Friedrich Merz (CDU), nächste Station Kanzleramt? – Dem stern gegenüber haben Sie Ihre zuvor bereits im Plenum des Bundestags geäußerte Absicht wiederholt, Putin ein 24-Stunden-Ultimatum zu stellen und, wenn dieser nicht unverzüglich alle Angriffe auf die zivile Infrastruktur der Ukraine einstelle, Taurus-Marschflugkörper an Kiew zu liefern. Sage also hinterher niemand, der noch dazu in der Lage wäre, er habe nichts gewusst.
Taurus-Marschflugkörper könnten gegebenenfalls bis Moskau schießen. Damit sie aber überhaupt etwas treffen, müsste die Zielprogrammierung, davon geht Moskau aus und ein Dementi hierzulande hat man noch nicht gehört, von deutschen Fachkräften vorgenommen werden. Für solche Fälle behält sich Russland, seiner dieser Tage von Putin in Kraft gesetzten neuen Nukleardoktrin zufolge, nicht nur Gegenschläge auch gegen Lieferländer vor, sondern solche gegebenenfalls selbst mit Atomwaffen. Das sollte zumindest zur Kenntnis genommen haben, wer Sie nach seiner Stimmabgabe am 23. Februar 2025 gern als Bundeskanzler sähe.
Sollte alles so kommen, wie es derzeit zumindest nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dann träfe wieder ein- und womöglich das letzte Mal zu: „[…] nur die allergrößten Kälber wählen ihre Metzger selber“*.
* – Hier zitiert nach Arbeiter-Zeitung, Wien, Nr. 111 vom 24.04.1910, S. 10.
Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), nicht minder gern Hausherr im Kanzleramt – Sie haben am 17. November 2025 in der Tagesschau erklärt: „Die Antwort auf diese Frage ist – ja.“ Wissen wollte der Interviewer, ob Sie Taurus an Kiew liefern würden.
Ansonsten muss hier nicht wiederholt werden, was zu Friedrich Merz gerade zu lesen war.
Alexander Dobrindt, Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag – Wie nicht anders zu erwarten, mussten zum Scheitern der Ampel natürlich auch Sie Ihren Senf dazugeben. Im Focus war zu lesen:
Sie: „Kein Wunder, dass viele den Niedergang der Ampel als Tragödie empfinden. Dabei kann man hier gar nicht von einer Tragödie sprechen.“
Focus: „Wie meinen Sie das?“
Sie: „In einer Tragödie gibt es immer gescheiterte Helden. In der Ampel sehe ich aber keine Helden, nur ganz viel Scheitern. Deswegen war die Ampel viel eher ein Trauerspiel als eine Tragödie.“
Soweit, so … oder um es anders auszudrücken: Was Sie da von sich gegeben haben, war aber auch eher ein Lustspiel als eine Komödie.
Thomas Haldenwang, Ex-Schlapphuthäuptling und nun Möchtegern-Politiker –Als Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz hatten Sie sich speziell auf die AfD eingeschossen. Das ist bekanntlich jene Partei, an die die CDU/CSU am rechten Rand seit Jahren Wähler verliert. Bisweilen sahen Sie sich in Ihrem Niederringen der Höcke-Gauland-Weidel-Schmuddeltruppe von der Politik offenbar zu wenig unterstützt; dann verkündeten Sie: „Nicht allein der Verfassungsschutz ist dafür zuständig, die Umfragewerte der AfD zu senken.“ Dieses nach Auffassung von Rechtsexperten ziemlich eigenwillige Amtsverständnis ließ Ihnen Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) unbeanstandet durchgehen. Doch haben Sie den Bogen überspannt, indem Sie ihre Absicht öffentlich machten, ausgerechnet für die CDU in den nächsten Bundestag einzuziehen, was selbst Parteichef Friedrich Merz überrascht haben soll. Spekuliert wurde in den Medien über die Absicht hinter Ihrer Absicht: Faeser beerben? Wie dem auch sei, die nahm Ihnen stehenden Fußes den Schlapphut vom Kopf, respektive setzte Ihnen den Stuhl vor die Tür.
Der Chef eines der sechzehn Landesämter für Verfassungsschutz kommentierte, Sie hätten dem Inlandsgeheimdienst einen „Bärendienst“ erwiesen, nämlich eine „Steilvorlage für die AfD“ geliefert: „Das ist eine Katastrophe.“ Und die Süddeutsche Zeitung erläuterte: „Das stinkt doch gewaltig, sagen sie jetzt bei der AfD, nach dem Motto: Haben wir doch immer gewusst, dass der Haldenwang nur wegen seiner persönlichen CDU-Agenda so hinter uns her ist.“ Und zitierte AfD-Chefin Alice Weidel: „Zur Belohnung für den Missbrauch des Verfassungsschutzes zur Benachteiligung der AfD gibts für Haldenwang das Mandat im Bundestag.“
Natürlich kann das alles auch ganz anders gewesen sein. Umso wahrscheinlicher erschiene dies allerdings, wenn die Welt ab morgen wieder eine Scheibe wäre …
Benjamin Netanjahu, israelischer Regierungschef – Nun hat der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag doch noch Haftbefehl gegen Sie erlassen. Es gebe hinreichende Gründe für die Annahme, dass Sie (wie auch Ihr ehemaliger Verteidigungsminister Galant) die strafrechtliche Verantwortung für das Kriegsverbrechen des Aushungerns als Mittel der Kriegsführung und für Verbrechen gegen die Menschlichkeit trügen, nämlich Mord, Verfolgung und andere unmenschliche Handlungen.
