28. Jahrgang | Nummer 1 | 13. Januar 2025

Imperiale EU im Abgang

von Erhard Crome

Nachdem Donald Trump neuerlich zum US-Präsidenten gewählt wurde, schaut alle Welt besorgt nach Washington. Der noch amtierende Präsident Joe Biden versucht, möglichst viele vollendete Tatsachen zu schaffen, bevor über 100 Jahre globalistischer Welt-Gestaltungspolitik im Orkus verschwinden. Trump muss nur noch seine Amtsübernahme abwarten. Seine Vision, im Verhältnis zwischen den USA und China könnten die wichtigen Weltprobleme einer Lösung zugeführt werden, hat etliche Kommentatoren aufgeschreckt. Sie mutmaßen, Deals zwischen beiden Weltmächten würden zu Lasten anderer, vor allem der regionalen und Mittelmächte gehen.

Besonders betroffen wären vor allem Deutschland und die EU. Am 16. Dezember 2024 hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Bundestag die langerwartete Vertrauensfrage gestellt. Für ihn stimmten noch 207 Abgeordnete, gegen ihn 394; 116 Abgeordnete hatten sich der Stimme enthalten, 16 nahmen an der namentlichen Abstimmung nicht teil. Damit war der Weg für vorgezogene Neuwahlen freigemacht, die nun am 23. Februar 2025 stattfinden werden.

Allerdings ist eine Wahl zwischen Scholz und Friedrich Merz (CDU) am Ende wie eine zwischen Max und Moritz; es macht keinen wirklichen Unterschied. Auch wenn Merz vollmundig bekundet, gegebenenfalls wieder mit deutschen Waffen auf Moskau schießen zu lassen – das ist nicht mehr als ein Nachhall der gescheiterten globalistischen Kriegspolitik. Am Ende entscheidet Trump. Und der wird mindestens bereits länger als zwei Monate regieren, bevor es zu einer anderen deutschen Bundesregierung kommt. Innerhalb dieser Zeit wird er schon etliche Weichen gestellt haben.

Das Konzept einer „Ampel“-Koalition wurde für untauglich befunden. Es ist für längere Zeit verbrannt, selbst wenn angesichts der Ausdifferenzierung des Parteiensystems auch in Deutschland Drei-Parteien-Koalitionen wahrscheinlicher wurden. An der Oberfläche waren SPD und FDP hauptverantwortlich für das Scheitern. Dabei kamen die Grünen erstaunlich gut weg, obwohl das „Heizungsgesetz“ von Wirtschaftsminister Robert Habeck den größten Unmut der Bevölkerung hervorgerufen hatte. Zugleich wird die grüne Außenministerin Annalena Baerbock mit ihrer „wertegeleiteten“ Außenpolitik in der Welt kaum noch ernst genommen. Der internationale Ruf Deutschlands wurde weitestgehend ruiniert.

Als Trump 2017 seine erste Präsidentschaft antrat, wurde Angela Merkel zur „Führerin der Freien Welt“ ausgerufen, dem Vernehmen nach auf Betreiben von Barack Obama. Heute ist weder in Berlin noch in Paris jemand mit vergleichbarem politischen Gewicht im Ring. Und Biden hat nichts mehr zu rufen.

Die EU-Behörden und die deutsche Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen versuchen eilig, noch möglichst viele Vorkehrungen zu treffen. Der EU-Gipfel am 19. Dezember in Brüssel war der letzte vor Trumps Amtsantritt. Ziel war, Festigkeit und Zusammenhalt zu bekunden. Zuvor war die Kommissionspräsidentin am 6. Dezember nach Uruguay gereist, um das Freihandels- und Partnerschaftsabkommen zwischen der Europäischen Union und den MERCOSUR-Staaten unter Dach und Fach zu bekommen. Dabei konnte sie auch die Schwäche der französischen Regierung ausnutzen. Es geht immerhin um einen offenen Markt mit mehr als 700 Millionen Menschen, der Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit begünstigen soll – der deutschen und EU-europäischen Industrie, zu Lasten der Landwirtschaft, insbesondere auch Frankreichs. Der Abschluss hatte sich jahrzehntelang verzögert. Jetzt, da Trump kommt, sollten rasch Tatsachen geschaffen werden.

Kurz vor dem EU-Gipfel, am 17. Dezember, reiste von der Leyen nach Ankara, um mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan die Lage in Syrien und im Nahen Osten nach dem Sturz des syrischen Präsidenten Assad zu besprechen. Die Rolle der Türkei ist gestärkt. Auch hier sollten EU-seitig Fakten geschaffen werden, bevor Trump wieder im Weißen Haus residiert.

