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3.266 Beiträge im Forum

  1. Georg Rammer sagt:

    Verachtung fürs Volk

    Angenommen, die Bevölkerung eines Landes erhält nach und nach Kenntnis über Geheimverhandlungen: Mit aller Macht und undemokratischen Tricks will die Regierung zusammen mit der Exekutive eines Wirtschaftsverbundes („Kommission“) international agierenden Konzernen das Recht verschaffen, gegen Regierungen zu klagen, wenn diese Gesetze zum Wohl der Bürgerinnen und Bürger erlassen. Wie groß wäre die Glaubwürdigkeit dieser Regierung? Verdient sie das Vertrauen der Menschen?

    Die erwähnte Kommission vertritt 28 Länder mit dem Anspruch „wettbewerbsfähigster Wirtschaftsraum der Welt“. Gesetzt den Fall, sie will einen „Rat für Regulierungsfragen“ schaffen, in dem geplante Gesetze und Regelungen Großkonzernen zur Stellungnahme vorgelegt werden müssen – bevor Parlamente davon überhaupt nur erfahren. Spräche die Ausschaltung gewählter Vertretungen nicht jeglichem demokratischen Anspruch Hohn?

    Nehmen wir an, diese supranationale Kommission und die Bundesregierung kämen zu der Einschätzung, ein Vertragswerk mit den genannten Inhalten würde vom Volk mehrheitlich abgelehnt. Das wollen sie zugunsten der höherwertigen Interessen der Großkonzerne unbedingt vermieden. Also planen sie die handstreichartige „vorläufige Anwendung“ der Verträge oder zumindest ihrer wichtigsten Teile ohne jede Mitwirkung der Volksvertretungen. Denn sie wissen, dass eine parlamentarische Korrektur Jahre dauern würde; bis dahin könnten aber mit Sicherheit unwiderrufliche Fakten geschaffen werden.

    Ließe die EU-Kommission und die Bundesregierung die Bevölkerung tatsächlich über die genannten „Essentials“ dieser Verträge abstimmen – die Rede ist natürlich von den „Freihandelsverträgen“ CETA, TTIP und TiSA – wäre das Ergebnis abzusehen, das Ziel der Akteure verfehlt. Um „demokratische Risiken“ auszuschalten, ergreifen EU-Kommission und Bundesregierung die demokratiefendlichen Maßnahmen: Geheimverhandlungen, Investitionsgerichte, Regulierungsräte, vorläufige Anwendung, Ausschaltung der Parlamente. Die exekutiven Gewalten muten der Bevölkerung nicht nur die Entrechtung gewählter Vertretungen zu, sie bürden ihr auch noch die zu erwartenden Milliarden-Kosten der Konzernklagen auf. Aber das Volk wird unruhig, es gibt Proteste, Gutachten zur Verfassungswidrigkeit und ablehnende Initiativen großer Körperschaften. Sie kritisieren heftig die Mobilisierung des ganzen Machtapparates für die totalitäre Durchsetzung der Profitinteressen von Konzernen.

    In dieser Auseinandersetzung um einen zentralen Konflikt unserer Zeit, im „Klassenkampf Reich gegen Arm“ (Multimilliardär Warren Buffet), ist die Loyalität der herrschenden Elite klar auf der Seite der Konzerne und Investoren, während Konflikte mit Verlierern und Entrechteten weltweit wachsen. Sigmar Gabriel, SPD-Vorsitzender und Wirtschaftsminister handelt anders als er redet und äußert sich – im geschlossenen Kreis der Machtelite – verächtlich über das Volk („reich und hysterisch“). Bundeskanzlerin Angela Merkel beschreibt als das Prinzip des Regierens, „große Entscheidungen gegen die Mehrheit“ der Bevölkerung durchzusetzen (Rede bei Allensbach, 3.3.2010). Genau danach soll verfahren werden. Beim G7- Gipfel in Japan hat sie einmal mehr betont, dass das TTIP- Abkommen zwischen der EU und den USA bis Ende des Jahres fertig verhandelt werden soll.

    Die entscheidende Frage ist, warum – und wie lang – sich die Bevölkerung all das gefallen lässt. Immerhin gibt es gewichtige Indizien dafür, dass die Sieger in diesem Klassenkampf dabei sind, „diese Ordnung zu beseitigen“ (vgl. Art. 20 (4) GG).

  2. Rudolph Caracciola sagt:

    Stichwort – TTIP: Wer DIE ANSTALT zu diesem Thema am vergangenen Dienstag verpasst hat, sollte sie sich unbedingt hier:
    http://www.zdf.de/ZDFmediathek#/beitrag/video/2739330/%22Die-Anstalt%22-vom-24-Mai-2016
    zu Gemüte führen!

    Für ältere Semester: Für diese geballte Ladung fällt mir als Messlatte eigentlich nur Dieter Hildebrandts legendärer SCHEIBENWISCHER über den Rhein-Main-Donau-Kanal von 1982 ein. Und DIE ANSTALT muss den Vergleich nicht scheuen!
    Zu empfehlen ist auch der Faktencheck zur ANSTALT, downzuloaden hier:
    http://www.zdf.de/die-anstalt/fakten-im-check-der-anstalt-43695638.html

    Darin findet sich ein weiteres Bonbon: Die Macher der ANSTALT verweisen darauf, dass Sie das sprachliche Strickmuster des Eingangsstatements ihrer Sendung bei Loriot gemaust haben –
    https://www.youtube.com/watch?v=ZygK3yvUee4

  3. Werner Richter sagt:

    Zu Neofeudalismus oder Finanzkapitalismus? von Ulrich Busch
    Wenn das von Ulrich Busch Beschriebene tatsächlich die Quintessenz des Wagenknechtschen Buches ist und in der „Linken“ keine anderen Positionen mehr prominent vertreten sind, kann man der „Linken“ nur gratulieren. Sie hat eine weitere Bürde revolutionärer Altlast abgelegt und steuert auf dem Weg ihrer Vorgänger SPD, USPD und KPD zur allgemeinen Zufriedenheit. Endlich wird ein kleiner Schritt der publizistischen Abkehr zu einem großen der Anerkennung ihrer Politikfähigkeit im Establishment. Die Posten rücken näher. Vielleicht kennt S.W. den sächsischen Witz, wonach sich ein Schüler zur anstehenden Prüfung in Biologie, speziell zu den Würmern, vorbereitet hatte und überraschend in Geographie Afrikas antreten mußte. Er löste den Widerspruch mit folgender (sächsischer) Einleitung: In Afrika ist es wärmer. Es gibt Spulwärmer, Ringelwärmer, Fadenwärmer… Und siehe, eine neue Reformistin wurde geboren! Und wie einfach das geht, man braucht nur eine passende Gesellschaftsdefinition finden. Paßt schon.
    Bezüglich des „Wirtschaftsfeudalismus“ jedoch kann man eine derartige Tendenz durchaus belegen, siehe TTIP, Lobbyismus u.a. besonders in der globalen Außerrechtstellung von Großunternehmen. Allerdings würde ich dies nur im Sinne der Hobsbawmschen Definitionen konstatieren, eine Tendenz unter vielen, mit unklarem Ausgang, nicht als schon bestehende Grundordnung.
    Die Ideen zur Verbesserung des Systems etwa durch eine andere Geldordnung und weitere Gespinste kann man getrost beiseitelegen. Sie sind hohl, wenn sie nicht auf der Analyse der grundlegenden Gesetze des Kapitalismus aufgebaut sind und somit nicht als temporäre Etappen zur Vorbereitung der Lösung des Grundwiderspruches gesehen werden. Ansonsten kann man nur darauf verweisen, daß viele bereits vor ihr denselben Weg gegangen sind, der Neuheits(gebrauchs)wert dieser Gedanken ist gering. Entgegen aller Hoffnung hat auch S.W. die Grundzusammenhänge des Kapitalismus und der Warenproduktion überhaupt nicht begriffen. Sie sieht die Entwicklung des Finanzkapitalismus als Geschwür, nicht als vollkommen logische systemische Konsequenz des autonom wirkenden Wertgesetzes. Sie will ein quasi Naturgesetz zügeln. Viel Spaß dabei.

  4. Kommentar zum Beitrag von Bernhard Romeike:

    Die konfrontative und vom Ton her gewollt provokante Kommentierung der diesjährigen Feier zum „Tag des Sieges“ in Moskau hat auch 2016 im ÖRF die Oberhand gewonnen. Beunruhigend ist dabei vor allem, dass offen geschichtsrevisionistische Töne anklingen, denen gemäß die damalige Sowjetunion als „mitschuldiger Verursacher“ des 2. Weltkrieg zu erachten sei, deren russischer Nachfolgestaat jedoch anders als das transatlantisch geläuterte Deutschland keinen entsprechenden Wandel vollzogen hätte, weshalb er noch immer so gefährlich sei wie die einstigen Kriegsverursacher. Das ist nicht nur – was tödlich=erschreckend genug ist – offenes Kriegsgerassel gegen Russland, sondern dieses erfolgt auch zusätzlich unter der revisionistischen Abkehr von der Sicht des Nürnberger Gerichtshofs, dass die beispiellosen Kriegsverbrechen Nazi-Deutschlands nur im Kontext des mörderischen Vernichtungskrieges gegen die „jüdisch-bolschewistische“ Sowjetunion zu begreifen sind. Dass die 27,5 Millionen sowjetischen Toten in diesem Krieg, vor allem die 10 Millionen Zivilisten unter ihnen, nicht nur der Dynamik eines aggressiven Angriffskriegs geschuldet, sondern Folge des ideologischen Kernbestands der rassistischen Vernichtungsideologie des Nazismus sind, wird schlichtweg in der revanchistischen Propagandaschlacht aus dem öffentlichen Bewusstsein verbannt.

    Das alleine lässt einem das Blut in den Adern gefrieren: Was für eine Politik hat eigentlich in diesem Land die Oberhand gewonnen? Wann hat dieser manische Versuch der Beseitigung eines bundesdeutschen Konsensus in den bestimmenden Eliten dieses Landes derart Herrschaft über unsere Medien erhalten? Denn in den öffentlich-rechtlichen Interpretationen des russischen Gedenkens an diese für das Land traumatische Katastrophe gibt es weder Gegen- noch Nebenstimmen. Wollen sie also einen neuen Krieg?

    Gegen ein besonders schlimmes Beispiel im SWR 2 habe ich übrigens eine historisch detailliert begründende Programmbeschwerde verfasst, die auf den Seiten der Ständigen Publikumskonferenz veröffentliche wurde.
    https://publikumskonferenz.de/blog/2016/05/21/1410/

    Die innenpolitisch analoge Hexenjagd gegen Vertreter jeder Friedenspolitik ist die logische Begleiterscheinung dieser Entwicklung. Die hegemonialen Medienwächter des Transatlantismus, inzwzschen die einzigen, die noch eine nennenswerte Stimme erhalten, tun so, als ob ein klares Auftreten gegen die erneute militaristische, politische und wirtschaftliche Konfrontationspolitik gegen Russland, mit aller Kriegsgefahr, die dies impliziert, eine Apologie nicht nur der russischen Regierung, sondern vor allem der transatlantischen Lesart ihrer Politik sei.

    Dabei tun nicht nur die Alpha-Journalisten, sondern auch Justizminister Maas so, als sei die Forderung nach der Rückkehr zu einer auf Völkerverständigung, Friedenserhalt und Kooperation mit Russland beruhenden Politik ein Verstoß gegen das Grundgesetz. Woher sie das aber ableiten, ist völlig unklar. Vielmehr werden Friedensvertreter einfach als Staatsfeinde diffamiert. Aber auf welcher Grundlage denn? Denn die grundgesetzliche Forderung an die deutsche Außenpolitik sieht ganz anders aus. In Artikel 26 (1) GG heißt es:

    „Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.“

    Da Herr Maas mehrfach in Zeitungsinterview von sich gegeben hat, der Verfassungsschutz würde „pro-russische“ Stellungnahmen im Netz „beobachten“, habe ich ihm zweimal geschrieben, ich wolle wissen, ob er darunter auch solche verstehe, die eine Orientierung der Politik gegenüber Russland im Sinne des Artikels 26 (1) einforderten. Eine Antwort habe ich nicht erhalten.

    Wann und wer hat die Ermächtigung zu einer solchen Politik bewirkt? Wo kommt diese totalitäre Repression her? Ich habe Angst.

  5. Wolfgang Brauer sagt:

    Lieber Christian Peter,
    Ihren Text über Johannes R. Becher habe ich mit großem Interesse gelesen. Ich meine auch, es wird Zeit, den Dichter wieder aus der literarischen Rumpelkammer zu holen, in die er in den 1990ern nach kurzer „Aufarbeitung“ geschoben wurde. Ihr Schlusssatz stimmt allerdings überhaupt nicht. Ich zweifele an, dass das Singen eines Nationalhymnen-Textes geeignet ist, „nachfolgenden Generationen“ ein dichterisches Werk wie auch immer zu übermitteln. Und ich muss Sie darauf aufmerksam machen, dass in den letzten beiden Jahrzehnten der DDR die Auseinandersetzung mit Bechers Werk „in seiner Dimension, Qualität und in kritischer Aneignung“ – wie Sie formulierten – mit einer Intensität erfolgte, wie wohl auch zu seinen Lebzeiten kaum. Befördert wurde dies vom Zentralen Arbeitskreis „Johannes R. Becher“ des Kulturbundes, der in den 32 Jahren seines Bestehens hunderte Veranstaltungen – bei weitem nicht nur für die intellektuellen Kreise heutiger literarischer Gesellschaften – durchführte, gut nachgefragte Publikationen initiierte und beachtenswerte wissenschaftliche Veranstaltungen realisierte. Von den in jenen Jahren durchaus anerkannten Wirkungspotenzialen des Becherschen Werkes zeugt die Tatsache, dass sich allein von 1975 bis 1989 mindestens 94 bildende Künstlerinnen und Künstler der DDR mit dem Dichter auseinandersetzten. Durchaus Leute von Rang und Namen. Der Kulturbund betrieb in Johannes R. Bechers „Traumgehäuse“ in Bad Saarow eine kleine Gedenkstätte, die sich eines regen Besucherzuspruches erfreute – und eines der ersten Literaturmuseen war, die nach 1989 dichtgemacht wurden. Einverstanden, die breite Nachwirkung wie Brecht hatte er nicht. Aber zu unterschätzen ist der Einfluss des Becherschen Werkes – und seines theoretischen Denkens! – überhaupt nicht. Im Gegenteil… „Die Wahrheit kommt mitunter leis, auf Taubenfüßen“, schrieb Johannes R. Becher in seinem „Tagebuch 1950“. Das trifft auch auf sein poetisches Werk zu.

    • Sehr geehrter Herr Wohanka,

      wenn Ihnen das Erscheinen eines Buches als „Coup“ erscheint, der sie so in Angst und Schrecken versetzt, dass Sie allein durch die Nennung des Verlags den Impuls zu verspüren meinen, Sie müssten eine postmoderne Analogie des mittelalterlichen Sich-Bekreuzigens durchführen und dazu Ihr „Gottseibeiuns“ flüstern; und wenn Sie zusätzlich davon ausgehen, dies sei heute die allgemein gesellschaftlich etablierte Form des Umgangs mit einer solchen Publikation, dann bestätigt dies die unheimliche Verengung und repressive Normierung des aktuellen öffentlichen Diskurses.

      Vielleicht ist es ein Privileg, in einer Zeit aufgewachsen zu sein, in der Lehrer und Hochschullehrer noch unter dem Einfluss ihrer 68er Studienjahre Schülerinnen und Schüler dazu ermunterten, an Lektüre niemals affirmativ, sondern grundsätzlich ideologiekritisch heranzugehen. So nervig manche sich in zähen Detailstreitereien verlierende kommunikative Textrezeption damals gewesen sein mag, so trug sie doch am Ende zu einem intellektuellen Selbstbewusstsein bei, dass dem neuen Untertanengeist des prekarisierten Zuarbeiter der golabisierten Bewusstseinsindustrie zu fehlen scheint.

      Anders ausgedrückt: Welche Motivationen der Kopp-Verlag oder irgendeine andere verlegerische Institution, deren Bezeichnung als „neurechts“ heute wohl die Funktion eines mittelalterlichen Bannes einzunehmen scheint, mit der Publikation eines Titels auch verbinden mögen, so fühlen sich Menschen meiner Generation – unheuerlicher Weise – der kritischen Rezeption intellektuell gewachsen. Wir haben keine Angst, dass potenziell „dunkle Absichten“ der Verleger sich, Dämonen gleich, des Verstandes der Rezipienten mystisch bemächtigen könnten.

      In meiner Studienzeit schafften wir es als Studierende erfolgreich, an unserer Uni die Etablierung von rechtspopulistischen Studentengruppen innerhalb der studentischen Interessenvertretung zu verhindern. Nach dem Vorbild der „Nouvelle Droite“ im Front National versuchte damals die deutsche Analogie der Neuen Rechte durch den „Ring Freiheitlicher Studenten“ eine Bastion für eine künftige akademische Elite nach ihrem Gusto aufzubauen. Sie strebten an, die linke Hegemonie im akademischen Bereich zu brechen. Um einen solchen Versuch zu konterkarieren, war die streitbare Auseinandersetzung mit den Positionen dieser Leute selbstverständlich. Ihr Vorbild war die „Nouvelle École“. Ich habe damals intensiv Alain de Benoists Publikationen, die in deutscher Übersetzung im braunen Verlag „Nation Europa“ erschienen, ebenso en Detail gelesen wie die Schriften von Armin Mohler, Konrad Lorenz und Ernst Jünger. Denn wie soll man auf eine politische Initiative von rechts parieren, wenn man das dahinter stehende Denken nicht durchdrungen hat?

      Sie aber zeichnen sogar – ganz im Sinne des neoliberalen Zeitgeists – um die Veröffentlichung einer Quelle von dessen hegemonialem Denkens, das von einem der wichtigsten strategischen Denker des globalisierten Brachialkapitalismus stammt, den Bannkreis des Tabus. Kritische Leser sollen also nicht nachprüfen können, welche strategischen Gedanken dessen Verfechter entwickelt haben, weil der Verleger hiermit möglicherweise eine Motivation verbunden haben könnte, die der etablierte Hegemonialdiskurs als „politisch unkorrekt“ ausweist? Was für ein Untertanendenken!

      Dass das aktuelle Erstarken rechtspopulistischer Parteien keine Lösung der Krise des globalisierten Kapitalismus und seiner „Unordnungs-“ und Hegemonialkriege bietet, erschließt sich jedem denkenden Menschen von selbst. Die AfD ist, deutlich erkennbar, eine neoliberale Protestpartei, hervorgebracht durch die Legitimationskrise neoliberaler Politik. Sie wird sich im Zweifelsfall prima zum Hegemonieerhalt jener Kräfte nutzen lassen, deren Treiben sie ihren Erfolg verdankt.

      Wer sich aber den Gegenstand kritischer Reflexion von just diesen Kräften diktieren lässt, hat die intellektuelle Kapitulation vor ihnen bereits vollzogen.

  6. Stephan Wohanka sagt:

    Zu Erhard Crome: USA, anders gedacht
    Ist ein Buch, das im Kopp-Verlag („Bücher, die Ihnen die Augen öffnen“) erscheint, wohl erscheinen muss, wirklich eine so dolle Quelle, um die USA „anders zu denken“? Ich habe da meine Zweifel…

    • Erhard Crome sagt:

      Werter Herr Wohanka,
      Sie bestätigen sehr schön: Wer die „politische Korrektheit“ hat, braucht keine Zensurbehörde.
      Nach Ihrer Sichtweise war demzufolge das Buch von Zbigniew Brzezinski: „Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft“ als es im S. Fischer Verlag vor fast zwanzig Jahren erschien eine „dolle“, sprich: politisch korrekte Quelle und jetzt, da es im Kopp-Verlag auf Deutsch neu erschien, eine nicht „so dolle“, also politisch inkorrekte Quelle. Es ist aber immer noch dasselbe Buch! Und da beschwert sich manch einer über die geistige Enge, die in der DDR geherrscht habe.
      Frohes Kommentieren weiterhin!

    • Stephan Wohanka sagt:

      Lieber Herr Crome,
      sind Sie wirklich so blauäugig? Natürlich wird der Kopp-Verlag, wenn er ein Buch herausgibt, es nicht verfälschen. Die Frage ist doch vielmehr die: Warum gibt er es heraus? Wenn es um Zbigniew Brzezińskis Buch geht – was, da haben Sie recht, 1997 in 1. Auflage bei Fischer erschien und bis 2004 acht Auflagen erreichte, nota bene ebenfalls auf Deutsch, und 2004 auch als Taschenbuch publiziert wurde -, so ist dieses Buch also „am Markt“. Nur – das Klientel des Kopp-Verlages liest bis auf Ausnahmen wohl keine politischen Bücher aus dem Fischer Verlag. Will man also gewisse Inhalte seinen Kunden nahe bringen, müssen ebendiese Inhalte respektive die entsprechenden Bücher durch das „Kopp-Vertrauenssiegel“ sozusagen empfohlen sein. Um welche Inhalte geht es bei B.? Um es mit einem Satz eines Rezenten zu sagen: Ziel dieses Buches ist es, „im Hinblick auf Eurasien eine umfassende und in sich geschlossene Geostrategie zu entwerfen“. Die Stichworte „Eurasien“ und „Geostrategie“ genügen, um das „Vertrauenssiegel“ zu erklären…
      Was nun das von Ihnen rezensierte Buch angeht, so können Sie natürlich besprechen, was und welche Inhalte auch immer Sie für richtig halten. Nur: Offenbar – und belehren Sie mich eines Besseren, wenn ich irrte – ist Paul Craig Roberts´ Amerikas Krieg gegen die Welt in 1. Auflage 2015 bisher nur bei Kopp erscheinen; und meine Befürchtung – S. Fischer hätte das auch nicht publiziert! Herr Roberts hat seine Meriten, zweifellos. Und auch er kann natürlich sagen und schreiben, was er für richtig hält. In letzter Zeit aber – und das macht vielleicht gewisse Multiplikatoren hierzulande wie eben Verlage etwas zurückhaltender – nimmt Roberts´ politisches Urteilsvermögen spezifische Züge an. Kostproben: Der Abschuss des Fluges MH17 über der Ukraine sei ein Plan Washingtons gewesen, die Demokratiebewegung in Hong Kong sei eine von Washington gesteuerte fünfte Kolonne, auch die Straßenprotesten nach der Wiederwahl Ahmadinedschads im Iran wiesen Merkmale einer von der CIA orchestrierten Demonstration auf, ein Interview Roberts´vom Mai 2011 trägt den Titel: There Is Probably More Democracy In China Than There Is In The West. Bezüglich des Angriffs auf das World Trade Center steht R. denen nahe, die die Sache als große Verschwörung sehen usw. usf.
      Nochmals – all das kann man sagen und schreiben; man muss es aber nicht teilen. Dass es aber bestens ins Kopp-Programm passt, steht ebenso außer Frage. Und ebenso R.´ in Rede stehende Buch, dessen Anpreisung folgendermaßen beginnt: „Die Europäer müssen die NATO abschaffen, wenn die Welt und die Europäer selbst überleben wollen – mancher reibt sich angesichts dieser Aussage jetzt vielleicht verwundert die Augen, denn diese Erkenntnis stammt nicht etwa von einem Altlinken, sondern von Dr. Paul Craig Roberts, einem amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler, der einst als Staatssekretär für Wirtschaftspolitik im US-Finanzministerium unter Präsident Ronald Reagan diente“. Wenn das kein Coup ist…

    • Stephan Wohanka sagt:

      Liebe Frau Böttcher,
      als ich Ihren Text das erste Mal zu Gesicht kam, brach ich in herzliches Lachen aus. Es sind die Vokabeln, die Sie schon gleich im ersten Absatz verwenden, die das bewirkten – Sie machen Ihrer an die 68ziger angelehnte Sozialisierung alle Ehre. Um das dann gleich abzuhandeln – ich hatte als DDR-Bürger nicht das „Privileg, in einer Zeit aufgewachsen zu sein, in der Lehrer und Hochschullehrer … Schülerinnen und Schüler dazu ermunterten, an Lektüre niemals affirmativ, sondern grundsätzlich ideologiekritisch heranzugehen“. Ich meine aber durchaus, auch über die DDR-Schulbildung und das anschließende Studium im damaligen sozialistischen Ausland „doch am Ende zu einem intellektuellen Selbstbewusstsein“ gelangt zu sein; ob dem Ihrigen gleichkommend, weiß ich natürlich nicht….
      Worum geht es eigentlich? Herr Crome hat Paul Craig Roberts: Amerikas Krieg gegen die Welt … und gegen seine eigenen Ideale im Blättchen besprochen; sein gutes Recht. Ich hatte den Einwand, dass diese Quelle für die Darstellung eines „anders gedachten“ (Crome) Amerikas nicht so „doll“ sei – was meinte, dass das Buch
      1. in einem publizistischen Umfeld erschienen ist, das nicht unbedingt für seriöse Wissenschaft bekannt ist. Mit seiner Mischung aus Rechtspopulismus, Kapitalismuskritik, Esoterik, Weltuntergang und Gesundheitstipps – und das alles in Tabubrecher-Attitüde – ist der herausgebende Kopp-Verlag so etwas wie der Pionier des aktuellen Gegenzeitgeists – eines Geists, der sich gegen eine vermeintliche Political Correctness der etablierten Medienlandschaft richtet, weil diese angeblich ständig irgendeine Wahrheit unterdrückt und
      2. als Sammlung von 44 „Essays“, wohl besser Zeitungsartikeln, durchaus diese Zweifel an Seriosität nährt, wenn man die Titel dieser Artikel Revue passieren lässt – als da z. B. wären: Verspürt die Welt eine Todessehnsucht? (3), Warnung an die Welt: Washington und seine Vasallen in EU und NATO sind wahnsinnig (7), Dem Weltuntergang entgegen (12), Unsere Zukunft ist der Untergang (20), Amerikas feigen und verabscheuungswürdigen Medienhuren (24), Putin sagte 2012 Mordanschlag unter falscher Flagge voraus (30), Durchgeknalltes Washington treibt die Welt in den ultimativen Krieg (31), Wahrheit ist unsere Heimat (33), Ein Holocaust im Nahen und Mittleren Osten (39) usw. Tobt sich da nicht ein frustrierter alter Mann aus?
      So werden Sie verstehen, dass ich nichts, aber auch gar nichts von Ihrer These halte, der Mann sei „einer der wichtigsten strategischen Denker des globalisierten Brachialkapitalismus“. Damit „kritische Leser den Bannkreis des Tabus“ zu brechen vermögen, hier dann noch zwei Quellen:
      http://www.kopp-verlag.de/Amerikas-Krieg-gegen-die-Welt.htm?websale8=kopp-verlag&pi=945000; http://www.pravda-tv.com/2015/07/amerikas-krieg-gegen-die-welt-und-gegen-seine-eigenen-ideale/.
      Zur Charakteristik des Ganzen noch zwei Hinweise: Auch der Osiris-Verlag („Ihr Tor zur Wahrheit“) vertreibt das Buch. Man findet es dort: >Sortiment – Bücher – Verschwörung – Titel des Buches von R.Anton Angerer „Das steht der Welt noch bevor“ Die Voraussagen vieler berühmter Seher: Der blinde Jüngling, Irlmaier, Fatima, La Salette, … (vorher in zwei Bänden erschienen „Reinigung der Erde“ und „Der dritte Weltkrieg“);
      Anton Angerer „Feuerrad Apokalypse“ der ganze Text: Voraussagen; 
      Paul Craig Roberts „Amerikas Krieg gegen die Welt: …und gegen seine eigenen Ideale“;
      Stein, Ruben „Der dritte Weltkrieg kommt! Die Prophezeiungen der Maria S.“<
      Die Buchhändler wissen offenbar genau, wo dieses Buch zu platzieren ist….

      Abschließend: Das war es dann auch, was ich zu der Sache zu sagen habe.

    • Erhard Crome sagt:

      Werter Herr Wohanka,
      Ihre neuerliche Einlassung ist leider nicht zum Lachen, eher zum Heulen. Einmal wie Sie die Ost-West-Differenz auszuspielen sich bemühen und zum anderen wegen der Art und Weise, wie sie mit der angeblichen geistigen Verknechtung des Ossis kokettieren, Um dann frohgemut und stolz jene staatstragende politische Korrektheit hochzuhalten, die ich Ihnen schon am 22. Mai konzediert hatte.
      Frau Merkel kann stolz auf Sie sein!

  7. Werner Richter sagt:

    Zu Marx und die Demokratie von Bernhard Mankwald
    Allein die Kategorie „Demokratie“ sagt gar nichts, nur ein Name für sehr unterschiedliche Verhältnisse. Was verstand Marx darunter, ist dies mit heutigem westlichen Demokratiemodell identisch? Und greift Schandl nicht gerade die Pervertierung des Begriffes an, nicht die Demokratie selbst? Lassen wir doch Schandl die Grandelei, jedenfalls fällt er so nicht auf das perverse „westliche Demokratiemodell“ herein.
    „Das Bürgertum ordnete sich zum größten Teil gerne der fortbestehenden feudal-militaristischen Hegemonie unter – eine Entwicklung, die auf ziemlich geradem Wege zur totalen militärischen wie moralischen Katastrophe von 1945 führte.“
    Es ist irrig, dem entstehenden wie dem heutigen Kapitalismus einen antagonistischen Gegensatz zum Feudalismus zuschreiben zu wollen. Das übersieht man in der Eile schnell. Die ursprüngliche Akkumulation des Kapitals war in England wie in Deutschland auf die Umwandlung des Feudalbesitzes in Kapital und damit des Feudaladels in Kapitaleigner angewiesen, der Feudalismus war eine Hauptwurzel des Kapitalismus und setzte sich in ihm aufgehoben auf höherer Stufe fort. So entstand die Urform kapitalistischer Produktionsverhältnisse, die bis heute nachvollziehbar ist. Ohne diesen Prozeß wäre der Kapitalismus nur schwer durchsetzbar geworden. Provokant gefragt: Ist nicht der französische Weg übers Schafott die Ausnahme? Obwohl, die Kapitalistenklasse in Frankreich ist ja auch ganz schön blaublütig besetzt. Und: auch die Diktatur Bonapartes ist eine Diktatur der Bourgeoisie gewesen.

    • „Ist nicht der französische Weg übers Schafott die Ausnahme?“ – Wohl kaum; man denke an den englischen König Charles I., dem von seinen Untertanen eben dieser Weg gewiesen wurde. Vorhergegangen war ein mehrjähriger Krieg, in dem die Fronten ziemlich genau zwischen Bürgertum und Adel verliefen. So sicherte das „Haus der Gemeinen“ seine bis heute andauernde Vorherrschaft, die allerdings mit allerhand feudalem Brimborium verbrämt ist. Man vergleiche damit das deutsche Bürgertum mit seinen Korpsstudenten und Reserveoffizieren, die das feudale Vorbild sklavisch nachahmten!

      Was hat der Kommentator dem „westlichen Demokratiemodell“ entgegenzusetzen? Das östliche hat sich jedenfalls nicht unbedingt als glaubwürdig erwiesen, und mit etwas „Grantelei“ wird sich daran nicht viel ändern lassen. Marx konnte beide Varianten noch nicht kennen, dafür stand er in der Tradition von Denkern wie Aristoteles und Rousseau – und im Gegensatz zu Hegel. Dazu stand auch schon mal ein etwas längerer Beitrag im „Blättchen“:
      http://das-blaettchen.de/2012/06/begegnungen-im-niemandsland-deutsch-russische-diskurse-ueber-demokratie-und-diktatur-13138.html .
      Ansonsten lese man den programmatischen Teil des „Manifests“ und die Passage über die verantwortlichen und jederzeit absetzbaren Vertreter der Commune im „Bürgerkrieg in Frankreich“, um sich ein Bild davon zu machen, wie Marx sich die Sache vorstellte. Die Herrschaft Louis Napoleon Bonapartes in ihrer schließlich etablierten Form hätte er wohl übrigens eher als „Despotismus“ bezeichnet.

  8. Werner Richter sagt:

    Zu einigen Aspekten Heerke Hummels Artikel „Sklaven von Google?“ in 10/2016
    „Aber gerade dieses „kapitalistische Projekt“ möchte die amerikanische Professorin für Betriebswirtschaftslehre für nochmals hundert Jahre gesichert sehen.“
    Das ist „Wirtschafts-/Gesellschaftsromantik“ pur, übertüncht, daß die neue Qualität der Kapitalherrschaftsformen, internationale außerhalb nationaler Rechtsformen (neofeudal), der quantitativen Anreicherung nicht zuletzt neoliberaler Systeme entspringt, also Ergebnis der Entwicklung, an deren Ursprung sie zurück rudern möchte. Vielleicht normal aus der Sicht der BWL, untauglich für Volkswirtschaften. Wer sich wundert und ärgert, daß jede gesellschaftliche Initiative unter kapitalistischen Bedingungen Gefahr läuft, ebenfalls kapitalisiert zu werden, dem ist nicht zu helfen.
    „Die Lösung müsste wohl heißen: Ersetzung des kapitalistischen Konkurrenzkampfes durch das Prinzip der gesellschaftlichen Solidarität, bestmögliche Versorgung aller durch Kooperation anstelle privater Gewinnmaximierung auf einem „wilden“ Markt als Ziel der Produktion.“
    Das Ziel ist wohl klar beschrieben, der Teufel steckt in der Tiefe. Rückwärtsorientierungen aller Art, Reformierung, Beschneidungen der „Auswüchse“, die eigentlich logisch-systemisches Ergebnis gerade der beklagten früheren Kapitalformen sind, „soziale“ bis „sozialistische“ Marktwirtschaften, bilden hier keine Lösungsansätze. Von Nöten sind völlig neue Beziehungen, die aus der Entwicklung der Produktivkräfte erwachsen, aus der Tiefe des Lebens der Menschen selbst, die nichtmarktwirtschaftliche, solidarische Kooperationen ermöglichen. Denn j e d e Marktwirtschaft gebiert früher oder später wieder, da Warenproduktion die Vermittlung des Austausches über Geld erfordert, das Konkurrenzsystem. Es gibt überall in der Welt sehr zaghafte Ansätze, zumeist (noch) aus Not geboren, einer anderen Produktionsweise, die vielleicht oder sogar ganz bestimmt im Winde des Kapitalismus austrocknen werden. Jedoch werden daraus neue Projekte sprießen, die diese Produktionsweise auf neuer Stufe weiterentwickeln lassen. Es lohnt sich, diese Beispiele vor Augen zu führen, sie sind sehr lehrreich. Das betrifft das Selbstverwaltungsprojekt des kurdischen Rojava, das die türkische Regierung vehement auch mit Unterstützung von EU, Nato und USA bekämpft, die griechische Bewegung „O Topos Mou“, „Cataluna Integral“ aus Barcelona, die sich ebenfalls den Zorn der regierungsamtlichen Kapitalverwalter zugezogen haben. Die katalanische Bewegung findet Unterstützung der Masch Hamburg, die für Ende dieses Jahres dazu eine Konferenz plant.

    • Werner Richter sagt:

      Nochmals zu Hummels „Sklaven“. „Das heutige Geld als Nachweis oder Ausweis eines geleisteten Beitrags an normaler gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit zur Schaffung des Reichtums der Gesellschaft einerseits und Ausdruck des Anspruchs auf entsprechende Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum andererseits ist zu einem gesellschaftlichen Instrument geworden.“ Dazu nur eine kurze Anmerkung. Auch die ständige Wiederholung der These macht sie nicht besser und näher an Marx kommt sie auch nicht. Hier ist schon genügend gesagt, siehe Marx zu Proudhon. Die These geht letztendlich davon aus, dass individuelle Arbeit zugleich und von Anfang an durchschnittliche gesellschaftlich notwendige Arbeit ist. Ist das unter Marktbedingungen überhaupt möglich? Geld wird so von der Warte der Verteilung her betrachtet, wie auch andere es tun, z.B. Piketty. Aber so erfasst man nicht das Wesen des Geldes.

  9. Stephan Wohanka sagt:

    Ich bitte um Entschuldigung; man sollte Dinge doch nicht in Eile, sondern in Ruhe tun – natürlich muss der Anfang des letzten Satzes lauten: Wieso versetze ich Wolfgang Brauer… usw.

  10. Stephan Wohanka sagt:

    Eingekeilt zwischen Wohnungsrenovierung und Reisevorbereitungen komme ich nicht dazu, ausführlicher zu schreiben, aber eine Passage Ihres Textes, Herr Richter, hat mich – ja elektrisiert; es bricht geradezu heraus aus Ihnen : „Es ist sehr wahrscheinlich, daß diese ´Konvertiten´ zu den Treibern der späteren Hexenjagden des Stalinismus wurden. Für mich waren die tschechischen Kommunisten im Weiteren gar keine richtigen. Erst später ging mir auf, daß dies auch auf alle Träger der ´sozialistischen´ Machtstrukturen zutraf, einer Clique, die sich kommunistisch nannte“. Namentlich über den letzten Satz sollte man nochmals reden…
    Und: Mein Text ist ausdrücklich kein Plädoyer für Mörder; auch Mörder aus politischen Motiven gehören vor ordentliche Gerichte! Die „Kontextualisierung“ habe ich nicht erfunden, sondern mein Anliegen ist es – wenn schon -, sie in alle politischen Richtungen wirksam zu machen, nicht mehr und nicht weniger. Wieso versetze Wolgang Brauer einen „Tiefschlag“, wenn ich seine Worte bzw. von ihm verwandte Worte anderer zitiere? Erschließt sich mir nicht.

  11. Frank-Rainer schurich sagt:

    Zum Artikel Die Todesschüsse von Uckro gab es viele spontane Rückmeldungen. Eine Deutschlehrerin schrieb mir: „Ich bin ja wirklich entsetzt, was alles als heroischer Freiheitskampf glorifiziert werden kann.“ Und ein ehemaliger Kriminalbeamter meinte: „Es gibt nichts, was es nicht gibt, wenn es ins politische Kalkül passt.“
    Ja, so ist es.
    Die Bemerkungen von Stephan Wohanka zu den Morden der Mašin-Bande gehen da schon in eine etwas andere Richtung. Ein Plädoyer für Mörder?
    Natürlich, man hat in einem kurzen Beitrag fast immer etwas vergessen, was andere eben als wichtig einstufen. Aus den Akten hätte ich noch Beschreibungen der Leichen einfügen können (bekanntlich gibt’s ja keine Fotos im Blättchen), z. B. die massiven Verletzungen am Hals des jungen Polizisten Jaroslav Honzátko, den Ctirad Mašin mit dem Fahrtenmesser massakrierte. Oder die Aussagen der Hinterbliebenen, z. B. von Stanislaw Rošický, dem Sohn des ermordeten Buchhalters. Oder die Tatsache, dass der jetzige Bundespräsident Gauck, damals der oberste MfS-Aktenverwalter, beim erwähnten Empfang in der tschechischen Bot-schaft ebenfalls anwesend war und Josef Mašin die Ehre gab.
    Dass Täter oft auch in anderen Zusammenhängen Opfer sind, manchmal auch ihrer Lebensverhältnisse, ist eine kriminologische Binsenweisheit. Für das Strafrecht und unser Rechtsempfinden spielt das aber zunächst keine Rolle, denn sonst gäbe es ja überhaupt keine Mörder mehr. Das wäre zwar für die Kriminalstatistik gut, geht aber völlig an der Gerechtigkeit vorbei.
    Bei der Strafzumessung kommt dann allerdings die Persönlichkeit des Täters wieder ins Spiel, was sich z. B. in einem milderen Urteil wider-spiegeln könnte. Aber darum ging es in dem Artikel nicht. Es waren Kriminelle, Mörder, die brutal und heimtückisch getötet haben, und sie hätten vom Rechtsstaat zur Verantwortung gezogen werden müssen. Punkt.
    Das mit der „Kontextualisierung“, diesem schönen Modewort, ist ohnehin kritisch zu sehen. Natürlich ist es immer richtig, Ereignisse in Zusammenhängen darzustellen, aber wenn damit relativiert und entschuldigt wird, geht die Sache grundsätzlich fehl.
    Mit der „Kontextualisierung“, dies sei noch angemerkt, können auch die die größten Verbrechen in ein edles Licht getaucht werden. Wie im vorliegenden Fall, wenn man ihn mit ein bisschen Antikommunismus würzt. Ja, aber, es waren doch Freiheitshelden, oder etwa nicht?
    Und George W. Bush, um ein ziemlich aktuelles Beispiel zu nennen, hat den Staat Irak buchstäblich zerstört, er ist verantwortlich für den Tod von über 4.000 amerikanischen Soldaten und darüber hinaus von mehr als 100.000 irakischen Opfern des Krieges, wie wir im Buch Anklage wegen Mordes gegen George W. Bush von Vincent Bugliosi lesen können. Aber, so die „Kontextualisierer“, er hat es ja für die Menschenrechte und Freiheit getan, so dass er selbstverständlich kein Mörder ist. Und richtig, kein amerikanisches Gericht und auch nicht der Internationale Strafgerichtshof haben je eine Anklage gegen ihn erhoben. In den richtigen Kontext gebracht wird sogar das Waterboarding eine rechtsstaatliche und geradezu demokratische Maßnahme der Aussageerzwingung im Kampf gegen den Terrorismus. Der Zweck heiligt die Mittel, und immer halt so, wie man es braucht.
    Warum Wolfgang Brauer in den Bemerkungen von Stephan Wohanka gleich mit einen Tiefschlag abbekommen hat, erschließt sich dem auf-merksamen Leser nicht. Der Autor des Beitrages „Mietmäuler“, eben-falls im letzten Blättchen zu finden, hat alles richtig, klug und differenziert aufgeschrieben. Einerseits das banale Geschichtsbild der selbsternannten „Aufarbeiter“, denen die Bereitschaft zur „Kontextualisierung“ der DDR-Geschichte völlig abhandengekommen ist: “Für diese war der andere deutsche Staat offenbar nichts anderes als das Laborprodukt einer Reagenzglaszeugung durch Josef Frankenstein Stalin und seinen Famulus Ulbricht.“

  12. Werner Richter sagt:

    Zu Heerke Hummel „Weckruf zur Revolution der „Sprache des Geldes“ Heft 9.2016
    Wenn der Buchinhalt das vom Autor Beschriebene ist, haben wir es wohl nur mit einer alten neuen Variante nichtökonomischer Kapitalismuserklärung zu tun.
    Diese Erklärung rügt auch nur die „Auswüchse“, ohne die der Kapitalismus wieder funktionieren würde und täuscht vor, daß eine Heilung vom Übel möglich wäre.
    Den Kapitalismus in Gegensatz zu „Banken ..[die]… im Grunde genommen keine kapitalistischen Institutionen mehr [sind], [weil]…sie sich vielmehr zu monströsen Hybridgebilden aus staatlicher Förderung und privatem Profitgebaren verwandelt [haben], deren Hauptinteresse nicht in einem funktionstüchtigen Kapitalismus, sondern in der Versorgung ihrer Führungskräfte mit horrenden Honoraren lag.“ zu setzen, ist nur amüsant, wird aber dadurch nicht neu und nicht richtiger. Banken sind also der Tod des Kapitalismus, können damit nicht Teil des autonomen Selbstregulierungssystems der Werteverwertung sein. Dann wäre logisch, alle Institutionen, die die wirtschaftliche Entwicklung entscheidend beeinflussen und die gleiche „negative“ Rolle wie die Banken spielen, aufzulösen. Wer verwaltet dann aber die Kapitalinteressen? Die Erklärungen Lanchesters kratzen nur die Oberfläche. Interessanter wäre an dieser Stelle gewesen, die Ursachen der Selbstzerstörung des Systems, den wachsenden Antagonismus von PK- + PV-Entwicklung, wenigstens zu benennen. Die „Auswüchse“ sind nun mal immanenter Bestandteil des Systems, ob es den frommen Wünschen der Kapitalismusärzte paßt oder nicht. Sie sind logische Konsequenz der inneren Gesetzmäßigkeiten und nicht störender Blinddarm. Boni haben dabei bestenfalls sekundäre Bedeutung und dienen so in der Regel argumentativ der „Verteilungsgerechtigkeit“, die wiederum keine Lösung der Widersprüche bringt.
    Es ist zu befürchten, daß die Hoffnung auf eine Rückbesinnung des Staates auf seine eigentlichen Aufgaben im Interesse der Menschen einer Massentäuschung folgt. Staat, Recht, Parlament etc. sind dazu nicht geschaffen worden. Diese Institutionen dienen ausschließlich dem Kapitalinteresse letztlich ungeachtet des Existenzinteresses der Menschheit. Sowohl die Erhaltung des Systems, als auch die Schaffung der notwendigen Entwicklungsbedingungen des Kapitals, die auch die wachsende Systemdysfunktionalität schafft, sind die wirklichen Staatsaufgaben. Es ist auch kein Robin Hood aus dem Establishment in Sicht.
    Die Geldtheorie des Artikels kann man als gewagt bezeichnen. Die These, Geld habe seine ursprüngliche Funktion verloren, sei keine Ware mehr und damit kein allgemeines Äquivalent, ist nicht neu. Den Beweis ist aber noch niemand angetreten, aus guten Gründen, es kann nicht gelingen. Das einzige Indiz zur Stützung der These wäre das Verschwinden des Geldes aus der Zirkulation. Aber selbst Marx konstatierte das schon, ohne daraus diesen Schluß abzuleiten, auch aus gutem Grund. Hier ist die Darstellung von Klaus Müller (siehe auch Heft 1-2016) fundierter, der solch oberflächlicher Betrachtung widerspricht und die unveränderte Geldfunktion, Maß der Werte und Maßstab der Preise, konstatiert, unabhängig vom Ausscheiden des Geldes aus der Zirkulation. Das gleiche trifft für Gold zu. Seine einfache Frage, warum widmen sich nahezu alle Staaten besonders in jüngster Zeit der rumorenden Krise so augenscheinlich um ihre Goldreserven, wenn es keine Geldfunktion mehr haben soll?
    Mag Lanchesters Buch amüsant sein, zur „Pflichtlektüre“ taugt es wohl eher nicht.

  13. Werner Richter sagt:

    Zu Ulrich Busch, Wirtschaftswachstum Heft 9.16 seien einige Anmerkungen gestattet.
    Der Autor konstatiert, selbst nur einem Bruchteil der Fachleute ist die Marxsche Theorie bekannt. Marx muß Hellseher gewesen sein, wie sein Brief an Kugelmann vermuten läßt:
    „Aber die Sache hat hier noch einen andren Hintergrund. … Es ist also hier absolutes Interesse der herrschenden Klassen, die gedankenlose Konfusion zu verewigen. Und wozu anders werden die sykophantischen Schwätzer bezahlt, die keinen andern wissenschaftlichen Trumpf auszuspielen wissen, als daß man in der politischen Ökonomie überhaupt nicht denken darf!
    Jedoch satissu perque. Jedenfalls zeigt es, wie sehr diese Pfaffen der Bourgeoisie verkommen sind, daß Arbeiter und selbst Fabrikanten und Kaufleute ein Buch verstanden und sich darin zurecht gefunden haben, während diese Schriftgelehrten(!) klagen, daß es ihrem Verstand gar Ungebührliches zumute.“
    An anderer Stelle wiederholt der Autor zurückhaltend die Marx in die Geschichte verweisende oft benutzte These, er habe nur die materielle Warenproduktion betrachtet und damit die immaterielle Produktion nicht ausreichend analysiert, was nicht ganz in die heutige Zeit passe.
    Welchen fundamentalen Unterschied bezüglich des Wertes sieht der Autor zwischen Industriewarenproduktion und Produktion von immateriellen Waren? Kann der das Wertgesetz entscheidend relativieren? Hatte Marx nicht die Warenproduktion im Allgemeinen und damit alle Warenformen im Blick? Gilt das Wertgesetz nicht für immaterielle Waren?
    Bei aller kritischen Betrachtung der Kategorie BIP akzeptiert Ulrich Busch die übliche Zuweisung des BIP in „Wertkategorien“. Dem kann man nicht besser entgegnen als Marx an Kugelmann:
    „Naturgesetze [Wertgesetz] können überhaupt nicht aufgehoben werden. Was sich in historisch verschiednen Zuständen ändern kann, ist nur die Form, worin jene Gesetze sich durchsetzen. Und die Form, worin sich diese proportionelle Verteilung der Arbeit durchsetzt in einem Gesellschaftszustand, worin der Zusammenhang der gesellschaftlichen Arbeit sich als Privataustausch der individuellen Arbeitsprodukte geltend macht, ist eben der Tauschwert der Produkte.“
    Es ist der Tauschwert und nicht der Wert, die Nachtigall und nicht die Lerche (Beitrag zum Shakespeare-Jahr). In der Wirtschaftswissenschaft können keine künstlichen Widersprüche zwischen Marxscher Systemanalyse und neuen Warenformen und schon gar nicht die Verdammung des Wertgesetzes in die Marxsche Zeit zu wesentlichen Erkenntnissen führen.
    Nicht sehr glücklich ist die pauschale Abqualifizierung der De-Growth-Bewegung. Unter dieser Bewegung subsumieren sich ganz unterschiedliche Organisationen ohne zentralistischen Zwang, der eine solche Einordnung erlauben würde. Gemeinsam ist der Bewegung der zugegeben oft aktionistisch geprägte Wunsch nach einer Gesellschaft, die die menschlichen Grundbedürfnisse sichert und damit nicht auf Zuwachs des „Reichtums“ gegründet ist. Aber die meisten Anhänger sehen nicht in einem Wachtumsstopp die politische Lösung, sondern diesen als Ziel einer Entwicklung. Aktuell wird, infolge sozialer Verwerfungen gezwungen, mancherorts mit Güterproduktionskooperation außerhalb der Warenproduktion das Überleben organisiert. Dazu geben die Interviews zur Leipziger Konferenz (kontext.tv) mehr Einblick. Deren Projekte offenbaren Keime einer nicht vom Markt bestimmten Produktion täglicher Bedürfnisgüter. Sehen kann man sie, verzichtet man auf die Brillenfilter pseudoalternativer Theorie.

    • Als Ergänzung zur Argumentation von Werner Richter ein Beispiel, in dem Marx die „immaterielle Produktion“ berücksichtigt: er erwähnt den „Musikdirektor“ eines Orchesters als frühes Beispiel eines angestellten Managers. Als Faktoren, die den Mehrwert schmälern, nennt Marx die Kosten für Einkauf, Verkauf, Buchführung, Geldumlauf – und verweist auch auf die Möglichkeit, dass diese Funktionen externen Unternehmen übertragen werden. Hier beschreibt Marx wesentliche Teilbereiche unserer heutigen Dienstleistungsbranche.

      Die Unterscheidung zwischen „Tauschwert“ und „Wert“, die der Kommentator Marx unterstellt, suche ich bei diesem Autor allerdings vergeblich. „Wert“ bedeutet meines Erachtens bei ihm vielmehr „Warenwert“ oder eben „Tauschwert“. Im Gegensatz dazu steht der „Gebrauchswert“, oft auch „Nutzen“. Ganz konsequent ist diese Ausdrucksweise nicht, da auch nach Ansicht von Marx der Gebrauchswert das primäre ist. Er zitiert denn auch einen älteren englischen Autor, bei dem der Gebrauchswert „value“ heißt und der Tauschwert „price“.

      Ausführlicher dargelegt habe ich meine Auffassung vor einigen Monaten im redaktionellen Teil:
      http://das-blaettchen.de/2015/10/marx-mehrwert-marktanteile-34119.html .
      Diese Bemerkungen sollten daher genügen – oder wie Marx gesagt hätte: „satis superque“.

    • Werner Richter sagt:

      Verehrter Herr Mankwald. Es ist hier leider nicht gegeben, das Wertproblem tiefer zu diskutieren, Versuche dazu sind am eisernen Willen der Redaktion gescheitert. Zugegebener Maßen nicht ganz zu Unrecht, wie ich lernen mußte. Nach journalistischen Grundsätzen können die aufgeworfenen Fragen nur bis zu bestimmter Tiefe diskutiert werden. Allerdings gehören natürlicherweise zu den Diskussionen um Wirtschaftspolitik die Theoriebezüge unbedingt, da müssen auch theoretisch gestaltete Teilanalysen von Beiträgen (in Maßen) stattfinden. Basisunklare Ökonomieabhandlungen schwimmen auf der Oberfläche und verbreiten ungesunden Nebel. Da wäre es dann nur natürlich, auf gleicher Ebene dazu Fragen zu stellen. Die eigentliche Diskussion zur Aktualität des Wertgesetzes soll auf der Website http://www.wirtschaftstheorie-forum.de stattfinden, wenn denn deren Reorganisation endlich geschehen könnte. Zum Verhältnis Wert – Tauschwert läßt sich bei Marx doch ein Unterschied ausmachen. Wert wird in der Regel als etwas Gegenständliches, als Naturprodukt, weil so besser faßbar, begriffen und „wertschaffende Arbeit“ als eine Sorte Arbeit. Alte menschliche Gewohnheit, anfassen, riechen, schmecken. Damit beginnt aber das Abweichen von Marx. Wert ist eine gesellschaftliche Beziehung, die nur in dieser Beziehung als etwas „gilt“, was sie ausserhalb dieser Beziehung nicht „ist“. Die „Vergegenständlichung“ ist nur durch die gesellschaftliche Beziehung bedingt. Das (unsichtbare) Ding wird durch die gesellschaftlich reversive Beziehung von Gebrauchswert und Wert Gegenstand und damit Ware ( Das eine Ding ist Gebrauchswert, das andere Ding ist auch Gebrauchswert, gilt aber in der Beziehung n u r als Wert !!!) Nur dadurch wird das Produkt zur Ware und der Wert zum Tauschwert. Das ist das ganze Geheimnis des Wertgesetzes – und aus e i n e m (gesellschaftlich bestimmten) Tauschwert wird das gesellschaftliche „Allgemeine“, nämlich Geld.
      Nähere Betrachtungen dazu sind bei Klaus Müller, Geld von den Anfängen bis heute, und Heinrich Harbach, Wirtschaft ohne Markt, zu finden. Genau diese Unterschiede sind exakt zu vermessen, bevor man sich überhaupt an politische Wirtschaftskonzepte begibt. Die Gefahr unwissenschaftlicher Programme ist sonst nach wie vor da. Alle Marktkonzepte, auch die hier in Blättchenbeiträgen implizierten, folgen ohne Ausnahme dem Wunsch der Wertbändigung, sofern sie nicht vor dem Wert einfach die Augen verschließen und so tun, als gäbe es ihn deswegen überhaupt nicht, und bewegen sich damit im illusionären Bereich.
      Und Dank auch für die diskrete Korrektur.

  14. Stephan Wohanka sagt:

    Die Todesschüsse von Uckro von Frank-Rainer Schurich
    Nach launig-kurzer Einleitung kommt Schurich schnell auf den Punkt seiner Kriminalstory und scheibt: „In der Tschechoslowakischen Republik begann am 13. September 1951 eine unfassbare Mordserie, die auf die Kappe der Brüder Josef und Ctirad Mašin und deren Bande ging“. Aus heiterem Himmel schlagen schlimme Banditen zu – denkt der unbedarfte Leser und fragt nach dem Motiv: Geldgier, Mordlust? Der zweite Satz könnte dieses Motiv offenlegen – Abenteuerlust Halbstarker, denn: „Um über Westberlin in das ´Mutterland der Freiheit´ USA zu gelangen, brauchten sie Waffen, die sie sich durch Überfälle … beschafften“.
    Wolfgang Brauer schreibt in „Mietmäulern“ im gleichen Blättchen: „Eines der … häufig in unterschiedlichen Zusammenhängen vorgebrachten Argumente gegen das banale Geschichtsbild der ´Aufarbeiter´ ist“ die „überhaupt nicht vorhandener Bereitschaft zur Kontextualisierung der DDR-Geschichte“. „DDR“ wäre nur „Tschechoslowakische Republik“ zu ersetzen.
    Zur „Kontextualisierung“ des vorliegenden Falles: Die Mašin-Brüder waren Söhne des Offiziers Josef Mašin, der während der Nazi-Okkupation im tschechischen Widerstand aktiv war, gefangen und hingerichtet wurde; posthum zum General befördert, seine halbwüchsigen Söhne erhielten Tapferkeitsmedaillen. Ihr Vater hatte in einem Brief, den man nach seinem Tod 1942 in seiner Zelle fand, die Söhne aufgefordert, stets für die Freiheit ihres Vaterlandes zu kämpfen. Die „Russen“ – einst Verbündete im Kampf gegen die Nazis – waren in ihren Augen jetzt die „neuen“ Besatzer.
    Als Angehörige der „bürgerlichen Klasse“ erlebten die Brüder den auch in ihrem Lande massiv einsetzenden stalinistischen Terror der 1950er Jahre: Viele der Opfer waren Bekannte oder Freunde der Mašín-Familie; ein Beispiel: Die Politikerin und Frauenrechtlerin Milada Horáková (1950 hingerichtet) war eins der ersten Justizmordopfer des Gottwald-Regimes; sie war eine enge Freundin der Mutter der Brüder. Heute rehabilitiert und mit einem Denkmal geehrt.
    Ein Drittes: Wie viele junge Menschen in Osteuropa hofften auch die Mašin-Brüder, befeuert von US-Propaganasendern wie Voice of America oder Radio Free Europe, auf eine us-amerikanische Invasion in ihren Ländern. Diese Männer versuchten in den Westen zu fliehen, um sich dort einer Spezialeinheit der US-Armee anzuschließen, deren Mitglieder im Kriegsfall als Untergrundkämpfer eingesetzt werden sollten. Auch die Mašíns gingen diesen Weg; vorher aber wollten sie „die Kommunisten zu Hause das Fürchten lehren“. In den USA angelangt, verdingten sie sich dort für fünf Jahre in der Armee in der Hoffnung, bald in der Tschechoslowakei eingesetzt zu werden… Ihre Hoffnung erfüllte sich – gottseidank! – nicht.
    Dieser politische Hintergrund hätte natürlich nicht in dieser Ausführlichkeit dargestellt werden müssen – ihn aber gänzlich unerwähnt zu lassen kommt einer Unterlassung gleich, denn plötzlich ist im Text wie deus ex machina völlig zurecht von „antikommunistischer Karriere“ respektive „antikommunistischen Morden“ der Brüder die Rede. Woher plötzlich? Denn jetzt wird die politische Dimension ihrer Verbrechen – dass es es sich um solche handelt, steht außer Frage – gegenüber einer nur kriminellen deutlich. „Weder der Kalte Krieg noch die kolonialen Massaker des Westens seien existent gewesen. Singulär wären lediglich die Untaten des SED-Regimes gewesen“ schreibt Brauer im oben erwähnten Beitrag weiter. Ja – es war Kalter Krieg und die Mašin-Brüder waren „Kriegs-Opfer“ und „Kriegs-Täter“ in einer Person. Und „singulär wären lediglich die Untaten“ der Brüder gewesen, was – siehe oben – keinesfalls zutrifft!

    • Werner Richter sagt:

      Mit Verlaub, Herr Wohanka, mir sträuben sich nicht nur die Nackenhaare. Immer, wenn ich Klischees der eigentlich berechtigten Widerständler aus Osteuropa begegne. Genau so lautet das Hauptargument des Westens zur Unterstützung, richtiger: Organisation, Bewaffnung, Ausbildung, Einsatzleitung und Versorgung, sog. „demokratischer Kräfte“ zum Umsturz im Sinne der USA in Osteuropa. Dazu waren nun mal fast nur offen faschistische Gruppierungen, auch durch westliche Geheimdienste zum Umsturzzweck geschaffen, in der Lage. Da muß man schon darüber hinweg sehen, daß deren Leitfiguren, zufällig überlebende Massenmörder, denen jetzt endlich zustehende Rente gezahlt wurde, die „patriotische“ Erziehung zum gnadenlosen Kampf gegen alle Gegner übernahmen und diese „Demokraten“ in der Eile des Gefechts die Runenhelme gegen harmlos aussehende einzutauschen vergaßen. Ja, wie konnten die Russen nur wagen, sich 1945 nicht wie anständige Völker in ihre Wälder zurückzuziehen und in fast ganz Mitteleuropa östlich der Elbe zu bleiben. Warum nur? Das mußte ja den Zorn junger Menschen schüren. Vieler? Waren da nicht in großer Zahl Hiwis der Massenmorde, die nichts Gutes ahnten, darunter? Welche Vita hatten die späteren Mörder vorzuweisen? Vielen der heute als Opfer der und Kämpfer gegen die Kommunisten gerade in Osteuropa Hochgejubelten traue ich nicht über den Weg. Ebenso dem unappetitlichen Patriotismus jeder Spielart. Zum Masin-Fall weiß ich nichts, Bildungslücke. Aber so einfach, da die bösen Russen/Kommunisten dort die lauteren Widerständler, die aus jugendlichem Leichtsinn mal über das Ziel schießen, wird es nicht gewesen sein, das weiß ich aus Familienerfahrung. Mein Vater wurde nach dem Krieg von seinen tschechischen Freunden aus der SAJ angefleht, nicht nach Deutschland auszuwandern. Er würde gebraucht, da sich an die Spitze der Antifa zumindest im Gebiet um das heutige Usti n.L. Leute gesetzt hatten, die sie bis 1938 als „tschechische Faschisten“ bekämpft hatten, sie waren z. T. in die KP aufgenommen worden und hatten ihr Terrorregime gegen Andersdenkende und –handelnde errichtet. Eine fürchterliche Mischung. Es gibt keinen Anlaß, ähnliche Vorgänge für andere Gebiete auszuschließen. Diese Herren waren wegen politischer Tatenlosigkeit und Kriminalität zwischen 1938 und 1945 bekannt, hatten dann volltrunken zurückgelassene LKW der deutschen Wehrmacht requiriert und gegen Brückenpfeiler gefahren. Sie wurden als „Partisanen“ geehrt, bekamen hohe Positionen, lange Zeit, wie wir viel später selbst erlebten. Zu den Heldentaten dieser Heroen gehört auch das Vergnügen der „Hasenjagden“. Schon davon gehört? Es ist sehr wahrscheinlich, daß diese „Konvertiten“ zu den Treibern der späteren Hexenjagden des Stalinismus wurden. Für mich waren die tschechischen Kommunisten im Weiteren gar keine richtigen. Erst später ging mir auf, daß dies auch auf alle Träger der „sozialistischen“ Machtstrukturen zutraf, einer Clique, die sich kommunistisch nannte. Solche Verhältnisse und die Gewohnheiten des nicht lange zurück liegenden Massenmordens, das gewöhnlich Krieg genannt wird, trugen zur Verrohung bei und legten die Hemmschwelle zum Mord sehr tief. Aber das kann Morden, immer eine bewußte Tat, nicht relativieren. Jeder Mörder ist zugleich Opfer seiner Verhältnisse. Für Gerechtigkeit und Recht ist dies jedoch unerheblich. Das hat Herr Schurich geschildert. Es ist angeraten, den üblichen antikommunistischen bis antirussischen Klischees mit größter Vorsicht zu begegnen.

  15. H.W. Konrad sagt:

    Es kann ja sehr belebend und vergnüglich sein, wenn sich ein Autor einem ernsthaften Thema auf eine solch feuilletonistische Weise nähert wie Pearl Ann Ziegfeld. Ein wenig dürftig bleibt diese kleine Satire m.E. aber doch. Immerhin – es kann sehr wohl als Satire durchgehen, anders als Böhmermanns Hervorbringung, finde ich, denn wenn Fäkalbeleidigungen Satire sind, dann ist Satire inhalts- und funktionslos; etwa dergestalt, die Redakteure des Blättchens als “A.. löcher” und “Ziegenf…” zu bezeichnen, weil das, was sie produzieren gegen meinen Strich geht.
    Als jemand, der Tucholsky sehr liebt, möchte ich auch zu bedenken geben, dass selbst bei dem weiß Gott begründeten Vertrauen in dessen Urteilskraft ebensolches gilt wie bei anderen Granden des Geistes: Es reicht nicht, einen Satz von ihm zu zitieren, weil dieser apodiktisch “alles” Relevante zum Thema aussagt. Denn Satire darf m.E. nur dann “alles”, wenn es sich um Satire handelt. Und eben nicht um pubertäres Comedy-Geschwätz mit jenem Provokationsimpetus, den der berühmte Kindersatze hat: “Stimmts, Mutti, Scheiße sagt man nicht.”
    Tucholsky hat hier keinen Essay geschrieben, der das Thema mehr oder weniger “rundum” abklopft. Er hat zugespitzt, was ja im übrigen selbst ein Instrument von Satire ist. Damit nun alles zu akzeptieren, was sich darauf beruft, scheint mir eine allzu schlichte Exegese zu sein.
    H.W. Konrad

    • wolfgangbr sagt:

      Lieber Herr Konrad,
      als für den Tucholsky-Text in der aktuellen Ausgabe verantwortlicher Redakteur kann ich Ihnen versichern, dass die Redaktion in der Vergangenheit durchaus Texte abgewiesen hat, auf denen Satire draufstand, aber anderes drin war. „Was darf die Satire?“ kam ins „Blättchen“, weil eben alle Welt derzeit den berühmten letzten Satz zitiert, auf jeden Blödsinn draufklebt – und das komplette Feuilleton des Meisters nie vollständig gelesen hat. Natürlich, da gebe ich Ihnen völlig recht, wird damit ein Qualitätsanspruch formuliert… Ich werde mich jetzt nicht hinreißen lassen, das Böhmermannsche Produkt zu rezensieren. Nous ne sommes pas tout!
      Herzlichst
      Ihr Wolfgang Brauer

  16. Werner Richter sagt:

    Oh Böhmermann
    Wie liebe ich die Deutschen, mich eingeschlossen. Seine Dichter & Denker jagen ein Sau, im wörtlichen Sinne aber eine Ziege, nach der anderen durchs Dorf und verbuchen sie unter Satire! Nur um dann die Frage stellen zu können: darf denn Satire vulgär? Nee, so fragen sie nicht, sondern war das Satire, nee, auch nicht, jetzt hab ich‘s: wie wird denn hier die Todesstrafe vollzogen? Noch autoritär oder schon human? Das kriegen die Franzosen nicht hin, haben nur ihren Charly dingsbums, sind eben doch keine richtigen Deutsche. Eigentlich mochten die Franzosen den Charly überhaupt nicht, der stand immer kurz vor der Pleite und der Chef von denen war ständig mit Moped auf Betteltour. Mitterrand soll aus dem Reptilienfonds bißchen Knete eingeworfen haben, Sarkozy nicht, brauchte er selbst und die Scheinchen von Gaddafi. Dann wurde die halbe Regierungswelt zur Reserveübung eingeflogen, absitzen, Vorgefechtsordnung, entfalten, Vorgefechtsordnung, aufsitzen, nicht vom SPW, aus Panzerkarossen und schon war die Vulgarität zu Satire gezaubert. Und hier? Der Böhmermann soll ja, so genau weiß man es nicht, was mit Ziegen gesagt haben, Charly aber auch! Nicht gesagt, aber gemalt. Nur kommen jetzt die StaatschefInnen nicht vorbei, hat eben kein Ali rumgeballert, und außerdem sind die Regierungsfondsreserven für besondere Anlässe alle, Merkel muß ja so oft zu Erdi. Das kostet! Da hätte der Böhmermann halt vorher mal nachfragen müssen. So kann es keine Satire gewesen sein, ist ja logisch, war nur simple Majestätsbeleidigung mit allen Konsequenzen. Das Leben ist eben hart. Leben ja schließlich in Deutschland, die Bürokratie war schon eingerostet. Also wurde höchste Zeit, Böhmermann muß es büßen. Oder den Ruhm einheimsen: Mit kleinen Ferkeleien im Fernsehen die große Koalition gestürzt zu haben. Kann man sich aber nicht so richtig vorstellen, in Deutschland! Bin schon gespannt auf den 10. Jahrestag, wenn dann der Kleber so richtig ausholt mit geschliffener Laudatio.
    Hat denn jemand den Text von Böhmermann? Will ihn nochmal ins Netz stellen, gewissermaßen aus Solidarität. Das werden mindestens nochmals mindestens 1000 Journalisten nachmachen. Nochmals 1000 Ermittlungen und Prozesse, das wäre vielleicht Satire! Obwohl, hier in Deutschland, wohl eher nicht. Da ist Korrektheit und Pflichterfüllung immer noch ganz vorn im Ranking der Tugenden, auch und gerade unter Kollegen. Ist so auch besser für die Karriere und ein Konkurrent weniger.

  17. Jürgen Scherer sagt:

    Zu „Nach den Wahlen…“
    Sehr geehrter Herr Landsberger, ich stimme Ihnen in vielen Punkten zu, aber was Sie zum Schluss Ihrer Ausführungen schreiben, ist, gelinde gesagt, starker Tobak. So einfach ist die Gleichung nicht: „Wutbürger“ gegen z.B. Stuttgart 21 mit „Wutbürgern“ gegen Flüchtlingsheime gleichzusetzen verkennt die Realitäten, einmal geht es gegen den Staat als Überregulator, mit dem in einem demokratischen Verfahren eine Lösung gefunden wurde, das andere Mal wird mit menschenverachtender, rassistischer Attitüde gegen Kriegsflüchtlinge vorgegangen – in blinder Wut und Hass! Da verbietet sich jede Gleichsetzung. Außerdem, woher haben Sie die Gewissheit, dass es dieselben „Wutbürger“ sind, die einmal von links gelobt, das andere Mal von links geschmäht werden? Des weiteren gehen Sie mit der Vokabel „Wutbürger“ der Mainstreampresse auf den Leim, die diesen Begriff diffamierend kreiert hat, als ihr der berechtigte ZORN der Stuttgarter nicht mehr so ganz geheuer war. Die Verantwortung der AFD für die Ausschreitungen gegenüber den Flüchtlingen klein zu reden, geht m.E. gar nicht. Wer daherschwadroniert, notfalls müsse man den Schusswaffengebrauch gegenüber Flüchtlingen in Erwägung ziehen – außer natürlich Kindern gegenüber (wie human von der AFD) – bewegt sich außerhalb des demokratischen Spektrums und kann doch wohl nicht gleichgesetzt werden mit anderen demokratischen Parteien in unserem Land – oder habe ich da etwas missverstanden? Dass man sich mit der AFD in den Parlamenten wird auseinandersetzen müssen ist unumgänglich, aber ihr einen demokratischen „Persilschein“ auszustellen, wie Sie das tun, halte ich für realitätsblind!

    • Waldemar Landsberger sagt:

      Verehrter Herr,
      jetzt sind Sie der Nachbeter der Mainstreampresse. Es gab, als Stuttgart 21 aktuell war, sehr viele begeisternde Kommentare von links über den „Wutbürger“, der sich so entschieden selbstermächtigt und dem ach so bösen Staat gegenübertritt. Das Argument hier ist nur, dass die Linken weder die Selbstermächtigung noch den „Wutbürger“ gepachtet haben, sondern der macht, was er will. Auch das Schießbefehls-Argument zu AfD-Akteurinnen und -Akteuren ist nur Sekundärquelle; in der Sache haben die sich stets auf die Formulierung in den einschlägigen Vorschriften der deutschen Polizei zum Schusswaffengebrauch zurückgezogen (was zum Beispiel auf der Diskussionsseite von Anne Will mehrmals nachzulesen war). Die wiederum ist tatsächlich eine des „Staates als Überregulator“.
      Ansonsten ist es kein „Persilschein“, ein politisches Phänomen verstehen und erklären zu wollen. Das ambivalente Verhältnis von Teilen der Partei Die Linke zu den linksautonomen Anschlägen in Leipzig war übrigens Gegenstand des Talk-Gesprächs von Gregor Gysi mit Uwe Steimle. Es ist nicht so einfach mit der Zuschreibung von Verantwortung für Verbrechen an die Adresse von Parteien, über die wir heute reden. Im Falle der AfD führt die verkürzte NSDAP-Analogisierung zur Selbstblendung.
      Guten Tag noch!

  18. Achim Höger sagt:

    Zu Querbeet (71):
    Reinhard Wengiereks schönem Glückwunsch für die Domröse schließe ich mich an. Doch ihr erster Mann, Clown Ferdinand, hieß nicht Jiri Vlstava, sondern Jiri Vrstala (die Häkchen gibt das Schreibprogramm nicht her). Vielleicht hat der gute Wengierek das mit Vltava verwechselt, was wiederum der tschechische Name der Moldau wäre. Auch tschechische Sprache eben schwierige Sprache!

    • Detlef D. Pries sagt:

      Dank Ihnen und anderen aufmerksamen und wissenden Lesern! Auf der Webseite korrigieren wir’s.

      Die „Blättchen“-Redaktion

  19. Klaus-Dieter Grimmer sagt:

    Sehr geehrter Herr Kick,
    mit wachsendem Erstaunen lese ich Ihre „Beiträge“ zum Thema „Faschismus“ in Ihrem Streit mit Herrn Hayn. Um es vorweg zu nehmen ich teile den Standpunkt Ihres „Widerparts“. Ich bin in der DDR in der Nachkriegszeit aufgewachsen und habe in dieser Zeit viel widersprüchliches kennengelernt. Da waren in meiner Schule sogenannte Neulehrer, die durch die Bank weg nicht verordnete sondern leidenschaftliche Gegner des Naziregimes waren, ich vermeide bewusst das Wort „Faschismus“.
    Uns haben aber auch sogenannte „entnazifizierte“ Lehrer unterrichtet, die selbstkritisch genug waren eine doch deutliche Distanz von diesem braunen Regime einzunehmen. Solche Differenzierungen gab es und damit sind wir groß geworden. Ich behaupte in der DDR war Antifaschismus nicht nur Staatsdoktrin sondern wurde auch von einer großen Mehrzahl in der Bevölkerung mehr bewusst als unbewusst mit getragen.
    Nun zu Sachsen im allgemeinen und dem Erzgebirge im besonderen. Wenn Herr Hayn von einer toleranten Innenpolitik in Sachsen gegenüber „Rechts“ schreibt, könnte man das mit vielen Fakten begründen. In Thüringen war das übrigens ebenfalls an der Tagesordnung – siehe NSU.
    Es muß nun die Frage gestattet sein: „Warum ist das so und vor allem das jüngere Menschen sich in diese braunen Ideologien einstricken lassen „! Ein Professor für Kriminalistik aus Hannover hatte dazu eine wirklich originelle Begründung gefunden. Er behauptete ganz ernsthaft, dass die in den DDR Krippen und Kindergärten landauf, landab angeordneten gemeinsamen „Topfsitzungen“ der Kinder, der Auslöser von dem bei Rechtsradikalen zu beobachtendes rudelartigen verhalten ist. Ich möchte dem deutlich widersprechen und mit einem anderen Beispiel versuchen bestimmte Entwicklungen im Osten Deutschlands die eindeutig soziale Wurzeln haben zu begründen.
    Der Betrieb in dem ich beschäftigt war, erwies dem Ort Rechenberg Bienenmühle, Klausnitz ist ein Ortsteil davon, zur Flutkatastrophe, viel Hilfe durch Sach- und Geldspenden. Dafür hatte sich der damalige Bürgermeister im Namen der Flutopfer mehrmals bedankt und im Verlauf der Spendenaktionen hat sich die Zeit gefunden über die Entwicklung seiner Gemeinde nach der Wende zu sprechen. Kurz seine Meinung auf den Nenner gebracht, der Ort vergreist, ausser der Tourismusbranche und ein bisschen Dienstleistung und Handwerk gibt es kaum Beschäftigung und Entwicklungsmöglichkeiten, die jungen Leute gehen Scharenweise weg, vor allem in das Altbundesgebiet, was hierbleibt beginnt häufig eine Alkohollaufbahn, wird Rechtsradikal oder beides. Ein doch schlimmes Bild, was sich da abzeichnet und mir fehlt der Glaube, dass diese Entwicklung sich zu einem besseren gekehrt hat. Die Fakten sprechen eine andere Sprache. Nun wollen sich zu diesen von der Gesellschaft sozial abgekoppelten Menschen noch weitere, nämlich Flüchtlinge gesellen. Eine Mischung wie ein Brandbeschleuniger. Als nach dem zweiten Weltkrieg Millionen Flüchtlinge, alles Deutsche, nach Ost und Westdeutschland kamen, haben die sogenannten „Einheimischen“ diese mit grossem Argwohn empfangen, Ausnahmen bestätigen die Regel. Die Ursache des Argwohns ist eindeutig sozial determiniert. Ich denke abschliessend, die soziale Schieflage, die in unserem Land schon länger und latent existiert, wird sich weiter zuspitzen und das nicht nur in den genannten Ländern.
    Es sei denn die Politik besinnt sich auf das Grungesetz und dem darin enthaltenen Staatsmodell „sozialen Marktwirtschaft“.

  20. Rotspoon sagt:

    Das Abendland geht nicht unter, das scheint nur so. Ex oriente lux!

