront, und deshalb das Gedenken auch nur an dortigen Schauplätzen. Dabei hätte Gauck sich natürlich auch mit Putin treffen müssen, im Osten. Gerade jetzt! Gerade jetzt, da die Spannungen im Osten selbst und zwischen dem Westen und Russland auf so überaus gefährliche Weise zunehmen. Und nach Serbien hätte Gauck gehen müssen. Nach Serbien, das im Ersten Weltkrieg bezogen auf die Landesbevölkerung den höchsten Blutzoll zu entrichten hatte: Ein Drittel aller Serbinnen und Serben kam ums Leben! Ein Drittel! Aber nein, da geht Gauck nicht hin, das erwähnt er nicht – und gibt auch damit einer Politik des Westens, die auf Spannungsverschärfung gerichtet ist, seinen präsidialen Segen. – Der herrschende Machtblock begeht diesen 100. Jahrestag auf geradezu groteske Weise, denn es wird die Erinnerung an das tragische Erleben von damals nicht in radikales Umdenken und Um-Handeln verwandelt, sondern in eine geradezu zwanghafte Wiederholung der damaligen Fehler: Die regionalen Konflikte werden nicht eingedämmt, sondern sie werden verschärft (oder ihre Verschärfung wird in Kauf genommen); und aus der verheerenden Erfahrung mit dem Kriegsergebnis Versailler Vertrag wird der Schluss gezogen, man müsse jetzt zu einem Handelskrieg mit Russland und einer neuerlichen Demütigung dieses großen Landes – einer Atommacht übrigens! – übergehen. – Wie unendlich weit zurück liegt Gorbatschows Idee vom Gemeinsamen Haus Europa …

  122. Rita Becker sagt:

    Zum Feuchtwanger-Beitrag:
    Es wäre für mich interessant gewesen, wann die „sowjetische Rezensentin“, ihren politischen Verriss der „Füchse im Weinberg“ verfasst und veröffentlicht hat, denn mein Exemplar dieses Buches aus dem Aufbau-Verlag stammt aus dem Jahr 1954. Sollte das sowjetische Verdikt dem vorausgegangen sein, hätte das ja immerhin eine bemerkenswert eigenständige Verlagsleistung dargestellt.
    Rita Becker

    • Maria Matschuk sagt:

      Da Herr von Sternburg verreist ist, sendet Ihnen die Lektorin des Buches eine Antwort:

      Die Zeitschrift „Nowy Mir“ veröffentlichte im Juni 1948 den Artikel „Kosmopolitismus im ,literarischen Hollywood'“ von R. Miller-Budinskaja. Feuchtwanger wurde darin u.a. wegen des „Romantitels „Waffen für Amerika“ der Propaganda für die Vormachtstellung der USA in Europa bezichtigt. Er war beunruhigt, aber in der DDR verfing dieses Urteil nicht. Brecht, Heinrich Mann und Alfred Kantorowicz stellten sich hinter ihren Weggefährten Feuchtwanger und bezeichneten den Roman als „Meisterwerk“ seiner Gattung. Johannes R. Becher schrieb Feuchtwanger am 6. Dezember 1949: „… selbstverständlich denkt hier kein Mensch daran, Sie wegen Formalismus und Kosmopolitismus zu kritisieren“.
      Übrigens hat der Titel „Waffen für Amerika“ auch Alfred Döblin befremdet, er teilte Feuchtwanger mit, „Waffen für Amerika“ klinge wie ein Propagandaschrift aus dem Krieg.
      Der erste Teil des Romans erschien 1947 im Querido Verlag Amsterdam, der zweite Teil 1948, ein Teil der Auflage mit dem Titel „Waffen für Amerka“, ein Teil mit dem Titel „Die Füchse im Weinberg“. Die Erstausgabe des Aufbau Verlags von 1952 und alle späteren Auflagen trugen den Titel „Die Füchse im Weinberg“.

  123. Werner Richter sagt:

    Zu Gabriele Muthesius Heft 17
    Die Lage scheint so unwahrscheinlich zugespitzt zu werden, daß selbst Kreise aus prominenten Politikerrunden entsetzt staunen. Gut zu sehen bei Willy Wimmer und Peter Gauweiler. Siehe auch: http://www.voltairenet.org/spip.php?page=recherche&lang=de&recherche=wiily+wimmer&x=0&y=0

  124. Horst Kerber sagt:

    Guten Tag,
    nach mehrfachem Genörgel durch mich muss ich zu der aktuellen Ausgabe nun sagen, dass sie mich beschäftigt hat, wie auch andere Zeitschriften schon lange nicht mehr. Das betrifft diesmal nahezu alle Beiträge, mit deren Fülle in den Zugaben ich aber noch fertigwerden muss. Ich bin zwar nicht maßgebend, aber so liebe ich das Blättchen: aktuell, vielfältig, meinungsstreitbar, anspruchsvoll bunt.
    Da ich mich ungern selbst ins Forum eintrage, weil ichdie Entscheidung darüber lieber der Redaktion überlasse, habe ich den Postweg genommen. Sofern Sie wollen, können Sie das aber auch gern veröffentlichen.
    Ihr treuer Leser Horst Kerber

  125. Werner Richter sagt:

    Analyse von Stefan Korinth vom 09.08.2014 zum Ursprung des Ukraine-Konfliktes: http://www.heise.de/tp/artikel/42/42485/1.html

  126. Weber Johann sagt:

    Blick zurück – nach vorn
    von Andreas Dahms

    „Fairerweise muss man aber auch historisch anmerken, dass die DDR, vormals Sowjetische Besatzungszone Zone (SBZ), 98 Prozent aller Reparationsleistungen Gesamtdeutschlands zu leisten hatte, ausschließlich an die Sowjetunion. Die westliche Trizone kam dagegen in den Genuss des Marshallplans. Diese unterschiedlichen Startbedingungen waren für den kleineren deutschen Teilstaat letztlich nicht zu kompensieren.“

    Warum wird die große Belastung der DDR-Bevölkerung mit den Reparationszahlungen nur am Rande erwähnt? Dies war der entscheidende Nachteil.
    Hier eine Äußerung von Franz Josef Strauß, warum er und Adenauer nie einem Friedensvertrag zugestimmt hätten. Wegen den Reparationszahlungen. Ergebnis: Kein Friedensvertrag keine Wiedervereinigung.
    Hier der Auszug aus dem Buch von Strauss:

    „Bei allen Beratungen über den Deutschlandvertrag war von vornherein klar, daß dies kein Friedensvertrag sein konnte und durfte. Ein Friedensvertrag hätte nur von einer gleichberechtigt am Verhandlungstisch sitzenden gesamtdeutschen Regierung geschlossen werden können. Hinzu kam eine weitere wichtige Überlegung, die ich persönlich schon in den Gesprächen mit Josef Müller unmittelbar nach dem Krieg entwickelt hatte und die auch Konrad Adenauer nicht aus dem Auge verlor. Wenn wir einen Friedensvertrag schließen, dann verlangt man von uns Reparationen.

    Da wir aber nicht bereit und nicht in der Lage sind Reparationen zu zahlen, wollen wir auch keinen Friedensvertrag.

    Die höhere und die niedere Mathematik der Politik trafen hier zusammen – das Offenhalten der deutschen Frage und das Vermeiden gigantischer Reparationszahlungen.

    Sicherlich stand im Vordergrund die Überzeugung, daß ein Friedensvertrag nur mit dem ganzen Deutschland geschlossen werden könnte. Aber das handfeste Argument, daß mit dem Beginn von Friedensverhandlungen das Gespenst der Reparationen auftauchen mußte, wog ebenfalls schwer.

    Angesichts dessen, was durch deutsche Kriegs­handlungen und deutsche Kriegspolitik an Schäden entstanden war, hätten Reparationen den wirtschaftlichen Aufstieg der Bundesrepublik um Jahre zurückgeworfen, ja unmöglich gemacht.
    Auszug aus dem Buch „Die Erinnerungen“ von Franz Josef Strauß

    Und noch ein Anmerkung zu dem Märchen, Marshallplan brauchte den Wohlstand in der Alt-BRD.
    6,4 Mrd. DM hat die Bundeswehr 1956 bereits nach 9 Monaten verpulvert. Für ein „Wirtschaftswunder“ braucht man schon andere Beträge.

  127. Werner Richter sagt:

    Zu „Mit Volldampf in den Feudal-Kapitalismus“ von Axel Fair-Schulz Heft 16-2014
    Mag die Kritik an der unbegrenzten und alles Leben ins Visier nehmende Gier der Wirtschaftseliten zunehmen und berechtigt sein, sie wird nichts ändern, sondern ebenfalls systemrelevant wirken, genauso wie die Anti-Marken-Mode zur Marke wurde. Sie basiert auf dem Grundton, daß menschliche Eigenschaften Ursache dieser Tendenz des Finanzsektors, also krankhaft und zügelbar ist. Sie stellen auf Systemerholung und –rettung ab. Zweifellos sind diese „Auswüchse“ auch so zu erklären, jedoch nicht ausreichend. Verbrechen, darum handelt es sich, werden immer auf soziale Ursachen zurück zu führen sein, die dann auch bestimmter menschlicher Eigenschaften bedürfen und diese aktivieren. Das Grundprinzip der kapitalistischen Warenproduktion, die Selbstverwertung des Wertes, zwingt in diese brutalen Formen der Kapitalanlage, selbst auf die Gefahr der Selbstvernichtung. Es gibt innerhalb des Systems keine Lösung, eventuell nur temporäre Entkrampfung. Insofern sind die Auswüchse gar nicht so abartig.
    Der Vergleich mit den Raubrittern ist durchaus angebracht und zutreffend. Jedoch gibt es auf den zweiten Blick Unterschiede zu erkennen. Die Raubritter des Mittelalters waren ein starkes Hemmnis der wirtschaftlichen Entwicklung. Sie wurden deshalb, wenn auch oft moderat, nach der Etablierung des Königtums bekämpft. Nicht immer und überall, jedoch über längeren Zeitraum betrachtet stetig. Franz Mehring hat diese Vorgänge in seiner Schrift „Zur Geschichte Preußens“ gut beschrieben. Die heutigen Raubritter jedoch bilden nicht die Ausnahme in der Gesellschaft, sie sind die Regel und ihre Tätigkeit als „Finanzterroristen“ (Stieglitz) die Hauptmethode der Kapitalverwertung. Die Regierungen sind nicht Bremser, sie haben die Funktion der Ausbreitungsvorbereiter und –sicherer für das Finanzkapital übernommen. Auf diese zu hoffen ist Mondanbeten.

  128. Werner Richter sagt:

    Zu „Blick zurück…“ von Andreas Dahms Heft 16-2014
    Es ist schon merkwürdig, wenn die ehemaligen Generaldirektoren erst jetzt an die Öffentlichkeit treten, was zu Spekulationen provoziert. Die Gründe mögen verschieden sein, jedoch spielt ganz bestimmt die geübte und verinnerlichte Disziplin eine nicht unbedeutende Rolle, ohne die sie ihre Posten nie behalten hätten, obwohl sie gewiß den Abgrund, der sich uns auftat, sehen oder zumindest erahnen mußten. Diese Disziplin, man nannte sie in früheren militärischen Zeiten auch Kadavergehorsam, übten sie dann auch unter neuen Herren. In Machtstrukturen fragt man eben nicht, was machen die da oben denn, sondern, wie kann ich die Vorgaben von oben umsetzen. So gesehen wird der Verdacht bedient, wir waren’s nicht, die da oben, sagen zu wollen. Wenn dann Verfahrensfehler, Zentralismus, Befehlsdoppelstruktur, fehlendes NÖS u.a. als Erklärung des Unterganges herangezogen werden, greift dies zu kurz. Auch ohne diese Fehlkonstruktionen und auch ohne den äußeren Druck hätte sich das sozialistische Marktsystem allmählich selbst vergiftet und wäre abgestorben. Heinrich Harbach kommt da wohl den Ursachen des Scheiterns beträchtlich näher *.
    Auch die unkritische Betrachtung der gesellschaftlichen Rolle des Schalck-Systems kann als typisch bezeichnet werden. Von wegen, der war uns egal, gezittert haben sie. Das Heroische steht ihnen nicht. Gut ins Bild paßte für das System die Heartfield-Montage von der sich selbst auffressenden Kuh mit Messer, Gabel, Lätzchen und Tränen. Dieses System kann durchaus auch als Beschleuniger des Unterganges gesehen werden.
    Nicht zu bestreiten ist die gezielte Niederrechnung der Wirtschaftskraft der Rest-DDR, das hatte/hat auch System. Jedoch taucht auch hier wieder das Märchen vom Marshall-Plan als günstigere Startbedingungen ab 1945 auf. Die Langlebigkeit diese Klischees ist frappierend, genauso das von Erhard. Der Film „Unser Wirtschaftswunder“ kommt den tatsächlichen Ursachen des westdeutschen Aufschwunges wohl näher: https://www.youtube.com/watch?v=UELDUdXcqj4
    * Heinrich Harbach: Wirtschaft ohne Markt, Dietz Berlin 2011

  129. Werner Richter sagt:

    Zu „Unabhängigere Meldungen“ von Wohanka Heft 16-2014
    Ihren tiefschürfenden Diskurs zu Unabhängigkeit und Glaubhaftigkeit in Ehren, aber lesen Sie bitte nochmal nach. Es ist da m. E. keine Behauptung zu finden, die empfohlenen Seiten hätten die Wahrheit gepachtet. Dann wären die Einwürfe tatsächlich angebracht. Die Rede ist von Meldungen, die offiziös bei uns nicht auftauchen, weil sie nicht in das Bild von Regierungen und Leitmedien passen. Niemand wird ernsthaft behaupten, es gäbe absolute Unabhängigkeit, worauf aber Ihr Diskurs abfährt. Jedoch abgestufte Abhängigkeit kann man doch wahrnehmen, oder nicht? Es ist auch nichts davon zu finden, daß alle Meldungen in den empfohlenen Websites a priori glaubhaft wären. Auch hier ist Vorsicht geboten, denn, wie das Beispiel Dugin zeigt, diese Websites sind auch Objekte der Begierde, hier vermutlich besonders der russischen Propaganda. Jedoch sind etliche Meldungen so quer zur offiziellen Informationslinie und klingen so sachlich und bedeutsam, daß schon eine Nachfrage, warum diese Informationen negiert werden, angesagt ist. Den vorgeblichen Blackwater-Einsatz kann man wohl nicht so lapidar abtun, dazu gibt es zu viele Hinweise. Hatten wir vorher von dessen Wirken gemeinsam mit MI 6 und französischen Diensten zur Schaffung von Oppositionen in Irak, Libyen, Syrien (ISIS) gehört? Hätte auch sehr verwundert, dies liegt in der Natur der Sache und es kommen logischer weise keinesfalls US-Söldner bei den paramilitärischen Operationen in größerer Zahl zum Einsatz. Mich verwundert es aber doch etwas, daß gerade Sie nicht die Hinweise zur langfristigen Vorbereitung von Diversanten aus dem Rechten Sektor in Polen für den Einsatz in der Ukraine und die Rolle Tusks und seines Außenministers erwähnen. Sie müßten einen besseren Zugang dazu haben als Otto-Normalverbraucher und es wäre schon interessant, die angeblichen polnischen Oppositionsquellen hierfür zu wissen. Ich bezweifle auch, daß Dugins Fall taugt, diese von den offiziellen Seiten unabhängigeren Medien, so war der Begriff gebraucht worden, pauschal als Falschmelder zu diffamieren.
    Laden Sie Ihre Kanonen neu, die Spatzen warten schon.

  130. Werner Richter sagt:

    Zu „Tango tanzen…“ von Gabriele Muthesius
    Ganz bestimmt könnte man allein Tango tanzen, weiß jeder passionierte Nichttänzer. Putin beweist es auch. Die Mahnung, nicht schwarz-weiß zu sehen, ist immer, auch hier, angebracht. Aber Vorsicht, es darf dann nicht weiß-schwarz dabei herauskommen. Auf keinen Fall kann man die Aussagen Steinmeiers & Co so solitär unschuldig in den Zusammenhang stellen. Es würde so ausgeblendet, daß auch durch die EU im US-Interesse die Tanzfläche mit Schmierseife bestrichen wurde und Steinmeier Sand als Tarnung darüber streut. Hat denn Putin nicht jahrelang echte Sicherheitspartnerschaft angemahnt und ist immer nach weißem Sand, um im Bilde zu bleiben, geschickt worden? Jetzt soll er tanzen, als sei keine Musik aufgelegt worden, auf daß er nur noch nach westlicher Pfeife tanzen könnte? Wie ehrlich ist dies denn? Jedem unvoreingenommenen Beobachter fällt die hinterhältige westliche Politik sofort ins Auge. Im Jelzin-Chaos war in diplomatischen Kreisen oft hinter der Hand zu hören, Rußland brauche auch in unserem Interesse einen starken Mann. Mit Putin kam er mit all seiner Skrupellosigkeit .Große Erleichterung. Jetzt bejammert man seine Politik, die genau diesen Eigenschaften entspricht. Ist das noch Naivität oder schon gefährliche Blödheit? Der Verdacht liegt sehr nah, man wollte nie zum Tango bitten. Er sollte einen Nasenring bekommen und den Tanzbär geben.
    Zur Nicht-weiß-schwarz-Malerei ist eine allseitige Information über die Faktenlage unabdinglich. Die gefilterten und wohl zum Teil konstruierten Fakten, die uns die Feuerschutz gebenden Hauptmedien liefern, sind Teil des Weiß-Schwarz- Bildes, das Rußland der allein Schuldige ist. Unbedingt sind Informationskanäle hinzuzuziehen, die nicht in die laufende Psychologische Kriegführung eingebunden sind. Die stellen, ohne endgültige Bewertungen abzugeben, offiziell nicht existente Fakten und berechtigte Detailfragen in den Raum, wie etwa die 10 Anfragen des russischen Militärs an die ukrainische Regierung, die von der gesamten Gegnerseite Rußlands unberücksichtigt werden. Diese Fragen weisen auf Zusammenhänge hin, die das Anti-Rußland-Propagandabild arg in Bedrängnis brächten. Also, sie gibt es einfach nicht. Damit ein Bild mit Schattierungen entstehen kann, nochmals mögliche Quellen:
    http://www.heise.de/tp/
    http://www.voltairenet.org/article179611.html Stichwort: „Ukraine“
    http://www.monde-diplomatique.de/pm/.aktaus
    https://www.blaetter.de/
    http://www.schattenblick.de/infopool/infopool.html

  131. Franka Haustein sagt:

    Folgendes zur Ergänzung der jüngsten Beiträge „Der Westen & Russland – zum Diskurs“.
    „Die Nato ändert ihre Strategie: Russland wird künftig wieder als potentieller Aggressor gesehen. Nato-Chef Rasmussen fordert daher die Aufrüstung in den Nato-Staaten und eine neue Doktrin für das Bündnis“, informierten Deutsche Wirtschafts Nachrichten bereits Ende Mai. Zwar war der Däne weder da noch zuvor Chef der NATO, sondern lediglich deren lediglich verbal autorisierter, aber militärisch zu nichts befugter Generalsekretär, doch der bis heute markante Kern seines Treibens seit Ausbruch der Ukraine-Krise war damit ganz gut beschrieben.
    Manche NATO-Staaten scheinen die Bewertung Russlands durch Rasmussen allerdings nicht zu teilen. Ende Juni meldete AFP, die künftigen russischen Besatzungen der beiden in Frankreich bestellten Hubschrauberträger vom Typ „Mistral“ – insgesamt 400 Angehörige der russischen Marine – seien im französischen Hafen Saint-Nazaire eingetroffen, um für die Übernahme der Schiffe zu trainieren. Das erste soll in diesem Herbst und das zweite im Herbst 2015 an Russland übergeben werden. Paris hat dem Druck aus Washington, das Geschäft zu annullieren, bisher nicht nachgegeben.
    Frankreich würde also diese für Landungsoperationen geeigneten Großwaffensysteme an einen „potenziellen Aggressor“ liefern, der NATO-Partner bedroht? Wohl kaum. Business as usual dürfte in diesem Fall eher ein Indiz dafür sein, wie in Paris die Substanz von Rasmussens Vorstößen schlussendlich wirklich bewertet wird.

  132. Hans Jahn sagt:

    Sehr geehrte Frau Nyborg,
    wenn Sie mich nun noch darüber aufklären würden, wieso es also (wiedermal, muss man ja auch nach Ihrer kurzen geschichtlichen Rückschau wohl sagen) die Russen, hier also die russischstämmigen Ukrainer waren uns sind, die Zwecks der Heimkehr ins Reich der Reussen mit der gewalt in der Ostukraine begonnen haben und nicht die also ewig durch Russland malträtierten Ukrainer, , wäre ich zwar nicht glücklich aber doch rundum aufgeklärt. Interessant wäre zu dem, inwieweit die Gewalt auf dem Maidan die Quasi-Gewalt* auf der Krim und vor allem deren Rückholung ins besagte Groß-Reich erklärt.
    *(„Quasi-Gewalt“, weil dort durch den ausbleibenden militärischen Widerstand der Ukraine durch die bewaffneten Milizen ja „nur“ Druck ausgeübt worden ist, was im Fall der Ostukraine nicht genügte)
    PS: Die Benotung der Meinung anderer, wie sie sich bei Ihnen in Begriffen wie „zusammenzimmern“ ausdrückt, gemahnt mich ebenso wie die Zuweisung, wohin meine Mail wohl gehört hätte (in ein Blatt des Klassengfeindes „Spiegel“, sehr an den Auseinandersetzungs“-Stil von bestallten DDR-Polemikern.