An dem EU-Gipfel am 19. Dezember schließlich – Hauptthema: Ukraine-Krieg – hatte auch der ukrainische Präsident Selenski teilgenommen. Der klagte wieder über zu wenig Waffen und Hilfen. Die EU-Spitzen versprachen weitere Unterstützung, erneut „solange wie nötig“. Syrien war aktuell als Tagesordnungspunkt hinzugekommen. Alle bekundeten transatlantische Bezogenheit, konnten aber nur auf das Prinzip Hoffnung setzen.

Für die europäischen Transatlantiker gilt nun: „Rechts um!“ Oder mit den Worten von Bischof Remigius, als er im Jahre 496 den fränkischen König Chlodwig taufte: „Bete an, was du verbrannt hast; verbrenne, was du angebetet hast!“ Angesichts der wirtschaftlichen Schwächen, nicht nur in Deutschland, sowie der von Trump zu erwartenden Zölle auch gegen Waren aus der EU soll es auf dem nächsten regulären EU-Gipfel im März 2025 um Wettbewerbsfähigkeit, Wohlstand, Handel und Jobs gehen.

Der bekennende Imperialist Herfried Münkler hatte vor zwanzig Jahren EU-Europa anempfehlen wollen, es stehe vor einer doppelten Herausforderung: Es müsse sich so behaupten, dass zwischen ihm und den USA kein Zentrum-Peripherie-Gefälle entstehe. Zugleich müsse es sich als imperialer Akteur um seine „instabile Peripherie im Osten und Südosten kümmern“.

Kanzler Gerhard Schröder (SPD) und Angela Merkel (CDU) hatten sich systematisch darum gekümmert, eine eigenständige Position zu wahren und mit den USA möglichst auf Augenhöhe zu agieren. Auch unter Nutzung der geschaffenen hegemonialen Position Deutschlands innerhalb der EU. Nicht zuletzt deshalb hatte Merkel von der Leyen in Brüssel deponiert. Scholzens Einknicken vor Biden zu Beginn des Ukraine-Krieges – und nicht zuletzt angesichts der Zerstörung der North Stream-Gasversorgung – hat BRD-Deutschland auf einen Stand der Subordination unter die USA-Politik zurückgeführt, wie sie zuletzt unter Adenauer in den 1950er Jahren bestand.

Die Position Deutschlands in der Welt nach dem Kalten Krieg beruhte auf seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Insbesondere der Osten der erweiterten EU wurde zur verlängerten Werkbank der deutschen Industrie. Realwirtschaftliche Grundlage war zugleich das preiswerte Erdgas aus Russland. Die wurde mit Scholz‘ Kotau gegenüber Biden und den Heizungsphantasmen Habecks zerstört. Das Ergebnis ist ein fortschreitender Niedergang der deutschen Industrie und deren Abwanderung in preisgünstigere Länder. Ursache ist zuvörderst die falsche Politik seit 2021, nicht anonyme Unabwendbarkeit. Da das Kapital nicht nach Patriotismus sondern nach Rendite geht, folgt es deutscherseits bereits jetzt dem, was es von Trump erwartet. Von Januar bis September 2022 lagen die deutschen Direktinvestitionen in Mittel-, Ost- und Südosteuropa um 40 Prozent höher als die in den USA. Im selben Zeitraum 2024 waren die in den USA dreimal so hoch, wie die in Mittel-, Ost- und Südosteuropa. Kurzum: das deutsche Kapital gibt seine Positionen im Osten Europas freiwillig auf, um sichere Profite unter US-Dach zu erwirtschaften. Der größte Investor in der Region im Osten ist mittlerweile China.

Am Ende werden die nach wie vor starke Position der USA in den geopolitischen Verhältnissen der Welt weiter gestärkt, aber auch jene Chinas. Ein geopolitisches Vakuum gibt es nicht: Der Sog in Richtung USA lässt das chinesische Kapital nachrücken. Zugleich schwindet die Kraft der EU, ihre eigene Peripherie zu ordnen. Die Drohung der EU-Behörden, der ungarischen Regierung eine Milliarde Euro an dem Land zustehenden Finanzhilfen vorzuenthalten, wegen angeblicher Verstöße gegen Rechtsstaatsprinzipien, verpufft folgenlos: Ungarn hat einen Kredit von einer Milliarde Euro bei einem chinesischen Bankenkonsortium aufgenommen.

Die Deals zwischen den beiden Weltmächten USA und China wirken bereits, obwohl Trump noch gar nicht wieder im Weißen Haus sitzt. EU-Europa und Deutschland verzwergen dazwischen, jedenfalls geopolitisch. Real auch geoökonomisch: Wenn Mikrochips, leistungsfähige Elektroautos und künstliche Intelligenz in den USA und in China technologisch beherrscht werden, hier aber nicht, bleiben den Deutschen und den anderen EU-Ländern am Ende bisherige Standardprodukte sogenannter Schwellenländer wie Tennisschläger und Sportschuhe. Oder Rollkoffer für chinesische und indische Touristen, die sich das alte Europa ansehen wollen.