  21. Günter Hayn sagt:

    Sehr geehrter Herr Kick,
    ich stelle fest, wir finden eine „Schnittmenge“ – ja, da rächt sich auch – auch, aber nicht nur! – eine sehr einseitige Auseinandersetzung der offiziellen DDR-Geschichtspolitik mit der NS-Zeit. Deren Verbrechen wurden mitnichten geleugnet, die „Schuld der Deutschen“ auch nicht. Sie wurden nur einer sehr speziellen Gruppe, „den Faschisten“, zugewiesen. Der große Rest war Opfer der Diktatur oder im Widerstand. Das ist jetzt auch arg verkürzt, aber das war in etwa das Mantra. Wobei spätestens mit Franz Fühmanns Bekenntnis, er wisse nicht, wie er sich verhalten hätte, wäre er als Wachsoldat in Auschwitz eingesetzt gewesen, auch in der DDR eine andere Sicht sich durchzusetzen begann. Das hat jetzt alles nichts mit Dimitroff zu tun oder meinem – wie Sie meinen – überholtem „Faschismus-Begriff“. Woher kennen Sie den überhaupt? Darüber habe ich nicht eine Zeile geschrieben. Ich sage jetzt auch nichts zu „der“ Fachwissenschaft. Es gibt mehrere Schulen und zwischendrin viele Irrlichter. Das ist aber nichts Neues. Unser beider „Begriff“ ist sicher nicht identisch. Ich kenne den Ihrigen nicht, werde Ihnen den also auch nicht vorwerfen,
    Was ich entschieden zurückweise ist ihre Interpretation, ich würde einen Polizeistaat favorisieren. Ich habe geschrieben: „Die gewaltgierigen Schreihälse aus dem sächsischen Erzgebirge sind nur die Spitze des Eisberges. Und wenn der Staat die ihm zu Gebote stehenden Werkzeuge nachdrücklicher anwendete, würden sie zurückweichen.“ Zurückweichen, nicht das Problem erledigen! Das ist ein Unterschied. Selbstverständlich hat der Inhaber des Gewaltmonopols in einem demokratischen Staatswesen die Pflicht einzugreifen, wenn sich Leute zusammenrotten, die ebendieses Staatswesen zu zerstören beabsichtigen und als ersten Schritt ihr Mütchen an Leib und Leben unserer Mitmenschen kühlen wollen! Wer denn sonst? Erledigt ist das Problem damit nicht. Das Eisberg auch nicht. Und die Signale der sächsischen Innenpolitik waren in den letzten 20 Jahren deutlich auf Toleranz gestellt. Toleranz gegen rechts. Übrigens nicht nur da. Es macht schon einen Unterschied, wer den Innenminister und wer den Landespolizeipräsidenten stellt.
    Mit freundlichen Grüßen
    Günter Hayn

  22. Karl Kick sagt:

    Sehr geehrter Herr Hayn,
    nun gut, auf einem groben Klotz gehört ein grober Keil. Dennoch bleibe ich
    bei meiner Grundaussage: Es rächt sich heute, daß in der DDR die Schuld
    der Deutschen an den Verbrechen des Nationalsozialismus von seiten der
    Partei und des Staates geleugnet wurde. Schuld waren eben die „Faschisten“
    und nicht der Vater oder Großvater. Mit Ihrem Faschismus-Begriff sind Sie
    bei Dimitroff stehen geblieben. Die Fachwissenschaft ist da erheblich
    weiter, sie hat den Faschismusbegriff als analytischen Begriff längst
    aufgegeben. Daß es auch in der DDR Menschen gab und gibt, die aufgeklärt
    mit der deutschen Geschichte umgehen, versteht sich von selbst. Ebenso wie
    es auch im Westen genügend Dumpfbacken gibt. Im Westen wie im Osten gibt
    es Gewalttaten gegen Ausländer und Flüchtlinge – aber im Osten bei einem
    deutlich geringeren Migrantenanteil in der Bevölkerung. Warum ist das so?
    Weil Staat und Polizei auf dem rechten Auge blind ist? Dann hätte ich Sie
    doch richtig verstanden: Nur mit Polizeigewalt läßt sich eine friedliche
    Zivilgesellschaft in der ehemaligen DDR durchsetzen. So weit wollte ich
    aber nicht gehen.

    Freundliche Grüße,
    Karl Kick

  23. Werner Richter sagt:

    Zu Zur Lage oder worum geht es? von Stephan Wohanka Heft 6-16
    Die Botschaft, die EU sei ein zunächst politisches Gebilde (wofür?) gewesen, hört ich wohl. Nur steht dem entgegen einmal gesehen zu haben, wenn mich nicht täuscht bei Harald Schumann, am Anfang stand ein Strategiepapier von CEOs fünf großer europäischer Konzerne, wie sie sich für ihre Unternehmen einen günstigen Wirtschaftsraum vorstellen, und so kommt es bis heute. Daß dies nur über die Politik bewältigt werden konnte und zunächst einer Allgemeinbefindlichkeit Rechnung tragende „Sozialunion“ vorgetäuscht werden mußte, kann nicht Beleg für das Primat der Politik, schon gar nicht einer humanen, gelten. Daß der wärmende Ofen erlischt, ist doch ziemlich deutlich. Fürchte auch, daß die Replik zur „Reichseinigung“ etwas naiv human gebogen ist. Auch damals hatte der Pöbel allen Grund zu Mißtrauen, wie die spätere Geschichte drastisch belegte. Der positiv dargestellten Rolle der Reichseinigung bezüglich der Entfaltung der Produktivkräfte steht die wachsende Vertiefung der kapitalistischen Widersprüche entgegen. Ich würde damit sehr vorsichtig umgehen und nicht verniedlichen, das nicht alle was vom profitablen Verein haben. Noch haben größerer Bevölkerungsteile (in Deutschland), noch, Vorteile davon. Es ist jedoch kaum zu glauben, daß besagte CEOs damit zufrieden wären. Der Zug fährt in die andere Richtung, in Süd- und Osteuropa schon deutlich zu sehen. Die Spaltung der Gesellschaft ist schon immer da, sie ist nur nicht mehr einfach zu übertünchen. Hieraus und aus der kapitalbeflissenen Politik der „Volksparteien“ (welche Anmaßung!) kommt die Jauche, die eine AfD und nationalistische Kräfte erwachsen läßt. Elitäre Dummheitszuweisungen haben etwas von Dummenstolz. Erst das Volk manipulieren, und dann das Ergebnis beklagen. Erst unbequeme Kritik aus der Öffentlichkeit verdrängen und damit erst Petry & Co. ermöglichen, und dann den Finger darauf richten. Welcher Zynismus ist in den erbärmlichen „Eliten“. Auch würde ich peinlichst den Eindruck vermeiden, irgendetwas Gutes am Kapitalismus zu finden. Was bitte schön ist an Globalisierung, EU, Klimapolitik, die doch auch nur Schattenboxen ist, freizügiger Verkehr u.a. Politikversatz gut fürs Volk? Aber selbst Marx hat doch…! Dann hat man allerdings vom „Kapital“ nicht viel verstanden. Wer sagt denn, daß das, was uns der Kapitalismus bescherte, gut für uns sei, unsere Bedürfnisse sind. Weil wir nichts anderes kennen? Oh ja, starkes Argument, es wurden doch nur Produkte und Erfindungen zu Waren, die als profitträchtig gelten. Ist das ein Gewinn für die Menschheit? Aber das ist eine längere Geschichte, die aber auch noch des Öfteren zu schreiben ist.

    • Stephan Wohanka sagt:

      Lieber Herr Richter,
      es mag ja sein, dass später irgendwelche CEOs auf die EU-Entwicklung Einfluss genommen haben; wenn ich davon sprach, dass anfangs politische Gesichtspunkte eine tragende Rolle spielten, stand folgendes dahinter: Frankreich betrachtete das Wiedererstarken Westdeutschlands mit Sorge und wollte es institutionell einzubinden. Der Altnazis tolerierende Antikommunist Adenauer traute seinen von der Nazi-Ideologie indoktrinierten Landsleuten nicht über den Weg und wollte über die Westintegration die volle Souveränität der Bundesrepublik erlangen, um seinen außenpolitischen Spielraum zu erhöhen. Dass der schon in vollem Gange befindliche Kalte Krieg in diese westeuropäische Integrations- und Bündnispolitik hineinspielte, sei auch erwähnt. Nebenbei: Es ist desgleichen zu vermuten, dass auch der Görlitzer Vertrag von 1953 zwischen der DDR und der Volksrepublik Polen ein politisches Elitenprojekt war! Generell gilt wohl, dass in den 50 und noch 60ziger Jahren die Masse der Deutschen, Franzosen oder auch Polen usw. sich schon einig gewesen wären, wenn ja welches Europa sie wollten, ob ein sozialistisches, ja kommunistisches (die westeuropäischen Kommunistischen Parteien waren damals mitgliederstarke Verbände mit hoher Akzeptanz in der Bevölkerung und Wählerschaft), ein liberales, stärker wirtschaftlich oder politisch ausgerichtetes, ist höchst unwahrscheinlich; ganz abgesehen von der Frage, ob sie überhaupt schon irgendwie geartete Zusammenschlüsse gutgeheißen hätten, auch wenn die Propaganda es anders wollte..
      Wenn Sie schreiben, ich habe die „´Reichseinigung´ etwas naiv human gebogen“ und „der Pöbel hatte auch damals allen Grund zu Mißtrauen, wie die spätere Geschichte drastisch belegte. Der positiv dargestellten Rolle der Reichseinigung bezüglich der Entfaltung der Produktivkräfte steht die wachsende Vertiefung der kapitalistischen Widersprüche entgegen“; dann sagen Sie nur, dass jedweder gesellschaftliche Fortschritt immer ambivalent ist. Nur das Paradies war paradiesisch! Sie kommen auf das Problem zurück, wenn Sie am Schluss schreiben: „Was bitte schön ist an Globalisierung, EU, Klimapolitik, die doch auch nur Schattenboxen ist, freizügiger Verkehr u.a. Politikversatz gut fürs Volk? Aber selbst Marx hat doch…! Dann hat man allerdings vom ´Kapital´ nicht viel verstanden. Wer sagt denn, daß das, was uns der Kapitalismus bescherte, gut für uns sei, … Aber das ist eine längere Geschichte, die aber auch noch des Öfteren zu schreiben ist“. Mit der „längeren Geschichte, die aber auch noch des Öfteren zu schreiben ist“ haben Sie vollkommen recht; es geht hier um weltanschaulich-erkenntnistheoretisch Grundlegendes. Selbst auf die Gefahr hin, von meinen Marx „nicht viel verstanden“ zu haben, meine ich doch, dass die Entwicklung der Produktivkräfte der gesellschaftlichen Arbeit die historische Aufgabe und Berechtigung des Kapitals ist, ob das nun „gut für uns sei“ oder nicht. Schon Hegel war der Auffassung, dass „die Weltgeschichte der Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit ist — ein Fortschritt, den wir in seiner Notwendigkeit zu erkennen haben“. Marx bekanntlich hat, Hegels Idealismus wendend, den Widerspruch zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen zur Triebfeder der historischen Entwicklung erklärt. „Notwendigkeit“, „Triebfeder der historischen Entwicklung“ – ist das doch nicht „objektiver“ Ausdruck dafür, dass da Prozesse im Gang sind, die zwar nicht ohne unser Zutun (Arbeit) vor sich gehen, jedoch in ihren Resultaten nur sehr bedingt dem gleichen, was Individuen und Kollektive sich vorstellten, was herauskommen müsse oder sollte?
      Zugegeben – von der Globalisierung profitieren Eliten eher als andere; viele Menschen haben das Gefühl, ignoriert, übergangen zu werden. Längst erfassen die Ausläufer der Globalisierung auch die Mittelschicht: Wanderten anfangs nur Billigjobs in asiatische Nähereien ab, so trifft es nun auch Akademiker; solche, die sich schwertun, als Modernisierungsverlierer zu gelten.

    • Werner Richter sagt:

      Man darf wohl politischen Willen und ökonomische Ziele nicht so trennen, erst Politik und dann die Ökonomie eingepaßt. „Konzentriertester Ausdruck der Ökonomik“ ist hier wohl zutreffend für Politik und ein bißchen Ei oder Henne ist auch am Werke. Jedenfalls reicht der Wunschzettel der Konzerne weit in die Zeit der EG, als noch niemand an die EU dachte, zurück. Dieser erhielt dann die Weihen heiliger Ziele, die die politischen Ängste schlagartig der Geschichte überantworteten. Heißt nicht, die Wunschliste hätte ihre Schuldigkeit getan, sie ist als d a s Grundsatzdokument immer noch bei entsprechenden Akteuren im Gebrauch (gewissermaßen offene Dokumente im Panzerschrank) und keineswegs geheim; nur nicht mit seiner Bedeutung im Gespräch, wie auch andere. Oder kennt vielleicht jemand die EU-Richtlinie 2009/110/EG (Müller, Geld… S. 271)? An diesen Grundsatzdokumenten arbeitet sich die Strategie der EU-Kommission ab, sie erklären fast alles, was seit Jahren geschieht. Zu diesen Zwecken wurde die Struktur der EU überhaupt erst geschaffen, „Quatschbuden“ stören da nur. Viele „Rätsel“ bekommen so simple Erklärungen. Das ist äußerst infam, mit ganz offenen Dokumenten wird verdeckt jongliert, aber nicht argumentiert. Alles ist doch so legal. Insoweit stehen ökonomische Interessen wohl doch an höchster Stelle, siehe TTIP und Ceta.
      Genau dort, Marx eine „Würdigung“ der Verdienste des Kapitalismus in den Mund zu legen, setzen meine Bedenken ein. Mit der streng wissenschaftlichen Analyse der Waren- und Kapitalverhältnisse, deshalb sehr eingeengt, betrachtet er die gesellschaftliche Entwicklung ausschließlich innerhalb des Kapitalismus selbst, insofern bescheinigt er dem Kapital eine „positive“ Rolle zur Entfaltung der Kapitalverhältnisse. Das sagt aber gar nichts über seine Einschätzung der historischen Rolle des Kapitalismus für die Menschheit überhaupt. Marx hat diesbezüglich die allergrößten Befürchtungen. Diese komische „Würdigung“ war Teil des M/L. Dem Kapitalismus eine positive Rolle zuzuordnen ist wie dem Mann, der aus dem 10. Stock fällt, etwas Kühlung zu zu wedeln.
      Verehrter Herr Wohanka, Ihre Ambivalenzzuordnung nivelliert etwas die tatsächliche und besonders die Interessenlage. Ich sehe keinen allgemeinen gesellschaftlichen Fortschritt, schon gar nicht durch das Kapital erzeugt. Zur Energiegewinnung z.B. kommen Historiker zum Schluß, wir sitzen immer noch in unseren Höhlen und erzeugen Energie wie in der Steinzeit, kein Stück vorangekommen. Das hat uns das Kapital gebracht um seiner Profite willen. Diese „Fortschritte“ kann man bei genauerem Hinsehen auf allen Gebieten sehen. Ansonsten bleibt die alte Mißdeutung der Marxschen Analyse.

    • Stephan Wohanka sagt:

      Die Hauptthese Ihrer Replik, HerrRichter, lautet: „Ich sehe keinen allgemeinen gesellschaftlichen Fortschritt, schon gar nicht durch das Kapital erzeugt“. Nur am Rande – die einzige Energie in der Steinzeithöhle war, sagen Sie, das Feuer und wir seien „kein Stück vorangekommen“.
      Sind wir nicht doch ein bisschen weiter mit Strom aus der Steckdose, erzeugt entweder in einem Kernkraftwerk oder durch Windkraft? Erst genannte Quelle kann man vielleicht noch als „Feuer“ bezeichnen, letztere sicherlich nicht; es sei denn man nimmt das „Sonnenfeuer“ als Ausgangspunkt auch für den Wind…
      Ich für mein Teil sehe schon einen gesellschaftlichen, das heißt sozialen, politischen und kulturellen Fortschritt, wobei es mir nicht um den Begriff geht. Ist unsere heutige relativ autonome Lebensgestaltung nicht mit dem miesen Dasein von Sklaven, Hintersassen und anderen Unfreien überlegen? Ich gebe sofort zu, dass es auch heute Unterdrückungs- und Disziplinierungsapparate gibt, die jedoch grosso modo subtiler respektive kommoder in ihrer Wirkungsweise sind als die früheren. Finden Sie nicht, dass ein Leben unter kirchlichen Zwängen, Dogmen und Fegefeuerängsten ungleich weniger erstrebenswert erscheint als ein heutiges basierend auf Bildung, weitgehender Informationsfreiheit, einem sapere aude? Brachte nicht der Buchdruck, die Reformation, die Aufklärung auf dem Hintergrund des natürlich nicht nur „dunklen“ Mittelalters wenigstens für unseren Kulturkreis einige positive Änderungen? Lebt heute selbst ein schlecht bezahlter Arbeiter nicht doch etwas besser als ein Hauptmannscher Weber oder ein Industrieprolet des Marx´schen Englands? Dass die Schere zwischen arm und reich heute schon jeder ethischen Norm spottet und zu einer wirtschaftlichen und damit politischen Bedrohung geworden ist, steht dem nicht entgegen.
      Verzeihen Sie die unsystematische Aneinanderreihung von Gedanken, aber ich denke, dass der Fortschritt oder was immer man damit meint, desgleichen wenig „geordnet“ ist, keineswegs „linear“ oder „gesetzmäßig“ ist. Er ist namentlich heute das Zurückdrängen von Ängsten durch Vernunft…

    • Werner Richter sagt:

      Naja, könnten wir ja mal den Bauern in Nigeria, auf deren Felder unser Sondermüll und die Giftrückstände der Ölförderung blühen, denen in Äthiopien, die von ihren „Staatsorganen“ verjagt wurden, um ihr Land zum Anbaugebiet für unsere nachwachsenden Rohstoffe privat zu verkaufen, den Sklaven in kongolesischen „Bergwerken“ mittelalterlicher Art, die unsere strategische Rohstoffe für unseren Fortschritt mit den Händen bergen, sollte nicht gerade der Schacht über ihnen eingestürzt sein oder sie den letzten Überfall von unseren Konzernen im Kampf um Zugriff auf das „neue Gold“ bezahlter Söldnertrupps zufällig überlebt haben, den „Arbeiterinnen“ in den KZs südostasiatischer Zulieferer für unsere schönen Markenklamotten, wenn sie nicht soeben verdurstet oder unbehandelt krank verstorben sind, den indischen und afrikanischen Kindern, die auf quadratkilometergroßen Arealen unserer Elektronikschrott- und Schiffswrackhalden etwas Brauchbares bei permanenter Lebensgefahr zu extrahieren versuchen, um sich was zu essen zu kaufen, aber auch gleich dort leben müssen, oder, oder, erzählen. Es würde sie sicherlich beruhigen, uns unter den Nutznießern unseres technischen Fortschritts zu wissen. Dieser Fortschritt ist fragwürdig, wie bereits gesagt, besteht er doch aus einem System von Produktions- und Konsumtionsmitteln, die nicht auf Bedürfnissen, sondern auf Verwertungspotential beruhen. Über Marketingstrategien wurde dies uns als Bedürfnis eingeredet und wir abhängig gemacht. „Denn aus Gemeinem ist der Mensch gemacht und die Gewohnheit nennt er seine Amme“. Inzwischen wächst die Zahl der Nachdenklichen, die an einer neuen, besseren Gesellschaftsstruktur auf Grundlage dieses Fortschritts zweifeln. Vieles, was uns im Alltag als Fortschritt geprießen wird, wird sich eines Tages einfach als Müll erweisen, weil das nicht den menschlichen Bedürfnissen entspricht, und bei genauem Hinsehen kann man das schon heute erkennen. Der Verweis auf unseren relativen Wohlstand ist inhaltlich zynisch, würde ich mal überdenken. Sind Ihnen noch nicht die allumfassenden asozialen und neofeudalistischen Entwicklungslinien auch in Europa und den USA aufgefallen, die unseren „Wohlstand“ zurückfahren? Süd- und Osteuropa sind schon dran, sind inzwischen im 3. Stock von unten angelangt. Da geht es uns tatsächlich Höhe 5. Stock besser.
      Für die Redaktion: hiermit beende ich meinen Teil an diesem Diskurs.

  24. Karl Kick sagt:

    Zu Günter Hayn, Deutsches Menetekel

    Wenn ich Günter Hayn richtig verstehe, dann ist der Tillich daran schuld, daß es so viele Nazis in Sachsen gibt. Hätten die Sachsen einen rechten – also: einen besseren Führer, dann wäre alles anders, oder? Aber wer hat denn den Tillich gewählt? Doch die Sachsen. Also wird umgekehrt doch eher ein Schuh aus der Sache. Ja, die Verharmlosung des rechtsextemen Denkens in Sachsen und anderswo ist tatsächlich viele Jahrzehnte alt. Und nennen wir es doch beim Namen: Verharmlost wurde und wird der Nationalsozialismus, der in der DDR seit deren Gründung als „Faschismus“ verharmlost wurde, womit sein Wesenskern, der Rassismus, geleugnet wurde und von der sogenannten Linken bis heute wird. Die Ermordung von Juden, Sinti, Roma und anderen wurde in der DDR systematisch verleugnet, weil der „realexistierende Sozialismus“ der Garantiemacht Sowjetunion und deren Satrapen ja ebenfalls systematische Verfolgung dieser Menschen betrieben, freilich mit anderer Begründung. Schade, daß das Blättchen nicht Aufklärung betreibt, sondern weiter verharmlost.

    • Günter Hayn sagt:

      Sehr geehrter Herr Kick,
      Sie haben mich nicht verstanden, überhaupt nicht. Von der DDR haben Sie keine Ahnung, von Faschismus-Theorien auch nicht. Ich werfe Ihnen das nicht unbedingt vor, aber unterlassen Sie dann bitte auch solch haltlose Behauptungen. In der Fachwissenschaft hat sich mehr oder weniger durchgesetzt, „Faschismus“ als Oberbegriff zu fassen, unter den auch die spezifisch deutsche Variante des „Nationalsozialismus“ fällt. Letzterer Begriff ist eher eine Verharmlosung, auf den schon naive Kommunisten um das Jahr 1933 hereingefallen sind, als sie auf die „SA-Proleten“ und deren Träume von einer „zweiten Revolution“ setzten. Wenn Sie mir nicht glauben, dann lesen Sie Wolfgang Langhoffs KZ-Erinnerungen „Die Moorsoldaten“, die er unmittelbar nach seiner Flucht aus Deutschland geschrieben hatte.
      Die Ermordung der Juden, Sinti und Roma wurde in der DDR weißgott nicht geleugnet. Nur zwei Beispiele: Alex Weddings Jugendbuch „Ede und Unku“ war in allen Schulen Pflichtlektüre in der Mittelstufe. Das erste deutsche Sinti-und-Roma-Mahnmal beider Staaten überhaupt wurde 1986 in Marzahn eingeweiht. Zur Erinnerung an das NS-Zwangslager gleich daneben. Einverstanden, das kam spät, aber es kam. Dass es von einem Pastoren und einem staatlicherseits mißtrauisch beäugten Umweltschriftsteller initiiert wurde, mindert seinen Wert überhaupt nicht, im Gegenteil. Und dann setzen wir da gleich mal noch eines drauf: Otto Rosenberg, damals Chef des Sinti-und-Roma-Landesverbandes – Auschwitz-, Buchenwald- und Dora-Überlebender – sagte mir in den 1990ern an diesem Stein, dass viele Berliner Sinti das Verschwinden der DDR mit gemischten Gefühlen sähen. Auf mein erstauntes Aufblicken: „Ja, uns ist ein potenzielles Fluchtland anhanden gekommen.“ Herr Kick, lassen Sie also bitte solch Unsinn.
      Der Völkermord an den Juden war Schulstoff. Auch wenn Anne Frank nicht in dem Umfang gelesen wurde, wie z.B. der Roman „Nackt unter Wölfen“, in dem es um die Rettung eines jüdischen (!!!) Kindes geht. Und anderes übrigens auch. Ich nenne ihnen noch ein paar Bücher, die die völlige Haltlosigkeit ihrer Thesen belegen: 1960 (!) erschien in der DDR die Dokumentation „Faschismus – Getto – Massenmord“ über „Ausrottung und Widerstand der Juden in Polen“. 1987 kam der Bestseller „Der gelbe Fleck“ von Rosemarie Schuder und Rudolf Hirsch heraus. 1981 Heinz Bergschickers „Deutsche Chronik“ – die binnen kurzem trotz ihres für DDR-Verhältnisse heftigen Preises (49,50 M) vergriffen war und nachgedruckt werden musste. Bergschicker erhielt für dieses Buch den Heinrich-Mann-Preis der Akademie der Künste der DDR. Lin Jaldatis jiddische Platten waren Bückware, ihre Konzerte immer ausverkauft. 1957 erschien eine der graunhaftesten Dokumentationen überhaupt: „SS im Einsatz“ in hoher Auflage. In der Bundesrepublik war in jenen Jahren die Hochzeit der SS-Veteranentreffen. Wovon reden Sie überhaupt? Haben Sie jemals Bechers „Kinderschuhe aus Lublin“ gelesen – oder seine „Ballade von den Dreien“? Wenn Sie in der DDR aufgewachsen sein sollten, haben Sie dieses offenbar vergessen. Sind Sie es nicht – ich schicke Ihnen die beiden Texte gerne zu.
      Und zu den sächsischen Verhältnissen. Lesen Sie meinen Text genauer. Und dann denken Sie bitte darüber nach, wielange die „freien Kameradschaften“ zum Beispiel in der Sächsischen Schweiz ihr Unwesen treiben durften. Durften? Denken Sie bitte über die gelinde gesagt merkwürdigen „Heimatschutz-Formationen“ nach, die sich im Mittleren Erzgebirgskreis oder im beschaulichen Meißen breit gemacht haben. Denken Sie bitte darüber nach, weshalb sächsische Polizisten Flüchtlinge vor den Augen eines brandlüsternen Mobs aus dem Bus zerren und nicht diesen Mob in die Schranken weisen… Ich habe keine Ahnung, wem Sie aktuell eine Verharmlosung vorwerfen wollen – den Adressaten, den Sie ausgemacht haben, trifft das mitnichten.

  25. Werner Richter sagt:

    Zu Anfang 1990:die SPD, Moskau und die NATO-Frage von Karsten Voigt
    Die Repliken gewissermaßen aus erster Hand sind interessant und haben zweifellos ihren Wert (besser: Gebrauchswert). Und es erstaunt mich immer wieder neu, in die Gedankenwelt eingeladen zu sein, die einem westlich aufgewachsenen Politiker seit Mutterbrust bzw. Nuckelflasche durch die Gesamtheit der Umstände angereichert wurde, mir aber suspekt ist und bleibt, so wahr mir Jehova, Gott, Allah oder wer sonst helfe. Kommt urplötzlich die unpassende Frage hoch: ist das noch anerzogen oder schon genetisch eingewachsen? Da wächst garantiert nichts zusammen, kann ich versichern. Frappierend ist mir diese Selbstverständlichkeit, das Bündnis –in welcher Form auch immer – mit den USA quasi als Glaubengrundsatz vorauszusetzen. Riecht angesichts deren Politik streng nach Nibelungentreue, gemeinsam – wenn sein muß – in die selbstgeschaffene Katastrophe? Da werden Sie, Verehrtester, in großen Teilen der Ostbevölkerung in absehbarer Zeit kaum Anklang finden. Hat diese Propagandainszenierung vom Demokratie und Menschenrechte verkörpernden und der Welt bringenden Land der unbegrenzten Möglichkeiten – entgegen der aggressiv-brutalen Machtpolitik – vielleicht e i n e n Keim des Proteste und der Ablehnung darauf basierender Perspektive gelegt, die dann von Pegida und AfD krätzeartig kanalisiert wurde? Lohnt vielleicht, mal darüber nachzudenken. Es fällt mir auch schwer, in der von Ihnen hier und auch sonst dargestellten SPD-Politik einen Berührungspunkt zu den hehren Zielen der Sozialdemokratie (von vor dem 1. Weltkrieg), so wie sie meine Eltern aus ihrer Zeit in der Jugendbewegung reflektierten, und damit der sozialdemokratischen Bewegung an sich wieder zu finden. Aktive Identifikation mit den Interessen kapitalbestimmter Länderkoalitionen wie EU und Nato ist mit Interessenvertretung von Arbeitern und meinetwegen „kleiner Leute“ nicht vereinbar, höchstens über semantisch geschickte Umschreibungen von „Wertekommissionen“. In diesem Kontext darf wohl auch die explizit, hier mehr implizit eingeschobene russische Bedrohung unbegründet als Faktum gesetztes Cetero censio nicht fehlen. Aus russischer Bedrohung mach sowjetische/bolschewistische und jetzt wieder russische? Iß dein Abendbrot, sonst kommt der Iwan. Meine Oma sprach immer furchtsam von den „Schwarzen“, heute noch geflügelter Begriff der Russen in Zentralasien. Jeder hat so seinen Neger. Ob das schon genetisch nachweisbar ist? Es ist wohl auch für die SPD an der Zeit, die an den Endpunkt der Unüberbrückbarkeit der Widersprüche zwischen der realen Welt und den von dieser zu weit abgehobenen Politikdefinition gelangten bisherigen Linien zu erkennen und sich selbst neu zu erfinden. Oder sie bleibt und leistet ihren Beitrag zu Modifizierung der repräsentativen Regierungsform in ein Demokratietheater. Dann sind Wahlprozente eh belanglos.

  26. Jürgen Scherer sagt:

    Zu „Prinzip Betreuung“
    Mit Erziehung und Bildung ist das so eine Sache. Daran herumzumäkeln kann man eigentlich immer. Die Klagen zu deren Wirkungen und Ergebnissen sind so alt wie das System: Die Schüler*innen sind nicht genügend gebildet, sie haben zu wenig Grundwissen, sind nicht gerüstet für die Gesellschaft, in der sie leben werden, die sie verantwortlich mitgestalten sollen, früher hat das alles besser funktioniert, war noch „Zug dahinter“, wurde noch wirklich gelernt und sich angestrengt.
    Insofern ist vieles nachvollziehbar, was in dem Artikel angesprochen wird. Aber dass es einmal „hüben wie drüben“ zufriedenstellend geklappt habe mit Erziehung und Bildung ist ja wohl eher Wunschdenken. Wie es „drüben“ war kann ich aus eigener Anschauung nicht sagen, da ich ja „hüben“ lebte. Hier gab es heftige Kämpfe um das richtige Procedere im Umgang mit Erziehung und Bildung. Letztlich haben sich die fortschrittlichen Kräfte für eine möglichst lange gemeinsame Schulzeit der Kinder aller Klassen nicht durchgesetzt, sodass nur der Minimalkonsens übrig blieb, die 4jährige Grundschule – immerhin. Aber selbst die scheint den „Bach runterzugehen“, weil den Grundschullehrerinnen immer mehr an Aufgaben zugemutet wird (Integration von Migrantenkindern, Inklusion „behinderter“ Kinder aller Art, Förderung der „normalen“ Kinder mit ihren je unterschiedlichen „Begabungen“ usw.usw.), sie so ihrer Aufgabe nicht mehr gerecht werden können. Das Ganze hat System, denn so funktioniert Auslese heute! Wollte man was anderes, müssten mehr Lehrerinnen in die Schule mit mehr Zeit für die Kinder, Muße zum Lernen, Experimentieren und zum sozialen Miteinander. Sogenannte Förderschulen brauchte man dann wirklich nicht mehr, weil die Klassen von den je nötigen Fachlehrer*innen im Team betreut werden könnten. Zu behaupten, wer einmal gefördert wurde, werde das sein Leben lang nicht los, dieses Fördern, ist mehr als gewagt. Da gibt es nun doch genügend Beispiele, dass Förderung zur rechten Zeit schon manche Schüler*innenkarriere positiv beeinflusst hat.
    Über die „ Kultur der Anstrengung“ lässt sich trefflich streiten. Dass da vielleicht einiges im Argen liegt, mag sogar stimmen. Aber dass sich in Schulen so gut wie nicht angestrengt würde, sie sogar zum Wenig- bis Nichtstun einlüden, ist ja nun purer Humbug. Ohne Anstrengung wären die vielen Prüfungsetappen, die Schüler*innen heutzutage durchlaufen müssen gar nicht zu meistern. Aber – da liegt nämlich der Hund begraben – das zu Überprüfende ist oft nur Wiederzukäuendes. Anpassungsleistungen werden verlangt, nicht Kompetenzen wie Mündigkeit, Selbstständigkeit, Solidarität, Empathie. All das, was den mündigen Menschen ausmacht, wird auf dem Altar des Kapitalismus geopfert. Er soll funktionieren, Rädchen im Getriebe sein, und zwar gern. Mit solcher Art Zurichtung ist allerdings, kein demokratischer Staat zu machen, vielleicht aber eine „marktkonforme Demokratie“. Deshalb ist die von dem Autoren geforderte „Kultur der Anstrengung“ allein eher ein willkommenes Mosaiksteinchen auf dem Weg zu „marktkonformen Demokratie“, denn ein Weg zur Mündigkeit und zur engagierten politischen Teilhabe in unserem Gemeinwesen. Wie brauchen aber Demokrat*innen, wenn wir in einer menschenwürdigen Gesellschaft leben wollen.

  27. Werner Richter sagt:

    Zu „Barzahlung, Fitness-Tracker und der Datenschutz“ von Stephan Wohanka Heft 5.2016
    Ich weiß nicht, ob es so glücklich und sinnvoll ist, die durch biometrische Datensammlung erwartete Zukunft der drohenden Bargeldlosigkeit, die garantiert mit allen befürchteten bösen Folgen kommen wird, wenn das Finanzkapital diesen Schritt weiter als notwendig betrachtet, gegenüber zu stellen und daran eine Wichtung der Gefahren vorzunehmen. Beides gehört wohl tatsächlich zusammen (Kleinstbaustein des Turmbaus zu Babel der Neuzeit oder gläserner, besser gelenkter Mensch), aber auch wiederum nicht. Geld hat zumindest in der Warenproduktionsgesellschaft im Gegensatz zur Armbanduhr eine existentielle Bedeutung, auch wenn es genau genommen nicht um Geld direkt, sondern um seine Zeichen, Surrogate geht. Mit ersterem kann man nicht ohne Strafe des Gottes Wertgesetz nach Belieben umspringen, mit letzterem schon bis zu gewissen Grenzen, in der Praxis zu bestaunen. Hierzu sei auf den Beitrag von Klaus Müller, der hoffentlich nicht Ausnahme bleibt, oder besser noch auf sein Buch „Geld von den Anfängen bis heute“ (siehe auch Heft 1-2016) verwiesen. Es wäre schön, könnte Herr Müller gelegentlich mal die grundlegende Bedeutung des Geldes, die gesellschaftliche Funktion, anhand der Bargeldperspektive darstellen. Ich weiß, diese Kritik ist nicht ganz fair, so hat es der Autor nicht beschrieben, jedoch kann diese Suggestion entstehen. Auch sind die Beispiele Lindner, Henkel so kein Beweis der Übertreibung der Bargeldlosigkeitsgefahren, der Verweis auf andere Länder schon gar nicht. Abgesehen von der politischen Zielstellung derer Aussagen kann oder muß man dem Langzeitvertreter von Goldman-Sachs in Europa, das fehlt in der Charakteristik, auch wenn er normalerweise auf den Geist geht, fundamentale Sachkenntnis zurechnen. Auch diese Leute plaudern bei Notwendigkeit mal aus dem Nähkästchen. Gedenken wir auch des Liebhaber des Kapitalismus (Selbstironische Charakteristik) Michael Moore, der an den Industrieruinen seiner Heimatstadt im Disput mit seinem Vater sinnierte: Wann ging das los? Zuerst nahmen sie uns das Geld weg. Dann trieben sie uns in die Verschuldung und zum Schluß machten sie den Laden dicht. Man kann von Moore halten, was man will, aber das sind gelebte Erfahrungen. „Bis hierhin ging es gut“ ist auch ein Spruch der Dummheit.

  28. Jochen Mikolajczyk sagt:

    Angesichts des Kommentars von R. Caracciola, klingt das natürlich schon nach einer „verkappten“ Coverversion, die in anderen Fällen bei weit weniger Ähnlichkeiten auch schon mal die Justiz auf den Plan gebracht hat (?!). Die Puhdys waren aber auch sonst für „freches Klauen“ prädestiniert. So sind ihre frühen Eigenkreationen „Türen öffnen sich zur Stadt“ und „Geh dem Wind nicht aus dem Wege“ dem Stil der englischen Hardrocker Uriah Heep stark nachempfunden, wenn gleich nicht ohne Orginalität gemacht.

    Ein Deja-Vus erlebte indes auch ich, als ich um 1980 rum beim Christbaumschmücken eine Eterna-LP mit Bach / Vivaldi auflegte. Bei Vivaldi handelte es sich um das „Concerto Grosso Op. 3, Nr.8 A-Moll“ Das Thema des zweiten Satzes Larghetto Spiritoso kannte ich von der LP „The Good Earth“ von Manfred Mann’s Earthband (1974). Mister Mann hatte keine Credits angegeben, obwohl die Interpretation um das Thema herum dann auch sehr frei ausgelegt wurde. Frech aber toll gemacht; und rechtlich auch unbedenklich.

    Die „Arbeit mit dem Material“ hat vor einigen Jahren Saxophonist Ken Vandermark auf die Spitze getrieben, indem er „Free-Jazz-Klassiker“ gecovert hat. Das klingt wie ein Contadictio, hat aber wunderbar funktioniert und die Kredits an die „Komponisten“ sind ausdrücklich vermerkt worden.

    Wer es noch schräger mag höre sich die Zusammenarbeit von „Jaszz-Professor“ Eugene Van Chadbourne mit den Cow_Punkern Camper van Beethoven an. Hier gibt es massenhaft Kredits an Künstler und Stücke, die in der Musik kaum bis garnicht zu erkennen sind.

  29. Rudolph Caracciola sagt:

    „Musikalische Mirakel“ in der aktuellen Ausgabe:
    Auch ohne die Tortur von THE WALKING DEAD und selbst ohne den Komponisten Peter Gotthardt zu bemühen, lässt sich die Frage, ob der Titel „Wenn ein Mensch lange Zeit lebt“ von den BeeGees – um ein moderates Wort zu gebrauchen – „entlehnt“ war, beantworten, dank Wikipedia: „Im Jahr 1973 spielten die Puhdys die von Peter Gotthardt und Ulrich Plenzdorf geschriebenen Titel WENN EIN MENSCH LEBT und GEH ZU IHR als Filmmusik zum Film DIE LEGENDE VON PAUL UND PAULA (unter Regie von Heiner Carow) ein. Dabei wurden die ursprünglich angedachten Titel SPICKS AND SPECKS von den Bee Gees und LOOK WOT YOU DUN von Slade aufgrund Devisenmangels gestrichen und stattdessen Eigenproduktionen genommen, denen die starke Ähnlichkeit zum Original anzuhören ist.“

  30. Kontextleser sagt:

    Ihre Nachfrage, Herr Wohanka, hinsichtlich der Fähigkeit von Herrn Putin, auch über das Wasser gehen zu können, gründet möglicherweise tief in der alttestamentarischen Darstellung gemäß Buch Josua 3/14 ff., den Übergang über den Jordan betreffend. Danach wäre die Wasserwanderung unnötig, da sich das Wasser ja zurückzog, als die israelischen Flüchtlinge/Neulandnehmer von ihren Priestern angeführt ans Ufer desselben kamen.
    Nun gibt es noch eine neuere umgangssprachliche Version zu diesem bis heute rechtsetzenden Vorgang hinsichtlich dortiger Eigentumsverhältnisse: „Über den Jordan gehen oder gegangen sein …“.
    Angesichts der verständnisvollen und nicht miß- zu verstehender Bewertung von Herrn Putin in Ihren Beiträgen werden Sie dies aber doch nicht als „Wille und Vorstellung“ im Sinn haben?

    • Stephan Wohanka sagt:

      Lieber Herr,

      ich hatte Markus 6, 45-53 im Auge, denn wie Sie richtig feststellen, teilten sich die Jordanwasser wohl; ein Laufen darauf war eher unmöglich. Aber so haben Sie den „Jordan“ einführen können, um dann auf dessen „neuere umgangssprachliche Version“ zu rekurrieren. Was nun meinen daraus folgenden „Wille“ respektive meine „Vorstellung“ angeht, so wünsche ich jeder Kreatur ein langes Leben; oder anders – gegenüber niemandem und nichts hege ich Todes- oder gar Mordphantasien: „Jeder dumme Junge kann einen Käfer zertreten. Aber alle Professoren der Welt können keinen herstellen“.
      Darüber hinaus haben Sie meine „Bewertung“ des Herrn Putin wohl richtig verstanden.

  31. R. Bloß sagt:

    Nun ja, Herr Murmelauge, im Glashaus sitzend, ist es mit dem Schmeißen von Steinen so eine Sache, gell?

    • Manne Murmelauge sagt:

      Sie müssen mich verwechseln. Ich lese gern Texte, die anders sind, als hätte ich sie geschrieben. Zuweilen wird man dadurch klüger. Während Herr Rotlöffel zu meinen scheint, klüger zu sein als alle Autoren. Wenn das stimmt, gehörte das Blättchen geschlossen; wenn nicht, ist es Hochmut. Da bin ich eher für Demut vor der Leistung der anderen.

  32. Rotspoon sagt:

    Nationale Romantik
    Was die „geistige Verfaßtheit der Bundesrepublik“ betrifft, konstatiert der Autor in der Gesellschaft eine Spaltung und politische Radikalisierung und schließt, wenn unsereins ihn richtig versteht, auf einen Mangel an politischem Urteilsvermögen. Wenn dem so ist, entsteht die bange Frage, wie diesem Mangel wohl abzuhelfen wäre.d

    • Manne Murmelauge sagt:

      Endlich haben wir wieder einen Kommentator, der zu fast jedem Text alles besser weiß. Am besten, Sie schreiben sich Ihr eigenes Blättchen! Dann kommen Sie in den unübertreffbaren Genuss, nur noch das lesen zu müssen, was zu Ihnen passt.

  33. Korff sagt:

    Ermutigung zum Ehe-Versprechen von Günther Oettinger, solange es als Lösungsansatz – mit Weiterungen ! – in Haus und Vorgarten weiter gilt:
    Frau Petry: übernehmen Sie!

  34. Rotspoon sagt:

    Lenin und Putin

    Wo unsereins auch hinguckt, überall, an allen Ecken und Enden läuft einem der russische Präsident über den Weg und sagt dieses und jenes und was das Erstaunliche ist: alles, was er so von sich gibt, hat Hand und Fuß.

    Übrigens: 1954, damals in der 10. Klasse in der Dom- und Ratsschule in Halberstadt, erzählte uns Bruno Glaubitz die Geschichte der Kronstädter Matrosen und da wurde mir ganz schlecht.

    Mit anderen Worten: Mich deucht, Rußland ist auf dem richtigen Wege und was die übrige Welt betrifft: Wo aber Gefahr ist, wächst Das Rettende auch

    • Stephan Wohanka sagt:

      „…alles, was er so von sich gibt, hat Hand und Fuß“ – kann er nicht auch über Wasser gehen?

    • Ehrlich, er läuft doch nicht über den Weg, er wird doch durch alle Gazetten gejagt. Das ihm anzuhängen ist ein wenig Unfair.
      Was mich eher abschreckt hier weiter zu lesen sind die sehr eingeschränkten wenn nicht sogar schlichten Kommentare. Auch ist es gut wenn sich jemand zu allem einmischen kann, zumindest einmischt. So vergrößerte sich die „Angriffsfläche“ enorm.
      Das hin und herzwitschen wischen Moral und „Realismus“ ist auch nicht sehr hilfreich.
      So wird sich ein spannende Auseinandersetzen für mich nicht ergeben. Aber was macht das schon?

      beste Grüße

  35. Rotspoon sagt:

    Wenig Herz und kein Verstand?

    Auf ein Wort, Petra Erler: Isch over

  36. Rotspoon sagt:

    Des Kremls fünfte Kolonne?

    Erstens : Wer – wie Wolfgang Brauer – Lisas Geschichte erzählt, muß die ganze Geschichte erzählen und darf nicht den ersten Teil der Geschichte unter den Tisch fallen lassen. Auch der Ausfall gegen den russischen Außenminister läßt tief blicken .

    Zweitens: Mich deucht, daß schlicht und einfach die Integration jener „deutschstämmigen“ Zuwanderer aus Rußland nicht gelungen ist, die, egal ob Frau oder Mann, in Marzahn und anderswo ihre Tage notgedrungwen am häuslichen Herd verbringen müssen.

    Drittens: Was will der Autor dem Leser eigentlich sagen? Sein letzter Satz erleuchtet unsereinen: Er macht sich Sorgen um die Demokratie. Das ist sehr löblich, denke mich mal.

    • wolfgangbr sagt:

      Sehr geehrter Herr, nehme ich doch an, Rotspoon,
      Sie haben Recht. Ich habe Lisas Geschichte nicht vollständig erzählt. Ich habe erzählt, was im dargestellten Zusammenhang wichtig ist. Die Details der persönlichen Tragödie des Kindes Lisa – und inzwischen wohl auch ihrer Familie -, um ein Kind handelt es sich, habe ich weggelassen. Dass diese Art der Darstellung korrekt ist, wurde mir heute übrigens von Angehörigen der russlanddeutschen Community Marzahns aus sehr unterschiedlichen Parteiungen bestätigt. Es ist einfach ekelhaft, wenn Menschen, egal welch politischer Couleur, aus solchen Tragödien versuchen Kapital zu schlagen. Das trifft auch auf andere Fälle zu. Einen „Ausfall“ gegen den russischen Außenminister kann ich in meinem Text beim besten Willen nicht erkennen. Im Gegenteil: Aufgrund meines Respektes vor seinem Amt und der Liebe zu seinem Land habe ich mich sehr zurückhaltend geäußert. Festzustellen ist allerdings, dass Herr Lawrow weder unseren russlanddeutschen Landsleuten noch sich selbst mit seinen Äußerungen einen guten Dienst erwiesen hat. Und ganz zuletzt dem Kind Lisa. Aber die spielt ja in diesem eklen Krieg der Emotionen und inzwischen auch der Ideologien sowieso keine Rolle mehr. „Kollateralschaden“ nennen das zynische Menschen.
      Ansonsten haben Sie meinen Text zutreffend interpretiert: Ich halte die „Integration“ der Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler tatsächlich nicht für besonders gut gelungen. Das steht aber auch da.

  37. Literat sagt:

    Als Miszelle zum „Nicht-Adenauer“-Zitat: Die Vermutung, Adenauer hätte sowas nie gesagt, in der DDR sei ihm das aber gern zugeschrieben worden, könnte Auswirkung der durch die „Aufarbeitungsindustrie“ geprägten Schablone zur Bewertung des deutsch-deutschen Verhältnisses sein.
    Da kann schon verloren gehen, daß in jener Zeit die Losung „Deutsche an einen Tisch“ “ und die Schlußfloskel unter jeglichen offiziellen Briefverkehr lautete: „Für Einheit und gerechten Frieden“- in der DDR als“Staatsdoktrin“ galt; in der BRD war das Wirken dafür unter Strafe gestellt und wurde so auch exekutiert.
    Deren Gegenposition war (im folgenden Text sowohl von Adenauer als auch Köhler in handelnder Funktion!), wie in der Bundestagssitzung vom 22. September 1950:
    “ Während der Rede des KPD-Abgeordneten Max Reimann kommt es im Bundestag in Bonn zu einem Eklat. Nachdem Reimann schon mehrmals von dem Abgeordneten Franz Josef Strauß unterbrochen worden ist, erhält er wegen der Feststellung, daß die Oder-Neiße-Grenze ‚eine Grenze des Friedens‘ sei, vom Bundespräsidenten Erich Köhler einen Ordnungsruf und wird dann durch Händeklatschen und dauernde Zwischenrufe zum Abbruch seiner Rede gezwungen.
    Anschließend betreten zwei angebliche Rußland-Heimkehrer mit zerschlissener Kleidung und durchlöcherten Schuhen das Podium. Einer von ihnen ergreift das Mikrophon und ruft: ‚Kein Heim und nichts zu essen, und dann soll man diesen Mann in dieser Weise reden hören! Wenn ich ihn kriegen könnte, würde ich ihm den Hals umdrehen.‘ (Reimann kam aus dem KZ Sachsenhausen – L.)
    Daraufhin wird die Sitzung unterbrochen. Später betritt Bundeskanzler Adenauer das Podium und gibt im Namen der Bundesregierung eine Erklärung ab: „Wir bedauern, daß dieser Saal und diese Rednertribüne durch eine solche Rede des Abgeordneten Reimann, die den deutschen Interessen absolut zuwiderläuft, entweiht worden sind. Die Bundesregierung erachtet es weder mit ihrer Stellung und Verantwortung noch mit ihrer Würde für vereinbar, in Zukunft solche Reden anzuhören.
    Nach Beendigung des zweiten Tages der Aussprache über die Regierungserklärung wird bekannt, daß die beiden Unbekannten am Tag zuvor von Bundestagspräsident Köhler Eintrittskarten für die Zuschauertribüne erhalten hatten und er sie außerdem Bundeskanzler Adenauer vorgestellt hatte.“ (Die Protest-Chronik 1949 – 1950, Rogner & Bernhard, Hamburg, 1996).
    Manches war wohl wirklich anders:mit der DDR und auch mit den Sternstunden des Bundestages.
    Übrigens: Die polnische Erinnerung an die unterschiedliche, BRD-seitig zögerliche, deutsche Einstellung zur „Oder-Neiße-Grenze“ scheint dort gegenwärtig ins Gerede zu kommen. Auch dafür ist Quellenkunde hilfreich.

  38. Stephan Wohanka sagt:

    Zu: Sättigungspolitik: Demokratie als oraler Komplex von Heino Bosselmann

    Ein gut geschriebener, in der Tat zum Eigendenken anregender Text. Ich will es aber nicht bei diesem Lob belassen…
    Wenn Bosselmann schreibt, „dass den hohen aufklärerischen Ansprüchen weder die Mehrheit einer Gesellschaft genügen will noch überhaupt genügen kann“ und er das – wie aus dem Kontext folgt – auf die heutige Zeit münzt, dann frage ich mich: Konnte sie das jemals? Konnte je eine deutsche Gesellschaft seit Kant oder auch nur Adorno den „hohen aufklärerischen Ansprüchen genügen“ oder war und ist es eher so, dass unsere idealerweise an diesen Ansprüchen orientierte Gesellschaftspraxis diese Ideale sowie auch alle anderen wie Freiheit und Menschenrechte permanent verfehlt, und dass gerade darin, also im beständigen Streben nach ihnen, ihre Nachhaltigkeit, ihr Kontinuum liegt?
    Weiter; er schreibt: „Wer heute intellektuell widerständig im Sinne Adornos auftritt, gilt den Angepassten, also der sogenannten ´Mitte´, schnell als Populist“. Das ist mir zu viel Unterstellung: Wieso wird der „Mitte“ abgesprochen, den „Prozess der Mündigkeit“ ebenso durchlaufen zu können respektive zu haben wie Adornos Jünger, dabei aber schlicht zu einem anderen Urteil gekommen zu sein, vor dessen Hintergrund eine in Rede stehende Meinung eben doch eine „populistische“ wäre? Abstrakt gesagt – wer entscheidet, was was ist? Früher war das beispielsweise der „Klassenstandpunkt“; heute leben wir in einer pluralistischen Gesellschaft. Das heißt, es koexistieren unterschiedlichste Weltanschauungen und Lebenskonzepte und das Tolerieren der damit konnotierten gegensätzlichen Wertvorstellungen und voneinander abweichender Lebensstile ermöglicht dem Einzelnen individuelle Entfaltungsspielräume. (Ob er sie in jedem Falle wahrnehmen kann, steht nochmal auf einem anderen Blatt). Momentan ist diese konsensuale Koexistenz massiv gestört; pluralistische Ignoranz ist wohl der dazu passende Begriff aus der Sozialpsychologie: Wenn Menschen sich in vieldeutigen, schwer einschätzbaren Situationen befinden, was heute unbedingt der Fall ist, und sie nicht wissen, wie darauf (am besten) zu reagieren wäre, hören sie sich danach um, was andere tun. Die Verunsicherten versuchen aus dem Gehörten Schlüsse für ihr eigenes Verhalten zu ziehen. Die sich dann am lautesten, am auffälligsten Artikulierenden üben in solchen Lagen einen erheblichen informativ-sozialen Einfluss auf andere aus. Wenn diese aber ebenfalls ratlos sind, entsteht – wie gesagt – eine pluralistische Ignoranz.
    Auf diesem Hintergrund kann man sich die „orale Gesellschaft“ auch noch ganz anders vorstellen – nicht als „eine der Aufnahme, der Verdauung, der Rezeption, mithin der Genuss- und Ruhebedürfnisse“, wie Bosselmann es sagt, sondern als oral-verbale Gesellschaft. Damit bekommen all die aggressiven Äußerungen, die heute kübelweise ausgeschüttet werden, eine Bedeutung – sie werden zu kommunikativen Katalysatoren: Sie lösen die Differenz zwischen den umlaufenden Tatsachen und den verbreiteten Meinungen (darüber) auf und setzen das ganze Potenzial des bisher unartikulierbaren Ressentiments frei. Der Online-Zugang zu diesem kunterbuntbösen Wortsalat reizt dann auch noch zur Suche nach dem heimlichen Sinn und der geheimen Steuerungszentrale im unübersichtlichen Informationschaos.
    Wie sagt doch der Medienwissenschaftler: „Medienkritik war schon immer eine der großen Zierden des Bildungsbürgertums. Mit einer kritischen Haltung zu Medien hat man immer recht, in der Schule genau wie am Stammtisch“. Der misstrauische Blick auf die Medien hat den mündigen Bürger vermutlich mehr als alles andere geprägt, „aber das öffnet mitunter auch ein Tor zum Populismus und macht Nonsens gesellschaftsfähig“.

    • Werner Richter sagt:

      Das ist mir zu oberflächlich, Herr Wohanka, erinnert mich etwas an den alten Witz aus Kindstagen: Früher hatten wir den Kaiser, was haben wir heute? … Freitag! Kann man „unterschiedlichste Weltanschauungen und Lebenskonzepte“ so einfach konstatieren und deren Hintergrund unberücksichtigt lassen? Den „Klassenstandpunkt“ von anno tobak nicht in seinem Wesen erfassen, die handfesten Interessen hinter den Standpunkten? Drastisch bringt diesen Zusammenhang Hagen Rether genau auf den Punkt: Reich und rechts- das ist normal. Arm und links auch. Reich und links geht auch. Aber arm und rechts geht gar nicht, da muß noch blöd dazu kommen. „Unterschiedlichste Weltanschauungen und Lebenskonzepte“ sind nicht so einfach „gleichberechtigt“ da, auch wenn man sie akzeptieren, nie tolerieren kann. Populismus in der medialen Welt, ob von Medien oder der Politik, hat auch seine Interessenwurzeln. Welcher Politiker ist nicht auch Populist! Die heute übliche Schubkastenzuordnung hat taktisches Kalkül der Diskreditierung, ist aber letztendlich auch interessengeleitet. Genau wie die Medienabwehrschlacht gegen den blöden „Lügenpresse“-Vorwurf. Es ist interessant, wie viele Medien konzertiert dagegen vorgehen. Ihr Hauptargument ist jedoch genauso dämlich: Wir berichten völlig unabhängig. Sie ignorieren einfach ihre Einbindung in die Interessenvertretung der Macht, sehen die goldenen Käfige ihres Daseins als „Wertanlage“. So sind sie natürlich völlig frei, aus Einsicht in die Notwendigkeit. Wäre der „Lügenpresse“-Vorwurf nicht, kämen viele Mediengestalter in arge Bedrängnis. Sie müßten ihn erfinden. Ein bißchen Erfindung ist schon zu beobachten, er wird mächtig aufgebauscht. Allein mit Sozialpsychologie ist das Phänomen wohl nicht zu erfassen.

  39. Herbert Bertsch sagt:

    Danke, Herr Körner, für Ihren Hinweis zur möglichen Fremd (Falsch)-Zueignung der „Devise“ Adenauers hinsichtlich seiner nationalen Präferenzen.
    Mein Kollege als „Blättchen“-Autor Eckhard Mieder zitiert – um ein vergleichbares Beispiel zu nennen – den allseits bekannten Satz in seiner „Geschichte Deutschlands seit 1945“ auf Seite 51 mit diesem Kommentar, auch ohne Quellen-Exkurs: „So bringt der Machtpolitiker Konrad Adenauer seine Position auf den real politischen Punkt.“ Das könnte man auch „Devise“ nennen, was nachweisliches Zitat sein kann, aber eben als „Devise“ wohl nicht sein muß. Bei mir zwecks Verkürzung der Darstellung formal auch als „nicht-Zitat“ im engsten Sinne hingestellt, wobei ich Ihre Vermutung nicht teile, „der hätte so etwas nie öffentlich gesagt.“ (Literatur dazu u.a.: Walter Henkels: „…gar nicht so pingelig, meine Damen und Herren“, Econ Verlag Düsseldorf, ab 1965, zahlreiche Auflagen.)
    Er hat, und nicht nur er: Das war nach Lesart in beiden deutschen Staaten eine Grundkonzeption, wie in mehreren Beiträgen dieser Ausgabe dargelegt, von mir auch.
    Um der Korrektheit willen aber hier meine Quelle zum nachweislichen Zitat: In „Dokumente zur Deutschlandpolitik“, VI. Reihe Band. 1 (1969/ 70) Seite 403: Gespräch Stoph-Brandt am 19. März 1970 in Erfurt. Zitat Stoph: „Diese Restauration der Vergangenheit führte auf direktem Wege zur Spaltung. Damals wurde vom ersten späteren Präsidenten des westdeutschen Bundestages jenes bezeichnende Wort geprägt: ‚Lieber das halbe Deutschland ganz, als das ganze halb.‘ … Wie allgemein bekannt ist, war es Bundeskanzler Adenauer, der offen zugab, ihm stehe die westdeutsche Integration höher als die Einheit der Nation.“ In Fußnote 7 benennt der Herausgeber des Dokumentenbandes diesen ersten Präsident des Deutschen Bundestages (1949/50): Erich Köhler (CDU).
    Da haben wir nun dank Ihrer Anmerkung und früherer DDR-Recherche ganz nebenher eine ziemlich belastbare Quelle entdeckt.

  40. Reinhardt Gutsche sagt:

    Ein sehr nachträgliche, wenn auch noch längst nicht obsolete Anmerkung zu dem Beitrag „Das NSU-Phantom“ von Gabriele Muthesius ( 21. Dezember 2015):

    „Die Welt“ (immerhin, wenn auch nur im Feuilleton) brachte eine verblüffend unaufgeregte Rezension von Elmar Krekeler zu Wolfgang Schorlaus Bestseller „Die schützende Hand. Denglers achter Fall“. („Die Welt“ 26.01.2016, http://www.welt.de/151460492), um darin recht ausführlich die ganzen Ungereimtheiten bei der Aufklärung des NSU-Komplexes überraschend distanzlos zu referieren, so etwa die Tatsache, daß aus allein kriminologisch-technischen Gründen an der Theorie des erweiterten Selbstmordes am 4. November 2011 in Eisenach-Stregda erhebliche Zweifel angebracht seien: In diesem Falle hätte der vorgebliche Tatort, das Wohnmobil, voller Blut, Hirnmasse, Knochensplitter usw. sein müssen, war er aber nicht. „Von Mundlos und Böhnhardt fehlen zwei Kilo Hirn“, so dann auch der Rezensionstitel. Allerdings könnte es dafür eine naheliegende Erklärung geben: Sie fehlten denen schon zu Lebzeiten…

  41. Klaus Körner sagt:

    Nur eine Anmerkung zu Herbert Bertsch: Die Devise „lieber das halbe Deutschland ganz als das ganze Deutschland halb“ stammt nicht von Adenauer, der Spruch stammt von einem holländischen Delegierten im Europarat, als Carlo Schmid auf das Dilemma deutsche Einheit – Europaintegration hinwies. Es war ein Zwischenruf. In der Bundestagsdebatte von 1958 erwähnte der damalige CDU-Außenpolitiker Kiesinger diesen Vorgang. (siehe: Bundestag III (1957) Bd. 40, S. 1137, 1141 (Debatte v. 22. März 1958). In der DDR wurde der Spruch gern Adenauer zugeschrieben. Der hätte so etwas nie öffentlich gesagt.

  42. H.W. Konrad sagt:

    Ein sehr gedankenreicher und schon deshalb anregender Beitrag von Heino Bosselmamm – erneut, muss und darf man dem Blättchen zur Ehre feststellen. Ein unbedingter Vorzug von B.: Er hat zum einen wirklich eigene Gedanken anzubieten, und er benutzt Zitate weniger als Autoritätsbeweise, die auf eine aufatmende Akklamation abzielen, sondern vielmehr, um sie neuerlich zu überdenken und sich gegebenfalls auch dann an ihnen zu reiben, wenn deren Autoren im Olymp des tiefgründigen Denkens siedeln. Und so schmerzlich es fürs eigene Grübeln auch sein mag – B. bietet keine fertigen Lösungen an, schlicht, weil es sie nicht gibt, außer freilich für jene, die sie schon besitzen, seit sie im m/l Grundstudium die fehllosen und immer zu allem passenden Klassiker gelesen haben.
    Es gibt noch sehr, sehr viel zum Thema Demokratie zu sagen (darüber hinaus, was auch im Blättchen dazu schon zu lesen war). Und dies wird auch noch lange so bleiben, zumindest so lange, wie die gesellschafspolitische Evolution noch nichts besseres als dieses in vieler Hinsicht so fragwürdige Modell hervorgebracht hat. Zumal die Dinge in der Welt sich derzeit so zu gestalten scheinen, dass man sich an die Feststellung eines Sebastiao Castellio erinnert fühlt, der 1562 anmerkte: »Die Nachwelt wird es nicht fassen können, daß wir abermals in solchen dichten Finsternissen leben mußten, nachdem es schon einmal Licht geworden war.«
    (Sebastian Castellio, Castalio oder Chastillon, eigentlich Sébastien Châtillon (* 1515 zu St. Martin-du-Fresne in Savoyen; † 29. Dezember 1563 in Basel), war ein französischer humanistischer Gelehrter, Philosoph und protestantischer Theologe. Als Verteidiger der Glaubens- und Gewissensfreiheit gegen Johannes Calvin entwickelte er in seinen Schriften eine Theorie der religiösen und allgemeinen geistigen Toleranz. -(Wikipedia).
    Höchst empfehlenswert in diesem Zusammenhang: Stefan Zweig, Castellio gegen Calvin oder Ein Gewissen gegen die Gewalt.
    Heinz W. Konrad

  43. Werner Richter sagt:

    Anmerkung zur Diskussion über „Freihandel“ und TTIP
    In der Information zu Welttrends in Heft 2/2016 war zu lesen: „Die Intransparenz beim geplanten TTIP-Abkommen kritisiert Jürgen Trittin im Kommentar. Er warnt vor einem neoliberalen Diktat und fordert, Freihandel fair und demokratisch zu gestalten.“ Einschlägige Erfahrungen lassen Mißtrauen angeraten sein.
    Diese Forderung Trittins ist logisch und sinnvoll, ist aber des gleichen Charmes der, Hinrichtungen human zu vollziehen. Logisch, weil der Jürgen zutiefst von der heilbringenden Funktion des Kapitals für die Menschheit und auch des friedvollen und gerechten Wirkens des Marktes, der ja alles bestens regelt, überzeugt sein wird. Sonst hätte er als Minister und grüne Spitze nicht genau auf dieses Zwangskorsett mit hinarbeiten können. Dieses Argument ist das Credo der bewußt Wegschauenden, die sich schön rund gelutschte, abstrakte Formeln zur wirtschaftlichen Realität herbeiphantasieren (lassen), die mit dieser aber sehr wenig zu tun haben. Bleibt man nicht in diesem idyllischen Wunschmodus und schaut sich die Ergebnisse bereits installierter „Freihandelszonen“, vor allem der NAFTA, näher an, erahnt man die zu erwartende Katastrophe in Gestalt einer der gesamten Gesellschaft übergestülpten direkten Diktatur des Großkapitals und des legalisierten Verbrechens. Der Begriff „Freihandel“ ist irrig und wird so gezielt gebraucht. „Freihandel“ dient lediglich der Tarnung wirklicher Interessen und Absichten. Er trifft sich mit anderen semantisch ausgefeilten Bausteinen dieser Art gleich des Win-win-Handels u.a., allesamt blasphemisch. Ist schon die dazugehörende Theorie nicht von dieser, bestenfalls einer Traumwelt, ist die Praxis brutal inhuman. Und sie offenbart die Hohlheit der Theorie. Dies ist den Damen & Herren aus der Politik, deren relative Ahnungslosigkeit eine Grundvoraussetzung ihrer Einpassung ins politische Getriebe ist, nicht zuzumuten. Sie dirigieren ohnehin nur Musik von einem Tonträger, den andere bespielt haben. Überfordern wir sie nicht. Sinnvoll ist diese Aussage, da sie eben diese Grundhaltung so schön überklebt, klingt ja auch nett und so kritisch. Ist es aber nicht. Die Intransparenz wird gerügt, als ob, wenn beseitigt, alles im Lot wäre. Unisono wird uns eingehämmert, sie wäre das ärgerliche Grundübel und d e r Kritikpunkt der aber doch etwas verschwörungstheoriegeschädigten Gegner des TTIP. Dabei ist dies eben nicht so, die Kritik zielt auf den Inhalt des TTIP. Hier liegt Trittin auf einer Linie z.B. mit der ideologischen Assistentin des Kuratoriummitgliedes der Atlantik-Brücke, unseres lieben Claus Kleber, zu dessen ureigenen Aufgaben die Verbreitung des Märchens vom gütigen Onkel aus Amerika gehört, Frau Caren Miosga. Sie wird nicht müde, genau diese Behauptung immer wieder unter die Leute zu blasen. Dies erfolgt auch anderen Orts, gern aus „Aktion Mensch“ subversiv finanziert. So kann man flugs aus Wirkung (Intransparenz) Ursache (Kapitalallmachtskonzepte) und umgekehrt machen und irgendwann läßt der Widerstand nach und alles ist in Butter. Fragt sich nur, für wen. Genaues Hinschauen ist Bürgerpflicht.

  44. Rudolph Caracciola sagt:

    Die Silvesterereignisse von Köln werden noch lange nachwirken.
    Den offiziellen Polizeibericht hat das Innenministerium von NRW recht schnell wieder von seiner Website genommen:
    http://www.mik.nrw.de/fileadmin/user_upload/Redakteure/Dokumente/Themen_und_Aufgaben/Schutz_und_Sicherheit/160111ssia/160111berichtppkoeln.pdf
    War wohl in seiner Bestandsaufnahme und seinen Schlussfolgerungen zu offen?!
    Man findet den Bericht im Web gleichwohl trotzdem noch:
    http://www.mik.nrw.de/fileadmin/user_upload/Redakteure/Dokumente/Themen_und_Aufgaben/Schutz_und_Sicherheit/160111ssia/160111berppkoeln.pdf

  45. Stahl sagt:

    Zum Beitrag von Ulrich Busch, Der Reichtum ist westlich,
    mir ist unklar, auf welcher empirischen Basis der Autor die Aussage trifft, dass Multimillionäre nur in den westlichen Bundesländern zu verorten seien.
    Ich denke das geht an der inzwischen vollzogenen 25-jährigem Entwicklung vorbei. Auch in den beigetretenen Bundesländern gibt inzwischen zahlreiche Multimillionäre, die einheimische Wurzeln haben. Informationen zu diversen Personen kann man leicht anlässlich entsprechender Anlässe – Opernbällen in Leipzig und Dresden oder Golfevents im mitteldeutschen Raum – recherchieren. Man muss dazu nicht in Details gehen. In Leipzig verweist die Presse gern mit Stolz auf einschlägige Repräsentanten; auf die Nennung von Namen sei deshalb hier aus Rechtsgründen verzichtet. Schließlich geht doch die sich differenzierende Einkommensentwicklung nicht an hiesigen Landen nach dem Schema Ost gleich mehr oder minder schwache Einkommen vorbei.

    • Ulrich Busch sagt:

      Die Blättchen-Texte sind zu kurz, um alle Argumente für eine These mitzuliefern, und natürlich werden auch Quellen vermisst. Es gibt sie aber. Ich darf Sie daher auf eine Reihe von Veröffentlichungen des DIW zu dieser Problematik verweisen, auf einschlägige Studien anderer Institute, auf Untersuchungen der Deutschen Bundesbank und des Statistischen Bundesamtes sowie des magazins Forbes und im manager-Magazin. Auch liegen von mir aktuelle Texte zu diesem Thema vor (mit Berechnungen und Quellen): in: Busch/Thomas: Ein Vierteljahrhundert Deutsche Einheit, trafo Verlag Berlin 2015, S. 165-188 und in der Berliner Debatte Inital, Heft 2/2015. Es sei auch betont, dass es sich bei der Aussage wirklich um „Milliardäre“ und „Multimillionäre“ handelt, Millionäre gibt es in der Tat inzwischen auch im Osten, wenn auch in viel geringerer Zahl als im Westen. Im Übrigen sei eingeräumt, dass sich dieses Feld der Forschung nicht sehr transparent darbietet. Einige Angaben beruhen also auch auf Schätzungen und Hochrechnungen früherer Statistiken. Daher die eher etwas vorsichtigen Formulierungen…

  46. Wolfgang Ernst sagt:

    In der „heute-Show“ vom 22. Januar hat Oliver Welke kritisiert, dass alle nach dem „Plan B“ rufen, aber niemand einen „Plan A“ hatte oder hat. „Wir schaffen das“ ist kein Plan. Er setzte hinzu, dies werde die letzte heute-Show unter der Kanzlerschaft von Angela Merkel gewesen sein. Es wird spannend. Und dann verändern sich nicht nur die Diskurse.

  47. Das zu meiner Antwort auf Stephan Wohanka
    http://www.heise.de/tp/artikel/47/47186/1.html

  48. Hallo
    ich kann Stephan Wohanka überhaupt nicht folgen. Die ersten zwei Sätze unterstütze ich sehr, dann aber wird es fadenscheinig. Höcke, als Beamter , und die AfD kann nur in Räume die andere freigegeben, haben. Zeitungen müssen verkaufen und haben nur damit was mit „am Hut“, Liberalismus geht denen ab. Die Netzwerke reproduzieren lediglich die Wirklichkeit, so sind die Menschen.
    Dann was sehr wahres: „ worum es tatsächlich geht – der wichtigste Diskurs ist über uns selbst zu führen“ aber nur bis da, es kann nicht darum gehen bei den Flüchtlingen zu beginnen. Gerade bei dem was die deutsche Regierung mit der Türkei treibt, in Bezug Flüchtlinge nicht. Es muss gefragt werden wie es zu Flüchtlinge kommen kann, hier bedarf auch nicht unterschieden werden zwischen Kriegsflüchtlinge und „Wirtschaftsflüchtlinge“. Alle haben die Deutschen und auch die Europäer mit geschaffen. Warum wird das nicht Thematisiert. Die Türken heizen die Widersprüche an, gehen massiv gegen „Westliche Werte“ vor und die Bundesregierung schweigt dazu, weil sie Flüchtlinge zurückdrängen will. Wie S.Wohanka schreibt, aus den Augen aus dem Sinn.
    Wie es zu dem Sprung: „ Angst, ja Hass machen sich breit“ kommen kann ist mir nicht eingegangen, das eine hat mit dem anderen nichts zu tun und es macht sich auch nicht breit, es muss da sein. So ist es allerdings, denn das was den Flüchtlingen abgeht, war schon zuvor für die Prekäre Bevölkerungsschicht nicht vorhanden. Eine Verwaltung (Jobcenter) die lediglich auf Repression aus ist, Wohnungsbau der immer mehr Privatisiert wurde, somit keine Wohnungen die das Jobcenter oder Sozialamt bezahlen wollte. Menschen die so drangsaliert sind, weder bei der SPD oder Gewerkschaft Hilfe finden treffen jetzt auf Flüchtlinge, wo sie mit treten könne wie von „oben“ vorgemacht. Das entlastet. Wer das hatte“ Die Illusion eines Deutschlands, ja auch eines Europas als grenzenloses Eden in einer Welt des Elends und der Kriege ist passé.“ wüsste ich gerne. Aber die Grünen die denken das jetzt, stimmt.
    Wie Sie darauf kommen „packten einfach an und versorgten die „refugees“, erkennend und akzeptierend, “ Zu einem sind die bestehenden Organisationsformen, Tafel, Kleiderkammern und ähnlich ausgeweitet worden, schon das ist ein Staatsversagen das es das geben muss. Zum anderen gehen die Leute da nicht hin weil sie zu dem Schluss gekommen sind „ dass der Staat nicht alle Probleme lösen kann.“ Das ist falsch, die Leute gehen aus genau dem Gegenteil dort hin. Ich will hier nicht ausbreiten das der Staat die Problem lösen kann, er will es nicht weil das nötige Geld lieber für Spekulationen an der Börsen bereit gestellt werden kann. Es kann nur um Bezahlung der Menschen gehen, wie sie selbst sagen sie organisieren es selbst.
    Ich meine auch das „ sowohl Angst- und Hassbesessene“ dazu führt Aggression aufzubauen. Angst ist ein durchaus lebenserhaltende Regung, sie in „einen Topf“ mit Hass zu werfen ist verachtend oder unwissend. Es gilt auch noch zu unterscheiden zwischen Hass und Zorn, „der Hass“ ist von Ihnen unbelegt eingeführt.
    Welche „betörend einfache Lösung“ meinen Sie? Oder soll es lediglich Leute Mundtod machen? Als Gegenargument, die Lösung ist zu einfach. Ich denke der Krieg muss aufhören und die „Westlichen Werte“ sollten im Westen bleiben. Die Armeen auch. Das ganze geht doch auch nicht um Humanismus, sondern um ökonomische Systeme.
    http://www.linkes-oldenburg.de/wp-content/uploads/2015/12/Warum-verhungern-t%C3%A4glich-.pdf

  49. Stephan Wohanka sagt:

    Zu Bernhard Romeike: Zu Köln

    „Es wäre aber völlig verfehlt, die AfD für die Stimmung im Lande verantwortlich zu machen. Es ist die Stimmung, die die AfD macht“. Dieser Satz kommt mir doch etwas sehr undialektisch daher. Ich meine schon, dass die AfD an der Aufheizung der Stimmung im Lande an zentraler Stelle beteiligt ist; man lausche nur Höcke und Konsorten. Und sich dann auf diese Stimmung beruft…
    Aber zugegeben, die AfD ist es nicht allein. Wenn der Spiegel titelt „Auf der Kippe“ und noch jede Talkshow die vorherige schon in der alarmistischen Fragestellung übertrifft, dann sind viele, zu viele einer Hysterie verfallen, die ihre ständige Selbstbefeuerung in den sozialen Netzwerken findet. Jede Übertreibung findet Verstärkung, jede Erregung potenziert sich zur Ekstase. Was dabei untergeht, ist das, worum es tatsächlich geht – der wichtigste Diskurs ist über uns selbst zu führen: Wer Fremde bei sich aufnimmt, sollte eine Vorstellung von sich selbst haben, sollte mich sich selbst einigermaßen im Reinen sein oder sich wenigstens darum bemühen.
    Die deutsche Lebenslüge liegt jetzt offen – die, dass die „Welt da draußen“ sich dort halten ließe, nämlich draußen! (Zu) viele haben sich vorgemacht, dass unser Land sich aus weltweiten Händeln und Konflikten heraushalten könnte und dass namentlich das riesige Leid, das in den Ländern des Nahen Ostens, Asiens und Afrikas den Alltag von Millionen Menschen prägt, sich fern halten ließe. Die Illusion eines Deutschlands, ja auch eines Europas als grenzenloses Eden in einer Welt des Elends und der Kriege ist passé.
    Angst, ja Hass machen sich breit. Die, die sie teilen, verachten die politische Klasse in Berlin und Brüssel und auch das „große Geld“; aufs Korn nehmen sie lieber liberale Medien, Flüchtlinge und Muslime. Viele unter ihnen seien, wie ein ausländischer Kommentator schreibt, „gute Leute, keine bigotten Rassisten“, auch wenn sie Galgenattrappen mit sich trügen oder Flüchtlingsheime anzündeten; hierzulande wenigstens alle drei Tage eins. Paradoxerweise ähneln die Hasserfüllten in ihrer (vermeintlichen) Religiosität, ihrem Chauvinismus und Festhalten am Hergebrachten denen, gegen die sie zu stehen meinen und die sie verhindern wollen, nämlich Islamisten, Salafisten und IS-Jünger.
    Dem steht gegenüber, dass unsere Gesellschaft sich im vergangenen Jahr als ziemlich robust, begeisterungsfähig und selbstmobilisierend erwiesen hat. Vielleicht sagt man in einiger Zeit: Das grenzte an ein Wunder! Die Aussicht auf das Gegenteil ist gleich groß. Viele Helfer organisierten sich in Netzwerken, packten einfach an und versorgten die „refugees“, erkennend und akzeptierend, dass der Staat nicht alle Probleme lösen kann. Was alle – sowohl Angst- und Hassbesessene als auch Helfende – sich klarmachen müssen: Es kommen Menschen hierher, fast alle aus Kriegs- oder Krisengebieten, in denen staatliche Ordnungen, soziale Strukturen zusammengebrochen sind, die traumatisiert sind und denen alle menschlichen Vorzüge, aber auch Makel eigen sind…
    Alles in allem – wir stehen vor der Herausforderung, uns von Dahergebrachtem zu verabschieden. Nicht die Kölner Silvesternacht hat Deutschland verändert; nein, sie hat „nur“ schlaglichtartig Versäumnisse, Fehler und Mängel in vielen gesellschaftspolitischen Bereichen offengelegt, hat gezeigt, wie (schlechte) Ordnungssysteme an ihre funktionalen Grenzen stoßen. Verändern werden das Land die Hunderttausende von Flüchtlingen, die es bisher aufgenommen hat und die es zu integrieren gilt. Eben skizzierte Antipoden, wenigstens die vernünftigen unter ihnen, müssen – schnell – wenn schon erst einmal kein gegenseitiges Verständnis oder gar eine gemeinsame Sprache, so doch Respekt und gewisse Akzeptanz füreinander finden. Nicht die betörend klingenden „einfachen“ Lösungen bringen uns weiter, sondern – erst einmal – wieder eine andere Art, wie wir miteinander reden und die Welt bewerten.