  133. B. Nyborg sagt:

    Lieber Herr Jahn, sich die jüngere Geschichte der Ukraine schön zu gucken, um damit Putin eins auf die Mütze geben zu können, das liegt nun wirklich im Trend und wäre Ihnen sicher auch beim SPIEGEL als Leserbrief abgedruckt worden.
    Schon Stalin hatte die Ukrainer im Wortsinne mörderisch terrorisiert, nicht zuletzt mit Hilfe des Ukrainers Chruschtschow. Dafür kollaborierten im Zweiten Weltkrieg dann nicht zuletzt Ukrainer mit den Nazis und bekämpften die Sowjetmacht hernach noch einige Jahre in bürgerkriegsähnlicher Manier (Stichwort Bandera & Co.). Auch die jüngsten Gewaltexzesse nahmen nicht auf der Krim Ihren Ausgang, sondern auf dem Maidan. Man ist also keineswegs, um in Ihrer Diktion zu bleiben, „dort bisher immerhin ohne Gewalt ausgekommen“, diese hat vielmehr eine leidvolle historische Tradition.
    Und (auch) an Putin gibt es doch nun wahrlich genug zu kritisieren, als dass man sich dafür erst noch die Prämissen zurechtzimmern müsste …

  134. Hans Jahn sagt:

    Aus dem 1. Weltkrieg hat Wladimir Putin Lehren gezogen. Die wichtigste wohl lautet: „Die Menschheit sollte längst begriffen und die wichtigste Wahrheit anerkannt haben: Gewalt erzeugt Gewalt.“ Fein beobachtet, mag man das nennen, der Ukraine-Konflikt bietet dafür ja auch optimales Anschauungsmaterial. Obgleich die ethnische Struktur dieses Staates dank allerlei politischer Ambitionen der Vergangenheit in der Tat eine „suboptimale“ ist für eine pure Gedeihlichkeit, so ist man dort bisher immerhin ohne Gewalt ausgekommen. Was sich änderte, als erst auf der Krim und dann in der Ostukraine bewaffnete russische Milizen (bis in den Dress sehr viel perfekter ausgerüstet als dies irgendeine Partisanenbande vermöchte) auftauchten und mit Waffenpräsentation (Krim) den demokratischen Vorgang einer Volksabstimmung herbeiführten, bzw. in der Ostukraine diese Waffen gleich benutzten. Sorry, aber man muss kein Parteigänger der politischen Gegner Putins sein, um so viel Demagogie wie dessen „Lehren aus der Geschichte“ zum Speien zu finden.
    Hans Jahn

    • Werner Richter sagt:

      Es ist wohl unmöglich, sich der mit der Muttermilch eingesogenen Russophobie als sowohl weiterentwickletem als auch verallgemeinertem Antikommunismus (Grundtorheit, Thomas Mann) und damit dem aktuell vordergründigen Putin-Bashing zu entziehen. Habe aber den Eindruck, daß im Blättchen recht sachgerechte Betrachtungen zur Rußland-/Ukraine-Problematik ohne Parteiergreifung vorliegen. Würde mir, lieber Herr Jahn, Ihren letzten Satz nochmals überlegen. Dem scheint Sachlichkeit abhanden gekommen zu sein.

  135. Erich Warlitz sagt:

    Den Historiker Felix Schnell rekapitulierend verweist Herr Crome („Ukraine und Gewalt“; Sonderausgabe) darauf, dass die enge Zusammenarbeit zwischen dem russischen Staat und bewaffneten Terrorbanden seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts nicht immer unproblematisch war und letztere mitunter auch mehr oder weniger außer Kontrolle geraten konnten. Die alte Geschichte vom Zauberlehrling und seinen Geistern.

    Dabei eröffnet sich ganz offensichtlich, wie Herr Crome richtig erklärt, im Hinblick auf die gegenwärtige Ukraine-Krise interessante Forschungsfragen. Ein Ergebnis hat Herr Crome schon ein wenig vorweggenommen: Bei den ukrainischen paramilitärischen Kräften handelt es sich unzweifelhaft um Faschisten – was die russischen Aktionen geradezu zu einem Akt des antifaschistischen Kampfes (und damit linkskompatibel) macht; getreu der alten KPD-Losung: „Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft!“ – nun also in der Ukraine.

    Aber sollte man dieses Forschungsfeld nicht noch ein wenig erweitern? Zu verweisen wäre hier auf die guten Erfahrungen, welche der russische Geheimdienst unter Putin bei der Befriedung Tschetscheniens mit den Kadyrowzy gemacht hat, einer bewaffneten Bande, die außerhalb jeder Rechtsordnung sich auf Entführung, Folter und Mord spezialisiert hat. Ihr Chef, das jetzige „Oberhaupt Tschetscheniens“ und „Held der Russischen Föderation“ Ramzan Kadyrow, ein „Folterer und Killer“ (Peter Scholl-Latour) hat bekanntlich soeben 7,5 Mio. Dollar für die gute neurussische Sache gespendet. Andere seines Schlages, wie der momentan populärste Russe „Strelkow“ (Igor Girkin), dem missgünstige Menschen zahlreiche Kriegsverbrechen (schon vor der gegenwärtigen Revolution) vorwerfen, sind in der Ukraine vor Ort tätig. Überhaupt sind Promis der Separatisten (wie Borodai oder Prochanow) so weit rechts und ultranationalistisch, dass der Faschismusverdacht mindestens so nahe liegt wie bei ihren ukrainischen Gegnern. Und um auf den Zauberlehrling und seine Geister zurückzukommen: Es sieht so aus, als ob die Separatisten ein wenig aus Pudins Ruder laufen würden; wenn es sich nicht doch um ein Spiel über Bande (genauer: Banden) handelt.

    Wie schon gesagt, hier dürfte sich unter dem Gewaltaspekt ein reiches Forschungsfeld eröffnen, wenn auch ein nicht ganz ungefährliches. Ein Abtrünniger, der umfangreiches Beweismaterial für Kadyrows Taten vorlegte, wurde ebenso ermordet wie zwei Journalistinnen (Anna Politowskaja, 2006, und Natalja Estemirowa, 2009), die kritisch über Kadyrow und seine Privatarmee berichtet hatten.

  136. Die Redaktion sagt:

    Gerade haben die Kollegen von der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. ihre jüngsten Beiträge ins Netz gestellt:
    – Flugzeugabschuss: Steilvorlage für nächsten Eskalationsschritt im
    Ukraine-Konflikt? – http://www.imi-online.de/2014/07/18/flugzeugabschuss-steilvorlage-fuer-naechsten-eskalationsschritt-im-ukraine-konflikt/
    – Spiegel: Shitstorm und Russlandhetze – http://www.imi-online.de/2014/08/01/spiegel-shitstorm-und-russlandhetze/
    – Von Tauben und Drohnen. Über den Zusammenhang von Überwachung und gezielten Tötungen mit Drohnen – http://www.imi-online.de/2014/08/01/von-tauben-und-drohnen/

  137. Werner Richter sagt:

    Zu Nairs Piketty-Kritik
    Leider liegt Pikettys „Kapital des 21. Jahrhunderts“ erst ab Oktober in Deutsch vor, jedenfalls nach Buchhandel, sodaß eine umfassendere Kritikteilnahme ausbleiben muß. Jedoch gebieten die bisherigen Kritiken, so auch die von Herrn Nair, Bedenken anzumelden.
    Es ist unstreitig die Kritik an der euro/US-zentristischen Sicht auch der dominierenden Ökonomen richtig. Das betrifft uneingeschränkt alle geisteswissenschaftlichen Gebiete. Erinnert sei nur an Burchard Brentjes‘ Fazit neuester zentralasiatischer Archäologie vor Jahren in der „Weltbühne“: Die europäische Geschichte muß angesichts dessen völlig neu geschrieben werden (da unzulässig eurozentristisch). Nach meinem Verständnis greift Piketty (nach Nair) einen ziemlich alten Widerspruch unter neuem Blickwinkel auf, der, ohne jetzt die Kolonialphase näher zu berücksichtigen, bereits in den 1970-er Jahren innerhalb der UNCTAD (Sommerseminar an der Hochschule für Ökonomie Berlin) unter dem Begriff „Neue internationale Wirtschaftsordnung“ (NIWO), befeuert durch die Alpenfestungsgipfel in Davos als „Nord-Süd-Konflikt“ und jetzt eben unter „Verteilungsungleichheit“ in die Öffentlichkeit gebracht wurde. Dieser Widerspruch ist ohne Abstriche unerträglich und zu lösen.
    Des Autors Kapitalstruktur (Naturkapital, menschliches Kapital, soziales Kapital, ökonomisches Kapital) hat seinen Charme und in gewisser Hinsicht Berechtigung, wirft aber zugleich grundsätzliche Fragen auf. Seine Ausgangsthese (Kapitalstruktur) basiert auf einer simplen Gleichung: Ressourcen = Potential = Kapital, die er in starre Hierarchie stellt und damit den Widerspruch zwischen Ressourcen und Kapital ausblendet. Bekanntlich sind aber Beziehungen in dynamischen Systemen immer komplex, vielfältig und ständig in Bewegung, so daß Nairs Betrachtung nur einen Moment aus bestimmtem Blickwinkel erfassen und nicht ewige Wahrheit sein kann. Gerade bei Analysen äußerer Kapitalerscheinungen, hierin bewegen sich Piketty und Nair, ist dies strikt zu unterlassen, will man nicht in utopische Schlußfolgerungen abtriften.
    Voll zu zustimmen ist seinem Credo, das Wirtschaftssystem selbst sei das Problem, wobei ihm seine obige Ausgangsthese zur Fessel wird. Ihm bleibt logisch nur, die aktuelle Weltwirtschaftsordnung mit dem Wirtschaftssystem gleich zu setzen, was zu fragwürdiger Verflachung des Systembegriffes führt. Der Begriff „Wirtschaftssystem“ beinhaltet auch die alles und alle beherrschenden Verhältnisse der kapitalistischen Warenproduktion, vor allem die Verwertungsprozesse des Kapitals und die immanenten Widersprüche der Warenwirtschaftsgesellschaft im Allgemeinen. Insofern hat die Fokussierung der ökonomischen Analyse auf die Hauptwirtschaften doch noch ihre Berechtigung, auch wenn die wenigsten Ökonomen zu den Grundwidersprüchen vordringen. Von diesen Mächten gehen die Zwänge zur Ungleichverteilung aus und dort sind die Widersprüche vollendet und am deutlichsten zu finden. Die systematische Lösung der von Nair beklagten Ungleichheit in der Verteilung und Nutzung der Ressourcen kann deshalb nicht direkt und administrativ etwa durch ein Vertragssystem im Rahmen der Wirtschaftsordnung, das wohl illusorisch wäre, erfolgen, wobei das zweifellos begrenzt Linderung der Nachteile der gebeutelten Gesellschaften erbrächte. Sie kann nur im Verschwinden der kapitalistischen Produktionsverhältnisse, des Kapitals und letztlich der Warenproduktion selbst, zuerst in den Hauptländern des Kapitalismus, erfolgen.
    Was man so alles zu einem Buch schreiben kann, auch wenn nicht gelesen. Toll!

  138. Erich Warlitz sagt:

    Sehr geehrte Frau Haustein,

    wie in dem aktuellen Beitrag von Herrn Schwarz wird dem Westen im Blättchen in den letzten Monate so einiges vorgeworfen, Putins Aktionen dagegen werden entweder bagatellisiert oder ignoriert – ernsthaft kritisiert jedenfalls so gut wie nie; gegenteilige Belege nehme ich gern entgegen. Und das, obwohl Herr Crome, einer der Blättchen-Haus-Autoren, in der Ausgabe Nr. 9 (28. April 2014) sehr treffend festgestellt hat: „In der Krise um die Ukraine handelt Russland, der Westen reagiert.“ Offensichtlich gilt das auch für den gegenwärtigen Propagandakrieg, in dem die Wahrheit anscheinend zu einer Kriegsbeute der handelnden (vulgo angreifenden) Seite geworden ist. – Frau Haustein, mit Genugtuung habe ich Ihrer Zuschrift entnommen, dass auch sie kein Blättchen wollen, welches sich im „kritiklosen linken Pro-Putin-Mainstream“ verortet. Das lässt doch hoffen! Ich würde es allerdings auch gern mal im Blättchen lesen.

    Vielen Dank, Herr Murmelauge, für die Warnung vor den „Mainstream-Vorurteilen“. Wie Sie meiner Zuschrift sicher entnommen haben, irritieren mich allerdings momentan andere Vorurteile mehr.

  139. Stephan Wohanka sagt:

    Sehr geehrter Herr Donat-von Bothmer,

    es ist herzerfrischend, in dieser ideell so konturenlosen Welt auf mit Impetus vorgetragene absolute Gewissheiten zu stoßen. Sie bieten eine solche, dabei mit Verlaub die Grenze des Überheblichen streifend, an. Was macht Sie so sicher, dass gerade Sie in Sachen Kriegsschuld Erster Weltkrieg Recht haben?
    Es ist heute ein Leichtes, sich einen Überblick über die internationale Literatur zum Thema zu verschaffen; nur der internationale Blick wird einem „Welt“-Krieg gerecht! Kostproben:
    Fritz Fischer: „Da Deutschland den österreichisch-serbischen Krieg gewollt, gewünscht und gedeckt hat und, im Vertrauen auf die deutsche militärische Überlegenheit, es im Jahre 1914 bewusst auf einen Konflikt mit Russland und Frankreich ankommen ließ, trägt die deutsche Reichsführung einen erheblichen Teil der historischen Verantwortung für den Ausbruch eines allgemeinen Krieges“.
    John Keegan 1999: „Der Erste Weltkrieg war ein tragischer und unnötiger Konflikt. Er war unnötig, weil die Kette der Ereignisse, die zu seinem Ausbruch führte, während der fünfwöchigen Krise, die dem ersten bewaffneten Zusammenstoß vorausging, noch jederzeit hätte unterbunden werden können.“
    Der sowjetische Historiker Igor Bestuschew: „Die Untersuchung der Tatsachen zeigt vielmehr, dass die Politik aller Großmächte, einschließlich Russlands, objektiv zum Weltkrieg führte. Die Verantwortung für den Krieg tragen die herrschenden Kreise aller Großmächte ohne Ausnahme, ungeachtet der Tatsache, dass die Regierungen Deutschlands und Österreichs, die den Krieg auslösten, eine größere Aktivität an den Tag legten…“.
    Aber um den Austausch sich widersprechender Statements geht es gar nicht! 1971 veröffentlichte der US-Politikwissenschaftler Graham T. Allison eine Studie über die Kuba-Krise von 1962: Essence of Decision. Er beschreibt darin die Washingtoner Entscheidungsvorgänge dreimal, jeweils aus einer anderen analytischen Perspektive und jede Beschreibung zeigt ein anderes Bild der Verantwortlichkeiten. Und doch ist jedes auf seine Weise zutreffend. Lassen sich folglich komplexe historische Abläufe in der geschichtswissenschaftlichen Rekonstruktion vielleicht gar nicht in einem einzigen Narrativ, in einer einzigen analytischen Aufschlüsselung mit exklusivem Wahrheitsanspruch wiedergeben? Die Frage legt nahe, Allisons Experiment mutatis mutandis auch auf den Ausbruch des Ersten Weltkrieges zu übertragen: Siehe oben – viele Perspektiven sind möglich, ob alle denkbaren „gedacht“ sind, sei dahingestellt….
    Was Sie und Ihresgleichen in der „Fischer-Tradition“ Stehende antreibt, ist eine Sorge: Die deutsche Demokratie kann danach nur bestehen, wenn die Deutschen ein bestimmtes Bild ihrer Geschichte haben. Und nur eines, welches Ihren Vorstellungen entspricht; da stören Christopher Clark und andere nur. Es geht Ihnen gar nicht primär um historische Sachverhalte, sondern um die politische Dimension des Streites über die Kriegsschuld! Das machen spätere Sätze deutlich, wenn Sie vom „neuerlichen Streben nach einer deutschen Weltpolitik“ schreiben, die Gauck dem „deutsche Volk … vorgaukeln“ wolle. Warum dazu der Rückgriff auf Vergangenes? Man kann doch Gaucks Politik, ja jede Politik als solche kritisieren. Oder meinen Sie, nur so über die entsprechende Argumentationskraft verfügen zu können?
    Wissen Sie, was „uns Deutschen gut anstünde“? Endlich ein „andres gutes Land“ im Brecht´schen Sinne zu werden! Entweder überzieht Deutschland die Welt mit Krieg und Verwüstung oder aber generiert sich als moralisches Gewissen der Welt nach dem Motto „Nie wieder Krieg“; dazwischen nichts – Ihre Position! Sie nähren weiterhin das fatale Diktum: „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“ – im Guten wie im Schlechten, wobei die historische Abfolge nahe legt – im Schlechten wie im vermeintlich Guten.
    In Ihren Brief irrlichtern nur letzte, unverrückbare Gewissheiten, derer nur Sie teilhaftig sind; andere können nur fehlen….

    Freundliche Grüße
    Stephan Wohanka

  140. Martin Bolz sagt:

    Unsereins scheint die amerikanische Satellitentechnik denn doch maßlos zu unterschätzen. Dass mit ihrer Hilfe sogar die alkoholische Befindlichkeit von Flugabwehrpersonal ermittelt werden kann – Donnerwetter! Auch der Promillegrad?

  141. Manne Murmelauge sagt:

    Solche Debatten zeigen nur, dass auch Blättchen-Leser irritiert sind, wenn sie die Mainstream-Vorurteile nicht wiederfinden. Wie wär’s denn zum Beispiel, wenn der Westen mit der Abrüstung anfinge? Zwei Drittel der weltweiten Rüstungsausgaben entfallen nach wie vor auf die NATO. Wozu eigentlich?

  142. Franka Haustein sagt:

    Sehr geehrter Herr Warlitz,
    die von Ihnen konstatierte Zugehörigkeit des BLÄTTCHENs zu einem kritiklosen linken Pro-Putin-Mainstream vermag ich, zumal in der jüngsten Ausgabe, nicht zu entdecken. Speziell der Beitrag von Schwarz wirft dem Westen zu Recht vor, nach 1990 die Chance zur Sicherheitspartnerschaft mit Russland entweder gar nicht erkannt oder verspielt und damit die Bedingungen mitgeschaffen zu haben, aus denen heraus die jetzige Krise entstanden ist. Aber damit wird Russland ja nicht exkulpiert. Im Übrigen ist es gerade jetzt insbesondere für EU-Europa mehr als notwendig, die strategischen Konstanten im Verhältnis zu Russland nicht aus den Augen zu verlieren. Denn sie werden auch nach der Krise wirken. Dass Schwarz einen Fokus auf diese Konstanten just jetzt richtet, ist zwar ein bisschen so, als hätte Egon Bahr seine berühmte Tutzinger Rede nicht 1963 gehalten, sondern quasi noch während des Mauerbaus im August 1961. Aber auch zu diesem sehr frühen Zeitpunkt hätte Bahr schon richtig gelegen …

  143. Martin Bolz sagt:

    Kubanische Weltsicht

    Fidel Castro hat zum Flugzeugabschuss über der Ostukraine eine Stellungnahme veröffentlicht, die von einer betrüblichen Schlichtheit zumindest seiner heutigen Fähigkeit zur Betrachtung der Welt Kunde gibt.
    „Heute morgen waren die Nachrichtenkanäle voll von der unglaublichen Meldung, daß ein Flugzeug der Malaysia Airlines in 10100 Metern Höhe getroffen wurde, als es das Territorium der Ukraine überflog. Dies geschah auf der Route, die sich unter der Kontrolle der kriegerischen Regierung des Schokoladenkönigs Petro Poroschenko befindet.
    Kuba war immer solidarisch mit dem Volk der Ukraine, und in den schwierigen Tagen der Tragödie von Tschernobyl behandelten wir viele Kinder, die durch den Unfall Strahlenschäden davongetragen hatten. Kuba wird immer bereit sein, dies weiterhin zu tun. Es kann aber nicht anders, als seine Verachtung über die Tat dieser antirussischen, antiukrainischen und proimperialistischen Regierung auszudrücken…“
    Ach Fidel: „Si tacuisses, philosophus mansisses“, hieß es einst bei den Lateinern und es gilt auch heute noch: „Wenn du geschwiegen hättest, wärest du ein Weiser geblieben“.