Auch wenn der Vorgang den Unterstützern der militärischen Selbstverteidigung Israels, die allein unter den Palästinensern im Gazastreifen mittlerweile zu vierzig Mal mehr Todesopfern geführt hat als der verabscheuungswürdige Terroranschlag der Hamas vom 7. Oktober 2024, erneut den Schaum vor den Mund treibt, ändert das nichts daran, dass sich der IStGH damit exakt im Rahmen jener Aufgabenstellungen bewegt, die im sogenannten Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 festgelegt sind. (Siehe dazu Blättchen 12/2024.)
Andrei Melnyk, ukrainischer Botschafter in Brasilien, früher in Deutschland – Als bekennender Verehrer des ukrainischen Faschistenanführers Bandera sind Sie uns noch unliebsam in Erinnerung. Selbst aus weiter Ferne nehmen Sie offenbar lebhaft Anteil am Lauf der Dinge an der Spree und jetzt den Fraktionschef der SPD im Bundestag, Rolf Mützenich, aufs Korn. Der spricht sich gegen die Stationierung neuer US-amerikanischer Langstreckenraketen im Lande und gegen die Lieferung deutscher Taurus-Marschflugkörper an Kiew aus. Das mache ihn, meinen Sie in einem X-Post, zum „herzlosesten und hinterlistigsten Politiker Deutschlands“, schlimmer als AfD und BSW. Und Sie fügten hinzu, sollte Mützenich in einer Großen Koalition Außenminister werden, würden Sie sich erschießen.
Über eine solche Aufstiegsmöglichkeit für Mützenich hatten wir, ehrlich gesagt, noch gar nicht nachgedacht. Doch nun ist uns klar: Mindestens einen Punkt gäbe es, der keinesfalls dagegenspräche.
Celeste Caeiro, Namenspatronin – Sie, eine Kellnerin, haben der portugiesischen Revolution ihren Namen gegeben. Die Nelken blühten, als portugiesisches Militär am 25. April vor 50 Jahren in Lissabon einmarschierte und eine der ältesten und übelsten Diktaturen Europas stürzte. Sie gehörten zu den Ersten, die sich damals wieder auf die Straßen wagten – mit einem Strauß Nelken. Denn der Besitzer des Restaurants, in dem Sie arbeiteten, hatte seine Angestellten wegen der unübersichtlichen Lage mit der Blumendekoration nach Hause geschickt. In der Nähe des Rossio-Platzes bat ein nervöser Rekrut Sie um eine Zigarette, mit der Sie als Nichtraucherin nicht dienen konnten. Sie schenkten ihm stattdessen eine rote Nelke, die er an den Lauf seines Gewehrs steckte. Seine Kameraden wollten auch eine Blume; bald war Ihr Strauß aufgebraucht. Der Legende nach entstand so der Name des im Übrigen friedlichen Umsturzes: „Nelkenrevolution“. Und machte Sie zu „Celeste dos Cravos“ (Celeste der Nelken).
Im Alter von 91 Jahren sind Sie am 15. November in Leiria gestorben. Wir ziehen den Hut und neigen das Haupt.
Günter Wallraff, preiswürdiger Enthüllungsjournalist – Auch Sie pflanzten den Gewehrläufen Ihrer Bundeswehrkollegen einst Blumen auf, was Ihnen freilich bald verboten wurde. Selbst hatten Sie den Dienst mit der Waffe verweigert und wurden nach abenteuerlichen Wochen mit dem Vermerk „verwendungsunfähig auf Dauer“ entlassen. Daran erinnerte Heribert Prantl kürzlich anlässlich der Verleihung des Otto-Brenner-Journalistenpreises an Sie. In seiner Laudatio rühmte Prantl, Sie hätten später jahrzehntelang der Presse- und der Meinungsfreiheit ungeahntes Leben gegeben. Mit ihren „Unerwünschten Reportagen“ – wie der Titel eines Ihrer frühen Bücher lautete, das 1970 auch im Aufbau-Verlag erschienen war – sind Sie in der Tat Vorbild für junge Kolleginnen und Kollegen auch in der DDR geworden. Nur blieben deren Texte eben oft „unerwünscht“ und ungedruckt. Glückwunsch jedenfalls zum Preis für ihr „Lebenswerk“!
Blättchen-Leser, aufmerksam und kenntnisreich – In der Blättchen-Ausgabe 24/2024 war das Weltbühnen-Fundstück „Kitschproduzent Lessing?“ mit dem redaktionellen Zusatz versehen worden: „Leider ist es der Redaktion nicht gelungen, den Autor zu identifizieren. Wir bitten daher darum, sich gegebenenfalls mit uns in Verbindung zu setzen.“ Sie, gleich zwei unserer Leser, haben sich mit uns in Verbindung gesetzt und ihre an Gewissheit grenzende Vermutung geäußert, dass sich hinter dem Autorenkürzel „gc.“ der vielseitige Publizist Günther Cwojdrak (1923–1991) verbarg. Cwojdrak, der für die Weltbühne unter anderem Theater- und Literaturkritiken verfasste, hatte 1965 die sehr erfolgreiche Anthologie „Die Kitschpostille“ vorgelegt, die bis 1989 sieben Auflagen erlebte. Sein Urteil über Kitsch und Nicht-Kitsch sollte daher wohl jede Anfechtung bestehen. Die Redaktion dankt Ihnen für Ihren Hinweis und ist froh, auf diese Weise an den Heinrich-Mann-Preisträger erinnern zu können.
Schlagwörter: Alexander Dobrindt, Andrei Melnyk, Benjamin Netanjahu, Celeste Caeiro, Friedrich Merz, Günther Cwojdrak, Günther Wallraff, Robert Habeck, Thomas Haldenwang