  50. Wolfram Adolphi sagt:

    Verehrte Redaktion, danke für das in vielerlei Hinsicht gelungene erste Heft des Jahres 2016! Und einen besonderen Dank an Mario Keßler und Ulrich Kaufmann für ihre exzellenten Buchbesprechungen.

  51. Werner Richter sagt:

    „Alle Jahre wieder“
    Es sei erinnert: Das Print-Abo kostete einst 62 €/Jahr. Als das auch nicht mehr reichte und der Ausweg aus dem Dilemma im Online-Format versucht wurde, half auch die Idee, die 62 €/Jahr weiterzuzahlen, der Beruhigung. Auch wenn die Rente gering ist, das Blättchen sollte es uns wert sein. Man kann sich dann bequem zurücklehnen, bis die Schutzgebühr diese Grenze erreicht hat, braucht man auch kein Blättchen mehr.

  52. Rotspoon sagt:

    So schön inselig

    „Heute ein geschütztes Refugium, hat die Flora und Fauna in früheren Jahrzehnten arg gelitten“ Da muß ich was übersehen haben, damals in den früheren Jahrzehnten im damaligen Refugium. Und was die Insellerchen betrifft: da is nix mit Schwarmintelligenz. Jeder im Aufsteigen singende Feldlerchenerpel ein ein Solist, ein echter Einelkämpfer, keine Spur von Schwarmintelligenz

  53. zu Ulrich Busch „Armut“
    Ich werde den Empfehlungen von Ulrich Busch nicht folgen und eines der Bücher lesen. Zu einem habe ich als Rentner mit Grundsicherung nicht genug Geld um die Bücher zu kaufen. Zum andern habe ich schon Bücher von den Autoren gelesen und bin zu dem Schluss gekommen, hast du eines gelesen kennst du alle. Damit will ich den Autoren nicht unrecht tun das was sie sagen gibt im wesentlichen die Wirklichkeit wieder. Nur ihre Konsequenzen sind abstrus. Sie fordern Änderungen von denen die das Elend verursacht haben, die taten es aus guten Grund und nachvollziehbar. Es ist nötig die „Sache“ ohne Moral zu betrachten um einen klaren Blick zu bekommen. Ausgesprochen wichtig scheint mir auch der Sprachgebrauch und die Definition der Begriffe.
    So fragt sich was „unseres Wohlstands“ aus der Überschrift bedeutet? Ist „unseres“ die ganze Gesellschaft, ist zu fragen wo kommt die Armut her?
    „Dementsprechend“ wird der Umgang beschrieben, hier fehlt allerdings das wesentliche, nämlich das die Menschen die in armen Verhältnissen leben aufeinander gehetzt werden. Das ist auch die Gruppe wo es sich am leichtesten bewerkstelligen lässt. Der augenblickliche Zuzug von Flüchtlingen wird zu einem Ventil gemacht, der den Druck umlenkt. Da ist dann noch jemand der getreten werden kann.
    Na klar ist nicht nur die konservative Presse mit am Hetzen, die Grünen und die SPD haben doch HartzIV und die Lohnsenkungen eingeführt. Das können Konservative gar nicht. Es stimmt nicht das der Normalbürger Armut nicht wahrnimmt, er sieht sie und es macht ihm Angst das es ihn auch widerfährt. Ich kenne das von den Bauern, die als Nebenerwerbslandwirt auf dem Bau landeten. Es ist ein wenig schlicht zu sagen das von wirklichem Reichtum nichts gewusst werden will. Man kann es sich nicht vorstellen, so wenig wie den Urknall. Es ist eine andere Welt.
    Schneider hat mit seinen Statistiken sicher Recht, nur wie soll sich das für den einzelnen Armen stellen? Von 15,5% steigt die Armutlosenquote, also wird es mehr Menschen geben, die wie ich leben müssen, kann sein Fazit sein. Dafür steht der nicht einmal auf.
    Dann wird relativiert, indem Schneider die „relative Armut betont.“ Da reicht es dann nicht mehr das Menschen zur Tafel gehen müssen und um Essen betteln. Das ist dann nicht das niedrigste Niveau. Das es Armut auf niedrigstem Niveau ist wenn es zehntausende von Kürzungen nach SEBII gibt und ebenso viele Klagen (Sollte das ein Beispiele für Verdrängung sein?) scheint nichts zu bedeuten.
    Na klar geht es um Interessen, das Kapital wollte billigere Arbeitskräfte, das hat HartzIV gebracht, Leiharbeit,Werkverträge alles was die Profitrate steigen lässt. Da ist was verwirklicht worden, Verwirklichung ist nicht das was in prekarisierten Hirnen an erster Stelle steht. Es bedarf auch keines Neoliberalismus, es reichte normaler Kapitalismus um Elend zu haben. Gerecht Verteilen, was ist gerecht und wer verteilt? Eine „angemessene Teilhabe“ und keine Ausgrenzung sind Forderungen. Es ist niemand ausgegrenzt, und jeder hat eine angemessene Teilhabe, zumindest aus Sicht des Kapitals.
    Das Jammern von Butterwegge über die Regierung wird wohl nur aufhören, wenn er einmal heraus findet, was die Aufgabe einer Regierung ist. Da könnte er mal die Verbindung und Handlungen im Zusammenhang mit der Autoindustrie, besonders jetzt VW betrachten. Was garnicht zur Sprache kam sind die Vorprodukt Bearbeiter in China,Indien und fernen Osten. Deren Arbeitskraft ist auch Bestandteil des Wohlstands.
    Aber auch ein Buch eines Kollegen von ihm könnte helfen Rainer Roth http://www.linkes-oldenburg.de/wp-content/uploads/2013/10/Nebensache-Mensch.pdf

  54. Noch ein Beispiele für subtile Gewalt

    https://www.youtube.com/watch?v=t7pFeL-0_5I

  55. Hallo Murmelauge,
    es kommt auf den Standpunkt an sonst gäbe es keine unterschiedlichen Auffassungen zu dem gleiche Thema. Von daher ist es auch wichtig zu bestimmten, wenn nicht zu allen,Frage die Definitionen abzugleichen um sicher zu sein das um das gleiche Thema gerungen wird. Hierzu sei gesagt die Erde ist „lediglich“annähernd eine Kugel. Wenn vom Standpunkt die Rede ist,ist damit nicht gesagt das er richtig ist, das er gleichberechtigt oder gleichermaßen ist. Alleine die Frage zum Schluss “ sind wir dann klüger?“ wäre ein Knüppel der viele Debatten platt macht, vor allem das wir, das den obigen Abgleich erfordert. Wobei es wieder mit dem Standpunkt begänne. Damit will ich dann an der Debatte nicht mehr teilnehmen.
    Es ging um was anderes und ich bin nicht gewillt Inhaltsleer ins Blaue zu schreiben. Was wiederum nicht heißen soll das mir solche Debatten nicht wichtig wären, allerdings in einem anderen Kontext.
    Wenn ich fahriges geschreibe will, melde ich mich bei Facebook oder ähnlichen Seiten an.
    freundliche Grüße Peter

    • Manne Murmelauge sagt:

      Aha. Problem ist also nicht, am Ende klüger sein zu wollen, sondern weiter auf dem Standpunkt zu beharren, die Erde ist eine Scheibe. Und auf der anderen Seite laufen die Antipoden.

  56. Hallo,
    kommt auf den Standpunkt an ob der Sinn dunkel erscheint, das mindeste ist der er mit den gestellten Fragen nichts zu tun hat.
    Er antwortet auf die Frage nach der Gewalt bzw wie sie entstehen soll, da ist der Hinweis auf Retalin lediglich ein Hinweis das Gewalt alltägliches ist, aber nicht als solche „entlarvt“.
    Wieso soll jemand der Asyl beantragt und für die Zeit des Krieg in seinem Land als erstes Deutsche lernen?
    Es mag an meiner Unfähigkeit liegen nicht jedem meine Gedanken nahe bringen zu können, von daher muss ich erst noch mal mit dem Mangel leben.
    Ich meine das Fromm mit „Über den Ungehorsam“ und „Jenseits der Illusionen“ die Frage nach Entwicklung von Gewalt mir einleuchtender beantwortet.

    • Manne Murmelauge sagt:

      Wenn es auf den Standpunkt ankommt, sind die Aussagen: „Die Erde ist eine Scheibe“ und „Die Erde ist (annähernd) eine Kugel“ gleichberechtigt und gleichermaßen in den Diskurs einzubeziehen. Sind wir dann klüger?

  57. Georg Rammers Versuch zu erklären wie Gewalt entsteht ist zumindest ein Versuch sich dem Thema zu nähern. Leider kann er keine Distanz zum System herstellen die Gewalt erzeugen, er schreibt es zwar, allerdings sieht er es nicht. Wie sonst ist zu verstehen „Offensichtlich zieht es die Politik vor, Reflexe zu bedienen und Ressentiments zu schüren,“ nein, es wird nicht bedient, hier wird erzeugt. Die Gewalt von Terroristen ist in dem Kontext nicht besonderes und auch nicht außerhalb des bürgerlichen Staates zu sehen. Was ist an „dieser irrationalen tödlichen Strategie“ Irrational ? Es schneiden ISIS (Terroristen) Gefangenen die Kehle durch und hoffen das der individuelle Gegner Angst bekommt und nicht mehr kämpfen will. Die Türkische Regierung bekommt 3 Milliarden Euro, darf gefahrlos Journalisten einsperren, türkische Kurden erschießen und Syrer, die Deutschland als Asylanten Schutz gewährt wird, in KZ ähnliche Lager einsperren und in Kriegs Gebiete abschiebt. So sollen Sie gehindert werden in Deutschland bzw der EU Asyl zu beantragen. Klappt in beiden Fällen, durch und durch rational.
    Bedingt nachvollziehbar ist „Der Teufelskreis der Gewalt folgt einem vorgezeichneten Muster.“ Wer legt das Muster fest? Der benannte Teufelskreis ist nicht vom Himmel gefallen, Gewalt ist ein Mittel. Gewalt kann für sich alleine nicht existieren.
    Allerdings ist das, ausgeschlossen sein, eine herbe Strafe. In „grauer Vorzeit“ war es das höchste Maß der Bestrafung. Der bestrafte musste seine Sachen packen und die Gemeinschaft verlassen.
    Es nicht schlecht wenn für heute beschrieben würde was es für eine Gesellschaft ist, von der (Wer?) ausgeschlossen wird und warum es heute noch eine Strafe ist. Nach einer Erklärung könnte Solidarität entstehen unter den Ausgegrenzten und sie könnte für andere, eine Gesellschaft kämpfen die Ausgrenzung nicht kennt. So ist es von G.Rammer eher verschleiernd wenn er verlangt das es Reformen geben soll, in einem System das notwendigerweise die „Ausgegrenzten“ und Armut erzeugt. Das würde besser deutlich wenn nicht von „arbeitslosen“ Gesprochen wird, sondern von Lohnarbeitslosen. Denn der Lohn ist in unserer Gesellschaft der Preis der Arbeitskraft, der die Reproduktion sichern soll.
    Was an den Anschlägen in Europa, hier in Paris, immer so „unvorstellbar grausamen Anschläge“ sein soll ist nicht nachvollziehbar, wenn bedacht wird was die Europäische und Amerikanische Kriegsmaschinerie im nahen Osten und sonst wo auf der Welt anrichtet. Seit neusten helfen dabei auch noch die Russen mit. Da ist es jeden Tag so, mag sein das es so Grausam erscheint weil es kaum mal passiert.
    Jetzt ein Exkurs weg vom Krieg mit Waffen in Europa „ für eine gesunde seelische Existenz andere Menschen, die ihm mit Aufmerksamkeit, Einfühlsamkeit und Respekt begegnen. Im Zusammenleben von Menschen sind Empathie, Mitgefühl und Wertschätzung unverzichtbare Bindemittel. Kinder, die das nicht erleben, sind in Gefahr zu verkümmern, sich selbst zu schädigen oder Rache zu nehmen – in Form von Aggressivität oder gefühlloser Gewalttätigkeit. Erfahren Menschen Gleichgültigkeit, Abwertung, erleben sie Gewalt oder Aussonderung, ist eine gewalttätige Reaktion sehr wahrscheinlich. Zwar entwickeln manche Kinder trotz destruktiver Erlebnisse bemerkenswerte Fähigkeiten; sie können klug, sensibel und selbstbewusst sein.“ Da reicht Retalin es bedarf da keinen anderen Mensch zu und es wird kräftig eingesetzt. (1993 34kg 2011 1791kg) Es bedarf keines Krieges mit Waffen um die Menschen kaputt zu machen, bei deutschen Kindern geht es, so ist das erste was den Syrern entgegengehalten wird Deutsch lernen und Kinder in die Schule. Die Verwertbarkeit der Menschen steht an erster Stelle, nicht ihre Leiden. Mit dem Druck müssen sie sich auch noch rechter Gewalt, von der bürgerlichen Politik gefördert, erwehren. Es ist auch keine „ erlebte Ungleichheit“ es ist blanke Unterdrückung bei allen genannten, die das Elend ausmacht.
    Das Kartenhaus, Nebensache Mensch von R.Roth

    • Wolfgang Ernst sagt:

      Was will der Schreiber dem geneigten Leser eigentlich mitteilen? Weshalb soll es für aus Syrien gekommene Menschen, wenn sie denn in Deutschland um Asyl nachsuchen, angebracht sein, nicht Deutsch zu lernen? Warum soll es für deren Kinder besser sein, nicht in die Schule zu gehen? Und was hat das mit dem Medikament Ritalin zu tun? Dunkel ist der Sinn, sehr dunkel.

  58. Rudolph Caracciola sagt:

    „Das NSU-Phantom“ in der jüngsten Ausgabe: Bisher hatte ich nicht den Eindruck, dass DAS BLÄTTCHEN besonders anfällig dafür ist, Verschwörungstheoretikern auf den Leim zu gehen. Aber dieser Beitrag jetzt, bei Gott, das ist mal ein knalliger Auftakt! Demnächst dann was über UFOs, Kornkreise und die Bilderberger?

    • wolfgangbr sagt:

      Lieber Rudolph Caracciola,
      wie es sich mit „Verschwörungstheorien“ verhält ist immer so eine Sache. Sie werden sicherlich nicht bestreiten, dass es bei einer genaueren Betrachtung des Geschehens in und um den „Selbstmord-Camper“ der Herren Böhnhardt und Mundlos sowie den plötzlichen Wohnungsbrand der Frau Zschäpe eine Fülle von Ungereimtheiten gab und gibt. Weder die Befassung der diversen parlamentarischen Gremien damit noch der Münchener Prozess konnten diese bislang klären. Das betrifft auch den Mord an Frau Kiesewetter. Wir meinen, es hat nichts mit Verschwörungsaberglauben zu tun, wenn unsere Autorin diese Ungereimtheiten zur Sprache bringt. Schlussendlich könnten eigentlich nur die Ermittlungsbehörden Klarheit schaffen – indem sie endlich das tun, wofür die Damen und Herren einmal einen Amtseid leisteten… Dieser Amtseid beinhaltet auch in der schlichtesten Interpretation nicht, die Verfassungs- und Rechtsordnung der Republik in Permanenz unterlaufen zu dürfen, um ebendieselbe schützen zu können.
      Dem „Blättchen“ und unserer Autorin ist das nicht vorzuwerfen. Ich finde es schlimm genug, wenn wir wieder in Zeiten angekommen zu sein scheinen, in denen der Staat und seine Vertreter zunehmend versuchen, die Bevölkerung in einem Zustande soliden Halbwissens zu halten. Information war zu allen Zeiten Herrschaftsinstrument. Derzeit wird es in Deutschland exzessiv missbraucht. Die Herrschaften sollen endlich die Karten auf den Tisch legen.
      Mit bestem Gruß
      Ihr Wolfgang Brauer

    • Gabriele Muthesius sagt:

      Sehr geehrter Herr Caracciola,
      in Ergänzung der Erwiderung von Herrn Brauer möchte ich noch folgendes mitteilen. Ich konnte persönlich interne Fotos und Dokumente der Ermittler des LKA Thüringen, der Rechtsmedizin der Uni Jena und des BKA in Sachen „NSU“ einsehen, die wesentliche Aussagen des im Beitrag zitierten Rechercheurs belegen.

      Im Einzelnen handelte es sich um:

      – Fotos der Auffindesituation der Leiche von Uwe Mundlos. Sie weisen keine adäquaten Spuren hinter dem Toten auf, die die offizielle Version (Selbsttötung durch Schuss mit einer Pumpgun durch den Mund in den Schädel – Krönleinschuß) stützten.

      – Den Obduktionsbericht und die Sektionstoxikologie der Leiche von Uwe Mundlos. Diese zeigen, dass zwei wesentliche Vital-Parameter (Rußeinatmung und CO-Hb-Wert im Herzblut) bei Mundlos, der ja offiziell vor seinem Tod noch einen Brand im Wohnwagen gelegt haben soll, nicht vorhanden sind. Mundlos war also mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits tot, als das Feuer im Wohnmobil ausbrach.

      – Das Waffenauffindungsprotokoll der Tatorte in Eisenach und Zwickau: 13 von 20 aufgefundenen Feuerwaffen werden darin als frei von jeglichen Fingerabdrücken ausgewiesen – darunter auch die Pumpgun, mit der sich Mundlos, der keine Handschuhe trug, selbst getötet haben soll, und die Česká. Für lediglich sieben der aufgefundenen Waffen sind nicht verwertbare Fingerabdruck-Spuren protokolliert.

      Mit freundlichen Grüßen
      Gabriele Muthesius

  59. Werner Richter sagt:

    Guantanamo und Folter
    Ich glaube, wir unterliegen einem gewaltigen Irrtum bezüglich Guantanamo. Im „CIA-Foilterreport“ kritisieren Feinstein & Co. den lukrativen Auftrag zur Folter an 2 Spezialisten für „Konditionierung“ als dummen, handwerklichen Fehler der CIA. Einer der beiden klagte gegen einen Journalisten, weil der ihn als „Folterer“ bezeichnet habe, der er nicht sei. In G. wird das Konditionierungsprogramm der Streitkräfte zur Vorbereitung von Spezialeinheiten angewandt. Elite-Soldaten werden durch vorbeugende Folter, bei denen auch ernste „Vorfälle“ bekannt wurden, für ihre Einsätze „immunisiert“ und lenkbar gemacht. Neu ist dabei, daß beliebige Gefangene nunmehr als „Material“ dienen. Die Detailschilderungen des Reports über den Folterverlauf bestärken diese Vermutung. Die Berichte über MK ultra, Neue Weltordnung (Bush, Cheney, Clinton u.a.), Kooperation von CIA, FBI, NASA und Psychologenverband unter Anleitung höchster politischer und Machtkreise, lassen die Ziele im Hintergrund klar werden. Vor diesem Hintergrund kann selbst der hochgelobte Report höchst zweifelhaft werden. Als Tarnung des tatsächlichen Geschehens ist er höchst effektiv.

  60. Werner Richter sagt:

    Zu „Gysi missversteht den Versailler Vertrag“ von Helmut Donat Heft 25
    Zu den leidigen Legenden über den so hilfreichen Marshall-Plan, Erhard u.s.w. ist diese „Forschungsarbeit“ von Christoph Weber recht heilsam:
    https://www.youtube.com/watch?v=DV8DsMmS65I
    Mögen die Illusionen endlich platzen!

  61. Werner Richter sagt:

    Zu Stephan Wohanka „Die Terroristen von Paris“ Heft 25
    Ein recht schiefes Bild, das – mal die Muslime der von der „westlichen Zivilisation“ heimgesuchten Länder betrachtet- unterstellt, sie müßten die selben Bilder wie wir haben. Diese haben aber nicht die sehr fragwürdige Weltdarstellung unserer Breiten. Sie erleben „unsere“ Segnungen nicht als „libertäre, freiheitliche, von Pluralismus und Relativismus geprägte Gesellschaft“, sondern vor Ort als umweltzerstörende, Lebensgrundlagen wegnehmende (z.B. Gates-Stiftung u.a.) und terroristische, Ohnmacht erzeugende Gewalt. Hat der Terror islamistischer Franzosen, vielleicht auch in einer Art Solidarität, die Verachtung unserer Heuchelei einschließend, hier nicht auch etliche Wurzeln? Wie erklären wir den westlichen Terror, der in den heimgesuchten Ländern mit mindestens genauso vielen staatlich losgelassenen Söldnern in zig-tausender Stärke berserkert? Welcher Unterschied liegt zwischen einem Selbstmordattentäter und dem mordenden westlichen Söldner mit Drohnenunterstützung und Zyankali-Kapsel für alle Fälle? Die abendlandzentrierte Sicht, ein alter Grundfehler, erklärt nicht allzuviel, eigentlich gar nichts. Schon gar nicht Sloterdijk & Co. Es ist Zeit, mit der einseitigen Betrachtung islamistischen Terrors aufzuhören, sie ist auch heuchlerisch. Das cetero censio, man müßte die Lage der Immigrantenkinder endlich verbessern, der Kapitalismus muß schöner werden, können wir uns auch schenken.

  62. Werner Richter sagt:

    Zum Ahistorisch… Vorwurf
    Die fromme Botschaft oder et hät scho immer jut gonge (Der Kölner möge hier diskret wegschauen)
    Es harrt eine Aussage noch der Erwiderung. Ahistorisch usw. wäre, die Konvulsionen der US-Gesellschaft von kriminell-gewaltbeherrscht bis liberal-kapitalistisch und zurück nicht als immerwährend und gleichmäßig zu sehen, denn es ist ja schon immer gut gegangen. Die heutige Situation, nicht die langwelligen Entwicklungstendenzen mit berücksichtigend, seien aber so zu sehen, das wäre historisch korrekt. Da kann man ja beruhigt zusehen, das läppert sich ein. Abgesehen von einem gerüttelt Maß Demokratie-, Freiheits- und Good-Will-Vorschuss, wofür ich keinerlei Veranlassung sehen kann, als Basis der Argumentation stört hier die Verlaufsdarstellung als monotone gesellschaftlich-historische Entwicklung. Das allein dürfte schon den Tatbestand des Ahistorischen erfüllen. Dass gesellschaftliche Krisen nach Druckanstieg bis zur existentiellen Bedrohung durch innere und äußere Gegentendenzen Entspannung erfahren, ist unstrittig. Daß jedoch der Vorkrisenstand, wie suggeriert, wieder erreicht wird, ist unmöglich. Wäre dem so, könne man getrost dem Kapitalismus Selbstheilungskräfte zumessen. Dann wären auch alle Versuche, das System abzuschaffen oder auch nur zu reformieren, regelrecht gefährlich und unverantwortlich. Die periodische Hatz auf ernsthaft liberale Kräfte ist wieder mal vorbei, jedoch was ist mit dem „genialsten Staatsstreich“ 2001, den einige Historiker als relativ unbemerkt durchaus belegt konstatieren, der die unangreifbare Allmacht einer Clique aus Wirtschaft und Bürokratie bis heute etablierte? Eine unangreifbare, auf Aggression ausgerichtete Militärbürokratie, aus der Deckung agierend, hat entscheidende Fäden der gesellschaftlichen Lenkung in die Hand genommen und Ausgangsstellungen zum weiteren Austrieb der „gesellschaftlichen Mitte“ nach „rechts“ ausgebaut. Es gehört schon eine gehörige Portion Ignoranz dazu, diese Tendenzen nicht zu erkennen. Das statische Gesellschaftsmodell, das eine unendliche Abfolge von Krise und Aufschwung, Katastrophe und Neuanfang auf gleicher Stufenleiter implementiert, hat seinen Charme Maltus entliehen. Der allerdings dachte bis zu Ende, ohne Krieg und Katastrophen könne die Menschheit keine Zukunft haben. Das ist fatal und irreal. Es berücksichtigt nicht, daß im o.g. Prozeß ein revolutionärer Wandel von Gesellschaftselementen und deren Beziehungen, durchaus auch revolutionäre Veränderungen, stattfinden, die kein Zurückfallen in den Ausgangsstatus zulassen. Der erreichte Status ist nicht leicht modifizierter Ausgangsstatus, er weist gerade heute stark abweichende Strukturen aus. Die Spirale, in der der Zyklus Krise – Aufschwung läuft, ist nicht „zylindrisch“, eher „konisch“ zu sehen. Viele Funktionen gesellschaftlicher Verhältnisse erhalten eine Umwidmung bzw. werden in der Wirkung eingeschränkt. In der Ökonomie spricht man daher von wachsender Dysfunktionalität des Verwertungsmechanismus bis zum „Festfressen der Kolben“. Die politische Wandlung der kapitalistischen Gesellschaft von einem Demokratieideal, freilich nie so richtig real, über die diktierte Demokratie, von der Theater-Demokratie zum Demokratie-Theater findet in diesem Modell einfach nicht statt und kann deshalb nicht sein. Es fußt auf einer sektoralen, allein stehenden Wahrnehmung der gesellschaftlichen Entwicklung. Was ist denn nun ahistorisch etc.?

    • Stephan Wohanka sagt:

      Mit dem „Zum Ahistorisch… Vorwurf“ reagieren Sie auf meine Kritik. Selbst auf die Gefahr hin, dass nur noch wir beiden den Blättchen-Blog bestreiten…
      Wenn ich Sie richtig verstehe, ist für Sie die „normale“ gesellschaftliche Entwicklung mit ihren „gesellschaftliche Krisen“, dem „Druckanstieg bis zur existentiellen Bedrohung“ sowie die „durch innere und äußere Gegentendenzen“ dann bewirkte „Entspannung“ „statisch“, ist „monotone gesellschaftlich-historische Entwicklung“, ist nur „eine unendliche Abfolge von Krise und Aufschwung, Katastrophe und Neuanfang auf gleicher Stufenleiter“, also bar jedweden gesellschaftlichen bzw. historischen Fortschritts. Den stellen Ihrer Meinung nach nur revolutionäre Veränderungen dar, solche, die letztlich in eine neue Gesellschaft(sformation) münden, die nach Lage der Dinge nur eine Spielart des Sozialismus sein kann. Ich denke, damit tun Sie der Entfaltungsdynamik gegenwärtiger politischer, sozialer und kultureller Gesellschaftselemente innerhalb der jetzigen – ja kapitalistischen – Formation unrecht, die m. E. Züge revolutionären Wandels an sich haben. Denken Sie nur an die Umwälzungen im Zeitfenster unser beider bewusster Existenz von Detektorradio zum Internetfernsehen, von der Drehbank zur Industrie 4.0, ganz zu schweigen von dem, was unter Big Data verstanden wird. Sie wollen doch nicht leugnen, dass mit diesen und anderen technologischen Revolutionen nicht auch soziale, gesellschaftspolitische Veränderungen, ja auch Verwerfungen einhergegangen sind.
      Wie die Geschichte zeigt, lebt und funktioniert der Kapitalismus mit allen möglichen Regierungsformen – der Demokratie ebenso wie mit der Diktatur, dem Faschismus ebenso wie mit der Kommunistischen Partei Chinas und Vietnams; wie sollte er aus dieser Hinsicht überhaupt überwunden werden können? Die dahintersteckende Logik aufnehmend kann man sogar folgern, dass der Kapitalismus gar nicht scheitern kann, da er im Unterschied zum Sozialismus als System kein Ziel hat; er „will nichts bewirken“, er ist in Maßen „postideologisch“. Er „übernimmt“ sozusagen die politischen Inhalte des Apparates, dem er „dient“, nicht ohne natürliche auf diesen und dessen Inhalte zurückzuwirken; er ist von hoher (politischer) Kompatibilität und Flexibilität!
      Kann man in gewisser Weise nicht sogar behaupten, dass der Kapitalismus über seinen „Konsumismus“ es nahe an die Marx´sche Utopie vom „morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren“ gebracht hat? Oder auch an die Idealvorstellung vom DDR-Leitbild der „allseitig entwickelten sozialistischen Persönlichkeit“, die jedem Menschen die „Bedingungen zur Entfaltung seiner geistigen, kulturellen, körperlichen Fähigkeiten und zur Wahrnehmung seiner geistigen und materiellen Bedürfnisse bieten“ sollte. Natürlich bei Weitem nicht für alle, beileibe nicht, aber doch für so viele, dass jeder sozialrevolutionäre Impetus so weit erlahmt ist, dass es auf historisch absehbare Zeit eben zu keiner sozialen Revolution kommen wird.
      Und drohte bei einer „Wiederbelebung“ des Sozialismus nicht das, was Marx hellsichtig verspottet: „Hegel bemerkt irgendwo, dass alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce“?
      Sie schreiben an anderer Stelle von einer „Angriffsplanung (der USA –St. W.) Anfang des 20. Jahrhunderts gegen Kanada“. ???? Ich weiß nur von Plänen Kanadas aus den 1920er Jahren, in die USA einzufallen! Sie waren den sich verschlechternden Beziehungen der beiden Staaten geschuldet. U. a. ging es um eine ausstehende Kriegsschuld von 22 Milliarden US-Dollar. Amerikanische Großstädte wie Detroit und Seattle sollten eingenommen werden. Die USA, die wohl von der Sache Wind bekommen hatten, entwickelten Gegenpläne, um die Produktionsstätten gegen mögliche kanadische Angriff schützen.

    • Werner Richter sagt:

      Dann bin ich aber erleichtert, die sog. Technische Revolution wird`s richten. Dann ist Friede auf Erden, fast wie Weihnachten.
      Nur noch soviel: Marx würde sich im Grabe umdrehen ob des Gebrauches dieser Art.

  63. Mario Kessler sagt:

    Im Beitrag von Helmut Donat zu Gysi und Versailles geht Einiges durcheinander:
    Natuerlich hat die gesamte deutsche Rechte den Versailler Vertrag benutzt, um die westliche Demokratie zu diskreditieren, auch durch einen Schein-Antikapitalismus. Dass „Versailles“ den Aufstieg der Nazis indirekt beguenstigte, ist aber eine unbestreitbare (durch Historiker der DDR stets betonte) Tatsache, wenngleich es der Weltwirtschaftskrise bedurfte, um der NSDAP zum politischen Durchbruch zu verhelfen. Doch der Versailler Vertrag war ein imperialistischer Frieden – die logische Konsequenz eines imperialistischen Krieges, worauf Lenin klar hinwies. Politisch so unterschiedliche Denker wie Lenin und Keynes betonten voellig zu Recht, dass dieser Vertrag den Keim eines neuen Krieges in sich trug. In dieser Hinsicht ist Gysi zuzustimmen.
    Aber wer hätte denn durch die von Clemenceau und Foch geforderte Aufteilung Deutschlands in mehrere Besatzungszonen, die Donat billigt, gewonnen? Der französische Imperialismus, der keinen Deut „besser“ war als der deutsche. Haben nicht die Autoren der „Weltbühne“, in deren Tradition das „Blättchen“ steht, ein um das andere Mal betont, dass „Versailles“ eben deshalb möglich war, weil es der deutschen so wenig wie der französischen Linken nach dem Ersten Weltkrieg gelang, den imperialistischen und militaristischen „Eliten“ die Machtmittel aus der Hand zu nehmen oder sie doch nachhaltig zu schwächen?

    • Helmut Donat sagt:

      Ich kann den Unmut von M. Kessler verstehen. Zu seinem Trost sei ihm aber versichert, dass ich gut beieinander bin. Seine Kritik entspricht der üblichen Auffassung der Linken zum Versailler Vertrag; sie erinnert mich an das Lied von F.-J. Degenhardt über den „Bauchladenmann“ (1963), der es wagt, den Menschen ihre Tabus vorzuführen, die ihn dafür schließlich in einen Fluss werfen. Oder wie es in dem Gedicht „Die unmögliche Tatsache“ von Christian Morgenstern heißt: „Nicht sein kann, was nicht sein darf.“
      Die deutsche Versailles-Rezeption, auch die auf der Linken, krankt darunter, dass sie lediglich die vermeintlich negativen Seiten des Vertragswerkes kennt. So ist es gelernt, eingehämmert und tradiert worden. Stimmen, die dem Vertrag gerecht zu werden versuchen, sind ausgeblendet, andere Haltungen verdrängt und vergessen gemacht worden. Jene deutschen Oppositionellen wie O. Stillich, F.W. Foerster, M. Harden, E. Bernstein, H. Nawiasky etc. sind – wie ihre Haltungen und Einsichten – seit Jahrzehnten dem historisch-politischen Diskurs entzogen. Gleiches gilt für die deutschen Kritiker der Kriegsschuld von 1914 seitens des Hohenzollernregimes und der Habsburger, wie z.B. R. Grelling, H. Fernau, W. Muehlon, Fürst Lichnowsky, H.-G. von Beerfelde, H. Ströbel etc. Auch sie und ihr Widerspruch dürfen nicht existiert haben. Das erklärt, warum sich die heutige Diskussion über die Kriegsschuldfrage und den Versailler Vertrag in einer Schieflage befindet; sie ist in hohem Maße einseitig, weil sie wichtige Positionen negiert, nicht kennt oder – weil es sich am eigenen Weltbild bricht – nicht zur Kenntnis nehmen will. Insofern sind auch G. Gysi und M. Kessler Opfer eines Verdrängungsprozesses, der sich tief und in nahezu weitreichender Vollendung in das Bewusstsein und Gemüt der Deutschen eingefressen hat. Vermutlich ist ihnen das selbst nicht klar.
      Aber das muss nicht so bleiben. Im Leben macht es hin und wieder Sinn zu prüfen, inwieweit die eigenen Vorurteile noch standhalten oder ob nicht andere an ihre Stelle zu setzen sind. Ich denke, dass sowohl M. Kessler und G. Gysi nicht vor einer Selbstprüfung zurückschrecken und ihr Ehrgeiz, auf einmal Verlautbartem und Vertretenem zu bestehen, sich in Grenzen hält. Das gilt ebenso für mich als „Westler“, der ich infolge der bundesrepublikanischen Rezeption von Versailles viel zu lange daran geglaubt habe, dass Versailles nichts weiter als ein Unrechts- oder Gewaltvertrag gewesen sei.
      Wenn zwei, drei oder hundert Leute Dasselbe behaupten, sagt das nichts über den Wahrheitsgehalt aus – ob es sich dabei um Politiker, Revolutionäre, Historiker oder wen auch immer handelt. Den Versailler Vertrag einfach als „imperialistischen Frieden“ und den Ersten Weltkrieg als „imperialistischen Krieg“ abzutun, mag von Linientreue Lenin gegenüber zeugen, in der „Weltbühne“ findet sich solches Ansinnen nicht. Man lese nur die politischen Leitartikel Heinrich Ströbels unter S. Jacobsohn nach – und man ist eines Besseren belehrt.
      Schon allein die Tatsache, dass sich „Versailles“ von den Diktatfrieden von Brest-Litowsk und Bukarest wie Tag und Nacht unterscheidet, dürfte Anlass genug sein, nicht alles über einen Kamm zu scheren.
      Versailles beinhaltete ein Angebot an die deutschen Eliten und an das deutsche Volk, den Schaden wiedergutzumachen, der, von den Herrschenden verursacht, anderen Völkern zugefügt worden ist. Dabei ging es weniger um ein „Diktat“ als vielmehr um die Anerkennung des Rechtsstandpunktes, dass derjenige, welcher mutwillig und in großem Umfang Grausamkeiten und Zerstörungen begeht und zu verantworten hat, sich auch bereitfindet, dafür gerade zu stehen und Reparationen zu leisten. Das hat nichts mit Versklavung, Knechtung oder anmaßender Gewaltanwendung zu tun, sondern ergibt sich aus dem übergeordneten Prinzip, dass Schuld, die ohne Sühne bleibt, nicht aus der Welt zu schaffen ist, sondern weitere, neue und noch größere Schuld nach sich zieht.

  64. Stephan Wohanka sagt:

    Der Westen & Russland – zum Diskurs, von Wolfgang Schwarz

    „… urteilt die Autorin (Krone-Schmalz – St. W.) über die Sezession der Krim (´ureigenes russisches Land´) und deren nachfolgenden Beitritt zu Russland: ´Was Putin getan hat, war keine Landnahme, sondern Notwehr unter Zeitdruck´.“
    Die Krim „ureigenes russisches Land“… Wenn Krone-Schmalz das so von sich gibt, geschenkt; wenn es aber hier extra herausgehoben wird, dann darf man schon nach den politischen Folgen fragen. Das nördlich gelegene Russland musste zur Eroberung der südlich befindlichen Krim auch Ländereien unterwerfen, die in der heutigen Ukraine liegen. Was prädestiniert die Krim gegenüber den anderen Eroberungen, „ureigenes russisches Land“ zu sein? Sowohl diese Ländereien als auch die Krim waren zuvor keine Gebiete Russlands. Es erheben sich Fragen: Sind diese Landbrücken folglich nicht genauso „ureigen“ russisch wie die Krim selbst? Ein Leichtes also, auch bedeutende Teile der heutigen (Ost)Ukraine „umzuetikettieren“. Um so eine weitere „Notwehr“ alias „Landnahme“ zu rechtfertigen? Und nicht nur in dieser Gegend; auch anderswo haben Russen Gebiete oder Länder erobert, die dann von Russen teilweise besiedelt wurden bei (partieller) Vertreibung der autochthonen Bevölkerung – auch alles „ureigenes russisches Land“?

    Zu „Washingtons sicherheitspolitischer Geisteszustand. Eine Erwiderung von Hannes Herbst“

    Der Militärstratege Thomas P. M. Barnett, ehemals Berater des damaligen US-Verteidigungsministers Donald Rumsfeld – ob das ein Ausweis von Qualität ist? – sagt: „Gleichschaltung der Länder durch Flüchtlingsströme“ …mit dem „Ergebnis einer Bevölkerung mit einem durchschnittlichen IQ von 90, zu dumm zu begreifen, aber intelligent genug um zu arbeiten“.
    Ein Kabarettist, dem ich vor einigen Tagen zusah, war dezidiert anderer Auffassung: Die Durchmischung mache es – sagt er -, genetisch betrachtet; wer sind die Klugen – die Mischlinge, die Reinrassigen sind alle wohl etwas deppert…
    Nun will ich keinen US-Militärstrategen gegen einen deutschsprachigen Kabarettisten ausspielen, weil ich nicht wirklich weiß, wer von beiden der Klügere ist; sympathischer ist mir allemal der Spaßmacher.
    Was aber nun das Meritum der Sache angeht – so war der Ausblick auf eine „Mischrasse der fernen Zukunft“ schon Anfang des 20. Jahrhunderts erkennbare Tendenz. Einer der Protagonisten; Graf Coudenhove-Kalergi, dazu: „Der Mensch der fernen Zukunft wird Mischling sein. Die eurasisch-negroide Zukunftsrasse, äußerlich der altägyptischen ähnlich, wird die Vielfalt der Völker durch eine Vielfalt der Persönlichkeiten ersetzen.“ Wir sehen heute, dass es eine derartige globale Rassenvermischung wohl so nicht geben wird, da alle Ethnien, auch solche in Vielvölkerstaaten, zur Abgrenzung neigen und ihre Eigenart bewahren wollen.
    „Intelligenz“ ist so sagenhaft wie das Einhorn. Nicht, dass es keine Menschen gäbe, die intelligenter wären als andere. Der Mythos entsteht dadurch, dass nur eine Art von Prüfung zu dem führt, was als „intelligent“ zählt. Ein Sexualmörder mit einem IQ von 59 ist in der Lage, seinen Computer für Spiele und Pornos massiv hochzurüsten. Es gibt Menschen mit gutem Gedächtnis, mit mathematischer Begabung, mit musikalischem Genie, handwerklichen Fähigkeiten oder Sprachtalent; andere sind gut darin, Analogien zu erkennen, oder können besser kombinieren, noch andere besser zusammenfassen. Ebenso selbstverständlich gibt es Menschen, die in mehr als nur einem Bereich herausragen. Kurz, es ist angebrachter, von menschlichen Intelligenzen anstelle von menschlicher „Intelligenz“ zu sprechen….
    Ich denke, wir kommen weiter, die Vielfalt der verwirrenden Gegenwart unbefangen und kritisch zu analysieren, als einfachen Erklärungsmustern, überkommenen (Vor)Urteilen und US-amerikanischen Thinktanks und „Experten“ und so letztlich nie beweisbaren Verschwörungstheorien zu folgen.

    PS: Aus dem Internet: „Ohne die Verschwörungstheoretiker wäre dieser Laden langweilig. Allerdings möchte ich um etwas mehr Niveau bitten“.

    • Werner Richter sagt:

      Der brave Mann springt über jedes Stöckchen. Die bestehen aus Klischeevorgaben von Politik, Institutionen und Medien, die wir täglich präsentiert bekommen. Man schaut nicht nach der Hand hinter dem Rücken des Dompteurs, wäre unanständig und verschwörungstheoretisch. Vielleicht lockt da aber auch ein Bonbon? Rußland ist der Übeltäter, schuld an allen Verbrechen der Welt, vielleicht sogar Putin am 2. Weltkrieg? Das wurde zwar noch nicht gehört, aber wer weiß. Da stören Quertöne gewaltig, zumal begründet. Also werden die Quertöner gleich Üblichem diskreditiert, persönlich, nicht sachlich. Die Apologetik zur westlichen Politik ist unübersehbar. Die Argumente verdienen nicht, noch weiter gewürdigt zu werden, sie sprechen für sich. Hier sind jedoch nicht so sehr Krone-Schmalz und Geipel die Adressaten, sondern Wolfgang Schwarz und seine bisher sehr guten Arbeiten zum Thema. Es wird der Sack gedroschen und nicht der Esel. Jeder kann seine Meinung haben, aber es muß zum Thema nur die allgemein gängige sein. Daß dabei einer quasi öffentlich Diskriminierten, die man scheinbar schon am Boden wähnt, nachgetreten wird, ist üblicher Verschleiß. Der redliche Mensch jedoch bringt einer so mutigen Frau Achtung entgegen und frönt nicht den Propagandaklischees der „Putinversteherin“ und „Rußlandfreundin“. Sie ist wohl genau auch das, aber warum wird das auch hier negativ besetzt? Man kann doch nicht ernstlich das Nichtverstehen als Voraussetzung fürs Verstehen der Situation deklarieren.
      In die Propagandaklischees gehört ebenfalls die „Verschwörungstheorie“. Auch hier erübrigt sich die weitere Darlegung. Von Niveau zeugt die intellektualistische Aufblähung der Klischees jedenfalls nicht.

  65. Werner Richter sagt:

    Democracy und islamischer Terror- zum eigenartigen Inhalt der Diskussion
    Ein verblüffendes Phänomen geistert durch Zeit und Hirne. Egal, was uns die zum Teil selbst erlebte Geschichte erzählt, die USA kommen immer und ewig als Zweitursprung und Hort der Demokratie davon. Das „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“, eine Blasphemie, die nur die Chance hemmungsloser Bereicherung auch und vor allem mit Gewalt, eigentlicher Gott der Gesellschaft nach innen und außen, kaschiert, hat in der Welt ungebrochen einen Glaubensbonus. Ein jeder ist gut beraten, seine Gedanken daraufhin mal zu prüfen. Wie anders soll man sich die IS-Diskussion erklären? Ja, der Terror der Islamisten ist grausam, aber doch erst so richtig seit wir selbst davon bedroht werden. Was unterscheidet den Terror dieser von der Außenpolitik der USA? Bei genauerem Hinsehen tritt zutage, der IS hat nicht annähernd die Mittel wie die USA, das ist der Unterschied. Wie ein Historiker schon treffend resümierte, können die „Muslime“ sich noch so anstrengen, sie werden nie mit den „Christen“ gleichziehen bezüglich der Ermordeten der „Gegenseite“. Betreiben die USA mit unserem freundlichen Beistand nicht auch gleiches wie der IS, nur eigenartig christlich, liberal, satanistisch getarnt? Wir schicken keine Selbstmordattentäter, noch nicht oder doch schon, siehe Konditionierungsprogamme von CIA, DIA und sogar NASA, los, geheime Spezialeinheiten und Kampfjets sind effektiver und zudem noch gut fürs Geschäft, denn vieles wird dabei privatisiert. Was ist die Verwüstung mit allen Konsequenzen für die leidtragende Bevölkerung im relativ kleinen IS-Einflußgebiet gegen die kontinentalen Verwüstungen durch USA und Nato, demnächst vielleicht auch die EU? Und irgendwie nehmen wir den politischen und medialen Feuerschutzgebern deren Verharmlosungen immer wieder und bis heute ab. Spielt da eine unterschwellige Angst vor fürchterlichen Konsequenzen, sollten wir die USA nicht mehr als Kampfhund, der nur spielen wolle, akzeptieren? Hoffen wir zutiefst heimlich noch verschont zu bleiben und mit zu den Siegern der Welteroberung zu zählen? Das wäre eine fürchterliche Illusion, denn Europa gilt den US-Mächtigen als Einsatzmasse, die verbraucht wird. Wir gehören aber nicht zu den „Big Five“ und werden es nie sein. Nur diese haben eine gewisse Chance geschont zu werden, allerdings auch nur zunächst. Stimmt unser Bild von den Demokratie bringenden USA, unisono in unsere Hirne geträufelt, überhaupt auch nur in kleinsten Details? Oft kolportiert, erinnern wir uns der erstaunten Gegenfrage Hannah Arendts: Von welcher Demokratie sprechen Sie eigentlich? Wieso soll in den USA Demokratie herrschen? Die hat es hier nie gegeben, weil es sie infolge der Geschichte nicht geben kann. Hier herrscht nur das Gesetz. Und, kann man inzwischen seit dem Patriots Act hinzufügen, nicht, wenn eine nationale Sicherheitslage pauschal vorgegeben wird. Dann gelten die Gesetze nicht! Das ganze staatliche System, so einige Analysten, ist schon im fortgeschrittenen Stadium seiner Auflösung, Korruption und Willkür haben die Gesellschaft gut im Griff. Wer es nicht glaubt, kann sich ja mal die Widerspiegelung des Alltags in den USA in Fernsehserien wie „Ray Donovan“, „Shameless“, „Breaking Bad“ u.ä. vor Augen führen. Sie sind aus der Gesellschaft entstanden, wie sie zum erheblichen Teil ist, und nicht als Sience Fictions erdacht. In diese anarchische Strukturen geht die weitere Entwicklung der US-Gesellschaft, sie ist logische Konsequenz der Zuspitzung des kapitalistischen Verwertungszwanges bis hin zur Herrschaft des Verbrechens auch durch und mit staatliche Institutionen, des sog. Sicherheitsapparates und deren Verquickung mit privatem Kapital sowie Verbrecherstrukturen. Man kann in der Außenpolitik, die fast nur noch Gewaltpolitik ist, den Tiefstand ablesen. Vor diesem recht realen Hintergrund kommen übliche akademische Dispute bei näherer Betrachtung abseitig vor.

    • Stephan Wohanka sagt:

      Lese ich Ihre letzten – entschuldigen Sie – sich mir zumindest nicht immer ganz erschließenden Texte, so fällt mir doch der Furor auf, mit dem Sie die USA attackieren. Nicht dass Sie unrecht hätten, das Land und seine (demokratischen) Institutionen sind in einem beklagenswerten Zustand. Es bedurfte nicht erst des Polit-Clowns Trump und seiner – jetzt wohl einbrechenden – Popularität, um wirklich Bedenken um die demokratische Zukunft dieses Landes zu haben. Sie hätten auch beispielsweise die Studie „Testing Theories of American Politics: Elites, Interest Groups and Average Citizens“ von Gilens und Page zitieren können: „Die zentrale Aussage, die sich aus unserer Forschung ergibt, ist, dass Wirtschaftseliten und organisierte Gruppen, die Geschäftsinteressen vertreten, einen erheblichen, eigenmächtigen Einfluss auf die Regierungspolitik haben, während Durchschnittsbürger und Interessensgruppen, die die Massen vertreten, keinen oder nur geringen Einfluss haben“. Auch die Außenpolitik, NSA, manche Kriegseinsätze und anderes durch Sie Erwähnte – alles kritikwürdig, alles richtig; nur stört mich Ihre undialektische, ahistorische und apodiktische Betrachtungsweise, wodurch der Text leidet…
      Es geht doch immer nur – und das müsste Sie eigentlich die uns beiden gemeinsame Erfahrung mit dem Sozialismus gelehrt haben – um das Ideal; die Praxis dazu differiert beständig und teils erheblich bis hin zur Negation des Ideals. Denken Sie an die (katholische) Kirche: Seit 2000 Jahren steht sie in ihrem Selbstverständnis für (Nächsten)Liebe, Barmherzigkeit und Gnade. Wann hat sie sich daran gehalten? Man denke nur an die Inquisition und die Eroberung Lateinamerikas. Sie besteht immer noch, und immer noch hat sie Hunderte Millionen von Anhängern, die mit der kirchlich-institutionellen Praxis hadern, aber dabei bleiben. Auch unsere idealerweise an Demokratie und Freiheit orientierte Lebensweise verfehlt das Ideal doch permanent und trotzdem will ich zumindest in keiner anderen Gesellschaft leben.
      Zurück zu den USA. Kennten Sie deren Geschichte etwas genauer, dann wäre Ihnen bewusst, dass dieses Land schon früher – demokratietheoretisch gesehen – ein beinahe failed state war. Und doch wieder beinahe zum Ideal zurückfand. Ich meine das Amerika der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, im sogenannten Gilded Age (vergoldetes Zeitalter); eine Zeit nach dem Sezessionskrieg, nach außen hin vom wirtschaftlichen Aufschwung und technologischen Fortschritt geprägt, aber zugleich auch von riesiger Armut und ausufernder Korruption. Wenn die USA jemals eine Oligarchie war, dann damals. Es heißt, Rockefellers Vermögen belief sich auf sage und schreibe zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Industriebarone hatten Washington so tief in der Tasche, dass diese politische Korruption heute noch legendär ist. Auch die so genannte Tammany Hall, eine politische Seilschaft in New York, die den Demokraten nahe stand und die über Jahrzehnte hinweg die Politik in der Stadt kontrollierte, gilt noch heute als Synonym für Korruption. Berüchtigt wurde sie wegen unzähliger Skandale und des Missbrauchs städtischer Ressourcen und Posten als Versorgungsmittel für die Klientel der Partei und zur Gewinnung finanzieller Unterstützung. Tammany gab den Immigranten und den Unterschichten in der Stadt eine Stimme, organisiert durch Verbrecherbanden, doch zugleich nutzte die Organisation diese Gruppen mit bis dato unbekannter Skrupellosigkeit aus, um politische Ziele durchzusetzen.
      Also im Westen nichts Neues, könnte man meinen. Doch dann passierte etwas Merkwürdiges. Im bis ins Knochenmark korrupt-kapitalistischen Amerika brandete eine Welle des Widerstands auf und so wurden die USA zum ersten Industriestaat, der den Kapitalismus begrenzte, angefangen mit dem Sherman Antitrust Act von 1890, der die großen Monopole zerschlug und so die Korruption zurückdrängte und beschnitt. Deutschland kam erst knapp hundert Jahre später auf diese Idee.

    • Werner Richter sagt:

      Ich meinte nicht den „operativen“ Widerstand recht großer Kreise der US-Bevölkerung. Der ist in meinen Augen bemerkenswerter und konsequenter als der, den ich hier zulande für möglich halte. Es gibt ungewöhnlich konsequent agierende Persönlichkeiten und Gruppen, die ich mir für uns heimlich wünsche. An der historischen Tendenz der weiteren Ausbildung direkter Gewaltstrukturen ändern sie nichts. Den USA, wie hier geschehen, auch nur einen Krieg, von denen sie zig führten, vergessen Sie nicht z. B. die Angriffsplanung Anfang des 20. Jahrhunderts gegen Kanada u.a., als nicht aggressionsgetrieben einzustufen, ist genau das, was ich anmahnte. Irgendwie ist dort doch der Hort der Freiheit u.a. schöner Dinge, einschließlich des Weihnachtsmannes. Wir müssen Geduld haben, so schlimm wie jetzt kann es gar nicht kommen, denn die sind eigentlich lieb. Eine Tendenz historischer Heilung der Gesellschaft zum Guten kann ich in der US-Geschichte nicht erkennen. Den Bezug zu unseren Erfahrungen mit dem Realsozialismus finde ich amüsant, auch damals diskutierten wir den wachsenden Ausbau der Gesellschaft zum Guten, bis es nichts mehr zu diskutieren gab. Die Grundlage war verschwunden, schade. Wir sind an der 5. Etage angekommen, bis dahin ging es gut. Grüßen Sie Salinger!

  66. Werner Richter sagt:

    Zu „Die sieben Versuchungen Europas“ von Peter Petras Heft 24
    Auch der Zusammenhang zwischen Islam und Terror muß diskutiert werden, wie der Terror der „christlichen“ Staaten z.B. in Nahost und immer im Zusammenhang. Es ist fast unmöglich, die Ereignisse in die strategischen und taktischen Linien der Interessenpolitik aller Beteiligten vollständig einzupassen. Das lassen diverse Veröffentlichungen befürchten. Die Rolle der französischen Regierung beim Aufbau des Terrornetzwerkes des IS u.a. sowie deren Ignoranz konkreter, namentlicher Hinweise auf bevorstehenden „islamistischen Terrors“, mit denen vermutlich die Anschläge gar nicht stattgefunden hätten, die Diskussion über die US-Strategie zu einer Neuen Weltordnung (Mind-Control Ultra), die Vorgänge zur Massenflucht aus Syrien (wer hat diese Flucht ,wie und warum so plötzlich angeschoben?) lassen erahnen, daß wir immer noch vor einer dicken Tarnnebelwand stehend nur die nächsten Umrisse erkennen. Hat nicht Frankreich, besser dessen Regierungsapparat, die Anschläge billigend in Kauf genommen zur Neuauflage neokolonialer Politik im Nahen Osten, vereint mit Israel u.a. handelnd? Ist das so unmöglich? Erfüllt etwa die Bundeskanzlerin mit der zunächst alle schockierenden Linie eine US-Vorgabe mit allen Konsequenzen? Die USA, die ja bekanntlich vor der Syrienkrise Rußland brüskierten, dessen Befriedungsvorschlag ohne Assad, vom finnischen Präsidenten damals übermittelt, ablehnten und kurze Zeit darauf schon mit 2 Mio. Flüchtlingen, die in Kauf zu nehmen wären, rechneten? Wer sollte sie in Kauf nehmen und warum? Hat wirklich allein der IS-Terror, der bekanntlich schon länger droht, die Flucht ausgelöst, gerade zu diesem Zeitpunkt? Hat der IS in den letzten Wochen etwa Territorialgewinn zu verzeichnen oder wirken hier nicht doch Netzwerke als Auslöser, wozu? Sollte das nicht eher Assad treffen? Dieser Hinweis auf viel tiefer liegende Schichten der Weltlage gilt auch in anderen Bereichen. Zur NSU-Sache z.B. ist da das Interview von Wolfgang Eggers in der „Roten Fahne“ ganz nützlich. Seine Analysemethode scheint sehr brauchbar zu sein. Auch der „CIA-Report“ der Feinstein-Kommission erscheint vor den Mind-Control-Diskussionen in den USA plötzlich ein einem ganz anderen Licht. Ist dieser Bericht etwa auch ein Nebelvorhang, um Söldnerkonditionierungsprogamme neuen Typus zu sichern? Es ist offensichtlich, daß selbst alle US-Präsidenten seit Eisenhower in diese hochkriminellen Aktivitäten verstrickt waren und durch die heutigen Strukturen vor juristischer Aufarbeitung geschützt werden. Man braucht sich nur mal die Aussagen von Cathy O’Brien u.a. zu Gemüte führen. Warum sollte der jetzige Nobel-Präsident eine Ausnahme sein? Wir ahnen noch nicht mal ansatzweise, was uns die „Freundschaft“ mit den USA noch alles bringen wird, bis Europa „aufgebraucht“ ist. Es klingt die Prophezeiung „Die USA werden unser Untergang sein“ (Sell oder Otte? Egal)jedem Hellhörigen im Ohr.

  67. Jürgen Scherer sagt:

    Apropos Mainstream usw.
    Da hat sich doch der der stellvertretende Chefredakteur der ZEIT dahin gehend geäußert, wie heutzutage das „Eingebettetsein“ funktioniert. Nachzulesen unter http://www.nachdenkseiten.de/?p=28997#more-28997 !
    HG
    Jürgen Scherer

  68. Stephan Wohanka sagt:

    Zwei Anmerkungen zu aktuellen Texten.

    Zu: „Bemerkungen: Aus anderen Quellen“

    Ich kann mir nicht helfen – aber lese ich die Texte im „Dekoder“, so habe ich doch einige Schwierigkeiten nachzuvollziehen, „dass die Russlandberichterstattung in den deutschen Leit- und Mainstreammedien von Sachlichkeit und journalistischer Sorgfalt überwiegend weit entfernt ist und stattdessen häufig stereotype Feindbildklischees bedient“. Deutsche Leit- und Mainstreammedien berichten sachlich mit anderen Worten nichts anderes als die Texte im Dekoder; nämlich, dass in Russland „der Nachrichtenhorizont immer enger wird, das Bild extrem vereinfacht wird, und sein Umriss immer mehr dem einer Schießscharte gleicht“ oder auch „wenn dann doch in irgendwelchen Zusammenhängen mal negative Themen aufscheinen, so – und das leuchtet jedem sofort ein – liegen die Gründe für Rezession, Inflation, Ärztemangel und polizeiliche Willkür ausnahmslos außerhalb der Landesgrenzen“. Vielleicht sitzen ja deutsche Kritiker der deutschen Medien ihren „stereotypen Feindbildklischees“ auf?

    Zu: Holger Pollit: „Kaczyńskis Versprechen“

    Gestern sprach ich mit einem hier in Berlin arbeitenden polnischen Bauarbeiter. Auf meine Frage nach der neuen Regierung in seinem Lande antwortete er lachend: „In Polen kursiert das Bonmot, dass jede Regierung, die den Deutschen nicht gefällt, eine gute Regierung ist“.

    • Werner Richter sagt:

      Den Seinen gibt der Herr, oder wer auch immer zuhören mag, im Loyalitätsglauben ein sanftes Ruhekissen. Wenn das Tucholsky noch erleben dürfte. Schon mal was von psychologischer Kriegsführung gehört, Verehrtester? Ach ja, machen ja nur die Putins. Die PSK-Strukturen, ziemlich leicht erkennbar, wenn man den Inhalt der offiziellen Meldungen, die vorrangig von sog. Leitmedien transportiert werden, auch erkenntlich, mal wegläßt, sind hier nur zum Spaß. Wollen doch nur spielen, sagen viele Medien, zufällig im Gleichklang. Da kann man sich schon mal ganz ungefährdet einfügen, so zum Spaß. Übrigens, wichtige Kategorien der PSK unter den Begriffen zur Abwehr/Konterprop in der Sammelkategorie „Verschwörungstheorie“, selbst ein Instrument, sind „Rußland-/Putinversteher“, „Medienkritiker“, Sachlichkeitsnachweis eigener Berichterstattung anhand von Kleinlichkeiten, Entlarvung von „Trollen“ usw. Die PSK nutzt gern über die Medien „zivile“ Zungen/ad-hoc-Experten mit anrüchigem Hintergrund und oft schlecht gemachten „Entlarvungs“-fakes (z.B. Faßbomben, Giftgaseinsatz, Bombardierung Aleppos). Diese „Menschrechtsstellen“, private Ermnittler u.a. sind polizeilich abgeschirmt, wie es MI 6 immer macht. Andere Journalisten, die eigentlich dann immer in Kontakt kommen wollen, werden abgeblockt. Nach kurzfristigem Auffliegen der Fakes ist dann zunächst Ruhe, aber nach Wochen werden die eigentlich „verbrannten“ Fakes durch ARD/ZDF u.a. wieder als Belege unkritisch verwendet, trotz des fragwürdigen Hintergrundes. Daran kann man sie erkennen, wenn man nur will. Oder die Scheuklappen prüfen. Dazu kommen auch ARD/ZDF die Pegida-Losungen (Lügenpresse) gerade recht, sonst müßten sie sie selbst erfinden lassen. Vielleicht deshalb die überzogene Berichterstattung von den „Demos“? Selbst einst kritische Magazine wie Zapp geben sich im Dialog zwar zunächst aufgeschlossen und seriös, an sachlicher Diskussion interessiert. Nach konkreten Angeboten zur Diskussion mit Kritikern ist dann stets Ruhe im Wald, kein Mucks kommt mehr. Komisch, was?

  69. Manfred sagt:

    Zum Artikel: Katalonien – die eigensinnige Region

    Anmerkung eines Schwaben: Wenn etwas keinen Wert hat, dann hat es keinen Sinn. Andersrum: wenn es keinen Sinn macht, dann hat es keinen Wert, dasjenige zu tun. Werthaltig ist also nur, was auch Sinn macht. Wert im positiv konservativen Sinn – ist es das wert, kann das dauern, kann das überleben, ist das auch für andere von Nutzen? Was Werte sind – ist allerdings kulturell bewertet. Auslegungssache. Der Sklave oder der Herr oder wer auch immer wertet das natürlich öfters mal durchaus anders und eigen. Freiheit kann ein hoher Wert sein, vor allem, wenn man keine hat. Und wenn der (Fahr)Schein entwertet ist, machts hierzulande keinen Sinn mehr, noch mal damit zu fahren. Tipp: zu Fuss gehen. Ist mal was eigenes, kann man nicht kaufen und hat für sich schon mal viel Wert: der Planet -also wir- werdens alle danken – so viel Werte ist GAIa gar nicht mehr gewohnt. Kommt von wohnen – aber das ist wieder eine andere Geschichte. Gruss und Dank.

    • Wenn der Fahrschein n i c h t entwertet ist, dann ist er auch nicht gültig. Das heißt: sein Tauschwert – ich könnte ihn ja auch weiterverkaufen – verwandelt sich durch die „Entwertung“ in seinen Gebrauchswert als Beleg dafür, dass ich die Fahrt bezahlt habe.

      Anscheinend haben Katalanen wie Schwaben in ihrer Alltagsphilosophie ein relativ klares Bewusstsein davon, dass Dinge ohne Gebrauchswert auch keinen Tauschwert haben. Ausführlicher zu diesen Begriffen:
      http://das-blaettchen.de/2015/10/marx-mehrwert-marktanteile-34119.html

  70. Jürgen Scherer sagt:

    Werter Herr Hummel!
    In der Angelegenheit Flüchtlingsproblematik und ihrer Einschätzung dazu, insbesondere was die desaströse Politik von Herrn Schäuble angeht, stimme ich Ihnen völlig zu. M.E. hätte z.B. eine sofortiges millonenschweres „Sonderprogramm Flüchtlinge“ aufgelegt werden müssen. Dass dies nicht geschehen ist noch geschieht, verweist nicht nur auf Ignoranz und Unfähigkeit der Handelnden sondern auch auf ideologische Verblendung, wenn nicht gar absichtliche oder vielleicht sogar un/ter/bewusste fremdenfeindliche Haltungen.
    Aber die Auseinandersetzung um den von mir inkriminierten Begriff „Flüchtlingsstrom“ als „zänkisches Theater“ zu bezeichnen, ist mir denn doch zu billig. Ihr wohlüberlegter Umgang mit Worten, wie er ja alles in allem, in Ihrer Replik zum Ausdruck kommt, belegt doch geradezu, wie wichtig der Umgang mit Worten ist. Worte können sogar töten, wie Heinrich Böll in seinem hervorragenden Roman „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ bestechend klar aufgezeigt hat. Und an die „Linguae tertii imperii“ muss ich sie ja wohl nicht erinnern. Mit Worten wird beeinflusst, Politik gemacht, manipuliert etc. Und der Begriff „Flüchtlingsstrom“ steht dafür par excellence, wie Sie der täglichen „Info“ und Hetze entnehmen können. Deshalb nochmal: Blättchenautoren sollten sich differenzierterer Argumente bedienen statt gefährlicher Schlagworte. Mit „zänkischem Theater“ hat das nichts zu tun!

    • Wolfgang Ernst sagt:

      Von Kurt Tucholsky gibt es den aufschlussreichen Satz: „Deutschland ist eine anatomische Merkwürdigkeit: Es schreibt mit der Linken und tut mit der Rechten.“ Da die Linke in Deutschland auch heute mit dem Tun nichts zu tun hat, macht sie um so mehr Aufhebens von Worten.

  71. Zu Jürgen Scherer:

    Wenn man wie ich über die Mitte der Siebziger hinaus ist, braucht man keine Angst mehr zu haben, schon gar nicht vor Flüchtlingen, auch wenn ihr Strom unabsehbar ist, Herr Scherer! Ich war in meinem Leben auch nie – soweit mir das bewusst ist – von Ängsten geplagt. Im Gegenteil, ich glaube, ein im Grunde optimistischer Mensch zu sein, der von den großen Potenzen der menschlichen Gesellschaft und ihrer grundsätzlichen Fähigkeit überzeugt ist, unseren so klein gewordenen Planeten vernünftig zu bewirtschaften. Zugleich betrachte ich es als eine Frage der Vernunft, Probleme und Gefahren zu erkennen und zu benennen. Es sind vor allem die ungeheuren ökonomischen und politischen Widersprüche in der Welt sowie deren mögliche Folgen, wozu auch das Weltflüchtlingsdrama gehört, vor dem man die Augen nicht verschließen kann. Und für die Lösung dieser Widersprüche sehe ich zurzeit in der Realität keine wirklichen Ansätze. Unabsehbar wird das weltweite Flüchtlingsproblem meines Erachtens bleiben, solange es nicht gelingt, eine neue Weltwirtschaftsordnung durchzusetzen, welche die Widersprüche löst oder wenigstens dazu beiträgt. Und das wird wahrscheinlich viel schwieriger werden als die derzeitige Herausforderung, kurzfristig etwa anderthalb Millionen vor Terror und Krieg aus Syrien, Irak usw. flüchtende Menschen in Europa unterzubringen. Dennoch bin ich überzeugt, dass sich das Notwendige durchsetzen wird. Dies wird um so eher geschehen, je rascher allgemeine Einsicht in die notwendigen Voraussetzungen entsteht und von solcher Einsicht die Politik weltweit beherrscht wird. Ich möchte das Meinige, so gut ich kann, dazu beitragen.
    .
    Schließlich wird es auf Taten ankommen, weniger auf Worte. Eben die richtigen, notwendigen Taten vermisse ich bei Herrn Schäuble und seinem Beraterstab; etwa die Aufhebung des desaströsen Spardiktats für Südeuropa oder eine Kursänderung bezüglich der Rolle der EZB bei der Gestaltung der Wirtschafts- und Haushaltspolitik der Europäischen Union. Für seine dummen Worte, die ihm im Eifer des Gefechts in den Sinn und auf die Zunge kamen, kann der Mann nichts. Das allgemeine zänkische Theater um solche Worte erinnert mich an tragikomische Praktiken in einem (vielleicht auch darum) nicht mehr existierenden Staat: Als zu Beginn der 1980er Jahre die DDR der Volksrepublik Polen wegen dortiger Versorgungsschwierigkeiten mit massiven Lieferungen von Bockwürsten zur Seite sprang, kam hierzulande, in der DDR, von zentraler Stelle die Weisung, in den Medien nichts mehr über den Verzehr solcher Art Würste zu berichten, damit die Bevölkerung nicht zum Konsum solcher, inzwischen knapp gewordener, Leckerbissen animiert werde. Peinlich achteten also Chefredakteure darauf, dass „Bockwurst“, so selten dieses Wort auch gebraucht worden sein mochte, in keinem Artikel auftauchte.

    Heute scheint es keiner zentralen Anweisungen zu bedürfen, um unpassende Worte aus dem Verkehr ziehen zu lassen.

  72. Jürgen Scherer sagt:

    Nr 23
    Ein unabsehbarer Flüchtlingsstrom drängt nach Europa, vor allem in sein Zentrum Deutschland. (Heerke Hummel, S.1)
    Wilfried Schreiber
    Insbesondere der sich gerade auf das EU-Europa ergießende Flüchtlings-Tsunami … (S.7)
    Der unabsehbare Flüchtlingsstrom … (S.8)
    Inzwischen scheint es ja zumindest bei zwei „Blättchen-Autoren“ (Heerke Hummel,S.1/Wilfried Schreiber S.7,8) Konsens zu sein, vom „unabsehbaren Flüchtlingsstrom“ zu schreiben, der sich auf Deutschland zubewegt/nach Deutschland drängt. Abgesehen davon, dass mit solchen Aussagen unbegreiflicherweise die Begrifflichkeit des Medienmainstreams und dessen damit insunierte Angstmechanismen aufgenommen werden, ist es geradezu unsäglich, wenn Wilfried Schreiber seinem methaphorischen Missgriff noch einen drauf setzt und vom sich auf Europa ergießenden „Flüchtlings-Tsunami“ schreibt. Diese Metapher hätte das Blättchenlektorat nicht durchgehen lassen dürfen! Ein gewisser Herr Schäuble wird derzeit zu Recht der geistigen Brandstiftung bezichtigt, weil er den Begriff der losgetretenen „Flüchtlingslawine“ verwendet hat! Autoren, die fürs Blättchen schreiben, sollten sich die Zeit und auch den Raum nehmen, ihre womöglich vorhandenen Ängste und /oder Befürchtungen differenzierter darzustellen als mit solchen Metaphern. So bitte nicht mehr!!!!

  73. Theosebeios sagt:

    A B SC H I E D
    Seitdem Herr Wohanka (und auch die Redaktion) in Sachen Flüchtlingskrise mir vorhielt, nicht die richtige Haltung einzunehmen, arbeite ich an mir. Man sieht jedoch keine Fortschritte. Ich bin wohl geistig überfordert. Nach den Terroranschlägen in Paris, die mich auch beruflich beschäftigen, muss ich auf der Hut sein, diese nicht mit der „Flüchtlingslawine“ (Zitat Schäuble) zu „vermengen“ (Zitat Gabriel). Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.
    In unserem Forschungskolloquium habe ich mir geduldig anzuhören — von selbst ernannten Islamexperten, wie ein Kollege respektlos meinte –, dass dieser Terror nichts mit dem Islam zu tun habe. Mit der Militärstrategie westlicher Staaten (u.a. Frankreichs) hat er auch nichts zu tun. Wir haben nun herauszufinden, womit er eigentlich zu tun haben darf. Zum Beispiel mit der Benachteiligung der Benachteiligten in unserer Gesellschaft, wie Frau Professor Foroutan einem LKA jüngst ins Stammbuch geschrieben hat. Das erleichtert ein wenig, da kann man bei den Kausalitäten nichts falsch machen. Trotzdem: ich werde keine Zeit mehr für dieses Forum finden. Wie gesagt, beruflich fordert mich die Entwicklung sehr. Überdies muss ich zur Pegida nach Dresden, diesem „islam- und fremdenfeindlichen“ Bündnis, also dem „Pack“ (Zitat Maas?). Ich will konkret in Erfahrung bringen, von wem der Hass ausgeht.

    Wer meine Kommentare wenigstens hin und wieder nicht uninteressant fand, möge doch auch meine philosophischen Beiträge lesen. Zwei sind im BLÄTTCHEN erschienen:
    18. Jg (XVIII), 27. April 2015, Heft 9: „Die Näherin der Sterne …näht ohne Naht und Saum und Zwirn“. Eine
    sprachphilosophische Betrachtung
    18. Jg (XVIII), 14. September 2015, Heft 19: Plädoyer für die Meinungsfreiheit
    Untertitel und Fußnoten des Plädoyers sind aus redaktionellen Gründen leider entfallen. Bin gerne bereit, philosophisch Interessierten eine vollständige Fassung zukommen zu lassen.

    Es war für mich ein interessantes Jahr in diesem Forum. Ich wünsche der Redaktion, den Lesern und allen Foristen Zeit der Besinnung in den kommenden alteuropäischen Feiertagen und alles Gute für die Zukunft!
    Ihr
    Theosebeios

    • Stephan Wohanka sagt:

      Lieber Theosebeios,

      um „Dresden“ auch gelingen zu lassen – das „Pack“ geht nicht auf Maas, sondern auch auf Gabriel zurück…

      Ihr Wohanka

    • Sehr geehrter Herr Sohn,

      die genannten Beiträge fand ich sehr anregend. Speziell Ihr Plädoyer dafür, „Meinungsfreiheit“ unter anderem auch zu praktizieren, indem man sich von Meinungen frei macht, die für die Praxis ohne Belang und daher nur beschwerlich sind, empfinde ich als ein Stück echter Lebenshilfe – und dazu war die stoische Philosophie in despotischen Zeiten nach meinem laienhaften Verständnis ja auch bestimmt. Das würde ich in der Tat gerne noch einmal mit den Anmerkungen lesen; Kontaktadresse ist über das Link im Kopf dieses Kommentars zugänglich.

      Ich muss gestehen, dass ich Ihre Kommentare oft als Provokation empfunden habe. Sie gaben da den advocatus diaboli, während Ihr Pseudonym mindestens den Nicht-Gräzisten eher an dessen Mandanten erinnerte. Eine Provokation kann ja aber auch etwas sehr gutes sein, wie die ursprüngliche Wortbedeutung lehrt: im antiken Rom war es eine Provokation, wenn jemand seine demokratischen Rechte wahrnahm und gegen ein Urteil der Beamten an die Volksversammlung appellierte.

      Als Beispiel für die Wirkung auf mich sei Ihr Kommentar vom 10.7. zum Beitrag von Mely Kiyak in No. 14 genannt; Ihre Argumente zu den Personen von Wilhelm Reich und Ernest Borneman fand ich da nicht sehr fair. Immerhin bin ich über die Bedeutung dieser Autoren mit Ihnen einig und differiere nur bei der Wertung. Aber auch der „Fan“ kann deren Obsessionen ja nicht übersehen, denen Borneman übrigens in seinem Buch über die „Urszene“ selbst gehörig auf den Leib gerückt ist; eine sehr interessante Darstellung von Reich gibt Harry Mulisch in seinem Buch „Das sexuelle Bollwerk“.

      Es bleibt mir noch, Ihnen zum wirklich gelungenen Abgang von der Schaubühne dieses Forums zu gratulieren und die guten Wünsche zu erwidern.

      Ihr
      Bernhard Mankwald

  74. Zur Wortmeldung von Frank Linnhoff

    Ja, Herr Linnhoff, da stimme ich Ihnen vollkommen zu (falls ich da anders verstanden worden sein sollte) und würde Ihren Text hier am liebsten noch einmal wörtlich wiederholen! Es geht um
    g r u n d l e g e n d e Veränderungen, auch im ganzen ökonomischen Denken und Handeln.
    Übrigens: Sollte ich, was kaum denkbar ist, noch einmal nach Südfrankreich kommen oder Sie ins Brandenburgische, würde ich mich über einen gemeinsamen Plausch bei einer Tasse Kaffee sehr freuen! Besten Dank auch für Ihre Links, die sicherlich für so manchen Interessierten wichtig sein könnten!
    Aus Brandenburg grüßt Sie
    Heerke Hummel

  75. Naujocks sagt:

    Lieber Herr Murmelauge – der vorherrschende Ton Ihrer Einlassungen (Plural!) erinnert mich an realsozialistische „Argumentations“-Praxis, die in sehr hohem Maße von Demagogie gekennzeichnet war. Ein Stilmittel davon war (und, wie man sieht, ist) die Unterstellung von etwas, das ein ideeller Widerpart nicht gesagt hat. In diesem Falle betrifft das die Frage der Schuld am Faschismus, bei der die ich in meinen Anmerkungen vom Anteil der Kommunisten und und Sozialdemokraten gesprochen habe und an keiner Stelle von deren Alleinschuld.
    Aber das (war und) ist ja eben das Perfide an dieser Auseinandersetzungsstrategie: Sie zwingt den jeweils anderen, sich in Angelegenheiten zu verteidigen, die er sich nirgends zu eigen gemacht hat.
    Womit ich meinen Part an diesem „Austausch“ beende, was immer Sie oder Ihre Forum-Genossen möglicherweise noch triumphierend nachzureichen haben.
    Zu der Frage, was ich so lese, gehört übrigens als eine Antwort „Das Blättchen“. Und da Sie dort derzeit weitgehend nur das Forum dominieren und noch nicht das Magazin, hoffe ich, das noch lange beibehalten zu können.
    Eberhard Naujocks

  76. Frank Linnhoff sagt:

    Zum Artikel Flüchtlinge retten, nicht nur den Euro

    Nein, allein mit einer kleinen Reform lässt sich die vollkommen verfahrene Situation in der Eurozone nicht mehr umkehren. Da bedarf es schon einer grundsätzlichen Reform unseres Geld- und Bankenwesens. Nach meiner Meinung wäre dies mindestens eine Vollgeldreform ( siehe http://www.vollgeld.de oder http://www.monetative.de ) plus einer konsequenten Fiskalreform für alle EU-Staaten. Das Problem der hohen Staatsverschuldungen wäre bei solch einer Reform von einem Tag auf den anderen gelöst. Heute bestimmen die Geschäftsbanken, auf keinen Fall die EZB, die Politik. Dies wäre erst dann anders, wenn den Privatbanken das Privileg der Geldschöpfung genommen würde und diese in die Hände der EZB übergehen würde. Jetzt sind sowohl EZB als auch alle Regierungen der Eurostaaten Getriebene der Bankenvorstände.