    Martin Bolz

    • Bernhard Romeike sagt:

      Allerdings scheint der alte Mann doch den richtigen Riecher zu haben. Robert Parry, der seit der Aufdeckung des Iran-Contra-Skandals als einer der besten investigativen Reporter der USA gilt, hat auf seiner Webseite mitgeteilt, dass die Auswertung der den US-Geheimdiensten vorliegenden Satellitenbilder vom Abschuss der MH17 ergeben hat, dass Männer in Uniformen der ukrainischen Armee, die offensichtlich betrunken waren, die Rakete abgeschossen haben. Da das der gegenwärtigen Linie der USA-Politik gegen Russland widerspricht, wurden diese Informationen bisher zurückgehalten. (Deutsche Quelle dazu: http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2014/07/22/abschuss-mh17-usa-zoegern-mit-veroeffentlichung-von-satelliten-bildern/ ) Man hätte aber auch schon früher fragen können: Wenn denn die USA die in der Selbstdarstellung besten Satellitenbilder von jedem Platz der Welt haben, wo sind denn die vom Abschussort und -augenblick? Russland hat seine veröffentlicht.

  144. Erich Warlitz sagt:

    Liebe Blättchen-Redaktion.
    Ihre Publikation ist mir seit Jahren lieb, und ich habe es ihr bislang nicht übelgenommen, wenn ich auch mal Texte las, mit denen ich selbst nicht übereinstimmte. Die in dieser Ausgabe nun so konzentrierte Eindimensionalität der Rußland-Westen-Betrachtung macht mich nun aber bezüglich der Parteilichkeit des Blättchens endgültig besorgt. Ich mag mir nicht vorstellen, dass Ihre Autoren ernsthaft jene Eindimensionalität vertreten, dass, wenn denn Rußland schon etwas Verurteilenswertes tut, das auch dann immer nur das Resultat westlicher Bedrückung, Rußland also das Opfer ist und sich alles weitere daraus erklärt, auch eingestandene „Unrechtmäßigkeiten“ wie die Krim-Annexion. Dass diese Bedrückung real war und geblieben ist, seit der „Kalte Krieg“ vorbei zu sein schien, ist gewiss zutreffend. Dass das Rußland Putins inzwischen aber einen geopolitischen Kurs eingeschlagen hat, der nicht nur schlicht als kausale Folge westlicher Politik zu erklären ist sondern aus dem Bestreben, unter so ziemlich allen Umständen, einschließlich ethnischer Geiselnahmen, eigene Großmachtpolitik zu reanimieren, schließt Ihre publizistische Parteinahme offenbar aus – solche Beurteilungen stammen ja aus dem Westen. (In frühen DDR-Jahren bekam man auf den Hinweis auf innenpolitische Widersprüche gern zu hören: Das hast Du aus dem Westfernsehen!, womit dann alles gesagt war.) Sich einem Mainstream zu widersetzen, ist publizistisch verdienstvoll; sich dabei aber nur wieder einem anderen, dem der „echten Linken“ anzuschließen, zeugt nur bedingt von intellektueller Souveränität.
    Mit dennoch sehr freundlichen und hoffnungsvollen Grüßen,
    Erich Warlitz

  145. Konrad Rust sagt:

    „Und die Russen nehmen ihren einstigen Politikern um Gorbatschow die Preisgabe der Großmachtstellung und der Verbündeten bis heute übel. Wladimir Putin findet deshalb mit seinem Versuch, das Gewicht Russlands wieder zur Geltung zu bringen bislang breite Unterstützung“, schreibt Stefan Bollinger. Dass „d i e Russen“ in ihrer großen und weit über Politambionierte hinausreichenden Masse – die Neureichen und Mafiosi ausgenommen – nur maßvoll an Russlands Weltgeltung sondern seit Jahrzehnten vor allem an einem besseren Leben interessiert sind, spielt in den solidarischen Außenbetrachtungen Putinscher Politik keine Rolle. Was für eine Vorstellung, Russland steckte all die Milliarden, die es nach wie vor zuerst in Rüstung und Prestigeprojekte steckt, in einen wirtschaftlichen und sozialen Aufschwung des Landes. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies dann eine wirklich „breite Unterstützung“ bei d e n Russen fände, dürfte nicht gering sein.

  146. Hubert Göring sagt:

    Der Absturz der Maschine mit 298 Menschen an Bord sei „eine globale Tragödie“ und eine „Schande unaussprechlicher Größe“ hat US-Präsident Obama auf einer Pressekonferenz geäußert. Damit hat er zweifel- und abstrichslos recht, ganz gleich, wer diesen Abschuss verschuldet hat. Nicht so ganz gleich ist allerdings, aus welcher Himmelsrichtung ein solches Verdikt kommt. Jedenfalls vermag ich mich weder an eine US-amerikanische Selbstgeißelung noch an Sanktionsdrohungen aus aller Welt gegenüber den USA erinnern, als dessen Marine 1983 ein iranisches Passagierflugzeug über dem Persischen Golf abgeschossen oder als amerikanische Aggressionstruppen im Irak 1991 per Rakete einen Luftschutzbunker mit fast 400 Zivilisten in die Luft gejagt hatten. Schandtaten sind noch immer nur die der anderen.

  147. HWK sagt:

    Bislang galt, dass seit NineEleven nichts mehr ist, wie es mal war. Folgt man der deutschen Medienlandschaft, so weiß man nun, dass sich dieses Ereignis als Weltenwende überlebt und ein Fußballspielnunmehr seinen Rang eingenommen hat. Man lernt eben nie aus.
    HWK

  148. Stephan Wohanka sagt:

    Zu begrüßen ist, dass Herr Norden an den Warschauer Aufstand erinnert, dessen 70. Jahrestag sich nähert, denn diese Erhebung ist eines der prägendsten Ereignisse der wahrlich nicht armen polnischen Geschichte und wird immer noch mit dem Warschauer Ghetto-Aufstand vom April 1943 verwechselt. Einige Anmerkungen will ich trotzdem machen….
    Wenn „das Verhalten der Mikolajczyk und Bor sich aus deren politischen Horizont und ihrer Unfähigkeit (erklärt), auf die veränderten Bedingungen des Jahres 1944 zu reagieren“ und „eine Spezifik der Londoner Exilpolitiker ihre scharf antisowjetische Dogmatik (war)“ – dann stimmt das; jedoch beides allein verantwortlich zu machen, greift zu kurz! Zwei weitere Gegebenheiten halte ich zur Erklärung für notwendig: Die Folgen des Hitler-Stalin-Paktes und das Massaker von Katyn.
    Der Pakt vom August 1939 – ein Nichtangriffsvertrag – wurde am 28. September 1939 verändert und ergänzt, nachdem die deutschen Truppen Westpolen und die Rote Armee Ostpolen besetzt hatten. In einem begleitenden geheimen Abkommen, das erst nach dem Krieg bekannt wurde, kam es zur Aufteilung Polens zwischen beiden Mächten. Dass das Vorgehen auch der SU in Polen keine „Sympathien“ erweckte, versteht sich von selbst.
    Noch nachhaltiger geschädigt wurde die Beziehung zwischen der SU und der Exilregierung durch das Massaker von Katyn. Im April und Mai 1940 ermordeten Angehörige des NKWD etwa 4.400 polnische Offiziere in einem Wald bei Katyn, westlich von Smolensk. Dieses Massaker ist Teil einer Serie von Massenmorden an rund 25.000 Offizieren, Polizisten und anderen Polen, darunter vielen Intellektuellen, an mindestens fünf Orten der damaligen SU. Stalin persönlich billigte neben anderen die Mordserie. Das NS-Regime gab die Funde am 13. April 1943 bekannt, um die Anti-Hitler-Koalition zu spalten und NS-Verbrechen zu rechtfertigen. Es konnten von über 4.300 exhumierten Leichen rund 2.800 als polnische Soldaten identifiziert werden. Nach Bekanntwerden dieser Morde brach Molotow die diplomatischen Beziehungen zur Exilregierung im April 1943 ab, nachdem Sikorski, ihr damaliger Regierungschef, eine weitere Zusammenarbeit für unmöglich hielt.
    „Katyn“ wurde zum Symbol für das Leiden von Polen unter sowjetischer Herrschaft im Zweiten Weltkrieg. Nachdem die eindeutige Schuld der SU an Katyn schon während des Krieges sicher feststand und später immer weiter erhärtet wurde, räumte Gorbatschow erst im April 1990 die Verantwortung für diese Massaker ein. – Ich denke, beide Tatbestände hätte Norden in einem Satz ebenfalls erwähnen müssen, da sie für das Verständnis der Zeit und ihrer Akteure notwendig sind!

    Norden weist darauf hin, dass „der Armija Krajowa (AK) jeder Kontakt mit der Roten Armee strikt untersagt (war) und „ die AK jede Kommunikation mit der Roten Armee abgelehnt (hatte)“. Auch diese Aussagen bedürfen einer Korrektur!
    Im November 1943 formulierte die AK-Führung einen ersten Plan, militärisch gegen die deutschen Besatzer vorzugehen. Er sah das Zurückdrängen der Deutschen auf dem Lande vor, um polnische Verwaltungen zu bilden. Diese Pläne gingen unter anderem in Wolhynien nicht auf. Daraufhin überdachte die AK-Führung ihre Vorgehensweise; und zwar sollten von nun an die umliegenden Einheiten versuchen, die großen Städte von den Deutschen zu erobern, um diese so vor den sowjetischen Truppen in Besitz zu nehmen. Auch dieses Vorgehen misslang: Die lokalen AK-Truppen waren zur Einnahme von Städten auf eine Zusammenarbeit mit der Sowjetarmee angewiesen; eine taktische Kontaktaufnahme war ausdrücklich vorgesehen! Bei der Befreiung von Wilna im Juli 1944 kämpften so 6.000 Soldaten der AK Seite an Seite mit Truppen der 3. Weißrussischen Front. Die AK-Soldaten wurden allerdings bereits einen Tag später unter Zwang von den sowjetischen Truppen entwaffnet, die Offiziere verhaftet.
    Zum Zusammenwirken zwischen AK und der Sowjetarmee kam es auch im Raum Lublin, dort kämpften drei Divisionen der AK an der Seite der 2. Sowjetischen Panzerarmee. Nach zehntägigen Kämpfen und der Befreiung Lublins wurden wieder sämtliche AK-Truppen entwaffnet. Dasselbe wiederholte sich bei Lwow und Ternopil – aus Sicht der Roten Armee nachvollziehbar; vertrauensbildend in Richtung AK und London wohl kaum!
    Auch was die mögliche Hilfe der SU angeht, gibt es andere Hinweise als die, die Norden heranzieht: Der Oberbefehlshaber der 1. Weißrussischen Front Rokossowski legte einen Plan vor, der die Einnahme Warschaus zum 10. August avisierte. Dieser wurde allerdings abgelehnt und die Rote Armee angewiesen, in defensiver Position zu verweilen.
    Durch dererlei Ungenauigkeiten bekommt der Text eine Tendenz, die ihm abträglich ist; schade.

    • Werner Richter sagt:

      Wie immer wird es nicht möglich sein, auch hier eine gute oder eine schlechte, weiße oder schwarze Seite zu bestimmen. Die Geschichte ist so nicht zu schreiben, weil die Interessenlage die entscheidende ist und bleibt. Es gab und gibt keine Befreiung, brüderliche Hilfe oder ähnliches in bewaffneten Auseinandersetzungen, sondern in erster Linie nur Machtinteressen. Das der einen oder anderen Seite vorzuwerfen scheint naiv zu sein. Im konkreten Fall ist auch m. E. der von Jonny Norden angeführte Tatsachenroman von W. Schreyer unbedingt einzubeziehen. Schreyer demaskiert eindrucksvoll, natürlich nur als eine mögliche Variante, anhand von ihm zugänglichen Dokumenten die propagandistischen Thesen und kommt zu den eigentlichen Hintergründen. Hierfür mit Nachdruck zu empfehlen.

  149. Franka Haustein sagt:

    Eilmeldung:

    Nach US-Spionage:
    Bundesregierung plant, übliche 3-tägige Empörung auf 5 Tage auszuweiten

    Berlin (dpo) – Drastisch wie noch nie will die Bundesregierung auf
    die neuesten Spionagevorwürfe gegen die USA reagieren. Wie das
    Kanzleramt am Montag mitteilte, habe man sich entschlossen, die
    sonst übliche dreitägige Empörung auf insgesamt fünf Tage auszuweiten.
    Damit wolle man der eigenen Bevölkerung zwei Tage länger als üblich
    signalisieren, dass man nicht alles mit sich machen lasse.

    Zuvor hatte sich bereits Bundespräsident Joachim Gauck kritisch
    über die Spionagepraktiken des Verbündeten geäußert. „Jetzt
    reicht’s aber auch mal!“, so Gauck in einem Interview mit dem
    ZDF. „Zumindest für die nächsten paar Tage.“ Erst ab Donnerstag
    will sich Gauck wieder so verhalten, als wäre nie etwas geschehen.
    Eine fünftägige Empörung gilt als das schärfste diplomatische
    Mittel, das Deutschland im Umgang mit den USA zur Verfügung steht.
    Die Reaktion aus den Vereinigten Staaten ließ nicht lange auf sich
    warten. Ein untergeordneter Staatssekretär aus der zweiten Reihe
    kündigte an, man werde die übliche Phase kühler Arroganz und
    Gleichgültigkeit gegenüber der deutschen Empörung ebenfalls von
    drei auf fünf Tage verlängern.

  150. Helge Jürgs sagt:

    Bastian Schweinsteiger, schwarz-rot-goldener Balltreter und fürstlich verdienende Frohnatur :
    Härte gehöre zum Spiel der Brasilianer, haben Sie uns vor dem morgigen Aufeinandertreffen wissen lassen, was wiederum wir solch urseriösen Nachrichtenquellen wie Spiegel-online zu danken haben.
    Was die eilfertigen und sich um existentielle Details einfach nicht scherenden Spiegel-Leute indes einfach unterschlagen haben, ist, dass Schweinsteiger bei dieser Aussage unter dem Präsidiumstisch der auskunftgebenden Pressekonferenz die Füße aneinander gerieben hat- wobei der linke Fuß den aktiven, der rechte den passiven bzw. duldenden Part gaben. Mit welch schludrigem Journalismus haben wir es doch zu tun!

  151. Heinz Jakubowski sagt:

    Auch ich möchte mich dagegen verwahren, dass Herr Richter, indem er „jeder von uns“ sagt, impliziert, dass es so etwas wie ein „Blättchen-Wir“ gibt, für das er meint sprechen zu können. Solcherart Beistand hat Erhard Crome auch dann nicht verdient, wenn sein Beitrag Anlass für den aktuellen Disput gegeben hat.
    Heinz Jakubowski

    • Werner Richter sagt:

      Bitte genauer hinschauen! Da ist keine Rede von einer Blättchengemeinde, sondern der Menschengemeinde. Auch nicht von denen, die für ihre Interessen/Meinungen/Ansichten in den Krieg ziehen, sondern von denen, die unabhängig vom eigenen Willen in einer Situation sind, schießen zu müssen. Glaube nicht, Herr Jakubowski, daß sie alternativ einen Bleistift gespitzt hätten. Eine ganz andere Frage ist, ob ich mich freiwillig in solche Situationen begeben würde, das ist aber nicht angesprochen.

  152. Wolfgang Brauer sagt:

    In der Gegend, in der ich lebe und arbeite, leben auch viele Menschen aus der Ukraine. Nach ihrer „ethnischen“ Herkunft – um Gottes Willen, wir übernehmen ja schon tröpfchenweise in unserer eigenen Denke das Vokabular der Nationalisten! – sind darunter „Ukrainer“, „Deutsche“, „Russen“, „Juden“, „Tataren“ … Vielfach in einer Familie. Sie nehmen voller Schmerzen die tagtäglichen Nachrichtenbilder auf. Es sind ihre Leute, die da sterben oder um ihr Leben fürchten. Diese Menschen, mit denen ich lebe und arbeite, haben vor Jahren einen Verein gegründet, der ihnen helfen soll, mit der unfreundlichen „Willkommenskultur“ des täglichen Lebens jenseits der offiziellen verbal freundlichen „Willkommenskultur“ von Parteien und Staat zurechtzukommen. Das klappte bislang ganz gut. In ihrem Verein hatten sie mit Beginn der Maidan-Auseinandersetzungen und den ersten Anzeichen sezessionistischer Bewegungen eine Vereinbarung getroffen: keinerlei politische Parteinahme in diesen innerukrainischen Konflikten. Sie halten sich daran. Sie wissen – wo die Waffen sprechen, hat die Vernunft ihr Recht verloren. Ich meine schon, einer Parteinahme, für welches Kanonenrohr auch immer, sollten sich links denkende Menschen in Bürgerkriegsauseinandersetzungen enthalten. Da gilt nur: „Die Waffen nieder!“ Dann kann man sich anschließend getrost fetzen, verbal, und Mehrheiten suchen.
    Nicht „jeder von uns hätte in gleicher Situation gleich gehandelt“. Ich schließe es für mich aus, mit der schußbereiten und entsicherten Waffe auf einen politischen Kontrahenten loszugehen. Ich leide mit meinen ukrainischen und russischen Berliner Freunden.

    • Birgitte Nyborg sagt:

      Fragen an Wolfgang Brauer

      Sie schreiben: „Ich meine schon, einer Parteinahme, für welches Kanonenrohr auch immer, sollten sich links denkende Menschen in Bürgerkriegsauseinandersetzungen enthalten.“
      Da Sie dies nicht auf Syrien, nicht auf die Ukraine beziehen, sondern ganz allgemein meinen, möchte ich ganz allgemein, aber auch etwas konkreter zurückfragen: Meinen Sie dies für heute (und künftig) oder auch rückwirkend?
      Wenn für heute (und künftig): Warum? Oder anders gefragt: Sollten Linke sich ein für alle Mal von Menschen fern halten, die Gewaltherrschaft mit Gewalt bekämpfen?
      Wenn auch rückwirkend: Hätten Sie Äquidistanz – z.B. – auch den linken internationalen Kombattanten in Spanien von 1936 bis 1939 empfohlen?

    • Bernhard Romeike sagt:

      Frau Nyborg zu Wolfgang Brauer

      Sie meinen, eine konkrete Frage zu einer allgemeingültigen Grundsatzfrage machen zu sollen. Ich habe der Äußerung von Wolfgang Brauer einen sehr konkreten Bezug auf die ukrainischen Angelegenheiten entnommen. Aber bitte! Zeigen Sie mir einen „linken“ Kombattanten in der Ukraine, in Syrien oder im Irak! Danach können wir über die Interbrigaden reden, für die aufzurufen wäre.

    • Wolfgang Brauer sagt:

      Werte Frau Nyborg,
      ich sprach dezidiert von Bürgerkriegsauseinandersetzungen. Die Abwehr eines faschistischen Putsches durch eine legitime demokratische Regierung – das und nichts anderes war in Spanien der Fall, die Internationalen Brigaden agierten nicht in einem politikfreien Raum – ist eine andere Sache. Ich finde es einigermaßen verwegen, im Falle der Ukraine die „spanische Karte“ zu ziehen. Nach den blutigen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts sollte man wirklich ein wenig zurückhaltender mit vorschnellen Parteinahmen sein. Ganz konkret: Sowohl in Syrien als auch in der Ukraine und auch noch anderswo sind es immer die „kleinen Leute“, die dank der großen Visionen ihrer „Vordenker“ durch ein Tal voller Blut und Tränen gehen müssen. Wenn es ein Fazit aus den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts gibt – die „kleinen Leute“ sollten ganz schnell ihre Taschen packen und flüchten, wenn da Menschen anfangen, mit Fahnen UND Gewehren herumzufuchteln. Ich bewundere die Mütter, die sich weigerten und weigern, ihre Söhne in den Krieg zu lassen. Auf dem Balkan, im Nahen Osten, in Afrika – und eben auch in der Ukraine. Nochmals: Ich rede von Bürgerkriegen. Ich rede nicht von der Abwehr faschistischer Putsche. Ich rede nicht über die Notwendigkeit, den Schlächtern im Falle von Genoziden in den Arm zu fallen. Und in einem haben Sie mich schon richtig verstanden: Eine neue bessere Welt lässt sich nicht auf den Spitzen von Bajonetten errichten. „… niemand liebt bewaffnete Missionare“, brachte es der beileibe nicht besonders pazifistische Maximilien Robespierre einst auf den Punkt. Die Geschichte gab ihm Recht. Und wir haben nicht das Recht, diese Erfahrungen zu ignorieren.

  153. Erich Warlitz sagt:

    Liebes Blättchen,
    es gibt politische Konstellationen, die viel zu schwierig sind, um ihnen in einem Artikel gerecht zu werden. Und auch Differenzen in der Betrachtungsweise der damit verbundenen Vorgänge sind sicher unvermeidlich. Dass das Blättchen auch solchen Kontroversen Raum gibt, ist verdienstvoll. Wenn ich allerdings Erhard Cromes jüngsten Text und die beiden kongenialen Einlassungen Werner Richters dazu lesen, dann wird mir für das Blättchen angst und bange, bei Werner Richter sogar etwas übel. So wie ich das Blättchen bisher kennen und schätzen gelernt habe, wäre es ein Jammer, das auch noch erklären zu müssen.

