28. Jahrgang | Nummer 1 | 13. Januar 2025

„Kriegstüchtig“ – weitere Anmerkungen*

von Gabriele Muthesius

Das Zeichen der Zeitenwende

ist unverkennbar der Kriegskurs.

 

Wenn die Bürger nicht auf die Kriegsfokussierung

der Politik reagieren, steht bald das ganze Land in Flammen.

 

Marcus Klöckner

 

Der Tenor des neuen Buches von Marcus Klöckner wird bereits in dessen Einleitung klar umrissen: „Wir schreiben das Jahr 2025 – und wir müssen über den Dritten Weltkrieg sprechen. […] Unter dem Deckmantel der von Politik, Medien und Expertentum proklamierten ‚Zeitenwende‘ entfaltet sich eine zunehmend enthemmte Militarisierung von Politik und Gesellschaft. […] Unverhohlen heißt es in den Medien: ‚Wir rufen zu den Waffen.‘ Und: „Gibt es hier denn gar keinen Sinn und Verstand mehr? Ob Deutschland über 50, 500, 5000 oder 50.000 Panzer verfügt: Eine Atommacht drückt einmal auf den Knopf und dann ist nichts mehr mit Kriegstüchtigkeit.“

Längst wird der Öffentlichkeit hierzulande in einer Art propagandistischem Dauerfeuer die Vorbereitung des Westens auf einen Krieg mit Russland als quasi historische Notwendigkeit verkauft und mit immer neuen militärischen Rüstungsforderungen verknüpft: „Wir brauchen Hauptwaffensysteme, Luftverteidigungssysteme, Munition und Einsatzunterstützung vom Kampfpanzer bis zur Feldküche.“ (Boris Pistorius, Bundesverteidigungsminister) Die deutsche und europäische „Rüstungsindustrie muss auf Kriegsproduktion hochgefahren werden“ (Wolfgang Ischinger, Ex-Chef der Münchner Sicherheitskonferenz)

Und die Gesellschaft? Reagiert, so Klöckner, „mit Realitätsverkennung und Verdrängung“.

Gefördert wird dieses Stillhalten dadurch, dass in der Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen wie der private Mainstreammedien über den Ukraine-Krieg die Gräuel und der Horror von realem Kriegsgeschehen an Fronten und in Schützengräben, das massenhafte Sterben, das verstümmelt oder auch irre werden von Soldaten auf jeweils allen Seiten sorgsam ausgespart werden. Auch was Informationen oder gar Bilder vom grauenhaften Alltag in Lazaretten und dem mindestens deprimierenden Anschluss in Rehaeinrichtungen anbetrifft – weitestgehend Fehlanzeige. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Werbung für den Eintritt ins Militär – und bekanntlich ist eines der größten ungelösten Probleme der Bundeswehr jenes des Personalmangels – ließe sich damit schwerlich machen. Und jenes „unverkrampfte[…] Verhältnis zur Bundeswehr“, von dem Bettina Stark-Watzinger (FDP) bereits für Schüler träumte, als sie zwar völlig farblos, aber immerhin noch Bundesbildungsministerin war, wohl kaum herstellen. Erstaunlich aber ist schon, wie durchgängig die genannten Medien hierzulande bei dieser Ausblendung unliebsamer Realitäten mitziehen … Über diese berichtete – the exception proves the rule – die Frankfurter Rundschau unter Berufung auf die in Amsterdam ansässige Moscow Times am 1. Oktober 2024; Klöckner zitiert: Kiew ziehe „durch das neue Wehrpflichtgesetz, das seit Mai in Kraft ist, derzeit im Schnitt etwa 30.000 Rekruten monatlich in den Ukraine-Krieg ein, meist junge Männer ohne jede Kampferfahrung. […] Nach Schätzungen der Kommandeure, mit denen die amerikanische Zeitung gesprochen hat, werden 50 bis 70 Prozent der Rekruten in den ersten Tagen nach Erreichen der Front getötet oder verwundet.“

50 bis 70 Prozent. In den ersten Tagen!