  77. E. Naujocks sagt:

    Möglicherweise, verehrter Literat, beziehen Sie Ihre Kenntnisse aus anderen Geschichtsbüchern als ich. In meinen jedenfalls ist von der unseligen, weil unheilvollen Fixierung der von der Sowjetunion vorgegebenen Diskreditierung der Sozialdemokraten als „Sozial fa s c hi s t e n“ die Rede, die – zeitgleich freilich zu ähnlich feindseliger Haltung der SPD gegenüber den Kommunisten – jene Aktionseinheit der Antifaschisten lange be- und verhindert hat, die die NSDAP und alles Folgende mit demokratischen Mitteln hätte verhindern können.
    Die von Ihnen zitierte weitsichtige Warnung Thälmanns vor Hitler ist von Obigem völlig unbenommen; das eine zu zitieren, um damit das andere zu widerlegen ist ein argumentativer – sagen wir es mal freundlich – Ungeschick, auf das nochmal zu reagieren ich eigentlich keine Lust hatte …
    E. Naujocks

    • Manne Murmelauge sagt:

      Das haben Sie aber fein argumentiert, Herr Naujocks! Wenn abwechselnd die Kommunisten und die Sozialdemokraten an Hitler schuld sind, kommt das deutsche Kapital gut bei weg. Was lesen Sie denn so?

  78. Literat sagt:

    Der Betrübnis von Herrn Naujocks zur Auslösung seiner Selbstgemahnung kann abgeholfen werden durch den Verweis auf die Geschichte, unter anderem den Aspekt der zeitlichen Abfolge. Das kann nun gewiß im unterschiedlichen Duktus bewertet werden – nicht aber durch Verfälschung, wenngleich dies immer wieder versucht wird.
    Zwar gab es in der Geschichte des Antikommunismus häufig auch den Versuch, sowohl der Theorie als auch der praktischen Politik kommunistischer Parteien und Staaten (mit dieser ideologischen Grundlegung) zu unterstellen, sie seien mitverantwortlich für Faschismus und auch das NS-Regime.
    Diese Reprise nun im „Umfeld des Blättchen“ zu lesen mag überraschen als Meinung, weniger als zutreffende Information.
    Zwei Hinweise zum Nachdenken über die historische Basis des Fehlurteils! Was die von der jungen Sowjetunion ausgehende Politik gegenüber und mit Deutschland in der Zeit der Weimarer Republik betrifft, wäre z.B. ein gutes Thema, um die Behauptung des „Hochmuts- und Überlegenheitswahns“ zu prüfen. Oder eine Warnung (und „Gemahnung“) wie Thälmanns Losung in Deutschland „Wer Hitler wählt, wählt den Krieg“ .
    Freilich wirft die Enthüllung von Herrn Naujocks unabhängig vom Gegenstand eine interessante Frage auf: Wie viel ist „das Seine“? Bei solchen Maßstäben könnte Geschichte statt mit Tatsachen zu einer gefühlten Geschichte umfunktioniert werden. Manche finden offenbar Gefallen daran.

  79. Eberhard Naujocks sagt:

    So leid es mir tut – aber der Duktus Werner Richters gemahnt mich doch sehr an jene Unseligkeit kommunistischen Hochmuts und Überlegenheitswahn, der seinerzeit das Seine getan hat, um der finstersten Reaktion den Weg zu ebnen – wie ungewollt auch immer.
    Ich bin ziemlich betrübt, solche Töne im Blättchen-Umfeld, hier also dem Leser-Forum, lesen zu müssen.
    Eberhard Naujocks

    • Bernhard Romeike sagt:

      Lieber Herr, kein Forum kann sich seine Beiträger backen. Das gilt auch für Sie. Aus Werner Richters Kommentar lese ich keinen „kommunistischen Hochmut“ heraus. Seine Eingangs-Bemerkung zum Zustand der deutschen Sozialdemokratie ist eine Tatsachenfeststellung, keine Wertaussage. In der Sache geht es aber um das derzeitige Russland-Geschelte, das auf die weitere Verspannung des Verhältnisses zu Russland zielt, nicht auf Entspannung. Da passt Herr Voigt sehr gut zu Bernard-Henri Lévy, dessen Einlassungen ja gerade in Umlauf gebracht wurden, und zu der sozialdemokratischen Hilfestellung dabei.

  80. Werner Richter sagt:

    Europäische Friedenspolitik von Karsten D. Voigt Heft 23/2015
    Es ist immer wieder erstaunlich, Belege des Wandels einer einst die Interessen der Arbeiter und der „kleinen Leute“ vorgebenden Partei zur offenen Interessenvertretung der Monopole mutierten zu Gesicht zu bekommen. Herr Voigt läßt uns in Fragen eines Gebietes der bundesrepublikanischen Außenpolitik teilhaben. Er ist zwar wohl aus dem aktiven Rennen, läuft aber aus Spaß oder alter Verbundenheit immer noch mit. Einige Passagen seiner Argumentation aber bedürfen der Kommentierung.
    Die „Viererbande“ setze sich zu wenig mit den neuen Herausforderungen für die deutsche Russlandpolitik auseinander.
    Es ist nur konsequent, von Menschen, die sich, ohne das Ansehen einer Protagonistenseite im Voraus zu schonen, den Ursachen des Konfliktes anzunähern versuchen, mehr Parteilichkeit zu Nato und EU zu fordern. Was kümmert es, wenn die „neuen Herausforderungen“ sich bei näherer Betrachtung als Schuß in die eigene Kniescheibe erweisen. Hauptsache Haltung, treu, deutsch (mit amerikanischem Akzent) und doof?
    „In der geografischen Nachbarschaft der baltischen Staaten wurde der Einsatz derartiger Einheiten [Rußlands] in Manövern geübt.“
    Welche Infamie Rußlands, sich in „geographischer Nachbarschaft“ mit baltischen Staaten zu befinden! Da werden US- und Nato-Manöver in geographischer Nachbarschaft zu Rußland logische Selbstverständlichkeit und auch die Stationierung taktischer Kernwaffen.
    „Es [Rußland] will seinen nach dem Zerfall der Sowjetunion verlorenen Einfluss teilweise wiedergewinnen. Die russische Welt endet für Putin nicht an den Grenzen Russlands. Ich habe dafür Verständnis. Wie soll unter diesen Bedingungen eine gesamteuropäische Friedensordnung entstehen?“
    Wie rührend, dieses Verständnis für Rußlands Lage, und so glaubhaft. Man muß diesen Osteuropäern die Angst nur lange genug mit großem Holzhammer einbläuen, wie einst die Angst vor dem Kommunismus im Westen. Komisch, zu Jelzins Zeiten war unisono unter Diplomaten die Angst vor dem Chaos des Suffkopps riesig wie auch die Sehnsucht nach dem starken Mann. Putin ist mit allen Facetten genau dieser Hoffnungsträger. Die Kerzen waren nicht umsonst gestiftet. Und jetzt ist dieser Mann das Problem? Bin ich verrückt oder doch nicht?
    „… der neuen Fragen, auf die wir Antworten finden müssen.“
    Wie wäre es mit etwas mehr Ehrlichkeit in den eigenen Positionen?

  81. Heino Bosselmann sagt:

    Zu: Eckhard Mieder, Mitleid (in: 18. Jg., Nr. 22, 26.10.15)

    Sehr geehrter Herr Mieder,

    abgesehen von der mir ebenso sympathischen politischen Intention, die in Ihrem Beitrag Ausdruck findet, gefällt mir Ihr Bekenntnis zum Mitleid, diesem „Tat Tvam Asi!“, das unsere fragwürdige Gattung vielleicht natürlicherweise mehr auszeichnet als das zweifelhafte Vermögen, sich ethisch am kategorischen Imperativ auszurichten.

    Sicher überflüssig angemerkt: Ich halte Arthur Schopenhauers Herleitung dazu für lesenswert. Sie werden Sie vermutlich kennen: „Preisschrift über die Grundlage der Moral“, m. E. von 1841. –

    Von Schopenhauer kann hier randständig, finde ich, durchaus mal die Rede sein, gehört er doch zu jenen Großen, die die intellektuelle Linke weitgehend ignoriert, weil sie eher die Spur Hegels verfolgt – sinnreich und fatal zugleich. Aber das wäre ein anderes Thema.

    Kurz: Sehr charmanter Beitrag von Ihnen Vielen Dank dafür. –

  82. Clemens Fischer sagt:

    Geschätzter Herr Richter,
    die Besprechung zu „Der Staat gegen Fritz Bauer“ Conrad Taler (Kurt Nelhiebel) in Ossietzky ist sehr informativ zu lesen. „Biographiepuristen“ wie der dortige Rezensent sollten aber, was Kino angeht, vielleicht doch besser bei Dokumentarfilmen bleiben und um Spielfilme einen Bogen machen. Denn bei der Besprechung letzterer finden sie zwar rasch die Haare in der Suppe, zentrale politische Inhalte allerdings fallen dabei u.U. unter den Tisch: Kein Wort in der Taler-Rezension darüber, dass der Film ziemlich exakt zeigt, wie schandbar ungeschoren in der jungen BRD die Funktionseliten der brauen Pest davongekommen sind, wie Nazi- und Kriegsverbrecher gedeckt und geschützt und durch attraktive Jobs honoriert wurden (im Film: ein Angehöriger einer SS-Einsatzgruppe – das waren die Holocaust-Aktivisten direkt hinter der vorrückenden Front im Osten nach dem Überfall auf die UdSSR – bei Daimler Benz in Stuttgart, Eichmann bei derselben Nobelfirma in Buenos Aires) und gegen welche (oft unüberwindbaren) Hürden die wenigen Verantwortungsträger, die NS-Täter zur Verantwortung ziehen wollten (wie Fritz Bauer), anrennen mussten. Das ist für die heutige Generation sehr notwendiger Geschichtsunterricht.
    Im Übrigen wird Fritz Bauer in dem Film durchaus nicht, wie die in der Ossietzky-Besprechung zitierte Bauer-Biographin Irmtrud Wojak urteilt, als Verräter an Juden, SPD und Homosexuellen behandelt, sondern als Mensch mit einer – was seine Persönlichkeit anbetrifft – Entwicklungsgeschichte, die ihm Einsicht in eigene Fehler, Kraft und Auseinandersetzungen abfordert. Dass der Filmregisseur sich in seiner Darstellung dabei auf durchaus zweifelhafte Facetten aus Bauers Biographie stützt, kann zwar als ein Zuviel an künstlerischer Freiheit angesehen werden, aber die ist im vorliegenden Genre andererseits grundsätzlich legitim. Den Film deswegen in Bausch und Bogen in die Ecke „sex and crime“ (Zitat Taler) zu entsorgen, scheint mir unangemessen.
    P.S.: Da die Taler-Rezension über die von Ihnen angegebene URL bei mir nicht aufrufbar war, hier noch eine andere (http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/1496_bauer.htm), die den Text ebenfalls anbietet.

    • Werner Richter sagt:

      Danke für die interessanten Informationen, verehrter Herr Fischer. Für Laien wie mich ist es immer gut, hier Spezis am Werke zu wissen. Hilfreich ist es auch, dann den Film zu schauen.
      Jaja, Herr Höger. Ab 20 habe ich eine angeborene Zählschwäche, aber nur bis 30, sehen Sie es mir bitte nach.

  83. Werner Richter sagt:

    Zu Clemens Fischer über „Der Staat gegen Fritz Bauer“ in „Film ab“ Heft 21.2015
    Als Kurzvorstellung ist der Artikel gut, jedoch erfaßt er nicht die ganze Problematik. Nähere Hintergründe zum Film sind bei „ossietzky“ 20/2015 S. 735 ff. in Conrad Talers Artikel „In der falschen Ecke“ zu finden:
    http://www.ossietzky.net/20-2015&textfile=3252

    • Achim Höger sagt:

      Sie meinten doch gewiss Heft 22, werter Herr Richter.

  84. Ralf Voigt sagt:

    Manne Murmelauge muss dereinst Lehrer gewesen sein, oder er ist es noch; im Verteilen von Zensuren ist er jedenfalls allererste Sahne.
    Vielleicht sollte die Redaktion Forum-Einträge von MM genehmigen oder wenigstens mit einer Note versehen lassen.
    Ralf Voigt

    • Theosebeios sagt:

      Lieber Ralf Vogt,
      Ihre Idee hat was. Die mürrischen Benotungen Mannes — ich war auch mal betroffen — haben einen gewissen Unterhaltungswert. Jetzt war halt der Herr Wohanka mal dran. Zensuren verteilt jedoch die Redaktion selbst und entzieht sie weitgehend Ihrer Unterhaltung.

  85. Stephan Wohanka sagt:

    Querbeet (LXII) von Reinhard Wengierek
    Zu: Lars, ein Bundeswehr-Kampfflieger …
    Zu widersprüchlich ist mir die Gegenüberstellung von „…. einer teils an den Haaren herbeigezogenen, teils populistisch einseitigen und klischeehaften Plauderei“ und „es geht um den angenommenen, tatsächlich jedoch so gar nicht lebensfernen Fall“. Kann ein „so gar nicht lebensferner Fall“ zugleich eine „teils an den Haaren herbeigezogene, teils populistisch einseitige und klischeehaften Plauderei“ sein? Und: Wird in einem Stück, „über einen schier unauflöslichen Gewissenskonflikt“ nur „schwadroniert“, dann kann das Stück in der Tat nicht gut sein.
    Ich habe es nicht gesehen, will mich aber zu dem Gewissenskonflikt äußern. In einem anderen, in einer Berliner Zeitung publizierten Kommentar zur gleichen Aufführung des Stückes ist zu lesen: „Von Schirach verschweigt, dass sein vermeintliches Dilemma … im Sinne der Verfassung gelöst worden ist. Das Urteil im Folter-Prozess gegen … Wolfgang Daschner stand leider nicht im Programmheft“. Damit verfällt der Kommentator, selbst Jurist, der Hybris nicht weniger Juristen, die meinen, lebensweltliche Zwangslagen „im Sinne der Verfassung“ juristisch „lösen“ zu können! Sie verkennen, dass sich moralisch-ethische Konflikte eben nicht beliebig in juristische Materie „umformen“ lassen, sich nicht durch „Kodifizierung“ aus der Welt schaffen lassen! Der erwähnte Fall Daschner zeigt geradezu exemplarisch, wie ein Polizist im höheren Dienst, ein juristisch Gebildeter also, wohl wissend, dass er das Gesetz überschreitet und wohl wissend, was ihm dafür droht, es trotzdem tat – um nämlich möglicherweise das Leben eines Kindes retten zu können, indem er dessen Entführer Magnus Gäfgen Schmerzen vulgo Folter androhte. Was – das muss man hinzusetzen, auch dazu führte, dass Gäfgen das Versteck des leider schon toten Kindes preisgab…
    Doch zurück zur Materie des Schirach-Stückes: Anfang 2005 fand ein Kolloquium zu Ehren Erich Bendas, des früheren Bundesinnenministers und Bundesrichters, statt. Die Veranstaltung stand unter dem Titel „Notstandsgesetzgebung und Terrorismusbekämpfung“. Der damalige Innenminister Schily hatte gerade ein Gesetz eingebracht, das den im Stück dargestellten Fall einer Flugzeugentführung juristisch regeln wollte; später, zeitlich nach der Benda-Veranstaltung, kassierte das Bundesverfassungsgericht diese „Abschussermächtigung“. Einer der Teilnehmer des Kolloquiums warf folgendes Problem auf: Eine Flugzeugentführung mit erwiesener Absicht, dieses Flugzeug als Waffe zu missbrauchen, hat stattgefunden. Zugleich befindet sich der „Chef“ der Entführer im Gewahrsam der Sicherheitsbehörden. Ohne hier die „Folterdiskussion“ um Daschner wieder aufwärmen zu wollen, so die Stimme weiter, sei es doch schon ein – auch juristisch – bemerkenswertes Phänomen, dass mit gesetzlicher Billigung das Flugzeug abgeschossen werden könne, der Terroristenanführer jedoch nicht einmal genötigt werden dürfe, die Pläne des Verbrechens aufzudecken. Selbst wenn heute – wie gesagt – die einschlägige Ermächtigung aus der Welt ist, so bleibt das „juristisch bemerkenswerte Phänomen“ juristisch unlösbar im Raume stehen. Oder hat jemand eine Lösung? Jurist von Schirach wohl auch nicht; er überlässt sie ja dem Publikum. Und so werden derartige Dilemmata auch weiterhin nur von Fall zu Fall entschieden werden können. Auch eine Unterlassung ist eine Entscheidung…

    • Manne Murmelauge sagt:

      Es meint das Meinen so vor sich hin. Früher, an der Uni, galt im Seminar die Regel, wenn der Student seine Einlassung mit dem Einstieg begann: „Ich habe den Text“ – um den es in dem Seminar gehen sollte – „zwar nicht gelesen, aber ich habe mal folgende Meinung…“, dass entgegnet wurde: „Wenn Sie nichts gelesen haben, wollen wir diese Meinung auch nicht hören“. Aber in diesem Forum kann ja jede Meinung geäußert werden, auch wenn Herr Wohanka weder etwas gelesen noch etwas gesehen hat.

  86. F.-B. Habel sagt:

    Besten Dank für den Bericht „Der Wahrheit verpflichtet“ über die KTG-Tagung! Um der Wahrheit die Ehre zu geben, sollte aber auch gesagt sein, dass Kurt Tucholsky selbstverständlich Berliner (aus Moabit) ist. Unter den drei Geschwistern war er der einzige Berliner – Fritz und Ellen Tucholsky wurden tatsächlich in Stettin geboren. Und Stettin ist doch auch Kurts Heimatstadt, denn hier hat er Murmeln gespielt, wurde eingeschult und verlebte bis 1899 seine ersten Schuljahre. Wenn sich die KTG im kommenden Jahr in Szczecin im Zeichen Europas trifft, kann es angesichts der neuen europaskeptischen Regierung in Polen eine spannende Angelegenheit werden!

    • Wolfgang Schwarz sagt:

      Lieber Herr Habel, „nobpody is perfect“ wäre uns in diesem Fall eine zu lahme Entschuldigung: Der Fehler ist uns höchst peinlich! Herzlichen Dank für Ihren Hinweis. Die Korrektur auf der Website ist sofort und in Anlehnung an Ihre Einlassung erfolgt.

  87. Werner Richter sagt:

    Anmerkung zu „Tatschanka“ Heft 21
    Das ist mit Verlaub etwas zu einfach geschlußfolgert. Mögen die Zahlen der Maidan-Teilnehmer insgesamt eine statistische Übermacht „libertärer“ Kräfte suggerieren, kann die Dominanz der „rechten“ auf Grund ihres Terrors auch gegen die „libertären“ nicht übersehen werden. Parallel dazu wurden Strukturen im Sicherheitsapparat aufgebaut, die mit relativ geringem Kader die Dominanz der „Rechten“ festigten. Wie oft konnten diese mit Terror drohend ihre Vorgaben in der Rada und der „Regierung“, soweit die überhaupt getrieben werden mußte, durchsetzen? Wieviel Terrorakte und Morde der flexibel agierenden Terrorgruppen wurden mit Hilfe dieser Machtpositionen abgesichert? Welchen nicht sanktionierten „Druck“ einschließlich Mord und Morddrohung halten diese Leute unbehelligt bis heute gegen ihnen mißliebige Organisationen und Menschen aufrecht? Mag die pauschale „Faschisten“-Parole sehr übertrieben sein und von Putin auch so bewußt genutzt werden, ganz von der Hand ist sie wohl nicht zu weisen. Es ist wohl auch nicht akzeptabel, den Faschismus auf Antisemitismus, wie es der Autor unternimmt, zu reduzieren. Das würde unserem alten Freund Uri ein bitteres Auflachen abringen. Und die Anarchisten waren doch nicht etwa die treibende Kraft der „Befreiung“? Es ist auch kaum anzunehmen, daß eine neue anarchistische Republik das Ziel des „Aufstandes“ war und der Wille der Bevölkerung ist. Eine Bagatellisierung der faschistischen Kräfte a la Elmar Brok läßt bestimmt kein einigermaßen gerades Bild der Ereignisse entstehen.

  88. Detlef D. Pries sagt:

    Und damit sollten es die Kontrahenten Ernst und Wohanka der Plänkeleien genug sein lassen, meint der Redakteur.

  89. Noli sagt:

    Zur aktuellen Ausgabe: Faber – Neue Limericks

    Verehrte Redaktion, verfügen Sie nicht über Bd. 1 von Gershon Legmans „The Limerick“ oder haben Sie sich nur nicht getraut, für Ihre Exemplifizierung dessen, „was man in anglo-amerikanischen Publikationen so findet“, auf diesen Band zurückzugreifen? Denn dort hätten Sie doch noch deutlich grenzwertiger Abartiges gefunden – z.B. dieses:

    Nymphomaniacal Alice
    Used a dynamite strick for a phallus.
    They found her vagina
    In North Carolina
    And her ass-hole in Buckingham Palace.

    Legman selbst schlug dem Ganzen die Krone aus dem Fass, indem er bereits im ersten Satz seiner 62-seitigen „Introduction to the Limerick“ in diesem Band den Fünfzeiler zum „chosen vehicle of cultivated (sic! – Noli), if unrepressed, sexual humor in the English language“ adelte. Da fällt einem doch nichts mehr ein …

  90. Birgitte Nyborg sagt:

    Torsten Sträter findet den Begriff PEGIDA irgendwie ungriffig und empfiehlt der Bewegung, sich besser einen vernünftigen Namen zuzulegen. Sein Vorschlag: kolossal abgedrehte Charakterschweine krakelen Erbärmliches – kurz: Kacke.

    • Theosebeios sagt:

      Frau Nyborg, Sie sind ja echt kreativ!

      Manchmal staune ich, was die um Wahrung einer gepflegten Kommunikation bemühte Redaktion so durchgehen lässt. Kommt es denn nur darauf an, gegen wen man etwas sagt, um primitivstes Vokabular zu akzeptieren?

    • Birgitte Nyborg sagt:

      Werter Theosebeios,
      normalerweise – danke für die Blumen! Aber die gebühren Torsten Sträter, den ich bloß zitiert habe. Der ist Satiriker, und selbst wenn Ihnen Tucholskys Diktum („Was darf die Satire? Alles.“) zu weit gehen sollte: Sträters Wortwahl ist nicht nur nicht primitivst, sondern kongenial angemessen – angesichts dessen, was die Knallchargen von Pegida und ihre Entourage sich nicht entblöden, so alles abzusondern. Eine repräsentative (kommentierte) Auswahl gefällig? Dann klicken Sie sich einfach hierhin: http://www.sehnsuchtsort.de/herbst-in-dresden-pegida-im-spiegel-ihrer-sprache/.
      Die BLÄTTCHEN-Redaktion hat dies möglicherweise getan oder aber – gar nicht nötig.
      Apropos „gegen den Strich“: Es soll ja Leute geben, denen Satire gegen RECHTS prinzipiell auch gegen denselben geht. Bei Disputanten auf der Website der rechtsintellektuellen SEZESSION wundert einen das allerdings mitnichten.

  91. Jürgen Scherer sagt:

    Richtigstellung zu Wohanka 18.10.:
    Nicht ich spreche von Grenzen, die geschützt werden müssen, und führe dazu u.a. Israel an, sondern Theosebeios, den ich zitiere. Die Grenzschutzargumentation passt nicht zu meinen Ausführungen! Ich widerspreche ihr ausdrücklich.

  92. Literat sagt:

    „Alles mal anstellen!“ empfiehlt oder fordert Heino Bosselmann aktuell. Recht so! Das bringt Gewinn, weil man damit eine erklärende Begründung seiner physischen und psychischen Konstitution erfährt, einschließlich aktueller Befindlichkeit.
    Darf ich dem meinerseits eine Empfehlung anfügen? Thomas Mann, auch ein gern übers Detail Schreibender, hat Rezensenten-Information zufolge hinreichend, aber eben nicht nur über Nahrungsaufnahme berichtet, sondern auch über Wechselfälle bei deren Negation.
    Dürfen wir, diesem Beispiel folgend, vielleicht schon im nächsten Heft als Fortsetzung lesen, wie es um die Verdauung unseres zeitgenössischen Autors seinerzeit bestellt war und und eventuell gegenwärtig ist?
    Das wäre dann die vollkommene Erhellung, zu deren Genuß wir uns und alles gern schon jetzt anstellen.
    Ungeachtet dessen: Danke für diese Dokumentation der Selbsterfahrung, auch dazu, was einem so angetan wurde, als es flächendeckend Schulspeisung gab.

  93. Wolfgang Ernst sagt:

    Nach den langatmigen Verlautbarungen Stephan Wohankas im Forum nun auch noch seine Zusammenfassung im Heft. Wer das liest, spart sich Steffen Seibert, Merkels „Her Masters Voice“. Auch sehr gut.

    • Stephan Wohanka sagt:

      Herr Ernst, würde sagen: „His Mistress´ Voice“

    • Wolfgang Ernst sagt:

      Danke für den Hinweis. Man sieht, Herr Wohanka, Sie kennen sich da aus.

  94. Stephan Wohanka sagt:

    Natürlich kann man Zweifel äußern, ob, „unser Land in seiner derzeitigen politischen und kulturellen Verfasstheit“ die „ideelle Kraft“ hat, „Hunderttausende oder perspektivisch gar Millionen Menschen integrieren zu können“ (Bosselmann). Nur meine ich erstens, dass man das Land respektive seine Menschen deshalb nicht gleich zu einem „aussterbenden Volk“ (Strauß) machen sollte. Und zweitens meine ich in der Integration von „Hunderttausenden oder perspektivisch gar Millionen“ eine Chance zu erkennen, um Einiges zum Besseren wenden zu können. Bleiben wir bei Bildung. Wenn jetzt geschätzt wird, dass Deutschland etwa 30.000 mehr Lehrer braucht als es momentan hat, so bedeutet das über diese rein quantitative Größe hinaus auch eine strukturelle Neuaufstellung des Schul- und Bildungswesens; Bildung wird so durchaus „Thema“ respektive „gar kultusministerielle Chefsache“. Und warum sollte damit nicht auch die „Teilhabe der eigenen Jugend an Kulturgesellschaft und Demokratie rein sprachlich abzusichern“ (alles Bosselmann) befördert werden können? Und das betrifft nicht nur das Schulwesen; auch andernorts werden wir deutlich „zulegen“ müssen.
    Noch etwas: Man mag zu dem gerade entstehenden Humboldt-Forum stehen wie man will; verfolgt man – nicht einmal akribisch – die lokalen, nationalen und auch internationalen Medien, dann zeigt sich, dass sein Konzept schon weit vor der Eröffnung beispielsweise unter dem Stichwort „shared heritage“ zu Debatten führt, deren Charakteristikum gerade nicht die Nabelschau, die Beschäftigung mit sich selbst ist. Deren Wesen vielmehr geeignet ist, deutsche „liberal-libertäre Selbstbezogenheit“ und „verklemmten deutschen Selbsthass“ abzubauen und durch neue Sichtweise auf die Welt und so auf uns selbst zu ersetzen. Dies weiter auszuführen – dafür ist hier nicht der Platz…
    Das noch will ich richtigstellen: Herr Scherer meint, ich „meine also, wir dürften unsere Grenzen nicht schützen?“ Natürlich „dürfen“ wir das, so wie jedes souveräne Land. Trotzdem meine ich, dass das unter den obwaltenden Umständen sehr, sehr schwer zu machen ist. Gleichgültig, ob es sich dabei um die europäische Grenze oder die deutsche handelt. Ich argumentiere also nicht „rein national“; das ist überhaupt nicht die Frage in diesem Zusammenhang. Die Schwierigkeit liegt für „beide“ Grenzen vielmehr darin, dass – wie ich schon schrieb – sie letztlich mit Waffengewalt verteidigt werden müssten. Ich erinnere nur an die DDR-Grenze und die israelische Sperrmauer. Trotz der Anwendung von Waffen überwanden und überwinden immer wieder Menschen diese Grenzen oder – wurden erschossen. Hinzukommt Europas lange Seegrenze. Es ist die Frage, wie viele Erschossene respektive Ertrunkene Europa „aushält“- ich erspare das weitere Ausmalen des Bildes.

  95. Werner Richter sagt:

    Zur Flüchtlingsdiskussion
    Ohje, läßt es sich trefflich palavern zum Flüchtlingsgeschehen! Da ist das Koppel straff zu ziehen, das Nationale wird aktuell. Welch schauriges Gefühl, die morschen Knochen erzittern und der Kalk rieselt aus den Hosen. Kennen wir bald wieder nur noch Deutsche, kein Oben und Unten? Eine neue Nationale Front bisher nicht gekannter Art gegen die Bedrohung wird vernünftig. Es gilt den Wohlstand zu schützen, die uns zukommenden Brosamen des naitiv extrahierten Lebensumfeldes vieler Völker, die sich jetzt unverschämt auf die Suche nach Verlorenem begeben. Wir haben diese Tragödie nicht gewollt, auch nicht verursacht. Aber resigniert achselzuckend unsere Regierungen gewähren und deren Wahl geschehen lassen, unserem verdienten relativen Wohlergehen zuliebe, das auf dem Unglück der Anderen beruht. Die Kröten des „arabischen Frühlings“, der osteuropäischen farbigen „Revolutionen“, das „humanitäre State-Rebuilding“ der USA weltweit, den Zwang zur „Globalisierung“ zu einem großen Wirtschafts- und Machtraum im Nato-Bereich, bis hin zur „Beschränkung der Flüchtlingsströme“ in Sorge um die „Rechtsordnung“ haben wir geschluckt. Man kann schon mal Sympathie zu „Integrationssorgen“ der Regierenden und Mächtigen aufbringen, naja, zeitweise. Nur gut, es klappte nicht mit dem Nobelpreis für Verarmung Südeuropas, Bewaffnung der syrischen „Opposition“ via Saudi-Arabien/Katar, Türkei und deren Seligsprechung sowie unbarmherzige Liberalisierung und Kommerzialisierung der EU. Zumindest wurde Snowden aus dem Feld geräumt, ist ja auch was. Und die Gefahr der Verlegung des Vergabetermins auf den 11.11. ist nun auch vom Tisch.

  96. Kontextleser sagt:

    Kontextleser sagt:
    Es gibt so Sätze, die wie selbstverständlich zweifelsfrei eingerückt werden. Hier und so jüngst von Herrn Bosselmann:
    „Flüchtlinge, meist machtlos, ermächtigen sich selbst zur Flucht“. meint der Autor- falls nicht Ironie und Selbstironie bei solcher Verkündung den Finger geführt hat ( eher unwahrscheinlich).
    Dagegen fällt mir dieses Geschehen bei: Ende 1944 „ermächtigten“ sich Ostpreußen, ins Altreich zu wollen. Dabei ergriffen, wurden sie zurückgeschickt und auch Halbwüchsige zwecks Bestrafung dem zugeführt, was als „Volkssturm“ bekannt wurde. Diese Ermächtigung leistete sich und anderen Erich Richard Koch, lang gedienter NS-Gauleiter und Oberpräsident von Ostpreußen, in Personalunion auch Chef der Besatzungsverwaltung in der Ukraine, ein Hauptverantwortlicher an Mord/Tod hunderttausender Juden, Polen, Ukrainern und Russen. „1945 verschuldete er die verspätete Evakuierung der ostpreußischen Bevölkerung und die ihr daraus entstehenden Leiden „, heißt es in einer politischen Biographie.
    Und, was lernt uns das, „Genossen?“ Hat also nicht funktioniert, die Selbstermächtigung der Ostpreußen – die Obrigkeit war dagegen. Entscheidend sind also auch Umstände, bei denen eben nicht das Individuum Herr des Verfahrens ist, sondern deren Gegenstand, auch Opfer.
    Aber dies als Konsequenz?: „Das Motiv, sein Leben zu retten, daraufhin zu prüfen, ob es nachvollziehbar ist, wäre zynisch“ – der Halbsatz wirkt auch bedeutungsvoll. Nur, wenn das nicht sein darf – dann handeln die Migrations-Behörden in aller Welt also vornehmlich „zynisch“? Auch gegenwärtig in Deutschland, wie zuvor in beiden deutschen Staaten? Was wäre denn prinzipiell anders zu machen oder zu unterlassen? Es geht doch nicht nur um Ablehnung und Ausschluß; vor allem doch um Aufnahme und Versorgung im rechtsstaatlichen Verfahren. Stattdessen soll es keiner Begründung eines Asylgesuchs mehr bedürfen, weil moralisch „selbstermächtigt“ ausreicht und daher auch nicht von Amts wegen den Einzelfall zu prüfen? Wie könnten bei solcher Selbstermächtigung Gemeinwesen überhaupt irgend etwas tun, wenn keine objektive Datenbasis dazu erforderlich? Treu und Glauben? Hört sich fast so an:
    „… das Ziel aber, ein besseres Leben zu gewinnen, erscheint ebenfalls legitim“.
    Mit Erscheinungen ist das so eine Sache, auch bei der Legitimität, die ja wohl irgendwie mit jeweils geltendem Recht zu tun hat, und dies unabhängig davon, ob das einem Autor nachvollziehbar erscheint. Das ist so!
    (Läßt sich freilich nach Interessenslage ändern, da Menschenwerk. Dies auch aus jüngster deutsche Geschichte hinreichend bekannt. )
    Und nun das noch: „Auch der sog. Wirtschaftsasylant sucht Asyl, kaum weniger dringlich, als der politische Emigrant“.
    Bei dieser Gleichstellung von Dringlichkeit könnte mancher, z.B. ich, apostrophierten Zynismus oder eigenständigen beim Autor verorten.
    Jedenfalls hätte er mit diesem Ausspruch Anspruch auf Dankschreiben der 60 Deutschen unter den 300 Reichsten in der Schweiz, und auch die russischen Oligarchen in Großbritannien könnten sich an der positiven moralischen Qualifizierung ihres Verhaltens durch unserem Autor delektieren.
    (Zum möglichen, aber unzutreffenden Einwand, so, wie hier interpretiert, sei der Text nicht gemeint. Für den Fall gilt die Empfehlung: Es ist von Vorteil, so zu formulieren, wie gemeint. )

  97. Jürgen Scherer sagt:

    Herr Thesebeios!
    Da muss ich wohl etwas völlig in den falschen Hals bekommen haben; es gibt angeblich keine Nationalismusdikussion. Wird da in einigen Kommentarbeitragen nur so nebenbei national bis nationalistisch geschrieben, dass das niemandem aufgefallen ist? Also mir schon!
    Allein wenn ich mal Ihren, Beitrag über Australien, Israel etc nochmal durchlese (Was ist falsch daran, wie Israel es macht? Mit Abstrichen auch — Australien oder — der Vatikanstaat? Und Sie, Herr Wohanka, meinen also, wir dürften unsere Grenzen nicht schützen? Im Ernst?), so ein Auszug aus Ihrem Text, komme ich nicht umhin, festzustellen, dass es Ihnen vorwiegend um Deutschlands zu schützende Grenzen geht, Sie also rein national argumentieren.
    Und mich in irgendeine rechte Ecke zu stecken, weil ich den Begriff „Völkerwanderung“ verwende, was soll ich davon halten?
    Im übrigen gehen Sie in Ihrer Antwort auf mich gar nicht auf meine Argumentation ein, in der ich deutlich mache, dass unser Land in der Mitte Europas liegt und irgendwelche Abschotterei weder möglich ist noch auf Dauer gelingen wird. Ein Land, dessen ökönomische Ressourcen geradezu formidabel sind! Deshalb stimme ich Wohanka zu, der meint, es sei besser, eine Situation zu gestalten, statt sich ihr auszuliefern. U.a. diese Ansichten charakterisieren Sie als (wohlwollend gemeint, wie Sie betonen) die eines Träumers. Na ja, Utopien, und dann noch umsetzbare, sind ja wohl noch selten einfach so vom Himmel gefallen!

  98. Jürgen Scherer sagt:

    Zu Nationalismusdiskussion:
    Bravo, Herr Wohanka! Eine klare und eindeutige Aussage zu all den nationalistischen Sottisen, die ständig abgesondert werden. Genau. Es ist unsere Aufgabe, dieser Herausforderung zu begegnen, sie anzunehmen und mit ihr umzugehen, und zwar konstruktiv. Weder Abschottung ist die richtige Lösung noch Arme ausbreiten und rufen „Kommet zu mir, die ihr mühselig und beladen seid“. Eine kluge Politik ist gefragt , die unsere Verfassungsgrundsätze nicht opfert und im Sinne der Menschenrechte agiert. Da braucht es keinen Nationalismus und kein „Wir sind e i n Volk“, dazu braucht es lediglich den Willen unserer Bevölkerung (sic!) Fremdem nicht mit Ablehnung zu begegnen sondern mit, auch kritischer, Offenheit. Dazu bedarf es auch eines nicht vergesslichen Blicks in die Geschichte des deutschen Volkes, das soviel Unheil über die Welt gebracht. Mit gutem die Menschenwürde achtenden Beispiel vorangehen ist Deutschlands Aufgabe. Dazu benötigt man keine „eingeschworene Nation“ sondern einfach menschlich handelnde Menschen. Da ist es mehr als verwerflich, dass angesehene Menschen, wie zB der von Ihnen angeführte Safranski, die nationalistische Karte spielen, von dem unseligen Botho Strauß völlig zu schweigen. Im übrigen, Herr Thesebeios, Australien als mögliches Vorbild anzuführen, ist ja mehr als abstrus, denn unser Land, liegt mitten in Europa. Wer aber mitten in Europa lebt, kann sich einer Völkerwanderung nicht entziehen, wohl aber lernen, mit ihr umzugehen,menschlich, wie bereits gesagt. Die nationalistische Sichtweise hilft nicht weiter. Schon eher eine gute Willkommenskultur, die gut ökonomisch unterfüttert werden muss. Wer allerdings berechtigte Ängste in unserer Bevölkerung mit Neid- und Hassdebatten befeuert, handelt sittenwidrig und setzt vorsätzlich den inneren Frieden in unserem Land aufs Spiel. Da muss man entgegenhalten. Danke Herr Wohanka!

    • Theosebeios sagt:

      Herr Scherer, ich sehe nicht, dass hier eine Nationalismusdiskussion geführt wird. Interessant ist, dass S i e von „Völkerwanderung“ schreiben (und nicht von Asylsuchenden); d a s ist das Vokabular von Rechtsradikalen.
      Das Beispiel Australien ist keineswegs abstrus. Wenn Sie das sozialökonomische Gefälle etwa zwischen Indonesien und Australien berücksichtigen, braucht es nicht viel Phantasie, um sich eine ähnliche Lage wie im Mittelmeer auszumalen. Man tut das dort auch. Haben Sie sich einmal in Jakarta umgesehen und mit Verantwortlichen gesprochen? Die Regierung wäre dankbar, 2-3 Mio. n u r a u s d i e s e r S t a d t an den fünften Kontinent abgeben zu können. Das wäre ein guter Anfang, täte Präsident Widodo seinen Beratern zuflüstern. Dafür würde unsere Justiz sogar auf Todesurteile gegen Australier verzichten.
      Falls die Redaktion es erlaubt (es ist wirklich nicht bös gemeint, eher bewundernd:) Herr Scherer, Sie sind ein Traumtänzer!

  99. Rotspoon sagt:

    Rejen se sich mal nich so uff, Herr Wohanka, über den alten Safranski und die anderen alten Herrn. Die Erfahrungen der Geschichte besagen, dass die Fluten kommen und gehen, aber das deutsche Volk, der deutsche Staat bleibt

    • Stephan Wohanka sagt:

      Lieb von Ihnen, mir Mut zu machen…

  100. Stephan Wohanka sagt:

    Es ist schon erstaunlich, was – eigentlich weise, oder täusche ich mich? – alte Männer so daherreden. Nehmen wir Rüdiger Safranski, Verfasser fulminanter Philosophen-Biografien, über das „Böse“ hat er geschrieben und was es mit Freiheit zu tun hat und jetzt ein neues Buch „Zeit“. „Die Politik“ – sagt er – „hat die Entscheidung getroffen, Deutschland zu fluten“ und fährt fort „jetzt rächt sich, dass wir nie eine vernünftige Debatte zur Leitkultur hatten, also zum Beispiel, dass unsere Verfassung über der Scharia stehen muss“. Ich kann es nicht besser sagen als ein Kommentator: „Die Vernunft hat eine Auszeit. Die Panik und der Wahn regieren, auch bei Leuten, die viel von Vernunft reden und damit ihr Geld verdienen, als philosophierende Bestsellerautoren…“.
    Dass die Nemesis aus der Uckermark, Botho Strauß, schon mit seinem Essay „Anschwellender Bocksgesang“ 1993 einerseits Aufsehen erregte, andererseits Kulturpessimismus und nationales Selbstmitleid unter die Leute brachte, ist hinlänglich bekannt. Wir Deutsche seinen, schrieb er damals, nicht „durch feindliche Eroberer herausgefordert“, sondern kämpften „nach innen um das Unsere“. Der „Volksgemeinschaft“ warf er vor, in „liberal-libertärer Selbstbezogenheit“ zu verharren und sah in der Toleranz „Fremden“ gegenüber einen „verklemmten deutschen Selbsthass“. Nun meldet er sich erneut zu Wort; „Der letze Deutsche“ heißt der aktuelle Text, eine Glosse. Natürlich kommt es auch bei ihm zur „Flutung des Landes mit Fremden“. Der lapidare Kommentar eines Kritikers: „Hätte er es doch besser gelassen“.
    Hat er aber nicht und gibt nun zum Besten: „Ich möchte lieber in einem aussterbenden Volk leben als in einem, das aus vorwiegend ökonomisch-demografischen Spekulationen mit fremden Völkern aufgemischt, verjüngt wird, einem vitalen“. Diese morbide Koketterie mit dem eigenen Lebensüberdruss ist von einer stupenden Unverfrorenheit allen anderen gegenüber. Chapeau!
    Nach einem derartigen Satz darf man schon mal im Werk des Autors kramen: „Noch immer hält uns sein Tod (der Hitlers – St. W.) umschlungen und flößt uns Furcht und Atem ein. Wohl sind wir alle ebenbürtig Benommene und haben uns daher auch gleiche Rechte bewilligt, eine freie Verfassung gegeben; doch wie mag es um unsere wahre Freiheit bestellt sein?“ Bemerkenswert! Nicht bei klarem Verstand haben wir uns eine Verfassung gegeben, sondern als immer noch „Benommene“; vom immer noch nachwirkenden Rausch des Nationalsozialismus Besoffene. Nur „daher haben wir uns gleiche Rechte bewilligt“ und nicht die eigentlich Berufenen ans Ruder gelassen. Nietzsche-Fan Strauß hätte unbedingt dazu gehört und ist nun vergnatzt…
    Was ist die Quintessenz derartigen „Nachdenkens“? Vernünftige Überlegungen zum Gemeinwesen in Gestalt von Gesellschafts- und Sozialwissenschaften sind out, Mysterien, abstruse politische Diskurse sowie romantisierende und elitär-völkische Wahnwelten sind in. Strauß betreibe eine vehemente „Remythisierung unserer Lebenswelt“ (Klaus Dermutz) und lässt seine Figuren – und am liebsten uns alle gleich mit – an einer sinnentleerten Welt zugrunde gehen. Diese dem Aufklärungsdenken entgegenstehende kulturkonservative Haltung pfeift auf heutige soziale und moralische Standards.
    All die hochmögenden Herren, die jetzt so wohlfeil auf „die Politik“ eindreschen, von „Fluten“ schwafeln und auf eine „Ästhetik der Restauration“ rekurrieren, was wäre denn ihr praktischer Rat an die Politik; oder besser noch – wie hätten sie an deren Stelle gehandelt? Auch Zäune und Mauern gebaut, NATO-Draht verlegt? Nach allem, was wir wissen, vermögen derartige Sperren Menschen überhaupt nur dann aufzuhalten, wenn sie mit Waffengewalt verteidigt werden. Und selbst dann, das lehrt die jüngste deutsche Geschichte, versuchen Menschen, Mauern zu überwinden… Wieder ein Schießbefehl an deutschen respektive europäischen Grenzen?
    Wenn wir eine Sache nicht abwenden können, müssen wir uns ihrer annehmen, mit ihr umgehen und sie gestalten. Im weitesten Sinne dieser Begriffe.

    • Theosebeios sagt:

      „All die hochmögenden Herren, die jetzt so wohlfeil auf „die Politik“ eindreschen, von „Fluten“ schwafeln … was wäre denn ihr praktischer Rat an die Politik; oder besser noch – wie hätten sie an deren Stelle gehandelt?“
      Ich bin zwar eigentlich nicht angesprochen (‚hochmögende Herren‘), möchte aber statt der Angegriffenen, die Ihre Invektive nicht lesen werden, antworten: Was ist falsch daran, wie Israel es macht? Mit Abstrichen auch — Australien oder — der Vatikanstaat?
      Und Sie, Herr Wohanka, meinen also, wir dürften unsere Grenzen nicht schützen? Im Ernst?

    • Heino Bosselmann sagt:

      Flüchtlinge, meist machtlos, ermächtigen sich selbst zur Flucht. Das Motiv, sein Leben zu retten, daraufhin zu prüfen, ob es nachvollziehbar ist, wäre zynisch; das Ziel aber, ein besseres Leben zu gewinnen, erscheint ebenfalls legitim. Auch der sog. Wirtschaftsasylant sucht Asyl, kaum weniger dringlich als der politische Emigrant.

      [Erinnern wir uns an das Benehmen der DDR-Flüchtlinge 1989 zwischen den Rabatten des Palais Lobkowitz, der bundesdeutschen Botschaft in Prag; lassen wir deren Gejohle nachklingen, als Außenminister Genscher ihnen auf dem Balkon erschien.
      Aus den Darstellungen des damaligen West-Botschafters Hermann Huber: Viertausend lauerten nervös auf Erlösung, die Männer aus Zelt 16 rasierten sich martialisch die Schädel, um theatralisch die Häftlinge zu geben und tschechische Milizionäre als gedungene Wachmannschaften zu schmähen. Zwanzig Brotmesser der Botschaft waren verschwunden, so dass schon mit Geiselnahmen gerechnet wurde. Die Leute spulten sich derart hoch, dass sie unter eigenen Gefährten immer neue Stasi-Leute zu enttarnen meinten. Dergleichen Erregtheit ist nicht weit entfernt von heutiger Randale in Flüchtlingsunterkünften. – Etwas ganz anderes? Abstrakt angeschaut mitnichten.] – –

      Aber zur Gegenwart: M. E. sollten weniger die Flüchtlinge und deren Selbstlegitimation problematisiert werden als vielmehr unser Deutschland selbst, das sie vermeintlich aufzunehmen bereit ist. – Gibt es hier irgendeinen Leser oder Kommentator, der unserem Land in dessen derzeitiger politischen und kulturellen Verfasstheit tatsächlich die ideelle Kraft zutraut, Hunderttausende oder perspektivisch gar Millionen Menschen integrieren zu können?

      Nur ein Aspekt: Aus rein bildungssystemischen Gründen gibt es hierzulande 7,5 Millionen funktionale Analphabeten; und jedes Jahr verlassen 150.000 Jugendliche das Schulsystem mit lediglich rudimentären Kenntnissen. Ich sehe nicht, dass das irgendwo Thema ist oder gar kultusministerielle Chefsache. Wie aber will ein Land über eine Million Immigranten integrieren, wenn es derzeit nicht einmal die Teilhabe seiner eigenen Jugend an Kulturgesellschaft und Demokratie rein sprachlich abzusichern weiß?

      Wie will ein Land politisch mit religiöser Zuwanderung umgehen, wenn es gegenüber dem Islam nach einer Besinnung – also wohl Rückbesinnung – auf das Christentum ruft, wie es die Bundeskanzlerin jüngst in Bern tat.

      Ich denke, es wäre mindestens ein kulturelles Selbstbewusstsein nötig, das es m. E. so nicht mehr gibt, weil sich Deutschland ja nicht mehr als Nation, um so mehr aber als „Standort“ und „Deutschland AG“ versteht. Neben den gängigen Phrasen der politischen Verlautbarungsrhetorik könnte ich eigentlich kaum Werte oder Ziele aufrufen, die von einem deutschen Selbstverständnis zeugen, das nötig wäre, um sich gegenüber Asylsuchenden, die möglichst Staatsbürger werden wollen, verbindlich und orientiert bzw. orientierend zu verhalten.

  101. Heino Bosselmann sagt:

    Zu Erhard Crome: Zu Münzenberg, 18. Jahrgang, Nummer 20, 28. September 2015

    Welche Tragik doch, dass innerhalb der kommunistischen Bewegung mit Leitlinienwirkung gerade jene diskriminiert, ausgeschlossen und vernichtet wurden, derer genau diese Bewegung bedurft hätte. Und dass Anpasser, mediokre Kleingeister und Selbstprofilieren Karriere machten, indem sie genau jene ausschalteten, die vermutlich mindestens die intellektuelle Kraft zur Gestaltung einer Alternative aufgebracht hätten. Kafka-Stimmung im Hotel „Lux“.

    Mein EOS-Staatsbürgerkundelehrer Wolfgang R., der – geboren wohl in den frühen Zwanzigern – nach 1945 aus Westberlin in die DDR gekommen war, hatte mir als Abiturienten eines Abends bei Intershop-Kognak sehr vertraulich und beinahe raunend von Willi Münzenberg erzählt, bevor er, enttäuscht, 1982, kurz nach meinem Abitur, „illegal“ wieder in den Westen verschwand. Für den damaligen Kreis Perleberg ein Skandal. Und für mich der Beginn, nachdenklich zu werden.

    Inwiefern Max Webers hervorragende kleine Schrift „Politik als Beruf“, als Vortrag wohl schon 1919 gehalten, auch für die „Parteien neuen Typus’“ mit Blick auf deren Apparatschiks bedingt Geltung hatte, wäre interessant zu prüfen – im Sinne einer Konstante aller Politik, die u. a. Orwells „Farm der Tiere“ ja beschrieb.

    Die nachdenklichen, damals jungen Leute meiner DDR-Generation rund um den Jahrgang 1965 hatte ab ca. 1980 oft die Frage bewegt, ob der Sozialismus eben nur in stalinistischer Variante „real“ existent gewesen wäre oder auch anders. Auf Ansätze der neueren Art lauerten wir. Und begannen gerade, uns den Mund zu verbrennen, als das Land und seine Variante Sozialismus untergingen. Insofern blieben wir zunächst stehen wie ein verschmorendes Zelluloid-Dia im heißlaufenden Bildwerfer der Geschichte.

    Zum letzten Absatz des Beitrags: „Die Welt“ erschien mir stets als sehr hämisches antikommunistisches Blatt. Wenn die mauergehegte Westberliner CDU-Weltsicht in ihrer geistigen Selbstgefälligkeit geradezu körperliche Feistheit ausbilden könnte, stünde diese Zeitung exemplarisch dafür. Wem Demokratie selbst nur als oral fixierter Zusammenhang von „Freiheit und Wohlstand“ geschichtlich zufiel und wer vom Kleinbürgersofa unbedarft, aber per se selbstgerecht auf Geschichte und Politik blickt, der sollte abonnieren.

  102. Stephan Wohanka sagt:

    Laizismus jetzt! von Heino Bosselmann
    Vor geraumer Zeit fand ich dieses Gleichnis: Zwei Reisende gelangen auf eine Waldlichtung. Dort blühen allerlei Blumen und Gewächse. Der eine Reisende sagt: „Es muss einen Gärtner geben, der dieses schöne Stück Erde bearbeitet“. Der andere stimmt nicht zu: „Es gibt keinen Gärtner“. Sie bauen also ihre Zelte auf und halten Wacht. Aber einen Gärtner bekommen sie nicht zu sehen. „Vielleicht ist der Gärtner unsichtbar!“ Sie errichten einen Zaun aus Stacheldraht. Sie setzen ihn unter Strom. Sie patrouillieren mit Bluthunden. Aber kein Schrei weist darauf hin, dass ein Eindringling einen elektrischen Schlag bekommen hat, keine Bewegung des Stacheldrahtes verrät je einen unsichtbaren Kletterer. Nie schlagen die Bluthunde an. Doch der Gläubige ist noch nicht überzeugt: „Und doch gibt es einen Gärtner, er ist unempfindlich gegenüber elektrischen Schlägen; Hunde können ihn nicht riechen, und er macht keinen Lärm; aber im verborgenen kommt er, um den Garten zu versorgen, den er liebt“. Da verzweifelt der Skeptiker: „Aber was bleibt denn noch übrig von dem, was du zuerst gesagt hast? Worin unterscheidet sich der, den du einen unsichtbaren, ungreifbaren und ewig entweichenden Gärtner nennst, von einem eingebildeten Gärtner oder sogar von einem Gärtner, den es nicht gibt?“

  103. Korff sagt:

    Korff sagt:
    Bei der zunehmenden Vielzahl von Beiträgen an diesem Ort, die von eigener Befindlichkeit handeln und diese mit der anderer vergleichen, haben wir es – falls man das braucht! – mit der von Heidegger definierten „Gestimmtheit“, einfacher wohl Stimmung zu tun. Diese von ihm aufgespalten in die „eigentliche“ und die „uneigentliche“ Form. „Die Angst als Vertreter einer eigentlichen Befindlichkeit läßt die Alltagswelt (die hier verschiedentlich gescholtene „Realpolitik“ zum Beispiel !) für denjenigen, der von ihr befallen wird, vollkommen unbedeutsam werden. In der Furcht als einer uneigentlichen Befindlichkeit übt dagegen ein zur Welt gehörender Gegenstand auf das Dasein eine Bedrohung aus“, (Stichwort in UTB-Online-Wörterbuch Philosophie).
    Von solcher Besorgnis (Furcht könnte mißverstanden werden) geprägt, sieht Wolfgang Schwarz die „Perspektiven gesamteuropäischer Sicherheit“, was insgesamt und auf den Beitrag bezogen so wohl zutrifft, auch auf Grund der Prämissen. Dies zusätzlich geadelt durch den Bezug auf Bahr.
    Favorisiert wird die „gemeisame“ Sicherheit, auch mit dem Verweis auf Westeuropa, wo Krieg ausgeschlossen wurde. Zu prüfen wäre im procedere der Nutzung dieser Erfahrungen aber, welche gesellschaftlichen gemeinsamen Grundlagen es dafür gab und gibt. Zeitweilig konnte Koexistenz im Kalten Krieg funktionieren und die Basis für gemeinsame Sicherheit z.B. gegen die bewußte Auslösung eines thermonuklearen Kriegs abgeben. Rußland heute ist aber nicht mehr der ideologisch begründete Feind. Ziel des Westens muß bei seiner gegenwärtiger Verfaßtheit nicht der Schießkrieg als ultima ratio sein und ist es auch nicht.Sein Ziel ist der weitergehende gesellschaftliche Wandel in Rußland
    als Voraussetzung, damit dieser Staat in jeder Hinsicht – also auch moralisch nach westlichen Werten und bei deklarierter Anerkennung der Führungsrolle der USA – die Chance bekommen kann, zu dieser Gemeinschaft zu gehören. Das sind Konditionen, die früher durch militärisch-kriegerische Handlungen bevorzugt herbeigeführt wurden. Heute hat man dafür andere Mittel im Einsatz.
    Die eigentliche Frage ist also: Wie gemeinsame Sicherheit, wenn nicht gegenseitig auf den militärisch-machtpolitischen Aspekt bezogen, da funktionieren kann? Die seinerzeitige Hilfskonstruktion „Europa + USA und Kanada“ zum Ausgleich für die „übermächtige“ Sowjetunion jedenfalls ist überholt, wie auch die aktuellen Ereignisse bestätigen.

  104. Rotspoon sagt:

    Und schneller drehn sich in der Welt die Dinge,Um die es, ginge es um noch was, ginge.(1986)

    Ein Jahr später, 1987, saßen wir zusammen, meine muschpoke und Jelena Serebrowskaja, die zweite, die Kindfrau von Max Hölz und sie packte mich am Kragen und zischte mir zu: Ja, Chelmut, es ist eine bleiernde Zeit, die Zeit unter Breshnjew. und des geschah bekannterweise lange gar nichts mehr.

    1989 im Herbst lief mir dann der o.g.Vers des deutschen Dichters Rainer Kirsch über den Weg und ich fand ihn bezeichnend für den Augenblick und meine Hochachtung für den Dichter Rainer Kirsch stieg.

    Im Nachhinein, also heute, darf ich den Illtum eingestehen: Es ging damals um ALLES. Und glücklicherweise hat es sich gefügt, daß Hoffnung aufblinkt: ex oriente lux und der deutsche Dichter Rainer Kirsch damals, also seiner Zeit, heftig illte. und das finde ich schön

  105. Siegfried Faust sagt:

    Zu ENIGMATIC Records:

    Ich habe den Kommentar zum Label „Enigmatic“ (Austria/ Salzburg) gelesen.
    Vielleicht kann ich da ein als Fan der Gruppe Omega ein wenig zur Aufklärung beitragen:

    Folgende englischsprachige Alben der Gruppe Omega aus Budapest (auch als „Omega red star“ oder die „Stones des Ostens“ bekannt) sind meines Wissens nach bisher von Enigmatic aufgelegt worden (In Klammern jeweils das Originallabel / das Erscheinungsjahr der Original LP / der Original CD / von Enigmatic)-

    1. Omega – Red Star from Hungaria ( DECCA / 1968 / Original CD 2007 / Enigmatic ca. 2010)
    2. Omega (Same bzw. red Album) (bellaphon-bacillus /1973 / original CD 1991 /Enigmatic mit Bonustracks 2012)
    3. Omega – 200 years after the last war (bellaphon-bacillus / 1974 / original CD 1991 / Enigmatic mit Bonustracks 2011)
    4. Omega III (bellaphon-bacillus / 1974 / Original CD 1991 / Enigmatic mit Bonustracks 2011)
    5. Omega – The hall of floaters in the sky (bellaphon-bacillus / 1975 / Original CD 1987 / Enigmatic 2012)
    5. Omega – Time robber (bellaphon- bacillus / 1976 / Original CD erste Pressung 1987 / Enigmatic ca.2014)

    Zu diesen ausschließlich englisch gesungenen Alben ist Folgendes anzumerken:
    OMEGA wurde in den 1970ér Jahren in Westeuropa und den USA irrtümlich der so genannten „Krautrockszene“ zugeordnet. Nach dem ersten (DECCA) Album, das 1968 in UK erschien, bekam die ungarische Gruppe 1973 einen Plattenvertrag mit dem Bellaphon / Krautrocklabel „bacillus-records“ (Producer P.Hauke).
    Es erschienen neben den unten genannten sieben weiter Alben bei bellaphon – ein Livealbum, 2 als „best of“ und 2 als Mix aus den ersten 7 LP´s – dazu 1980 noch eine LP „Working“ bei WEA (von der es bisher keine offizielle CD gibt) und 1996 eine englischsprachige CD mit neuen Titeln.

    Nach dem Ende des „Eisernen Vorhanges“ kam es Mitte der 1990´er Jahre zum Lizensstreit zwischen der Gruppe Omega – unterstützt vom ihrem Label „hungaroton“ und dem deutschen Produzenten Hauke. Die Ungarn gewannen diesen Rechtsstreit und seit 1995 dürfen die Original-Omega – CDs von bellaphon nicht mehr gepresst bzw. aufgelegt werden!
    Alle Rechte besitzt Omega, die inzwischen in remasterten Neuauflagen ihrer ungarischen Alben im Bonusbereich auch ab und an auf Titel, die in den 70érn in Deutschland auf englisch produziert wurden, zurück gegriffen haben…

    Um so erstaunter war man in Omega Fankreisen, als im Internet ab 2011 wieder Neuauflagen der oben genannten bellaphon CD´s unter dem Label „Enigmatic – Salzburg“ angeboten wurden.

    Nach jetzigem Stand handelt es sich- trotz gema Aufdruckes – wohl um Schwarzpressungen…?

    Da bei den remasterten CDs der ungarischen Originalalben Nr.4, Nr.5 und und Nr.6 (aus den 1970érn) durch veränderungen der Titelfolgen aus Sicht wahrer Fans die Identität mehr oder weniger verloren ging, haben die scheinbar sehr geschäftstüchtigen und mit der Materie vertrauten „Enigmtiker“ auch begonnen, diese Alben mit Originaltitelfolge der LP´s aufzulegen. Zu dem veröffentlichte Enigmatic noch einen Livemitschnitt von 1975.

    Fazit: Dass man im Internet kaum etwas von diesem dubiosen Label findet und in Salzburg scheinbar auch nur eine Ghostadresse existiert, ist angesichts der o.g. Historie nicht verwunderlich…
    Ähnliches gilt sicher auch für Kopien anderer ungarischer, polnischer oder tschecheslovakischer Bands aus den 70ér und 80érn.
    Den Fan hat es sicher trotzdem gefreut, zu mal es sich bei den Original Omega CD´s von bellaphon um gesuchte Raritäten handelt und außerdem bei den Bonustracks der eine oder andere längst vergriffene Song von alten ungariscchen Singles wieder aufgetaucht ist…
    ______________________________________________________________________________________
    PS: 2+1 war ein polnisches Duo.

  106. Heino Bosselmann sagt:

    Zu: Erhard Crome, Deutschlands Flüchtlingspolitik, 18. Jg., Nr. 19, 14.09.15

    Sehr ergiebiger Beitrag, gerade in der Darstellung zur Historizität von Nationen und in der Differenzierung des Begriffs bzw. der Argumentation zum Wandel ihres Selbstverständnisses.

    Vorm Hintergrund der gerade enorm wirksamen „normativen Kraft des Faktischen“ angemerkt: Integrieren kann nur ein Gemeinwesen, das über die Fähigkeit dazu verfügt; andernfalls entstehen Parallelgesellschaften.

    Deutschland, das sich gern als „Standort Deutschland“ und „Deutschland AG“ auffasst, verfügt zwar dickhosig über wirtschaftliche Potenz, in Ergebnis politischen Wandels aber scheint mir die ideelle abhanden zu kommen. Zwei Beispiele:

    1.) Mit der weitgehenden Aufgabe seines Selbstverständnisses, eine Nation zu sein, schlägt Deutschland immer umfänglichere Teile seines kulturellen Erbes aus. So ist das Land etwa kaum mehr zur Sprachpflege in der Lage. Sprache aber ist Geschwisterteil des Denkens, eine klare Grammatik der Sprache also gleichsam eine der Gedanken, und ihre Beherrschung notwendige Bedingung für Positionierung, Urteilskraft und das Wahrnehmen demokratischer Rechte. Die Kompetenzen von Grundschülern im Lesen und Schreiben gehen aber seit über zwei Jahrzehnten signifikant zurück, und zwanzig Prozent aller Fünfzehnjährigen (!) müssen nach Messungen des Rates für deutsche Rechtschreibung mittlerweile als funktionale Analphabeten gelten.

    Das gefährdet im Wortsinne die Mündigkeit, von der die Aufklärung sprach. Politisch ist das nirgendwo Thema, ebensowenig wie die Tatsache, dass ein Großteil der Abiturienten immer weniger im qualifizierten, also im herkömmlich akademischen Sinne zu lesen und schreiben vermag, was wiederum Professoren beklagen.

    Wie will ein Land, das seinen eigenen Kinder kaum mehr die einstige Muttersprache zu vermitteln versteht, Hunderttausenden ins Land strömenden Ausländern Deutsch lehren? Ein Lichtblick: Nach meiner Erfahrung sind manche Zuwanderer motivierter, Deutsch zu lernen, als die sog. autochthonen Deutschen.

    2.) Im Zuge angeblicher „Toleranz“ und „Antidiskriminierung“ – zwei der typischen Trost- und Heilsbegriffe, mit deren Suggestionen die neoliberale Umgestaltung das Basis überbaulich kompensiert werden soll – wird in Deutschland eine wichtige Errungenschaft der frühen Neuzeit revidiert, der Laizismus nämlich, der, Konsequenz aus dem Horror der Religionskriege, den Zwist der Glaubensrichtungen aus der Politik herauszuhalten vermochte und die Konstitution moderner Nationen im Sinne vernünftiger Gesellschaftsverträge erst ermöglichte.

    Ich sehe nicht, dass unser Land einer zunehmenden Offensive von einwandernder Religiosität säkularen Widerstand entgegenzusetzen hätte. Als Atheist macht man sich langsam Sorgen. Die Pietät nämlich, die Religionen per se für sich und ihr obskures „Offenbarungswissen“ einfordern, billigen sie dem Freidenker selbstverständlich nicht zu. Er gilt ihnen als verirrtes Heidenschaf, das zu missionieren oder zu bekämpfen ist.

    Als Angela Merkel, die oft ihr Selbstverständnis als „protestantische Christin“ hochhält, nach ihrer jüngst in Bern verliehenen Ehrendoktorwürde von einer Studentin nach den Gefahren der Islamisierung gefragt wurde, riet sie sogleich zu einer Besinnung auf das Christentum. Als ob das Christentum dem Islam irgendwo auf der Welt etwas Entscheidendes entgegenzusetzen hätte! Und als ob der alte Zwist zwischen monotheistischen Religionen überhaupt je irgendwo einen friedlichen Ausgleich fände. Auf Laizismus kam die Kanzlerin gar nicht, so wie die konsequente Trennung von Kirche und Staat im Sinne des Heraushaltens der Kirchen und Moscheen aus dem Politischen kaum mehr wichtig erscheint. Die deutsche Regierung betreibt Appeasement-Politik gegenüber einer Rückkehr des Religiösen, die laizistische Grundlagen des Staates unterminiert. – Der „arabische Frühling“ etwa erwies sich aus einem Hauptgrund als westliche Illusion: Die Religiosität der arabischen Gesellschaften verhinderte ihn.

    • Das ist je mal etwas richtig Neues: 1. die Angst vor dem Untergang der deutschen Sprache (womöglich gleich Deutschlands?) und 2. die Angst vor der Islamisierung. Lesen Sie doch einmal die Programme der Antisemiten um 1880 und 1890. Da steht schon das gleiche. Und nun überlegen Sie, wer untergegangen ist.
      Ich lese jedes Jahr einige Dutzend Abituraufsätze, darunter auch solche von Muslimen, meine Erfahrung: keine Sorge um die Zukunft!

  107. Lieber Werner Richter! Danke für Ihre Anregung zu weiterer Klarstellung, was die Frage nach dem Wesen des heutigen Geldes betrifft! Ja, ich denke schon, im „Blättchen“ Nr. 18 das Wesen des Geldes der Gegenwart treffend charakterisiert zu haben. Wir müssen doch zur Kenntnis nehmen, dass sich die Welt, auch die der Ökonomie, seit Proudhons, Owens und auch K. Marx‘ Zeiten gründlich verändert hat. Ausgehend von des Letzteren Arbeitswerttheorie kann ich beispielsweise im Euro beim besten Willen nichts anderes erkennen als eine Information über gesellschaftliche Arbeit: die verausgabt und in den gesellschaftlichen Reproduktionsprozess eingespeist wurde, die sich durch den gesellschaftlichen Reproduktionsprozess als vergegenständlichte Arbeit bewegt und buchhalterisch widergespiegelt wird, um schließlich mit einer entsprechenden Gegenbuchung als Konsumgut verzehrt zu werden. Die Reduktion von konkreter, individueller Arbeit auf abstrakte gesellschaftliche Arbeit findet, wenigstens in einer ersten Stufe, bereits mit ihrer Entlohnung im Unternehmen statt. Arbeit, deren Maß die Zeit ihrer Verausgabung ist, wird entsprechend dem Tarifsystem (gesellschaftlich) „bewertet“ und in der unternehmerischen Buchhaltung als Lohnkosten erfasst. Seit fast einem Jahrhundert ist ein Phänomen zu beobachten, das von den einen als Lohn-Preis-Spirale und von den anderen als Preis-Lohn-Spirale bezeichnet wird, aber das nichts anderes ausdrückt als den Zusammenhang von Löhnen und Preisen. Und bei der Europäischen Zentralbank betrachtet man eine Inflationsrate von etwa zwei Prozent sogar als notwendiges Stabilitätskriterium der ökonomischen Entwicklung, mit dessen Erreichung man seine Aufgabe allerdings erfüllt zu haben glaubt.
    Mit etwas Vorstellungskraft, denke ich, kann man den gesellschaftlichen Reproduktionsprozess der Gegenwart ganz allgemein wie oben beschrieben betrachten. Dann erscheint der in ein vielmaschiges Netz staatlicher Gesetze und Vorschriften sowie Geld- und Versicherungspolitik eingebundene Unternehmer – entgegen allen Illusionen – nicht als Privater, sondern als Agent der Gesellschaft, ausgestattet mit bestimmten Rechten und Vollmachten, Verantwortlichkeiten, aber (heute mehr schlecht als recht) gelenkt durch ein gesellschaftliches Steuerungssystem. Und das zentrale Problem dieser Gesellschaft besteht darin: Der gesellschaftliche Überbau, insbesondere das Rechtssystem und das ökonomische Theoriegebäude – und hier wiederum die Vorstellungen vom Wesen des Geldes der Gegenwart – werden der weit entwickelten ökonomischen Basis noch nicht gerecht.
    Der geschasste griechische Syriza-Finanzminister Varoufakis sieht das wohl ähnlich. Doch für einen Wandel in der Wirtschafts-, Finanz- und Schuldenpolitik konnte er seine europäischen Kollegen während der Verhandlungen zur griechischen Schuldenfrage leider nicht begeistern. Seiner Überzeugung jedenfalls blieb er treu (siehe auch: „Blättchen“, Nr. 19).

    • Werner Richter sagt:

      Lieber Heerke, endlich kreuzen wir wieder mal die Klingen, war so langweilig. Zur Erinnerung, wir waren schon mal beim Du, belassen wir es dabei? Du bist der etwas Ältere. Ebenfalls ist zu erinnern, daß ich einmal zu Deinem Unverständnis forderte, Dich doch klar zur Unzutrefflichkeit der AW-Theorie und die jetzige Gesellschaft bestimmenden Werttheorie zu bekennen. Jetzt ist dies recht klar gesagt, gut so. Darüber ist hier nicht zu streiten, machen wir es doch auf der in der Website http://www.wirtschaftstheorie-forum.de, wenn die dann neu gestaltet sein wird. Das jedoch verzögert sich wegen Krankheit Beteiligter.
      Wohlgemerkt, niemand stellt die Verteilungsprobleme als unwichtig hin, die Beschäftigung damit und deren humane Lösung in Abrede, sie ist sogar als überlebenswichtig für die Menschheit zu benennen. Ohne gerechtere Verteilung kann man die Zukunft der Gesellschaft an sich schon in Frage stellen und eine grundwiderspruchsfreie Gesellschaft nicht angehen. Jedoch bildet u. E. diese Problematik keinen ausreichenden Ansatzpunkt für die Lösung der Grundwidersprüche. Auch dazu ist hier kein Platz. Zum Schluß sei diesbezüglich noch auf die Argumentation zur Piketty-Kritik von verschiedener Seite, auch hier, verwiesen.
      Varoufakis ist zwar ein bemerkenswert aufrichtiger Mensch, aber wohl kaum ein hervorragender Theoretiker außerhalb der Verteilungstheorie.
      Zur Geldtheorie werden wir uns gelegentlich mit einer Rezension Klaus Müllers „Geld von den Anfängen bis heute“ wieder melden.

  108. Ulrich Busch sagt:

    Lieber Herr Wohanka,
    Kritik ist zweifelsohne nützlich, insbesondere dann, wenn sie der Präzisierung eigener und fremder Standpunkte dient. Man sollte dabei aber nicht anonym verfahren, sondern ruhig „Ross und Reiter“ nennen. Bei denen, die sich bei ihrer Kritik an der Hegemonialpolitik Deutschlands Ihrer Meinung zufolge in den letzten Wochen etwas vergaloppiert haben, handelt es sich offensichtlich um die Herren Crome, Richter und Murmelauge, bekannte Namen also für jeden Blättchen-Leser. Sie werden sich zu verteidigen wissen!

    • Stephan Wohanka sagt:

      Lieber Herr Busch,
      ich nehme – da „Kritik zweifelsohne nützlich“ ist – die Ihrige an und gelobe Besserung!

  109. Werner Richter sagt:

    Hegemon Deutschland? von Stephan Wohanka
    Wau, wau! Als betroffener Hund bewundere ich schon immer Ihr Talent, genau das herauszuklauben, was nicht gemeint ist, wenn es dem Eigennutz dient, Herr Wohanka. Das macht Ihnen so leicht keiner nach. Übrigens treffen meine zugegebenermaßen recht groben und damit nicht mit bestimmten Details korrespondierenden Einschätzungen ziemlich genau die Denkweise eines gewissen Eric Hobsbawm in seinem wohl letzten Interview 2009 im Stern. Er abstrahierte von allen Details, um ein strategisches unverfälschtes Bild von den politischen Trends zu erhalten. Damals las ich keine Kritik daran (Bei Bedarf abrufbar). Wenn es Geschichtsklitterung ist, Ihrer in meinen Augen obskuren Darstellung z. B. der Situation in Osteuropa nicht zu folgen, bekenne ich mich schuldig, aber keinesfalls reuig. Aber ist das auch zutreffend bezüglich der Infragestellung demokratisch verhüllten Propagandapolitik? Stehen dem beliebige Aussagen irgendwelcher Politiker im Sinne der Wahrhaftigkeit wirklich entgegen? Es kommt mir eher so vor, als daß die erkennbare Einpassung Ihrer eigenen Denkweise in die offizielle Politikbegründung recht zweifelhaft daherkommt. Warum sollte ich mir Gedanken darüber machen, was Sie da formuliert haben: „In einer Zeit, in der sich alte Gewissheiten in Europa und darüber hinaus auflösen, muss tatsächlich neu über die Rolle Deutschlands in der Welt nachgedacht werden. Welche Herausforderungen bietet die Zukunft – in Europa, in Afrika, im Nahen und Fernen Osten? Wo liegen unsere Stärken? Was sollten wir lieber bleiben lassen? Welche Rolle in der Welt des 21 . Jahrhunderts kommt uns zu?“ Deutschland? Schon verdächtig. Das formuliert Aufgaben der schönen Institution Stiftung Wissenschaft und Politik, die uns als exklusiver „Experte“ die Strategie der Bundesrepublik verkaufen soll, an der sie selbst gehörig mitwirkt. Bin mir ziemlich sicher, Ihre Argumentation würde dort wohlwollend zur Kenntnis genommen werden. Noch zu einigen Details. Die „Opfer beider Kriege“ würde ich für diesen Zusammenhang aus meiner Rhetorik verbannen, diese Phrase ist seit Fischer verbrannt. Sind Sie tatsächlich der Meinung, die EU-Regierungen bemühten sich ernsthaft um Demokratisierung in der EU, wie sie glaubhaft machen wollen, und es gäbe irgendwelche Instrumentarien zur Verhinderung des Gegenteiligen? Zum Schluß, auf daß Ihnen das Lachen im Halse stecken bleibe: Ich sprach nicht von der Bundeswehr, aber gezielte Waffenexporte mit Zuwachs zudem an strategische Interessenvertreter bilden auch eine Militärmaschinerie, auch wenn die toten Soldaten nicht deutsch gesprochen hatten. Ist Ihnen noch nie in den Sinn gekommen, daß es sich im Nahen Osten um ein genau solches Gebilde handeln könnte, zumal recht harte Indizien darauf hinweisen? Sie glauben doch nicht diesen Darstellungen zu dem uns feindlichen IS, dem aus der Rolle Fallen der Türkei, der Bündnisverpflichtung bezüglich der Patriot-Stationierung oder dem Friedensstiftungswillen der EU, der gegen die Nato und USA stünde? Obwohl, die „Demokratie“ in Kiew und den „Aggressor Rußland“ haben Sie ja auch verinnerlicht.

    • Stephan Wohanka sagt:

      Ich vermag Ihnen, Herr Richter, nicht ganz zu folgen hinein in jede Windung Ihrer Argumente, aber bezeichnend finde ich – wieder mein „Talent“ des nicht gemeinten Herausklaubens nutzend – folgende Partie: „Es kommt mir eher so vor, als daß die erkennbare Einpassung Ihrer eigenen Denkweise in die offizielle Politikbegründung recht zweifelhaft daherkommt. Warum sollte ich mir Gedanken darüber machen, was Sie da formuliert haben: ‚In einer Zeit … (zitieren Sie mich bis) … kommt uns zu?‘ Deutschland? Schon verdächtig“.
      Genau das ist es: „Deutschland? Schon verdächtig“. Warum ist Ihnen Deutschland verdächtig? Sie müssen sich erstens ja wirklich nicht „Gedanken darüber machen, was“ ich „da formuliert“ habe; nein, wirklich nicht, aber warum stellen Sie Ihrer Kritik nicht einmal eine Vorstellung zur Seite, wie es Ihrer Meinung nach sein sollte? Worüber wir – als nationales Kollektiv – uns austauschen sollten? Warum steht zweitens – „schon verdächtig“ – quasi alles, was Sie zur Politik des Landes schreiben, in dem wir beide nun mal leben, unter so einem miss- oder überlaunigen Soupçon? Beinahe alles ist von vorn herein mit argwöhnischen Vermutungen belastet, mit einer bei jemandem liegenden Schuld, mit einer jemanden betreffenden „bösen“ Tat oder Absicht.
      Sie huldigen der Hobsbawm´schen „Abstraktion von allen Details, um ein strategisches unverfälschtes Bild von den politischen Trends zu erhalten“. Ich habe Zweifel, ob das wirklich eine hilfreiche Methode ist, den Dingen nahe zu kommen. Sie schreiben: „Sie glauben doch nicht diesen Darstellungen zu dem uns feindlichen IS, dem aus der Rolle Fallen der Türkei, der Bündnisverpflichtung bezüglich der Patriot-Stationierung oder dem Friedensstiftungswillen der EU, der gegen die Nato und USA stünde?“ Hobsbawm oder besser – Richter pur! Nur – was sind „diese Darstellungen“? Ich kenne einige dazu. Einigen „glaube“ ich, andern nicht; und welchen glauben Sie? Das ist das Problem mit Ihrer Argumentation!