  154. Werner Richter sagt:

    Natürlich kann man alles unter Stil einordnen, hier jedoch wurden nicht Stilfragen, sondern vorgeblicher Zynismus gerügt. Der ist in erster Linie inhaltlich angesiedelt und so war es wohl auch gemeint. Was aber ist daran zynisch, den EU-/US-Krokodilstränen die mörderische Realität des Krieges, die von den Tränenproduzenten aktiv herbeigeführt wurde, entgegen zu halten? Der Krieg selbst ist Zynismus, nichts anderes hat Herr Crome gesagt. Die Einheit, die den Transporter abgeschossen hat, würde in jeder Armee mit Orden dekoriert werden. Sie hat eine Mördertruppe im Anflug auf die Ausgangsstellungen liquidiert, die wahrscheinlich, wie den Meldungen über ihren Einsatzzweck zu entnehmen ist, ausschließlich zu Terroreinsätzen in der Ostukraine von allen möglichen politischen Ganovenkreisen aus Kiew, der EU und den USA dort eingflogen wurde. Deren Tod vor Entfaltung zu beweinen ist das Geschäft der Entsender, wie zum „feigen Hinterhalt“ der Taliban, die sich auch nicht mit entblößter Brust nach dem Wunsch der Nato frontal abschießen lassen wollen. So vorzugehen ist das Recht des Schwächeren, so ist das im Krieg, der nie ritterlich ausgetragen wird, nur in Hollywood. Taktisch war dieser Abschuß ein legitimer und gewitzter Schachzug. In Krieg gibt es keine Menschlichkeit, weil er selbst nicht human ist. Jeder von uns hätte in gleicher Situation so gehandelt, lassen wir doch die moralischen Zeigefinger unten, noch dazu in sicherer Entfernung. Mißtrauen wir jeder Darstellung der ukrainischen Ereignisse von Poitik und Mainstream-Medien, sie bewegen sich in den Leitfäden der psychologischen Kriegsführung und nicht als Darsteller des tatsächlichen Geschehens.

  155. K. Beilstein sagt:

    Lieber Herr Richter, sofern es Ihnen nicht aufgefallen ist: Herr Kerber hat ausschließlich den Stil moniert, in dem sich der Autor geäüßert hat, und der für das Blättchen auch meiner Meinung nach nicht gerade kleidsam ist. Sie hingegen meinen jenen für etwas in Schutz nehmen zu müssen, was die Einlassung des Lesers gar nicht hergibt – besonders hilfreich ist das nicht, um es zurückhaltend zu formulieren.
    Kostja Beilstein

  156. Horst Kerber sagt:

    Ich bin von dem Beitrag Erhard Cromes einigermaßen entsetzt:
    „Angeblich hatte ja der in den westlichen Großmedien vielgerühmte Protest auf dem Maidan-Platz in Kiew wegen der sozialen Ungerechtigkeit und der Herrschaft der Oligarchen begonnen ..
    … sogenannten „Orangen-Revolution“ Kräfte, die in den Medien immer gern als „Separatisten“ bezeichnet werden,…
    Und als Höhepunkt:
    „Mit großem Geschrei wird quittiert, wenn die Milizen der ostukrainischen Opposition ein Militärflugzeug der ukrainischen Armee abschießen. So etwas liegt in der Logik eines Krieges, auch eines Bürgerkrieges.“
    Im ND zum Glück verblichener Zeiten hätte dieser Text einen würdigen Platz gehabt. Dem Blättchen kann man zu solch einem Zynismus kann man nur kondolieren.
    Horst Kerber

    • Werner Richter sagt:

      Das, Herr Kerber, wird Herrn Crome nicht gerecht. Allerdings kann man so reagieren, wenn man zumindest einen kleinen Teil der Darstellungen von Regierung und Medien für bare Münze nimmt, ein durchaus menschlicher Webfehler. Es kann ja nicht alles Lüge sein, doch, ist es. Informiert man sich nicht parallel an unabhängigeren Meldungen, so ist man verloren. Auch wenn manches phantastisch erscheint, viele Websites bringen durchaus glaubhafte Hintergrundinformationen, vor denen Hern Cromes Einschätzung ganz anders erscheint. http://www.voltairenet.org/article179611.html und http://www.heise.de/tp/ sind zu empfehlen. Ein Teilnehmer des Ossietzky-Kreises Berlin-Pankow schilderte seine Erlebnisse in der Ukraine ungefähr so: In mehreren Städten fanden schon Monate vor dem Maidan täglich, auch mehrmals, Demonstrationen statt. Die Teilnehmer waren fast nur alte Leute. Den Abschluß der Demo bildete in der Regel eine Kundgebung auf zentralem Platz, die Demonstranten standen in Gruppen, unterhielten sich ohne besondere Aufmerksamkeit für den Redner. Die Anlässe, wofür oder wogegen die Kundgebung war, blieben unverständlich für den Zugereisten. Nach Redeende kamen Personen zu den wartenden Gruppen und verteilten Geld. Nicht viel, aber ukrainische Rentner wollen überleben und sind auch auf kleine Beträge angewiesen. Dann zerstreute sich die Menge. In Kiew erlebte er Wochen vor der Maidanexplosion, daß der Sohn des Gastgebers täglich früh zum Maidan ging und abends zurück kam, mit einem regelmäßigen Gehalt, so, als ginge er zur Arbeit. Der Gastgeber entschuldigte das: Das machen alle so, die Familie muß leben. Soweit die Hintergründe der Bevölkerungsproteste und dem Verbleib der 5 Mrd. $ der US-Regierung.
      Ich finde die Cromeschen Darstellungen ziemlich zutreffend, wenn ich die weiteren Fakten aus den oben genannten Websites und anderswoher dazu rechne.

  157. Peter Drescher sagt:

    Ein bisschen wunderlich und schrill klingt es schon in den Ohren des fast Siebzigjährigen, wenn er die mitunter sehr schrillen, untergürtligen Töne vernimmt, dieses Für und Wider um den Braunkohelenabbau in der Lausitz und das unwürdige Für von Abgeordneten. Dieser fast Siebzigjährige ist im Kohlenpott aufgewachsen und hat dort, wo , wie kolportiert wird, Dreck und Mief das kümmerliche Dasein bestimmten, eine – pardon – schöne Kindheit und Jugend verbracht. Sein Vater, der Kumpel, brachte am Monatsende immer genügend Lohn nach Hause, immer, keine Frage, und der war, wenn auch bescheiden, höher als der der nicht in der Kohle Beschäftigten, und so war es klar, dass er ab und zu ausrief ‚Ich bin Bergmann, wer ist mehr‘.
    Die Mutter des fast Siebzigjährigen, aus dem Sudetenland hier her gespült, also Vertriebene, ließ sich nie dazu herab zu jammern, wie es dann der eine oder andere aus der Kreisstadt tat, weil ihm wegen der heranknirschenden Bagger, gierig auf der Suche nach Braunkohle, seine Heimat im so schönen südlichen Ortsteil der Kreisstadt geraubt wurde. Jahrzehnte später hätte seine Mutter, lebte sie noch, aus einer Statistik erfahren können, dass ein Großteil der wegen der Braunkohle ausgesiedelten Menschen froh war, ihre alten Buden zu verlassen und in komfortable Neubauwohnungen zu ziehen.
    Wenn er also – siehe oben – diese lautstarken Proteste ob des schlimmen Braunkohlenabbaus vernimmt, kann es nicht ausbleiben, dass er an diesen Mann denkt, der einen hübschen Bungalow an einem nördlichen Gewässer besitzt. Der greift sich an den Kopf, tippt an die Stirn. See aus einem Tagebaurestloch? Dort baden? Furchtbar! Diese gefährlichen Rutschungen! Mehr wusste er nicht von dem herrlichen Erholungsgebiet.

  158. SPDinfo 411 – 20140622
    Es lohnt sich, immer mal ins Blättchen zu gucken. Dabei ist aufzupassen, sich nicht zu verlieren. So spannend kann das Blättchen sein. Für SozialistInnen allemal. Manchmal glauben die SozialistInnen, beim Blättchen im Zentralorgan ihrer Sozialistischen Partei (auch der in der SPD) zu lesen. Die deshalb öfter recht hat, weil sie weiß, dass sie nicht immer recht hat. Hier das Editorial …
    So habe ich gerade in meiner facebook-Seite Reklame für Das Blättchen gemacht. Hoffentlich zur Freude der Leute von Das Blättchen. In der Hoffnung, dass Das Blättchen unter SozialistInnen auch in der SPD öfter gelesen wird. Auch im Vorstand der SPD, derm hinter den sieben Bergen und im WBH in Berlin, Hauptstadt der Rebuplik und dem KLH, dort nicht nur in dem Zimmer mit Franziskus-Portrait. Mit freundschaftlichem Gruß.

  159. Ralph Ardnassak sagt:

    Finis humanitatis
    Dokumentationen über den Holocaust haben Konjunktur und generieren Einschaltquoten. Warum nur? Erfüllen sie das Wohnzimmer mit Grausen oder will der Bürger sein Gewissen beruhigen, indem er sich vormacht, es wäre mit Menschlichkeit und Solidarität mit denjenigen, denen es schlechter ergeht, damals noch mieser bestellt als heute?
    Mit scheinbarem Entsetzen fragt sich der nach 1945 geborene deutsche Fernsehzuschauer, wie und warum die Judenverfolgung überhaupt stattfinden konnte und weshalb so viele Zeitgenossen weg schauten. Heute hat die Gesellschaft neue Feindbilder: die Arbeitslosen, die selbst Schuld an ihrem Schicksal tragen; die Obdachlosen, allesamt Trinker, die den letzten Cent versaufen, anstatt ihn in eine Bleibe zu investieren; da sind die Ausländer, die den fleißigen Deutschen die Jobs wegnehmen, indem sie ihre Arbeitskraft für Dumpingpreise verkaufen; da sind die Kommunisten, die unseren Wohlstand gefährden, weil sie soziale Gerechtigkeit anzetteln wollen, die gleichbedeutend mit Stasi, Mauer und Schießbefehl ist!
    Soziale Gerechtigkeit und Teilhabe aller sind schon lange, spätestens seit der Agenda 2010, keine Paradigmen mehr, die sich Politiker noch auf die Fahne zu schreiben wollen! Immer weniger Menschen gehört dieses Land. Denunziation und Egoismus gehören zum Alltag! Schon wieder wird weg gesehen, wenn es anderen schlecht geht! Das ist der Verhaltenskodex, die knallharte Alltagskultur des Turbokapitalismus!
    Wer sich die Frage stellt, wie der Holocaust in Deutschland möglich war, braucht eigentlich nur das Fenster zu öffnen und hinaus schauen, um zu begreifen, wie diese Mechanismen funktionierten, denn sie sind hoch aktuell! Er braucht nur in die Unternehmen zu gehen, in denen der Chef um des Profits Willen beschlossen hat, die Hälfte der Belegschaft zu entlassen und er wird erleben, wie denunziert, intrigiert und weg geschaut wird, wenn andere leiden oder existenzielle Bedrohungen erfahren müssen, an denen sie nicht selten finanziell, psychisch und letztendlich auch physisch zugrunde gehen!
    Würde morgen beispielsweise die Endlösung der Arbeitslosenfrage auf irgendeiner XYZ-see Konferenz beschlossen werden, weil diese den sozialen Frieden und den Wohlstand gefährden, so würde wohl kaum einer aufstehen, um Partei für diese Menschen zu ergreifen! Ebenso wenig, wenn es demnächst den Ausländern oder den Hartz-IV-Empfängern offiziell an den Kragen ginge! Insofern unterscheidet sich die psychologische Befindlichkeit im Vergleich mit der Zeit zwischen 1933 und 1945 nur in einer Beziehung von heute: damals war die öffentliche Meinung ehrlicher, wenngleich ähnlich egoistisch und brutal!
    Schon wieder plärren Leute, um den Einsatz deutscher Soldaten überall auf der Welt zu fordern, wo der deutsche Soldat doch gar nichts zu suchen hat.
    Das schleichende Gift des Turbokapitalismus, das die Menschen lehrt, brutal und egoistisch zu sein, es wirkt. Das trügerische Versprechen des Kapitalismus, wonach sich jeder selbst der Nächste sein müsse und derjenige, der am skrupellosesten ist und zuerst und am härtesten zuschlägt, es am weitesten in dieser Gesellschaft bringen könne, ist eine propagandistische Lüge. Die Pfründe an den Futtertrögen dieser Gesellschaft haben die Mächtigen auf Generationen unter sich und ihren Nachkommen und der Entourage ihrer Günstlinge verteilt, denn heute geht es keineswegs nach Leistung und Engagement, auch eine dreiste propagandistische Lüge, sondern lediglich nach Beziehungen und monetären oder machtpolitischen Bindungen. Das Geld muss ja schließlich in der Familie bleiben! Am Ende gewinnt dabei nur einer, nämlich der Kapitalist! Der arme ohnmächtige Bürger, der nun hörig meint, zuerst und am härtesten zuschlagen zu müssen, verliert dabei nicht nur seine Skrupel, sondern vor allem eines: seine Menschlichkeit!

    • Stephan Wohanka sagt:

      Nach der Lektüre dieser Schmiere: Darüber zu sprechen hieße zu urteilen; dazu zu schweigen heißt geurteilt zu haben.

  160. Korff sagt:

    Im „Blättchen“, wie der Kenner weiß, kommt der Kommentar häufig früher als das Ereignis, was ein Vorzug ist, zumal wenn zutreffend.
    Am Sonnabend, den 14. Juni, bekräftigte der, seinerzeit zunächst von der damaligen Opposition hervorgeholte, Bundespräsident Gauck die künftig mit seinem Namen verknüpfte Doktrin des neuen Deutschland – grenzüberschreitend in jeder Hinsicht.
    Schon längst vorab allerdings hatte das „Blättchen“ den Kommentar zu einem wesentlichen Aspekt dieser in immer klareren Konturen erkennbaren neo-imperialen Konzeption, aber auch als Mahnung an neue „Helden der westlichen Welt“ geliefert: „Der Mensch ist, bei Gott, nicht gut. Ihn aber dennoch anzuhalten, dass er nicht töte, auch nicht unter Schwenkung einer ethischen Fahne, scheint mir Aufgabe und Pflicht besserer Menschen.“ (Ignaz Wrobel, „Schlusswort“, Die Weltbühne Nr. 45/1920)
    Nachlesen empfohlen.

    Nachsatz:
    Auf Nachfragen hinsichtlich der Quelle des Tucholsky-Zitats möchte ich enthüllen, dies der gerade noch aktuellen Ausgabe des „Blättchen“ ( Nr. 12/2014) entnommen zu haben. Womit sich wieder einmal zeigt: Zeiten ändern sich – Manches hat lange Verfalls-Zeiten. Und Manche bemerken ihren Verfall offenbar gar nicht.

  161. Bernd Riedinger sagt:

    Thomas Müller ist zweifellos das, was man einen Goalgetter nennt. Wäre seine Statur eine andere, wäre er in der Art, seine Tore zu machen, mit seinem legendären Nachnamensvetter in der Tat leicht zu verwechseln. Soweit, so gut. Thomas Müller hat aber auch eine unerfreuliche Eigenart; er ist ein Elfmeter- und Freistoßschinder, was er stets mit der mimisch wie gestisch unüberbietbaren Empörung über die Unfairness seiner Gegner zum Ausdruck bringt. Das soll seine fußballerischen Fähigkeiten nicht schmälern, zeugt aber doch von einer gewissen Diskrepanz zwischen Können und Charakter. Als er im WM-Auftaktspiel gegen Portugal den Arm seines Widerparts Pepe ins Gesicht bekam, war er sofort dabei, einen Heldentod auf dem rasen zu sterben. Wer seine Schmerzgebaren mit ansah, meinte, den sich auf dem rasen Wälzenden hätte, samt Schädeltrauma, eine rechte Gerade Muhamad Alis getroffen. Als nun aber besagter Pepe, als Verursacher dieser Szene zweifelsfrei identifiziert, diesem aufreizenden, weil der Situation völlig inadäquatem Kaspertheater dadurch zu begegnen versuchte, dass er so etwa wie einen symbolischen Kopfstoß versuchte, kam Müller umgehend in die Vertikale und vergaß dabei sogar, seinen offenkundig völlig zertrümmerten Kiefer an der Flucht der Knochensplitter zu hindern. Resultat: der Portugiese erhält einen Platzverweis – zu Recht, denn provoziert worden zu sein, ist nun mal kein mildernder Umstand, auch dann, wenn es sich eben um eine Provokation gehandelt hat. Und Müller bleibt mit dem guten Gefühl auf dem Platz, a) wieder mal Opfer gewesen zu sein, und b) den Gegner mit lediglich schauspielerischem Aufwand um einen Spieler dezimiert zu haben.
    Nun ist die Charakterlosigkeit wie die geschilderte im bezahlten Fußball (und sicher nicht nur dort) Usus. Es ginge aber auch anders, sportlich, fair. Das für mich überzeugendste Beispiel dafür hat einst der belgische Nationaltorhüter Michel Preud´homme geliefert, als er, im Torraum mit einem Gegner dergestalt zusammengeprallt, dass es für den in seiner Sicht umständehalber behinderten Schiedsrichter wie ein zwangsläufig mit einer Herausstellung zu ahndendem Foul aussah, auf eben diesen Schiedsrichter zulief und ihn mit der Erklärung am Zücken der Roten Karte hinderte, dass es sich hier um einen unglücklichen, nicht aber unfairen Zusammenstoß gehandelt habe.
    So stelle ich mir Fairness vor, zumal sie kein Produkt illusionärer Phantasie ist. Schlimm, dass man nach Beispiel wie diesem bei den schwer- und überbezahlten Kickern suchen muss – wobei eben diese Überbezahlung ja gewiss verhaltensprägend ist. Wo Ego draufsteht, ist halt Ego drin, hat schon Rudolf Augstein festgestellt – warum soll das im Fußball auch anders sein.
    Übrigens keiner der Live- und Postkommentatoren der ARD dieses Spiels hat auf die Kausalität dieses Platzverweises hingewiesen, wiewohl die Szene oft genug wiederholt wurde.

    Bernd Riedinger

  162. Ralf Thielken sagt:

    Nach zahllosen Publikationen zum Thema „Montagsdemo“ mit immer den selben Attributen “ Verschwörungstheoretiker, Rechte, Populisten“ etc. ergänzt „Das Blättchen“ nun diese Reihe. Warum? Weil, so argumentiert der Autor, „man zu diesem Schluss kommen muss, wenn man die einschlägigen Webseiten besucht.“ Muss man?
    Als „gewöhnlicher Politikinteressierter“ lese ich neben „Das Blättchen“ unter anderem seit längerem die Webseite „KenFM“. Ken Jebsen interviewt hier Menschen unterschiedlichster Coleur zu ebenso unterschiedlichen Themen. Bei keinem der zahlreichen Gespräche „musste“ ich bisher auch nur ansatzweise die besagten Kategorien erkennen. Ganz im Gegensatz zum Blättchen-Artikel sind diese Gespräche für mich bemerkenswert und mit Erkenntnisgewinn verbunden, aber möglicherweise ist mein Interesse eben zu gewöhnlich.
    Nachdem Jürgen Elsässer am 26.05.14 in Erfurt seine Rede beendet hatte ging ich zu ihm und gab ihm die Hand, als Dank für sein Engagement, was keinesfalls bedeuten sollte, dass ich mit allen seinen Auffassungen übereinstimme.
    Meine Hochachtung für Dieter Dehm, der sich in Berlin vom „Die Partei, die Partei hat immer Recht…“ distanzierte.
    Wenn es nicht gelingt, möglichst viele Stimmen gegen einen neuen Weltkrieg, dessen Vorbereitung natürlich auch medial „begleitet“ wird unter dem Logo „Verantwortung“, zu gewinnen und auf der Straße zu artikulieren, dann ergeht es uns wie unseren Großeltern und Eltern.
    Mit Sicherheit ist ein Protest-Montag nicht ausreichend…

  163. HWK sagt:

    Die gerade angelaufene Fußball-WM ist mir, als zugegeben etwas Älterem, gleichwohl mit diesem Sport Verbundenem, so er als solcher noch erkennbar ist, Anlass zu einer Erinnerung. Noch 1966 haben sich die englischen Zuschauer – Gastgeber der seinerzeitigen WM – durch ein Phänomen ausgezeichnet, das heute wohl allüberall nur noch Kopfschütteln erregt: Bei Spielen selbst der eigenen Elf, die damals den Titel gewann, gab es für gelungene Aktionen auch von Akteuren gegnerischer Mannschaften Beifall. Man stelle sich solche Sportlichkeit heute vor …
    HWK

  164. Stephan Wohanka sagt:

    Ulrich Busch widersteht klugerweise der Versuchung, seinen Text zur Enteignung der Sparer mit einer Schuldzuweisung zu untersetzen, die häufig in hiesigen Medien zu lesen ist: „Mario Draghi enteignet die deutschen Sparer“! Draghi hat als Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) den Leitzins auf das historisch niedrige Niveau von 0,15 Prozent gesenkt, was tatsächlich ausmacht, dass Tagesgeld, Festgeld und Sparbücher weniger einbringen, als die Teuerung wegfrisst. Diese Leitzinssenkung soll – neben anderen Maßnahmen, die die EZB ebenfalls beschloss – Geschäftsbanken anregen, sich bei der Zentralbank Geld auszuleihen, um es dann als Kredit an Unternehmen und Verbraucher weiterzugeben. Nur – es will momentan kaum jemand Geld leihen! Denn viele Länder und auch Unternehmen sparen, sie investieren nicht. Es ist so schlicht zu viel Geld auf dem Markt; und es passiert das, was immer passiert, wenn es von einem Gut zu viel gibt: Der Preis sinkt! In Falle des Geldes der Zins. Der Kollaps der Nachfrage nach Kapital ist einer der wichtigsten Gründe für das niedrige Zinsniveau in den westlichen Industrienationen schreibt deshalb auch der Internationale Währungsfonds (IWF). Drahgi hat nur nachvollzogen, was die Märkte vorgegeben haben.