Klöckner bedient sich eines gelungenen Kunstgriffes, um die Kriegsrealität in seinen Ausführungen einzublenden: ein ums andere Mal zitiert er entsprechende Passagen aus „Im Westen nichts Neues“ von Remarque. Dieses Buch sollte – nach Auffassung der Rezensentin – allen jungen Männern, die demnächst unter dem Label „Neuer Wehrdienst“ (O-Ton BMVg) zur Angabe persönlicher Daten zwecks Wehrerfassung verpflichtet werden dürften, bei Zusendung des entsprechenden Fragebogens als Aufklärungslektüre beigelegt werden! Auch allen jungen Frauen natürlich, selbst wenn für diese der Fragebogen zunächst fakultativ bleiben soll.

Im Kapitel „Kriegstreiber: sie sind unter uns“ erklärt der Autor relativ weitschweifig,

  • was Kriegstreiber ausmacht – „Definition […] Kriegstreiber werden verstanden als Personen, die den Krieg antreiben“,
  • dass sie „auf dem Feld der Propaganda, der Lügen, der Manipulation [kämpfen]“ und
  • dass es sinnlos sei, ihnen „Argumente entgegenzusetzen.

Letzteres wäre, „als würde man einem Feuer Papier hinhalten“, denn die Kriegstreiber „wissen um die besseren Argumente ihres Gegenübers“. Daher gelte: „Propagandisten sagt man, dass sie Propaganda betreiben. Das reicht aus.“

Das ganze Kapitel wirkt leider so akademisch und blutleer, wie diese kurzen Zitate klingen, denn nicht ein einziges Mal benennt der Autor Ross und Reiter. Diesen Mangel hat er offenbar selbst empfunden, denn er redet sich den Malus mit der Formulierung schön: „Wie diese Leute heißen, ist im Grunde genommen irrelevant. Ihre Namen sind so austauschbar wie sie selbst.“

Ist dem so?

Dem aufklärerischen Impetus des Autors nimmt dieser Verzicht jedenfalls einiges von seinem Furor. Dafür müssen Autor und Verlag nun allerdings auch keine unter Umständen schnell recht kostspieligen Anfechtungsklagen potenziell Betroffener befürchten.

Ob sich dieses Dilemma womöglich mit einer Widmung des Buches hätte umgehen lassen? Etwa folgenden Wortlauts: „Zugeeignet Roderich Kiesewetter (CDU), Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Anton Hofreiter (Bündnis 90/Die Grünen), Michael Roth (SPD) und allen anderen Politakteuren, die mit der Forderung nach immer mehr und immer neuen Waffen für die Ukraine vermeinen, dem von Russland angegriffenen Land zu Hilfe zu eilen, und die mit Forderungen nach einer umfassenden Militarisierung der deutschen Gesellschaft einen Krieg zwischen der NATO und Moskau abzuschrecken gedenken.“

Viele mögen einwenden: Aber unsere militärische Bedrohung durch Moskau ist doch nun wirklich nicht von der Hand zu weisen!

Dazu Klöckner: „Russland kämpft seit fast 3 Jahren einen Krieg gegen die Ukraine – und ist noch immer nicht bis nach Kiew vorgedrungen. Gegen welchen Angriff soll denn die ‚gesamte Gesellschaft‘ in Deutschland sich plötzlich verteidigen?“

Zum gehypten Popanz einer russischen Bedrohung sind im Übrigen auch im Blättchen diverse Beiträge zu finden. (Siehe zum Beispiel Blättchen 15/2022 und in der vorliegenden Ausgabe in der Rubrik Antworten jene an Jan Fleischhauer.)

 

Marcus Klöckner: Kriegstüchtig. Mobilmachung an der Heimatfront, FiftyFity Verlag, Neu-Isenburg 2025, 160 Seiten, 16,00 Euro.

 

* – Bisherige Beiträge zur Problematik „kriegstüchtig“: Blättchen 23/2024 und Blättchen 24/2024.