    • Werner Richter sagt:

      Habe fast geahnt, Herr Wohanka, Sie springen darauf an. Das „Deutschland? Schon verdächtig“ war ein neben die Argumentation springendes Bonmot sarkastischer Bauart eines alten Militärwitzes: „ Name?“ „ Müller.“ „ Schon Sch…“, nicht so ganz ernst gemeint. N i c h t g a n z heißt, doch etwas. Mir geht die nationale Ebene der Argumentation völlig ab, allem „Nationalen“ mißtraue ich prinzipiell und ich bin nicht Teil irgendeines „nationalen Kollektivs“, schon gar nicht des vom nur noch international ausgeklinkten Kapital über Regierungen dem Volk zugewiesenen. Auch die Suppe „wenn-Du-kritisierst,-mach-auch-Vorschläge“ löffle ich nicht. Ich denke gar nicht daran, an „nationalen“ Überlegungen teilzunehmen. Argwohn lasse ich mir auch nicht vom Brot nehmen, er ist mir in jeder gesellschaftlichen Beziehung dringend angebracht. Es kann doch nicht ernsthaft gelten, weil mich Regierung, Konzernmedien und Parteien bewußt nicht über Hintergründe ihres Handelns informieren, manipulieren, nehme ich halt die vorhandene Information. Man kann ein Bürgerecht wie –pflicht der Annahmeverweigerung dazu, übrigens auch nach Dirk Müller, formulieren. Und passen Sie auf, daß nicht eines Tages Ihr üblicher Fluchttunnel „“? Ich kenne einige dazu. Einigen „glaube“ ich, andern nicht; und welchen glauben Sie?“ verstopft sein wird. Daß Sie Probleme mit meiner Argumentation haben, tut mir leid, die müssen Sie aber selbst lösen.

    • Stephan Wohanka sagt:

      Nochmals kurz – der Dialog wird für Außenstehende uninteressant… Leider war es mir nicht gegeben, mir den soldatischen Witz zu eigen zu machen. Ich war – gottseidank – nur drei Monate bei der Fahne und vielleicht deshalb erschloss sich mir dieses Kulturgut nicht; übrigens die drei schlimmsten Monate meines Lebens – alles nur Simulation und Fassade.
      „Mir geht die nationale Ebene der Argumentation völlig ab“ – Sie sind ja ein echter Internationalist! Mir geht es auch nicht ums „Nationale“ um des Nationalen willen, sondern als jemand mit Kindern und Kindeskindern um Zukunft.
      Was uns wohl grundsätzlich unterscheidet: „Argwohn lasse ich mir auch nicht vom Brot nehmen, er ist mir in jeder gesellschaftlichen Beziehung dringend angebracht“. Wäre mir ein nicht mögliches Lebenskonzept. „Die meisten von ihnen sind alte Knaben mit weißen Köpfen und roten Gesichtern, …, hegen aus wirklichen oder eingebildeten Gründen … Argwohn gegen jedermann, spielen die Menschenhasser, empfinden großes Vergnügen in dem Gedanken, unglücklich zu sein, und machen alles verstimmt, was in ihre Nähe kommt“. Quelle: Charles Dickens – Londoner Skizzen.

    • Werner Richter sagt:

      Sag ich noch was oder nicht, ach, in letztes Mal doch. Schon wieder falsch verstanden, Herr Wohanka. Es ging nicht um die eigene Militärkarriere, es war eine Anleihe an ein altes Witzrepertoire von vor ca. 100 Jahren gegen den preußischen Militarismus, besser dessen Engstirnigkeit. Gut, ein überlieferter Nichtwitz zu Reagans Inkompetenz und Unverantwortlichkeit z. B. hätte es auch getan, aber Sie waren da ja auch nicht im oval office. Es ist schon ein Handicap, wenn eindimensionale Assoziationen Zunge oder Hand lenken. Vielleicht kann man die Denkweise Hobsbawms doch lernen und deren Tiefgründigkeit erkennen. Mit meinem Argwohn stehe ich jedoch durchaus in der Tradition der Blättchen-Altvorderen, von denen gewiß niemand national ausgerichtete Gedanken hegte, ganz im Gegenteil. Ich las zwar nicht alles, aber sowas hätte ich bemerkt. Auch die Sichtweise „bis hierhin ging alles gut“ war nicht von ihnen. Vernahm übrigens heute den interessanten Tip, daß, wenn der Absturz mit einem Fahrstuhl erfolgen sollte, ein Hochhüpfen kurz vor dem Aufschlag die Chancen erhöhen könnte. Ob das schon jemand ausprobiert hat? Meinen Sie nicht, daß Ihr Bezug auf Dickens völlig daneben ging analog des einstmaligen Bezuges auf Heines Affen? Sie erinnern sich?

  110. Werner Richter sagt:

    Zu Heerke Hummel „Nur Beruhigungspillen?“
    Ist das das Wesen des Geldes? Wie weit ist es mit dieser Definition bis Gray, Proudhon, Owen? Dessen „Arbeitsgeld“ bestätigte die in produzierten Waren enthaltene Arbeitszeit, wofür ein äqivalenter Anspruch auf andere Waren beglaubigt war. Es handelte sich um die individuelle Arbeitszeit, denn nur diese ist zu diesem Zeitpunkt meßbar. Diese Börsen gingen in kürzester Zeit pleite, weil individuelle mit gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit gleichgesetzt worden war. Letztere wäre prinzipiell erst nach Zirkulation auf dem Markt, wenn überhaupt, feststellbar. Wenn der Autor diese im Voraus zertifizieren will, verfügt er über Zauberkräfte.

  111. Theosebeios sagt:

    „Es stärkt den Wirtschaftsstandort. Das erklärt auch, weshalb das deutsche Kapital, die Bundeskanzlerin sowie die Linken und die Grünen in einem Maße in Bezug auf die neue Offenheit in der Zuwanderung übereinstimmen, das Staunen macht.“
    Vielen Dank, Herr Romeike, das ist endlich eine plausible Erklärung für die von Ihnen angesprochene Koalition. Hin u. wieder dachte ich, die empathische Unterstützung der Asylwelle gründe (wenigstens) bei deutschen Grünen u. Linken in ihrem besonders weichen Herzen für alle Mühseligen u. Beladenen. Von politisch Denkenden u. Handelnden erwarte ich allerdings, dass sie dieses Phänomen analysieren u. „handhaben“ können, statt nur zu sagen: Wir schaffen das. Was schaffen „wir“ denn? Warum sollte der Zustrom versiegen? Ist denn Grünen u. Linken wirklich nicht klar, welche kulturellen Verwerfungen der „Zug von Millionen“ nach Deutschland verursachen kann? Wer von ihnen ruft wohl das „Halt!“ (wie in Kafkas berühmter Parabel) u. wenn, mit welchen Argumenten überhaupt noch? Will man wirklich die „Brasilianisierung“ eines wirtschaftlich u. kulturell blühenden Landes herbeiführen, um … ja was … den Wirtschaftsstandort zu stärken? Diese Grünen / Linken geben mir die größten Rätsel auf.

    • Bernhard Romeike sagt:

      Das haben Sie falsch interpretiert, werter Herr. Die Grünen und Linken meinen, mit ihrem Eintreten für die Mühseligen und Beladenen etwas für das Gute in der Welt zu run. Das deutsche Kapital will die Stärkung des Wirtschaftsstandortes. Dass das objektiv, wie man früher zu sagen pflegte, in dieselbe Richtung läuft, vollzieht sich gleichsam hinter dem Rücken der Gutmenschen. Und die Bundeskanzlerin lässt das jetzt vollziehen.

    • Stephan Wohanka sagt:

      Wenige, aber höchst bemerkenswerte Zeilen! Banal ist es noch festzustellen, dass es offenbar nicht nur „Grünen u. Linken wirklich nicht klar (ist), welche kulturellen Verwerfungen der ‚Zug von Millionen‘ nach Deutschland verursachen kann“ – es war die Kanzlerin, die diesen „Zug“ ausgelöst hat; und die gehört doch wohl immer noch der CDU an, oder?
      Dann jedoch wird es spannend! Wenn nach Ulrich Beck „Brasilianisierung“ den „Einbruch des Prekären, Diskontinuierlichen, Flockigen, Informellen in die westlichen Bastionen der Vollbeschäftigungsgesellschaftgesellschaft“ meint, wodurch „sich im Zentrum des Westens der sozialstrukturelle Flickenteppich, will sagen: die Vielfalt, Unübersichtlichkeit und Unsicherheit von Arbeits-, Biographie- und Lebensformen des Südens ausbreitet“, so haben wir diesen Zustand doch wohl schon in weiten Teilen erreicht; Beck diagnostizierte ihn auch schon Ende der 1990ziger Jahre. Und das ohne Zutun von Fremden.
      Brasilianisierung jetzt, gerade jetzt und hier und im Kontext mit der „Asylwelle“ (sic!) wieder in die Debatte einzuführen, zeugt zumindest von einer sublimen Phobie gegenüber Fremden; um es nicht noch deutlicher zu sagen, wie es da und dort auf der Straße vor Unterkünften der Flüchtlinge „formuliert“ wird. Zumal wenn diese Begrifflichkeit in Beziehung zu „kulturellen Verwerfungen“ und unserem „wirtschaftlich u. kulturell blühenden Land“ gesetzt wird, dessen Ruin dann wohl drohe. Dieser xenophobe Subtext wird auch nicht durch den intellektuellen Kafka-Schlenker besser.
      Der riesigen Herausforderung, die die Flüchtlinge für Deutschland darstellen, sollte man mit einer anderen geistigen Haltung begegnen.

    • Theosebeios sagt:

      Herr Romeike, i c h hätte etwas dagegen, wenn sich etwas Wichtiges hinter meinem Rücken vollzöge, zumindest wollte ich wissen, was das ist. Diesen Erkenntnisdrang vermisse ich in der von Ihnen angesprochenen Liaison. Dass das Kapital nicht gerne mit offenen Karten spielt, ist mir schon klar.

      Herr Wohanka, vielleicht ein anderes Mal, ich scheine mit den ironischen Bestandteilen meiner Replik bei der Redaktion nicht durchzudringen. Sie verfügt hier nun einmal über das, was kritische Soziologen die Definitionshoheit nennen ?

  112. Heino Bosselmann sagt:

    Zu: Bernhard Romeike, Die EU und die Flüchtlinge, (18. Jahrgang, Nr. 18, 31.08.15)

    Vielen Dank für diesen substantiellen und differenzierten Beitrag, vermisse ich genau dies doch in der offiziellen Verlautbarungsrhetorik und höre statt dessen viel ideologisch gefärbte Bekenntnisübungen.

    Dass jeder Mensch, der flüchtet, dem Motiv folgt, sein Leben zu verbessern oder es gar retten zu müssen, ist so klar und nachvollziehbar wie die Selbstverständlichkeit, dass jeder, der der Hilfe bedarf, sie verdient hat und dass seine Würde zu schützen ist, einerlei, wo er nun ankommt. – Allerdings mit dem Effekt, dass durch den Exodus ganze Herkunftsländerländer dysfunktional veröden, womit sich die „Weltgemeinschaft“ abzufinden scheint.

    Vieles stimmt mich bedenklich, u. a. dies:

    1.) Nirgendwo in den Medien finde ich thematisiert, dass namentlich die Republik Kosovo, aus der viele Asylsuchende kommen, in Ergebnis eines 1999 völkerrechtswidrig von der NATO geführten Krieges entstand. Unter äußerst fragwürdigen, wenn nicht gar konstruierten oder in unlauterer Absicht vorgeschobenen Gründen wurde damals die UCK in ihrem separatistischen Streben unterstützt, einen eigenen Staat von muslimischen „Kosovo-Albanern begründen zu können, u. a. mit der Folge, dass an die 200.000 Serben vertrieben, Tausende getötet und deren serbisch-orthodoxen Kirchen zerstört wurden. Man sehe sich die Statements Rudolf Scharpings vor dem NATO-Angriff an, eingedenk dessen, dass sich die meisten der von ihm ins Feld geführten Rechtfertigungen des feigen Angriffskrieges aus der Luft als nicht haltbar erwiesen haben. Vielmehr schien es – mal wieder – um geostrategische und machtpolitische Motive gegangen zu sein, insbesondere darum, mit Rest-Jugoslawien bzw. Serbien einen traditionellen Verbündeten Russlands zu treffen.

    Dieser Kontext nützt freilich jetzt den Kosovo-Flüchtlingen nichts, ist aber wesentlich für die Erklärung der Massenflucht aus einem Land, dessen Regierung die Freiheit kaum zur Verbesserung der sozialen Lage der Einwohner zu nutzen verstand, wohl aber zur eigenen Bereicherung. – Die „Freiheit“ des Kosovo wird ähnlich verklärt wie der „arabische Frühling“.

    2.) Ich bezweifele, ob eine Nation wie Deutschland, die dezidiert keine Nation mehr sein will, sondern den „europäischen Gedanken“ oder das „Weltbürgertum“ zu verkörpern sucht, über die ideelle und Identität stiftende Kraft verfügt, eine Integration bewerkstelligen zu können, die tatsächlich eine Integration ist. Insofern außerhalb von rhetorischen Bekenntnissen kaum mehr klar ist, welchem Selbstverständnis die Nation folgt, fällt es kulturell, normativ und hinsichtlich der Werte schwer, wesentliche Ziele der angestrebten Integration zu formulieren, was allerdings nationale Aufgabe wäre.-

    Ich meine etwa zu bemerken, dass der Laizismus – seit dem Ende der Religionskriege Grundbedingung für inneren Frieden und spätere „Gesellschaftsverträge“ – kaum mehr als ein existentiell wichtiges Ziel angesehen und praktiziert wird, schon gar nicht gegenüber dem vitalen Islam und dessen Tendenz, nicht nur religiös, sondern direkt politisch zu wirken und einzugreifen. Im Gegenteil: Im Sinne eines m. E. immer illusionäreren Toleranzgedankens wird den Religionen, die Pietät für ihre Bekenntnisse und für ihr „Offenbarungswissen“ einfordern, das Recht zugestanden, auf eine Weise zu handeln, die Errungenschaften der Aufklärung reaktionär revidiert. Simpel ausgedrückt: Als Atheist muss man sich nach meinem Eindruck bereits Sorgen machen, denn die von den Religionen eingeforderten Toleranz, wurde von ihnen – einmal zur Macht gelangt – gegenüber Andersgläubigen oder gar Atheisten kaum je geübt!

    Ich machte nie einen Hehl daraus, dass ich Lessings Spätwerk „Nathan der Weise“ als dramatisches Gedicht rein literarisch so bewunderte, wie ich es – mit Blick auf die in der Ringparabel figurierten monotheistischen Religionen in deren jeweils totalitärer Tendenz – seiner Aussage nach für ein sentimentales Rührstück halte.

  113. Klaus-Dieter Grimmer sagt:

    Sehr geehrter Dr. Wohanka
    Der von Ihnen im „Blättchen Nr. 18“ veröffentlichte Artikel „Sing mei Sachse sing….“ hat mir gefallen sowohl vom Thema, vom Inhalt als auch von der erfrischenden verständlichen Art und Weise, wie er geschrieben war. Was Letzteres betrifft habe ich da manchmal einige Probleme auch nach dem 5-mal Durchlesen zu verstehen, wo Sie mit so einigen Formulierungen eigentlich hin wollen. Aber nehmen Sie mir es bitte nicht übel, es kann auch an mir liegen. Nun zum Sachsenlied.
    Sein Miterfinder und Sänger Jürgen Hart ist zwar kein gebürtiger Leipziger aber bis zu seinem frühen Tod im Jahre 2002 zutiefst in Leipzig verwurzelt. Das ging so weit, dass er sogar seine vogtländisch gefärbten Mundart vergessen hatte und ein reines „Leipzschor sächsch“ wie die legendäre Lene Voigt sprach. Auch sollten Sie wissen, dass er in seinem Liedtext, in Lene Voigt Mundart geschrieben, in erster Linie nicht die als abgehoben geltenden hauptstädtischen Sachsen, Dresden war früher und ist heute wieder in dieser Rolle, sondern die übrigen gemeint hat. Die Dresdner Mundart klingt anders und das Vorweg genannte ist auf keinem Fall zufällig. Das ein Preuße, Schwabe oder Bayer solche Feinheiten nicht nachvollziehen kann, sei diesen verziehen.
    In der Geschichte war es immer so, dass es zwischen den als Hauptstadt selbstgerechten Dresdnern, die damals Reichen (Messe, Industrie) aber „aufmüpfigen“ Sachsen in und um Leipzig gab. Was jahrhundertelang vom Volk gelebt wurde, lässt sich nicht so schnell austreiben. Das hat auch die führende Rolle der SED nicht hingekriegt. Diese Rivalität war auch zu DDR Zeiten latent vorhanden und setzt sich in der heutigen Zeit fort. Das als kleine historische und ethnographische Anmerkung zu Ihrem Artikel.

    Zitat:
    „Solange nicht deutlich mehr ……….Dresdner Bürger als bisher – und
    natürlich auch die sächsische CDU-Politik in Gestalt des Ministerpräsidenten und anderer
    Mandatsträger – entschlossener Front gegen diesen larmoyant-räsonierenden Mahlstrom rassistischer,
    fremdenfeindlicher und teils homophober Wahnbilder, garniert mit Verschwörungstheorien,
    Deutschtümelei und Antiamerikanismus machen, wird sich wohl an der Grundhaltung
    (zu) vieler ………. Dresdner, eine Spezies ausgedachter Exklusivität zu sein, die sie zu
    schlimmsten Ausfällen gegen das genuin Humane ermuntert, nichts ändern“.
    Die sehr allgemeine Formulierung „ sächsisch und Sachsen“ Habe ich weggelassen-siehe obige Begründung.

    • Stephan Wohanka sagt:

      Sehr geehrter Herr Grimmer,
      ich teile Ihre Ansicht, dass zwischen Leipzig und Dresden politisch durchaus ein Unterschied zu machen ist oder anders – nicht alle Sachsen in einen Topf zu werfen sind. Ein Indiz dafür ist zum Beispiel, dass die Teilnehmerzahl bei den montäglichen Demonstrationen in Dresden nach Angaben von dpa zuletzt wieder zunahm, auf rund 3000.
      Auch Legida versammelte am Montagabend rund 700 Menschen. Aber die Leipziger starteten eine Gegendemo, zu der wohl rund 3000 Menschen kamen.
      Stephan Wohanka

  114. Erhard Crome sagt:

    Jörn Schütrumpf muss man nicht verteidigen, das macht er schon selber, wenn’s drauf ankommt. Aber wer ihn kennt weiß, dass er zuweilen einen Stein ins Wasser wirft und dann schaut, welche Frösche ans Ufer springen und aufgeregt quaken. Da es aber wieder eine sehr deutsche Gelehrten-Debatte wurde, wer denn was vergleichen darf, erlaube ich mir eine Anmerkung.
    Ulli Busch kritisiert ja nicht einfach den Text, sondern er unterstellt der Redaktion, sie habe es an der erforderlichen revolutionären Wachsamkeit fehlen lassen, weshalb nun die zuständige Kontrollkommission in Aktion treten sollte. Da es die zur Zeit noch nicht wieder gibt, unterstellt er dem Autor fehlende Sachkenntnis.
    Das Argument muss nun aber zurückgegeben werden. Früher war Wirtschaftswissenschaft auch als Politische Ökonomie betrieben worden – ich meine nicht im Sinne des „Kurzen Lehrgangs“, sondern in einer auf Marx zurückgehenden Tradition, am Ende auch nach dem politischen Wesen und Resultat wirtschaftlicher Vorgänge und ihrer Analyse zu fragen. Angesichts dessen, dass die deutsche Kanzlerin und ihr Oberkassenwart in der Regel von Alternativlosigkeiten reden, wenn sie ihre Politik in diesem unserem Lande oder in der EU durchsetzen wollen, kann man sich natürlich auch wirtschaftswissenschaftlich so lange in die Windungen und Wendungen der finanz- und wirtschaftstechnisch ablaufenden Vorgange hineindenken, dass am Ende der kritische Blick auf Machtfragen verschwindet.
    Schütrumpf hat uns nun daran erinnert, dass Deutschland heute in einer hegemonialen Position in Europa ist, die mächtiger ist als vor 1914, und mittels ökonomischer Mittel heute mehr erreicht als in zwei Weltkriegen mit militärischen. In diesem Sinne ist der Vergleich zwischen dem Bukarester „Frieden“ von 1918 und dem „Hilfspaket“ für Griechenland 2015 mehr als angebracht. Die machtpolitische Kontinuität ist offensichtlich, wenngleich die Mittel und die kulturellen Muster, unter denen das jeweils umzusetzen versucht wird, recht unterschiedlich sind.
    Übrigens gibt es noch einen logischen oder Denkfehler bei Busch: Wenn am 13. Juli 2015 die Nachkriegszeit endete, sind wir jetzt nicht in einer „Kriegszeit“, sondern in einer neuen historischen Periode, deren Konfliktkonfigurationen und Kräfteverhältnisse mit dem Ergebnis des Krieges, der am 8. Mai 1945 endete, nichts mehr zu tun haben.

    Noch ein Hinweis, weil bestimmte Sachverhalte zuweilen auch ausführlicher dargestellt werden müssen, als es im Blättchen möglich ist. Eine Analyse der deutschen Hegemonie in EU-Europa findet sich in: Erhard Crome, Raimund Krämer (Hrsg.): Hegemonie und Multipolarität. Weltordnungen im 21. Jahrhundert, Potsdam: Verlag WeltTrends 2013. Eine frühere Fassung im Internet:

    http://www.rosalux.de/publication/39704/deutschland-in-europa-eine-neue-hegemonie.html

  115. „[M]ehr als ein Hauch Brest-Litowsk“ liegt nach Darstellung von Jörn Schütrumpf seit den jüngsten Verhandlungen mit Griechenland in der Luft. Dies sollte man wohl als Sprachbild (aus dem olfaktorischen Bereich) für etwas deutlich wahrnehmbares verstehen. Wir wissen, dass von manchen Stoffen – wenn sie nur penetrant genug riechen – dazu schon winzige Spuren genügen. Der Autor behauptet also keineswegs, dass die Situationen gänzlich oder auch nur teilweise identisch seien, er zeigt nur gewisse historische Analogien im Verhalten der Akteure und weist dabei wiederholt darauf hin, welche Umstände sich geändert haben.

    In diesem Verständnis finde ich den Beitrag (im „Blättchen“ 17/2015) sehr anregend und informativ. – Beides gilt allerdings auch für den Beitrag von Bernhard Romeike im „Blättchen“ 15/2015, in dem dieser den Verlauf der Verhandlungen detailliert nachzeichnet. Ob die übrigen europäischen Regierungen sich tatsächlich „als Wichte“ benehmen, kann man nach dieser Lektüre durchaus bezweifeln.

  116. Stephan Wohanka sagt:

    Lieber Herr Schütrumpf,
    irgendwie komme ich mit Ihrer Logik nicht zurecht. Die Nachkriegszeit endete am 13. Juli 2015? Sollten wir denn vorher überhaupt in einer solchen gelebt haben? Denn lese ich, was Sie zu geduldigem Internet-Papier gebracht haben, muss man sich mitten im Kriege wähnen; und das schon seit vier Jahren! Was ja auch, cum grano salis, so oder so hinkäme…
    Jetzt jedenfalls befinden wir uns gerade – Sie sagen es – in der Phase Brest-Litowsk oder besser noch Bukarest, liegt näher dran -, denn die griechische „Syriza ist geschlagen“. Die Ostfront ist so, wie weiland auch, erst einmal sozusagen stabilisiert; jetzt rückt die Westfront in den Blick. Und richtig: „Spanien, Portugal, Italien und, besonders gefährlich, Frankreich leiden an der gleichen Immunschwäche wie Griechenland – abwehrlos gegen die deutsche Austeritätspolitik“. Dann Ihr guter Rat; hier mal ausnahmsweise nicht teuer: „Solange sich die dortigen Regierungen nicht verbünden, wird Berlin sie so behandeln, wie sie sich benehmen: als Wichte“. Wird aber nichts nützen, denn diesmal „will Deutschland diesen Krieg unbedingt gewinnen“. Richtig so, kein neues Versailles!
    Allein, Sie lassen Zweifel am Personal durchblicken; teile ich vollkommen. Wir haben ja auch leider keine „Diktatur“, so können da irgendwelche Stümper ungebremst rumpfuschen und die Sache am Schluss noch verderben. Sieht man daran, dass der Tsipras nur „gedemütigt“ wurde, wo doch mit dem „ Anschluss Österreichs 1938“ Ihr absolut richtige Fingerzeig gegeben ist! Na ja, Anschluss is a bisserl schwierig, aber wie bei weiland unter Weh Zwo – auch er von Ihnen ins Spiel gebracht -, ein kleiner Panthersprung machte es auch (erst einmal!); natürlich nicht nach Agadir, aber mit A fängt´s ja auch an. Scheitert aber daran, dass bei der Bundesmarine gerade alle Schiffe wieder lecken; echter Sauhaufen, kein Verlass, muss auch anders werden!
    Gottseidank gibt es auch hierzulande immer wieder wahre Patrioten, die den Kriegs-Gedanken – historisch gut unterfüttert – virulent halten. Es könnten doch sonst glatt die vermaledeiten Pazifisten die Oberhand gewinnen, wie „Friedenswinter“ und Konsorten (hat zwar die Tätigkeit eingestellt, aber der nächste Winter kommt bestimmt). Da sind mir die Griechen und in Sonderheit Syriza doch aus einem andren Holz geschnitzt, sie lassen derartige Schwächen erst gar nicht zu!

    PS: Ich würde nicht schreiben „wo künftig deutsche Diplomaten auftreten usw.“, sondern „wo künftig deutsche Kombattanten auftreten“; wird der Sache doch gerechter, oder nicht?

  117. Ulrich Busch sagt:

    Zum Beitrag „Auf der Quarantänestation“:
    Ich glaube, da hat sich jemand einen unpassenden Scherz erlaubt und versucht, die Leser des Blättchens über Gebühr zu provozieren – und die Redaktion hat es nicht gemerkt und diesen Text abgedruckt! Wie soll man sonst einen Aufsatz deuten, der in der Behauptung gipfelt, „am 13. Juli 2015“, dem Tag der Entscheidung der Euro-Staaten über ein drittes „Hilfspaket“ für Griechenland, „endete die Nachkriegszeit“? Seitdem befindet sich Europa also im Kriegszustand – „und Deutschland will diesen Krieg unbedingt gewinnen“. Die Brüsseler Vereinbarung wird hier als ein Akt der „Erpressung“ und ein „Diktat“ Deutschlands, vergleichbar den Verträgen von Brest-Litowsk und Bukarest im Ersten Weltkrieg, gewertet. Auch dieser Vergleich bleibt unverständlich: 1918 ging es um die Annexion von Territorien und um Kontributionszahlungen in Milliardenhöhe Russlands bzw. Rumäniens an Deutschland. Heute geht es um Kredite und Bürgschaften für Griechenland? Wo ist da die historische Parallele? Der Kern der Vereinbarungen, das Kreditpaket in Höhe von rd. 86 Milliarden Euro, wird in vorliegendem Text nicht einmal erwähnt. Dafür aber wird behauptet, Griechenland sei gegenwärtig „in der Situation von 1944“ und seine Regierung gedemütigt, „wie seit dem Anschluss Österreichs 1938 kein europäischer Politiker“ mehr. So erfolgreich wie Merkel und Schäuble sei „seit Bismarck nur die Wehrmacht“ gewesen usw. – Ist das nicht ein bisschen an den Haaren herbeigezogen? Zudem geschrieben unter Auslassung aller ökonomischen Sachverhalte, Fakten und Vertragsinhalte? Ich denke: zu sehr!

    • Werner Richter sagt:

      Wie kann man nur so unsensibel mit der Hilfe der EU unter Mithilfe der Bundesregierung umgehen und die akademische Diskussionsatmosphäre stören. So wird das schöne Bild besudelt, das mühsam für die Öffentlichkeit aufgebaut wurde und so manche zumindest heimliche Sympathie in der Volksseele entstehen ließ. Die „ökonomischen Sachverhalte, Fakten und Vertragsinhalte“, natürlich die richtigen wie in diesem Bild, kann man nicht missachten. Ja, die Selbstkontrolle der Redaktion hat vollständig versagt, ist ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nicht nachgekommen, unverzeihlich. Vergleiche wie die im Artikel sind unzulässig. Schon die einfachsten Gegenüberstellungen lassen sie logisch ausschließen, kein Hilfevertreter der EU trug zumindest vor Ort eine Uniform, geschweige denn eine deutsche. Varoufakis wurde einst nicht wegen Verstoßes gegen die Innendienstvorschrift zum Strafexerzieren verdonnert. Die von der Eurogruppe sprachen nicht mal ordentliches Deutsch und deren Vortänzer hatte keine Einwände (so viel Demokratie wird geübt!) gegen eine nochmalige Wahl. Welcher Kommissar einer Kriegsverwaltung hätte je derartiges toleriert? Und dies geschah nach dem vermaledeiten 13. Juli 2015, dem Tag, der unverantwortlich zum neuen Kriegsbeginn erklärt wurde. Wenn das Merkel wüßte. Naja, ein wenig zerzaust kommt der Tsipras schon vor die Linse, aber sein Stuhlgang schein noch zu funktionieren. Kann also nicht so schlimm sein. Ein bißchen anstrengen muß er sich schon, uns zu gefallen. Ist ja auch selbst schuld, nicht für die Schulden, dafür müssen alle Griechen mal so richtig arbeiten. Obwohl jetzt eigentlich schon, was drängt er sich auch an die Regierung und mutet uns eine andere Bildgestaltung zu. Das ist es wieder, die Schuld und die Schulden nach dem deutschen Notenbüchlein der EU. Nach dem geht es um die Schulden Griechenlands, die ja wie alle Schulden bezahlt werden müssen, nicht um die deutschen, die gefälligst der Hitler begleichen soll. Hat man das verinnerlicht, kommen einem Vergleiche kritisierter Bauart unlogisch vor und jeder Gedanke eines strategischen Zusammenhanges gleich mit. Und im Krieg befinden wir uns nun schon gar nicht, vielleicht sieht es so aus wie der Ausbau von Sturmausgangsstellungen, aber so richtig Krieg ist das doch (noch) nicht, oder? Und wenn, dann sind die Griechen daran schuld oder besser: die Russen.

  118. Europa: welch schöne, lebhafte Debatte! Also zunächst einmal herzlichen Dank an Hajo Jasper für seinen Beitrag, dessen anregende Wirkung damit auch empirisch bestätigt ist.

    Sehr erfreulich finde ich die konstruktive Haltung von Susann Lara Baggor, die auch eine recht präzise Zusammenfassung der bisherigen Diskussion gibt. Gerade „gelernte DDR-Bürger“ mögen allerdings bedenken, dass die Europäischen Verträge zunächst einmal auch den Grundstein für eine jahrzehntelange deutsch-deutsche Feindschaft legten.

    Herr Wohanka charakterisiert in seinem Kommentar vom 15.8. mit dem Begriff „Glasperlenspiel“ die Überlegungen von Herrn Bosselmann als Gedankenspiele ohne praktischen Nutzen. Das fand ich nicht sehr fair – und ausserdem falsch. Sprachkritik, wie sie Herr Bosselmann unter Berufung auf Wittgenstein treibt, könnte die Demokratie durchaus ein ganzes Stück weiter bringen. Genau deshalb schreiben wir ja hier.

    Wenige Zeilen später gibt Herr Wohanka selbst zu, dass sein Sprachgebrauch der Dichtung nicht gerecht wird. Was übrigens Herrmann Hesse seinerseits von China gelernt hat, kann man an der Gestalt des chinesischen Gelehrten sehen, die in diesem faszinierenden Buch vorkommt.

    Für das Thema der aktuellen Diskussion ist an China mindestens die Wirtschaftspolitik bemerkenswert, gegen deren Erfolge das Wirtschaftswunder der alten BRD fast wie eine Baisse aussieht. Und dies wird ganz überwiegend durch den Export friedlicher Güter erreicht – und nicht, wie etwa im Fall der USA, durch den Export militärischer Gewalt und der Werkzeuge dazu.

    Ein Aspekt, der mir in der bisherigen Diskussion noch fehlt, ist die Frage, ob es mit Europa überhaupt noch lange so weiter gehen k a n n . Die immer wieder akute griechische Schuldenkrise ist ja nur ein Symptom der seit 2008 chronisch schwelenden Finanzkrise; sie gehört zu den Folgen des Coups, in dem es etlichen eigentlich bankrotten Spekulanten gelang, ihre Schulden den Staaten aufzubürden. So werden wir von Krise zu Krise geleitet – und das in Zeiten relativer wirtschaftlicher Prosperität. Was wird, wenn die nächste Rezession kommt?

    Wenn inzwischen Herr Wohanka – oder sonst jemand – mehr zu meiner Einschätzung der politischen Lage lesen möchte, ist dies möglich, ohne dass das Forum aus den Nähten platzt. Ein Text dazu – aus dem Jahr 2010, aber im wesentlichen noch aktuell – ist nämlich online verfügbar:
    http://www.bernhard-mankwald.de/leseprobe.htm

    • Stephan Wohanka sagt:

      Die Reihenfolge der größten Exporteure hat sich verändert. Größter Rüstungsexporteur sind und bleiben die USA, gefolgt von Russland. Während zwischen 2005 bis 2009 Deutschland den dritten Platz einnahm, ist es jetzt China. Auch wenn der asiatische Riesenstaat zwischen 2010 und 2014 weniger als ein Prozent mehr Großwaffensysteme als Deutschland exportierte. Bemerkenswert: China war zwischen 2005 und 2009 mit einem Weltmarktanteil von 3 Prozent nur an neunter Stelle der weltweit größten Rüstungsexporteure.
      In den vergangenen vier Jahren schossen die Waffenexporte der Volksrepublik im Vergleich zum Zeitraum 2005 bis 2009 um 143 Prozent in die Höhe. Deutschland exportierte dagegen 43 Prozent weniger Waffen, wie aus einem neuen Bericht des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri hervorgeht.

    • Der niedrige Ausgangswert (Chinas) bestätigt meine Argumentation, Herr Wohanka; die Steigerung zeigt ebenso wie gewisse aktuelle Krisensymptome, dass dieses Land sicher nicht in jeder Hinsicht vorbildlich ist. Das habe ich aber auch nicht behauptet, wie man unter dem von mir angegebenen Link nachlesen kann.

  119. Hajo Jasper sagt:

    Es scheint mir nur folgerichtig, wenn in der – übrigens erfreulich sachlichen – Debatte zu meinem Versuch über Europa der Begriff der Globalisierung ins Spiel kommt und bewertet sein will. Diese Bewertung ist unter Linken üblicherweise eine negative – alles, was nicht von ihnen selbst initiiert und gesteuert wird (und unter den realen Kräfteverhältnissen auf dieser Erde ist das nur sehr sehr wenig) ist das Werk des Kapitals und somit des Teufels.

    Wenn es nicht so existentiell und linkerseits so tradiert wäre, was in diesem Kontext diskutiert wird, könnte man das belächeln. Denn eigentlich müsste es jedem halbwegs wachen Erdenbürger von heute klar sein, dass die Zeiten längst vorüber sind, in denen sich die angewachsenen und sich weiter anhäufenden Probleme dieser Welt noch anders lösen ließen als global; anders als mit gemeinsamen, also internationalen Anstrengungen sind die Überwindung von Kriegen, Hunger, Armut, Umweltzerstörung etc. nicht zu haben.

    Nun lässt sich sofort einwenden, dass es ja die kapitalbestimmte Globalisierung ist, die all diese Gebrechen und Gefahren mit sich bringt. Das ist unbestreitbar, aber eben nur die eine Seite dieses so ausschließlich pejorativ besetzten Prozesses. Denn diese Globalisierung bringt immerhin auch jene Kräfte hervor und zueinander, die dagegen ebenso globalisiert ankämpfen können. In Anlehnung an das Kommunistische Manifest, wo – verfasst in Zeiten des Manchesterkapitalismus! – festgestellt wird, welch revolutionärer Fortschrittsträger die Bourgeoisie, vulgo der Kapitalismus, war, könnte man vielleicht sagen, dass sich die Bourgeoisie mit der Globalisierung auch jenen Totengräber, dessen finales Wirken Marx und Engels wohl ein wenig verfrüht ins 19. und 20. Jahrhundert prognostziert hatten: eine global wirkende Gegenkraft, bei der es Exegeten überlassen bleibe, ob man sie noch Proletariat nennt oder wie auch immer.

    Diese internationale Kraft ist im Entstehen, übrigens auch (!), da sie in Gremien wie z.B. dem Europäischen Parlament sich finden und wirken kann. Und wiewohl sie sich natürlich auch außerparlamentarisch existieren und formieren muss und dies auch tut, ist ein Ort wie Brüssel wohl chancenreicher als etwa jener im Moskau einer Demokratur a la Putin.

    Das reine Dagegensein – die liebste und geübteste aller linken Auftritte – genügt bei alledem nicht, es sei denn, man huldigt dem zynischen Prinzip: je schlechter, je besser. Zeiten, in denen das Wünschen noch geholfen hat, sind jedenfalls nur in der Phantasie angesiedelt, Realitäten wollen nicht nur verdammt, sondern auch beachtet sein. Bei allem Respekt: Das pauschale Verdikt, mit dem von Links so gern heutiges Weltgeschehen überzogen wird, erinnert mich sehr an den weisen Uhu. Als die Frösche es leid waren, daß sie immer von den Störchen gefressen wurden, waren siee in den Wald gegangen, um ihn um Rat zu fragen. Dieser lautete: „Ihr Frösche müßt so groß werden wie die Störche, dann können sie euch nichts mehr anhaben.“ Dankbar zogen die Erleuchteten von dannen, um alsbald neuerlich vorzusprechen: „Wie werden wir aber so groß wie die Störche?“ Weise antwortete der Uhu: „Ihr wißt doch, daß ich nur für Grundsatz-Fragen zuständig bin!“

  120. Stephan Wohanka sagt:

    Herr Mankwald merkt an, ich gebrauchte „ohne rechten Anlass Sprachbilder von hohem kulturellen Wert“, die dann in „eher in recht prosaische geopolitische Überlegungen“ mündeten. Wieso sollten nicht auch „prosaische Überlegungen“ auf „hohen kulturellen Werten“ gründen können? Zumal, wenn es um Europa geht… Was zutrifft, ist der relativ umstandslose Übergang von einem zum anderen; dies ist der (richtigen!) Begrenzung der Forumsbeiträge auf 4.000 Zeichen geschuldet.
    Was das „zu China-halten“ angeht, so hätte ich dazu mehr gelesen: Deutschland als „verlängerte Werkbank“ etwa oder später noch als Freizeitpark, den die Chinesen besuchen, wenn sie der fünf Neuschwanstein- Kopien zuhause überdrüssig sind und einmal das Original sehen und eine echte Kuckucksuhr im Schwarzwald kaufen wollen?
    Im Vorgriff auf das nun zu erörternde Problem der Globalisierung: Ich will, es möge zumindest dabei bleiben, dass – wie Sie schreiben – Sie „längst nicht in dem Maße herumgeschubst und schikaniert werden wie viele Menschen in ärmeren Ländern und sich … die eine oder andere Flasche Retsina leisten“ können.
    Herr Bosselmann sagt, dass der Begriff „Bildung“ – analog zu „Europa“ – genutzt werde, „ohne dass klar wäre, was der jeweilige Diskutant überhaupt mit diesem Wort verbindet“; mit anderen Worten, Bildung wird permanent exekutiert und dass trotz der Tatsache, dass niemand so recht weiß, was er tut. An anderer Stelle sagt er: „Objektive Prozesse, so sie objektiv sind, laufen eben so ab, wie sie ablaufen. Nur sollten subjektiv darüber nachgedacht werden, damit eine Positionierung erfolgen kann, die Urteile ermöglicht. Das versuchen wir hier ja“. Eben nicht ganz…
    So sehe und verstehe ich „Globalisierung“ – die Sache wird „permanent exekutiert“ oder „läuft ab“; ich halte sie daher, lieber Herr Richter, n i c h t für „dringend geboten“, wie Sie in verquerer Logik unterstellen. Die „‘Europäisierung‘ als ‚Unterprozess‘ der Globalisierung“ dagegen schon! Natürlich trifft auf diesen Prozess – wie und wo er denn stattfindet – genauso zu, dass er „abläuft“. Aber darüber hinaus meine ich – ganz im Sinne von Bosselmann –, dass dazu über „eine Positionierung“ letztlich „Urteile“ folgen sollten. Mein Urteil: Beförderung der Europäisierung, als Gegen- und zugleich Teilstück der Globalisierung und das eingedenk aller Kritikpunkte, die in der Diskussion vorgetragen werden!
    Aber außer bei Hajo Jasper vermisse ich jedoch „Urteile“; die Beiträge bleiben in der (richtigen) Kritik stecken. Wenn sie nicht völlig abwegiger Natur sind…
    Was ist an „Urteilen“ noch zu fällen? Zurück zum Nationalstaat? EU abschaffen, einschließlich des Euro? Ist alles natürlich denkbar, nicht mal unplausibel und wird auch gefordert. Ich plädiere trotz der massiven Defizite, ja Fehler bei der Ausgestaltung der EU für die Fortführung des Projektes. Ich werfe der deutschen Politik vor, das so gut wie gar nicht zu versuchen. Dabei war es einmal Deutschland, das die Einführung des Euro an ein Junktim knüpfte: Einführung nur bei zeitgleicher Realisierung einer föderationsähnlichen politischen Union. Dass es heute wesentlich schwerer ist als damals, für diese Union zu werben, ist mir klar; und ich bin mir gar nicht so sicher, ob andere Politiker als der dominierende „Alternativlos“-Typ damit nicht auch Erfolg haben könnten.
    Nicht die EU ist das Problem, sondern die Nationalstaaten. Wobei nationale Identität eine historisch reversible sein kann. In der Region, durch Landschaft, Geschichte, Dialekt und Bräuche definiert, fühlt sich der Bürger zu Hause. Das beklagte europäische Demokratiedefizit kann auch daher rühren, dass wir einen heute falschen Begriff von Demokratie haben, dem noch die historisch gewachsene Verbindung von Nationalstaat und parlamentarischer Repräsentanz zugrunde liegt. Es lässt sich eine neue Form der Demokratie denken, nachnational verfasst, in der die Entscheidungen regional getroffen werden oder europäisch.
    Darum ginge es jedenfalls und nicht um irgendwelche „Endkampf“-Visionen.

    • Werner Richter sagt:

      Alle Achtung, Herr Wohanka, das muß man erst mal so hinkriegen. Habe ich da einige Lektionen Logik versäumt? Welcher Stil ist denn da angewandt, Griechisch-Römisch, Freistil oder gar Pseudo-Polnisch/-Ukrainisch? Bin sehr gespannt, wie Sie das hinbekommen: „Beförderung der Europäisierung, als Gegen- und zugleich Teilstück der Globalisierung“. Wann fangen wir damit an, vor oder nach TTIP, Ceta usw.? Dann schlagen wir aber zu, also eher danach, dann schaffen wir ein demokratisches Europa, genau wie nach der Installation einer autoritären EU-Bürokratie, des Lachkabinetts namens EU-Parlament und den Lissaboner Verträgen. Erst waren auch die mal notwendig im Interesse der Völker, wir waren prinzipiell dafür, danach wollten wir was ändern. Was ist inzwischen demokratisch geworden? Das erste konnte niemand verändern, das zweite auch nicht, und das dritte wird dann aber? Welcher Krieg zwischen europäischen Staaten ist denn verhindert worden? In Jugoslawien, der Ukraine oder der gegen Flüchtlinge an den Außengrenzen? Gut, deutsches Kapital drang nicht wie ab 1939 infolge von Aggression in andere Länder, aber doch wie bis dahin (Motteck, Wirtschaftsgeschichte Deutschlands) zur Vorbereitung der Aggressionen und wir konnten unsere Militärmaschinerie in entfernte Gegenden verlagern. Pech für die Betroffenen. Welcher Krieg drohte denn, wenn die EU nicht geschaffen worden wäre? War dieses Argument nicht ein Fake wie die 3-Wetter-Taft-Werbung der Grünen?

  121. Susann Lara Baggor sagt:

    Beitrag: „Europa“ von Hajo Jasper

    Die europäische Lage ist etwas unübersichtlich bis chaotisch geworden, aktuell wegen des „griechischen Dramas“. Wie stets in solchen Situationen dominieren die Diskussion die Vertreter klarer Worte. Anders gesagt: Hecht im Karpfenteich ist derjenige (pardon: bzw. diejenige), welche/r am lautesten „Wehe, wehe“ schreit und das mit ein paar jeweils passenden Fakten garniert. Beim griechischen Beispiel reicht das Spektrum dann von den „faulen Griechen“ bis hin zur „Schuldknechtschaft“, also einer Form der Sklaverei, welche Deutschland auf seinem Weg zum Vierten Reich den stolzen und irgendwie antikapitalistischen Griechen verordnet. Erhellend und ziemlich lustig dazu: Martenstein „Zeit-Magazin“ (Nr. 32), ein freundliches Angebot an die üblichen Verdächtigen, sprich Shitstorm-Autoren.

    Den Versuch von Herrn Jasper, eine möglichst weitgehend ausgewogene Zwischenbilanz der europäischen Krisensituation zu geben, ohne Schaum vorm Maul, halte ich für sehr bemerkenswert und alles in allem gelungen. Um nur einen Vorteil zu nennen: Anders als mit einer Reihe von Relativierungen und Einschränkungen kann man einen so komplexen und eben unabgeschlossenen Prozess wohl ehrlicherweise kaum bewerten. Mal abgesehen davon, dass ich mir die gegenwärtigen EU-Chefs nicht ganz so glücklich vorstellen kann, wie Camus den alten Sisyphos.

    So recht scheint mir Herr Bosselmann den Hinweis von Herrn Hopf auf die urkomische Brian-Szene nicht zu würdigen. Denn lässt sich neben einer Liste von Vorwürfen nicht auch eine Liste der Vorteile durch die europäische Einigung aufstellen?

    Herr Wohanka fasst den Sinn der EU in fünf Punkten sehr einleuchtend zusammen. Ergänzen könnte man die Ausrichtung Europas auf Demokratie und Freiheit, die oft zitierten Grundwerten – z. B. von der Meinungsfreiheit bis zur Reisefreiheit, zumindest für gelernte DDR-Bürger alles andere als eine Petitesse? So recht will ich auch nicht daran glauben, dass die Südländer in der EU bleiben würden, wenn sie nur wirtschaftliche Nachteile davon hätten.

    Anders als Herr Bosselmann und Herr Mankwald kann ich einen pauschalen Gegensatz zwischen Völkerverständigung und wirtschaftlichen Interessen nicht sehen. Warum z. B. die Tatsache, dass die EWG wirtschaftlichen Interessen entsprach, ausschließen soll, dass sie den Grundstein für die Überwindung der jahrhundertealten deutsch-französischen Erbfeindschaft legte, erschließt sich mir nicht. Ganz im Gegenteil: Erst damit erhielt die Verständigung eine stabile Basis – wie Marx zutreffend feststellte, blamiert sich die Idee jedes Mal, wenn sie vom Interesse unterschieden ist.

    Ein Beispiel dafür scheint mir die Einführung des Euros zu sein. Und hier komme ich Herrn Bosselmann schon näher: „Wir brauchen mehr Europa“ – das halte ich aktuell für eine irreführende Forderung. Zuerst sollte das Euro-Problem gelöst werden, wohl am besten durch die (zumindest vorübergehende, aber keinesfalls kurzfristige) Rückkehr zu den nationalen Währungen. Das mag teuer werden – aber immer mehr vom Gleichen eher noch viel teurer. Den Bodern der Tatsachen hat man wohl auch mit der überstürzten Aufnahme einigermaßen ungefestigter südosteuropäischer Staaten verlassen; Pessimisten gehen davon aus, dass wir mit ihnen ähnlich wie mit Griechenland noch viel Freude erleben werden.

    Auch das von Herrn Mankwald erwähnte Demokratie-Defizit der EU-Organe kann nur langfristig überwunden werden: Es gibt kein europäisches Volk, und das auf längere Sicht.

    Aber wenn die EU in der Lage ist, einen Augenblick innezuhalten, über Erreichtes und Fehler demokratisch nachzudenken und dann statt Formelkompromissen sachgerechte Entscheidungen zu treffen, sollte Herrn Wonkas fünf Punkte langfristig erreichbar sein. (Zugegeben: das alles ist leichter zu fordern als zu tun.) Aber mit den Herren Camus und Jasper könnte man sich Sisyphos dann beim Bergaufrollen des europäischen Steins vielleicht wirklich als glücklichen Menschen vorstellen.

  122. Heino Bosselmann hat mit seinem Kommentar vom 12.8. eine sehr lesenswerte Debatte angestoßen; dazu hier noch einige weitere Überlegungen.

    Unbedingt recht zu geben ist dem Verfasser, wenn er die vorrangige Rolle des wirtschaftlichen Aspekts für den Einigungsprozess betont und kritisiert. Dies sind ja Segnungen, von denen beispielsweise ich als Sozialhilfeempfänger nur in sehr beschränktem Maße profitiere – auch wenn ich längst nicht in dem Maße herumgeschubst und schikaniert werde wie viele Menschen in ärmeren Ländern und mir bei der griechischen Woche im Supermarkt sogar die eine oder andere Flasche Retsina leisten kann.

    Allerdings war der wichtigste Buchstabe im europäischen Alphabet nicht unbedingt das „W“, sondern vielleicht eher das „V“. Schon 1952 wurde nämlich ein Vertrag über die Bildung einer „Europäischen Verteidigungsgemeinschaft“ (EVG) abgeschlossen und scheiterte nur an der Ablehnung durch das französische Parlament. Im Rahmen der NATO wurde das Projekt aber dann doch verwirklicht.

    Die Lehren, die man aus den „alten Schützengräben“ zog, bestanden also zunächst darin, unverzüglich neue Schützengräben vorzubereiten. Da dies im Ernstfall wohl auch das Ende der deutschen Nation bedeutet hätte, konnte es kaum glaubwürdig im Namen derselben in Angriff genommen werden. Adenauer zog vor, sich auf Christentum und Abendland zu berufen; so wie er diese Werte verstand.

    Das Europa, das uns allseits angepriesen wird, ist also im Ursprung ein atlantisches Europa und ein Europa von oben. Seine Fundamente ruhen auf den Überresten des vorgeblich realen Sozialismus. Völker wie Serben und Russen gehören, wie man uns wiederholt demonstrierte, nicht dazu.

    Innerhalb dieser Grenzen ist es in der Tat ein Segen, dass Kriege zwischen früher verfeindeten Völkern nunmehr undenkbar sind. Insofern finde ich Hajo Jaspers Engagement nachahmenswert. Der Versuch allerdings, die einzige dauerhaft solide Grundlage für ein friedliches Europa zu schaffen – nämlich demokratische Strukturen von unten – erinnert in der Tat an die Aufgabe des Sysiphos.

    Die gängige ökonomische Praxis, Volkswirtschaften höchst unterschiedlichen Leistungsvermögens in das Streckbrett einer gemeinsamen Währung einzupassen, erinnert dagegen eher an einen anderen Sagenhelden namens Prokrustes.

    Am Beitrag von Stephan Wohanka finde ich es irritierend, dass er ohne rechten Anlass Sprachbilder von hohem kulturellen Wert gebraucht. Europa ist in der jetzigen Form doch kein Glasperlenspiel, sondern ein Casino mit gezinkten Karten und manipuliertem Roulette. Dazu passen dann auch eher die recht prosaischen geopolitischen Überlegungen, die der Verfasser anstellt. Hier scheint es mir allerdings nicht gleichgültig, ob man es zum Beispiel eher mit China hält – oder doch lieber mit dem Club der früheren Kolonialmächte, zu dem Deutschland bis 1914 ja auch gehört hat.

    • Werner Richter sagt:

      Zur Entzerrung des Spiegelbildes aus dem Lachkabinett ist immer besser kontext-tv, jetzt treffend und eigentlich schon immer Harald Schumann sehr zu gebrauchen. Für viele eine offene Tür, für andere trete ich sie trotzdem gern mal ein: http://www.kontext-tv.de/node/482

  123. Stephan Wohanka sagt:

    Was Hajo Jasper sagt, verstehe ich; was Heino Bosselmann sagen will, verstehe ich nicht. Während ersterer – trotz allem – für Europa plädiert, betreibt letzterer Glasperlenspiele; worum geht es ihm?
    Lese ich beider Texte, finde ich nur „Richtiges“: Europa in der Krise, das Ökonomische, ja Neoliberale dominiere immer stärker, das Demokratische sei beschnitten oder (noch) nicht (genügend) entfaltet, das Nationale, gar das Nationalistische erhebe (wieder) sein Haupt… dem ist nicht zu widersprechen, alles gut und richtig! Nur – was mache ich daraus?
    Jasper stellt sich mit Camus „Sisyphos als einen glücklichen Menschen“ vor; und aus Bosselmanns „Europa“ Europa zu machen, ist tatsächlich eine Arbeit, die im Spannungsverhältnis zwischen Sinn und Widersinn menschlichen Handelns chargiert. Aber mit dem Ziel Europa!

    „Glasperlenspiel“? Oben ist der Sinn klar: Akademisches, theoretisch-abstraktes Gedankenspiel ohne praktischen Zweck. Auch Hermann Hesses Weltbuch trägt diesen Titel. Paradoxerweise straft diese große Dichtung diese Qualifizierung Lügen; auch ihr Hintergrund ist eine politische Situation – die Deutschlands seit dem Ersten Weltkrieg und in den Jahren der Hitlerdiktatur. Einer Welt, die – in gewisser Analogie zu Europa heute – in der Krise, in Unordnung ist. Als Gegenbild dazu ein Ort des Maßes, der geistigen Ordnung und Ehrfurcht; darum war es Hesse zu tun. Gleich der platonischen Akademie, die als Ideal für Jahrhunderte wirksam war, soll sein „Kastalien“ einer würdelosen Welt zum Leitbild werden. Mag diese Provinz auch in die Zukunft projiziert sein, sie ist dennoch weder Zukunftstraum noch Prophezeiung, sondern eine Idee, die ihre innere Wirklichkeit besitzt und eine Möglichkeit geistigen Lebens darstellen will. Nicht nur die „platonischen Akademie“ erinnert an Europa, so wie es letztlich sein sollte…
    Warum eigentlich Europa? Hat die EU überhaupt einen Sinn? Warum sollten nicht Deutschland, Frankreich, Spanien usw. es alleine schaffen?
    Der erste Sinn, der gerade wieder wichtig wird, liegt in der Erfahrung, dass aus Feinden Nachbarn wurden; nicht immer gute Nachbarn, solche, die sich zanken, ignorieren, Stereotypen pflegen, aber eben keine Feindbilder mehr: „Jeder Stoß ein Franzos, jeder Schuss ein Ruß“. Vor dem Hintergrund dieser Geschichte, einer „Krankengeschichte von Irren“ (Gottfried Benn) kommt das einem Wunder gleich.
    Der zweite Sinn Europas ist die Antwort auf die Globalisierung. Ich halte die „Europäisierung“ als „Unterprozess“ der Globalisierung für dringend geboten. Meint jemand allen Ernstes, dass in wenigen Jahrzehnten die dann von Milliarden- und großen Millionenvölkern wie China, den USA, Indien, Brasilien, später wohl auch Russland, Indonesien getragenen und entsprechend potenten Wirtschaftsriesen noch hier bei schrumpfenden 50 Millionen anfragen, wenn es darum geht, die weltweiten ökonomischen, politischen, ja auch sozialen und ökologischen Ordnungsrahmen (neu) zu definieren? (Ausführlich habe ich dazu im Forum am 03.07.15 geschrieben).
    Der dritte Sinn hängt mit dem zweiten zusammen: Die Zukunft Europas liegt in der Antwort auf globale Risiken. Das Modell der nationalstaatlich-industriekapitalistischen Moderne, das Europa und der Westen dem Globus übergestülpt haben, hat sich als fehlerhaft, ja als selbstzerstörerisch erwiesen. Europa muss dieses Modell verwerfen und ein neues denken und politisch erproben; ein Beispiel auf technischem Feld ist der Ausstieg aus der Atomenergie und der Einstieg in die erneuerbaren Energien.
    Ein vierter Sinn Europas ist die politische Dimension des Neudenkens. Nicht nur die Vision einer anderen europäischen Zukunft ist von Belang, sondern auch das Bild einer „anderen“ Nation: Wie können das Selbstverständnis der Nation, des Nationalstaates vom Horizont des 19. Jahrhunderts befreit und für die weltbürgerliche Welt des 21. Jahrhunderts geöffnet werden? Wie können also nationalen Interessen im kooperativen Bündnis mit den anderen europäischen Ländern weltoffen definiert werden

    • Manne Murmelauge sagt:

      Verehrtester, da haben Sie aber schön mit Ihren Glasperlen gespielt! Unterdessen macht Herr Schäuble unter Zuhilfenahme der deutschen Komplizen im Osten EU-Europas aus dem früheren EU-Mitglied Griechenland eine Schuldknechtschafts-Kolonie.

    • Werner Richter sagt:

      Tut mir leid, muß aber gesagt werden. Wer „…die „Europäisierung“ als „Unterprozess“ der Globalisierung für dringend geboten…“ hält, hält auch die Globalisierung für dringend geboten. Und auch die Strategie von USA, Nato und EU/Bundesregierung mit allen Konsequenzen, Zurückdrängung Rußlands, EU-isierung der greifbaren osteuropäischen Länder zur Potentialsicherung im „Endkampf“ gegen China, Schaffung von besseren Ausgangsstellungen im Nahen Osten (IS, türkische Strategie, Neuordnung der Territorien nach Gusto der USA) und militärische weltweite Dislozierung von Eingreiftruppen. Würde ich eine derartige Übereinstimmung meiner Ansichten damit feststellen, käme ich aber schwer ins Grübeln.

    • Heino Bosselmann sagt:

      Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

      Erläuternd: Mich irritiert vor allem, dass die Linke einem Begriff von „Europa“ folgt, der weder traditionell noch aktuell der ihre sein dürfte, sondern ein Ergebnis der zwangsläufigen Internationalisierung von Kapital, insbesondere kraft Finanzkapitalismus. Dies wiederum mag ökonomisch in der Folgerichtigkeit der Sicherung maximaler Profite liegen, und BWLer wie VWLer wie Börsianer mögen das bewundern. Nur ist Wirtschaft nicht gleich Politik, obwohl die Politik der Mitte sich freilich weitgehend auf Buchhalterei im Sinne des Kapitals reduziert.

      An der Politik wäre es indessen vielmehr, zu reflektieren, zu kritisieren und zu reglementieren. Die Linke, meine ich, sollte nicht der verkürzten Wahrnehmung folgen, eine fragwürdige Einheitswährung und eine demokratisch weder legitimierte noch legitimierbare EU hätten endlich für den „ewigen Frieden“ Kants gesorgt, nur weil Kapital und zwei Drittel der Konsumenten vorübergehend zufrieden sind, insofern sich Demokratie immer mehr als reiner Utilitarismus von Hedonisten erweist. Aktuelle Tendenzen weisen überdies nicht gerade in Richtung Friedfertigkeit. Im Gegenteil.

      Man erkläre mir, was demokratisch an an einer „Integration“ gelaufen ist, die vor allem in Normierungen zugunsten des Marktes besteht. Ist es populistisch, wenn ich darauf verweise, dass die Wähler dort, wo sie überhaupt gefragt wurden (Referenden in Frankreich und den Niederlanden 2005), die EU-Verfassung abgelehnt haben, so dass die auf die Lissaboner Verträge (2007/2009) rückgeschrumpft werden musste? Und dass der Euro abgelehnt worden wäre, hätte man die Wähler überhaupt um Entscheidungen gebeten? Ja, sind das Brüsseler Kommissariat und das ihm nachgeordnete EU-Parlament überhaupt demokratisch legitimierbar? Oder wären Entscheidungen von Tallinn bis Lissabon nicht unweigerlich abstrakt?

      Die Wirtschaftslogik verstehe ich, ebenso die pragmatischen Vorteile, die dem von der Idee sozialer Marktwirtschaft abgekoppelten „Exportweltmeister“ aus dem Euro erwuchsen, verstärkt um eine antisoziale Agenda-Politik, von der die „working poor“ hierzulande deklassiert und die Armen effizient wegverwaltet werden. Übel finde ich die Verbrämung neoliberaler Deregulierung als tätige Friedenspolitik für „Europa“.

      Die Rechte und die sog. Populisten gewinnen an Offensive, weil sie u. a. auf Vaterländer, Muttersprachen, Nationalkulturen und Regionen verweist, also auf Begriffe und Tatsachen, derer sich die Linke wieder annehmen sollte, so sie noch der Auffassung ist, Demokratie gehe von unten aus. Sie sollte ihre Internationalisierungsträume, die sie selbst historisch kaum je umzusetzen verstand, nicht mit jenen des Kapitals – vorzugsweise des Finanzkapitals – verwechseln.

      Noch kürzer: Objektive Prozesse, so sie objektiv sind, laufen eben so ab, wie sie ablaufen. Nur sollten subjektiv darüber nachgedacht werden, damit eine Positionierung erfolgen kann, die Urteile ermöglicht. Das versuchen wir hier ja.

    • Werner Richter sagt:

      Ihre Irritation, Herr Bosselmann, ist wohl begründet. Es ist schlechthin die unwissenschaftliche Übernahme zweckerfundener oder zweckverbogener grundlegender Definitionen, benötigt zur Gängigmachung von Scheintheorien, die wiederum Kapitalstrategien als ökonomisch sinnvoll und machbar erscheinen lassen sollen. Will ein Ökonom weiterhin gehört werden, muß er wohl oder übel diesen Weg gehen, denkt eine Mehrzahl von Ökonomen. Diesen Irrtum hat Krugman schon vor langer Zeit eingeräumt, wie schon früher dargelegt. So ist das Gros der Ökonomen mit theoretischen Kompromissen eigener Akzeptanz willens auf die Hauptlinien der Kapitalstrategien abgerutscht und betrachtet diese, nicht die Ökonomie, aus der Sicht der VW, BW oder Börse in irriger Meinung, Wirtschaftswissenschaft zu betreiben. Man durchdenke nur mal den irrsinnigen Gebrauch des Wertbegriffes, d e m Grundbegriff der Ökonomie des Kapitalismus. Die Realsatire erreicht ihren Höhepunkt, wenn die Wirtschaft täglich anhand der Börse erklärt wird. Die ARD macht dies jedoch ernsthaft. Die Kasinoumsätze täten es auch. Man inhaliere zur Gesundung einen der letzten Mohikaner akzeptabler Wirtschaftsanalyse, allerdings, auch das gehört zum Chaos in der Theorie, aus Sicht der Soziologie:
      http://www.kontext-tv.de/sendung/20052015/immanuel-wallerstein

  124. Bernd Hopf sagt:

    Heino Bosselmanns Einlassungen zum Thema Europa sind ganz gewiss bedenkenswert. Ich verstehe sie als so etwas wie die Beschreibung des zweiten Antlitzes eines Januskopfes, der allerdings nur in seiner Doppelgesichtigkeit ein solcher ist.
    Irgendwie erinnern mich Bosselmanns Zeilen aber auch an eine Szene aus Monty Pythons „Leben des Brian“. Dort sitzen unbeugsame Revolutionäre zusammen und machen verbal die römischen Besatzer fertig. Einer unter ihnen erhebt aber ein ganz klein wenig seine Stimme und verweist auf einige Realien. Was auch immer dann dabei zusammengetragen wird, so folgt dem schlussendlich eine klassenstandpunktfeste Konklusion – siehe Blättchen 4/09: http://das-blaettchen.de/2009/04/besatzer-und-besetzte-7561.html
    Bernd Hopf

    • Heino Bosselmann sagt:

      Sehr geehrter Herr Hopf,

      vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ich erinnere mich der von Ihnen aufgerufenen Szene, in der die Israeliten bzw. der „Volksfront von Judäa“ das Für und Wider des Wirkens der Römer ausdiskutieren und zu klären versuchen, insbesondere dank eines Einwenders, der auf den Vorteil der Aquädukte usw. verweist. Das ist stimmig.

      Bezogen auf „Europa“: Ohne die Zweifel haben die deutsche Wirtschaft, das deutsche Wachstum und der deutsche Konsument – kurz: der „Standort Deutschland“ – mit „Europa“ und der Einheitswährung gehörigen Reibach eingefahren, abgesehen von den genau damit verbundenen Prozessen sozialer Deklassierung und Exklusion der sog. Schwachen. Für jene, die viel haben, ging die Rechnung auf, obwohl insbesondere Maastricht – in der Intention des von der Wiedervereinigung erschrockenen Mitterand – wesentlich dem Sicherheitsbedürfnis Frankreichs Rechnung trug, also der Angst vor der D-Mark. Wir sehen zunächst: Die nationalen Perspektiven regierten Entscheidungen, und zwar rein pragmatisch.

      In meiner Einlassung ging es mir allerdings weniger um den vermeintlichen Gewinn, der aus „Europa“ zu ziehen ist, sondern um die fatale Ungenauigkeit des von der Propaganda geschrumpften Begriffes „Europa“. Bekanntlich ist nach Peter Gauweiler nicht alles, was hinkt, ein Vergleich, dennoch erinnert mich die Entscheidungsfrage der politisch Korrekten und der mystifizierten politischen Mitte „Bist du für Europa?“ an jene der ideologischen Inquisition in der DDR: „Bist du für den Frieden, Jugendfreund?“ – Das wiederum korreliert mit den Slogans „Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Europa!“ oder entspricht – freilich in ganz anderem Zusammenhang – den Beschwörungen, die seit Jahren mit dem Begriff „Bildung“ erfolgen, ohne dass klar wäre, was der jeweilige Diskutant überhaupt mit diesem Wort verbindet. Es reicht die positive Konnotation. Und schon lebt man in der „Bildungsrepublik“. Oder eben in einem Europa, dessen Völker sich endlich so friedlich und glücklich miteinander vertragen, wie es einst die Völker der Sowjetunion ja ebenso taten. In den genannten Fällen sollen Reizworte Ideen aufladen bzw. Ideen Sachverhalte mit einer betimmten Tendenz aufrüsten.

      Mit solchen Sprachakten geht es um nichts anderes als um ein Bekenntnis, also weniger um Wissen oder gar um kritische Urteile als um Glauben. Interessant wäre aber, wer fragt „Bist du für Europa?“ und weshalb so gefragt wird. Und noch interessanter, welcher Inhalt jeweils mit dem Zeichen „Europa“ verbunden wird. Es geht, sprachwissenschaftlich ausgedrückt, um die Arbitrarität von Zeichen und Bedeutung und den wichtigen Unterschied zwischen Signifikant und Signifikat. – Ich unterstelle, dass der Pauschalgebrauch von „Europa“ im Sinne der pauschalen „Zustimmung zu Europa“ zu einer neoliberalen Selbstlegitimation gehört und maßgeblich dem Finanzkapital nutzt, immer eingedenk dessen, dass Finanzkapital und Anteilseigner von Investmentfonds zwangsläufig gleichen Motiven folgen. Man kann ja nicht sagen: Wir wollen den totalen Markt! Man sagt also: Wir wollen den totalen Frieden Europas, den zuerst der Markt sichert.

      Jene, die die Brüssel-EU der Kommissare für ihre Zwecke wünschen, sind andere als die Friedensromantiker, die Europa nach Schützengräben, Naziverbrechen und Spaltung im Kalten Krieg plötzlich geläutert wähnen und pauschal von einer „europäischen Idee“ reden. Schon der Schuman-Plan folgte primär wirtschaftlichen Motiven, damals jenen von Kohle und Stahl. Vergessen wir nicht: Die Verträge von Lissabon sind keine eigentliche Verfassung. Und das EU-Parlament ist kein eigentliches Parlament im Sinne der Bedeutung einer klassischen Legislative innerhalb von Nationen. Vergessen wir auch nicht, was die Wähler bislang ablehnten, so sie überhaupt gefragt wurden.

      Politik ist Sprache. Wer sich politisch positionieren möchte, sollte ganz im Wittgensteinschen Sinne das Denken von der Verhexung befreien, in das es die Sprache immer wieder führt (Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, § 109).

  125. Heino Bosselmann sagt:

    zu Hajo Jasper: Europa (18. Jg., Nr. 16, 3. August 2015)

    Über „Europa“ zu sprechen ist so schwierig wie über „Bildung“ zu reden. Beide Begriffe werden so positiv konnotiert wie pauschal und demagogisch benutzt. Es ist nicht klar, welche Bedeutung diesen Zeichen gegeben wird. Um so erforderter ist genau diese Klärung. Was ist denn mit „Europa“ gemeint? Europa meist nicht!

    Für die europäische Integration des alten West-Europa gab es einst einen redlichen Begriff, jenen der EWG. Am wichtigsten war darin das W, und zwar für die Wirtschaft, die die Politik maßgeblich dominiert, ja mittlerweile unter hohen Verlusten für einst demokratische Verfahren gar zu regieren scheint und sie, die Politik, zunehmend zur eigenen Werbeagentur degradiert, die wiederum den Bürgern, die vom Citoyen zum Konsumenten degenerierten, die Bedürfnisse der Industrie und der Banken als die vermeintlich eigenen Wünsche darstellt.

    Aus der EWG wurde – unter Weglassung des wesentlichsten Attributs – zunächst die EG und schließlich die EU, ein Vorgang in der Illusion, „Europa“ folge primär einer „Idee“, insbesondere einer „Idee der Völker“, die sich endlich – über die stets aufgerufenen alten Schützengräben hinweg – versöhnen und zusammenzuwachsen. Weil man doch die Lehren aus der Geschichte, insbesondere aus zwei Weltkriegen jetzt gezogen hätte. (Sehr didaktisch! Sehr teleologisch und mit raunendem Weltgeist ganz und gar Hegelsche Geschichtsphilosophie.) Zusammenzuwachsen gar als „Vereinigte Staaten von Europa“, ein Begriff wiederum, der sogleich einen historisch unsinnigen Vergleich heraufbeschwört, um den Preis einer unredlichen Pointe.

    Während Europa einen mannigfaltigen Raum umfangreichsten Erbes darstellt, das im Zuge der „Bildungsreformen“ übrigens weitgehend verloren ist, meint „Europa“ – im Sinne der EU – lediglich einen einnivellierten Markt, der nach der Einführung der Einheitswährung maßgeblich von der EZB regiert wird – mit dem Ergebnis, dass erstmals seit dem Ende des Kalten Krieges das politische Zerbrechen des Kontinents droht: Diesmal nicht in West und Ost, sondern in Nord und Süd.

    Ich kann nicht sehen, was an dieser Tendenz positiv sein sollte und weshalb die Linke den neoliberalen Vorstellungen Rechtfertigungslegenden liefert für ein „Europa“, das mit „Völkerverständigung“ sehr wenig, mit Markt und günstigen Reproduktionsbedingungen aber eine Menge zu tun hat. Dass die Linke den Begriff der Nation für stigmatisiert hält, ja Nationen selbst als per se reaktionär und aggressiv empfindet, dass sie deswegen die angeblich segensreiche Globalisierung ebenso wünscht, wie die von den Kapitalmärkten gewünscht wird, macht die Sache nicht einfacher. – Was soll etwa positiv daran sein, dass den Wählern und Parlamenten ihre im Zyklus bürgerlicher Revolutionen errungenen Souveränitätsrechte ebenso entwunden sind wie den Staaten die Hoheitsrechte, zugunsten einer „europäischen Regierung“ der Kommissare?

    Nicht genug damit, dass man mit dem Euro sehr verschiedene Volkswirtschaften mit unterschiedlichen Systemen über einen Backen balbierte, so dass sich niemand mit gesundem Menschenverstand seit Maastricht vorstellen konnte, das würde gutgehen, nein, man verschlechterte kapitalfreundlich die Lage der Arbeitenden.

    Weshalb redet die Linke, die sonst vom Prinzip der Subsidiarität und einer Demokratie von unten ausgeht, unkritisch einem „Europa“ das Wort, das nichts anderes darstellt als einen integrierter Markt für uniformierte Produkte und Finanzströme zugunsten des Bankenkapitals?

    Kulturen, Sprachen, Völker lassen sich nicht integrieren wie Währungen und Waren. Ich bedauere, dass der Linken von der Aufklärung her stets und ständig ihr idealistisches Erbe im Weg ist. Was bitte ist ein Europäer? Was soll ein Weltbürger sein? Sind die ausgebeuteten Billiglöhner dies?

    Mag sein, die Sachverhalte sind, wie sie sind, mithin also „alternativlos“. Aber selbst dann ist noch klare Rede darüber möglich und insofern eine Kritik neoliberaler „Europa“-Propaganda.

  126. margit van Ham sagt:

    Die Redaktion unterbindet keine inhaltliche Diskussion, lässt aber keine persönlichen bzw. unsachlichen Angriffe zu.
    Margit van Ham, RvD

  127. Theosebeios sagt:

    FLÜCHTLINGSKRISE?
    Gewiss, viele gesellschaftlich wichtige Probleme bleiben hier notgedrungen ausgeklammert. Aber ich wundere mich doch ein wenig, dass ein Thema, in den Medien seit Monaten nahezu pausenlos dargestellt und kommentiert, das alle Parteien und die Europäische Union intensiv beschäftigt, hier im Forum gar keine Resonanz findet. Nachdem ein Kommentar diesbezüglich anlässlich eines Theaterstücks, das Herr Romeike (18.Jg., Nr.9) hier vorstellte, nicht freigeschaltet wurde und ich gerne hier diskutiere, halte ich mich natürlich zurück. Werde auch gewiss nicht die — zugegeben starke — Behauptung wiederholen, Frontex leiste im Mittelmeer Beihilfe zur Schleusungskriminalität. Das steht mir nicht zu. Ich sehe ein, dass die Redaktion hier Grenzen ziehen muss. Nachdem jedoch der angesehene Grünenpolitiker und Tübinger Oberbürgermeister Palmer sich in einem ähnlichen Tonfall geäußert hat wie ich selbst (siehe FAZ vom 8.8.15) wird zumindest die Frage erlaubt sein, ob das Thema nicht eine freie Debatte verdiente?

  128. Wolfgang Ernst sagt:

    Der Text von Septentrionalis scheint auf den ersten Blick schlüssig. Aber was will der“Nördliche“ uns damit sagen? In den Rassevorstellungen unseligen Nicht-Angedenkens kam aus dem Norden immer das Überlegene. Nun also dies als grundsätzliche Einwendung gegen den Zeitgeist und seine Aufwallungen. Aber zu welchem Zwecke? Der Gesellung? Der AfD-Landesverband Baden-Württemberg – das ist dann jedoch meridianus – hat Ende Juli einen Grundsatzbeschluss zur Abschaffung des Gender-Mainstreamings beschlossen. Nun denn!

  129. Theosebeios sagt:

    GENDERMAINSTREAMING
    „Die Ideologie ist tot.“ Nichts für ungut, Septentrionalis, aber wer mag wohl noch über Ihre Ironie lächeln (nicht lachen, das ginge zu weit)? Richtig, die G.M.-Ideologen! Sieh an, da zeigt noch einer Humor, referiert ein paar biologische Unterschiede, die wir ihm gerne zugestehen können. WIR räkeln uns hingegen als Sieger auf Hunderten von Genderlehrstühlen, in Tausenden von Genderbüros. WIR haben G.M. in alle biederen (großen und kleinen) Gehirne hineintrainiert, auch wenn ihre Träger nicht einmal wissen, wie man das Wort schreibt, geschweige denn, was es bedeutet. Wer uns echt krumm kommt, den servieren wir ab, geben ihm ggf. eine schlechte Note in Seminararbeiten, wenn er die nötige sprachliche Sensibilität vermissen lässt. Die Politik folgt uns willig. Wer was gegen Quoten und Gleichstellung sagt, wird einfach ins Abseits gekickt.
    Nach dem offenen Verfassungsbruch (Frauenquoten) ist alles möglich geworden.

  130. Korff sagt:

    So ist es mit „Kinderüberraschung“! Da meditiere ich noch, daß man S. Wohanka. nicht unwidersprochen lassen dürfte – und schon hat Franka z u v o r zurückgeschlagen. Da will Korff hinsichtlich des Budapester Memorandums und den „feierlichen Verzicht“ der Ukraine – nicht des heutigen Kiew! – auf Kernwaffen nur noch den Hinweis anfügen, daß es seinerzeit darum ging, weltweit der Gefahr vagabundierender Nuklearwaffen zu begegnen, was im einvernehmlichen Interesse der USA und Rußlands lag. Wie wichtig das war, ergibt sich aus Planspielen im Westen (und auch im Blättchen!), daß das Kiew von heute das Rußland von heute vermittels atomaren Waffenbesitzes zu einer anderen Verhaltensweise hätte zwingen können! Das reicht von albernen Ideen bis zu allgemeiner Menschheitsgefährdung durch Leute, die damit gern Schlagzeilen machen, aber die Verantwortung für ihre „Vorschläge“ den von ihnen geschmähten Realpolitikern zuordnen, offenbar ohne Ahnung davon zu haben, was allein der Besitz von atomaren Waffen in jeder Hinsicht „kostet“, zumal deren Verwndung in den Köpfen mancher Strategen durchaus nicht nur zur gegenseitigen Abschreckung einen höchst zweifelhaften Sinn hat („use it or lose it“). In dieser Hinsicht kein Fortschritt gegenüber den Zeiten des kalten Krieges – nur in veränderter Umwelt.