  165. hwk sagt:

    „Ballgewinn und schnelles Umschaltspiel, das sei „der Schlüssel“, sagt Fußball-Bundestrainer Joachim Löw zu seinen strategischen Überlegungen für Brasilien im Gespräch mit dem Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL.“ – Hat der gute Mann noch alle beisammen, diese Strategie vor der WM öffentlich und damit den deutschen Gegnern zugänglich machen? Letztere hätte man doch mit diesem teuflischen Plan wunderbar überrumpeln können. Also ich weiß nicht….

  166. HWK sagt:

    „Edward Snowden ist weder Held noch Verräter – er ist schlicht ein Bürger, der getan hat, was getan werden musste. Seine Enthüllungen waren Notwehr angesichts einer Abwärtsspirale demokratischer Legitimität“, resümiert Spiegel-Online-Kolumnist Georg Diez ziemlich zutreffend. Das Prädikat eines Helden bleibt Snowden dennoch, da – zumal den Preis der eigenen Gefährdung, wie er sie eingegangen ist – zu solcher Notwehr eben nur ganz, ganz wenige andere „Bürger“ neigen.
    HWK

  167. Petra Herrndorf sagt:

    Ganz besonders liebe Bild-Zeitung.<
    Schön, dass die Werbeeinnahmen für Ihre Sonderuagbe zur Fußball-WM, die mir – wie vermutlich ein paar hunderttausend oder gar Millionen anderen Landsleuten – heute in die Post gesteckt worden ist, für Sie so üppig waren, uns also mit doppelter Werbung zu beglücken: Für das, was Sie auf sich selbst bezogen Zeitung nennen, und für die, die tief in ihre Taschen gegriffen haben, um angelegentlich des Fußballs mal wieder einen zusätzlichen Reibach zu machen.
    Eine Gratulation ist in diesem Dank inbegriffen: Dadurch, dass Sie vordergründig als Zeitung daherkommen, meinen die Postzusteller offenbar, den nicht nur an meinem Briefkasten haftenden Hinweis darauf ignorieren zu können, dass ich Werbung verweigere – aus gutem, bzw. schlechten Grund übrigens, für den ein Erzeugnis wie das Ihre eine nicht ganz unmaßgebliche Rolle spielt.
    Mit unglaublich vorzüglicher Hochachtung,
    Ihre Petra Herrndorf

  168. Helge Jürgs sagt:

    Indiens neuer Regierung geht nicht eben der Ruf der Fortschrittlichkeit voraus, um das mal sehr freundlich zu formulieren. Was diesbezüglich so zu gewärtigen ist, hat soeben der Innenminister des Bundesstaats Madhya Pradesh, Babulal Gaur, Parteifreund des neuen Premiers in Delhi, vor Journalisten zum Thema Vergewaltigung zu erkennen gegeben. Vergewaltigung sei (immerhin!) „ein soziales Verbrechen, das von Männern und Frauen abhängt“. Und: „Manchmal ist es richtig, manchmal ist es falsch.“
    Das Falscheste, was man in Indien machen kann, ist offenbar, als Frau geboren zu werden. Von der Vergewaltigung von Männern – was bei einem bestimmten Kräfteverhältnis ja durchaus praktikabel wäre – ist vom Subkontinent jedenfalls bislang nichts überliefert.

  169. Franka Haustein sagt:

    In der aktuellen Ausgabe erscheint der Beitrag von Karsten Voigt ja geradezu als Replik auf den von Wolfgang Schwarz, auch wenn die Platzierung im Heft umgekehrt erfolgt ist. Während Schwarz für Sicherheit m i t Russland argumentiert, stimmt Voigt dem einerseits zu, hält angesichts der Krim-Ukraine-Vorgänge aber auch ein Streben nach Sicherheit v o r Russland für erneut angeraten.
    Mir scheint: Die von Schwarz angesprochenen Sachverhalte und Zusammenhänge berechtigen zugleich zu der Feststellung, dass Sicherheit v o r Russland, die nicht auf Kooperation m i t Russland beruht und die Möglichkeit militärischer Konflikte nicht ein für alle Mal ausschließt, wegen der voraussichtlichen Folgen derartiger Konflikte für die mittelosteuropäischen „Frontstaaten“ und der ihnen immanenten existenziellen Bedrohung dieser Staaten eine Schimäre ist.

  170. Alfons Markuske sagt:

    Warren Buffet nannte die Collateralized Debt Obligations (CDOs), also jene kriminellen Finanz-Homuculi, mit denen die jüngste globale Finanzkrise herbeigeführt wurde, „finanzielle Massenvernichtungswaffen“. Damit hatte er zweifellos Recht. Aber wie die Dinger tatsächlich funtionierten, das habe ich gerade erst jetzt verstanden – dank:
    http://www.youtube.com/watch?v=_P_KAy_gGd0&sns=em

  171. HWK sagt:

    Ergänzung zu HWK:
    1986 ist der israelische Nukleartechniker Mordechai Vanunu zu lebenslanger Haft dafür verurteilt worden, dass er
    das geheime Nuklearforschungsprogrammes Israels und damit Indizien für atomare Bewaffnung des Landes aufgedeckt hatte. 2004 mit strengen Auflagen zwar entlassen, musste Vanunu wegen deren Verletzung immer wieder ins Gefängnis.
    Nach ein wenig internationaler Aufregung zum Zeitpunkt der Inhaftierung Vanunus in der internationalen Blätter- und TV-Welt kräht seit dem kein politischer oder medialer Hahn mehr nach dem Schicksal eines Mannes, der nicht mehr und nicht weniger wollte, als die atomare Rüstung in dieser Welt mindestens an einem Ort zu verhindern. Snowden droht ein ähnliches Schicksal – wenn er „Glück“ hat, denn wer in den USA deren dreckige Wäsche wäscht, kann durchaus zufällig vorzeitig verunfallen oder suizidal werden…
    Achim Petersohn

  172. HWK sagt:

    Wolfgang Schareck, der Rektor der Universität Rostock, hat das Ansinnen seiner Philosophischen Fakultät abgelehnt, Edward Snowden für dessen Verdienste als Aufklärer in Sachen Memnschenrechte eine Ehrendoktorwürde zu verleihen. Bei allem Respekt vor Snowdens Whistleblowerei, so Schareck, eine „hervorragende wissenschaftliche Leistung“ im Sinne der Promotionsordnung von Mecklenburg-Vorpommern sei das nicht. Worin die „hervorragende wissenschaftliche Leistung“ Joachim Gaucks bestand, für die ihm der Rostocker Honoris-Causa-Hut wiederum zuerkannt worden ist, hat Schareck bislang nicht erklärt. Es ist und bleibt wohl so: Die Welt liebt den Verrat, aber nicht den Verräter. Auch dann nicht, wenn dieser den Verrat verraten hat.
    HWK

  173. Margit van Ham sagt:

    Es gibt über Campact eine neue und unterstützenswerte Initiative zur Unterstützung von Edward Snowden, die wir hiermit weiterverbreiten möchten:

    „…Würden Sie Snowden für eine Nacht ein Bett oder eine Couch anbieten? Ja? Dann zeigen Sie dies mit einem Schild an Ihrer Tür – am Freitag in einer Woche, am 6. Juni 2014, dem Jahrestag der Enthüllung des NSA-Abhörskandals.
    Dies ist unser Plan: Am Jahrestag hängen an zehntausenden Türen und Briefkästen überall im Land Schilder und Aufkleber mit dem Slogan „Ein Bett für Snowden“ – als Signal des Dankes und der Solidarität mit dem mutigen Hinweisgeber. Nur durch seine Veröffentlichung geheimer Dokumente wissen wir, in welch gigantischem Ausmaß wir von der NSA und anderen Geheimdiensten ausspioniert werden. Mit unserer Aktion machen wir gemeinsam den politisch Verantwortlichen in Berlin klar: Wir Bürger/innen im Land wollen Snowden aufnehmen und lehnen ab, dass die Regierung ihm Schutz verwehrt.
    Klicken Sie hier und bestellen Sie kostenlos das Snowden-Schild…
    Und unterzeichnen Sie bitte unserem Online-Appell, der von der Bundesregierung Asyl für Snowden einfordert. Schon mehr als 190.000 Menschen haben ihn unterzeichnet. Bis zum Jahrestag der Snowden-Enthüllungen wollen wir mindestens 200.000 sein.
    Hier unseren Appell unterzeichnen…
    Wenn Snowden in Deutschland Schutz finden würde, wäre dies ein klares Signal. Die Regierung würde endlich ernst machen bei der Aufklärung des NSA-Skandals statt ihn herunterzuspielen und vor den USA zu kuschen. Snowden könnte vor dem NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags aussagen – wozu er bereit ist. Sein deutscher Anwalt, Wolfgang Kaleck erklärte vergangenen Mittwoch, Voraussetzung sei „sicheres Geleit, ein sicherer Aufenthalt und die Zusicherung, ihn nicht auszuliefern“.

    Snowden eine Aufenthaltserlaubnis gewähren: Möglich wäre dies auch jenseits aller formalen Verfahren – entscheidend ist allein der politische Wille. Deutsche Behörden haben in der Vergangenheit Hinweisgebern aus dem Ausland die Aufnahme in Zeugenschutzprogramme angeboten, weil sie Fälle von Steuerkriminalität aufgedeckt hatten. Bei einem Menschen, der massenhafte Verstöße gegen Bürgerrechte öffentlich macht, sollte das ebenso selbstverständlich sein.
    Deutschland würde damit für ein wesentliches Element der demokratischen Kontrolle von Geheimdiensten einstehen: dem Schutz von Whistleblowern wie Edward Snowden. Wir sind auf mutige Hinweisgeber angewiesen, die persönliche Risiken eingehen, um Licht ins Dunkel zu bringen. Whistleblower müssen daher umfassenden gesetzlichen Schutz genießen – im öffentlichen und privatrechtlichen Bereich. Und anfangen müssen wir mit Edward Snowden.“

  174. HWK sagt:

    Volksentscheid zu Tempelhof: Die Adoleszenz in ihrem Lauf, halten Ochs und Esel nicht auf….

  175. Zum Beitrag „Die Welt verändern“ von Alfons Markuske (im „Blättchen 10/2014“)

    Die ausführliche und spannende Besprechung des letzten Buchs von Eric Hobsbawm weckt – jedenfalls bei mir – lebhaftes Interesse für dieses Werk. Hier werden Schlüsse aus der Geschichte gezogen, die sich eigentlich aufdrängen, längst aber noch nicht Gemeingut sind – so etwa die Existenz einer „neuen Klasse“, die sich immer mehr als Hemmschuh für die Entwicklung des „Realsozialismus“ entpuppte.

    Von der Feststellung, dass Marx und Engels keine geschlossene Theorie hinterlassen haben, sondern ein „work in progress“, fühle ich mich in einer Auffassung bestätigt, die ich schon vor Jahren geäußert habe: Der Marxismus ist keine Ruine – er ist eine Baustelle.

    Besonders freut mich, dass Autor und Rezensent die Bedeutung Antonio Gramscis würdigen. Bei der Frage, ob dieser tatsächlich keine Antwort auf die Frage nach der mangelnden Akzeptanz der Revolutionäre hinterlassen hat, bin ich aber anderer Ansicht. Der Schlüssel scheint mir im Konzept der „Hegemonie“ zu liegen, das Gramsci als Gefangener Mussolinis notwendigerweise sehr vorsichtig und abstrakt formulieren musste. Revolutionen, die im Sand verlaufen, scheitern also möglicherweise daran, dass die bürgerliche Hegemonie in Medien, Unternehmen und der gesamten „Zivilgesellschaft“ derart stark verwurzelt ist, dass sie unter Umständen auch eine revolutionäre Regierung „aussitzen“ kann. Und heutige Versuche, ein „alternatives System“ zu finden, werden nicht nur durch diese starke Gegenkraft behindert, sondern auch durch die Tradition der ehemals „neuen Klasse“ und ihrer Geistesbürokratie – oder, um das Zitat von Walter Janka aufzugreifen: nicht nur durch die materielle, sondern auch durch die geistige Hinterlassenschaft der „miesen Verwalter“.

    (vgl. zum Begriff der Hegemonie:
    http://das-blaettchen.de/2012/11/gramsci-und-die-buergerliche-hegemonie-17695.html
    http://das-blaettchen.de/2012/12/gramsci-und-die-hegemonie-seiner-partei-18955.html
    http://das-blaettchen.de/2013/01/gramsci-und-die-linken-intellektuellen-20500.html )

  176. Bernhard Romeike sagt:

    Im Internet lese ich gerade, dass die Bürgerkriegstruppen, die das Kiewer Regime in die Ostukraine geschickt hat, mit deutschen Uniformen ausgerüstet wurden. Ich hoffe, die waren nicht noch aus Wehrmachtsbeständen.

  177. Ludwig Laufer sagt:

    Danke für die Besprechung des Buches von Victor Serge (und den damit durchaus zusammenhängenden Abdruck des Essays von Koestler).
    Was Serge betrifft, so läßt sich viel weiteres Erhellendes über den tragischen Nachfolge-Verlauf der Oktoberrevolution auch in seinen Memoiren nachlesen: Victor Serge. Erinnerungen eines Revolutionärs. Edition Nautilus
    Fast nebenbei bemerkt: Das Blättchen zu lesen, ist immer mit großem Gewinn verbunden.
    Ludwig Laufer

  178. Regla sagt:

    Da nach dem Grand Prix de Eurovison vor dem Grand Prix ist, gehört festgestellt, dass nunmehr die Latte für künftige Sieger noch höher liegt denn je. Wer also in Wien siegen möchte, dem sei empfohlen, sich – etwa – Dulcinea Roastbeef zu nennen, sich – z. B. – einen Elefantenrüssel und einen Känguru-Beutel anoperieren zu lassen und mit einem Bison-Fell bekleidet sein „Lied“ wie ein Faultier kopfunter an einer Stange zu interpretieren. Das „Lied“ ist dabei völlig Wurst, die mediale Aufmerksamkeit hingegen verbindlich sicher.
    Regla

  179. Ich kann Herrn Scharfenorth nur zustimmen, dass es unerträglich ist, dass Ukrainer auf Ukrainer schießen. Jetzt muss ein sofortiger Waffenstillstand her. Die Regierungstruppen müssen sich aus den Städten zurückziehen, effiziente Verhandlungen müssen zu einem schnellen Kompromiss führen. Die Überwachung dieses Kompromisses vor Ort sollte durch die OSZE erfolgen. Eben dies ist die Forderung Steinmeiers: http://www.faz.net/aktuell/politik/konflikt-in-der-ukraine-steinmeier-fordert-neues-krisentreffen-12923001.html
    Aber all das sind taktische Fragen, die jetzt so schnell aufgeworfen werden, um das Blutvergießen zu stoppen.
    Im Blättchen geht es aber doch nach meinem Verständnis vor allem um eine dialektische, strategische Sicht, die auf der Grundlage einer historischen Betrachtung mögliche langfristige Entwicklungen abbildet. Und da ist der Kampf von Föderalisten und nationalistischen Zentralisten in der Ukraine eine vergängliche Größe. Im Grunde ist dies ein eher störendes taktisches Ereignis im Machtkampf zwischen den USA und einer sich formierenden neuen Weltmacht, den BRICS – Staaten. Es geht um die Weltmärkte und Freihandelszonen der Zukunft. Es geht um die künftige Weltwährung. Russland spielt da nur eine Nebenrolle. Deshalb dürfte Obamas kürzliche Ost- und Südostasienreise aus US Sicht wichtiger gewesen sein als die Ukraine.

  180. UKRAINE: Jetzt beginnt das Sterben
    In einem perfekt abgestimmten Szenario läuft die westliche Maschinerie gegen Russland. Gestern hat der IWF die Milliardenhilfen für die Kiewer Regierung frei gegeben und damit dem dortigen Marionettenregime signalisiert, dass nicht nur maßgebliche europäische Politiker, sondern auch das große Geld hinter ihm stehen. Bis zu den Präsidentschaftswahlen sollen jetzt unverrückbare Fakten geschaffen werden. Dass mit der vorbehaltlosen Unterstützung von Jazenjuk jetzt auch der Bürgerkrieg im Lande ausgelöst wird, ist seit gestern erkennbar. Ukrainisches Militär rückt gegen die von Separatisten besetzte Städte Slawjansk und Kramatorsk vor. Damit dürften seit gestern erneut Ukrainer auf Ukrainer schießen – eine Situation, die für jeden deutschen, demokratisch gesinnten Bürgern unerträglich sein müsste (wie würde er auf den Einsatz einer mit Schießbefehl ausgestatteten Bundeswehr gegen deutsche Zivilisten reagieren ???). Aber rührt er sich?
    Das alles schert die schwarz-rote Regierung nicht. Im Gegenteil: Sie fährt die Isolationsstrategie gegen Russland bewusst mit. Dass sie sich dann auch noch gegen den Führungsschwäche-Vorwurf der Amerikaner wehren, ist doppelt grotesk. Doch was kann man schon von reaktionären US-Politikern wie McCain erwarten. Er gehört zur Garde derer, die auch die eigenen GIs massenhaft in den Tod schickten – auf allen bösartig eröffneten Schlachtfeldern dieser Erde. Jetzt freilich will er zusätzlich den Stellvertreterkrieg der Europäer für die Macht- und Marktinteressen der USA anheizen.
    Die Gesamtstrategie ist umso infamer als sie die russische Politik noch massiver als bisher unter Druck setzt. Von zwei Optionen, die Putin derzeit hat, ist jede für sich untauglich. Verzichtete er nämlich auf eine direkte Einflussnahme in der Ostukraine (in Stufe 1 etwa durch den Stopp von Waffenlieferungen), dann träfe ihn der Hass pro-russischer Separatisten. Griffe er direkt, sprich: mit eigenen Truppen, in den Konflikt ein, dann würde er (sicher zu Recht) erneut zum Aggressor/Okkupanten gestempelt. Und das – ohne große Agitation des Westens – weltweit.
    Moskau bleibt praktisch kein Freiheitsgrad. Und selbst die Pro-Putin-Massen-Demos auf dem Roten Platz oder enthusiastische 1. Mai-Feiern in der Ost-Ukraine (u. a. in Donezk) geben kaum Luft (hier wie dort werden bereits die im 2. Weltkrieg gesungenen Lieder intoniert – wie furchtbar!). Dennoch muss gehandelt werden. Doch der Westen scheint alles zu tun, um die dringend notwendige Verhandlungslösung zu boykottieren. Darauf weist schon die Tatsache hin, dass die gerade in Genf getroffenen Vereinbarungen nicht einmal das Papier wert sind, auf dem sie verfasst wurden. Die Entwaffnung der zivilen Kräfte wurde zur Farce, sprich: vom Westen ausschließlich auf die Separatisten gemünzt. In Kiew tat sich nichts.
    Jetzt ist offensichtlich, dass der Westen seinen taktischen Vorteil gegenüber Putin nutzen wird – selbst wenn darüber hunderte oder tausende Menschen zu Tode kommen. Es geht wie immer nur um Macht – um ein widerliches Spiel, dass mit Freiheit und Demokratie nie etwas zu tun hatte.
    Umso wichtiger ist es jetzt, alle menschenverachtenden Pläne zu durchkreuzen. Jeder von uns sollte etwas dafür tun, dass die verfeindeten Parteien an den Verhandlungstisch zurückkehren. Dazu gehört vor allem, dass wir Druck auf unsere Politiker ausüben. Ihre falsche, von den USA beförderte „Siegeszuversicht“ muss durch einen beherzten Friedensappell gebrochen werden. Putin dürfte schon aus der eigenen Zwangslage heraus bereit sein, in ernsthafte Gespräche einzutreten. Am schwierigsten dürfte es sein, die Separatisten zum Einlenken zu bewegen. Hier müssten unter der Schirmherrschaft der UNO Garantien für eine weitgehende Autonomie der östlichen Ukraine sowie totale Straffreiheit in Aussicht gestellt werden. Putin könnte hier nachschieben, aber keinesfalls voll durchgreifen. Das müsste auch dem Naivsten unter uns klar sein. Die „Befriedung“ der prorussischen Aktivisten müsste von Russland und anderen, mit Russland sympatisierenden Ländern angeschoben werden. Mit einer zügigen Reaktion des vom Westen dominierten UN-Sicherheitsrat ist allerdings kaum zu rechnen. Ganz sicher muss der UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon direkt angesprochen werden.
    Sollten all diese Bemühungen nicht fruchten, dann dürfte es östlich von Kiew zum Krieg kommen – zunächst zwischen regulären ukrainischen Truppen und Separatisten, denen modernste Waffen aus Russland über die Grenze geschoben werden.
    An weitere Stufen der Eskalation möchte ich nicht denken …