    • Stephan Wohanka sagt:

      Lieber Korff, sehr schön: „… daß das Kiew von heute das Rußland von heute vermittels atomaren Waffenbesitzes zu einer anderen Verhaltensweise hätte zwingen können!“ Worin die bestanden hätte, ist mir nicht klar; sagen Sie´s uns noch?
      „Das Kiew von heute“ ist so wie es ist, häufig im BLÄTTCHEN beschrieben; „das Rußland von heute“ ist aber auch nicht mehr das von 1994 (als es die Verpflichtungen des Budapester Memorandums einging). „Verhaltensweise“ Kiews gegenüber Russlands – ich sehe zumindest erst einmal eine „Verhaltensweise“ Russlands gegenüber Kiew: Die völkerrechtswidrige Annexion der Krim und die Desstabilisierung östlicher Landesteile durch das Einsickern russischer Freischärler, dann mehr oder weniger regulärer Truppen und Waffen. Und das mit Atomwaffen in Rücken! (Vielleicht versteht sich ja Putin später in einem Anfall von … ? auch in diesem Falle dazu, dies einzugestehen; ebenso wie er bezüglich der an der Krim-Annexion beteiligten „grünen Männchen“ nach langem Leugnen später zugab: „Im Rücken der Selbstverteidigungskräfte standen natürlich unsere Soldaten. Sie haben ganz korrekt gehandelt, sehr entschlossen und professionell.“ Anders hätte ein ordentliches Referendum auf der Krim doch gar nicht organisiert werden können. Klar! Wobei – um nicht wieder überflüssige Antworten zu provozieren – andere Politiker lügen auch).
      Ich stimme Ihnen zu: „…kein Fortschritt gegenüber den Zeiten des kalten Krieges – nur in veränderter Umwelt.“ Aber dann tue man nicht permanent so, als sei es anders!
      Realpolitik ist offenbar der neue Schlachtruf! Selten haben sich auf den Seiten des BLÄTTCHENs wohl so viele Realpolitiker getummelt wie heute: Macht zählt, der Westen hat es versäumt, die legitimen Interessen Russlands an seiner Nachbarschaft zu berücksichtigen und die Ukraine ist russisches Einflussgebiet; der Weltmachtstatus erfordert nun mal ein Denken in Einflusssphären. An den Grenzen einer Weltmacht hat niemand sonst etwas zu suchen. Einkreisungsängste sind offenbar von je her – siehe auch Kuba 1962 – in den Genen einer jeden Macht, die sich für eine solche hält, gespeichert. Wer das nicht akzeptiert, taugt zum Kirchentagspräsidenten, aber nicht zum Realpolitiker.
      Vor allem jedoch zeigt sich darin ein simples Verständnis von Realpolitik; und damit wären wir wieder bei Putin: Mit der Krim-Annexion hat er nicht nur die territoriale Integrität der Ukraine verletzt, sondern dem internationalen Nichtweiterverbreitungsregime von Atomwaffen Schaden zugefügt; aber das ist offenbar auch nicht weiter der Rede wert, das entsprechende Memorandum ist ja „rechtlich nicht bindend“. Dass die USA und Russland derartige Abkommen als recht unverbindlich ansehen, sollte doch wohl eher unsere deutliche Kritik herausfordern denn als Legitimation für Völkerrechtsbrüche dienen! Denn wenn internationales Recht nicht mehr „bindend“ ist, Vertrauen durch Lügen zerstört wird, haben wir ein wirkliches Problem! Das muss auch jedem echten Realpolitiker ein Gräuel sein; nicht aus moralischen Gründen, sondern weil es ein elementares Interesse moderner Staaten an der Aufrechterhaltung von (internationaler) Ordnung gibt; zumal in einer Welt wachsender Unsicherheiten. Womit wir wieder bei Paechs Frage wären: Wozu taugt das Völkerrecht?
      Noch eins: Wer meint, Russlands Handeln grundsätzlich für angemessen zu halten, wer von „legitimen Interessen“ Russlands spricht, darf dann auch nicht von legitimen Interessen anderer Länder, des „Westens“ schweigen! Wie wäre es mit einem BLÄTTCHEN-Beitrag dazu?
      Frau Haustein stellt fest: „Sicherheit für die Ukraine ist nur gemeinsam mit Russland zu organisieren“. Richtig; nur sehe ich ein Prinzip der russischen Politik, das dem entgegensteht: Dinge in der Schwebe zu halten. Russland unterstützt die Separatisten nur so stark, dass sie ihr Territorium halten und der Ukraine eine Nato- oder EU-Mitgliedschaft unmöglich machen können. Zugleich sind sie allein zu keiner Eskalation fähig. Es gibt andere Beispiele.

  131. Franka Haustein sagt:

    Der eine (S. Wohanka) fragt im Brustton der Empörung: „Wie kann man der Ukraine ernsthaft so einen Vorschlag (sich für neutral zu erklären und dies völkerrechtlich festzuschreiben, inklusive Russland als Garantiemacht – F.H.) unterbreiten wollen? Es gab schon einmal einen Vertrag, in dem Russland der Ukraine „territoriale Integrität“ zusicherte!“
    Und der andere (J. Schülke) bedankt sich für die notwendigen Anmerkungen.
    Und wenn sie nicht gestorben sind, dann mokieren sie sich halt weiter – unter Ignorierung bestehender, wenn auch unschöner oder unangenehmer Gegebenheiten und damit an praktikablen Ansätzen zur Lösung der Krise vorbei. Das tut die Führung in Kiew ja schließlich auch mit ihrem fortgesetzten Streben in die NATO, mit einem gemeinsamen Manöver mit NATO-Staaten nach dem anderen, mit dem öffentlichen Ventilieren von Überlegungen, US-Raketenabwehrkomponenten ins Land zu holen…
    Zu diesen unangenehmen Gegebenheiten zählen indes folgende:
    – Die Ukraine wird Nachbar Russlands bleiben und im Vergleich zu diesem ein militärischer Zwerg. Den Krieg mit Russland, von dem Poroschenko und Jazenjuk so locker reden, können sie daher nicht ernsthaft ins Kalkül ziehen. Sicherheit für die Ukraine ist nur gemeinsam mit Russland zu organisieren. Ohne dieses gibt es bestenfalls fortbestehende Unsicherheit, und zwar besonders für die Ukraine. Für Kiew jedenfalls wird Washington kein nukleares Risiko eingehen.
    – Wenn die Rauchschwaden der Krise sich irgendwann gehoben haben, wird leichter als derzeit zu erkennen sein, dass ein wirtschaftlicher Wiederaufbau der Ukraine ohne Russland, durch die EU allein, gar nicht zu stemmen ist, zumal die USA in dieser Frage bereits weitgehende Abstinenz signalisiert haben.
    – Das Budapester Memorandum von 1994, laut Wohanka „ein Vertrag“, ist eben kein solcher, sondern im völkerrechtlichen Sinne lediglich eine Willenserklärung. Und aus welchen Gründen auch immer, die USA, Großbritannien und Russland gaben sie nicht mal gemeinsam ab, sondern jeweils getrennt. Das US-Außenministerium jedenfalls hat das Memorandum zu keinem Zeitpunkt als rechtlich verbindlich angesehen. (Das musste vor Jahren bereits Weißrussland, das ebenfalls Bestandteil des Memorandums ist, zur Kenntnis nehmen, als es die USA auf Verletzungen desselben festnageln wollte.)
    Vor diesen und anderen Hintergründen kann man der Ukraine nicht nur zur „finnischen Lösung“ raten, die im Übrigen auch eine intensive Westorientierung einschließt, sondern man muss es geradezu.

  132. Jürgen Schülke sagt:

    Dank an Herrn Wohanka und Herrn Hayn für deren m.E. notwendige Anmerkungen.
    Jürgen Schülke

  133. Stephan Wohanka sagt:

    Die Schuldendebatte um Griechenland hat die Ukraine-Krise, den NATO-Russland-Konflikt und dessen Implikationen etwas in den Hintergrund treten lassen. Umso verdienstvoller ist es, wenn das BLÄTTCHEN sich des Themas mit jeweils einem Text von Wolfgang Schwarz, der die Sache kontinuierlich bearbeitet, und von Norman Peach annimmt. Ich will zu beiden nur ein paar kurze Anmerkungen machen…
    Mir stößt – nicht zum ersten Mal und eher dem Geiste, weniger dem Buchstaben nach – eine Haltung auf: Die Geringschätzung der Staaten als Subjekte. Namentlich betrifft das die nach 1989 und später entstandenen Staaten – wie die baltischen, die kaukasischen und die Ukraine beispielsweise – und auch die, die damals ihre völlige nationalstaatliche Souveränität erlangten wie Polen und andere. Sie werden heute (wieder) mit Denk- und Verhaltensmustern konfrontiert, die für überwunden galten. Was ihnen gegenüber praktiziert wird, ist „altes Denken“ in Macht- und Einflusssphären; nicht nur bis hin zur Destabilisierung und zur Annexion fremden Territoriums, sondern – subtiler – was Vorschläge zur Lösung von Konflikten angeht, was ihr Agieren als – wie gesagt – Völkerrechtssubjekte angeht.

    In Sachen der Krim erinnert Putins politisches und militärisches Agieren an das Kennedys im Oktober 1962, als die SU begonnen hatte, auf Kuba, im „Vorhof der USA“, Atomraketen zu stationieren. Kennedy scherte sich einen Dreck um die nationale Souveränität Kubas, im Rahmen des Völkerrechts tun und lassen zu können, was es für richtig hält. Diese Parallele zeigt, dass die heutige (geo)politische Lage der von vor über 50 in erschreckender Weise gleicht! Die „Realpolitik“ ist zurück; und so werden deren Protagonisten – hier Kissinger und Brzezinski – wohlwollend zitiert und gelten als Gewährsmänner für eine Lösung der Ukraine-Krise. (Ein Mitarbeiter über ersteren: „Wenn wir Henry Kissinger nach den gleichen Maßstäben beurteilen, wie wir es mit den anderen Staatschefs und Politikern in anderen Gesellschaften getan haben, z. B. in Deutschland und Japan nach dem Zweiten Weltkrieg, dann wird er sicher irgendwann als Kriegsverbrecher verurteilt werden“. Dazu wird es wohl nicht mehr kommen, aber verdient hätte er es!)

    „Die Ukraine erklärt, nach dem Vorbild Österreichs und der Schweiz, ihre immerwährende Neutralität. Sie verpflichtet sich, keinem militärischen Bündnis beizutreten und keine Stationierung fremder Truppen auf ihrem Territorium zuzulassen. Das impliziert eine Sonderregelung für die Krim. Russland, die USA und die EU garantieren als Signatarmächte eines solchen Abkommens die Neutralität der Ukraine“.
    Wie kann man der Ukraine ernsthaft so einen Vorschlag unterbreiten wollen? Es gab schon einmal einen Vertrag, in dem Russland der Ukraine „territoriale Integrität“ zusicherte! Selbst Peach hält die Annexion der Krim für „völkerrechtswidrig“. Deshalb so schön in dem Angebot an die Ukraine: „Sonderreglung für Krim“. Also nochmals – warum sollte sich die Ukraine erneut auf einen deal einlassen, in dem Russland als Garantiemacht auftritt? Zur Erinnerung: Im s. g. Budapester Memorandum von 1994 verpflichteten sich Russland, die USA und Großbritannien in drei getrennten Erklärungen jeweils gegenüber Kasachstan, Weißrussland und der Ukraine, als Gegenleistung für deren Nuklearwaffenverzicht die Souveränität und die bestehenden Grenzen der Länder (Art. 1) sowie deren politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit zu achten (Art. 2 f.). Sic!

    Nicht als Retourkutsche … aber sollte nicht zumindest erwähnt werden, dass laut Interfax die russischen Generalstaatsanwaltschaft vor einigen Tagen mit einer Überprüfung der Frage begann, ob die Anerkennung der Unabhängigkeit der baltischen Republiken durch den Staatsrat der UdSSR im Jahre 1991 rechtmäßig war: „Rechtlich gesehen ist die Entscheidung, die Unabhängigkeit der baltischen Staaten anzuerkennen, nicht rechtmäßig aufgrund der Tatsache, da sie verfassungswidrig war.“ Die Anfrage stamme von einem Abgeordneten der Regierungspartei Geeintes Russland, Jewgeni Fjodorow. Falls die Staatsanwaltschaft tatsächlich zum Schluss käme, dass die Anerkennung der Unabhängigkeit Lettlands, Estlands und Litauens durch die SU unrechtmäßig war, ist zumindest ein veritabler diplomatischer Skandal programmiert, wenn nicht mehr.

    Auch bemerkenswert – aus einem Kommentar der Berliner Zeitung vom 28.07.15: „Dabei verstärkt sich der Eindruck, dass es längst nicht mehr um die Durchsetzung einzelner Rechte geht, sondern dass wir uns auf dem Weg in eine Art Weltbürgerkrieg gegen die Toleranz befinden, in dem Homophobie nur ein Beispiel für die Mobilisierung sozialer Affekte ist. Es ist kein Zufall, dass der russische Präsident Wladimir Putin seine nationalistischen Großmachtfantasien nach innen mit einem rigiden Kampf gegen die Bedürfnisse nach sexueller Selbstbestimmung verknüpft. Ein Land, das auf einen anhaltenden nationalen Selbstbehauptungskampf eingeschworen werden soll, kann, darf und will sich liberale Abweichungen nicht erlauben“.

  134. Günter Hayn sagt:

    Lieber Werner Richter,
    Sie setzen in Ihrem lesenswerten Text geradezu sakrosankt die These, dass Marx den Sozialismus als „im Kern
    marktlose Gesellschaft“ gesehen habe. Nun kennen Sie die Schriften des Meisters entschieden besser als ich – selbst wenn dem so wäre, vielleicht war das sein Grundirrtum? Marxens Nachdenken über die ökonomische Strukturierung des erwünschten Kommenden war ja sowieso so gründlich nicht, konnte es auch nicht sein. Der „im Kern marktlose Sozialismus-Versuch“ (was ja auch Blödsinn war, im Schatten der Verteilungswirtschaft bildeten sich sehr wohl „Märkte“ heraus) implodierte nicht zuletzt deswegen, weil seine Wirtschaftslenker Marktgesetzlichkeiten ausschlossen. Ich meine schon, trotz aller Verweise auf Harbachs Schrift befinden Sie sich hier auf einem Holzwege. Viel spannender wäre die Frage, wie man ein „postkapitalistisches Marktgeschehen“ so regulieren kann, dass man nicht in eine Verteilungsdiktatur á la Kriegskommunismus hineinrutscht. Marx hilft da überhaupt nicht weiter. Und an Lösungsmechanismen für dieses Problem habe ich bislang wenig gefunden, was über esoterische Ansätze hinausgeht. Die x-te Marx-Exegese hilft da auch nicht weiter.

    • Lieber Herr Hayn, da Herr Richter anscheinend gerade anderweitig beschäftigt ist, erlaube ich mir eine Zwischenrede. – Einerseits stimme ich Ihrer Kritik zu und habe selbst schon vor Jahren in einer Publikation die Wirtschaft des „Realen Sozialismus“ als „Naturalwirtschaft“ bezeichnet. Andererseits hat Marx die angestrebte Gesellschaft doch recht präzise charakterisiert – an einer Stelle, die mir auch erst bei wiederholter Lektüre auffiel: „Stellen wir uns endlich, zur Abwechslung, einen Verein freier Menschen vor, die mit gemeinschaftlichen Produktionsmitteln arbeiten und ihre vielen individuellen Arbeitskräfte selbstbewußt als eine gesellschaftliche Arbeitskraft verausgaben“ (MEW Bd. 23, S. 92). Folglich sind auch die Produkte gesellschaftliches Produkt und müssen verteilt werden (soweit sie nicht wieder als Produktionsmittel dienen). Marx skizziert dann, wie das nach der geleisteten Arbeitszeit geschehen könnte, die auch als Kennwert für die Planung dienen würde. – Die Formen der Verteilung könnten also durchaus ähnlich sein wie bei der Warenproduktion, diese wäre aber aufgehoben, da die Güter von Anfang an Gemeineigentum und damit keine Waren mehr wären.

      Die neuere Geschichte hat gezeigt, dass aus der Herrschaft einer Kaderpartei kein „Verein freier Menschen“ hervorgehen kann. Die Wirtschaftsform dieser Epoche glich folglich nicht der schönen Zielvorstellung von Marx – sondern eher den „altasiatischen, antiken usw. Produktionsweisen“; hier „spielt die Verwandlung des Produkts in Ware, und daher das Dasein der Menschen als Warenproduzenten, eine untergeordnete Rolle, die jedoch um so bedeutender wird, je mehr die Gemeinwesen in das Stadium ihres Untergangs treten.“ (Ebd. S. 93) – Vielleicht hilft Ihnen diese (x+1)te Marx-Exegese etwas weiter?

    • Werner Richter sagt:

      Herr Hayn, Sie glauben gar nicht, wie dankbar wir Ihnen für Ihre offenen Worte sind. Das ist überhaupt nicht ironisch, sarkastisch, heuchlerisch und nicht mal konträr gemeint. Seit Monaten provozieren wir regelrecht genau diese Fragestellung, ohne Erfolg. Damit haben wir uns einen guten Ruf als Stänkerfritzen eingehandelt, jedoch keine inhaltliche Diskussion. Diese These von der „Marktlosen Gesellschaft“ ist die eigentliche Frage aller Marxkritik einschließlich der Marxverbesserungen, historischen Einordnungen bis hin zur salbungsvollen Beweihräucherung. Diesen „subversiven“ Interpretationen ist jedoch gemeinsam, nicht mit offenem Visier ausgetragen zu werden. Zur Klarheit in Bezug auf eine alternative Gesellschaft ist letztlich die Rolle des Wertes entscheidend, der der Warenproduktion zugrunde liegt. Um die von dort ausgehenden Widersprüche braucht es die Diskussion, Marktwirtschaft oder Wirtschaft ohne Markt.
      Das Thema ist jedoch hier im Blättchen nicht ausdiskutierbar, dem steht schon, durchaus zu Recht, die Redaktion entgegen. Dafür existiert die Website http://www.wirtschaftstheorie-forum.de, in der auch diese These unter denen Harbachs abgehandelt nachzulesen und zu diskutieren steht. Jeder kann dazu dort seine Meinung einbringen und eine Diskussion anregen. In Bälde, da bin ich mir sicher, wird ein Beitrag zur Begründung der Idee einer Gesellschaft ohne Markt eingebracht werden als Fortsetzung dieser Diskussion.
      Noch einige Anmerkungen.
      Es ist zweifelhaft, ob ich zu den Vielmarxlesern zu zählen bin. Bernhard Mankwald gehört auf jeden Fall dazu. Bei meinen schon menschenlebenlangen chaotischen Lesegewohnheiten, die nicht auf Systematik und Vollständigkeit, sondern auf Neugier und Zusammenhänge gerichtet sind, gilt dies eher nicht. Jedoch trifft das auf Heiner Harbach, der unbedingt zu den profundesten Marxkennern zählt, zu. Fast alle ökonomischen Arbeiten, historische wie aktuelle, sind ihm geläufig. Und er ist auch sehr tief in die Zusammenhänge eingedrungen, was man von den meisten Marx-Zitierern nicht unbedingt sagen kann. Oft ist viel Detailwissen vorhanden, die Problematik jedoch nur oberflächlich erfaßt.
      Marxens These ist seinem „Universalismus des Denkens“ (Heft 15 „Hobsbawm und die Ökonomie“) entsprungen, seiner Analysemethodik des Zusammenhanges Natur – Mensch – Gesellschaft, dabei die Ökonomiefrage einordnend. Sie ist nicht direkt dem „Manifest“ entgegenstellbar (auch Heft 15). Das bleibt den Marxablehnern und Sonntagspredigern vorbehalten. Märkte entstehen nicht aus der Verteilung, es sei denn, man hängt einer der vielen „modernen“, aber beliebigen Theorien an. Das genügt zum Holzweg.
      Viel Spaß auch mit dem „postkapitalistischen Marktgeschehen“, da braucht es keine Regulierung. Der dann noch vorhandene Wert mit seiner inneren Widersprüchlichkeit, verkrüppelt entwickelt infolge von Regulierungen, als Kretin in seinen Formen, wird uns dann den Marsch blasen. Es ist zu befürchten, ohne Marx geht gar nichts. Die Anzahl der gelesenen Marxschriften und der Wiederholungen ist nicht wichtig, die Erfassung derer Komplexität schon.
      Wenn Ihnen keine außeresoterischen Lösungsansätze begegnet sind, kann das auch an Ihrer Literatur liegen. Solche Ansätze sind in Realität und Theorie zu finden und die sind alles andere als Traumtänzereien. Hinweise darauf sind auch den Empfehlungen einiger Artikel und Beiträge zu entnehmen.

    • Werner Richter sagt:

      Verehrter Herr Hayn, es gibt noch von einigen interessanten Anmerkungen Heinrich Harbachs zu berichten, die nicht vorenthalten werden sollen.
      „Wenn sich daher jetzt herausstellt, dass es keinen unmittelbaren Übergang von den Formen der Warenproduktion zu denen direkter gesellschaftlicher Organisation und Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit gibt, sondern dass es Zwischenschritte und Mischformen geben wird, dann ist das doch kein Irrtum und keine Widerlegung von Marx.
      Im Gegenteil muss die Aufgabe ja gerade darin bestehen, diese Mischformen so erfolgreich zu gestalten, dass sie wirklich zu einer direkten, bedürfnisorientierten Produktion und Verteilung führen und nicht in einer „sozialistischen Wertformverwaltungsgesellschaft“ enden, wie z. B. die „sozialistische Marktwirtschaft“ oder der „Realsozialismus“.“
      „…der einzige, der im Dschungel der gesellschaftlichen Mischformen einen gangbaren Lösungsweg gefunden hat, ist Marx, weil er über das Wertgesetz sowohl den wissenschaftlichen Zusammenhang von (unbewussten und bewussten) Wert- und Warenformen hergestellt hat als auch den Weg ihrer Auflösung als historisch begrenzte Gesellschaftsformen.“
      „Vielleicht liegt Günter Hayn wirklich richtig und die marktlose Gesellschaft ist der Grundirrtum von Marx. Nur, Marx hat, im Gegensatz zu vielen seiner Zunftgenossen, den Zusammenhang von Natur, Gesellschaft und menschlichem Denken in seiner komplexen Totalität als Realität dargestellt. Er hat einen Gesamtzusammenhang als Prozeß wissenschaftlich nachgezeichnet, mit einer linearen Struktur, den man als „processing cmplexitiy“ charakterisieren kann.
      Diese wissenschaftliche Analyse eines kompletten Gesellschaftssystems, ist – obwohl unvollständig, weil selbst von einem Denkriesen wie Marx nicht allein zu schaffen – einmalig und bisher noch nicht wirklich widerlegt worden. Dass es seit 150 Jahren immer wieder Marxologen gibt, die Marx zum 100.000 Mal widerlegen oder totschlagen, ist doch der beste Beweis für die Lebendigkeit seiner Theorie. Das Hauptproblem, auch bei Hayn, ist doch, dass sie nicht wirklich wissen, was Warenproduktion und Marktwirtschaft als Formen der Arbeit für gesellschaftliche Strukturen herstellen. Sie setzen immer wieder als Antipoden zu den Wertformen die Naturalformen, weil, sie gesellschaftliche Formen der Arbeit nur als Wertformen kennen und zu fassen bekommen. Und dann bekämpfen sie den von ihnen geschaffenen Papiertiger als Konstrukt von Marx und widerlegen ihn als den Marschen Grundirrtum. Sie widerlegen sich nur selbst.
      Marx hat mit seiner Gesellschaftsanalyse der bürgerlichen Gesellschaft nachgewiesen, dass Wertformen und Warenproduktion historische, vorübergehende, gegenständliche Gesellschafts-formen sind, die durch direkte Formen gesellschaftlicher Vermittlung ersetzt werden. (Geld wird substituiert, digitale Netzwerktechnik.)
      Dass dieser Übergangsprozeß eine ganze Epoche gesellschaftlicher Veränderungen erfassen wird, ist spätestens im 20. Jahrhundert (fast) allen Menschen klar geworden.“
      Darüber zu sinnieren lohnt doch, oder?

  135. Theosebeios sagt:

    Unterhaltsam zu lesende Philippika, Herr Richter, aber bei Ihrer zweiten Frage muss ich doch den Finger heben. Den Sendeauftrag des ZDF übermitteln i.W. die Parteien des Bundestages. Auch die kritischen derselben finden es richtig, dass der Bürger zu diesem Zwecke mit einer Zwangsabgabe belegt wird. Ein führender SPD-Kopf nannte sie einst — auch unter dem Beifall der Linkspartei — „Demokratieabgabe“. Die zahle ich nun (zähneknirschend), freue mich ganz stoisch daran, dass man mich zum Konsum dessen, was ich bezahle, nicht zwingend kann. Wir sollten einfach auch das Positive an solchen Entwicklungen sehen.
    Übrigens braucht das ZDF zur Erfüllung seines Sendeauftrages keine Zuschauer. Das ist irgendwie auch wieder beruhigend, finde ich.

    • Werner Richter sagt:

      Naja, verehrter Theosebeios, so klar mit dem Auftrag scheint mir das nicht. Konnte bisher nicht eruieren, welcher Demos den Öffentlich Rechtlichen den Auftrag gab, mich mit meinem Geld zu veralbern. Es geht mir nicht ums Geldgeben an sich, ich gebe gerne, habe sowieso keines, das in dieser schönen Gesellschaft nennenswert wäre. Was an der Entwicklung auf diesem Sektor, hin zur eingebetteten Frontberichterstattung auf gesamter Breite bundesdeutscher Völkerbeglückungspolitik unter US-Puppenspielern, positiv sein könnte, bleibt mir ein Rätsel.

    • Theosebeios sagt:

      ÜBER DAS POSITIVE (Herrn Werner Richter zugeeignet)
      Das Positive sehe ich darin, dass die „eingebettete Frontberichterstattung“ unserer „Völkerbeglückungspolitik“ (u.v.a. die nach innen gerichtete) gut erkennbar wird, sodass auch geistig weniger Bewegliche hin u. wieder an so ein Gebilde wie „Staatsrundfunk“ denken mögen. Für den ganz offiziellen Staatsrundfunk zahle ich auch ohne Murren, denn das ist, was der Staat (wie eine Steuer) von mir verlangen kann.
      Für mich als Möchtegern-Stoiker ist „positiv“ eine klinische Kategorie. Bei einem Befund nennt der Diagnostiker „positiv“ das, was auffällt (u. das kann für den Betroffenen natürlich echt negativ sein). In meiner Branche hat man es manchmal mit „falsch Negativen“ zu tun, das sind z.B. Leute, die jemanden umbringen, obwohl der Fachmann meinte, dass der Begutachtete es nicht (wieder) tut. Ich selbst bevorzuge in solchen Fällen die „falsch Positiven“.
      Wenn Sie gerne Geld geben, ist das wirklich positiv (auffällig), u. ich sehe es gewiss nicht negativ, könnte Ihnen auch gerne meine Kto.-Nr. zukommen lassen, damit Sie evtl. mein schriftstellerisches Bestreben ein wenig sponsern. (Das BLÄTTCHEN zahlt ja nichts!) Man könnte das vielleicht „Kulturabgabe“ nennen. Im Unterschied zum ZDF, dieser Dünkel muss einem verkannten Möchtegern-Schriftsteller gestattet sein, glaube ich auch wirklich etwas zur abendländischen Kultur beizutragen.
      Mit besten Grüßen
      Theosebeios

  136. Werner Richter sagt:

    „Schöne harte Welt“ des ZDF ab 22.07.2015
    Sag mal ZDF, wie machst Du das? Deinen Sendeauftrag erfüllst Du immer besser. Wer gleich gibt Euch den? Zu bester Alibizeit sendest Du ätzende Kritik unserer Ausbeutung an Menschen armer Länder. Dazu hast Du Promis aufgefahren, halt Promis aus Deinem Stall. Wären sonst eher keine. Wie ist das mit deren Gagen, haben die nicht einen Werbewirksamkeitsfaktor? Je mehr im Fernsehen desto höher? Bei 4 Teilen muß der aber steigen, oder? Treten da Akteure auf, die auch mit Werbung inkriminierter Waren Knete machen, oder gibt es da eine Schamgrenze? Jedenfalls rackern sich die Leutchen mühsam ab, fast so wie im Dschungelcamp, erweitert um eine sozialkritische Seite. Wie lang hielten sie durch in Gewißheit zeitlicher Begrenzung? Betroffenheit zeigen sie ja, fast so gut wie Beckmann in Griechenland an richtiger Stelle. Sind schließlich Schauspieler. Beeindruckend. Auch ihre und Eure Botschaft: Weil ihr immer so billige Sachen haben wollt und die einige von euch so produzieren lassen, geht es denen dreckig. Also, kauft was Abständiges zu höherem Preis, auch wenn die genauso hergestellt werden, und das Problem ist gelöst, ihr Unmenschen. Läuft das unter Werbung mit Antiwerbung? Aber hauptsächlich wurde der Gruselaspekt bedient, zumindest im 1. Teil. Hätte man auch leichter haben können, siehe vorheriger Beitrag zu den „Erntehelfern“, nicht „Ostarbeiter“ oder „Arbeitsdienstler“, das war mal, bei der Erdbeerernte in Niedersachsen. Darjeeling ist jedoch viel exotischer. Man hätte auch vor 50 Jahren die Arbeit in „Knochenmühlen“ filmen können, die reine Muskelarbeit, den ohrenbetäubenden Lärm, der stete Dreck auch in der Luft, die giftigen Gase, die Gefahr herabstürzender Teile, die wahnsinnige Hitze, aber damals gab es die Fernseh-Technik noch nicht. Aber die Arbeiter, von denen nur wenige einigermaßen alt wurden. Jetzt sind eben die Exoten dran.
    So einfach kann man sich die Welt zurechtlegen, plausibel aber eigentlich nichts sagend. Man benennt die Schuldigen, jedenfalls die auserwählten, sammelt nickende Zustimmung durch Einkratzen und Schelte, wird so für politisch und medial Bestimmende immer wertvoller und relativiert die Schuld der aktiv handelnden Kapitalvertreter bzw. nimmt sie aus der Schußlinie. Alle sind schuld, sagt ja auch die Bibel. So kann man die Systemzusammenhänge in der Mottenkiste lassen. Moment, so ginge es doch auch mit anderen Waren, Lebensmittel, Autos, Urlaubsreisen, Gesundheitswesen, Pflege usw. Weil wir das billigste Fleisch kaufen, müssen die Produzenten effektiver gezüchtete Rassen, die nur noch rumliegen und wachsen müssen, weil sie nicht mehr stehen und laufen können, in kleinen Buchten und in immer größeren Zahl zusammenpferchen, auf ihre Schlachtung wartend. Die armen Agrarindustriellen. Ach ja, läuft ja schon. So hat man zusätzlich eine Basis, z.B. die Wirtschaft anhand der Börsenkurse oder auch der Kasinoumsätze zu erläutern. Läuft bestens.
    Habe übrigens noch nie einen Käufer im Supermarkt erlebt, der billigeres Fleisch einforderte. Muß wohl immer zu anderen Zeiten einkaufen.
    Könnt Ihr die Protagonisten auf diese Betrachtung aufmerksam machen, wer macht gleiches mit dem ZDF? So nach dem alten Seemannsbrauch: Ein jeder weckt den Nebenmann, der erste stößt sich selber an.
    Ich bin kein Star, laßt mich zu Hause.

  137. Rotspoon sagt:

    Was Gott, Shakespeare, Varoufakis und Schütt betrifft: Weder der Erstere, noch der große Unbekannte mit dem Pseudonym aus England und auch Yanis Veroufakis aus dem Land der Griechen haben alle zusammen jemals so viele Worte gemacht, wie der Wortspieler aus Berlin vormals in Junge Weld und seit dem in Nerues Deutschland Zeit seines Lebens sinnlos verschwendet hat

  138. Rotspoon sagt:

    Zu Gysi X-0 am Krankenbett
    Mich deucht, der Kapitalismus liegt nicht im Krankenbett und hat auch noch nie in selbigem gelegen. Der Kapitalismus ist nicht von Fleisch und Blut und überhaupt in keiner Weise gegenständlich. Der Kapitalismus ist lediglich ein Begriff, ein Begreifen also, unser aller jetzigen Produktions- und wenn es hoch kommt Lebensweise und das ist mehr und etwas ganz anderes als ein „System“, das mensch wechseln könnte wie ein Hemd. Was alledings im argen liegt und das schon seit längerem, ist die Art und Weise, wie derzeitdie Politiker im Dienste der seit längerem Herrschenden mit unsereinem und der Welt umgehen. Hier setzt also Gysi an mit seinen Bielefelder Gedankenspielen und es würde möglicherweise etwas bringen, wenn unsere deutschen Politiker überhaupt mal etwas bringen würden. Es ist aber höchst putzig, mit anzusehen, wie die Politiker der LINKEN, die Politikerinnen derselben selbstverständlich immer mitgedacht, VERSPRECHEN, an einer Änderung des „Systems“, was immer daa auch sein soll, aufs Trefflichste MITZUWIRKEN. falls das Volk sie mit seinen Stimmen mal in die Regierungsverantwortung hieven sollte.

  139. Horst Kerber sagt:

    Ich lese regelmäßig die ausgewählten Beiträge aus der Weltbühne von „Vor 90 jahren“, sie sind meist sehr aufschlussreich.
    Interessant auch der Artikel in dieser aktuellen Ausgabe. Wenn ich bedenke, dass Autor Grabowsky laut Wikipedia ein konservativer Politikwissenschaftler war, ist sein Respekt vor der auf streng hierarchischer Führerschaft der Ordensgemeinschaft der russischen Kommunisten bemerkenswert. Am Ende seines Beitrags wünscht Grabowsky Westeuropa ähnlich starke Führer wie jene in Moskau. An jene, die dann Deutschland ins Verderben stürzten, hatte er dabei wohl nicht gedacht. Vielleicht ist ihm aber manche Gemeinsamkeit aufgefallen.

  140. Jürgen Scherer sagt:

    Eine m.E. gute und realistische Einschätzung der derzeitigen Lage in Griechenland liefert Nils Kadritzke auf den nds – lesenswert:
    http://www.nachdenkseiten.de/?p=26857#more-26857

  141. HWK sagt:

    Geschätzter Herr Mankwald,
    gerade der Blick auf das Schicksal besagten Präzedenzfalls sollte doch eigentlich genügen, die letztendliche Aussichtslosigkeit des „Sozialismus in einem Land“ zu erinnern.
    Vielleicht gelingt es Ihnen ja, für den Casus Griechenland ein erfolgversprechenderes Szenario zu beschreiben? Das könnte dann einer jener „interessanten Beiträge“ sein, die Sie sich ja wünschen.

    • Geschätzter (-e? -s?) HWK, Sie wünschen von mir „ein erfolgversprechenderes Szenario“. Allerdings hatte ich nicht den Eindruck, dass Sie sich von dem Vorschlag, den Sie für die Leserschaft zusammengefasst haben, irgend einen Erfolg versprechen – eher wollten Sie der scheinbar unausweichlichen Unerbittlichkeit „drakonischer“ Gesetze mitsamt ihrer Schuldsklaverei wenigstens eine Groteske entgegensetzen. Drakon war ja der Politiker, der die erste historisch überlieferte Schuldenkrise in Griechenland mit noch brutaleren Mitteln bekämpfte als bisher Frau Merkel und Herr Schäuble; der Wettkampf dauert an. Wichtig ist mir die Frage, unter welchen Bedingungen der Leninismus in Russland 1917 scheinbar funktioniert hat, in Griechenland knapp 100 Jahre später aber wohl kaum anwendbar ist.

      Ob ich „interessante Beiträge“ nicht nur wünsche, sondern auch selbst schon geleistet habe, können Sie unschwer mithilfe der vorzüglichen Suchfunktion des „Blättchens“ beurteilen. Erwähnenswert scheint mir da folgender Artikel, in dem ich beschreibe, was Lenin sich und seiner Bewegung mit dem von mir in der ersten Replik skizzierten Vorgehen aufgebürdet hat:
      http://das-blaettchen.de/2013/05/engels-und-der-oktober-25065.html .

      Zum „Sozialismus in einem Land“ habe ich vor Jahren einmal etwas veröffentlicht; Zitat folgt auf Rücksicht auf eilige Leser(innen) am Schluss. – Vielen Dank noch für Ihre anregenden Einwände!

      „Die Rolle, die die Doktrin für den Aufbau der Sowjetunion spielte, wird deutlich an Stalins These vom S o z i a l i s m u s i n e i n e m L a n d.
      Unter den Bolschewiki hatte Einigkeit darüber bestanden, daß ihre Machtergreifung nur als Auftakt der erwarteten europäischen Revolution sinnvoll sein konnte, und daß ihre Macht sich ohne Unterstützung von außen nur für begrenzte Zeit halten würde. Auch Stalin hatte noch 1924 eine ähnliche Ansicht vertreten; wenige Monate später behauptete er im Gegensatz dazu, der Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft sei auch in einem einzelnen auf sich gestellten Land möglich.
      Von einer materialistischen Geschichtsauffassung nahm Stalin damit endgültig Abschied; aus ökonomischer Sicht gab es ja keine Gründe, warum ausgerechnet ein rückständiges Land mit kümmerlicher Industrie wie die Sowjetunion eine besonders fortschrittliche Gesellschaftsordnung entwickeln sollte. Gerade deshalb war die Parole vom ‚Aufbau des Sozialismus‘ die ideale Losung, unter der sich die neue bürokratische Klasse formieren konnte; gab sie ihr doch nicht nur ein Ziel, sondern auch eine Legitimation für ihre Herrschaft.
      Im Nachhinein wirkt diese Legitimation allerdings äußerst fadenscheinig. Die Politik der Bolschewiki hat nicht zu einer wie immer gearteten sozialistischen Gesellschaft geführt, sondern diente mit ihrer gewaltsamen Industrialisierung des Landes nur als Vorspiel für die Einführung eines hemmungslosen Kapitalismus. Das ‚Volkseigentum‘ an den Produktionsmitteln blieb stets bloße Floskel; das Volk hätte sich sonst sein angebliches Eigentum nach dem Ende des ‚realen Sozialismus‘ nicht so einfach wegnehmen lassen. Stalins These setzte sich also nicht wegen ihres Wahrheitsgehalts durch, der nüchternen Beurteilern der Lage schon damals äußerst fraglich erscheinen mußte, sondern wegen ihres pragmatischen Nutzens.“
      (Mankwald, Bernhard: Die Diktatur der Sekretäre. Norderstedt 2006, S. 149f)

  142. Werner Richter sagt:

    Was hat nun Tsipras falsch gemacht, beschäftigt uns ungemein. Daß Varoufakis in seiner Unverschämtheit die falschen Socken trug, ist klar. Aber Tsipras? Ja, was wohl? Was kann ein Mensch tun, den drei Verhandlungspartner im Griff haben und ihm die Gurgel zudrücken? Logisch ist, da er nicht mehr atmen oder sprechen kann, keinesfalls mit den Augenlidern klimpern, das könnte Zustimmung bedeuten. Also fällt er in Ohnmacht. Das sagte er hinterher. Jetzt macht er Reformen, welch Euphemismus. Irgendetwas irritiert jetzt. Vor einiger Zeit schrieb uns Börsenheiland Dirk Müller ins Buch: Folgt nicht den Darstellungen von Politik, Finanzhaien und Medien, denkt selbst. Über die Brüsseler Verhandlungen erfuhren wir nur die Ansicht der Gegenseite in einfachsten Worten: die griechische Regierung ist bockig, unverschämt, ungezogen, undankbar, gegen die Interessen des Volkes egoistisch und bringe immer wieder Vorschläge von gestern, die inakzeptabel seien. Nicht ein einziges Mal erfuhren wir den Inhalt der griechischen Vorschläge, warum wohl? Vielleicht hätten dann viele gemeint, hört sich doch gut an. Also blieb nur, uns nach weißem Sand zu schicken. Und wir suchen diesen an griechischen Stränden. Müller sagte uns auch, wenn wir das Gegenteil von den Erläuterungen annehmen, liegen wir näher an der Wahrheit. Das nennt man dann zwar Verschwörungstheorie, aber die ist immer noch besser als die offizielle Desinformation. Der Abqualifikation zur Verschwörungstheorie dient ja die geübte Einseitigkeit, die das Wesentliche verschweigt. Hier wird die übelriechende Informationspolitik in ihrer ganzen Schönheit entfaltet, labt euch, diskutiert Tsipras Versagen, genau auf der vorgelegten Spur. Verheddert euch nicht in Verschwörungstheorien, die bringen nichts. Wenn ich einer solchen anhängen würde, stieße mir die Frage auf, wozu hat man Tsipras vergattert, welche Notfallpläne legte man ihm vor? Reichte schon die finanzielle Erpressung? Das Verhalten beider und Tsipras Erklärung am Folgetag lassen erstere Annahme auch zu. Spinnerei? Sagte man auch zu Ramboulli, und doch war es so. Hatten Tsipras & Varoufakis tatsächlich nur gepokert und hatten für den Fall des EU-Neins kein wirtschaftliches Lösungsprogramm? Kann ich mir nach dem Ablauf einfach nicht vorstellen, dazu waren sie sich zu sicher. Allerdings kann man sich durchaus vorstellen, eine Offenlegung von Nato-Plänen zur Verhinderung einer „weichen“ Südflanke, ein „Prometheus II“, wäre unwiderstehlich. Verhandlungen im eigentlichen Sinne wären passee und das kam auch raus. Das können die Protagonisten doch gar nicht, so leutselig die stets abwiegeln! Sowas trauen wir einem von unsinnig schwarzer Null Träumenden, dem zu widersprechen gefährlich sein kann, einer offensichtlich zu Empathie unfähigen (siehe dazu auch Ostsee-Zeitung vom 16.07.15), weil wohl schmerzunempfindlichen (?) Matrone, der man bei bekannter Physionomie, die fataler Weise meist als freundlich und harmlos mißverstanden wird, einen Satz wie: Um Ihnen das jämmerliche Dasein auf Erden zu ersparen, werden Sie jetzt nach draußen geführt und exekutiert – Bitten Sie den nächsten herein!, zutrauen könnte, einem schon mal als Gefangenenlager-Kapo eingestuften Autokraten (Berlusconi) oder einem ausgewichsten Finanzgangsterboß, nicht zu? Das Verbrechen hat oft ein harmloses Antlitz und an Griechenland geschieht das Verbrechen. Verrückt? Das waren die Verschwörungstheorien zu 9/11, Naher Osten, Ukraine, NSU u.a. auch. Sie kamen jedoch der Wahrheit immer näher, trotz Diffamierung auf Basis der Nichtinformation.

  143. Helge Jürgs sagt:

    China müsse bei seiner Beschneidung der Freiheitsrechte aufpassen, dass es nicht zu weit gehe, „so dass die Gesellschaft keine Luft mehr zum Atmen hat“, hat Vizekanzler Gabriel in einer Rede in der Großen Halle des Volkes doziert „Der Einzelne braucht Freiräume.“ Das ist nun freilich nicht verkehrt und in China gewiss auch zu sagen angebracht. Nur wäre diese Einlassung freilich auch ein wenig glaubwürdiger, vernähme man solches von Gabriel und Co. auch maletwa in Riad. Es wäre doch toll, wenn die saudiarabischen Freiheitsrechte dank deutlicher Appelle und ggf. zwischenstaatlicher Konsequenzen wenigstens auf das Niveau der chinesischen kommen könnte.
    Helge Jürgs

  144. HWK sagt:

    Für eine Lösung im Interesse der Bevölkerung, so lässt die KKE (die Kommunistische Partei Griechenlands) wissen, »braucht es einen tatsächlichen Bruch, der nichts mit der Karikatur eines Bruches zu tun hat, wie sie von verschiedenen Kräften innerhalb und außerhalb von Syriza vorgeschlagen wird, die als Lösung ein kapitalistisches Griechenland der Drachme propagieren«. D i e K K E w i r b t f ü r e i n e M a c h t ü b e r n a h m e d e r A r b e i t e r k l a s s e u n d d i e ü b e r g a n g s l o s e H e r s t e l l u n g s o z i a l i s t i s c h e r V e r h ä l t i s s e.
    Sieht man einmal davon ab, dass keine Klasse in Griechenland so bedeutungslos ist wie die Arbeiterklasse, haben wir es hier wohl neuerlich mit jener fundfamentalistisch linken Phantasmagorie zu tun, bei der allein das Wollen den Gang der Dinge zu bestimmen hat; im Kontrast zum marxistischen Credo bestimmt dann das Bewusstsein das Sein, man muss halt nur ganz toll wollen. Als wenn der Zusammenbrcuh des Realsozialismus nicht belegt hätte, dass letztlich immer die Grundrechenarten gegen die Ideologie obsiegen.
    Immerhin: Kim Jong Un würde sich bei einen übergangslosen Sieg des Sozialismus in Griechenland jedenfalls darüber freuen können, mit seinem wirklichen und wahren Sozialismus nicht mehr so allein auf Erden zu sein.
    HWK

    • Sozialismus sofort? Zum Diskussionsbeitrag von „HWK“ – Der Kommentator scheint sich selbst nicht ganz sicher zu sein, ob das abstruse Projekt nicht doch eine Erfolgschance hat. In der Tat gibt es einen historischen Präzedenzfall:

      Eine straff organisierte Gruppe von Intellektuellen beschließt, dass sie die Interessen der Arbeiter vertritt – und zwar besser als diese selbst, die wegen ihrer fehlenden Bildung nicht genau wissen können, was für sie gut ist. Da in ihrem Land die Arbeiterklasse nicht gerade eine Hauptrolle auf der politischen Bühne spielt, beschließt sie ferner, dass sie die ärmeren Bauern – also den überwiegenden Teil – gleich mit vertreten kann. Die andern Arbeiterparteien (deren Existenz etwa für Marx selbstverständlich war) mobbt sie aus den Räten und verbietet sie schließlich, die frei gewählte Verfassunggebende Versammlung treibt sie auseinander. Und damit ist der „Sozialismus“ nach ihrer Auffassung tatsächlich in gewissem Sinne übergangslos eingeführt – auch wenn er dann unter größten Opfern der vorgeblich herrschenden Klassen noch mühsam aufgebaut – oder wenigstens der Versuch vorgetäuscht – werden muss…

      „Fundamentalistisch linke Phantasmagorie“ ist eine recht weitschweifige Bezeichnung für diese Praxis; kürzer und treffender scheint mir das Wort „Leninismus“. Und diese Ideologie beeinflusst weiterhin nicht nur ferne Länder wie Griechenland und Nordkorea, sondern auch Deutschland; und hier nicht nur diverse Publikationen, Verlage und Splitterparteien, sondern auch jene Partei, die zwar nur die drittgrößte Fraktion im Bundestag hat, aber dafür mit Abstand die meisten Großbuchstaben im Namen führt. – Wäre das nicht auch ein schönes Thema für weitere interessante Beiträge?

  145. Zitator sagt:

    Die Bundesregierung hat an einem einzigen Wochenende siebzig Jahre Nachkriegsdiplomatie zunichte gemacht. Der Vorschlag eines vorübergehenden Austritts von Griechenland
    als Druckmittel während des Marathongipfels vom Wochenende war am Ende der Hebel für eine Kapitulation Griechenlands. Wolfgang Schäubles Taktik hatte einen großen Sieg errungen – ganz im Sinne von Carl von Clausewitz, der die Diplomatie als die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln verstand.
    Was am Wochenende in Brüssel passierte, war die Rückkehr Europas zurück zu Machtgefügen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, in denen der Stärkere dem Schwächeren seinen Willen aufzwang. Es war nebenbei auch der Anfang vom Ende der Währungsunion. Sie ist zu einem festen System mit gemeinsamem Zahlungsmittel und ohne gemeinsamer Politik degradiert.
    Wolfgang Münchau bei Spiegel-online,
    komplett unter http://www.spiegel.de/wirtschaft/wolfgang-schaeubles-diplomatie-ist-rueckfall-in-alte-zeit-kolumne-a-1043404.html

  146. Jürgen Scherer sagt:

    Ein bedenkenswerter Artikel, Herr Hayn, auf den Sie da aufmerksam gemacht haben.
    Aber ich denke, dass Storz es sich zu leicht macht mit seiner Sicht der Dinge. Z.B. wissen wir nicht, weshalb Syriza sich mit den Rechtspopulisten Griechenlands verbündet hat. Können aber vermuten, dass es wohlerwogene taktische Überlegungen waren, um z.B. den rechten Mob unter Kontrolle zu bringen, noch größere gesellschaftliche Verwerfungen zu vermeiden. Allein dies muss noch kein Grund sein, Solidarität mit Syriza infrage zu stellen. Wenn auch kritische Solidarität angebracht sein mag. Da gebe ich Storz Recht. Aber den nicht vermeidbaren Beifall von der falschen Seite als mögliches Hindernis zu sehen, europakritisch zu agieren, halte ich für eine falsche Sichtweise. Zumal gerade Tsipras immer wieder betont hat und betont, dass es ihm um ganz Europa gehe, um den Verbleib im europäischen Verbund – mit europäischen (sic!) Werten. Letztlich wurde er in die Enge getrieben und hatte vermutlich keine andere Wahl, als die nationale Karte auszuspielen, nolens volens sozusagen, kein wie auch immer unterstellter „nationaler Furor“. Dass auf einen solchen Zug die Le Pens dieser Welt aufspringen ist nicht verwunderlich und muss im dargestellten Zusammenhang gesehen werden. Und wer kann es den tatsächlich wie Schuljungs behandelten Unterhändlern verdenken, wenn sie das fühlen, was sie fühlen sollten und dann auch noch aussprechen: Wir werden nicht für voll genommen, werden gedemütigt. Unser Anliegen und das unseres Volkes wird nicht ernst genommen. Wir sollen in die Ecke gestellt werden! Den Ausspruch von Varoufakis in einer Linie zu sehen mit der permanenten Hetze in deutschen Medien ist, bei aller Kritik an Vs Äußerung, so nicht gerechtfertigt. V ist vermutlich der Kragen geplatzt, während bei den deutschen Mainstreammedien und der tonangebenden Bztg. Systematik zu erkennen ist. Von V da den kühleren Kopf zu verlangen mag gerechtfertigt sein. Aber immer cool bleiben, wenn man das „rücksichtslose Vorgehen“ = Terror der bestimmenden Politiker*innen und Institutionen erlebt, ist schwer. Dennoch bleibt richtig „Krieg wird mit Worten vorbereitet“ und das sollten gerade Politiker*innen wissen.
    Was also tun?
    Vor Solidarität nicht zurückschrecken, nur weil es auch welche von der falschen Seite geben könnte. Solidarität nicht so mir nichts dir nichts „uneingeschränkt“ aussprechen,
    vielmehr differenzierend = kritisch leisten. Keine „Nibelungentreue“ also. In diesem Sinne stimme ich Storz zu.
    Aus der Geschichte Lehren zu ziehen ist nicht einfach. Aber vielleicht helfen ja solche Überlegungen wie die von Storz im Umgang mit der und in der PODEMOS.

  147. Jürgen Scherer sagt:

    Zu Th:Staatsvolk/9.Juli2015:13:06
    Tut mir leid; das hätte nicht passieren dürfen – mea culpa!

  148. Günter Hayn sagt:

    Ich finde diesen Kommentar mehr als nachdenkenswert!

    http://www.neues-deutschland.de/artikel/977341.weniger-solidaritaet-bitte.html

    Bei aller Sympathie für das „Prinzip Hoffnung“ – gerade links denkende Menschen sollten sehr genau hinsehen!

  149. Theosebeios sagt:

    Jetzt hat uns (bzw. vielen von uns) MELY KIYAK aber kräftig die Leviten gelesen!
    Tatsächlich ist das alles aber ein alter Hut, über den man schon bei gestandenen Männern wie Reich und Borneman Profundes studieren kann. Mich bewegt bei solchen flammenden hedonistischen Plädoyers immer die Frage, wie eigentlich begründet wird, dass die (sexuelle) Lust und die Parole, ihr möglichst schnurstracks zu folgen, für das menschliche Leben etwas Gutes sein sollen? Schon W. Reich hat den Nachweis nie erbracht, dass seine „entpanzerten“, sexuell befreiten und auf die Ehe pfeifenden Anhänger ein gutes freies schönes Leben geführt hätten. Auch Reichs Liebensleben scheint im Rahmen häufig wechselnder Partnerschaften problematisch gewesen zu sein — nun gut, er fühlte sich ständig verfolgt, was wenigstens teilweise zutraf. Und von E. Borneman ganz zu schweigen. Hatte ein echt trauriges Schicksal mit seiner Lustverfolgung.
    Aber vielleicht meint Kiyak, falls sie diese Texte kennt, das seien ja Männer, die könnten sowieso nicht frei sein. Dann wäre ich entwaffnet.

  150. Jürgen Scherer sagt:

    Da geht mit Ihnen wohl der Gaul durch, Herr Theosebeios! Ich schreibe bewusst Bevölkerung und nicht Staatsvolk, denn zur Bevölkerung gehören eben mehr Menschen als zum von Ihnen wohl „reinrassig“ gemeinten „Staatsvolk“. Auch schreibe ich mit keinem Wort, dass T. die Verantwortung für das Desaster übernimmt, das die Kapitalisten in Griechenland den dortigen Menschen im Laufe von Jahrzehnten bereitet haben. Ich ermuntere T. lediglich, die Hybris des „Imperiums“ nicht länger zu erdulden, geschweige denn die Bevölkerung in G.darunter leiden zu lassen. Ich halte es unter den vom „Imperium“ gewollten „Sachzwängen“ und „Alternativlosigkeiten“ für würdevoller die Zwickmühle zu verlassen statt in ihr zu verharren und wie das Kaninchen auf die Schlange zu starren und so bewegungslos zu bleiben. Nationalismus ist eher nicht mein Ding!

    • Theosebeios sagt:

      Herr Scherer, jetzt enttäuschen Sie mich aber! Zum Begriff „Staatsvolk“ bitte mal einen Blick in Wikipedia werfen: https://de.wikipedia.org/wiki/Staatsvolk
      „Nationalismus ist eher nicht mein Ding!“
      Danke für die Richtigstellung, denn ich hatte Ihren Vorschlag tatsächlich „nationalistisch“ verstanden! (Zitat: „Ich kappe hiermit das Tau und begebe mich mit meinem Volk lieber selbst in schwere See …“ [Das klingt sogar nach Moses!])

  151. Theosebeios sagt:

    Endlich ein hellenophiler Kommentator, der die Prämisse akzeptiert, dass ein Staatsvolk Verantwortung für die Sünden der Vergangenheit übernehmen müsse. Zugabe, Herr Scherer! Herr T. ist zweifellos Vertreter und Handlungsbevollmächtigter seines Staatsvolkes, aber: „einer gedemütigten Bevölkerung“? Mit dieser Formulierung bestätigte er erneut die bequeme Opferrolle, mit der sich viele Griechen offenbar arrangieren.
    Demnächst behauptet noch jemand — oder tat es bereits einer? –, G. sei der Schuldenberg nur aufgezwungen worden. Ohne das „Imperium“, dem einzugemeinden man sich seinerzeit allerdings heftig aufgedrängt hatte, lebte das Land noch glücklich, solidarisch, schuldenfrei und mit zahlreichen zufriedenen Frührentnern!
    Theosebeios (vor vielen Jahren Kritiker der Griechen in Ephesos)

    • Werner Richter sagt:

      Schauen Sie sich doch bitte mal die EU-Statistiken des tatsächlichen Renteneintrittsalters an. Sie werden zwischen der Bundesrepublik und Griechenland einen Unterschied von e i n e m Jahr entdecken, welch gewaltige Differenz. Die „Frührentner“ sind ein Propagandatrick zur Diffamierung, sie sind nur im öffentlichen Dienst (noch) anzutreffen als Folge des Korruptionsystems früherer Zeiten. Der jetzigen Regierung wird gar keine Zeit gelassen, ein rechtlich passable Normalisierung, Gesetze wurden erlassen, durchzuführen, es wird sogar von EU gestört. Diesen Kakao würde ich nicht auch noch trinken. Auch der nationalistische Unterton ist recht bedenklich, Ossietzky würde sich im Grabe umdrehen.

  152. Jürgen Scherer sagt:

    Zu Ausgabe 14/2015, Artikel Crome, S7 ff
    Sehr geehrter Herr Crome!
    In der Beschreibung der „Griechischen Tragödie“ sprechen Sie mir aus dem Herzen. Nun hat ja eine Tragödie bekanntlich 5 Akte. Und die Frage ist, in welchem Akt befinden wir uns derzeit; nach dem fulminanten OXI der griechischen Bevölkerung? Muss sie den tragödialen Verlauf nehmen, den die kanonisierte Dichtung vorschreibt oder kann der bevorstehende Showdown verhindert werden? Weniges spricht dafür. Wieso? Weil der mächtige Kontrahent des griechischen Zwerges, das Imperium, auf einem nahezu unbeweglichen Tanker mit voller Fahrt und ohne Zweifel an sich selbst geneigt scheint, das griechische Beiboot aus prinzipiellen Gründen aufzugeben. Zwar gibt es innerhalb des Imperiums Meinungsverschiedenheiten darüber, wer das Tau kappen soll, aber Einigkeit besteht in der Auffassung: Das Imperium schlägt zurück! Und so wird schon am Tag der erfolgreichen Verteidigung europäischer Werte, wie Würde, Anstand, Recht auf Solidarität von der Hauptvertreterin des Imperiums süffisant vermerkt: Das sei ja alles schön und gut, was der kleine David da wolle, aber Goliath sehe das anders. Der bisherige Kurs des Imperiumstankers sei alternativlos. Da müsse der kleine David schon einiges auf den Tisch legen, wenn am Kurs etwas geändert werden solle, was aber äußerst unwahrscheinlich sei. Wenn der kleine David gut zugehört hat, müsste er eigentlich seine Schleuder nehmen und sie mit einem ganz besonderen Stein munitionieren, statt sich weiterhin im Imperiumsnetz zu verheddern. Diesen Stein müsste er vom Beiboot in die Kapitänskajüte des Imperiumstankers schleudern, eingewickelt in ein Blatt Papier folgenden Inhalts:“ Ich David, Vertreter einer gedemütigten Bevölkerung, bin nicht länger bereit, den Anweisungen des Imperiums zu folgen. Ich kappe hiermit das Tau und begebe mich mit meinem Volk lieber selbst in schwere See als hinein gestoßen zu werden. Wir wissen nicht, mit welchen Turbulenzen wir zu rechnen haben. Aber als alte Seefahrernation wollen wir lieber unseren Kurs selbst bestimmen, als alternativlos versenkt zu werden!“ Mit dieser Entscheidung wäre der gedachte Verlauf der Tragödie unterbrochen. Ob damit eine neue begönne wissen, wir nicht. Aber vielleicht käme es auch zu weiteren Beibootrevolten und der Tanker würde irgendwann seinen Kurs korrigieren müssen, wenn er nicht kentern wollte.
    Freundliche Grüße
    Jürgen Scherer

  153. wolfgangbr sagt:

    Liebe Griechenland-Diskutanten!
    Jetzt habe ich viele Tage lang Ihre anregenden und streitbaren Beiträge gelesen und diesen – immer bemüht keinen zu übersehen – versucht den Weg in die Öffentlichkeit zu bahnen — und nun? Nun hat das griechische Volk sein OXI gesprochen… Und nun ist Schweigen. Oder doch nicht? Ich meine schon, diese Schelle wird „der Westen“ nicht so leicht hinnehmen. Was nun? Wo bleiben jetzt die tiefschürfenden Analysen und Prognosen? Sie sind doch wichtiger denn je!
    Ihr
    Wolfgang Brauer

    • Stephan Wohanka sagt:

      Lieber Herr Brauer,

      ich will mich Ihrem Appell stellen. Dann bin ich im Urlaub…
      Allenthalben ist so oder ähnlich zu hören, dass es für G. „nur eine politische Lösung gibt, das heißt nicht die Beamten und Bürokraten von EU und IWF dürfen die Entscheidungen treffen, sondern das muss die Politik tun“.
      Gar nicht oder nur selten wird dann ausgeführt, was aus diesem Euphemismus folgen sollte. Bringe ich es auf den Punkt, so heißt das: Unter den m o m e n t a n obwaltenden Bedingungen müsste „die Politik“ Regeln brechen – oder aber grundlegend verändern! Wobei ersteres bekanntlich nichts Neues wäre!
      Ich will meine Auffassung begründen. Wie schon einmal geschrieben, ist die EU eine Mischung aus Politik und „Technik“; sie ist ein politisches Konstrukt, welches erst durch technische und juristische Verfahren funktionsfähig ist. Diese technische Seite wurde von vielen EU-Ländern unterlaufen – vor allem, was die Verschuldungskriterien angeht; Deutschland war führend dabei. Es waren jeweils politische Entscheidungen, diese Verstöße zu tolerieren. Ich meine, dass es auch bezüglich G.s diese Toleranz gibt, wenn man beispielsweise an die ELA-Kredite denkt: „Die mit ELA verbundenen Restrisiken sind tendenziell höher als die in regulären geldpolitischen Operationen“ (EZB). Verharrte die „Politik“ aber grundsätzlich weiterhin auf d i e s e m „technisch-juristischen“ Rahmen, um die Krise um G. zu meistern, setzte sich das Gezerre „Kredite gegen Reformen“ vulgo Kürzungen von vor dem Referendum nur fort… Denn es ist so, dass mit der „Scheitert der Euro, scheitert Europa“-Kanzlerin das Wesen des Europäischen weitgehend auf die Währung Euro, oder breiter – auf eine merkantile Interessengemeinschaft mit freien Wettbewerb – reduziert ist.
      Ein daher notweniges Verlassen des gültigen Rahmens – nicht nur, um G. zu befrieden, sondern um die EU „anders“, ja auch „besser“ zu machen – mündete in einen n e u e n Rahmen, d. h. anderer technisch-juristischer Verfahrensweisen. Dem „neue Rahmen“ läge aber ein g r u n d l e g e n d e s Umdenken zugrunde! Das wesentliche Element dieses Umdenkens hätte eine Neufassung des Begriffes „europäische Solidarität“ zur Grundlage, denn auch jetzt behaupten die „Technokraten“, mit G. und den anderen Ländern in Schwierigkeiten solidarisch zu sein: Hilfe gegen Reformen. Um es mit dem Soziologen Alfred Vierkandt zu sagen, diese andere, neue Solidarität wäre „die Gesinnung einer Gemeinschaft mit starker innerer Verbundenheit“. Eine so verstandene Solidarität „ist das Zusammengehörigkeitsgefühl, das praktisch“ werden muss; sie impliziert Mitmenschlichkeit. Diese Solidarität stünde so gegen massive Re-Nationalisierungstendenzen, die das gegenwärtige Bild der EU prägen. Das berüchtigte „no bail out“ wäre damit „out“! Es käme zur (teilweisen) „Vergemeinschaftung“ von Schulden der Euro-Länder. Europa brauchte darüber hinaus eine Demokratieoffensive, hier ein anderes Thema.

      Dieser Solidaritätsgedanke müsste bei der Neufassung finanzpolitischer Instrumente eine erhebliche Rolle spielen! Diese im Einzelnen zu konzipieren – dafür bedarf fachmännischer Kompetenz, die ich nicht habe. Es sind jedoch schon Begriffe im Raum, die Richtungen andeuten: Eurobonds z. B. Bei dieser gemeinsamen Anleihe würden alle Euro-Länder dieselben Zinssätze zahlen. Da Länder mit höchster Bonität wie Deutschland für die Euro-Bonds bürgen würden, würden die Zinsen für Länder wie G. deutlich sinken. Trotz der zum Teil extremen wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den beteiligten Ländern dürfte der Markt für Euro-Bonds schon allein wegen seiner Größe für Investoren interessant sein.
      Da das alles einigermaßen schnell gehen müsste und mit deutlichen Souveränitätseinbußen für die Staaten einherginge, glaube ich nicht, dass – wenn überhaupt – wir in absehbarer Zeit Zeugen dieser Entwicklung sein werden. Aber auch dafür haben die Eurokraten schon einen Begriff: „Bridge“ – als Vorgriff auf ein zukünftiges Programm.

  154. Jürgen Scherer sagt:

    Sehr geehrter Herr Wohonka!
    Danke für die ausführliche Replik. So ist das nun Mal, wenn man von unterschiedlichen Prämissen ausgeht. Dann sehen eben die Schlussfolgerungen auch anders aus. War eine interessante Auseinandersetzung! In diesem Sinne verbleibe ich, vielleicht bis zu einem nächsten Mal,
    mit sommerlichen Grüßen
    Jürgen Scherer

  155. Klaus-Dieter Grimmer sagt:

    Werter Manne Murmelauge,
    Im Grunde genommen liegen Sie ja mit Ihrer Kernaussage „Aufgeblasen und am meisten Selbstgerecht“ als Antipode der Aussage des Herrn Oberdisputanten Wohanka richtig. Jedoch bitte ich darum zu bedenken, daß es weder den korrumpierten Griechen noch den aufgeblasenen und selbstgerechten Deutschen an sich gibt. Das ist sehr differenziert einzuschätzen.
    Und ich ziehe mir diese Jacke sowieso nicht an.
    Aber ich möchte Ihnen einen nennen, der mich gestern spät abends in der ARD bei Anne Will in besagter Hinsicht zum glühen gebracht hat.
    Herr Kauder stellte die hämische Frage an die mit anwesende Frau Wagenknecht: „Warum die neue linke griechische Regierung nichts gegen die Reichen in Griechenland unternimmt“? Da hat es mir die Sprache verschlagen. Diese Forderung aus dem Munde des CDU Fraktionsvorsitzenden an die vorherige konservative Regierung vor Jahren gestellt, hätte bestimmt in dieser Angelegenheit einen bemerkenswerten Vorlauf in der Korruptionsbekämpfung geschaffen. Aber wie heißt es so schön: „eine Krähe hackt der anderen nicht die Augen aus“. Für mich ein Beweis mehr für das Schmierentheater was da abläuft, leider nicht nur in dieser Angelegenheit.

    • Werner Richter sagt:

      Aber Herr Grimmer, das geht nun schon gar nicht. Nicht die NSA-Sache, das Auftreten der griechischen Regierung. Renitent die feierlich in Anzug und Hosenanzug versammelte EU-Elite zu brüskieren, dazu noch in Hemd über der Hose und Hand in der Tasche und ohne Krawatte, Skandal. Da wagt es dieser Armenhäusler, das großzügigste Angebot ohne Inhalt einfach abzulehnen und die EU als Terroristen zu bezeichnen. Dieser durchgeknallte Spieler, so schon immer von uns benannt, nimmt sich heraus, die Bezeichnung von Stieglitz zum Finanzkapital auf die Wahrer der Finanzinteressen anzuwenden, ohne beim Erfinder die Erlaubnis einzuholen. Plagiat! Dieser Motorradfahrer, das schon bezeichnend, kommt aufmüpfig statt demütig zur feierlichen Hinrichtung. Vor längerer Zeit, als die Delinquenten noch öffentlich zur Volksbelustigung gehenkt wurden, war das noch anders. Um das Zeremoniell zu sichern, wurden sie vorher ausgiebig gefoltert und so ruhig gestellt. Diese verdammte Humanität erbrachte nur Scherereien. Wenn das Schule macht, pfeift bald keiner mehr nach unserer Tanze. Wo kommen wir da hin, wenn die Creme anweist und es kommt Widerspruch. Da die Creme nun mal deutsch ist, hat gefälligst der Untertan sich deutsche Eigenarten anzueignen, den Devotismus. Nein, nicht was Sie jetzt denken, Sie Ferkel. Nur so erwirbt er unser Wohlwollen, an uns soll er genesen. Auch wenn sie keine richtigen Deutschen sind, diese Ausländer, anstrengen müssen sie sich schon. Dann haben wir auch maßvoll Mitleid mit dem Volk, zumindest in Reden. Im Rahmen der Alternativlosigkeit selbstverständlich. Da müssen sie durch zum Wohle der Besten, die immer nach der Börse schielen, dem Meßbecher der Wirtschaft. Wachstum ist das Credo. Das kann bei sozialen Indikatoren nach unten gehen, aber die Börse mißt nur die wichtigen Dinge: Dax u.s.w., den Fortschritt. An diesen zu glauben ist alternativlos.

  156. Jürgen Scherer sagt:

    Sehr geehrter Herr Wohonka!
    Ihre Antwort an uns Disputanten regt an zu weiteren Überlegungen. Vorneweg erst mal die Feststellung, dass Sie auf mein Argument, dass G. auf dem Altar des neoliberalen Kapitalismus filetiert werden soll, quasi als Abschreckung für die Südländer, nicht eingehen. Sind wir da einer Meinung? Das von Ihnen postulierte erratische Verhalten Gs kann ich so nicht erkennen. Für mich erklärt sich das derzeitige Handeln mit dem Verhalten von jemandem, der mit dem Rücken zur Wand steht, in diesem Fall an die Wand gestellt wurde, hilflos gemacht wurde, und nun alles Mögliche versucht, aus der Zwickmühle zu entkommen. Kann es einen nicht in den Wahnsinn treiben, wenn das Gegenüber Verständnis heuchelt, in Wahrheit aber darauf hofft und darauf hinarbeitet, dass diese unfolgsamen Linken endlich scheitern. Bestes Beispiel für diese Taktik ist doch das Verhalten Merkels, die im entscheidenden Augenblick sagte, man wolle den Finanzministern nicht dreinreden, einem Augenblick, in dem politische Entscheidungen notwendig gewesen wären. Und machen wir uns nichts vor, Merkels Stellung in der EU ist stark!
    Weiter: Ist es Nepotismus etc., wenn eine Regierung an von ihr als wichtig eingeschätzten Stellen eigene Leute einsetzt? Vielleicht sind die eingesetzten Personen ja ganz gute Experten auf ihrem Gebiet. Wenn ich recht erinnere, wird nach der Präsidentenwahl in den USA der ehemalige Stab des vorhergehenden Präsidenten entlassen (m.W. oft bis zu 1000 Personen) und mit eigenen Leuten besetzt. Ist das dann Nepotismus? M.a.W.: Wes Geistes Kind ist der von ihnen zitierte Soziologe – rechts, links, mittig, neutral? Im Übrigen sind auch Linke keine Heiligen! Die Diskussion über diese Frage verweist allerdings derzeit bestenfalls auf einen „Nebenkriegsschauplatz“. Mit von uns unüberprüfbaren Desavouierungen kommen wir nicht weiter. Halten wir uns also an die überprüfbaren Realitäten:
    Im Augenblick geht es darum, dass ein Land, das wirtschaftlich niederkartätscht werden soll, dringend der Solidarität bedarf. Anscheinend ist Gysi der einzige, der das klar sieht. Schaut man sich nämlich die Abfolge und die Inhalte der in Diskussion stehenden Vorschläge an, ( Siehe dazu Prof. Hickel unter http://www.nachdenkseiten.de/?p=26629#more-26629 ), ergibt sich glasklar: „Derzeit setzen die drei Institutionen trotz etlicher Zugeständnisse im Prinzip die seit 2010 als Gegenleistung für Finanzhilfen durchgesetzte Austeritätspolitik fort. Diese hat unbestreitbar zum Einbruch der Produktion um 25%, zum Anstieg der Arbeitslosigkeit auf über 25% (Jugendliche 50%) und zur steigenden Armutsquote geführt hat. Da die gesamtwirtschaftliche Produktion stark eingebrochen ist, hat der Anteil der Gesamtschulden am Bruttoinlandsprodukt auf über 180 % zugenommen.“, so Hickel. Da gibt es nirgendwo Freunde!!!! Da geht es um nichts anderes, ich weiß, ich wiederhole mich, als um den Erhalt konservativ-kapitalistischer Macht in Europa, auch wenn eine gewiss nicht gänzlich unschuldige Bevölkerung dabei unter die Räder gerät!

    • Stephan Wohanka sagt:

      Sehr geehrter Herr Scherer,

      ich danke Ihnen für Ihre ernsthaften Zeilen! Und die Sache hat auch nur Ernsthaftigkeit verdient! Trotz manchmal etwas deutlicherer Wortwahl…
      Um diesmal Ihre grundlegenden Fragen zu bearbeiten – nein, ich teile nicht Ihre Ansicht, „dass G. auf dem Altar des neoliberalen Kapitalismus filetiert werden soll, quasi als Abschreckung für die Südländer“. Nicht, dass ich den „neoliberalen Kapitalismus“ für „gut“ hielte und ohne zu verkennen, dass er in Gestalt des „Casinokapitalismus“ die Welt in schwere Turbulenzen versetzt hat; nein m. E. wären für ein solches Manöver schlicht die politischen und ökonomischen Kosten zu hoch! G. (und dann die anderen Länder) würden letztlich – ich argumentiere hier „realpolitisch“, was mir wieder Kritik einbringt – zu „failed states“ und das als Anrainer des Mittelmeeres. Sie wissen, was das bedeutet; auch müssten diese Länder weiter ökonomisch unterstützt werden. Das ganze Projekt Europa (E.) ginge den Bach runter!
      Das ist meine Befürchtung! Wiederum – nicht dass ich das gegenwärtige E. für ein ideales Konstrukt hielte; nein, ich halte aber die „Europäisierung“ als „Unterprozess“ der Globalisierung für dringend geboten. Wer sind heute schon und – noch wichtiger – werden die Konkurrenten in der Liga sein, in der Deutschland (noch!) spielt? Es sind das China, die USA, Indien, Brasilien, später wohl auch Russland, Indonesien. Also Länder, die Deutschland heute schon weit an Bevölkerungszahl, Territorium, Rohstoffreichtum übertreffen; noch nicht in jedem Falle an Innovationskraft. Doch die nimmt in den genannten Ländern zu, während sie hierzulande (abnehmende Bevölkerung) vielleicht zu halten sein wird…
      Meint jemand allen Ernstes, dass in wenigen Jahrzehnten die dann von Milliarden- und großen Millionenvölkern getragenen und entsprechend potenten Wirtschaftsriesen noch hier bei schrumpfenden 50 Millionen anfragen, wenn es darum geht, die weltweiten ökonomischen, politischen, ja auch sozialen und ökologischen Ordnungsrahmen (neu) zu definieren? Werden sie nicht ihre ökonomische und politische Überlegenheit rigoros gegen uns ausspielen? Die dann wohl postideologische (?) Welt wird gespalten sein in Länder(gruppen) mit „Organisationsvorteilen und -nachteilen“ (Harald Welser). Wenn Deutschland und die anderen, teils noch viel kleineren europäischen Länder „Vorteilsgewinner“ sein wollen, um überhaupt eine Chance gegen die Giganten zu haben, müssen sie sich zusammenraufen und ihre Kräfte bündeln! Müssen sich zusammenfinden zu einem demokratisch geeinten Kontinent, der seine Bürger wieder ernst nimmt und an Entscheidungen beteiligt! Die Kraft und Verbissenheit, die die E.-Verächter in ihren Kampf um die Zerschlagung der EU stecken, sollten sie besser mobilisieren, um diese jetzt nicht (weiter) zu einem „Brüsseler Elitenprojekt“ – was es früher sein musste – verkommen zu lassen! E. bietet kein Versprechen – nein, das nicht; aber E. ist die Perspektive, um fürderhin in strittigen, aber „unseren“ Verhältnissen leben zu können!

      E. steht vor zwei Alternativen: Die erste liegt im „Modell mit eigenverantwortlichen Mitgliedern, die nicht für andere haften und durch den Markt diszipliniert werden“ oder in „einem Modell mit vertiefter politischer Integration“ (Bundesbankpräsident Weidmann). E. folgt bislang weitgehend ersterem Modell, wenn auch als „Fiskalunion“ verbrämt. Aus oben Gesagtem folgt, dass ich ein Befürworter des letzteren bin.
      Sie schreiben dann: „Im Augenblick geht es darum, dass ein Land, das wirtschaftlich niederkartätscht werden soll, dringend der Solidarität bedarf.“ Zum „Niederkartätschen“ habe ich argumentiert; was die „Solidarität“ angeht, meine ich, dass G. die Hilfen erfährt in dem Rahmen, die das „erste Modell“ hergibt; einschließlich aller Fehler, die diesem Modell eigen sind. Hätten wir das andere, so wäre das „solidarisch“(er), d. h. es käme wohl wesentlich leichter zu dem, was Hickel fordert: den Einsatz frischen Geldes zum Aufbau der Wirtschafts- und Infrastruktur.