    Nachtrag vom 3. Mai 2014: Auch in Odessa kocht der Hass zwischen den Volksgruppen. Vierzig prorussische Opfer verbrannten im Gewerkschaftshaus.
    Alles über die Geschichte des Konflikt auf der o. a. Website

  181. HWK sagt:

    Mo Asumang hat sich – als in Deutschland geborene „Farbige“ – dem Tort ausgesetzt und per Dokumentarfilm Rassisten nach dem befragt, was sich an „Geist“ hinter deren Ideologie verbirgt. Diesem mehr als mutigen und zugleich überfälligen Versuch der Dokumentierung unser aller gesellschaftlichen Alltags hat Arte (Arte!) die heutige (29.4.) Sendezeit von 22.10 zugewiesen. Wer zu diesem Zeitpunkt noch beginnt, eine Sendung anzuschauen ist üblicherweise arbeitslos oder Rentner. Nichts gegen diese, nur jene Zielgruppe, die hier zuvorderst zu erreichen wäre, ist das ganz gewiß nicht. Und da auch der Zweitsendetermin – am 5. Mai um 23.55 Uhr – keine andere Deutung zuläßt wäre zu fragen, welche Programmkräfte selbst in diesem Sender zugange sind, die solche Entscheidungen treffen. Max Liebermann ließe sie gewiss grüßen.
    HWK

  182. Mit „Voraussetzungen“ liefert Erhard Crome mit einer treffenden Analyse. Mir seien einige ergänzende Bemerkungen gestattet:
    1. Die durch den Autor genannte kriminelle private Aneignung gesellschaftlichen Eigentums seitens ehemaliger Funktionäre des kommunistischen Jugendverbandes Komsomol und der Kommunistischen Partei trug mindestens genau so wie die im Namen des „Kommunismus“ begangenen Verbrechen zur weltweiten Diffamierung der Ideale des Kommunismus bei. Dies rief eine selbst für russische Verhältnisse extreme soziale Ungleichheit und Differenzierung hervor und führte zu Not und Elend wie sie in der nachstalinistischen SU nicht bekannt war. Ich glaube, dass diese Konsequenzen den Verursachern nicht bewusst und selbst wenn, dann ihnen vielleicht auch völlig egal waren. Dies unterstreicht aber auch ein hohes Maß an ethischem und moralischem Verfall. Da haben wir die Erscheinungen, die bei den Kindern der „Neuen Russen“ orgienhaft zum Ausdruck kommen. Man kann dies selbst im Restaurant Moskau im streng moslemischen Dubai beobachten.
    2. Erhard Crome schreibt: „Wir leben seit 1991 wieder in einer einheitlich kapitalistischen Weltordnung“. Dies gilt m.E. für die 1990er Jahre nur bedingt, denn China, Kuba und einige andere lateinamerikanische und südostasiatische Länder versuchten auch nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Produktionsweise in den europäischen Partnerländern, diese beizubehalten, trotz des Wegfalles der eingespielten Handelsbeziehungen. Es erwies sich aber seit der Jahrtausendwende als zunehmend schwierig,denn die Konkurrenz auf dem Weltmarkt wurde zu stark, das Lebensniveau der eigenen Bevölkerung sank weiter und damit stieg die innere Unzufriedenheit mit dem System. Der derzeitige Weg, in China unter Beibehaltung der politischen und administrativen Macht der kommunistischen Nomenklatura die Wirtschaft stückweise dem freien Kapital zu öffnen, soll dieser Entwicklung entgegen wirken. Zunächst wurde der Markt für kleine Händler und Dienstleister frei gegeben. Damit kann sich der traditionelle chinesische Fleiß entwickeln. Relativ unbürokratisch ist die Eröffnung von Restaurants, Läden, Hotels, Friseurbetrieben etc. möglich. Die Gründung größerer Unternehmungen setzt allerdings den Zugang zu günstigen Bankkrediten voraus. Dies war für den „kleinen Mann“ bisher eher problematisch. Jetzt beginnt allmählich die gesteuerte Liberalisierung des Bankensektors. Wie diese Experimente ausgehen wagt niemand zu prognostizieren.
    Bei meinen vielen Aufenthalten in China meine ich, eine Aufbruchstimmung vor allem in den unteren Schichten der Gesellschaft zu bemerken. Dies ist vergleichbar mit den Hoffnungen und Erwartungen, die in den 1950er Jahren in der DDR zu verspüren waren.

  183. Stephan Wohanka sagt:

    Lieber Herr Mankwald,
    ich danke für Ihr Interesse an meinem Artikel.
    Was Ihr Erstaunen über die Parallelen bezüglich der „Machtübernahme“ sowie der „unterschiedlichen Bedingungen“ zwischen Venezuela und der DDR angeht, so wäre dazu natürlich etwas zu sagen gewesen; allein die „Blättchen-Texte“ sind (aus gutem Grund) zu kurz dazu. Wichtiger ist jedoch, dass mich ein sozusagen nachgelagertes – nach Machtergreifung und Überwindung unterschiedlicher Startbedingungen – Problem umtreibt: Wieso Länder auf einem gewissen Niveau der sozialistischen Entwicklung („realsozialistisch“ für die DDR und „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ für Venezuela) dieses Niveau nicht nur nicht zu halten vermögen; sondern regelrecht rückwärtsgewandte Prozesse durchmachen? Ich zitiere einen führenden Soziologen mit einer DDR-Biografie: „1970 mußte der Maschinenbau der DDR das 1,8fach des westdeutschen Aufwandes an Ressourcen einsetzen, um eine Einheit Erlöse zu erzielen; 1989 bereits das 5,2fache. Bei chemischen Erzeugnissen weist die Handelsstatistik für 1970 eine um etwa ein Viertel höhere Wertschöpfung der ostdeutschen Handelspartner aus; 1989 eine vierfach geringere. Auch in den Zweigen Feinmechanik/Optik behauptet der ´Osten´ 1970 noch einen kleinen Vorsprung; 1989 beliefen sich die westdeutschen Erlöse auf das 3,5fache der ostdeutschen. Im Büromaschinenbau trieben die am Austausch teilnehmenden DDR-Betriebe schon 1970 einen ca. 6fach höheren Ressourcenaufwand; 1989 war der 15fache Aufwand gerade gut genug, um eine Einheit Erlöse zu erwirtschaften. Die Zahlen dokumentieren zweierlei: die durchaus erfolgreiche Aufholanstrengungen der sechziger Jahre, aber auch deren Grenzen. In den klassischen Produktionszweigen hatte die ostdeutsche Wirtschaft die Außenabstände entweder gehalten, verringert oder sogar zu ihren Gunsten gestaltet; in den zukunftsträchtigen lag sie bereits damals deutlich im Hintertreffen. In den beiden folgenden Jahrzehnten verlor sie den Anschluß bei den Hochtechnologien endgültig und erlitt darüber hinaus auch in ihren einstigen Domänen herbe Rückschläge. Der Verfall von Infrastrukturen, Häusern und Städten, der Raubbau an der Natur, das fast gänzliche Fehlen kompensatorischer Maßnahmen sowie eine in bezug auf die entwickelten westlichen Nationen relativ abnehmende durchschnittliche Lebenserwartung verstärkten den Abwärtstrend“.
    Zur Illustration des eben Gesagten noch eine Kostprobe zu den Arbeitsbedingungen in der Sowjetunion: „Gemessen an der technischen Perfektion, die das Bild in den Detroiter Fordwerken bestimmt, macht die Landmaschinenfabrik von Frunse auf den ersten Blick eher einen liebenswert chaotischen Eindruck. Von der seelenlosen Fließbandordnung, vom kalten Automatismus und der unerbittlichen Maschinerie, die bei Ford vorherrschen, ist hier nichts zu spüren. Im Gegenteil: das Fabrikgelände, immerhin zwei Quadratkilometer groß, sieht eher aus wie ein verwilderter Park. Höher als die Fabrikhallen wachsen die Bäume, und zwischen den Gleisen der Werksbahn blüht, wächst und gedeiht der Flieder. […] Von Fordscher Hektik ist hier nichts zu spüren, hier arbeitet sich offensichtlich keiner tot oder krank. Mensch und Technik stehen sich nicht als Feinde gegenüber. Hier hetzt kein Aufseher zum Ford-Schritt, eher läuft einem schon mal der Veteran Schlendrian über den Weg“.
    Sie stellen fest, dass „niemand dergleichen als Sozialismus bezeichnen“ würde. Natürlich – jedweder „Zerfall“ ist nicht gleich Sozialismus. Aber dieses Phänomen gibt es eben auch in diesem; und es wurde letztlich im Realen Sozialismus zum beherrschenden! Sie sagen weiter: „Ressourcen nicht für Investitionen genutzt“ – ja, richtig, weil „politischer Einfluss“ ergo ideologische Vorgaben letztlich die Wirtschaft dominierten und behinderten bis zu deren Kollaps; die Ressourcen wurden so zunehmend knapper und wurden anderweitig verwandt. Insgesamt kam es letztlich nicht zur Herausbildung einer funktionalen soziotechnischen Struktur, die die stetige oder nachhaltige Entfaltung des produktiven, d. h. schöpferischen Vermögens der Gesellschaft sicherte; oder in marxistischer Diktion – einer umfassenden Produktivkraftentwicklung, so notwendig für die „immer bessere Bedürfnisbefriedigung aller Werktätigen“.
    Auch das ist noch keine endgültige Erklärung für das Scheitern des Sozialismus… bewegt sich aber im Rahmen dessen, was Sie zum Thema anmerken. Für Weiterführendes stehe ich gern zur Verfügung; dann vielleicht außerhalb des „Blättchens“.

    • Lieber Herr Wohanka,

      ganz in Kürze der Versuch einer Antwort auf Ihre Kernfrage: zum einen sollte man die Stagnation vor dem Hintergrund des Wettrüstens sehen, das die RGW-Staaten ungleich stärker belastete als die wirtschaftskräftigeren westlichen Länder. Die entscheidende Schwäche sehe ich aber im starren und bürokratischen System der Planung und Leitung, das in vielen Bereichen zu Mangel und zum Entstehen einer Schattenwirtschaft führte und in sehr rigiden Machtverhältnissen begründet war.

      Da ich diese Thesen an anderer Stelle schon ausführlicher formuliert habe und die Geduld der Leserschaft und der Redaktion nicht überstrapazieren möchte, lasse ich Ihnen eine ausführlichere Anwort auf anderem Wege zukommen.

  184. Rolf Peters sagt:

    Hearst aktuell

    Dass heutzutage niemand mehr davor sicher sein kann, via Telefon oder Internet ausgeforscht und abgehört zu werden, darf als beklagens- und verurteilenswert gelten. Allerdings hat die mittlerweile gängige Praxis, eigentlich Geheimes öffentlich zu machen, auch ihre Vorzüge. Was im Falle Nixons nur mit großem technischen Aufwand verbunden war, ihm per Telefonmitschnitt die Urheberschaft die Verwanzung seiner Wahlkampfgegner nachzuweisen, ist heute für Kenner der Materie ein Kinderspiel. Und so wissen wir also nun auch, wie Herr Erdoğan mit dem Feuer spielt und einen nächsten bewaffneten Konflikt – hier einen mit Syrien – zu zündeln bereit ist. Laut Beratung seiner vier wichtigsten außen- und sicherheitspolitischen Adlaten hatte der Premierminister befunden, „dass wir in der gegenwärtigen Situation diesen Angriff (gemeint ist die Bedrohung des Grabes von Süleyman Shah, dem Großvater des Gründers des Osmanischen Reiches, das sich auf einer winzigen Exklave der Türkei befindet und von Islamisten bedroht worden ist) als Chance für uns sehen sollten.“ Was den Geheimdienstchef, ein enger Vertrauter Erdoğans, umgehend vorschlagen liess: „Ich schicke vier Männer auf die andere Seite und lasse sie acht Stück (Granaten oder Raketen) auf ein leeres Feld (in der Türkei) schießen. Das ist kein Problem. Ein Vorwand lässt sich konstruieren…“
    Die Zeiten haben sich nur scheinbar weiterentwickelt. Denn auf ebensolche Weise sind vielerlei Kriege ganz gezielt angezettelt worden: Sender Gleiwitz, Tonking, irakische Massenvernichtungswaffen etc.) Unbeachtet der agierenden Figuren in der Politik gilt noch immer, was der Medienmogul William Hearst in der hoffnungsvollen Erwartung eines amerikanisch-spanischen Krieges um Kuba 1898 seinem Korrespondenten in Havanna kabelte: („You furnish the pictures. I’ll furnish the war.“ – „Sie liefern die Fotos, ich liefere den Krieg.“

    Rolf Peters

  185. Lieber Herr Wohanka,

    unsere neuliche Diskussion litt ein wenig darunter, dass ich Ihren aktuellen Beitrag im „Blättchen“ Nr. 7/2014 noch gar nicht recht kannte. Nun freue ich mich, einmal keine undifferenzierte Verteufelung oder Verherrlichung der Zustände in Venezuela zu lesen, sondern etwas über die tatsächlichen Probleme zu erfahren, die ja offenbar groß sind. Erstaunlich fand ich auf den ersten Blick die Parallelen zwischen Venezuela und der DDR, da die Regierungen beider Länder doch auf sehr unterschiedliche Weise an die Macht gekommen sind und recht verschiedene Bedingungen vorfanden. Ich kenne aber ein Gegenstück aus einer noch ganz anderen Gesellschaft.

    In einer schon etwas älteren Science-Fiction-Satire beschreibt Robert Sheckley eine fiktive Stadt in New Jersey, „die fünfzig Jahre hindurch von dem dem einen oder anderen Parteiboß kontolliert worden war. Die meisten Einwohner […] scherten sich wenig um die Korruption in allen Schichten, um die Spielhöllen, die Bandenkriege, den Ausschank von Alkohol an Jugendliche. Sie waren es gewöhnt, ihre Straßen zerfallen, die uralten Wasserleitungen platzen, die E-Werke versagen, die baufälligen alten Häuser einstürzen zu sehen, während die Bosse von Jahr zu Jahr größere Paläste, längere Schwimmbecken und wärmere Stallungen bauten.“ Bei allen Unterschieden im Detail sind die Ähnlichkeiten auch hier aufällig; nur würde in den USA niemand auf die Idee kommen, dergleichen als Sozialismus zu bezeichnen. Die Gemeinsamkeit scheint darin zu liegen, dass Ressourcen nicht für Investitionen genutzt werden, sondern dazu, sich politischen Einfluss zu erwerben; und dafür gibt es in der Geschichte wohl noch mehr Beispiele.

    Beste Grüße
    Bernhard Mankwald

  186. Reinhard Schramm sagt:

    Lieber Herr Herzberg,
    Ihren Artikel über die Juden von Weißenfels )vom 9.1.2006 im Heft 1 des 9. Jahrganges) habe ich erst jetzt gefunden.
    Als ehemaliger Weißenfelser habe ich mich gefreut.
    Herr Fränkel lebt noch und zwar aktiv
    Beste Grüße
    Ihr Reinhard Schramm
    —–

    Prof. Dr.-Ing. habil. Reinhard Schramm
    Vorstandsvorsitzender
    Jüdische Landesgemeinde Thüringen K.d.ö.R.
    Juri-Gagarin-Ring 16
    99084 Erfurt

    Telefon: 0361-5624964
    Mobil: 0172-4756513
    Fax: 0361-5668690

  187. als Ergänzung zum vorliegenden Beitrag im aktuellen Heft:
    Was heute in der Fracking-Diskussion vor allem zu beachten ist:
    • Es wird viel über die niedrigen Gaspreise in den USA lamentiert, die durch umfangreiches Fracking möglich wurden. Es wird wenig über die Bedingungen gesprochen, die dort herrschen: 1) große, unbewohnte Freiflächen, die in Mondlandschaften verwandelt werden; Grundwasserverseuchung und „brennendes Wasser“ in Wohngebieten 2) Fördertiefen um 3.000 m 3) eine Bevölkerung, der, weil es so gut wie keine Bürgerinitiativen gibt, alles Üble übergestülpt werden kann: Genmanipulierte und mit Hormonen verpestete Lebens- und Futtermittel, Chlorhühner, ungesundes Fastfood und … Fracking
    • Im Aufsuchungsgebiet „Ruhr“ (u.a. Kreis Mettmann) liegen die Vorkommen an unkonventionellem Erdgas teilweise in weniger als 1.000 m Tiefe, sprich: in geringem Abstand zu den Grundwasservorkommen. Im Vergleich dazu wird Fracking in den USA in ca. 3.000 m Tiefe und in Niedersachsen in ca. 4.000 m Tiefe betrieben.
    • Die größten Gefahrenpotentiale ergeben sich 1) in der Vermischung giftiger Einsatzstoffe und giftigem Lagerstättenwasser mit dem Grundwasser 2) in Undichtigkeiten entlang des Bohrstranges und ausgehend von den Rissen im Gestein ⇛ Erdgas kann ungehindert an die Oberfläche gelangen und austreten. Die Folge: Umweltbelastung und Gesundheitsgefahren 3) das bei der Gasförderung mit ausgeschleppte Gemisch aus eingesetztem Chemiecocktail und Lagerstättenwasser wird in natürliche, undichte, unterirdische Kavernen verpumpt, die schleichende Zeitbomben darstellen. Denn auch aus ihnen dringt das Gift in die umgebenden Bereiche
    • Gas wird in der Politik als Waffe eingesetzt. Gelingt es den Frackingbefürwortern, das Verfahren zu legitimieren, dann sind fallende Gaspreise angesagt, die die laufenden Gaskontrakte mit Russland konterkarieren, sprich: Putin muss mit geringerer Gasabnahme und geringeren Abnahmepreise rechnen, was seine wirtschaftliche Macht untergräbt. Weil ihn das auch politisch schwächt, wird besonders viel Druck fürs Fracking aufgemacht.
    • Die US-Firma Exxon Mobile behauptet, über 20 verschiedene Fracking-Zusatzstoffe (Chemiecocktail) zu verfügen, „von denen keiner offiziell als giftig oder umweltgefährlich gekennzeichnet werden müsse“ („Rheinische Post“ vom 4. April; S. A4). Hierbei handelt es sich offensichtlich um eine faustdicke Lüge, denn zum einen hat Exxon die Einsicht in US-Erfahrungsberichte verweigert, zum zweiten wird die Zusammensetzung der Zusätze als streng gehütetes know-how geheim gehalten (schließlich wird nur der König, der sich dem giftfreien Zusatz am meisten nähert!). Folglich weiß niemand, um welche Stoffe es sich handelt, ob es bekannte oder neue, bisher ungetestete und deshalb auch unbewertete (und eben auch giftige) Stoffe sind etc.
    • Was richten fallende Gaspreise (außer Turbulenzen im russisch-deutschen Gasgeschäft) noch an? 1) Sie machen den für die Energiewende zwingenden Aufbau von Gaskraftwerken noch schwieriger, weil die Refinanzierung einbricht. Diese Stromlieferanten, die bei ausfallender Sonne und ausbleibendem Wind „einspringen“ sollen, müssten bereits heute für das Vorhalten von Kapazität vom Staat subventioniert werden. Derzeit denkt niemand daran, was die Energiewende massiv beeinträchtigt. Fallende Gaspreise versprechen im Bereich der Erzeugung billigeren Strom, eine nicht gewollte Konkurrenz zu den alternativen Energien (Verzerrung der Energiewende!), aber auch geringere Renditen für die Erzeuger. Letzteres wiederum würde den Trend zu größeren Produktionsmengen (dann mehr Rendite) befördern, die es aber im Sinne der Energiewende gar nicht geben soll, denn es geht – wie oben bereits gesagt – um das Vorhalten von Kapazitäten für den Mangel-Fall.
    • Was hier nicht an letzter Stelle stehen sollte, weil es gleichrangig, also eben so wichtig ist: Die deutsche Industrie – selbst die sog. Energieintensive – ist auf billiges Gas nicht angewiesen. Denn der Wirtschaftsmotor läuft auch so – wie die immer währenden Exportrekorde anschaulich demonstrieren. Wenn Gabriel die „Fracking-Bande“ in Schach halten und in Brüssel die geplanten Ausnahmen von der EEG-Umlage für die energieintensive Industrie zumindest teilweise durchsetzen würde, wäre die Kuh gänzlich vom Eis. Wir Deutschen aber könnten unsere Gasreserven für spätere Zeiten bewahren. Zu einem bestimmten Zeitpunkt nämlich wird man sie umweltverträglich erschließen können. Zum anderen ist das un-intelligente Verballern (Verbrennen) von immer knapper werdenden fossilen Energieträgern eine Todsünde. Denn das Fracking-Gas der Zukunft muss natürlich der chemischen Industrie zur Verfügung gestellt werden, damit dort in intelligenzintensiven Produkten eine 10fach höhere Wertschöpfung erreicht wird.
    • Für die Erteilung der Bohrgenehmigungen in NRW ist allein die Bezirksregierung Arnsberg, eine dem Bund unterstellte Behörde zuständig. Sie benötigt allerdings die Zustimmung der sog. unteren Wasserbehörde (das sind die Kreise und die kreisfreien Städte), die eine Umweltverträglichkeit/die Wahrung des Trinkwasserschutzes attestieren muss. Es wird höchste Zeit, eine bundeseinheitliche Gesetzgebung – ganz speziell zum Fracking – zu schaffen, um ein generelles Verbot in ganz Deutschland umsetzen zu können.

  188. Jürgs sagt:

    Liebe Frau Haustein, es tur mir leid, uncharmant sein zu müssen, aber indem Sie infrage stellen, dass Herr Weinholz ein Linker sein könnte, tun Sie etwas, das für mich zum Kulturlosesten im Umgang unter Linken gehört, dass nämlich die einen Linken anderen Linken absprechen, Linke zu sein, d.h. also zu meinen, die Definitions- und Deutungshoheit darüber zu besitzen. Damit haben Sie letztlich in der gleichen, wie ich finde unstatthaften Weise operiert, wie das bei Herrn Weinholz ja leider ebenfalls implementiert ist. Auge um Aug, Zahn um Zahn ….?
    Helge Jürgs

    • Franka Haustein sagt:

      Lieber Herr Jürgs,
      da bin ich ja ganz bei Ihnen: Der zumal öffentliche Umgang von Linken untereinander ist bisweilen ziemlich kultur-, und das heißt ja wohl auch niveaulos. Ich glaube, dass allein dieser Umgang so mache Menschen veranlasst, zu organisierten Linken Distanz zu halten.
      Allerdings scheinen Sie zugleich davon auszugehen, dass jede, die „Das Blättchen“ – und wie ich gern gestehe: überwiegend mit Vergnügen und Gewinn – liest, automatisch eine Linke sei. Zumindest für mich muss ich diese Etikettierung jedoch strikt zurückweisen. Insofern läuft Ihre „uncharmante“ Kritik zwar nicht generell, aber in meinem Fall ins Leere.
      Mit freundlichen Grüßen
      Franka Haustein

  189. Erhard Weinholz sagt:

    Betr.: Russland und die Ukraine

    „Eines ist klar: Deutschland braucht Russlands Rohstoffe. Da wäre es ja Schwachsinn, wenn die Kanzlerin – das muß man der guten Frau einfach mal sagen – wenn die jetzt mit der… der…“ „Der Menschenrechtskeule!“ „…genau, mit der Menschenrechtskeule kommt und versucht, Herrn Putin auf den Weg der westlichen… Tugenden /meckerndes Gelächter in der Runde – E. W./ zu geleiten.“ Vorstandstreffen in der BDI-Zentrale? Nein, wir sitzen hier an einem der neuen Geopolitischen Stammtische der Linken. Genauer gesagt: Es handelt sich hier um eine leicht verfremdete Collage von Meinungen, die im „Blättchen“ zu lesen waren. Doch wenn die sozialistische Linke sich schon in Geopolitik übt, dann sollte sie dabei nicht versuchen, der Planungsabteilung im Auswärtigen Amt oder der Unternehmerlobby zuzuarbeiten.
    Es ist natürlich wichtig für diese Linke zu verstehen, weshalb jemand beispielsweise zum Aggressor wird, aber das kann nicht bedeuten, dafür Verständnis aufzubringen. Das Verständnis ist, so scheint mir, ein naher Verwandter der Rechtfertigung. Nützlich wäre statt dessen ein kritischer Blick auf die Argumente. Herrn Scherer bitte ich daher, sich eine neuere Karte „Europa/Asien – politische Grenzen“ anzuschauen. Er wird dann erkennen, dass Russland ebenso wenig von der NATO eingekreist ist wie Deutschland von den Benelux-Staaten. Zu fragen wäre auch, ob die NATO-Mitgliedschaft etwa der baltischen Republiken vom benachbarten Russland zu Recht als Bedrohung verstanden wird. Allgemeiner gesagt: Aufgabe der sozialistischen Linken wäre es doch wohl, sich mit dem in vielerlei Hinsicht verderblichen Hegemonialdenken und -streben insbesondere der USA und Russlands auseinanderzusetzen und nach Möglichkeiten zu suchen, diese Politik zu durchkreuzen, ohne darüber in Nationalismus zu verfallen. Dabei würde auch das in den Blick kommen, was bei Herrn Crome und Herrn Scherer unbeachtet bleibt: die Interessen der jeweiligen Bürgerinnen und Bürger. Die Volksmassen sind nun einmal keine bloßen Karten oder Figuren im großen Spiel der Herrschenden, selbst wenn es manchmal so scheinen mag. Sie sind ein eigenständiger und, heutzutage zumindest, auch der letztlich entscheidende Faktor des politischen Geschehens. Es ist Herrn Cromes gutes Recht, dieses Thema beim Blick auf Russland und die Ukraine auszusparen. Um so mehr ist hier die Redaktion gefragt. Ich vermisse Darstellungen und Analysen des jüngsten Geschehens in der Ukraine, der Motive und des Charakters der beteiligten Parteien usw. usf. Dafür braucht man, so denke ich, nicht unbedingt einen Sonderkorrespondenten nach Kiew zu entsenden.

    • Kay Bliewand sagt:

      Sehr geehrter Herr Weinholz,
      als langjähriger Leser des Blättchens finde ich es, freundlich formuliert, etwas dreist, diese Zeitschrift als „linken Stammtisch“ zu denunzieren. Ich schätze am Blättchen sehr, dass es nicht hoheitliche Meinungen diktiert sondern Ansichten zum Nachdenken anbietet. Manchmal decken sich die Positionen der Autoren mit den Meinungen, in anderen Fällen nicht, dann aber ist selbst dieser Abgleich nützlich. Dass man dem Blättchen Unvollkommenheiten nachsagen kann, ist gewiss richtig, da unterscheidet sich das Blättchen, das ja wohl ehrenamtlich produziert wird, nicht von diversen anderen, auch regulären Publikationen, nicht. Mir muißfällt an Ihrer Zuschrift jener Unterton, den bei Linken eine besonders gern geübte Praxis ist: Dass ein Linker anderen Linken erklärt, was Links ist, undzwar w i r k l i c h Links. Das ist eine, mit Verlaub, eine Zensurenverteilung, die nicht unbedingt sympathisch ist.
      Was mich übrigens wundert ist, dass Sie, soweit ich mich erinnere, schon lange Autor dieses „Stammtisches“ sind.

    • Marion Zeller sagt:

      Lieber Erhard Weinholz,
      Peter Scholl-Latour ist Ihnen sicher ein Begriff als höchst kenntnisreicher und unbestechlicher Publizist. Lesen Sie mal sein bereits 2007 erschienenes Buch „Rußland im Zangengriff“, das antiquarisch preiswert zu haben ist. Vielleicht differenziert das Ihr Bild bezüglich der „Nichtumkreisung“ Russlands durch die NATO ein wenig. Auch das Kaitel über die Ukraine mit erhellenden Tatsachen über den Einfluß des Westens, namentlich der USA, auf die Orangene Revolution wird Sie möglicherweise etwas nachdenklicher machen. Es sei denn, sie folgen doch lieber dem Stammtisch des antirussischen Mainstreams, der auf die Befindlichkeiten Rußlands wiederum keine Rücksicht nimmt.

    • Werner Richter sagt:

      Hier sehe ich ein Mißverständnis, man kann Herrn Crome keine Pro-Putin-Argumentation zuweisen. Ich verstehe seine Darlegungen vorrangig als Gegenstück zu medialen und politischen Rußlandschelte, die den Aggressor Rußland als einzigen Verursacher der Krise darstellt, den eigenen Beitrag im Vorfeld so zu tarnen versucht, hinterhältig. Es wäre eher fragwürdig, würde die „Linke“, wer das auch ist, wie es bisher scheint sich dem Puti-Bashing weiter unkritisch anschließt. Die Grünen lassen grüßen. Mich erinnert die ganze Linie an den m.E. Gleichschritt der „Linken“ mit der offiziellen Geschichtsdeutung zum sog. Stalin-Hitler-Pakt, zu dessen Zustandekommen sowohl Polen als auch die Westmächte einen gehörigen Beitrag geleistet haben und der SU, ob Stalin ein Schweinehund war oder nicht, kaum einen anderen Weg offen ließen.

    • Franka Haustein sagt:

      Herr Weinholz hat natürlich völlig Recht: Russland ist von der NATO etwa so eingekreist wie Deutschland von den Benelux-Staaten! Die Russen sollen sich gefälligst nicht so haben. Von Tallin sind es bis Moskau immerhin noch 866,97 km (Luftlinie), und von Kiew, wohin politikbestimmende Kräfte nicht nur in den USA die NATO immer noch gern vorverlegten, wären es auch noch 756,21 km. Die deutsche Hauptstadt lag, vom NATO-Hauptquartier in Brüssel aus gesehen, jahrzehntelang quasi in Wurfweite – nämlich nur 193,11 km entfernt! Und – ist was passiert?
      Natürlich sollte, da ist Herrn Weinholz ebenso zuzustimmen, die deutsche Linke nicht dem Auswärtigen Amt und der Unternehmerlobby zuarbeiten! Aber vielleicht wäre ergänzen: Dem State Department und Brüssel zuzuarbeiten, das gehört sich für ordentliche Linke auch nicht wirklich. Dies nur für den Fall, dass Herr Weinholz sich selbst womöglich politisch links verortet.
      Und ebenso natürlich singt man – in Dur, nicht Moll – grundsätzlich das Hohelied auf die selbstbestimmt stets das Fortschrittliche tuenden Volksmassen als „heutzutage zumindest (…) letztlich entscheidende(r) Faktor des politischen Geschehens“. Pardon: Heute sind Volksmassen ja, weniger ideologiebefrachtet, „Bürgerinnen und Bürger“.
      Als quantité négligeable ausklammern kann man dabei getrost, wozu sich „Bürgerinnen und Bürger“ allein in den vergangenen 100 Jahren in der Türkei, in der Sowjetunion, im Dritten Reich, in China, in Kambodscha und erst kürzlich in Ruanda ohne erkennbaren Widerstand haben einspannen lassen: mindestens zu massenhafter Denunziation, bisweilen aber auch zum direkten Abschlachten ihrer Mitbürgerinnen und Mitbürger. Exceptions make the rule.

      Dass Herr Weinholz im Blättchen „linken Stammtisch“ entdeckt haben will, wirft somit einmal mehr jene Frage auf, die bei Matthäus 7,3 so formuliert ist: „Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge, und wirst nicht gewahr des Balkens in deinem Auge?“

  190. Stephan Wohanka sagt:

    Zeiten des Drohens

    Die Faxen um die Grundbucheintragung beiseite gelassen – Obama hat, wenn er sich auf die „Weltgemeinschaft“ beruft, zumindest das Votum von 100 Staaten, also weit über jede „G 7“ hinaus, hinter sich, die in der Uno-Vollversammlung die Annexion der Krim durch Russland für ungültig erklärten. 58 weitere enthielten sich, elf stimmten dagegen: Mit Russland lehnten Armenien, Weißrussland, Bolivien, Kuba, Nordkorea, Nikaragua, Sudan, Syrien, Venezuela und Zimbabwe die Resolution ab; ein illusterer Kreis! Anders als im UN-Sicherheitsrat konnte Moskau in der Vollversammlung eine Resolution nicht per Veto verhindern.

  191. Erich Warlitz sagt:

    Lustiges vom Friedensfreund
    Der Beitrag von Herrn Crome in der Nummer 6 hat mir sehr gut gefallen. Ein wenig überrascht bin ich allerdings, dass noch kein Lesermail-Schreiber erkannt hat, dass es sich um eine Persiflage handelt.
    Nehmen wir nur die Wortwahl: Westliche Politiker „jammerten“, redeten „von Anfang an völligen Unsinn“, wollen „die Eskalation befeuern“, sind „nicht ernst zu nehmen“, ihre Argumente „sind lächerlich“, „schimpften“, „schwadronieren“ oder sind „eher naiv“. Offenbar ein ziemlich erbärmlicher Haufen.
    Sehr lustig ist auch die Sache mit dem sicherheitspolitischen Seminar und dem alten und weisen russischen Professors, von dem wir endlich einmal den Unterschied zwischen den zockenden Amerikanern und den schachspielenden Russen und – wer hätte das gedacht – auch Iranern erklärt bekommen! (Allerdings spielen auch die Amerikaner Schach, aber nur, wenn es gilt, die naiven Europäer zu linken – wie wir ganz zum Schluss erfahren.) Zocker gegen Strategen, das ist wirklich lustig
    Unterhaltsam sind Rätsel, die in die eher trockene Materie eingestreut werden. So die Beteuerung, dass Russland keinen „unbedingten Expansionsdrang“ verspürte – jedenfalls in den 1990er Jahren? Und heute? Die Auflösung ist im weiteren Text versteckt. Viel Freude beim Suchen!
    Sehr diffizil ist die Ironie, mit welcher Russlands Behauptung behandelt wird, die russischen Bürger auf der Krim angesichts der Wirren in der Ukraine schützen zu müssen – Bürger, die immerhin eine weitgehende Autonomie, die Regierung, das Parlament und die Macht vor Ort hatten. Nach diesem Maßstab sind die Russen in Lettland, die dort immerhin 30 Prozent der Bevölkerung ausmachen, noch viel schützenswerter!
    Der Clou aber ist folgender Scherz, den man wörtlich vor Augen haben muss, um so richtig abzulachen: „So ist die derzeitige Krim- und Ukraine-Politik Russlands auch symbolisch gemeint: Wer strategische Atomwaffen hat, kann in seinem Umfeld machtpolitisch auch Schritte gehen, die sich über das Völkerrecht hinwegsetzen, ohne dass er real daran gehindert werden kann.“ Eine wirklich gelungene Bestätigung, dass Putin mit seiner handstreichartiger Annexion massiv gegen das Völkerrecht verstoßen hat! Zugleich bringt der Autor geschickt die übliche Rechtfertigung von Gesetzesverstößen aller Art ins Spiel: Schuld sind natürlich immer die anderen! Oder doch der Gärtner?
    Wenn Putin das uneingeschränkte Recht auf Annexion in der ehemaligen russischen Einflusssphäre, die bekanntlich bis zur Elbe reichte, tatsächlich proklamiert hat – warum soll er dann aufhören, wenn er nicht daran gehindert wird? Sein im Siegesrausch befindliches Volk wird seinen starken Führer wohl nicht stoppen. Ich denke mal, der Autor will uns durch die Blume zu verstehen geben, dass Putin unbedingt einen Preis für die Krim-Annexion zahlen muss.
    Im Lichte dieser Erkenntnis wird man übrigens sagen müssen, dass es vorausschauend war von den Anfang der 90-er Jahre unabhängig gewordenen Staaten innerhalb und außerhalb der SU, sich unter den Schutz des Westens zu stellen. Sie kannten eben die Methode der schrittweisen Annexion – auch bekannt als die Rößlersche Methode, einen Frosch zu kochen; der allerdings immer noch Kanzlerin ist.
    Zugegeben, manche Schlussfolgerungen aus dem humoristischen Text sind ein wenig frei interpretiert. Aber natürlich wird ein Linker – hoffentlich tue ich dem Autor damit nicht unrecht – keiner Macht der Welt das Recht auf imperiale Herrschaft und Einflusssphären zugestehen. Auch wenn sie den Beherrschten so viel gegeben hat wie die alten Römer (Viadukte, Medizin und und …), die Amerikaner (Freiheit, Demokratie, Internet, NSA und und …) oder die Russen (die Befreiung vom Faschismus und … öhm, na sagen wir ein vitales Politbüro).
    Alles in allem: Einem alten Ossi geht das Herz auf, wenn er wieder einmal einen Text von solcher konsequenten Parteilichkeit für die gute alte (jetzt: russische) Sache vor die Lesebrille bekommt. Auch wenn es nur eine Persiflage sein sollte.
    Erich Warlitz

  192. HWK sagt:

    Julia Timoschenko, die auf wunderheilsame Weise auferstandene Goldzopfikone der Ukraine, wird immerzu missverstanden. Das war schon vor Gericht so, von dem sie 2011 einst zu einer sienejährigen Haftstrafe verurteilt wurde. Und das ist jetzt umso mehr der Fall, wo die allein frisürlich verkörperte Unschuld telefonisch ein wenig gescherzt hat. Denn was anderes hätte gemeint sein können, wenn die auch von Berlin gehätschelte lupenreine Demokratin davon sprach, dass man „die verdammten Russen“ zusammen mit ihren „Anführern“ erschießen, die acht Millionen Russen in der Ukraine mit „Nuklearwaffen“ erledigen und dafür sorgen müsse, „damit – verdammt – von Russland nicht einmal ein verbranntes Feld übrig bleibt“. Ronald Reagan hat es 1984 hatte dereinst doch auch nur Spaß gemacht, als er – ebenfalls inoffiziell – in Kameras absonderte: „Liebe Amerikaner, es ist mir ein Vergnügen, Ihnen heute mitzuteilen, dass ich ein Gesetz unterzeichnet habe, das Russland für vogelfrei erklärt. Wir beginnen mit der Bombardierung in fünf Minuten.“
    Was haben wir alle damals herzlich gelacht.
    Und der Julia nimmt man das nun übel – die Welt ist schlecht und ungerecht.

  193. Holger Politt sagt:

    Dem Friedensfreunde:

    Mit jedem Tag wächst der Zweifel, ob die Ukraine je die Absicht gehabt hatte, eines ihrer Nachbarländer zu überfallen und einige Quadratkilometer sich einzuverleiben. Viel wichtiger scheint indes, daß das Land 1994 seine Atomwaffen gegen die Sicherheitsgarantie seiner Grenzen eintauschte, was Russland, die USA und Großbritannien gleichermaßen bezeugten. Ein Vorgang, so recht nach dem Geschmack aufrechter Friedensfreunde. Von einer Klausel, die die Ukraine dabei zwingend einer Interessensphäre zuordnete, ist nichts bekannt. Im Sommer 2010, damals war er Ministerpräsident seines Landes, fuhr Putin an der Spitze einer Motorradkolonne kreuz und quer durch die Krim – stolz Russlands Banner mitführend und schwenkend. Noch war nichts zu sehen und nichts zu hören von den finsteren Gesellen auf dem Majdan zu Kiew. Seitdem gab es auch keinen einizigen bekanntgewordenen Fall, bei dem jemand auf der Krim diskriminiert worden wäre, weil er russisch redete oder Russe sei.