    • Werner Richter sagt:

      Gestatten Sie einige Einwürfe, Herr Wohanka.
      Sie betrachten die Vorgänge um Griechenland als logische Folge der Globalisierung, die sie als objektiv interpretieren und im Interesse der Völker ohne Differenzierung in Gruppeninteressen durchaus positiv sehen. Es ist bestimmt abwegig, die Kapitalinteressen mit Interessen der „Unteren“ gleichzusetzen. Schon damit würden Sie eine Menge Widerspruch einsammeln von den Kräften, die die Globalisierung als Strategie des Kapitals zur globalen Weltherrschaft gegen „das Volk“ (Buffet) bekämpfen. Aber so objektiv ist die Globalisierungsrichtung nun auch wieder nicht. Sie ist objektiv in Bezug auf den Konzentrationsprozeß des Kapitals aus seinem Selbstverwertungskreislauf heraus, ja. Aber sie ist nicht unabänderlich und schon gar nicht im Interesse der Weltbevölkerung, im Gegenteil. Der Globalisierung ein Heilsmäntelchen umzuhängen ist Geschäft der dem Kapital verpflichteten Institutionen, aber gewiß nicht unsers. Genauso verhält es sich mit den „europäischen strategischen Interessen“ zur EU-Stärkung gegen die bösen Feinde, „weiche Flanke“ u.s.w. Sie greifen da übrigens die Argumentation von Naumann zur Erläuterung der Militärstrategie des Westens vor den Absolventen der Militärakademie Dresden in den 90-ern auf, bedenklich. Und Sie stehen im Einklang mit den „Gutachten“ und „Expertenmeinungen“ z.B. der Stiftung Wissenschaft und Politik, die nicht zufällig in den Hauptmedien fast exklusiv uns Lage und Interessen darstellen sollen, deren Funktion aber tatsächlich die Sammlung und Auswertung von strategischen Überlegungen der dominierenden Thinktanks des Kapitals sowie deren Umsetzung in aktive Außen- und Wirtschaftspolitik ist (in wessen Interesse wohl?).
      Ist denn tatsächlich „die „Europäisierung“ als „Unterprozess“ der Globalisierung … dringend geboten“? Wofür und für wen? Eine solche Identifikation wurde in anderem Zusammenhang einst schon mal als „Hurra-Sozialismus“ qualifiziert. Nur von dieser Warte aus kann man die Zahlungen von Geldern an Griechenland (dringend zu hinterfragen!) als „Hilfen“ bezeichnen. Erinnert sei an das Interview Harald Schumanns mit dem damaligen stellvertretenden Finanzminister Irlands: Die 30,- Mrd „Hilfe“ waren vollständig noch vor Schalterschluß nach Brüssel zurück zu überweisen, um von dort die Bankverluste, die Irland in seine Bilanzen einzuarbeiten hatte, auszahlen zu können. Das läuft natürlich jetzt etwas anders, aber das Prinzip bleibt. Dieser These zur „Hilfe“ und „Solidarität“ gäbe es noch jede Menge entgegen zu halten.
      Insgesamt führe man besser, zu den Modellen und Vorstellungen zum EU-Gestaltungsprozeß Distanz zu bewahren und sich nicht festzulegen. Denn es geht in all diesen Vorstellungen nicht um der Völker Wohl, der Streit darum geht ausschließlich um die Durchsetzung von divergierenden Partikularinteressen von Kapitalgruppierungen durch verschiedene Interessenvertreter in diversen politischen Gremien.
      Nebenbei: kein Mensch hat (zu 1 Sache) 2 Alternativen, aber 2 Optionen in 1 Alternative.

  157. Stephan Wohanka sagt:

    Vielleicht kann Folgendes zur Erhellung der Lage beitragen: Hier ist die deutsche Übersetzung der Referendumsfrage, die die Griechen am Sonntag beantworten müssen.

    Muss der Entwurf einer Vereinbarung von Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds akzeptiert werden, welcher am 25.06.2015 eingereicht wurde und aus zwei Teilen besteht, die in einem einzigen Vorschlag zusammengefasst sind?

    • Manne Murmelauge sagt:

      Wenn die Griechen das „am meisten korrumpierte Volk“ sind, werter Herr Wohanka, dann sind die Deutschen das am meisten aufgeblasene und am meisten selbstgerechte. Nur 70 Jahre nach der völligen Niederlage im zweiten Krieg zur Eroberung Europas und 25 Jahre nach der sog. Wiedervereinigung kann eine Einlassung wie Ihre sogar als Diskussionsbeitrag in einem „linken“ Blatt durchgehen. Wir sind wieder wer!

  158. Jürgen Scherer sagt:

    Nachschlag zur Antwort auf Herrn Wohanka:
    Übrigens den folgenden satirischen Text habe ich im März 2015 für eine Zeitschrift verfasst; wurde leider nicht veröffentlicht, weist aber, wenn auch teilweise etwas überholt, zumindest im Hinblick auf Griechenland auf das derzeit zu erlebende Szenario hin:Viel Spaß beim Lesen!
    Kamingespräch im Kanzleramt
    Es ist kurz nach Mitternacht. Die Kanzlerin sitzt im Kaminzimmer bei einer Tasse Kräutertee. Zusammen mit ihrem Pressesprecher will sie die letzten Tage noch einmal Revue passieren lassen.
    Da klopft es und hereingerollt kommt ihr stärkstes Geschütz im Kabinett: Wolfgang Schäuble. Auch gut. Dann werden sie halt zu dritt e bissle schwätze, wie Wolfgang immer sagt.
    Also, diese Krisendiplomatie geht mir ganz schön auf den Sack.
    Wem sagen Sie das. Wenn ich allein schon an den nächsten Krisengipfel mit Poroschenko und Putin denke, wird mir übel. Diese selbstherrlichen Kleinkrieger, die meinen, sie hätten die Weisheit mit den Löffeln gefressen.
    Geht mir ähnlich, geht mir ähnlich. Diese Rockerbande aus Griechenland meint, sie könne unser Europa aufmischen, neu erfinden. Ja wo sind wir denn. Die sollen sich erst mal anständig anziehen!
    Sie haben es beide wirklich schwer im Moment, aber Ihre Krisendiplomatie zeitigt doch Erfolge. Da lohnt doch die Mühe.
    Wie schön, der Herr Pressesprecher will uns trösten.
    Nee, der will mehr, der will uns Mut machen für die vor uns liegenden Aufgaben.
    Ich bin übrigens der Meinung, wir sollten den Griechen ein wenig entgegenkommen und nicht ständig das Bild des hässlichen Deutschen befeuern.
    Was heißt hier das Bild des hässlichen Deutschen befeuern. Es geht um u n s e r Europa, da müssen wir konsequent handeln.
    Ja, schon. Aber doch so, dass es nicht so sehr auffällt, wie hoch unser Eigeninteresse an der Gefolgschaft der Griechen ist. Vielleicht lässt das Ganze sich ein wenig abfedern, damit die Alternativlosigkeit für Griechenland nicht so sehr ins Auge springt.
    Okay, ich will mal sehen, was ich da tun kann. Auch wenn ich diesen Halbstarken, diesen Varoufakis gefressen habe. Aber es gibt da ja ein altbewährte Methode: Verschaffe den Theoretikern ein Rendezvous mit der Realität!
    Sehr gut, sehr gut. Dann gibt es ja für die Krisendiplomatie im Westen richtig Hoffnung. Ich will dann mal sehen, wie sich der Osten stabilisieren lässt. Wir müssen auf jeden Fall nachhaltig verhindern, dass Barack und seine Administration sich mit Waffenlieferungen an Poroschenko einmischen.
    Das geht ja gar nicht. Die sitzen weit vom Schuss und haben gut reden.
    Ich bleibe bei meinem Credo: Reden, reden, reden. Francois ist da voll und ganz meiner Meinung. Zum Glück spielt Putin einigermaßen redlich mit. Bei Poroschenko habe ich da öfter mal Zweifel. Der spielt gern mit dem Feuer, um den großen Bruder aus den USA auf seine Seite zu ziehen. Zum Glück vertraut Barack mir und handelt nicht voreilig.
    Ja schon, Frau Kanzlerin. Aber er steht innenpolitisch ganz schön unter Druck. Die Falken der REPS sind unerbittlich.
    Stimmt, Seibert. Aber Barack hat mir versprochen, nichts ohne meine Zustimmung zu tun. Putin will schließlich auch nicht, dass die Amis direkt vor seiner Haustür auftauchen. Das könnte unser Trumpfas bei den kommenden Verhandlungen sein.
    So meine Herren, ich denke, es ist genug für heute. Bis morgen dann, in alter Frische.

  159. Jürgen Scherer sagt:

    Sehr geehrter Herr Wohonka!
    Zunächst vielen Dank für die ausführliche Antwort auf meine Lektürevorschläge. Leider war ich in meiner Reaktion nicht so schnell, wie die Herren Richter und Thesebois, was mir auf der anderen Seite diese Antwort etwas leichter macht, da ich Ihnen mit ähnlichem Tenor wie Herr Richter geantwortet hätte. Auch ich denke, dass Sie der Mainstreamerzählung aufgesessen sind, die da lautet: Die Griechen (sprich die derzeitige griechische Regierung) sind inkompetent, engstirnig, unflexibel, zu jung und unzuverlässig und daher unfähig mit der Krise professionell, d.h. im Prinzip im Sinne der Geldgeber, umzugehen. Dieser Schuldvorwurf greift aber m.E. zu kurz, wird doch ausgerechnet der aktuellen Regierung all das angelastet, was die Vorgängerregierungen an Lasten aufgehäuft und auf dem Rücken der griechischen Bevölkerung, sprich des berühmten „Kleinen Mannes“ abgeladen haben, und zwar mit Folgen wie der drastischen Zunahme an Selbstmorden, dem Zugrundegehen des Gesundheitssystems, der Abwanderung von sogenanntem „Humankapital“ in reichere europäische Länder, z.B. auch in die BRD, usw. usw. Was tut dieses so geschundene Volk in seiner Verzweiflung? Es wählt einen vermeintlichen Befreier von dieser Last, eine linke Regierung, die tatsächlich etwas tut, was eigentlich schon fast resignativ hingenommen wird, und zwar in allen sogenannten westlichen Demokratien: Sie hält sich nicht nicht an das vorher Versprochene! Allein dafür werden sie schon belächelt von den „alten Hasen“ im europäischen Geschäft, diese Youngsters. Und dann kommt noch hinzu, und das ist eigentlich Verwerfliche in den Augen vieler „alter Hasen“, u.a. für Herrn Schäuble und den Spezialdemokraten Gabriel: Es sind Kommunisten! Und die gilt es zu bekämpfen. Schäuble wählt da den diplomatischeren Weg wie Gabriel. Er geht über seine Allmacht als Finanzminister an das Problem heran und mobilisiert die entsprechenden Institutionen, die die jungen Leute aus Hellas mal auf Vordermann bringen sollen; schließlich spricht man wieder Deutsch in Europa. Und siehe es klappt ja auch. Herr Gabriel sekundiert willfährig, indem er darauf hinweist, dass das ja Kommunisten seien, die da in Athen an der Regierung seien, und wird von dem wirtschaftspolitischen Sprecher der SPD sekundiert, der verächtlich von der „sozialistischen Regierung in Athen“ spricht. Soweit, so schlecht. Worum geht es also im Überbaugeschehen? Darum einem nicht willfährigen Volk zu zeigen, wo „der Hammer hängt“ und so evtl. Nachahmungen im Widerstand gegen die von Deutschland hauptverantwortete Austeritätspolitk vorzubeugen. Darum zu verhindern, dass es zu der Einsicht kommen könnte, es gäbe eine Alternative zu der als alternativlos apostrophierten Wirtschaftspolitik in Europa. Wer wider den Stachel der kapitalistischen Basis löckt, wird bestraft, notfalls mit dem Untergang. Alles andere, was wir zu Zeit von Merkel und Co hören, ist pure Heuchelei.  

    • Stephan Wohanka sagt:

      Sehr geehrte Herren Disputanten!

      Warum immer gleich diese Pauschal-Vorhaltungen wie „der Mainstreamerzählung aufgesessen“ oder „sich die Nato-Strategie zu eigen gemacht“ zu haben?
      Ich habe nicht gesagt, dass „die derzeitige griechische Regierung inkompetent, engstirnig, unflexibel“ usw. sei, sondern, dass sie „erratisch“ agiere und nicht wisse, was sie wolle: „… die Revolution eigener Art, die, ja, was eigentlich will? Den Austerity-Kurs in Europa stoppen? Griechenland retten? Oder gar eine zeitgenössische Form des Sozialismus ausprobieren?“ Das fragen Freunde! Und dass sie potenzielle Verbündete vor den Kopf stößt usw. Auch habe ich nirgendwo gelesen oder selbst gesagt, dass „ausgerechnet der aktuellen Regierung all das angelastet (wird), was die Vorgängerregierungen an Lasten aufgehäuft“ haben. Nein, die griechische Misere geht eindeutig auf konservative und sozialdemokratische Vorgängerregierungen zurück. Was dieser Regierung vorzuhalten ist, dazu darf ich Frau Wagenknecht zitieren: „Ja, das verstehe ich auch nicht ganz, warum sie in der Richtung (stärker die Reichen zur Steuerzahlung herangezogen zu haben – St. W.) nicht deutlichere Schritte gegangen ist“. Ja warum wohl? Sie frönt – und das liegt ausschließlich bei ihr, da redet kein anderer rein wie bei wirtschaftspolitischen Fragen – weiterhin einem ungehemmten Nepotismus wie die Klientelregierungen vor ihr! Und das entgegen einer Vorankündigung, die Tsipras in einen „Brief an die Deutschen“ vor der Wahl schrieb: Schließlich sei seine Partei unschuldig am Nepotismus und der Korruption in Griechenland, die echte Reformen verhinderten. Der griechische Soziologe Michael Kelpanides jedenfalls sagt auf die Frage. „Wofür steht Syriza? Für die Rückkehr zu dem System der Korruption, des Nepotismus und des Klientelismus, das Griechenland ruiniert hat – auch wenn die Partei behauptet, das Gegenteil zu wollen“. Belege wurden inzwischen auch publiziert, dass Onkel, Tanten, Neffen auf wichtige Posten gehievt wurden und andere Strukturen unangetastet blieben.
      Wie ist jetzt die Volte zu verstehen, dass G. doch plötzlich wieder um einen Kredit von 29 Mrd. Euro nachsucht, nachdem die ganze Zeit über die Kredite als Ursache für seine gegenwärtige Lage verantwortlich macht? Wie gesagt – erratisch…
      Nato-Strategie: Damit meine ich, dass die EU seitens der NATO und der USA einem starken Druck ausgesetzt ist, G. zu „schonen“, um die Südostflanke nicht noch weiter zu schwächen, denn schon die Türkei ist ein unsicherer Kantonist: Sie unterstützt den IS, während die USA ihn bombardieren – ist diese Beschreibung das Einschwenken auf NATO-Kurs?
      Noch zu ein paar Details: „Die Griechen sind in meinen Augen das einzige Volk in Europa, das nie ganz gekuscht hat und seine Ideale nie weglegte“. Man kann das griechische Volk aber auch als ein korrumpiertes sehen; das Volk, was sich von sich von seinen „herrschenden Oligarchien“ am stärksten korrumpieren ließ. Um noch eine passende Zahl aus dem annus horribilis 2009 zu den anderen, bestätigten, hinzuzufügen: 80 Prozent des Staatshaushaltes wurden für Renten und Beamtengehälter ausgegeben!
      „… etwas Solidarität zeigen“ – ich meine, dass die EU gegenüber G. soviel Solidarität wie gegenüber Portugal, Spanien, Irland usw. zeigt; sogar etwas mehr, wenn man beispielsweise an die ELA Notkredite für G. denkt, die es dem Land überhaupt noch ermöglichen, Geld im Lande auszuzahlen; am 01.Juli beispielsweise Teile der Renten. Als vor gut zwei Jahren auf Zypern ein Ende des Hilfsprogramms drohte, war die EZB nicht zimperlich. Sie setzte der Regierung und dem Parlament die Pistole auf die Brust und kündigte ein Ende der ELA-Kredite an. Nicht so im Falle G..
      „Ob die Griechen einknicken oder nicht“ – vulgo Ausgang des Referendums: Wie Tsipras sagt, – „(stärkt) ein Sieg des ‚Neins‘ bei der Volksabstimmung die Verhandlungsposition Griechenlands“. Sollte soll ein EU-Vertreter formulieren – ihm schlüge entgegen, er erpresse sein Gegenüber; ist das im Falle von Tsipras anders?

  160. Jürgen Scherer sagt:

    Zur Einschaetzung der Lage in Griechenland.
    Sehr geehrte Herren Richter, Thesebois und Wohanka!
    Zur besseren Einschätzung der Lage in Griechenland empfehle ich die die Lektüre folgender 3 Texte,diem.E. in nuce die Problematik einleuchtend und gut nachvollziehbar aufdroeseln:
    http://www.misik.at
    Mein Griechenland-eine Reise ins Innere von Syriza
    http://www.mz-web.de
    Gesine Schwan zur Griechenlandkrise
    http://www.zeit.de
    Thomas Piketty: Deutschland hat nie bezahlt
    Mit freundlichem Gruß
    Juergen Scherer

    • Stephan Wohanka sagt:

      Sehr geehrter Herr Scherer, Dank für die Lesetipps! Es wird schwer, meine Reflexionen in 4000 Zeichen unterzubringen; ich versuch´s.
      Die Texte sind mir zu kurzschlüssig. Griechenland (G) bis zur Sichtbarwerden Krise 2009: 13, 14 Monatsgehälter, 20 Prozent der Beschäftigten im Staatsdienst, ein Rentensystem, das 16 Prozent des BIP für Renten (EU-Durchschnitt: sieben Prozent) verausgabt usw. Das kann ein Land alles tun – wenn es dafür zahlen kann. 2009 lag das Haushaltsdefizit zwischen 12 und 15 Prozent. Die damalige Misere wird auch daran deutlich, dass einer Verschuldung von 299 Mrd. Euro ein BIP von 235 Mrd. gegenüberstand (Deutschland 1.768 Mrd. zu 2.285 Mrd.). Der Euro-Eintritt versetzte G. in die Lage, sich mehr Geld leihen zu können, als es hätte tun dürfen. G. lebte klar über seine Verhältnisse!
      Das Land wurde zahlungsunfähig; konnte den Schuldendienst (Zinsen und Tilgung) nicht mehr leisten. Das ist auch anderen Ländern schon passiert; vielen mehrmals. Auch G. hat seit seiner Unabhängigkeit 1829 fünf Staatsbankrotte hingelegt und verbrachte damit mehr als die Hälfte seiner Zeit im zahlungsunfähigen Zustand (sic!).
      Mit dem Euro war gegeben, dass sich dann auch EU, EZB und IWF um das Land „kümmerten“, wie um andere auch. Die so oder so notwendigen Einschnitte im Staatshaushalt fanden also in einer „Kooperation“ G.s mit den Genannten statt. Dass diese „hineinregierten“ steht außer Frage; dass sie aber G. völlig entmündigten, ist eine Mär. Dass vorrangig Löhne, Renten und im sozialen Bereich gekürzt wurde und Vermögende verschont wurden, ist folglich ein „Gemeinschaftswerk“. Dass notwendige Reformen des Staatswesens wie des Steuer- und Rentensystems usw. verschleppt wurden, auch!
      Die Lage wurde nicht besser, ja schlechter, sagen die einen; andere sahen Ende 2014 Licht am Ende des Wirtschafts-Tunnels. Mit dieser widersprüchlichen Betrachtung ist Syrizas Wahlsieg verbunden! Die genannten Kürzungen wurden umstandslos einer Seite angelastet: Erpressung durch EU, IWF, EZB! Es tobt nun die Schlacht zwischen „Politikern“ und „Technokraten“; erstere sind die Griechen, letztere die EU-Bürokraten.
      Die EU ist eine Mischung aus Politik und „Technik“; sie ist primär ein politisches Konstrukt mit Untersetzungen wie dem Euro, die stärker durch technische und juristische Verfahren geprägt sind. Diese technische Seite wurde von vielen EU-Ländern unterlaufen – vor allem, was die Verschuldungskriterien angeht; Deutschland war führend dabei. Es waren jeweils politische Entscheidungen, diese Verstöße zu tolerieren. Ich meine, dass es auch bezüglich G.s diese Toleranz gibt. Das Indiz dafür: Wie zu hören ist, lagen Geldgeber und griechische Regierung am Ende nur noch um 400 Mill. Euro auseinander.
      Zwar behauptet Gesine Schwan, dass „Schäuble von Anfang an die Absicht gehabt hat, Syriza an die Wand fahren zu lassen“, aber ist nicht auch G. gegen eine Einigung? Ist es nicht erklärte Absicht G.s, aus dem ganzen „System“ auszusteigen?
      In diesem Kontext ist namentlich der Text „Mein Griechenland-eine Reise ins Innere von Syriza“ höchst lesenswert! „… die Revolution eigener Art, die, ja, was eigentlich will? Den Austerity-Kurs in Europa stoppen? Griechenland retten? Oder gar eine zeitgenössische Form des Sozialismus ausprobieren?“ Ja was? G. will raus aus etwas – aber wo hinein? Mit wem? „Haben sie (Syriza – St. W.) auch selbst Mitschuld daran, dass sie in Brüssel einer ziemlich geschlossenen Front an Antipoden gegenüber stehen?“ Ja, natürlich!
      G. ist zahlungsunfähig. Im Innern kann G. das Problem mit einem Notgeld, „Eurodrachme“ (Gehälter, Renten) lösen, für Importe (Medikamente!) braucht es weiterhin „harte Währung“. Kreditgeber wird das Land wohl schwerlich finden. Weiter: „Einem Abkommen zuzustimmen, … und die eigene Regierung in die Luft zu sprengen“. Schon bemerkenswert; es geht um die Regierung, nicht ums Land!
      Damit ist das Problem G. bei weitem nicht erschöpft; Stichworte: Südflanke der NATO, Russland. Und es ist auch nur eines der EU…

    • Werner Richter sagt:

      Das ist eine ordentliche Summierung, Herr Wohanka, die jedem Buchhalter zur Ehre gereichen würde, auch einem aus dem Troika-Team. Ob das auch für politische Ökonomen gilt, ist zweifelhaft. Die Stellungnahme von Zypras in Le Monde, nachzulesen bei voltairenet.org, bestätigt die Zahlen im Wesentlichen. Zypras akzeptiert die „Schulden“ samt Rückzahlung, will jedoch zuerst ein Wirtschaftsentwicklungsprogramm und die Rückzahlung danach. Ist das so abwegig und zwar für ganz Europa? Aber in drei Teufels Namen, warum soll dies ausreichend die Weigerung der EU begründen, das tun Sie, keinerlei Zeit für die Volksbefragung einzuräumen und hinterher die unmöglich kurze Frist bis dahin zu bemängeln? Eine alte Frau die Treppe hinabstoßen und fragen: Warum springst du denn so? Schwan liegt wohl doch nicht allzu weit daneben. Griechenland will nicht, wie immer wieder kolportiert, „aus dem ganzen „System“ auszusteigen“, sondern nur aus dem Diktatsystem, fordert demokratische Spielregeln ein, auch nachlesbar und nachzuempfinden. Die EU, nicht Griechenland, hat die Geheimhaltung der Verhandlungsstandpunkte beider Seiten durchgesetzt, warum wohl? Um Griechenland immer den schwarzen Peter zuschieben zu können, ohne Klarheit aufkommen zu lassen und das läuft ja inzwischen auf Hochtouren. Warum soll man davon ausgehen, daß jetzt EU und „Gläubiger“-Regierungen entgegen bisheriger Erfahrungen uns plötzlich die Wahrheit offerieren? Von Politikern, die gewohnheitsgemäß lieber die Unwahrheit bedienen, selbst wenn die Wahrheit auch für sie sogar besser wäre? Schaue man sich nur die Stellungnahmen der spanischen Regierung an. Würde sie sagen, eigentlich hat Griechenland Recht, wir haben einen Fehler gemacht, der jetzt zu korrigieren ist, würde ihre Wiederwahlchance erheblich steigen. Aber nein. Der griechischen Regierung sind die Erklärungen eher abzunehmen als EU & Co, denn sie ist die erste europäische Regierung, die mit offenen Karten spielt und das Täuschungsspiel der Bevölkerung nicht mitmacht. Deshalb wohl muß sie weg, unter allen Umständen.
      Ihre Argumentation liegt genau auf der Linie der „schwäbischen Hausfrau“. Eigentlich war anzunehmen, diese überwunden zu haben, weil sie nicht für volkswirtschaftliche Dimensionen taugt (nachzulesen bei Heiner Flassbeck). Sie ist unmöglich für Volkswirtschaftler, es sei denn, sie bemühen sich um einen Job in der EU-Zwangsverwaltung.
      Und es ist kurios, der EU Bemühungen um Griechenland, ein Haupttenor jetziger EU-Propaganda, gegen deren Regierung, der das Volk egal sei, zu glauben. Ihre Hinweise zu „Südflanke der NATO, Russland. Und es ist auch nur eines der EU…“: Sie haben sich doch nicht die Nato-Strategie zu eigen gemacht?

  161. Werner Richter sagt:

    Zu Heerke Hummel Heft 13-15: Wenn es nicht Rezensenten wie Heerke Hummel gäbe, müßten wir alle Bücher selber lesen. Deshalb ein großer Dank an den uneigennützigen Helfer. Die Ausgangssituation der Autoren, mit dem Titel sehr interessant formuliert, ist schon bemerkenswert. Er scheint die systemischen Ursachen für die Krise in den Grundstrukturen der gesellschaftlichen Entwicklung zu suchen. Die Frage nach der Notwendigkeit von Basisveränderungen kann durchaus Sinn haben, genauso wie das Verharren an dieser Frage. Wie viele Wortmeldungen nahelegen, ist diese Problematik noch lange nicht ausdiskutiert, von ausreichend Klarheit ganz zu schweigen. Wie auch die Kritik Heerke Hummels verrät, liegen die theoretischen Grundaussagen oft diametral zu einander. Die erste Frage, bevor man Konzepte neuer Gesellschaften angeht, ist die nach den Ursachen der Entwicklung der PV, die nicht voreilig als gut oder gar Lösung der wachsenden Dysfunktionalität, im Selbstlauf aus sich heraus, zu werten sind. „Es ist schon immer gut gegangen“ führt von der Realität weg. Natürlich werden neue Gesellschaftsformen entstehen, es fragt sich nur, welche. Warum soll die Einschätzung der Autoren, das „fordistische und keynesianische Wachstumsmodell“ sei … an systemische Grenzen“ geraten, nur historisch gelten? Hat sich das etwa mit Bretton Woods erledigt? Kann eine Weltwährungsveränderung, die lediglich deklamatorischen Charakter trägt, eine grundlegende Verschiebung der PV überhaupt bringen kann? Hummels zentrale These, dass Bretton Woods die innere Struktur der kapitalistischen Entwicklung entscheidend verändert hat, steht auf wackligen Beinen und trägt stark semantische Züge. Es ist durchaus begründet, die systemischen Grenzen als grundlegend und immer existent in allen Phasen der Waren- und Wertgesellschaft anzunehmen, wie das auch die Autoren zumindest partiell versuchen.
    Der reine Privatbesitz kann nicht Maßstab der gesellschaftlichen Verhältnisse sein, also ob allein dadurch z. B. Kapitalismus existiert. Das Maß an Vergesellschaftung von Kapital, wenn man dessen Anonymisierung (Gruppenbildung) als „Vergesellschaftung“ ansieht, hat keinen entscheidenden ändernden Einfluß auf die gesellschaftliche Grundstruktur, die Wertverhältnisse der Warengesellschaft, und auf die Entwicklung in der Finanzwelt wohl auch nicht. Es ist das Kapitalverhältnis und seine Dominanz selbst der Maßstab, egal in welcher gesellschaftlichen Form, sei sie auch „vergesellschaftet“. Insofern ist die Beurteilung von Zelik ziemlich zutreffend.
    Nicht die Raffgier und die Märkte sind Ursache der permanent revoltierenden Krise, sondern die Zwänge der Selbstverwertung des Wertes als Grundlage der Warenwirtschaft. Sie sind eher Ausdruck und Notwendigkeit, also Folgen. Das „unschöne Gesicht“ des „Sozialismus“ resultiert aus dessen autoritärem Modellcharakter, der Revolution von oben, die die objektiven Gesetzmäßigkeiten dem „Parteiwillen“ unterwerfen wollte und will. Hier ist Altvater schon bemerkenswert vorangekommen.
    Das Kapitalsystem ist nicht heute oder morgen abschaffbar. Es gibt noch zu wenig Transformationspunkte einer neuen Wirtschaftsweise ohne Verwertungszwang und das System ist noch nicht am Ende, obwohl es schon Entwicklungslinien in die Agonie gibt. Nur die Unregulierbarkeit der gesellschaftlichen Entwicklung und der PK selbst infolge des WTF kann neue Produktions- und Gesellschaftssysteme erzwingen. Dies allerdings ist durchaus als „regulierte Utopie“ zu bezeichnen. Aktuell eine „Demokratisierung“ in Europa zu träumen, ist vernünftig. Sie brächte Zeitgewinn für Veränderungen, die auch die Grundstruktur allmählich wandeln. Allerdings wird unter gegebenen Machtverhältnissen in der EU und angesichts der US-Intervention in innereuropäische Verhältnisse zunächst nur das Gegenteil zu erwarten sein. Eine Demokratisierung der Gesellschaft und auch der Wirtschaft allein löst das Grundproblem der Transformation gesellschaftlicher Verhältnisse nicht, ist aber eine der Voraussetzungen.

  162. Theosebeios sagt:

    „… Schuldenschnitt in der gesamten EU … Das wäre vernünftig und machbar …“
    Lieber Herr Richter, darf ich mich als Staatsbürger in der EU diesem Schuldenschnitt dann anschließen :-)
    Was ist denn so schwer an der Griechenland-Krise?
    Verträge sind zu halten — selbstverständlich, im Großen wie im Kleinen, was denn sonst?
    Das „griechische Volk“ hat sich das Desaster durch die von ihm jeweils mehrheitlich gewählten Vertretungen eingehandelt. Sollte es jetzt nicht zu seiner Verantwortung stehen? Ich muss das jedenfalls, auch wenn ich einen Vertreter mit meinen Angelegenheiten beauftragt hätte.
    Dass die EU scheitert, wenn’s zum Grexit kommt, also bitte (O-Ton Merkel, vor einigen Jahren jedenfalls, kein ökonomisches Argument)
    Bitte verzeihen Sie meine trivialen Anmerkungen. Eine wirkliche Lagebeurteilung übersteigt natürlich meinen Horizont.

    • Werner Richter sagt:

      Ich schon wieder, muß wohl sein. Das griechische Volk hat die jeweiligen Regierungen tatsächlich gewählt, aber immer, nachdem es geprügelt und gemeuchelt wurde, bis das herauskam. Man braucht sich nur die Geschichte besonders seit 1945 ansehen. Die herrschenden Oligarchien, Ursprung auch der andern in vielen Ländern, sind schon immer die Favoriten und Kollaborateure der Interventionsmächte seit der deutsch-faschistischen Besetzung gewesen und durch nachfolgende Einflußnehmer gepäppelt worden bis hin zur einzigartigen Steuerfreiheit. Sie waren auch erste Adresse des Putsches, um ähnliches wie heute, eine Regierung, die nicht dem imperialen Diktat von außen folgt, zu verhindern. Jetzt ist es wieder so weit. Die Griechen sind in meinen Augen das einzige Volk in Europa, das nie ganz gekuscht hat und seine Ideale nie weglegte. Wir könnten dankbar für deren Standhaftigkeit sein und etwas Solidarität zeigen. Mit unseren Schulden haben sie nur sehr wenig zu tun. Ob die Griechen einknicken oder nicht, ein Schuldenschnitt muß so oder so kommen, sonst fahren EU- und Weltwirtschaft voll an den Baum. Es ist dabei sehr zweifelhaft, daß des „kleinen Mannes“ Schulden zu seinen Gunsten reduziert werden. Machen wir uns also keine Sorgen, das Schwert bleibt über uns.

    • Theosebeios sagt:

      „Das griechische Volk hat die jeweiligen Regierungen tatsächlich gewählt, aber immer, nachdem es geprügelt und gemeuchelt wurde …“
      Ach, Herr Richter, jetzt gehen aber die Gäule mit Ihnen durch :-) Ich stelle mir gerade vor, wenn jemand statt ‚das griechische Volk‘ z.B. ‚das deutsche Volk‘ geschrieben hätte! Ihre geradezu verzweifelten Kommentare, die häufig mit ‚uns vorenthaltenen‘ Informationen operieren, zeigen in der Tat die ganze Komplexität des Themas. Da nutzt vielleicht eine gewisse juristische und ethische Geradlinigkeit. Wenn richtig ist, was Herr Wohanka schreibt — Sie konzedieren das ja auch –, dann ist Griechenland ein Fall für den Internationalen Gerichtshof. Allerdings vermute ich, dass eine Zuständigkeit für internationale Wirtschaftskriminalität noch nicht gegeben ist.

    • Werner Richter sagt:

      Oha, was wurde da losgetreten. Verstehe Mr. Bean jetzt besser. Aber es tut mir n i c h t leid, Murmelauge. Kann man darin nicht ein Verdienst des Blättchens sehen, nicht nur uns gegenseitig „unsere Wahrheiten“ um die Ohren hauen zu lassen? Zudem ist es doch recht interessant, wieweit sich die „westeuropäische“ Volksgemeinschaft gemausert hat.
      Ganz interessanter Vorschlag, Theosebeios. Nur, wer soll über wen zu Gericht sitzen? Ist ein kompetentes Gericht vorstellbar? Was machen wir mit dem Aspekt des Völkerrechts, daß es dem Interessenausgleich, nicht der Gerechtigkeit, dient? Konstatierten wir in der Vergangenheit nicht, daß sich dessen Waage auch mal nach einer Seite neigen kann, siehe Sebrenica, Milosevic etc.? Oder haben wir da im Ork einen Herrgott-Stellvertreter auf Abruf? Übrigens wäre da Eile geboten angesichts der nahen Implementierung von TISA, CETA u.a. als weiteren Schritt zur Eliminierung von Wirtschaftsvergehen aus dem Strafrecht. Trübe Aussichten.
      Noch ein Hinweis für die, denen das entging. Monitor hat m.W. als erste Sendung im Verlaufe der Griechenlandkrise, von den Hauptschlagrichtungen der allgemeinen Propaganda gegen die griechische Regierung abgehend, eine andere Sicht der Problematik gebracht oder kann man sagen durchbringen können? Wenn auch das Kind bereits im Brunnen liegt und die ganze Chose etwas nach Alibi riecht, den RedakteurInnen gebührt Dank. Hier der Link zur Mediathek:
      http://www.ardmediathek.de/tv/Monitor/Monitor-vom-02-07-2015/Das-Erste/Video?documentId=29371888&bcastId=438224

  163. Werner Richter sagt:

    Rettet Griechenland etwa Europa?
    Es mutet irreal an, die Schlacht um Griechenland tobt, vielleicht sogar die Schlacht um Europa, und wir begnügen uns mit den Befindlichkeitsmeldungen von EU, IWF und Bundesregierung. Keine inhaltliche Darstellung derer Vorschläge ist zu vernehmen. Bisher kam nicht einen Satz zur Konfrontationssituation selbst, von ökonomischer Analyse ganz zu schweigen. Von Seiten der „Geber“ ist keine ökonomische Argumentation, sondern nur juristische, Verträge seien einzuhalten, zu hören. Kann denn so ein ökonomisches Problem überhaupt gelöst werden, wollen EU & Co. vielleicht gar keine Problemlösung, sondern mit allen Mitteln nur diese renitente Syriza-Regierung weghauen, egal, was es kostet? Und die Lösung der EU wird enorm viel kosten, es steht die Existenz der ganzen EU auf dem Spiel. Völlig unbemerkt scheint die Konsequenz der griechischen Regierung hinsichtlich der gesamten EU-Wirtschaftsstrategie geblieben zu sein. Die Griechen wehren sich verbissen der Anwürfe neokolonialer Strategie, in deren Ergebnis nur ein großer Schub der Verarmung stehen kann und stellen damit die Austeritätspolitik in Gesamtheit in Frage, also für die gesamte EU-Bevölkerung und darüber hinaus. Dem wenigen, das zu uns durchdrang, ist zu entnehmen, Griechenland wehrt sich gegen den Wahnsinn der neuer Kredite zur Bezahlung seiner „Schulden“. Es will eine ökonomische Lösung für ein ökonomisches Problem, Investitionen statt „Schuldenabbau“. Jeder vernünftige Ökonom würde dem beipflichten. Abgesehen davon, daß das griechische Volk diese Kredite mit unerträglichem Abbau seines Sozialstatus bezahlen soll. Welch gigantischer Zynismus! Was wurde da von den maßgeblichen Politikern und Medien gelogen und getrickst. In der Talk-Show von Maybritt Illner legte Martin Schulz plötzlich eine Meldung auf den Tisch. Die EU fordere gar keine Rentenkürzung war die Sensation. Auf Nachfrage gab er an, seit einer Stunde. So, seit einer Stunde, nun ja – war die Reaktion, sonst nichts. Eine Sternstunde des Journalismus. Inzwischen geht wieder ganz normal die Forderung nach Rentenkürzungen über die Sender, selbstverständlich ohne Insistieren. Hat sich hier Schulz des Merkel-Tricks mit dem No-Spy-Abkommen bedient? Die ARD schickte ihren Experten Reinhold Beckmann nach Griechenland, nicht etwa einen Griechenlandkenner wie Harald Schumann. Beckmann, für oberflächliche Themenbehandlung bekannt, ließ durchblicken, daß er gar keine Kenntnisse des Landes und seiner Geschichte habe. Er spielte den Betroffenen an den Gedenkstätten für die NS-Opfer ganz gut, um dann die griechische Regierung an ihrer vermeintlich schwächsten Stelle festzunageln: Auch Syriza treibt keine Steuern der superreichen Oligarchen ein, alles nur linke Propaganda. Genau hierfür brauchte man einen skrupellosen und geistig wohl eher armen Reporter mit Promi-Wert. Kein Kenner der Materie würde derartiges ablassen, wohl wissend, daß die Steuerfreiheit der Oligarchen in der Verfassung verankert ist und die Regierung keine Mehrheit zur Verfassungsänderung besitzt. Sie kann gar nicht, so wie sie wollte, es käme einem Verfassungsbruch und Putsch gleich. Ist dies auf Beckmanns Mist gewachsen oder hat ihm das jemand geflüstert? Gibt es etwa Nato-Pläne „zur Rettung der Demokratie“ wie bereits in den 60-er Jahren nach Ramboulli-Muster? Nachtigall!
    Zumindest im Falle Griechenland ist eine ersprießliche Kooperation der Medien mit der Politik mit Trend zur Komplizenschaft zu beobachten. Kritische Begleitung eigener Politik, nicht zu verwechseln mit gelegentlichem Naserümpfen über Nebensächliches oder „Ausgewogenheit“, war wohl gestern. Muß auch noch die verlogene EU-Propaganda aus öffentlichen Mitteln finanziert werden? Die Akzeptanz der Medien fördert es nicht.
    Für das Blättchen wäre zu wünschen, mehr Aufmerksamkeit der Griechenlandproblematik zu schenken, Experten vor! Es ist zwar nicht die Weltbühne, aber versuchen muß man es.

    • wolfgangbr sagt:

      Sehr geehrter Herr Richter, Sie wünschen, dass das BLÄTTCHEN „mehr Aufmerksamkeit der Griechenlandproblematik“ schenke. Ich weise Sie gerne auf folgende Ausgaben allein im Jahre 2015 hin, die sich „der Griechenlandproblematik“ – teils mit mehreren Artikeln – widmen: Es sind die Hefte 3, 4, 5, 6, 7, 10, 11 und 13 des Jahrganges 2015. Darin finden Sie Texte mehrerer Autoren, auch ein ansonsten von so gut wie niemandem vollständig veröffentlichtes Dokument von Alexis Tsipras. Dazu kommt die Sonderausgabe vom 20. April …
      Was wünschen Sie mehr? „Trend zur Komplizenschaft“ durch Verschweigen kann man uns gewiss nicht vorwerfen!
      Mit besten Grüßen
      Wolfgang Brauer

    • Werner Richter sagt:

      Da haben Sie etwas in den falschen Hals bekommen, lieber Herr Brauer. Es war auch etwas unglücklich formuliert, sodaß der Eindruck entstehen konnte, auch das Blättchen wäre als Komplize gemeint. Ganz und gar nicht, Entschuldigung. Ich vermisse die „Aufdeckung“ des hinter dem uns recht vordergründig offerierten „Zahlungsproblemes“ eigentlichen ausgetragenen Kampf um die Strategie (juristische oder ökonomische Lösung, Problemlösung oder gar keine). Ich möchte auf die gestrige Stellungnahme von Piketty verweisen, der ein Ende des unsinnigen Streites, wer hat Recht, zuallererst von EU, IWF und Bundesregierung so brachial vorgetragen und medial verstärkt, fordert. Hier ist Piketty wohl als „vernünftiger Ökonom“ erschienen. Er plädiert für eine Lösung im Rahmen aller EU-Staaten, nicht nur für Griechenland. Das käme einem Schuldenschnitt in der gesamten EU gleich. Das wäre vernünftig und machbar, obwohl diese Lösung eigentlich im gesamten Weltwährungssystem anstünde. Dazu gibt es allerdings keine Voraussetzungen. Früher oder später jedoch wird dies unumgänglich sein, soll wenigstens das System funktionsfähig bleiben.

    • Werner Richter sagt:

      Auch auf die Gefahr hin offene Türen einzurennen, sei auf eine Stellungnahme der griechischen Regierung verwiesen, die Verhandlungsdetails beinhaltet:
      http://www.voltairenet.org/article187923.html

    • Werner Richter sagt:

      Es fällt gewiß allen schwer, zu den aktuellen Ereignissen, auch zu Griechenland, einigermaßen Durchblick zu behalten. Nicht zuletzt wegen der fast absoluten Geheimhaltung des tatsächlichen Verlaufes der Brüsseler Verhandlungen, besonders der Positionen. Es ist zu vermuten, daß für diesen Zustand nach Interessenlage die EU-Seite verantwortlich ist, Zypras steht das wohl eher entgegen. Seine gestern eingestellte Stellungnahme bei http://www.voltairenet.org/de belegt dies ganz gut. Diese Geheimhaltung ist unbedingte Voraussetzung dafür, was uns laufend vorgespielt wird. Allerdings ist es angeraten, immer wenn die Argumentation nach dem Muster „Wir sitzen alle in einem Boot“ läuft, größte Vorsicht walten zu lassen, dann ist was faul. Zu Griechenland ist die Argumentation, verstärkt durch die Hauptmedien, genau so: Wir sitzen alle im Boot gegen Griechenland, mit oder ohne Grexit hätten wir wegen der Beknackten in Athen deren Schulden zu tragen. Ist dem tatsächlich so oder sind die Weichen der Umverteilung von Bankschulden in Staatsschulden und weiter Steuerschulden unabhängig von Griechenland nicht schon längst gestellt? Dient diese Inszenierung nicht gerade diesem Zweck, ist Griechenland nicht ein idealer Buhmann? Warum sollte man ausgerechnet in Punkto Griechenland mit uns Wohlgesonnenem rechnen, wenn diese Institutionen in Brüssel als auch die Bundesregierung ausschließlich einer langfristigen Zielstellung verpflichtet sind, uns zum rein ökonomischen Menschen nach Gusto der Finanzmächte zu degradieren? Na gut, mich betrifft es persönlich nicht mehr so sehr, aber der brave Mann denkt auch mal ein bißchen an nachfolgende Generationen. Diese Erfahrung haben wir doch schon viel früher gemacht, wir nannten sie „Klassenstandpunkt“. Diese Bezeichnung ist verpönt und das kommt den Manipulatoren sehr zurecht. Aber machen wir uns nichts vor, das, was da läuft, ist Klassenkampf. Buffet selbst hat das ziemlich deutlich erklärt; um dessen und seinesgleichen Macht geht es. Die Regierenden haben ganze Arbeit geleistet. Zu allen möglichen Konfliktes wimmelt es im Netz von Protestaktionen, nur zu Griechenland fand ich nichts. Es sind auch keine T-Shirts mit „Ich bin Grieche“ zu sehen. Wir alle sind ihnen aufgesessen, sie haben aus dem Russland-Desaster, an dem sie heute noch kauen, gelernt. Ich wüßte nicht, warum ich mir diese Brüsseler/Berliner Schuhe anziehen sollte.

  164. Stephan Wohanka sagt:

    Es ist offensichtlich, dass Griechenland ein nur mangelhaft funktionierender Staat ist. Allerdings kann das kaum erklären, warum die griechische Regierung es selbst ihren Sympathisanten schwer macht, eine Linie in ihrem erratischen Verhalten zu erkennen. Ich kann nicht beurteilen, ob diesem Vorgehen eine durchdachte Strategie zugrunde liegt, und was daran mit politischen Zwängen, was mit Unerfahrenheit oder Inkompetenz der Akteure zu erklären ist.
    Die permanente Forderung nach einem Schuldenschnitt – wie berechtigt er auch sein mag – reicht jedenfalls nicht aus, um die Gläubiger wenigstens im Ansatz zu überzeugen, dass die neue Regierung anders ist – energischer und verantwortungsvoller als die Klientelregierungen vor ihr; zumal auch sie nicht frei von Vetternwirtschaft ist.
    Ich denke, diese Regierung hätte ein „linkes“ Reformprogramm entwickeln und damit ihre Verhandlungspartner in Brüssel und Berlin unter Druck setzen sollen; das hieße: Einerseits die neoliberalen Zumutungen konsequent zurückzuweisen und gleichzeitig ihre Absicht glaubhaft (!) zu machen, die längst überfällige Modernisierung von Staat und Wirtschaft tatsächlich anzugehen, einen Lastenausgleich vorzunehmen, Korruption und Steuerflucht zu bekämpfen usw.
    Stattdessen wurde mit Russland kokettiert, die wohl – es gibt unterschiedliche Meinungen dazu, nicht nur von notorischen Verweigerern – berechtigte Klage Griechenlands über die Zurückweisung der deutsche Kriegsschuld mittels der Zwei-plus-vier-Verhandlungen ins Spiel gebracht, was unter den gegebenen Umständen Misstrauen säte respektive nicht fruchten konnte. Das und anderes waren keine vernünftigen Versuche, Verbündete zu gewinnen; zumal unter den Ländern, die ähnlich unter der Austeritätspolitik litten und leiden wie Griechenland. Auch bleibt zweifelhaft, ob die linksnationalistische Syriza nicht doch einer etwas national überhöhten Vorstellung von Solidarität anhängt und den Verbleib in der Euro-Zone nur aus parteipolitischem Kalkül betreibt – oder ob ihre Perspektive doch das Land im Auge hat.

  165. Marxismus/Leninismus oder was? Zum Beitrag von Werner Richter im Blättchen 12/2015

    Es ist erfreulich, dass der Autor seine beeindruckenden Kenntnisse und sein polemisches Talent auch mal wieder zu einem Beitrag im redaktionellen Teil nutzt und nicht nur das Forum damit beehrt. Die kompakte Darstellung ist für mich sehr nachvollziehbar – und wirft ein Schlaglicht auf das planlose Gewurstel, das bei einem Blick in die Praxis der Wirtschaftspolitik festzustellen ist.

    Zur – unterstützenswerten – Aufforderung, das Theoriegebäude von Grund auf zu überdenken, passt aber nicht, dass der Autor gleich im ersten Absatz unkritisch einen Begriff übernimmt, den man allenfalls mit sehr spitzen Fingern anfassen sollte: „Marxismus/Leninismus“. Hier wird eine untrennbare Verbindung zwischen beiden Autoren suggeriert, die sich immer nur als Klotz am Bein der Linken erweisen kann.

    Als ökonomischer Theoretiker ist mir Lenin bisher nicht weiter aufgefallen, es sei denn durch die interessante These, dass die Kapitalisten die Arbeiter durch Lohnzahlungen „bestechen“. Als Praktiker hat er sich und seiner Partei das unlösbare Problem der „ursprünglichen sozialistischen Akkumulation“ aufgehalst (vgl. hierzu: http://das-blaettchen.de/2013/05/engels-und-der-oktober-25065.html ). Die Lösung dieser Aufgabe fiel dann Stalin zu, unter dem nicht nur die materielle, sondern auch die Ideologieproduktion ungeahnte Höhen erreichte und die klügsten und kritischsten Köpfe ausgerottet wurden.

    Der Restmüll dieser Epoche beinträchtigt die Analyse der ökonomischen Realität nicht weniger als alle neoliberalen Konstrukte. Ehe damit nicht aufgeräumt ist, wird die Linke wohl kaum taugliche Rezepte zur Lösung der dringenden aktuellen Probleme finden – und mit Sicherheit nicht die massenhafte politische Unterstützung finden, die zu deren Verwirklichung nötig wäre.

    • Werner Richter sagt:

      Sie bringen mich arg in Verlegenheit lieber Herr Mankwald, Lob vertrage ich gar nicht, Kritik ist produktiver. Außerdem übertreiben Sie maßlos. Dank für die notwendige Ergänzung, natürlich kann der Begriff „M/L“ nur so verwendet werden, war auch so gemeint. Ich hatte aber die präziseren „…“ unterlassen, die sind jedoch wohl im Weiteren notwendig.

  166. Lutz Mühlfriedel sagt:

    Herzlichen Dank an WOLFGANG HOCHWALD für seinen Beitrag im Blättchen Nr. 12 vom 8. Juni 2015 über den britischen Musiker BILL FAY! Schön zu lesen, dass es offenbar weitere Musikfreunde gibt, die die Kunst dieses „lost singer-songwriter“ zu schätzen wissen.
    Solange solche genauen Zuhörer und Verehrer großartigen Liedermachings ihre Stimme erheben und anderen – gerne auch im Blättchen – von ihrer Begeisterung Mitteilung machen, solange ist noch gar nichts verloren.

  167. Erhard Crome sagt:

    In der von Ulrich Busch beschworenen bargeldlosen Welt möchte ich nicht leben. Bereits jetzt ist es so, dass man, nachdem man mittels einer Blumenversandbude einmal per Internet einen Blumenstrauss versandt hat oder bei einer Hotelbettvermittlung eine Übernachtung gebucht, jeden Tag unbestellte Mails bekommt, die dazu auffordern, einen besonders bunten Blumenstrauss nach Honolulu zu versenden oder eine preiswerte Übernachtung in Gelsenkirchen in Anspruch zu nehmen. Die Vorstellung, nach jedem Kauf einer Leuchtröhre oder einer Bockwurst einen vergleichbaren Informationsmüll aufgenötigt zu bekommen, ist gespenstisch. Busch hat das Freiheitsargument in Bezug auf das Bargeld zwar artig erwähnt, aber faktisch ignoriert bzw. mit der Unterstellung organisierter Kriminalität kurzgeschlossen, um am Ende zu seiner Orwellschen Zukunftsvision zu kommen. Einschlägige Kreise der Großbanken und Geheimdienste versuchen diese schon seit längerem zu popularisieren.

    • Ulrich Busch sagt:

      Antort auf Erhard Cromes Kommentar: Die Zukunft hat wohl für so manchen Bürger immer etwas von einer Orwellschen Schreckensvision und der technische Fortschritt ohnehin. Das hält diesen aber nicht auf. Ebenso wenig stellt m.E. der heutzutage zu konstatierende offensichtliche Missbrauch einiger technischer Errungenschaften für Werbezwecke jene selbst in Frage. Bargeld ist nunmal ein archaisches Relikt aus früheren Jahrhunderten, ähnlich wie z.B. das Gold eine archaische Form des Geldes darstellt. Seine Abschaffung bedeutet aber nicht die Abschaffung des Geldes, sondern ist lediglich Ausdruck für dessen Modernisierung. Bestand früher fast alles Geld aus Noten und Münzen, so ist dies heute nur noch ein Bruchteil. In Euro-Europa sind es weniger als 10 Prozent. Zieht man davon das Mafia-Geld und das in Safes zwecks Steuervermeidung usw. deponierte Geld in Form von 200- und 500-Euro-Noten ab, so verbleiben weniger als 5 Prozent für den normalen Zahlungsverkehr. In der DDR betrug der Bargeldanteil am Geldumlauf rund 3 Prozent – das ist in etwa der beim heutigen Stand der Technik notwendige Umfang. Dass dieser mit dem technischen Fortschritt beständig weiter abnimmt, sollte man nicht bedauern, sondern begrüßen, denn hier geht es um Ökonomie und nicht um Nostalgie. Und Ökonomie genügt nunmal dem Effizienzkriterium und dem Fortschritt. Nostalgie dagegen nicht. Also: Keine Angst vor der bargeldlosen Geldwirtschaft. Sie ist ökonomisch, transparent und modern. Und sie wird kommen, genauso wie das Internet, das Handy oder das E-Book gekommen sind – obwohl sich ihnen einige Bürger verweigert haben und sich weiterhin verweigern.

    • Werner Richter sagt:

      Der Artikel ist schon informativ, die Darstellung von Entwicklungen an der Oberfläche der Wirtschaft ist unerläßlich. Es aber kann nicht die Aufgabe der Ökonomie sein, in der formalen Zustandsbeschreibung zu verharren, die höchstwahrscheinlich eintretenden Trends zu bestimmen, darin das Positive zu finden und mit dieser Entwicklung irgendwie seinen Frieden zu machen. Im Artikel findet man die Beschreibung des Ist-Zustandes, keine ökonomische Analyse, schon gar nicht der dahinter ablaufenden Verwertungsvorgänge. Es sei in diesem Zusammenhang an Interviews/Film von Michael Moore oder Joseph Stieglitz in den Herkunftsorten beider angesichts der katastrophalen Ruinenlandschaften infolge der Krise 2008 erinnert: Wann ging das eigentlich los? Zuerst nahm man uns das Geld weg, wir lebten eine Zeit lang unbekümmert nur noch auf Kredit und verloren dann die Übersicht. Ganz nach Plan, wie wir heute wissen.
      Bargeldlosigkeit kann man nicht losgelöst von Wert- und Verwertungsprozessen betrachten. Darin wäre die Aufgabe der Gesellschaftswissenschaft, besonders der Ökonomie, zu suchen.
      Zur Darstellung der Rolle der „Wirtschaftsweisen“ und anderer Ausweg-Scouts wäre zu erinnern, auch in diesem Zusammenhang sind sie zuerst Strategen und Taktiker neuer neoliberaler Ansätze zur Forcierung des Kapitalkonzentrationsprozesses. Ihre Begründungen sind naturgemäß manipulatorisch erarbeitet, werden bei Bedarf schon mal konterkariert und sollen die Hintergründe tarnen, also „einleuchtend“ sein. Hierin ist wohl eine wesentliche Ursache für das Schwinden des Ansehens der Ökonomen in der Öffentlichkeit zu finden. Auch werden diese Ökonomen schon mal von Politikern, die zuerst die dann überholten Thesen „bestellt“ hatten, als Watschenmänner genutzt. Bei näherem Hinsehen wird der Unsinn der hochbezahlten Argumente besonders im Ausflug zum Kriminellen deutlich: Es entstünde logisch ein Parallelmarktsystem mit Bargeld, mehr nicht. So die Erfahrungen aus der Geschichte der Schwarzmärkte, Bofinger hätte dem nichts Wesentliches entgegen zu setzen. Seltsam, zur Einführung der großen Banknoten hörte man von den Experten noch anderes, wie sich die Zeiten (oder die Interessen?) ändern. Sind denn kriminelle Finanzgeschäfte, welche sollen denn nicht kriminell sein, zu bekämpfende Auswüchse zum Schaden des Kapitalismus oder sind sie systemimmanent?
      E. Crome Gefühl täuscht ihn bestimmt nicht, diese Bargeldlosigkeit ist kein Fortschritt für die Gesellschaft ebenso wenig wie die beschriebene positive Rolle der Krise für „moderne Formen“ der „Finanzwirtschaft“. Wobei dieser Begriff schon ein Euphemismus zur Regulierung der Finanzkonzentrationsprozesse ist, Stieglitz bezeichnete sie als Finanzterrorismus, Günter Reimann war sie gefährlicher als Atomwaffen. Unter den Bedingungen der Verwertungsgesellschaft, also der Warenproduktion, dienen derartige „Modernisierungen“ immer der Umverteilung nach „oben“.

    • Erhard Crome sagt:

      Die Antwort von Ulrich Busch ist mir zu kurzschlüssig. Es geht nicht um Zukunft als Schreckensvision im allgemeinen. Es geht darum, dies – den bargeldlosen Geldverkehr – als Zukunft darzustellen, ohne zu problematisieren. Informations- und Robotertechnik zum Rasenmähen ist sicherlich eine begrüßenswerte Zukunft, dieselbe zur Lenkung von Mord-Drohnen, die ihre Ziele selbständig aussuchen, gewiss nicht. In diese Kategorie gehört auch ein bargeldloser Geldverkehr, bei dem die Chipkarten ausgebenden und akzeptierenden Institutionen ganz genau wissen, was ich wann wo gekauft habe, was meine Gewohnheiten und üblichen Wege und Aufenthaltsorte sind. Diese Daten wandern dann in Werbe-Vorgänge, bei denen ich „zielgenau“ ständig mit „Angeboten“ überhäuft werde. Davor schützt mich das anonyme Bargeld. Und bei all dem haben wir noch nicht darüber geredet, dass dieses Wissen die Macht des großen Kapitals bzw. seiner Inhaber über das gemeine Volk noch weiter vergrößert. Die Abschaffung des Bargeldes senkt sicherlich die Transaktionskosten im Geldverkehr und steigert damit die Kapital-Rendite. Dieses Kapitalinteresse muss aber nicht notwendig im Interesse der Menschen liegen, die außer zu konsumieren auch noch gut leben wollen.

  168. Achim Höger sagt:

    Dem Glückwunsch an Gerhard Zwerenz kann ich mich nur anschließen. Zu danken ist dem Jubilar unter anderem auch dieses Zitat:
    „Die Entscheidung, nach 1945 ein anderes Deutschland zu schaffen, beruhte auf unserer Kriegserfahrung. (…) Unser Sozialismusversuch stand zwar unter einem unglücklichen Stern, war jedoch legal und legitim, so wie jedes Engagement für den neuen deutschen Staate legal und legitim war.“

  169. Stephan Wohanka sagt:

    Bernhard Romeike: Blatter – zu welchem Ende?
    Ach, es ist doch so schön einfach: Der Kapitalismus ist sowieso korrupt, warum sollte der Fußball eine Ausnahme sein? Und eines ist ganz klar- es kann nur darum gehen, „… Russland die Fußball-WM 2018 zu entziehen“. Natürlich – man kann jedwedes Geschehen auf dieser Welt mit einigen Finessen oder auch ganz simpel in das „Böse-USA-Armes-Opfer-Russland-Schema“ pressen. „Der russische Kommentar“ weiß es dann auch ganz genau: „Die FIFA ist eine der wenigen, unabhängigen internationalen Organisationen, die ihre Finanzgebarung nicht mit den USA abspricht.“ Vielleicht es aber auch so, dass die Fifa-Bosse ihre korrupten Geschäfte über US-Banken abwickelten, weil sie glaubten, im Fußball-Entwicklungsland USA werde nicht so genau hingeschaut, dass deshalb – wie die US-Justizministerin Lynch feststellte – „die USA für sie ein sicherer Finanzhafen“ (gewesen) seien.
    Im Beitrag nicht direkt gesagt, wenn auch latent unterstellt („Welche politischen Interessen walten im Hintergrund? Es war offenbar kein Zufall, dass die Verhaftung hoher FIFA-Funktionäre in der Schweiz auf Betreiben der US-Justiz just zwei Tage vor Beginn des FIFA-Kongresses erfolgte“) spielten sich – wie anderswo zu lesen ist – „die USA einmal mehr als Weltpolizist auf“. Warum wohl? Weil andere nichts tun! Denn warum, frage ich mich desweiteren, misten nicht deutsche Staatsanwaltschaften oder die anderer europäischer Länder – die sich als Hochburgen dieses hehren Sportes verstehen – diesen Augiasstall aus? Dass die Fifa im Ruch der Korruption steht, ist doch ein alter Hut; nicht zuletzt haben deutsche Fußball-Funktionäre wiederholt darauf hingewiesen. Romeike hat ja recht („Ach, ausgerechnet Deutschland 2006 nicht? Man erinnere sich an den jubelnden Kanzler Schröder nach der Entscheidung über das Austragungsland!“), auch diese Vergabe ist zu überprüfen! Nein, da wird weiter gekungelt, da hackt die Uefa-Krähe der Fifa-Krähe keine Auge aus.
    Die causa Fifa erinnert an die causa Radsport – auch da waren es letztlich die (Strafverfolgungs)Behörden der USA, die, um im Bilde zu bleiben, den Ball ins Rollen brachten und bewirkten, dass der Dopingsumpf trockengelegt wurde!

    • Werner Richter sagt:

      Nein, Unterstellungen sind nicht die feine Art. Und gewiß ist es eine ewige Wahrheit, die USA wollen seit eh und je nur Demokratie und Gerechtigkeit in die Welt bringen, auf dass es dem Rest der Welt besser gehe. Sie und ihre treuesten Verbündeten erklären das ja auch seit Jahren in stoischer Permanenz. Alle anders lautenden Gerüchte sind böswillig und gemein. Schon Hannah Arendt verleumdete die USA, ihr Land, ihrerzeit mit der unverschämten Gegenfrage: Von welcher Demokratie sprechen Sie denn? USA können wegen fehlender historischer Voraussetzungen keine Demokratie entwickeln und hatten auch nie eine. Die USA seien ein Land der Gesetze mit dem kleinen Unterschied von Recht und Gerechtigkeit. Und so kriegt die ganze Welt Regime übergestülpt, die Demokratie genannt werden, aber wenig damit zu tun haben. Mit der Gerechtigkeit hat es sich ähnlich. Aber die Bezeichnung stimmt schon, wenn man nicht so genau hinsieht. Bis Ende des 2. Weltkrieges sprach man selbst in den USA nur vom Land der Freiheit, über Freiheit wovon weniger, die Demokratie erfand man später dazu. Die lange Liste der glücklichen Länder läßt jeden selbst ein Bild vom süßen Leben in allen Teilen der Welt machen, die in den Genuss der US-Intervention gerieten. Ach, die Glücklichen in Mexico, Guatemala, Panama, Kuba, Grenada, Vietnam, Kambodscha, Laos, Afghanistan, Somalia, Irak und anderswo, von den Gegenden, auf die die USA nur „ihre Schweine“ losgelassen haben, ganz zu schweigen, schwelgen geradezu im Paradies. Iran, Indonesien, Südkorea, Türkei, Tibet, Pakistan, Chile, Kongo, Zaire, Angola, Mocambique, Brasilien, Argentinien, Kuba, Venezuela, Nikaragua, Palästina, Libanon, Italien und Griechenland können das nur bestätigen. Und jetzt ist, wieder mal, eben Europa dran bzw. die FIFA; das US-Recht, natürlich ohne Interessenabwägung, interveniert. Es ist ja auch hier in Europa keine Regierung bereit, dem US-Vorbild folgend die dortige Korruption so stringent zu verfolgen, zu verstrickt in die eigene oder zu ängstlich. Vielleicht ist dies der tiefere Sinn der FBI-Aktion in der Schweiz, ein Hilferuf: Wir erledigen eure Korruption, bitte, tut es danach bei uns, wir können hier nämlich auch nichts ausrichten. Zum Stichwort Radsport wäre noch anzumerken, es ist ein kleiner Irrtum, den „(Strafverfolgungs)Behörden der USA“ die Initiative zur „Dopingsumpf“-Austrocknung zuzuschreiben, leider. Diese Behörden haben jahrzehntelang den großen Armstrong abgeschirmt, erst, als die permanent behinderten Ermittler aus Bürgerkreisen doch ausreichende Belege vorlegten, mussten sie wohl oder übel. Man kann dem „Böse-USA-Armes-Opfer-Russland-Schema“, das im Artikel von Bernhard Romeike nur böswillig zu finden wäre, durchaus folgen und es ist gewiss zu simpel, die US-Politik damit zu erklären. Dem ist aber bestimmt nicht mit einem „Böses Rußland – lautere USA-Schema“ zu begegnen. Das allerdings kann man hier erahnen. Übrigens, eine fast schon pathologische, von US- und EU-Kreisen gezielt instrumentalisierte polnische, ukrainische oder baltische Russophobie bestimmter Kreise, mit der auch die ganze Bevölkerung infiziert werden soll, läßt sich hier ganz bestimmt nicht gut verkaufen, da zu primitiv, dafür ist selbst Pegida-Niveau noch zu hoch.
      Unterstellungen sind gar nicht notwendig.

  170. Franka Haustein sagt:

    Im Beitrag von W. Schwarz in der aktuellen Ausgabe wird Bezug genommen auf Matthew Kroenig, einen amerikanischen – ja was? Kann man jemandem, der von der Nützlichkeit von Kernwaffen in einem Krieg mit Russland auf möglichen baltischen Schlachtfeldern schwadroniert, wirklich als „Strategen“ bezeichnen – oder ist das nicht vielmehr ein pathologischer Irrer?
    Doch halt: Ab 1956 hatten die USA ihre Heeresverbände ja mal mit einem atomaren Kleinstkampfmittel ausgestattet, einem Granatwerfer namens „Davy Crockett“ mit einer Reichweite von lediglich zwischen zwei und vier Kilometern. Dass einem der Wind dabei den radioaktiven Fallout auch ganz schnell hätte um die eigenen Ohren blasen können, wurde im Gefolge der damaligen hysterischen Russophobie geflissentlich ausgeblendet. Immerhin 2.100 dieser Systeme wurden hergestellt und waren z. B. bei den USA-Streitkräften in der BRD bis 1971 im Einsatz.
    Und es gab bis 1962 einen bundesdeutschen Verteidigungsminister namens Strauß, der danach gierte, mit dieser Waffe lieber gestern als morgen auch die Bundeswehr auszustatten.
    Schwachsinn scheint also schon länger eine Begleiterscheinung im Umgang mit Nuklearwaffen, ob nun auf realer oder auch nur auf zerebraler Ebene, zu sein.
    Warum allerdings Kroenig nicht gleich mit empfohlen hat, „Davy Crockett“ aus der atomaren Mottenkiste zu kramen, wo es doch im Baltikum mehr als anderswo um sehr kurze Reichweiten ginge, bleibt sein Geheimnis …

  171. Theosebeios sagt:

    Zu: Erhard Crome u. die schützende Hand:
    „Wie viele Länder die Idee [der Quotenregelung für „Flüchtlinge“, Th.] schon wegen ihrer deutschen Abkunft ablehnen, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen.“ Ob sich das auch nur mit Plausibilität behaupten lässt, darf man schon fragen. Es ließe sich mit einem solchen Motiv wohl kaum ein vernünftiger Gedanke verbinden.

    Ist die Art der Volksbefragung der ungarischen Regierung, der Sie so viel Kommentartext widmen, angesichts des zugrunde liegenden Problems nicht mehr als zweitrangig? Und warum sollten eigentlich Orban u. die anderen genannten Staaten einer Quotenregelung zustimmen, komme sie aus Deutschland oder auch nicht?

    Da mein kritischer Kommentar zu B. Romeike u. der EU-Politik in dieser Sache nicht freigeschaltet wurde, verzichte ich hier zunächst auf weitere Anmerkungen.

    • Manne Murmelauge sagt:

      Und das ist auch gut so.

  172. Achim Höger sagt:

    Lieber Herr Wohanka, warum so angekratzt? Ich habe Sie keinesfalls der Lüge bezichtigt. Tatsächlich sind mir beide Varianten zu Augen gekommen, ohne dass ich da von „Wissen“ sprechen würde. Denn dazu fehlen mir Beweise und Quellen, die Sie Ihrem Duktus zufolge nur bei Womacka vermissen. So offenbar wie die Tatsache, dass die Erde keine Scheibe ist, sind die Dinge ja nun nicht. Da ich ähnliche Erfahrungen in der Frage des angeblich von Honecker geforderten Einmarschs in Polen 1981 gemacht habe, bleibe ich misstrauisch, wenn jemand beleglos von Wissen spricht.

    • Manne Murmelauge sagt:

      „Weltwissen“ ohne Quellenangabe ist eine hervorragende Möglichkeit, jede auch noch so abstruse These in tiefstem Brustton der Überzeugung in die Welt zu setzen. Glückwunsch! Dann stehen uns noch „interessante“ Gesinnungs-Debatten bevor.

    • Stephan Wohanka sagt:

      Lieber Herr Höger, Sie missverstehen mich. Mit dem Verweis auf die „Lügenpresse“ habe ich nicht sagen wollen, dass Sie mich der Lüge bezichtigen, sondern gemeint, dass Ihre ursprüngliche Haltung, nicht sachlich – wie Sie es jetzt tun – zu argumentieren. Ich hatte gehofft, eben genau diese „Beweise und Quellen“ von wie auch immer Sachkundigen zu bekommen; und zwar über Wikipedia hinaus…
      Kurz zu Polen: Ich war 1981 in die Hilfsmaßnahmen für das Land einbezogen und habe noch den Satz im Ohr: „Lieber verfahren wir den Diesel in LKWs als in Panzern“; er muß nach den mir erinnerlichen Umständen von ziemlich weit oben gekommen sein, ob von ganz oben? Aber das ist natürlich auch keine „Quelle“!

      Was nun das „Weltwissen“ angeht, so geht gerade nicht darum, „in tiefstem Brustton der Überzeugung abstruse Thesen in die Welt zu setzen“, wie hier ebenfalls in tiefstem… usw. behauptet wird! Sondern Weltwissen meint das jedermann verfügbare allgemeine Wissen, Erfahrungen und Reflexionen über Gesellschaft, Umwelt usw. Es ermöglicht, neue Fakten, Tatsachen zu werten, einzuordnen und – wenn nötig – entsprechend zu handeln; auch wenn detaillierte Informationen – das heißt „Beweise und Quellen“ – fehlen.
      Was folgen kann, wäre nicht der Schmarren einer „Gesinnungsdebatte“(?), sondern eine eher methodische. Man kann darüber nachdenken, wie ein Weltwissen in die Welt käme; dergestalt, dass ein Protowissen vor dem (Welt)Wissen stünde, dass Wissen also nicht völlig voraussetzungslos zustande käme. Dieses Protowissen wäre selbst noch nicht das (Welt)Wissen, sondern menschimmanente Voraussetzung, letzteres überhaupt ausbilden zu können. Unterschiedliche Experimente weisen nach, dass es diese Voraussetzungen gibt, z. B. in Form von Protosprache und damit –wissen und ein gewisses Verständnis für Geometrie, nachweisbar bei fast allen Menschen.
      Nimmt man das also an, so ist klar: Das Wissen vor der Ausbildung ist nicht identisch mit dem Wissen nach dessen Ausbildung. Spätere „Anreicherungen“ des Wissens bauen dann natürlich auf Erkenntnissen und Theorien auf, die schon eigentliches Wissen darstellen – ganz im Sinne dessen, dass jeder Gedanke nur Folge eines Gedankens ist, der wiederum auf einem Gedanken fußt – ein endloser Prozess oder auch ein infiniter Regress.

    • Wolfgang Ernst sagt:

      Verehrter Herr Wohanka, Ihre Pirouetten zum neuen Thema: „Metamorphosen des Protowissens über Wissen zum Weltwissen“ sollen nur von dem vorher aufgeworfenen Thema ablenken. Die Behauptung, Ulbricht hätte die sowjetische Führung zum Einmarsch in die Tschechoslowakei 1968 anstacheln wollen und Honecker dieselbe zum Einmarsch in Polen 1981, erfüllt gewiss die geschichtspolitischen Intentionen von Hubertus Knabe und Joachim Gauck. Sie wird jedoch nur dann zu „Fakt“ und „Tatsache“, wenn es dafür Belege gibt, wie sie ordentliche Historiker nach üblichen Verfahren beibringen, wenn es sie denn gibt: belastbare Zeitzeugen-Aussagen, Gesprächsprotokolle (die auch, wenn sie damals „geheim“ waren, heute in den bekannten Archiven einsehbar sind, wenn es sie denn gibt) oder Protokolle, etwa von Sitzungen des SED-Politbüros. So lange es solche Belege nicht gibt, bleiben derartige Aussagen Mutmaßungen oder Behauptungen. Sie erfüllen dann den heutzutage durchaus gewollten Tatbestand der üblen Nachrede gegenüber der DDR, werden aber nicht zu „Weltwissen“.

    • Stephan Wohanka sagt:

      Herr Ernst, darf ich Sie auf meinen Text respektive Frage hinweisen, von der der ganze Disput ausging? In der Tat, die Debatte zum „Weltwissen“ ist völlig sekundärer Natur; sie kam nur dadurch zustande, dass niemand in der Lage oder willens war und offenbar ist, mir und der Forum-Gemeinde genau das zu liefern, wonach ich fragte und was auch Sie fordern – dass „Belege“ von „ordentlichen Historikern nach üblichen Verfahren“ und anderes mehr zu dem in Rede stehenden Vorgang beigebracht werden. Am Anfang schrieb ich: „Meines Wissens war die Invasion der Armeen des Warschauer Vertrages vor allem auf die Initiative der Regierung der damaligen DDR zurückzuführen und es drängte wohl eher die Sowjetunion damals darauf, keine NVA-Verbände in das ´Bruderland´ einmarschieren zu lassen, um nicht an die unselige Nazi-Besetzung zu erinnern“. Meine Intension war es, über die „Belege ordentlicher Historiker“ usw. entweder mein Wissen bestätigt oder widerlegt zu sehen respektive auf andere Sichtweisen hingewiesen zu werden; nicht mehr und nicht weniger! Ich wollte also gerade nicht mein Wissen in dieser Frage zu „Weltwissen“ machen, sondern es infrage stellen! Auch eine Auskunft, die Sie unterstellen, wenn Sie schreiben, dass es in der Sache noch nichts zu berichten gäbe, da die Archive noch geschlossen seien, wäre eine sachdienliche gewesen…
      Zum Schluss: Mich verwundert (oder eigentlich auch nicht mehr), dass (zu) selten noch sachliche Debatten zustande kommen. Ohne inhaltlich – auch kontrovers natürlich – zu argumentieren, wird sofort auf „Angriff“, auf „Abwehr“ der missliebigen, nicht ins eigene Bild passende Meinung geschaltet; schade.

  173. Klaus-Dieter Grimmer sagt:

    Besuch der Bundeskanzlerin Merkel am 10. 05. 2015 in Moskau
    Nach dem in der momentanen großpolitischen Lage bemerkenswerten Merkel Besuch in Moskau, befinde ich mich in einem Wortkonflikt zum schlimmes beschreibenden Adjektiv „verbrecherisch“. Was beschreibt dieses Wort und in welchen Zusammenhängen kann es zur Beschreibung eines von Menschen initiierten Vorganges verwendet werden.
    Der Anlass der Anwesenheit der deutschen Kanzlerin in Moskau stand unter dem Stern, 70 Jahre nach der Niederlage eines grausamen Regimes der Opfer zu gedenken. Allein 27 Millionen Tote hat der „Große Vaterländische Krieg“ die Befreiung des eigenen Volkes und weiterer Völker Europas und Asiens, bis zum Sieg der Alliierten über Nazi-Deutschland im Mai 1945 den Völkern der Sowjetunion gebracht. In verbrecherischer und völkerrechtswidriger Art und Weise überfiel das faschistische Deutschland im Jahre 1941 die Sowjetunion und beraubte und verwüstete ganze Landstriche. Das war aber nicht das Schlimmste. Noch viel unmenschlicher war der planmäßig und systematisch betriebene Völkermord nicht nur an Juden sondern auch an den sogenannten „slawischen Untermenschen“. Sowohl die deutsche Wehrmacht als auch SS Kommandos hinterließen ihre Blutspuren nicht nur in Russland sondern auch in der Ukraine, Weißrussland und in den baltischen Ländern. Was dort von Nazi Deutschland und seinen Verbündeten betrieben wurde, war ein ethnischer und ideologisch geführter in nie gekanntem Ausmaß grausamer Vernichtungskrieg, einhergehend mit der grenzenlosen Ausraubung jeglicher Besitztümer in den besetzten Gebieten.
    Mit diesem Wissen im Kopf sagt Frau Merkel zu den gegenwärtigen Beziehungen Russlands und Deutschlands: „hat durch die verbrecherische und völkerrechtswidrige Annexion der Krim und die militärische Auseinandersetzung in der Ostukraine einen schweren Rückschlag erlitten“.
    Das Sie beim Aussprechen des Wortes „verbrecherisch“ während ihres Auftritts ins Stocken geraten ist, soll hier nicht weiter interpretiert werden. Aber diese Worte zum gegebenen Anlass in der gegebenen Situation zu verwenden, ist höchst besorglich, ja verbietet sich. Hat Frau Merkel bei ihren Ausführungen die Vorgeschichte vergessen, die zu der sogenannten Ukraine Krise führten? Hat sie die vier Milliarden Dollar der USA vergessen, die Frau Nolan (fuck the EU) zur Unterstützung einschließlich faschistischer Gruppierungen in der Ukraine ausgeplaudert hat? Ist nicht ein demokratisch gewählter Präsident durch Mitwirkung genau dieser Kräfte aus dem Amt geputscht worden?
    Fragen über Fragen! Was ist Ursache, was Wirkung.
    Der Ausspruch der Kanzlerin, dann noch zu diesem Anlass, macht mich tief traurig. Die Frau hat einen Eid geschworen, der da u.a heißt „Schaden vom Deutschen Volke abzuwenden“. Mir ist als hätte man zum zweiten Male die MH 17 mit 300 unschuldigen Passagieren an Bord abgeschossen, ich fühle eine grenzenlose und sprachlose Leere.