  194. Gerda König sagt:

    Lieber Herr Richter,
    Ihre Replik auf Erhard Weinholz wirkt auf mich beklemmend. Weinholz war als Redakteur von „Horch und Guck“ ja wohl nicht Mitarbeiter des wohl unbestrittenen Repressionsapparates MfS sondern deren „Gegenstand“. Ihre belehrenden Einlassungen erinnern mich an das, was ein Publizist zu solcherart Altväterlichkeit angemerkt hat, dass nämlich seinerzeitige (und nun neuerliche) Bescheidwisser heute den Opfern von einst gern verzeihen, dass sie einst ihre Opfer waren und ihnen auch heute wieder erklären, wessen Geschäft sie betreiben helfen. Dass ich Ihnen dabei keine diesbezüglichen „Leichen im Keller“ unterstelle, ergibt sich schon daraus, dass ich Sie nicht kenne. Aber Ihr Ton, Verehrtester, kommt mir leider sehr bekannt vor.
    Gerda König

    • Werner Richter sagt:

      Verehrte Frau König, ich kann Sie hinsichtlich Ihrer Ahnung beruhigen, habe keine Leichen im Keller. Selbst bin ich, obwohl dort inaktiv, immer noch (und seit Beginn) Mitglied des Bürgerkomitees und auch des Neuen Forum, dort aber aktiv. Zu meinen engeren Freunden dort zählen die, die unglaublich viele, oft kaum aushaltbare Repressionen in der DDR erleiden mußten und deren Ansprüche auf Aufklärung des Geschehens und der Verantwortung ich exponiert während der Ausschaltung und Auflösung des MfS mit organisiert und betrieben habe und auch noch heute als selbstverständlich ansehe. Also gehöre ich nicht zu den versprengten Resttruppen, die nach verlorener Schlacht ohnmächtig des Gegners Troß aus dem Hinterhalt angreifen. Meine Meinung ist nicht der Art neuerlicher Bescheidwisserei, sie basiert auf jahrelangen Erlebnissen und Beobachtungen auch schon aus Zeiten, in denen sie nicht ganz ungefährlich war, aber das ist eine andere Geschichte. Eine der letzten Aktivitäten der Anti-MfS-/Geheimdienst-Aktivisten aus obigen Dunstkreis war bis ca. 1994 der Versuch, anläßlich der Installationsversuche des ASOG (Außerordentliches Sicherheits- und Ordnungsgesetz wilhelminischen Zuschnittes, von Senatsinnenverwaltung ernstlich als Umsetzung der positiven Erfahrungen aus der DDR angeprießen) unsere Erfahrungen aus der MfS-Liquidierung auf die verbliebenen, von offizieller Seite wiederum ernsthaft als demokratisch eingestuften Geheimdienste in einer „Freunde der Polizei“ genannten Arbeitsgruppe anzuwenden. Der Senat wollte uns auch vereinnahmen, stieß aber auf unseren Widerstand, da nichts Gutes zu erahnen war, was sich im weiteren Geschehen bewahrheiten sollte. Wir hatten zwei Projekte angeschoben, eines lag in der Offenlegung merkwürdiger Vorgänge in der Treuhand über bestimmte Informationsquellen. Des Senats tatsächliche Absicht war, diese Quellen ausfindig zu machen und auszuschalten. Das andere Projekt bestand in der Aufklärung von jahrelanger systematischer Zusammenarbeit von Geheimdiensten beider Seiten unter Einbeziehung kirchlicher Kreise im illegalen Waffenhandel. Diese Gefahr wurde ziemlich brachial beseitigt. Aus dieser Sicht ist doch meine Skepsis verständlich oder nicht? Es sollen die Verdienste von H&G nicht bestritten werden, aber diese werden durch das brave, geförderte MfS-Bearbeiten m. E. stark geschmälert, es hätte mehr aufgedeckt werden können, hätte aber das verdammte Schwarz-Weiß-Bild erheblich beschädigt. Knabe & Co. haben dies bisher verhindert.
      Noch ein Wort an Herrn Kern, damals habe ich meine Schwarz-Weiß-Brille abgesetzt, denn auf Seiten der ASOG-Gegner fanden sich CDU-sozialisierte ein, auf der Gegenseite SPD-Spitzen. Das Links-Rechts-Schema hat kaum noch Daseinsberechtigung und gehört wohl eher zum Manipulationsstück der Parteien.

      Weitere Äußerungen im Rahmen dieser sehr persönlich geführten Debatte werden wir direkt an die Diskutanten weiterleiten, aber nicht mehr ins Forum stellen.

      Die Redaktion

  195. Th. Kern sagt:

    Ich kann mir nicht helfen, aber die Debatte hier regt mich in einigen ihrer Teile zu einer Tucholsky-Adaption an, die da lautet: Nichts verächtlicher, als wenn Linke Linke Linke nennen. Undzwar natürlich jeweils wahre Linke, darunter machts ja auf dieser politischen Flanke selten jemand.
    Thorsten Kern

  196. Stephan Wohanka sagt:

    Der Tenor der Beiträge nicht nur im „Blättchen“: Der Westen – EU und NATO – habe in der Kontroverse um die Ukraine kaum Rücksicht auf Russland genommen. Wirklich?
    Da die EU nicht alle osteuropäischen Länder aufnehmen kann und will, wurde 2004 die Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) entwickelt. Strategisches Ziel der ENP sei es, einen „Ring stabiler, befreundeter Staaten“ um die EU zu ziehen. Dabei „sollte die Finalität der ENP (Perspektive der EU-Mitgliedschaft) einstweilen offen bleiben“. Gleiches trifft auch auf das 2009 innerhalb der ENP ins Leben gerufene Projekt Östliche Partnerschaft zu, deren Ziel die Heranführung der sechs zum Teil benachbarten Länder Armenien, Aserbeidschan, Belarus, Georgien, der Republik Moldau und der Ukraine an die EU ist.
    Russland hatte diesen Vorhaben gegenüber eine ambivalente Haltung, wollte nicht Juniorpartner sein und nicht mit den genannten Ländern in einen Topf geworfen werden. Im Mai 2003 haben Russland und die EU daher auf einem Gipfeltreffen vereinbart, ihre Zusammenarbeit gesondert im Rahmen „vier gemeinsamer Räume“ Wirtschaft; Sicherheit und Justiz; äußere Sicherheit; Forschung und Bildung zu vertiefen. Im Juli 2008 fanden dazu erste Verhandlungen statt, die der Georgien-Krieg im August 2008 erst einmal stoppte. Trotzdem finden zweimal jährlich Gipfeltreffen statt, zuletzt im Januar 2014. Diese Gespräche führten zu neue Initiativen, so 2010 zur Modernisierungspartnerschaft, zur Kooperation bei Projekten in Wirtschaft und Infrastruktur, aber auch in rechtsstaatlichen, politischen und zivilgesellschaftlichen Fragen. Seit Juni 2007 ist zwischen der EU und Russland ein „Visumerleichterungsabkommen“ in Kraft. Ende 2011 vereinbarten beide Seiten langfristig die gegenseitige Visumfreiheit. Fazit: Die EU hat sich um Russland bemüht!
    Offenbar sitzt der Phantomschmerz über ein verlorenes Land nach Zerfall der Sowjetunion noch tief. Die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) konnte das Vakuum nie richtig füllen. Putin begann daher, das Projekt Eurasische Union (EaU) zu favorisieren. Die EaU soll über die Integration der früheren Sowjetrepubliken wirtschaftlichen Aufschwung, größeren Einfluss und ein neues Selbstbewusstsein bringen; ohne eine Rückkehr zur Sowjetunion, betont Putin.
    Erste Schritte wurde mit der Dreier-Zollunion zwischen Russland, Weißrussland und Kasachstan 2010 getan, was den trilateralen Handel in einem Jahr um über 50 Prozent steigerte. Im November 2011 wurde der nächste Schritt fixiert: Der Eurasische Wirtschaftsraum soll bis 2015 einen freier Personen- und Warenverkehr, Kapitalfluss und Austausch von Dienstleistungen in einem Markt von 165 Millionen Menschen verwirklichen.
    Lange Zeit versuchte Putin erfolglos, die Ukraine in die Planungen zur EaU einzubeziehen. Im August 2013 beantragte die Ukraine dann doch einen Beobachterstatus in der EaU. Unter Janukowitsch wollte die Ukraine im November 2013 auch ein Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnen, was von Beobachtern als endgültige Abwendung von der EaU gewertet wurde.
    Das Assoziierungsabkommen wurde aufgrund politischer Differenzen zwischen der Ukraine und der EU und des Einflusses von Russland im November 2013 ausgesetzt. Außerdem kündigte die Kiewer Regierung an, die wirtschaftliche Kooperation mit Russland zu intensivieren. Diese Mitteilung führten dann zu allgemein bekannten und beklagten respektive gefeierten Resultaten… Fazit: Nur der EU Versäumnisse in der causa vorzuwerfen, ist einseitig.
    Zur NATO: Die USA und Deutschland versprachen 1990 nicht Russland, sondern der Sowjetunion als Garantiemacht des Warschauer Vertrages, die NATO nicht weiter gen Osten auszudehnen. Die Geschichte nahm Fahrt auf – dieser Vertrag wurde im Juli 1991, auf Veranlassung seiner Signatarstaaten, voran der UdSSR, aufgelöst, die zeitgleich ebenfalls aufhörte zu existieren. Die Unionsrepubliken nahmen ihr verfassungsmäßiges Recht zum Austritt aus der Union wahr; bezüglich der baltischen Staaten führte das zu schweren Konflikten mit Moskau (Wirtschaftsblockaden, Militäreinsätze). Letztlich wurde auch diese Staaten souverän und konnten entscheiden, ob sie der NATO und der EU angehören wollen. Wer wollte ihnen das verdenken, nach den noch frischen traumatischen Lektionen? Es hat etwas Imperiales, diese Länder weiterhin der „Einflusssphäre Moskaus“ zuordnen zu wollen!
    2002 wurde der NATO-Russland-Rat gegründet, der der Verbesserung der Zusammenarbeit in Fragen der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik dient.
    Den „Westen“ allein oder vorrangig für das verantwortlich zu machen, was um die und in der Ukraine geschah, greift zu kurz !

  197. Jürgen Scherer sagt:

    Zur Auseinandersetzung Weinholz/Crome:
    Bei allem Verständnis für Ihre Argumentation, Herr Weinholz, Sie lassen den geopolitischen Aspekt der Krimkriserei zu sehr aus den Augen. Die USA vertreten doch innerhalb der Nato einen ganz aggressiven Standpunkt. Diesem scheint sich Europa unter Führung (!) Deutschlands endlich anschließen zu wollen. Wie anders wäre sonst das Handeln der Berliner „AmDeutschenWesenSollMaliederDieWeltGenesenRegierung“zu interpretieren. Wenn schon reklamiert wird, Deutschland in des Kontinents Mitte habe eine besondere Verantwortung, dann doch bitte eine friedenserhaltende. Genau die verfolgt aber diese Neue D nicht. Im Gegenteil! Wenn der alte Rechtsgrundsatz gilt „Pacta sunt servanda“, dann hat das friedensnobelgeehrte Europa genau das Gegenteil getan. Wass soll denn ein ständig weiter eingekreist werdendes Land tun, wenn nicht einmal seine Minimalinteressen berücksichtigt werden. Russland ist doch keine „Bananenrepublik“! Damit billige ich nicht Putins Politik, aber ich kann sie nachvollziehen. Der große, ebenfalls friedensnonelpreisgesegnete Obama, zeigt doch, wo er Russland haben will: in der Regionalliga. Das wird aber nicht gehen, denn da gibt es ja noch die Achse Russland-China, die ganz schnell wieder belebt werden kann. Wer Frieden auf unserem Kontinent bewahreb will, darf den anderen nicht in die Ecke stellen sonst greift er zum Befreiungsschlag.

  198. Erhard Weinholz sagt:

    Betr.: Erhard Crome, Pokerface oder Schach?; Das Blättchen, Nr. 6/2014

    In den Jahren 2001 bis 2007 war ich Mitglied der Redaktion von Horch und Guck, einer Zeitschrift, deren Hauptthema die Geschichte von Opposition und Repression in der DDR ist. Mehrmals bekamen wir Leserbriefe etwa folgender Art: Ihr haut immer auf die DDR ein. Aber der Westen hat doch auch… Stimmt. Aber einmal abgesehen davon, dass unser Thema eben der Osten war: Die DDR wird nicht besser dadurch, dass der Westen Dreck am Stecken hat, und umgekehrt. Denn Anspruch auf die Bürger- und Menschenrechten hat jeder gleichermaßen. Dieser Gedanken sollte auch die sozialistischen Linken leiten, wenn es ihnen um Emanzipation geht. Eine solche Linke hat keinen Favoriten, dem sie unter Verweis auf die Schweinereien der Gegenseite dies und das durchgehen lässt. Das gilt auch auf internationaler Ebene: Die Besetzung Grenadas durch die USA lässt sich nicht rechtfertigen durch den sowjetischen Einmarsch in Prag im Jahre 1968 und dieser wiederum nicht durch das Vorgehen der USA gegen Guatemala im Jahre 1954.
    Doch genau so verfährt Erhard Crome im o. g. Text: Zwar habe Russland 1994 die territoriale Integrität der Ukraine anerkannt, aber der Westen habe viele Zusagen seit dem Ende des Kalten Krieges auch nicht eingehalten. Jüngstes Beispiel: die „Unterschrift der Außenminister Deutschlands, Frankreichs und Polens unter die Vereinbarung in Kiew zwischen der Janukowitsch-Regierung und der damaligen Opposition…, die bereits Stunden später…“ Doch dass die Vereinbarung vom 21. Februar nicht umgesetzt wurde, lag ja wohl nicht an den EU-Vertretern, sondern den Kräften auf der Straße. Es sei denn, man meint… – nun, darauf komme ich später.
    Das eigentliche Problem aber ist: Weshalb favorisiert Crome Putin, entschuldigt dessen Handeln, nicht das der EU? Putin ist ein Gegenspieler des Westen! Stimmt. Aber das ist noch kein Wert an sich. Kapitalistisch sind die Wirtschaftssysteme da wie dort, das also kann nicht den Ausschlag gegeben haben. Bleibt der Unterschied in den politischen Verhältnissen: Crome steht, so scheint es, der russische Obrigkeitsstaat näher als das politische System des Westens.
    In dieser Vermutung bestärkt mich ein anderer Satz in seinem Text (gut wäre es, wenn er die Quelle nachreichen könnte): „Die USA haben sich die Herbeiführung der Situation dortzulande bisher fünf Milliarden Dollar kosten lassen.“ Das ist ein geradezu klassisches Denkmuster der Freunde des Obrigkeitsstaates: 1848 ließen sich die braven Berliner, wie ich in Memoiren preußischer Generäle las, von Juden, Sachsen und Franzosen aufwiegeln, einer will auch gesehen haben, wie Francs über den Tisch gereicht wurden; die Revolution von 1918 war ein Werk bolschewistischer Emissäre und der Aufstand vom Juni 1953 das von Westberliner Achtgroschenjungen und des RIAS. Das Skurrilste in der Hinsicht fand ich 1989 in der Märkischen Volksstimme: Neben Einheimischen seien in Potsdam auch Schweriner, Hallenser und Magdeburger an der (sehr kleinen ersten) Demonstration vom 7. Oktober beteiligt gewesen! Die Drahtzieher, hieß es weiter, saßen (natürlich) im Westen.
    Da kann Erhard Crome, wenn es um die Ukraine geht, nahtlos anknüpfen. Wahrscheinlich gehört auch er zu jenen, denen bei der Frage, was wir im Osten dem Westen voraus haben, keinesfalls die Erfahrung einer halbwegs gelungenen demokratischen Revolution in den Sinn käme. Immerhin müsste diese Zeit ihn gelehrt haben, dass Protestbewegungen solchen Ausmaßes stets die Antwort auf gravierende Mängel der bestehenden Ordnung sind. Das ist in der Ukraine nicht anders, trotz aller Einflussnahmen von außen (die es ja auch hierzulande damals gegeben hat). Doch von den Verhältnissen dort ist bei Crome – wie auch in anderen Blättchen-Texten zum Thema – ebenso wenig die Rede wie von den – zweifellos mit manchen Illusionen verbundenen – Hoffnungen der Volksmassen, ihre Lage zu bessern und Rechte zu erlangen, die der Obrigkeitsstaat ihnen verweigert.

    • Erhard Crome sagt:

      Es kommt richtig, wie Herr Weinholz betont, auf das Thema an. Mein Thema ist, ob die Schlafwandler von 2014 uns in einen geopolitischen Konflikt bugsieren, bei dem am Ende der Eskalationsstufen ein mit Atomwaffen ausgetragener Weltkrieg steht. Dabei ist es im Endergebnis gleichgültig, ob es sich um „demokratische“ oder „autoritäre“ Atomraketen gehandelt hat.
      Die Aussage, ich favorisierte Putin, ist eine Unterstellung, die der Text auch bei böswilligster Interpretation nicht hergibt.
      Die Quelle für die fünf Milliarden US-Dollar, die die USA eingesetzt haben, ist Victoria Nuland, Undersecretary of State für Europa und Eurasien. Sie findet sich unter: http://www.youtube.com/watch?v=U2fYcHLouXY.

    • Werner Richter sagt:

      Ich fürchte, Herr Weinholz, Sie haben ein unbemerktes Problem, ich nenne das mal Horch&Guck-Syndrom. Zurecht angetreten, zurückliegende Geheimdienstoperationen näher zu beleuchten, blieben Sie beim MfS hängen, ausschließlich starr darauf blickend und so mit der Bundesbehörde für politische „Aufklärung“ in Gleichschritt zu geraten, die das brutal ausnutzt. Der Sündenfall passierte mit der Annahme des Finanzierungsangebotes. Seit dem, bei aller redaktioneller Freiheit, wird die Zeitschrift als Hilfsmittel für die propagandistische Eroberung der Osthirne für die Regierungssicht genutzt, genau wie die „Bürgerechtsabstammung“ einer Merkel und des lieben Herrn Gauck. Deren Vergangenheit hat doch H&G nicht auf der Platte, obwohl dringend geboten und besonders prädestiniert. Warum wohl? War doch eigenartig, daß nach Auffliegen der „Stasigründung“ Demokratischer Aufbruch alle Spitzenleute wegflogen, nur Merkel blieb unbeschädigt übrig, oder daß vor der Installation des völlig unakzeptierten Gauck ein wahres Verleumdungsfeuerwerk organisiert (?) wurde gegen den bis dahin bereits designierten Kandidaten Werner Fischer, das sich als blanker Unsinn erwies, Fischer aber nah dem Wahnsinn trieb. Sind das auch (nachträgliche) Stasigerüchte? Ihr Beitrag hat mir etwas zuviel an Alleinvertretungsanspruch zur Wahrheit. Die ist viel komplizierter als mit analogen Zusammenhängen erklärbar, wozu unbedingt die Seite, die Herr Crome streift, zuzurechnen ist. Denken Sie an die Worte A. Rahrs: Die Geschichte des Maidan ist noch nicht geschrieben; das trifft auf die Ereignisse in der Ukraine insgesamt zu. Umgekehrt kommt man der Wahrheit näher, nämlich mit der Einbeziehung aller, auch konspirativ handelnden Kräfte, nicht durch deren Nichtbeachtung.

  199. Jan Meier sagt:

    zum Artikel/Hans J. Gießmann

    ‚Klar ist: Das Verhalten Russlands in der Krimkrise ist weder politisch noch völkerrechtlich gutzuheißen.‘ Das ist mir eigentlich gar nicht klar. Der Westen, im engeren Sinn USA und Deutschland, haben sich massiv in die inneren Angelegenheiten der Ukraine eingemischt. Der damals amtierende Aussenminister Westerwelle zB hatte in Kiew lautstark mitdemonstriert. Man stelle sich umgekehrt mal vor: Aussenminister Lawrow demonstriert vor dem Roten Rathaus in Berlin zusammen mit dem schwarzen Block, Attac und der KPD-ML gegen die CDU_Kanzlerin. Aus jedem Land, aus dem sich Russland bisher militärisch zurückgezogen hatte, ist die Nato bzw US-Armee nachgerückt. Hat irgendjemand geglaubt, Russland würde ‚immer nur lächelnd‘ nun auch noch abnicken, daß die Nato auf die Krim nachrückt, etwa per Notaufnahme (Vorschlag von A. Merkel)? Es geht um die Geostrategie der USA, Westeuropa in die Konfrontation mit Russland zu treiben, egal, ob dort Stalin, Jelzin, Putin oder Jesus Christus herrschen würde. Es geht um Öl, Gas, Weizen und Maaaaacht. Dass in Kiew Nazis mitregieren und der von den ukrainischen Milliarden ausgeplünderte Staat pleite ist – all das spielt keine Rolle.
    Bitte: Die moralisierende Keule weglegen und ‚Brzezinski, Zbigniew – Die einzige Weltmacht‘ lesen!

    • Erhard Weinholz sagt:

      Neben Lawrow usw. hätten da sicherlich auch Korff, Literat und Birgitta Nyborg mitdemonstriert. Doch unsere Kanzlerin, gewitzt, wie sie ist, hätte ihnen nicht etwa blaue Bohnen spendiert, sondern einen Kaffee und Lawrow obendrein ein Bundesverdienstkreuz besserer Sorte. Denn sie weiß ja: Gefährlich werden können ihr solche Proteste nicht.

  200. Jan Meier sagt:

    Ukraine – Krim etc Pflichtlektüren:
    Brzezinski, Zbigniew – Die einzige Weltmacht.pdf
    Brzezinski, Zbigniew – The Grand Chessboard.pdf
    ebook download unter:
    http://gen.lib.rus.ec/search.php?req=grand+chessboard&open=0&view=simple&column=def
    Über die US-Söldnerfirma Blackwater-Academi – derzeit im Ostukraine-Einsatz
    Jeremy Scahill und vom Firmengründer Erik Prince persönlich diverse Bücher
    http://gen.lib.rus.ec/search.php?req=blackwater&open=0&view=simple&column=def
    Blackwater wurde an Monanto verkauft, und heißt jetzt Academi:
    http://www.voltairenet.org/article179611.html
    und hat immer noch seinen Hauptsitz im Schurkenstaat USA.

    • Helge Jürgs sagt:

      Diesen Literaturangaben wäre m.E. unbedingt noch Scholl-Latours „Rußland im Zangengriff“ hinzuzufügen, und darin speziell das Kapitel über die Ukraine (2006 verfasst!) zu empfehlen.
      H.J.