  174. Theosebeios sagt:

    “ ROUSSEAUISTISCHER ERBSCHADENS DES MARXISMUS “ (!?)
    Eine interessante Diagnose, lieber Herr Bosselmann, aber – warum „Schaden“? Ist es nicht so, dass jede Umsetzung einer revolutionären Idee, ja jede große soziale Veränderung, ihre Opfer fordert? Gerade das „menschliche Antlitz“ (und nicht nur der gewünschte Sozialismus mit solchem, sogar die Durchsetzung heiliger Normen wie der Menschenrechte) können recht unmenschlich sein. Muss nicht der Gute, der den Weg der Gewalt einschlägt, um das Gute für die Welt zu erreichen, Hekatomben von Blut mit einkalkulieren? Wo gehobelt wird, da fallen Späne oder, um es mit Hegel ein wenig gehobener auszudrücken: das Edelste und Schönste muss auf dem Altar der Weltgeschichte geopfert werden. „Dabei, dass einzelne Individuen gekränkt worden sind, kann die Vernunft nicht stehen bleiben.“ (Hegel, vermutlich: Vorle-sungen über die Philosophie der Weltgeschichte)

    • Werner Richter sagt:

      Das stimmt, gilt aber nur, solange wie bisher üblich die Konstellation “Dummes Volk braucht gescheite Vordenker und Vorgeber” nicht in Frage gestellt wird. “Marxismus” und “humaner Sozialismus” bilden da keine Ausnahme und setzen letztendlich das “Gute für die Menschen” wenn sein muß brachial durch, es fallen Späne. Möchte darauf verweisen, daß dieser Marxismus nicht Marx entspricht, von seiner Gesamtidee nicht ableitbar ist (siehe Hobsbawm, Harbach u.a.). Unter diesem Aspekt drängt sich die Frage auf, ob Marx so einfach die Nachfolge Hegels u.a. zugeordnet werden kann oder ob dies mehr dem nachträglich entstandenen Politikprimat der “Marxisten” entwachsen ist. Es stellt die Geschichte die grundsätzliche Frage, ob überhaupt nach bisherigem Muster der gelenkten Schafsherde eine neue Gesellschaft entstehen kann. Eine ganze Reihe von Wissenschaftlern sind zur Erkenntnis gelangt, humane Gesellschaftsstrukturen sind nur von den “Graswurzeln” her, also in absoluter Freiwilligkeit in flachen Strukturen auf dem jeweils höchsten Stand von Wissenschaft und Technik, so wie in der IT-Branche bereits in Ansätzen in Entwicklung, auch in materieller Produktion und damit in der gesamten Gesellschaft möglich. Sonst läuft alles wieder gegen den Baum. Allerdings muß man sich das Sendungsbewußtsein, den “Menschen” sagen zu müssen, was zu tun ist, abgewöhnen. Negieren dieser Ideen schafft nur ein Brett vor dem Kopf, Stimmen wie die von Immanuel Wallerstein, der Degrowth-Bewegung, der Peer-to-peer-Production, der Commons-Richtung und der alternativen Ökonomen sollten wir ernster nehmen. Dazu können die Links:
      http://www.kontext-tv.de/node/470
      und
      http://www.theoriekultur.at/wiki?GesellschaftlicheAlternativenJenseitsVonMarktUndGeld
      verhelfen.

    • Theosebeios sagt:

      Herr Richter, ich applaudiere Ihrem Optimismus, möge er die Oberhand behalten!
      Es fasziniert mich — und der Marxismus gilt da nur pars pro toto –, dass und wie die Gerechtigkeit der Gerechten, das Gute der Guten in Gewalt, Unterdrückung und Ungerechtigkeit umschlägt. Dabei mögen etwa Marx oder Mohammed sich die Sache anders gedacht haben, auf die guten Absichten, die die Wege zur Hölle pflastern, kommt es bekanntlich nicht an. Übrigens zeigt sich eine interessante Affinität zwischen dem häufigen Bekenntnis von Marxisten (oder auch „Marxisten“), diese oder jene Entgleisung habe nichts mit den Lehren von Marx zu tun, mit dem noch häufigeren Bekenntnis, IS und Co. hätten nichts mit dem Islam zu tun. (Dies ja auch der offizielle politische Sprachgebrauch.) Als im weitesten Sinne in dieser Branche tätiger Sozialwissenschaftler gelten mir solche Bekenntnisse, die vielfach auch von Fachkollegen (!) abgerufen werden können, nur als Teil des Analysematerials. An ihren Früchten werden wir sie erkennen, nicht an ihrer Gesinnung und gewiss nicht nur an den Früchten eines Sommers.

    • Werner Richter sagt:

      Nicht das ist der Tenor meiner/unserer Einwendungen, lieber Theosebeios („Herr/Frau“ weggelassen wegen Unklarheit Ihres Synonyms), Ihre Interpretation birgt die (akzeptable) Verflachung meiner/unserer Aussagen. Damit können wir leben. Natürlich hat Marx damit etwas zu tun, sonst könnte man sich nicht auf ihn berufen. Jedoch ist ein „Auf-den-Kopf-Stellen“ der Marxschen Analysemethode auch durch den „politischen“ Marxismus nicht zu übersehen. Ob dies aus Zeitdrang (Revolution kann nicht warten), oberflächlicher Beschäftigung aus aktueller Problemsicht oder fehlender technischer Vorbedingungen für andere Wege logisch eintreten mußte, sei mal dahin gestellt. Da aber mit ethernet inzwischen u.E. ausreichende Bedingungen für andere Wege geschaffen wurden und ständig ausgebaut werden, tatsächlich eine Gesellschaft mit Primat der Bedürfnisse anzugehen, ist wohl die Hinwendung auch der Ökonomie als dadurch absterbende Wissenschaft auf diese Richtung mehr als fällig. Wir hüten uns zu sagen, so und ab dann kann eine neue Weise der Produktion nach Bedürfnis erfolgen und so muß sie aussehen. Das kann sich nach und nach entwickeln, mit Rückschlägen und Neuanfängen, jetzt, in 100 oder 200 Jahren, in Koexistenz mit Warenproduktion höchstwahrscheinlich mit allen daraus resultierenden Problemen. Wer sich in der Welt umsieht, kann die Anfänge der neuen Bewegung, ganz von unten in völliger Freiwilligkeit entstanden, zuerst in IT (div. Commons), auch in Katastrophensituationen, aber auch in der materiellen Produktion, regional und auf allerhöchstem Stand der Technik, nicht übersehen. Unser Anliegen ist die Analyse dieser Novitäten hinsichtlich ihrer Zukunftstauglichkeit und die Interpretation dieser Vorgänge zur Findung einer wissenschaftlichen Systematik. Aus diesem Blickwinkel erscheint die bisherige Interpretation der Marxschen Analyse vulgär. So gesehen sind wir tatsächlich Utopisten, aber keinesfalls Illusionisten. Wir bewegen uns strikt in der Realität. Uns geht es darum, die Idee einer alternativen Gesellschaft im Gespräch zu halten, nicht um ein politisches Programm. Worum es sich dabei im Einzelnen handelt, wird vielleicht, so Gott und die Redaktion will, näher hier behandelt werden.

  175. Stephan Wohanka sagt:

    An die Blättchen-Leser und Autoren, die historischer Sachverstand bezüglich der politischen Krise in der CSSR 1968 besitzen: In den Erinnerungen des Malers Walter Womacka „Farbe bekennen“ ist auf den Seiten 219/220 zu lesen: „Erst später erfuhr ich (und atmete erleichtert auf), daß Ulbricht in der Nacht vor dem Einmarsch bei den sowjetischen Militärs durchgesetzt hatte, daß keine NVA-Einheiten die Grenze überschritten. Die bereits markierten Panzer waren aus den Marschkolonnen herausgewunken und in Bereitstellungsräume im Erzgebirge geparkt worden. Ulbrichts Votum“ bewirkte, „daß damit die Luft für ihn um einiges dünner geworden war. Die Führungsmacht würde es nicht hinnehmen, wenn einer selbstbewußt aus der Reihe tanzt. Dessen schien sich (Ulbricht) wohl bewußt zu sein. Die Härte, die er plötzlich nach innen demonstrierte, wertete ich als Schutzreflex. Er wollte sich offenbar nicht von Moskau nachsagen lassen, er hätte die Sympathisanten des ,Prager Frühlings´ – aus Sicht des Kremls wohl die 5. Kolonne der NATO in der DDR – unwidersprochen gewähren lassen.“
    Meines Wissens war die Invasion der Armeen des Warschauer Vertrages vor allem auf die Initiative der Regierung der DDR zurückzuführen und es drängte wohl eher die Sowjetunion damals darauf, keine NVA-Verbände in das „Bruderland“ einmarschieren zu lassen, um nicht an die unselige Nazi-Besetzung zu erinnern.
    Wie ist also die Einlassung Womackas zu werten?

    • Achim Höger sagt:

      Und woher, Herr Wohanka, beziehen Sie Ihr Wissen? Wie also kann ich Ihre Einlassung werten?

    • Stephan Wohanka sagt:

      Lieber Herr Höger,
      warum so süffisant? Mein Wissen zu dem in Rede stehenden Vorgang ist – wenn Sie so wollen – abstraktes so genanntes Weltwissen, also Wissen, dessen Quellen ich gar nicht mehr kenne oder nachweisen kann; wie etwa: „Die Welt ist keine Scheibe, sondern rund.“
      Ein zweites ist jedoch bedauerlich. Sie teilen offensichtlich mein Wissen nicht. Auch Womacka hat ein anderes als ich. Meine ehrliche Frage zielte auf diese Differenz. Sie aber machen – und es ist offenbar heute oftmals Usus, wenn man auf anderes als das eigene Wissen von einer Sache trifft – jeden Dialog, jeden Diskurs unmöglich; Sie brüskieren den anderen. Es erinnert an den stereotypen Anwurf „Lügenpresse“; auch in diesem Falle wird der Austausch von Argumenten von vorn herein abgewürgt.

  176. Für eine Handvoll Kaffeebohnen: Der Beitrag von Sem Pflaumenfeld in der aktuellen Ausgabe bietet äusserst interessante Einblicke in den kreativen Prozess – und in die individuellen Unterschiede seiner Bedingungen. So würde es mich rasend machen, beim Schreiben mit Musik berieselt zu werden, und Gespräche brächten mich aus dem Konzept. Lao Tse sprach davon (nach der Übersetzung von Richard Wilhelm), „durch Stille allmählich das Trübe zu klären“. Das beschriebene Ambiente scheint mir eher dazu geeignet, dasselbe durch gleichmäßige Beschallung in der Schwebe zu halten. Sehr gerne gebe ich allerdings zu, dass ich die Beiträge der Autorin in keiner Weise als unklar oder oberflächlich empfinde.

    Erstaunlich finde ich auch, welchen Wert die Autorin auf Konsens legt – bei der beschriebenen Arbeitsweise ist ja eine Art „peer review“ in den Schreibprozess gleich mit eingebaut. Nun ist Konsens (wie ich gelegentlich in eigenen Beiträgen argumentiert habe) in der Tat sehr wichtig für das reibungslose Funktionieren unserer Gesellschaft. Paradigmenwechsel, die in vielen Bereichen wünschenswert erscheinen, sind jedoch ohne ein gehöriges Maß an Dissens kaum möglich. Und vielleicht steigert ein solches Aroma ja sogar den Marktwert der damit gewürzten Texte?

    Mir bleibt, Frau Pflaumenfeld für zahlreiche Einblicke zu danken, die mir sonst aus mehreren Gründen verschlossen geblieben wären: wegen der räumlichen Entfernung, wegen der notorischen Schwierigkeiten der japanischen Sprache und Schrift, und nicht zuletzt wegen meiner Geschlechtszugehörigkeit. Denn die eigentliche Faszination, die die Autorin mir mit ihren Beiträgen vermittelt, ist die einer autonomen und solidarischen weiblichen Welt in einer Gesellschaft, in der traditionell Männer eine äusserst dominante Rolle spielen.

  177. H. Jantke sagt:

    zu Karsten Voigt . . . . . Russland und der Westen. Eine Antwort auf Wolfgang Schwarz

    Ich erinnere mich an eine TV-Runde am Abend zu einer Zeit, als wir noch einen FDP-Außenminister hatten, der gerade vom Maidan zurückgekehrt war und in dieser Runde saß, als die „Maidan-Kenner“ der Runde formulierten, dass es in Kiew auch darum gehe, ob es „uns“ gelingt: 1. Den Maidan auch auf den Roten Platz bis vor den Kreml zu bringen und 2. in Charkow Raketen zu stationieren, die in einer Minute Moskau erreichen würden. Unser damaliger Außenminister hat das unwidersprochen stehen lassen – und deshalb bin ich anderer meinung als Karsten Voigt.

    H. Jantke

  178. Kontextleser sagt:

    Kontextleser sagt:
    Dem Lehrmaterial zur Genesis der atomaren Abschreckung von Wolfgang Schwarz, emotional „das hirnrissige Spiel mit der Apokalypse“ benannt, soll der Vollständigkeit halber zugefügt sein, daß man in Deutschland da keineswegs so ohne Schwierigkeiten hat durchregieren können. „Glauben Sie mir“, gestand Bundeskanzler Adenauer 1957 die seinen vor dem Bundesvorstand der CDU ein, „die Angst vor der Atombombe hat etwas Emotionales, und dieser Emotionen Herr zu werden, nachdem das deutsche Volk diesen letzten Krieg hat über sich ergehen lassen müssen, wird sehr schwer sein.“
    Sein persönlicher Beitrag dazu war die Information – ganz weit von irreführender Propaganda entfernt! – , wonach taktische Atomwaffen „nichts weiter als die Weiterentwicklung der Artillerie“ seien. Und welch guter Deutsche könne der Bundeswehr verwehren, „unsere Soldaten“ mit den best-verfügbaren Waffen auszurüsten? Aber all das ohne Beteiligung am Rüstungsgeschäft? Diese Gefahr war gegeben. Denn der Produktionsverzicht war in den „Pariser Verträgen“ festgeschrieben. Abhilfe konnte der Umweg über „Europa“ eröffnen. Der deutsche Verteidigungsminister Strauß und sein französischer Kollege Chaban-Delmas kamen, knapp einen Monat nach den von Kanzler Adenauer gewonnenen Bundestagswahlen, im November 1957 überein, daß Deutschland selbstverständlich mitmachen könne: Da wurde ein „europäisches Institut für Flugkörper“ verhandelt Und das Projekt sollte eben in Frankreich ablaufen. Freilich störte die östliche Propaganda etwas, hier erfolge die Aushöhlung der eigenen Verträge. Aber wer schenkte dem schon Glauben? Wenn dies dann nicht so funktionierte, war das nicht veränderter Absicht geschuldet; Frankreich hatte sich finanziell übernommen, und zu dieser Zeit konnte Deutschland solche Dellen noch nicht ausbügeln. Dann kam Hilfe aus Übersee; andere machten das Geschäft. Also, Herr Schwarz, so direkt wie man es bei ihrer Aüfzählung herauslesen könnte, ging das nicht. Da mußte man sich schon immer was zu einfallen lassen – und alles ohne ihr Institut!
    Aber ihr Artikel damals war schon ganz sauber gearbeitet, und die Mitautorenschaft ihres Direktors sollte ja wohl signalisieren, daß dies der (damals gegenwärtige) DDR-Standpunkt war. Und konsequent folgend dann auch noch die erfolgreiche Kampagne: Das Teufelszeug muß weg!
    „Manches war doch anders“, heißt eine Rubrik im „Blättchen“. Aktuell erinnerungswert.

  179. Achim Höger sagt:

    Zu Satchmos DDR-Tournee
    „… unser dürftiges DDR-Englisch“ Was bitte, Herr Grobe, hatte die DDR mit Ihrem dürftigen Englisch zu tun? Durfte man in der gewesenen Republik nicht auch ordentliches Englisch lernen? Da wüsste ich aber etliche, die sich über dieses „Verbot“ kühn hinweggesetzt haben. Man kann der DeDeRe gewiss manches vorwerfen, aber Ihre eigene Faulheit sollten Sie sich doch besser selbst aufs Schuldkonto schreiben.

  180. Werner Richter sagt:

    Zu Piketty kontrovers von Ulrich Busch Heft 09.2015
    Es mag sein, daß Piketty allgemein als Ökonom durchgeht, aber sein Buch trägt dieses Merkmal bedingt nur in seiner Statistik. Er selbst bestreitet dessen eigenständige wissenschaftstheoretische Bedeutung, zu Recht ausdrücklich. Im Kontext zum Film „Der Kapitalismus“, diesen Bezug wohlweislich im Buch nicht erwähnt, ist seine wissenschaftlich theoretische Leistung als Reaktivierung der politischen, nichttheoretischen Arbeit von Karl Polanyi einzuordnen. Das ist alles andere als seriöse Wirtschaftswissenschaft, aber ein großer Marketingschachzug, weiter nichts. Piketty hat nach Selbstbekenntnis auch nicht vor, die Ursachen der kapitalistischen Verteilungswidersprüche aufzudecken, um diese dann zu beseitigen. Ihm geht es um Heilung des Kapitalismus durch bessere Verteilung in illusionärer Hoffnung auf Vernunft der Kapitaleigner und den Staat. Der Sankt-Nimmerleins-Tag steht vor der Tür. Auch ist, war hier schon Gegenstand, Vorsicht mit Bestsellern geboten. Deren Listen erwiesen sich in der Regel nicht als Kriterium für großen Inhalt, schon gar nicht für Wissenschaftlichkeit. Und es wird in der Ökonomie wohl zu Recht bestritten, daß historisierende Analyse, wie die von Piketty auch, für die Erkenntnis der Widersprüche im Kapitalismus geeignet sind. Der Titel selbst ist bestenfalls ein Euphemismus und verkaufswirksam. Man dies natürlich als Leistung würdigen, oder auch nicht.

  181. Werner Richter sagt:

    Zu Karsten Voigt Heft 9-2015
    Die Proteste von Kiew haben aber auch eine Vorgeschichte, die Nuland weiland bilanzierte: Die 5 Mrd. $ waren nach Angaben der polnischen Opposition neben der geheimen Ausbildung der Rechte-Sektor-Einheiten in Polen unter Schirmherrschaft des Außenministers durch die CIA auch zur monatelangen flächenmäßigen Protestinstallation in der Westukraine und in Kiew ausgegeben worden. Zufällige Beobachter erlebten die Geburt der Protestbewegung auf täglichen Kundgebungen mit anschließender Obolusausgabe an die Anwesenden, zumeist Rentner, die am Gegenstand der Kundgebungen kein Interesse zeigten. Auch noch zum Beginn des Maidan trafen sie, nicht nur einzelne, junge Maidan-Teilnehmer, die, weil arbeitslos, täglich zur „Arbeit“ auf den Maidan gingen, vorrangig, um ihre Familien zu ernähren. „Das tun doch alle“ hörten sie entschuldigend von diesen. So wurde der Protest von außen installiert. Aus subversivem Wirken westlicher Geheimdienste einen urwüchsigen Protest zu machen, bei allen inneren Triebkräfte und Berechtigung, und die sachlichen Gründe der Entscheidung Janukowitschs (Unmöglichkeit der Koexistenz des EU-Abkommens mit dem bestehenden Rußland-Ukraine-Abkommen, Lösung durch 3-seitiges Abkommen) auszublenden, ist ein zynisches Stück aus dem Manipulationsalltag westlicher Politik. Dem Autor kann man es nachsehen, steckt er wohl zu tief im Schützengraben.
    Die EU erklärte zu diesem Zeitpunkt noch die Nichtmitgliedschaft der Ukraine in Nato und EU, jedoch nicht die USA hinsichtlich der Nato. Die EU revidierte später stillschweigend. Die USA machten keinen Hehl aus ihrer Absicht, mit der Nato-Mitgliedschaft der Ukraine Rußland mittelfristig vom Schwarzen Meer zu verdrängen, ein alter reaktivierter Nato-Plan, schon mehrfach vorher versucht, in Strategiepapieren nachzulesen. Dazu ist auch Kissingers Einschätzung interessant, Putin hätte gar keine Wahl gehabt. Der Autor will doch nicht ernsthaft Glauben machen, dem damaligen EU-Standpunkt wäre langer Bestand geblieben, egal wie Rußland reagiert. Er spielt den Krimi-Part böser Bube- guter Bube als reales Verhältnis aus, beleidigt damit aber die Intelligenz der Leser. Das betrifft auch die immer wieder ins Feld geführte russische Bedrohung. Wenn den John-Forrestal-Typen in den baltischen Regierungen, der polnischen wie der ukrainischen, zu helfen wäre, dann mit dem Ratschlag, ihre Büros in Parterre einzurichten. Es gibt seit Kaisers Zeiten im Westen eine Bedrohungslüge gen Rußland, mit der entgegen der jeweils realen Lage alle Aggressionspläne begründet wurden. Man muß diese Lüge schon mit der Muttermilch eingesogen haben, um diese immer wieder hervorzuholen und das als normal zu sehen. Es ist nicht anzunehmen, daß das hiesige Publikum solches annimmt, naja, mit Ausnahmen schon. Komisch ist auch hier, daß Politik imperialistischer Bauart, die bisher und auch aktuell das Völkerrecht skrupellos mit Füßen tritt, das Völkerrecht nur gegen Rußland ins Feld bringt und so treuherzig verteidigt wird. Einst sprang nur Dackel Blair auf Bushs Schoß, inzwischen bellt die ganze EU samt Regierungen nach Noten der US-Politik, die Lebensinteressen der Europäer und deren Überleben nicht vorsieht. Erbärmlich. Ihr zählt nur die Sturmausgangsstellungen zum letzten Gefecht, wir sind das Fußvolk, verzichtbar. Das Motto: wenn 2 Amerikaner und 1 Russe überleben, haben wir gewonnen, gilt wieder. Es ist wohl was dran an Max Ottes düstere Prophezeiung: Die USA seinen unser Verderben. Der EU-Katastrophenkurs kann noch so schön rosa gefärbt werden, die Realität wird es nicht kratzen. Aber die Bevölkerung muß es eines Tages ausbaden, dann war wieder keiner schuld. Durchaus auch amüsant ist bei aller Historientünche die Findung vernünftiger Zukunftsziele. Warum zum Teufel muß Politik um jeden Preis Fehler und besonders Stümperei, der Ukraine-Coup weist eine Menge davon auf, überkleistern, wäre anderes gar tödlich? Da ist wohl im Kern einiges faul, nicht nur in Dänemark.

  182. TANO sagt:

    Russland und der Westen.
    Eine Antwort auf Wolfgang Schwarz

    Der Artikel ist eine Antwort auf einen anderen Artikel unter Weglassung bestimmter Fakten und der Entstellung durch widerlegbare Behauptungen. So gesehen eine schwache Lagebeurteilung, die zwangsläufig zu falschen Schlüssen führen muss. Das ist der Fakt.

    Nun ergibt sich die Frage, warum das so ist?
    Weiß es der Herr Voigt nicht besser oder will er es nicht wissen?
    Ich setzte mal voraus, dass es Herr Voigt ehrlich meint mit seinen Beiträgen. Dann wäre es wohl angebracht, wenn sich Herr Voigt, bevor er einen neuen Artikel verfasst, sich ersteinmal tiefgründiger mit der Faktenlage beschäftigt und nicht nur einseitig das „nachplappert“, was dem Westen – sprich den USA und deren langer Arm NATO genehm ist. Ganz sicher wird Herr Voigt dabei auf allerhand Widersprüchliches stoßen. Und das gilt es dann ersteinmal einzuordnen.

    Seiner bisherigen Logik kann auch nur folgen, wer über genauso wenig Faktenwissen verfügt, wir der Herr Voigt selbst – was natürlich sehr schade ist.

  183. HWK sagt:

    Diese Meldung passt zu Bosselmanns Bildungs-Text zu wie die Faust aufs Auge:
    http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/dihk-studie-wirtschaft-unzufrieden-mit-bachelor-absolventen-a-1030095.html

    • Heino Bosselmann sagt:

      Stets befürchte ich, meine Anmerkungen zur „Bildung“ erfolgen zu polemisch. Immerhin bin ich selbst Teil des System und daher in meinem Bereich verantwortlich. Bisherige Erfahrung lehrte mich, dass verantwortungsvoller Unterricht mitunter eher gegen sog. „Grundvereinbarungen“ erfolgen muss, insbesondere dann, wenn er Inhalten und Substanz Priorität einräumt und klar anwendbare Fertigkeiten und Fähigkeiten übt – ein Ansatz, der mittlerweile bereits als konservativ gilt. Unterstützung darin, das Elementare, etwa das Lesen, Schreiben und Rechnen, redlich zu sichern, ist derzeit bildungspolitisch nicht zu erwarten. Dies sind aber u. a. die Grundlagen einer später auszubildenden Urteilskraft, die über bloßes Meinen und Geschwätz hinauskommt, indem sie u. a. die eigene Positionierung und das kritische „Verhältnis-zu“ ermöglichen. Aber: Bildung, die nicht mehr zu qualifizieren vermag, quantifiziert nur noch. Mehr als um Kenntnisse, Können, Erziehung gar geht es, jedenfalls am sog. Gymnasium, um die „Schnitte“. Dekretiert wird: Mehr Abi! Mehr 1,0! Damit mehr Jobs! – Nur lassen inflationierte Abschlüssen eigentlich den Absolventen im Stich. Sie entwerten. – Was mich betrifft, so hilft mir etwa der Rückgriff auf einen Existentialismus in der Weise Albert Camus’: Verbitterung, Zynismus – zumal vor Klassen – und das Einstimmen in den Chor der Klage im Lehrerzimmer helfen nicht. Man kann sich gerade im deutschen Bildungssystem mitunter schon mitten im Absurden wähnen. Aber genau deshalb kommt es darauf an, sich den Lehrenden nach wie vor als glücklichen Menschen vorzustellen, indem er das versucht, was seine Profession ist, nämlich zu lehren – skeptisch zunächst sich selbst und ferner dem politisch regierten System gegenüber, den Schülern aber zugewandt, die nun mal nichts dafür können, in ein sehr fragwürdiges System hineingewachsen zu sein. Wo es sie im Stich lässt, sollte der Lehrer helfen – abseits aller Reformen, Kampagnen, Studien und laut propagierten Versprechungen der „Bildungsrepublik Deutschland“. Also operativ und nach seinen selbst bestimmten Maßstäben. – Und: Geht es uns nicht derzeit in vielerlei Berufen – nicht „Jobs“! – so, dass wir Rettung für das eigene Selbstverständnis nur im Als-ob finden? So bleiben wir auf dem Posten. Man warte nicht auf Änderungen, die innerhalb der Stagnation evolutionär ohnehin kaum mehr zu erwarten sind, sondern handele einfach. Weil das System ideell ermüdet ist, stellt sich einem keiner in den Weg, und plötzlich schafft man: neue Räume.

      (Tiefergehend wäre freilich gerade mit Blick auf die Bildung zu fragen: Wo denn und wie kann jenseits von Ökonomismus und Konsumismus überhaupt noch inspiriert werden? Sind die beiden der einzige Kitt, der alles zusammenhält? Aus welchem Zentrum heraus leben wir? Was sind die res publicae der Republik, deren regierende Protagonisten offenbar unbewusst die Krisis ahnen und gerade deswegen mit der Propaganda all der Phrasen zu beleben versuchen, was mit Phrasen nun mal nicht zu beleben ist. Bekenntnisse zur Demokratie etwa mögen ehrenwert sein. Aber sind es nicht bereits Beschwörungsformeln und Gebetssprüche im Spital oder Hospiz? Besser, die Demokratie lebte wieder aus der Lebendigkeit ihrer Bürger heraus. Gab es den Citoyen je wirklich? Oder war er doch immer Bourgeois und Konsument?)

  184. Literat sagt:

    Literat sagt:
    Betrübt ob der Vermutung, ich hätte mit der Mitteilung zur Platzierung des Beitrags von Herrn Wohanka gar „Vorwurf“ an die Redaktion beabsichtigt: Ich werde mich doch nicht – schon aus Egoismus – mit selbiger anlegen. Und in der Sache auch nicht, weil die Einseitigkeits-schelte durch den beklagenden Autor selbst Zitaten reich ad absurdum geführt wurde. Was freilich nichts zur Substanz aussagt. Wie mein Beispiel wohl intensiv zeigt, gab es zu Stalins Zeiten dort Faschisten wie heute und anderswo auch; z.B. die NPD in der BRD, zeitweilig mit Voigt und verbliebenen weitreichenden internationalen Verbindungen, gerade in den USA oder auch nach Schweden . Nur: Sind solche Tendenzen staatsbedrohlich? Unser Staat hat dazu eine klare Bewertung. Sollten wir das nicht auch der russischen Gesellschaft und ihrem Staatsgefüge zugestehen?
    Verblüffender Weise zieht Herr Wohanka nun mit der Belehrung nach, was und wie man zu Juden, mit Juden oder über Juden zu befinden hat – statt wie mit meinesgleichen – weil sie … ( bitte nach Bedarf und Kenntnis selbst einsetzen, was sie getan hätten oder haben, und was umgekehrt ihnen angetan wurde und wird).
    Und damit ohne Naseblähen zu dem monierten Zitat – denn um ein solches handelt es sich, auch falls nicht erkannt. Beispiel:
    Am 17. Dezember 1901 schrieb Theodor Mommsen in spürbarer Erregung an Lujo Brentano: „Lieber College, Haust Du meinen Juden, hau ich Deinen Juden – Wenn Cosima (Wagner. L.)…. .Der weitere Text fürs Beispiel nicht erheblich.(In der Sache ging es um eine Auseinandersetzung über das Verhältnis von Politik und Wissenschaft in Berlin). Wohl aber die Fußnote des Herausgebers zu dem geflügelten Wort: „Die im Volksmund geläufige Wendung…“ Und weiter: „Mommsen spielte hier zugleich auf die gegen ihn gerichteten Angriffe des notorischen Antisemiten H.St. Chamberlain an. Chamberlain wiederum war ein enger Vertrauter Cosima Wagners.“
    Zurück geht die im 19. Jahrhundert auch in der Literatur bis hin zum Lustspiel gern genutzte Metapher für „Wie Du mir, so ich Dir“ wohl auf Peter Hebbel. Zwei Fuhrleute fahren, zudem verabredet, gegen einander. Dräuend schwingt der eine die Peitsche und trifft dabei den Fahrgast des Kontrahenten, einen jüdischen Geschäftsmann. Darauf reagiert der Bedrohte mit der Absichtserklärung, die hier in Rede steht.
    Soweit die „wahre Geschichte“, mit der der Dichter sagen will: Die beiden hessischen Kutscher haben Zoff oder tun so, um dabei was für sich herauszuschlagen. Und an wem bleibt die Schuld hängen? An den nicht verantwortlichen Juden in den Kutschen.
    Ist das Zitat also wirklich Herabwürdigung und nicht,vielmehr Spiegel, der konkret den Antisemitismus als eine gängige Form der Schuldabwälzung auf jeweils Schwache verlagert?
    Manche Teiche gründen halt tiefer als vermutet. Deshalb Danke für die Anregung zu dieser Tiefenbohrung.

    • Stephan Wohanka sagt:

      Nur kurz: Ich sagte, h e u t e sei das Zitat möglicherweise unpassend – also weit n a c h Mommsen und Hebbel! Weil es – Sie sagen es – mit dem Antisemitismus konnotiert ist. Heute noch stärker als damals, weil zu diesem verbalen Antisemitismus von einst heute ein „praktizierter“ mitgedacht werden muss.

  185. Manfred Kolberg sagt:

    Zur Argumentation von Wolfgang Schwarz, der erinnert: „…das Patt der gegenseitigen nuklearen Abschreckung („Wer zuerst schießt, stirbt als zweiter!“)“ Was hat sich an dieser ultimativen Tatsache nuklearer Rivalität geändert, um das Vorrücken der NATO als r e a l kriegerisch bedrohlich zu betrachten? Ein Krieg des „Westens“ gegen Rußland kann auch heute nur in jenem Selbstmord enden, den beide Seiten (bei denen Rußland damals noch Sowjetunion hieß) aus eben jener Elementarlogik vermieden haben, die W. Schwarz zitiert. Und so wird ein solcher Krieg nicht stattfinden (da es zwischen diesen Rivalen keinen konventionellen Krieg mehr geben kann). Das macht den Einfluss-Imperialismus des Westens nicht besser, den Moskaus aber eben auch nicht.

  186. Literat sagt:

    Literat sagt:
    Da ist ja glücklicherweise nochmal Unheil abgewendet worden. Der „sensible Seismograf“ Stephan Wohanka hat gemäß der Devise: „Haust Du meinen Juden, hau ich Deinen Juden“ mit heftigen Seitenhieben auf Vertreter anderer Positionen verkündet, und dies ist im ersten Beitrag plaziert worden,“Faschisten nicht nur in Kiew“.
    Weil dieser Tage von der Befreiung/Selbstbefreiung Buchenwald’s gesprochen wird: „Am 11. April, unmittelbar vor der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald, schossen die bei Buchenwald stationierten Wlassow-Einheiten noch ins Lager.“ Die gehörten zur „Russischen Befreiungsarmee – mit Bestand von 125 000 Angehörigen, die „alle Russen (überdurchschnittlich viele aus der Ukraine) im Kampf gegen die Sowjetunion vereinen wollte.“ (Alle Zitate der Einfachheit aller nach Wikipedia).Nun könnte unser Seismograf wiederum ausschlagen: Anti-Sowjetunion/Anti-Kommunismus sei nicht mit „Faschisten“ zu identifizieren. Kommt aber doch offenbar häufiger vor, als die mit der Zitatensammlung beschworene Gefahr real vermuten läßt: „Seit Jahren sind Ultranationalisten und Rechtsradikale in der russischen Politik mit Folgen – wie festgestellt – ‚Für das Bewußtsein der russischen Bevölkerung‘ aktiv (…) Das alles ist nicht Regierungspolitik Rußlands; nein, hat aber wohl erheblichen Einfluß auf das Denken und die Haltung russischer Menschen!“ Könnte so sein. Haare in der Suppe sind immer unappetitlich. Deshalb: Danke für die Warnung; nur – was will der Dichter mit seinen Überhöhungen dem geneigten Leser wirklich sagen?

    • Stephan Wohanka sagt:

      Eigentlich sind mir – ich habe das schon einmal früher gesagt – Teilnehmer am Forum suspekt, die sich hinter Pseudonymen verbergen, aber „Literat“ – sei´s drum…
      Mit Verlaub – die „Devise ´Haust Du meinen Juden, hau ich Deinen Juden´“ ist aus mindestens zweierlei Gründen namentlich heute kein kluges Argument mehr; es hat die gedankliche Tiefe eines Froschteiches. Das erste Problem besteht darin, dass sich darin ein Denken offenbart, das keine oder nur unzulängliche Differenzierungen zulässt, denn es werden „Juden“ (oder wer auch immer), egal woher sie stammen mögen, egal wie unterschiedlich sie sind, einfach als geschichtliche, religiöse, politische oder sonst irgendwie geartete Einheit gefasst; „Jude“ ist eben nicht gleich „Jude“. Zweitens – sollte man überhaupt, nachdem was den Juden angetan wurde von deutschen – und bitte schön, auch von anderen – Faschisten noch so formulieren?
      Darüber hinaus gestehe ich, dass es mir mit dem Beitrag des „Literaten“ so geht wie es ihm mit dem meinigen ging – ich darf paraphrasieren: Ja was will Literat mit seinen Einlassungen zu den „Wlassow-Einheiten“, die „alle Russen (überdurchschnittlich viele aus der Ukraine) im Kampf gegen die Sowjetunion vereinen wollte”, dem geneigten Leser wirklich sagen?
      Ach, eine kleine einschlägige Geschichte fand ich dann noch: „Der staatliche TV-Kanal Rossija 1 schrie … förmlich auf: ´Die Faschisten sind im Zentrum Moskaus. Im Kaufhaus ´Detski Mir‘ werden SS-Figuren verkauft´. […] Das Geschäft … bot … handbemalte Büsten von Nazisoldaten feil, im monumentalen Maßstab 1:9. Fallschirmjäger, Feldgendarmen, auch den SS-Obersturmbahnführer Otto Skorzeny. […] Und Rossija 1 empört besonders, dass ´dieses äußerst fragwürdige Sortiment am Vorabend des 9. Mais´ aufgetaucht sei, des 70. Jahrestages des Sieges über Hitlerdeutschland. […] ´Wir verkaufen genauso viel Deutsche wie Rotarmisten´, sagt Sergei, Verkäufer eines Modellbauladens in Nischni Nowgorod dieser Zeitung (der Frankfurter Rundschau – St. W.). Er hat japanische Bausätze von ´Tiger´-Panzern der SS-Division ´Reich´ im Angebot und Nazi-deutsche Gebirgsjäger …“.
      Wenigstens teilen Rossija 1 und ich die Empörung darüber, dass das als „Internationales Russisches Konservatives Forum“ getarnte Treffen von Rechtsextremen; Neofaschisten und Nationalisten sowie der Handel mit SS-Spielzeug am Vorabend des 70. Jahrestages des Sieges über Hitlerdeutschland stattfanden bzw. ablaufen. Wenigstens das!

    • Wolfgang Ernst sagt:

      Was ich beim Literaten nicht verstehe ist der Vorwurf, dass dieser Wohanka-Text an den Anfang des Heftes gestellt wurde. Das Dementi der Wohanka-Verkündigung ist doch bei Crome enthalten. Man muss nur beide Texte hintereinander lesen.

    • Werner Richter sagt:

      Zu Herrn Wohankas Disput mit Literat
      So einfach kann die Rechnung sein: Es gibt überall faschistische Elemente, in ganz Europa, in Rußland und in der Ukraine auch. Da kann man dieses Element einfach kürzen und es bleibt in Rußland Putins Diktatur und der Ukraine Demokratie übrig. Auf dieses Glatteis der offiziellen Konflikterklärung von USA, EU, Bundesregierung und Gros der Medien sollte man sich nicht begeben. Tatsächlich kann man einen Aufschwung der Rechtsaußen in allen entwickelten Ländern konstatieren. Nicht zuletzt wurden diese im Kalkül der Exekutive zur Machtstabilisierung animiert, 1989/90 aktiv durch die CDU, die jetzt das Fortbestehen dieser Kräfte in Pegida beheuchelt. Auch Putin bedient sich dieser Elemente. Nur in der Mehrzahl der betroffenen Gesellschaften haben die Dumpfbacken nicht Anteil an der staatlichen Macht. Ist das auch in der Ukraine so? Hier gibt es Zweifel, die Ereignisse und die Lage betrachtend. Daß der sog. Rechte Sektor bei den Präsidentschaftswahlen kaum Stimmen erhielt, ist ein sehr schwaches Argument, das darauf fußt, Wahlergebnisse widerspiegelten die Machtverhältnisse. Der Rechte Sektor hat immer noch und mancher Beobachter schätzt zunehmend wichtigste Machtpositionen inne, agiert seine Macht mit Unterstützung der westlichen „Demokratien“ aus dem Verborgenen. Diese Kräfte waren von Beginn der „Revolution“, man kann auch Putsch dazu sagen, Favorit des Westens, da am konsequentesten zum Umsturz entschlossen und befähigt. Zu denen flossen die 5 Mrd. $ und Geld fließt noch immer in diese Richtung. Den Wahlergebnissen zum Trotz sind fast alle Schlüsselpositionen des Sicherheitsapparates, der Polizei und der Justiz in ihrer Hand. Der Ministerpräsident selbst ist inzwischen offen auf die rechten Positionen gerückt und der „demokratische“ Oligarch Poroschenko laviert, um nicht unter die Räder zu kommen. Man braucht sich nur die Lebensläufe der Protagonisten anschauen, die traurige „Aufklärung“ der Maidan- und Odessa-Morde, die schlecht getarnte Umwidmung der rechten Mörderbanden in eine „Nationalgarde“, die weiter macht, was sie will und die Regierung obstruiert, die latente Drohung gegenüber der Rada zum nächsten Putsch, falls diese nicht kuscht, und die wirklichen Machtstrukturen anhand der Entscheidungsabläufe. Man muß es aber sehen wollen. Wenn das Demokratie sein soll, ist Ungarn dann ein Musterland und Rußland sieht dann auch schon ganz anders aus. Als Lehrstück „Wie schafft man einen totgeborenen Staat“ klebt uns der Kosovo immer noch an der Backe. Dort wurde ebenso gepokert wie jetzt in der Ukraine. Aus einer der größten und aggressivsten Verbrecherbanden Europas wurde die „Befreiungsarmee“ UCK mittels Uniformausgabe geformt, der aussichtsreiche Rugova aus dem Land intrigiert und Thaci, das Oberhaupt des Verbrechens, zum Präsidenten geschlagen. So wurde einst Könige in Griechenland und Albanien inthronisiert. Das absehbare Ergebnis ist noch heute zu besichtigen: Außer Verbrechen klappt dort gar nichts. Arme Ukrainer.

  187. Bernd Reinhardt sagt:

    Leider habe ich Fanz Schandel erst jetzt lesen können und möchte dazu anmerken: Ein sehr kluger und anregender Text. Er hat meines Erachtes nur ein (wohl nicht untypisch linkes) Defizit: Nach der wortreichen Verdammung von dem, was reale Demokratie ist bzw. nicht ist, und dann auch jener der „direkten Demokratie“ als „Forcierung der niedrigsten Instinkte“, wartet der leser nun begierig auf das Eigentliche, nämlich wenigstens eine Skizze von dem, was Schandl als Alternative anzubieten hat. Doch, doch, er nennt sie, eine „freie Assoziation“, aha!
    Bei allem Verdienst der Schandelschen Reflexionen: Hier wird eine Religion (der Glaube an die „vermeintliche Demokratie“) durch eine andere, leider nicht definierte („freie Assoziation“) ersetzt und damit jener religiösen Altgläubigkeit preisgegeben, diefür linkes Zukunftsdenken eh so typisch ist. Schandl belegt einmal mehr, dass man mit Dialektik alles begründen kann, auch dessen jeweiliges Gegenteil.
    Dennoch – sehr anregend, was nicht ironisch gemeint ist sondern für mich zu den Vorzügen diverser Blättchen-Beiträge gehört.

  188. Werner Richter sagt:

    Zu Manne Murmelauges Kommentar vom 31.03.15
    Verehrter Herr Murmelauge, eigentlich ist im Rahmen dieser Runde so ziemlich klar, daß der sogenannte „reale Sozialismus“ keine „nichtwarenproduzierende Gesellschaft“, sondern eine Warengesellschaft war, oder doch nicht? Daran ändert auch die rein juristische anderslautende Deklaration von „Volkseigentum“ etc. nichts. Die Ursachen für das Scheitern werden so nicht zu finden sein. Noch heute, lange nach Platzen der Illusion, beharren die Anhänger des M/L auf einer alternativen Gesellschaft mit Warenproduktionscharakter, wobei die Grundwidersprüche jeder Warengesellschaft, die eigentlichen Ursachen aller Fehlentwicklung, aus Prinzip übersehen werden. Diese Damen und Herren können sich eine Gesellschaft, in der nicht ein Besserwissender und –könnender den Menschen vorschreibt, was zu tun ist, schlichtweg nicht vorstellen. Sie kennen sich selbst und schließen auf andere; „der Mensch, der ist gut, nur die Leute sind schlecht“. Die Theorie war schon richtig, nur die Praxis verhielt sich nicht ihr entsprechend. Auch die Versuche, das Volk auszuwechseln oder zumindest umzukrempeln halfen da nicht wirklich.
    Hier mein Vorschlag: bevor wir weiter mit Frozzeleien an der Oberfläche der Problematik kratzen, lesen wir doch zunächst die mehrfach empfohlenen Arbeiten von Harbachs Marxinterpretation, Siefkes Plausibilitätsprüfung, Meretz‘ u.a. Abhandlungen sowie die Website der alternativen Ökonomen. Ich meine Lesen im Denkstatus, also anders, als im M/L mit Marx verfahren wurde. Politisch bestimmte Vorbedingungen, etwa eine politische Revolution etc. als ultimo ratio, führen von Marx weg. Zur Hinterfragung der eigenen Denkstandards sei auch auf die Sendung zur „Degrowth-Konferenz“ in http://www.kontext.tv, speziell die Schilderungen der katalanischen Delegierten, zu Möglichkeit, Notwendigkeit und Praxis einer Organisation von Nichtwarenproduktion verwiesen. Vielleicht ahnt man dann, daß auch die Leute ganz gut sein können. Da staunt das Auge und die Murmel wundert sich.

  189. Jürgen Scherer sagt:

    Heckler und Koch? Ich finde die eigentlich zuverlässig. Produzieren immer für den jeweils geforderten Markt. Also ich habe zum Beispiel noch mit dem G3 trainiert und das war doch in Zeiten des kalten Krieges genau die richtige Schusswaffe: Wurde eigentlich nie gerbraucht, traf aber die „russischen Pappkameraden“ zuverlässig in jeder Situation und zu jeder Jahreszeit. Wobei, wenn ich recht bedenke. im Winter eigentlich besser. War wohl für einen Winterfeldzug gedacht. Aber dann kam ja Grobatschow … Das jetztige Schießgewehr sollte wohl leichter sein und ebenfalls eigentlich nicht unbedingt einsatzfähig, eher eben profitbringend. Und dann kam Struck und die Veteidigung unserer Freiheit am Hindukusch. Ja und wer die Freiheit verteidigt, muss halt auch Opfer bringen. Da macht es sich natürlich gut, wenn ein Gewehr schon mal um die Ecke schießt. Vielleicht trifft man da schon mal einen anderen Hecklerschützen, einen fürs neue Ehrenmal. Und dann taucht die blonde Uschi auf und bemängelt solche Mängel. Denn die will ja in Echt den Weltmachtanspruch der Berliner Republik voranbrigen. Andrerseits, wenn man ihren Genderanspruch bedenkt, handelt sie eigentlich diesem zuwider: Gerade ein leichtes Gewehr wäre doch was für die Frau im Dienst.Leicht zu handhaben, wenig treffsicher und damit wahrhaft familienfreundlich. Also hat Heckler und Koch schon wieder vorausschauend produziert. Solche Waffenhersteller muss man einfach loben. Produzieren nach Bedarf Waffen, die zuverlässsig dafür sorgen, dass sie nicht zu gefährliche Auswirkungen haben. Ich fordere Friedenspreis für HuK!!!!!

  190. Theosebeios sagt:

    Wieder ein echter UNTERSEHER, distinguiert, gebildet, lehrreich!

    Was halten Sie von der aktuellen Kritik an Heckler & Koch? Wer mag da im Trüben fischen?

    Auch über den militärischen Status des IS wünschte man sich einen Artikel von Ihnen …

  191. Jürgen Scherer sagt:

    Sowas kommt von sowas, Herr Wohanka. Hätte ich doch auf den Rat des Forumsmoderators des „Blättchens“ gehört und etwas ausführlicher kommentiert, um was es mir mit meinem Hinweis vom 15.März gegangen ist, dann hätten Sie mein abschließendes „wahr,wahr,wahr!“ nicht als „euphorisch“ missinterpretieren müssen oder können, war es doch eher als „unglaublich, aber wahr“ gemeint. Auf die hinlänglich bekannten Interpretationsmöglichkeiten, was „Wahrheit“ bedeuten, wie sie ausgelegt werden kann, will ich in dieser Antwort nicht weiter eingehen. Tatsache ist, dass STRATFOR einer der Player in den USA ist, der von dem „Chicago Council on Foreign Affairs“ eingeladen wurde/wird, einem ThinkTank, der von der University of Pensilvania als „ThinkTank To Watch“ auf Rang 11 von von 80 weltweit agierenden ThinkTanks platziert wurde. Des weiteren rangiert dieser Thinktank in der Rubrik „Top Think Tanks byArea of ResearchTop Defense and National Security Think Tanks“ an 60ster Stelle von 65 weltweit gerankten TT und unter den „Best Managed Think Tanks“weltweit rangiert von von 60 gerankten auf Platz 36, also ein gar nicht so unbedeutender Global Player. Genau der gibt also dem von Ihnen als dubiosen Wahrsager dargestellten Herrn Friedman die Gelegenheit seine, wie Sie wohl meinen, kruden Ideen, vorzutragen und nicht nur USAweit zu verfolgen. Soweit diese Fakten. Nun zu den „Nebenkriegsschauplätzen“ der USA. Da bin ich mit Michael Lüders einer Meinung, der in seinem neuesten Buch „Wer den Wind sät. Was der Westen im Oient anrichtet“ klar darlegt, dass es den USA schon seit je darum geht, wirtschaftlich-geopolitische Interessen durchzusetzen. Der von Bush inszenierte Irakkrieg wurde, wie alle Kriege, die die USA führen oder führen lassen, unter dem Banner der Freiheit und gegen Terrorismus geführt und hat nichts als verbrannte Erde hinterlassen, aber die Ölquellen gesichert. Das ist der materielle Hintergrund dieses Krieges. Um die Macht zu erhalten und auszubauen wird von den USA immer wieder nach diesem Muster verfahren. Schauen wir uns Lybien an! Und da ist vielleicht der Begriff „Nebenkriegsschauplätze“ für den Kampf gegen den Terrorismus, den man sich selbst erschafft, gar nicht so verkehrt. Und was erleben wir in der und um die Ukraine. Wieder wird unter dem Banner der Freiheit so getan als ginge es hauptsächlich um Menschenrechte und Selbstbestimmnung, aber es geht grundsätzlich um wirtschaftliche Macht und Vorherrschaft der USA auf unserem Kontinent. Dass da der Lieblingsvasall BRD noch nicht so recht mitspielt stört zwar ein wenig, aber der wird schon noch zur Raison gebracht werden. Erster Schritt: USMiltitärs in Ukraine, US und Natoaufmarsch im Schwarzen Meer. Dem Russen soll teuer zu stehen kommen, was er da Böses macht und plant! O je, bin ich jetzt ein „Putinversteher“, nur weil ich darauf aufmerksam mache, was die sich als einzige Weltmacht verstehende USA in Wahrheit vorhat? M.E. geht es um Machtbalancen und nicht um Machtdominanzen. Und Balancen müssen ausgehandelt werden, nicht „ausgekriegt“! Im übrigen finde ich den Hinweis Friedmans, dass die USA Europa im Fokus haben und hier besonders das zu freundliche Verhalten der Deutschen zu Russland aus amerikanischer Sicht durchaus bedenkenswert, zumal wenn man bedenkt mit welcher Legitimationsfreude sich Gauck und Konsorten auf die neuen Weltmachtsphantasien der Bellizisten unseres Landes einlassen. Und: Indem ich auf youtube verwiesen habe, habe ich nicht gleichzeitig behauptet oder insinuiert, dies sei das ehrlichere Medium; ich habe lediglich ein Medium genannt, durch das man sich auch informieren kann und dessen Beitrag mir nach nochmaligem Ansehen und beim Bedenken der derzeitigen Weltlage plausibel erschien und immer noch erscheint. Die Tatsache, dass auch STRATFOR gehackt wurde, spricht doch nicht summa summarum gegen dessen Glaubwürdigkeit. Wenn ich recht erinnere gibt es häckermäßig zahlreiche andere Beispiele, und zwar weltweit, vom Pentagon über google bis zum BND!

  192. Stephan Wohanka sagt:

    „Nicht zu glauben? Wahr, wahr, wahr!“ Mit diesem euphorischen Ruf beschließt Jürgen Scherer am 15. März 2015 im Forum eine Aufforderung, sich auf YouTube eine Website anzuschauen, auf der STRATFOR, eine us-amerikanische Denkfabrik, mitteilt, dass „die USA nicht nur die Ukraine im Visier haben – (sondern – St. W.) ganz Europa inkl. des Lieblingsvasallen BRD!“ Und weiter: „US-Hauptziel seit einem Jahrhundert war Bündnis Russland-Deutschland zu verhindern“.
    Ohne auf die Implikationen, die die Begriffe „wahr“ oder „Wahrheit“ grundsätzlich provozieren, einzugehen – wer bestimmte jeweils, was wahr oder die Wahrheit sei? Tatsächlich ist im empfohlenen Netzbeitrag zu lesen: „Deutschland und Russland auseinander zu halten, sei die erste Priorität der US-Politik seit 100 Jahren (sic! – St. W.)“. Den nachfolgenden Satz unterschlägt uns Scherer; der lautet: „Der Kampf gegen den Islamismus sei nur ein Nebenkriegsschauplatz“. Nebenkriegsschauplatz? – angesichts dessen, was die USA nicht erst seit „nine eleven“ in der muslimisch geprägten Welt „unternehmen“, auch politisch, führt das wohl doch zu gewissen Zweifeln an der Schärfe der in Rede stehenden Analyse!
    Wer ist STRATFOR, wer sein Chef George Friedman? Über die Hinweise hinaus, die bei Scherer nachzulesen sind, versorgt STRATFOR – 1996 gegründet vom genannten Friedman, der Präsident und zugleich CEO (Geschäftsführer) des Unternehmens ist – seine Kunden mit Berichten, Analysen und Zukunftsprojektionen zu (geopolitischen) Sicherheitsfragen, Konflikten und Kriegen. Der Firmensitz befindet sich in der texanischen Universitätsstadt und Wirtschaftsmetropole Austin. Seit ein Bericht 2001 im US-Wirtschaftsmagazin „Barron’s“ STRATFOR in einen Zusammenhang mit dem Afghanistankrieg brachte, gilt das Unternehmen auch als „Schatten-CIA“. Diese Annahme, dass STRATFOR eher ein privat und unkontrolliert arbeitender Geheimdienst denn ein Unternehmen sei, wird auch durch eine E-Mail Friedmans an eine Mitarbeiterin genährt; darin heißt es: „Wenn dies eine Quelle ist, von der du glaubst, dass sie wertvoll sein könnte, musst du die Kontrolle über sie gewinnen. Kontrolle heißt finanzielle, sexuelle oder psychologische Kontrolle“.
    Zu seiner Arbeit äußerte Friedman: „Journalisten erklären, was in der Welt passiert, wir bei STRATFOR erklären, was passieren wird“. Seine Prophezeiungen sind nach dem Urteil seiner Kritiker allerdings oft mehr als gewagt. So erläuterte er 1991 im Buch „Der kommende Krieg mit Japan“, warum nach dem Zusammenbruch des Sozialismus die USA mit diesem Rivalen um die Weltherrschaft kämpfen würden. Das ist 24 Jahre her, bisher ist eigentlich nichts Derartiges vermeldet; oder ist mir da was entgangen? Kann aber noch kommen… Im Detail zu Japan: Es „ist bereits heute eine Großmacht. Es verfügt über die drittgrößte Wirtschaftskraft der Welt und – im Gegensatz zu seinem großen Rivalen China – über eine geeinte Gesellschaft. Zudem hat Japan das deutlich größere militärische Potenzial und vor allem technisches Know-how. Eine entscheidende Komponente im Krieg der Zukunft. Japan ist das Zentrum in Asien, nicht China“. So? Im 2009 erschienenen Buch „Die nächsten 100 Jahre“ – 100 Jahre vor oder zurück müssen es ihm angetan haben – beschreibt Friedman einen Krieg zwischen den USA und Polen auf der einen und Japan und der Türkei auf der anderen Seite!?
    Was der Sicherheitsfreak nicht voraus sah, war ein Hackerangriff auf seine eigene Firma. Die schon erwähnte E-Mail Friedmans an eine Mitarbeiterin wurde übrigens bei dieser Attacke abgegriffen. Fragen drängen sich auf, wenn die Hacker sich eigenen Angaben zufolge Zugriff auf mehr als 200 Gigabyte Daten verschafften und dabei u. a. unverschlüsselte Kreditkartennummern der „streng geheimen Kunden“ sowie Klarnamen erbeuteten: Ist STRATFOR wirklich nur das auf geopolitische Analysen spezialisierte Unternehmen? War das nur schlampiger Eigenschutz oder steckt mehr hinter all dem?
    Wie dem auch sei – ob das hier Zusammengetragene in jedem Detail „wahr“ ist, ist nebensächlich. Seine Substanz reicht aber allemal aus, um die Qualität der Friedmanschen Analysen und so auch die darauf fußende Euphorie Scherers deutlich zu schmälern.
    Ach – im Netz kursiert noch eine „Hundertjahres-Analyse“, der zufolge alle Kriege seitdem durch die us-amerikanische FED angezettelt wurden; ob die auch ihren Ursprung bei Friedman hat? Die Rothschilds sollen auch irgendwie involviert sein; das zu überprüfen ist mir dann doch zu mühselig. Ins Schema passte sie….

    Die eingangs zitierten Worte Scherers wirken in ihrer Verzücktheit, ja Ekstase umso schriller, je klarer das Internet zum – gegenüber der „Lügenpresse“ – allein „ehrlichen“ Medium erhoben wird.

  193. Theosebeios sagt:

    Die Zurückhaltung kann ich gut verstehen, Herr Richter, denn Herrn Schandl gelingt etwas auf den ersten Blick Verblüffendes: Er polemisiert gegen demokratische Ideen und positioniert sich, ohne sich expressis verbis so zu bezeichnen, als Anti-Demokrat; gleichzeitig kann ihm das niemand so recht übelnehmen. Warum nicht? Den Grund sehe ich darin, dass er eine „linksradikale“ und „grünalternative“ Vergangenheit hat und gefällig mit Adorno und Marx zu kommunizieren versteht. Auf die Wertlehre des Letztgenannten scheint es ihm besonders anzukommen. Dass diese ausgerechnet von einem Adornoschüler schon vor 50 Jahren schwerwiegender logischer Fehler überführt wurde, erfahren wir nicht. (Oder doch irgendwo? Ich bitte um Nachsicht, falls der Philosoph Werner Becker von Herrn Schandl bereits als Ignorant entlarvt wurde ….)
    Gleichwohl wird sich auch der gelernte Linke — und nicht nur Gregor Gysi — angesichts der totalen Kritik unbehaglich fühlen. Was für ein Gesellschaftssystem mag Herrn Schandl vorschweben? Ob man sich ein Leben in diesem vorstellen kann?
    Nein, kaum, die Phantasie reicht nicht. Drum weg mit dem Unbehagen. Bei so viel Kritik an „der“ Demokratie kann sich auch ein Demokrat einiges mit Zustimmung herauspicken.

    • Werner Richter sagt:

      Ähnliches hatte ich vermutet, Herr Theosebeios, finde eine solche Betrachtung wie die von Herrn Schandl unter gegebenen Umständen für notwendig. Die Gefahr der schleichenden Gleichschaltung von Politik, Öffentlichkeit, Medien und Wissenschaft ist nicht zu übersehen. Den akademischen Kaisers-Bart-Streitereien zur Werttheorie hielt ich mich schon aus meinem Werdegang heraus fern. Werner Beckers Werdegang ist sehr beeindruckend, diese Karriere ist selten. Aber reicht dies, die Werttheorie „schwerwiegender logischer Fehler“ zu überführen, ist das tatsächlich geschehen, oder ist das vielleicht ein Beleg für Flexibilität in das Theoriesystem? Es ist nicht der Platz und ehrlich gesagt fehlt mir die Lust mich mit Beckers Kritik der Marxschen Wertlehre zu befassen. Es reicht wohl hier der Hinweis, daß regelmäßig durch die Marxkritik seine Hinweise auf die Dreidimensionalität der Wertproblematik und der Notwendigkeit einer zweidimensionalen Darstellung negiert werden. Dann ist es nicht mehr weit, Marx der Irrationalität zu bezichtigen, eine fragwürdige Leistung.
      Zum Schandlschen Gesellschaftssystem wäre ihm zu gönnen, konsequent seinen eigenen Erkenntnissen zu folgen. Die können nur in eine nichtwarenproduzierende Gesellschaft auf Basis absoluter Freiwilligkeit führen. Daß dieser Gedanke für parteilich organisierte Linke ungemütlich ist, liegt auf der Hand, müsste sie doch die eigene Aufhebung letztendlich anstreben. Da liegt ihr die sozialistische Marktwirtschaft doch näher.

    • Theosebeios sagt:

      Eine „nichtwarenproduzierende Gesellschaft auf Basis absoluter Freiwilligkeit“, genial, Herr Richter, trotz meiner spitzen Zunge hätte ich das utopische Maß von Herrn Schandl, der über eine noch viel spitzere Feder verfügt, nicht derart heftig zu karikieren erlaubt!

      Recht haben Sie, was Zurückhaltung bei Debatten um des Kaisers Bart betrifft, aber: Der Marxismus (a.k.a. wiss. Sozialismus) steht und fällt mit den Analysen im „Kapital“. Und diese — so Werner Becker — stehen und fallen mit der Wertlehre. Daher ist in einschlägigen Kreisen der obskure Adornoschüler meist übergangen worden. Später, nach Konversion zum Liberalkonservativen, durfte man ihn sowieso rechts liegenlassen. Ob Becker Marx missversteht? Schwer zu sagen, ich traue mir das auch heute noch nicht zu, endgültig zu beurteilen, obwohl ich mit ihm darüber kommunizieren konnte (mit Becker, nicht mit Marx). Bei Theorien, die sich empirisch nicht falsifizieren lassen (wollen), ist man letztlich wohl immer an den Glauben verwiesen.

    • Werner Richter sagt:

      Der Begriff “nichtwarenproduzierende Gesellschaft auf Basis absoluter Freiwilligkeit” so allein stehend, gibt tatsächlich Anlaß für Ihre Einordnung als Karikatur, Herr Theosebeios. Hätte mir die Redaktions-Elster nicht meinen letzten Satz weggeschnitten, wäre die nunmehrige Antwort nicht notwendig geworden. Also jetzt die etwas nähernde Erklärung zum Begriff: „Der so völlig neuen Gesellschaft widmen sich die schon bereits erwähnten alternativen Ökonomen. Speziell wäre als gute Theoriekritik Heinrich Harbachs „Wirtschaft ohne Markt“, als Plausibilitätsprüfung Christian Siefkes „Beitragen statt tauschen“ sowie diverse Arbeiten von Stefan Meretz zu empfehlen.“ Harbach geht ausführlich auf die Wertlehre ein, durchaus im Einklang mit Hobsbawm in „Wie man die Welt verändert“, besonders dem Artikel 5 „Die Grundrisse entdecken“. Dabei ist anzumerken, daß Hobsbawm nicht so konsequent „durchzieht“, er klammert in seiner Kritik des quasi offiziellen „Marxismus“ die sog. „Arbeitswerttheorie“ als gegeben aus, Harbach nicht.

    • Manne Murmelauge sagt:

      Wie uns das Ende des „realen Sozialismus“ gezeigt hat, ist „eine nichtwarenproduzierende Gesellschaft auf Basis absoluter Freiwilligkeit“ in der Konsequenz eine nichtproduzierende Gesellschaft auf Basis von Faulheitskonkurrenz; wenn man sie sich selbst überlässt, eine Art sozialistische Faultierfarm.

  194. Zum Beitrag „Democrazy! Verächtliche Widerreden…“ von Franz Schandl in Sonderausgabe 2/2015

    Selektive Wahrnehmung führt vielleicht oft zu interessanten Thesen, diese sind dann aber auch recht angreifbar. So ergeht es dem Autor mit der Behauptung, Demokratie sei ausschließlich „eine politische Form des Kapitalismus“. Es ist allgemein bekannt, dass der Begriff bereits in der griechischen Antike entstand; Demokratie war also ursprünglich kein Konzept von Kapitalisten, sondern allenfalls von Sklavenhaltern. Immerhin sah jedoch Platon die Verderbnis der Demokratie darin, dass die Sklaven so frei seien wie die Herren; besonders aber missfiel ihm die Freiheit und Gleichheit im Verhalten „der Weiber zu Männern“.

    Aristoteles wiederum sah in der Demokratie eine Entartung der von ihm bevorzugten Staatsform der „Politie“. Unser Begriff der „Republik“ meint im Grunde dasselbe, nämlich eine (nach Ansicht von A.) optimale Mischung von Demokratie und Oligarchie. Wer allerdings auf die Behauptung oligarchischer Republikaner hereinfällt, ihre Praxis sei reine „Democracy“, muss wohl zwangsläufig mit der Zeit einen Widerwillen gegen diesen Begriff entwickeln.

    Gewiss kritisierte Marx „die vulgäre Demokratie, die in der demokratischen Republik das Tausendjährige Reich sieht“. Nach einem nicht ganz unbekannten Manifest aus dem Jahre 1848 war für ihn nämlich die „Erkämpfung der Demokratie“ gleichbedeutend mit der „Erhebung des Proletariats zur herrschenden Klasse“. Marx differenzierte in seinem Sprachgebrauch ferner sorgsam zwischen „Despotismus“ und „Diktatur“; bei letzterer unterschied er diejenige der „Bourgeoisie“ von der des „Proletariats“. Etwas mehr von einer derartigen begrifflichen Differenziertheit hätte auch den ansonsten sehr anregenden Überlegungen von Herrn Schandl gut getan.

    Eine ausführlichere Darstellung meines Standpunkts findet sich in meinem Buch „Das Rezept des Dr. Marx“ aus dem Jahr 2010.
    Eine Art Werkstattbericht zu diesem Buch erschien ebenfalls bereits vor Jahren im „Blättchen“:
    http://das-blaettchen.de/2012/06/begegnungen-im-niemandsland-deutsch-russische-diskurse-ueber-demokratie-und-diktatur-13138.html

    • Werner Richter sagt:

      Es verwundert doch etwas, bis auf Herrn Maiwalds Einwendungen zu Herrn Schandls durchaus provokanten Überlegungen Stille im Wald zu erleben. Herr Schandl greift weit in unser aller Denken eingedrungene Illusionen zum Zustand unserer Gesellschaft frontal an. Daß er dabei absichtlich übers Ziel hinausschießt, kann durchaus angenommen werden. Er nimmt in Kauf, auch ihm bestimmt bekannte Ungenauigkeiten zum Zwecke der Schonungslosigkeit für eine Abgrenzung von den ständig gebrauchten hohlen Phrasen zu verwenden. Deshalb rennt wohl Herrn Maiwalds Kritik die offene Tür ein. Herrn Schandl gelingt es so, die Randunschärfe unseres inzwischen etwas getrübten Gesellschaftsbildes zu beseitigen und die Gedanken auf die Grundaussagen von Marx zurück zu führen. Dabei steht er ganz in der Tradition von Hobsbawm, der Gleiches forderte. Allein diese Folgerung schon verdient des Lobes, da eigenartig oft auch in der Linken ignoriert. Schandls glasharte Trennungslinien zur Relation Demokratie : Diktatur ist offensichtlich Goldes wert angesichts heutiger imperialistischer Politik. Allzu oft werden Sichtweisen aus dieser Richtung übernommen, auch wenn dabei grotesk der angebliche Aufbau von „Demokratie“ ausgerechnet mit vorzugsweise offen terroristischen Kräften verteidigt wird. In der Ökonomie ist es ähnlich. Modernistische, denn systemstabilisierende Theorien werden anerkannt und es wird versucht, diese irgendwie mit Marx zu verbinden. Dabei werden simple Glaubenssätze, Warenwirtschaft for ever, ist unantastbar, indirekt übernommen und als alternative sozialistische Warenwirtschaft formatiert. Der Grundwiderspruch der Produktion von Waren, egal ob kapitalistisch oder sozialistisch deklariert, wird bei Seite gelassen. Was ich nicht sehen will, existiert nicht. Ich bin sicher, Marx würde sich angesichts Franz Schandls Abhandlung vergnügt auf die Schenkel klatschen, wenn das nicht so beschwerlich wäre.
      Es gibt eine Gruppe von alternativen Ökonomen, die an Marxens Anfang zurück gingen und an der Formulierung neuer, technisch möglicher und gesellschaftlich notwendiger Produktionsformen arbeiten. Deren Diskussion ist dort zu verfolgen:
      http://www.theoriekultur.at/wiki?GesellschaftlicheAlternativenJenseitsVonMarktUndGeld

  195. Erhard Weinholz sagt:

    Betrifft: Frank-Rainer Schurich: Grüße vom Posthornbesitzer
    Mit seiner Strafrente war Prokop doch noch gut bedient. Denn er widmete sich, wie im genannten Beitrag zu lesen ist, „der Fälschung österreichischer Briefmarken“. Gehörte also von Rechts wegen ins Gefängnis. In ein österreichisches natürlich. Aber da man ihn brauchte an der Charité, entschied der zuständige ZK-Sekretär damals, ihn im Lande zu behalten. Woran man wieder einmal sieht, daß die DDR kein Rechtsstaat war.

  196. Werner Richter sagt:

    Was aus „Zapp“ zu werden scheint
    Am 18.03.2015 lief wie jede Woche das durchaus wichtige wie notwendige Medienmagazin des NDR, moderiert von Ilka Schneider. Die Sendung mit kritischer Medienbeobachtung droht sowieso permanent im Mediengestrüpp unterzugehen, aber Hochachtung (bisher), sie halten sich unentwegt über Wasser. Seit einiger Zeit fällt jedoch ein stiller Trend auf, Medien mehr zu verteidigen als zu analysieren, so auch gestern. Hauptthema waren die „Internettrolle“, Menschen mit pathologischen Zügen, die die Anonymität des Internet nutzend ihre Verfolgungs- und Schädigungstriebe ausleben, indem sie ausgesuchte Autoren beschimpfen und beleidigen. Hier gibt es wohl tatsächlich Handlungsbedarf und diese „Kollateralschäden“ der sozialen Netzwerke müssen minimiert werden. Jedoch läßt aufhorchen, wenn Frau Schneider, diese Situation nutzend, sogleich die gesamte Kritik an den Mediendarstellungen zu aktuellen Fragen mit auf dem Müll entsorgt. „Lügenpresse“ und „Verschwörungstheorien“ waren die Schilder für Hinweise zur Mülltrennung, Ordnung muß sein. Ich machte mir einmal die Mühe, nach den ersten Klagen, damals von Anja Reschke vorgebracht, viele sachliche Fragen zu fragwürdiger Darstellung mit tendenziöser Faktenauswahl zu stellen. Die Antworten waren aber zumeist gequält, die Lästigkeit der Kritik war ihnen anzumerken. Das Problem wurde formal abgewickelt, d.h., Danke, wir sprechen darüber, Sense. Meine Fragen spielten keine Rolle, wie auch diese Sendung zeigt. Es ist zu befürchten, daß Wege zur Kanalisation von Zuschauerkritik in unwichtige Räume eingerichtet werden. Noch kann man Kritik an der Sendung per eMail an „Zapp“ bringen. Andere Medien haben inzwischen Blogs eingerichtet, in denen die Kritiker unter sich sind und keinen Schaden anrichten können. Man sagt ihnen: Geh in die Raucherecke und sprich mit den anderen Rauchern, Speakers Corner im Fernsehen.

  197. Rudolph Caracciola sagt:

    Zweimal im 20. Jahrhundert Europa verwüstet, aber wenn uns wer den Finger zeigt, dann kennen wir keinen Spaß! Da haben Sie völlig Recht, Herr Jauch!!
    Oder etwa nicht?
    Aber sehen Sie einfach selbst:
    https://www.youtube.com/watch?v=Vx-1LQu6mAE

    Unsere Landsleute im Osten dürften allerdings schon länger wissen, dass Fotos nicht zu trauen ist – nicht erst, seit DIE WELT mal darüber berichtete:
    http://www.welt.de/kultur/history/article13794477/Wie-Stalin-und-Ulbricht-Fotos-retuschieren-liessen.html

  198. Werner Richter sagt:

    Anmerkung zu „Frontal 21“: „Neuer Kalter Krieg?“
    Gestern, am 17. März, griff „Frontal 21“ in die Ukrainediskussion ein, sein Pfund bisher recht seriöser Berichterstattung einbringend. Unter dem Titel „Neuer Kalter Krieg?“ gingen die Journalisten Joachim Bartz, Reinhard Laska und Eleni Klotsikas nun endlich die wahre Geschichte des Konfliktes an nach dem bewährten Strickmuster „Die ganze Wahrheit über…“. Als natürlich objektive Experten der Filmdarstellungen wurden Herfried Münkler, bekannt als Christopher Clarks Sekundant, Wolfgang Richter, Oberst a.D. von „Stiftung Wissenschaft & Politik“, dem objektiven Strategie- und Taktik-Verein der Bundesregierung, und dem der Wahrheit und nichts als der Wahrheit verpflichteten Gernot Erler, Rußlandbeauftragter der Bundesregierung, bemüht. Alle befanden, welche Überraschung, letztlich Putins Unberechenbarkeit als konfliktauslösendes Grundübel. So einfach ist das. Recht neu war der relativ große Raum für Alexej Puschkow, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses der Duma, und Putin selbst. Allerdings waren von denen Beiträge gewählt worden, die die Grundthese (Putin ist unberechenbar und hat Schuld) stützten, was denn sonst. Breit angelegt wurden Menschenrechtsverletzungen der Separatisten, die Beschränkung der Pressefreiheit in den Separatistengebieten und die verzweifelten Bemühungen „ehrwürdiger“ Freiwilligeneinheiten gegen die russische Invasion bemüht, als ob es keine analogen Vorkommnisse durch den ukrainischen Staat oder die unkontrollierten Einheiten der „Nationalgarde“ gäbe. Die Begründung der gefährlichen Handlungen von Nato und USA zur Anheizung der Konfrontation in den baltischen Staaten wurde den „Fachleuten“, den Militärs und Irren in deren Regierungen unkritisch überlassen. Und natürlich den Falken in der ukrainischen Regierung, die logisch alle Verbrechen in der Ostukraine den Russen zuschoben und Waffen forderten. Da spielte es keine Rolle, daß schon vor Wochen Nato-Militärs Waffenlieferungen an die Ukraine bestätigten. Offiziell gibt es sie nicht und darum sind sie auch nicht. Kein Wort kritischer Betrachtung, keine Distanzierung von diesen Lügen. So stehen diese als reinste Friedenengel zur Ansicht, die nur die Furcht von einem russischen Überfall, nicht eine tatsächliche Bedrohung, als ausreichend für militärische „Abwehrmaßnahmen“ geltend machen können.
    Gratulation an „Frontal 21“, sie sind nun auch in die Riege aktiver Frontberichterstatter eingebettet. Ist dann zwar nicht mehr Journalismus, aber es lebt sich im Mainstream viel ruhiger.

  199. Jürgen Scherer sagt:

    Die USA haben nicht nur die Ukraine im Visier – ganz Europa inkl. des Lieblingsvasallen BRD!
    Siehe dazu: STRATFOR: US-Hauptziel seit einem Jahrhundert war Bündnis Russland-Deutschland zu verhindern
    Veröffentlicht am 12.03.2015. Der Gründer und Vorsitzende des führenden privaten US-amerikanischen Think Tank STRATFOR (Abkürzung für Stategic Forecasting Inc.) George Friedman in einem Vortrag für The Chicago Council on Global Affairs über die geopolitischen Hintergründe der gegenwärtigen Ukraine-Krise und globalen Situation insgesamt. Ausschnitte.
    https://www.youtube.com/watch?v=oaL5wCY99l8
    Nicht zu glauben? Wahr, wahr, wahr!

  200. Die linke Partei/Bewegung Syriza mit Tsipras an der Spitze hat die griechischen Wahlen gewonnen, Tsipras hat sich mit den Rechten zusammengetan, Tsipras will die Verträge mit der Troika nicht weiter einhalten. Tsipras will des Schuldenschnitt, der auch uns Deutsche wieder Milliarden kosten würde, Tsipras verbündet sich mit den auf Konfrontationskurs befindlichen Russen gegen Europa. Mehr Scherben – so zumindest vermitteln es die Mainstream-Medien – können derzeit nicht am Boden liegen.
    Wer die Geschichte nicht genauer kennt, wird erneut auf diese Deutung der Verhältnisse reinfallen und den Hardlinern auf den Leim gehen. Glücklicherweise gibt es inzwischen genug Fachleute, die der Bürgerverdummung Einhalt bieten. Einer von ihnen ist Heiner Flassbeck. Er hat in einem für meine Begriffe Aufsehen erregenden Kommentar die vermeintlichen Alleswisser und Demagogen zum Schweigen verdonnert. Viele Großmäuler gerierten sich wieder als Griechenland-Experten – meint der einflussreiche Ökonom – und sollten doch besser die Klappe halten. Auf knapp drei A4-Seiten seziert er die Situation und kommt zu dem deutlichen, für mich aber keineswegs überraschenden Ergebnis, dass wir Deutsche uns nur zu sehr wenigen Sachverhalten äußern sollten – dann aber auch nur, wenn wir uns gründlich informiert hätten. Die meisten Griechenland betreffenden Probleme seien für Außenstehende weder zu erkennen, noch zu beurteilen. Außerdem gingen sie nur die Griechen etwas an. Und die wüssten besonders jetzt, wo auch im eigenen Laden aufzuräumen sei.
    Am 14. Februar schlug US-Ökonom Jeffrey Sachs den Europäern vor, den Griechen alle Schulden zu erlassen. Vor allem die Deutschen sollten sich daran erinnern, dass ihnen mindestens zweimal in ihrer neueren Geschichte ein solcher Gnadenakt zuteil wurde http://www.rp-online.de/politik/eu/erlasst-griechenland-seine-schulden-aid-1.4874944.
    Was Putin und seine Annäherung an Griechenland betrifft, so liegt doch völlig nahe, dass sich die zwei Geschassten aufeinander zu bewegen. In Kürze wird auch Spanien noch mit Podemos und Iglesias dazu stoßen http://www.neues-deutschland.de/artikel/944200.neue-linkspartei-sorgt-in-spanien-fuer-furore.html .Wir sollten eigentlich froh darüber sein, dass junge Kräfte die verharzte EU-Doktrin endlich aufbrechen und der Austeritätspolitik, die zur Verarmung von Millionen Menschen geführt hat, den Kampf ansagen.
    Auf der anderen Seite müssen endlich die Kräfte in Deutschland Boden gewinnen, die eine Kooperation mit Russland und nicht dessen Ausgrenzung betreiben wollen. Peter Scholl-Latour hat die permanente Feindseligkeit gegen Russland in seinem Buch „Russland im Zangengriff“ auf den Punkt gebracht. https://www.youtube.com/watch?v=8dEH7LOa-0g .Jetzt muss auch Panorama eingestehen, dass Russland bei den Verhandlungen zur deutschen Wiedervereinigung über den Tisch gezogen wurde. Mündliche Zusagen der Westmächte – die Nato-Osterweiterung auszuschließen – wurden vorsätzlich gebrochen. Ja, die Amis lachten sogar über die Sowjets, weil sie sich diese Zusage nicht hatten schriftlich geben lassen http://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2015/Aggressor-Putin-die-Fehler-des-Westens,russland590.html In einer Welt, die so tickt, in der man auf mündliche Vereinbarungen am großen Verhandlungstisch nichts mehr geben kann, muss ein Mann wie Putin rot sehen. Kein Wunder, wenn er jetzt seine Muskeln spielen lässt und deutlich macht, dass nur auf gleicher Augenhöhe mit ihm verhandelt werden kann. Auch das Ukraine-Problem wird sich nur dann lösen lassen, wenn dieser Maßstab angelegt wird. Fragt sich, ob Poroschenko, ob der Westen an einer einvernehmlichen Lösung überhaupt interessiert sind. Derzeit lässt sich das nicht erkennen.