27. Jahrgang | Nummer 15 | 15. Juli 2024

Antworten

Markus Becker, SPIEGEL-Redakteur – Vor einigen Tagen erklärten Sie in einem Leitartikel von SPIEGEL online: „Der Westen muss klären, ob er zum Krieg gegen Putin bereit ist.“ Weiter las man: „Wie weit will die NATO gehen, um die Ukraine zu verteidigen? Die Suche nach einer Antwort wird besonders für die Deutschen schmerzhaft.“ Hierzu fällt uns Wolf Biermann ein, der in seiner Jugend sang: „Soldaten sehn sich alle gleich / Lebendig und als Leich“. Was Sie „besonders schmerzhaft“ nennen, wie es ein Knochenbruch oder Wespenstich sein könnten, ist tatsächlich die Frage, ob Donbass und Krim es wert sind, einen dritten Weltkrieg zu beginnen, mit der Aussicht, dass nicht nur „die Deutschen“ Schmerzen zu erleiden hätten, wenn sie erschossen, obdachlos, verwundet oder verstrahlt würden. Kanzler Scholz sagt dazu nein, wie kürzlich im Bundestag, und hofft offenbar, das allein bestimmen zu können. Doch sollte der Westen nicht vielmehr klären, wie man zu einem sofortigen Waffenstillstand und anschließenden Regelungen käme, die diese Region dauerhaft befrieden und der Ukraine den Wiederaufbau ermöglichen? Dazu ist eine Eskalation dieses Krieges der falsche Weg. Der Glaube, man könne Russland militärisch besiegen, erwies sich bekanntlich schon mehrfach als tödlicher Irrtum.

Wir fänden es daher klüger, die Lebenserkenntnis von Brandt, Bahr und anderen nicht zu ignorieren: Sicherheit in Europa ist nicht ohne, schon gar nicht gegen, sondern nur mit Russland herstellbar. Dessen unsägliche Militäraktion seit Februar 2022 hat das nur noch klarer gemacht.

 

Jan Fleischhauer, Kolumnist beim Focus – In Zeiten, in denen die Krise innenpolitisch und international zum Normalzustand geworden ist und deren Symptome ebenso zahllos wie ubiquitär sind, giert man nach jedem Strohhalm, sich daran zu klammern, um nicht endgültig in – je nach gusto – Melancholie, Depression oder Menschenhass abzuschmieren. Sie haben uns jetzt einen solchen geliefert, indem Sie sich die vollen 90 Minuten des TV-Duells Biden – Trump angetan und anschließend veröffentlicht haben: „Noch beunruhigender als die Aussetzer fand ich den leeren Gesichtsausdruck, mit dem Biden ins Studio starrte, wenn sein Gegenspieler an der Reihe war. Jeder, der sich gezwungen sah, seine Eltern im Altenheim unterzubringen, kennt diesen Ausdruck. Es war das Gesicht eines Menschen, der sich verzweifelt fragt, wo er eigentlich ist, und sich nichts sehnlicher wünscht, als dass ihn jemand abholt und nach Hause bringt.“

Wir haben ja seinerzeit in der DDR auch unsere Witzchen gerissen über den senilen Breschnew und den moribunden Tschernenko (zu Lebzeiten als KPdSU-Generalsekretäre die mächtigsten Männer des Ostblocks), aber natürlich nur hinter vorgehaltener Hand. Nie hätte dergleichen straflos veröffentlicht werden können. Es gibt ihn also doch noch – den Fortschritt.

 

Olaf Scholz, Bundeskanzler – In der ARD haben Sie kürzlich bekannt, dass Sie etliche politische Maßnahmen während der Corona-Pandemie heute für falsch hielten. Etwa das Verbot von Spaziergängen im Wald: „Warum man zu bestimmten Zeiten nicht draußen spazieren gehen konnte, wenn man eine Maske trug und niemandem begegnete, das hab ich nicht verstanden. Das hätte nicht sein müssen.“

Besser späte Einsicht als nie! Aber mehr interessiert hätte uns schon, warum Sie den Nonsens, der bei etwas gesundem Menschenverstand ins Auge sprang, seinerzeit mitgetragen und mitverantwortet haben …

 

Juli Zeh, Schriftstellerin, und Paul van Dyk, DJ, von Die Welt gemeinsam interviewt – In Ihrem kürzlich publizierten Gespräch spielten Sie sich unter anderem folgenden Ball zu:
van Dyk: Ich will mich nicht auf die Grünen einschießen. Aber ich fühle mich von Frau Baerbock in der Welt nicht gut repräsentiert, wenn sie vom „bacon of hope“ („Speck der Hoffnung“; gemeint war womöglich: „beacon of hope“, Leuchtfeuer der Hoffnung – die Redaktion) spricht oder wiederholt von der 360-Grad-Wende Putins, die notwendig sei. Die liefert ständig solche Dämlichkeiten vor einer Weltöffentlichkeit ab.

Zeh: Schön ist das wirklich nicht. Aber das ist nicht der Grund für den AfD-Erfolg. Es gab auch früher schon Politiker, die ihrem Job nicht gewachsen waren.

van Dyk: Aber haben diese Leute für sich die Hoheit über Wahrheit und moralische Überlegenheit in Anspruch genommen? Haben die dann jeden, der es anders gesehen hat, diskreditiert?“

Wir ahnten es ja längst: Früher war vielleicht nicht alles besser, aber manches ganz gewiss!

 

Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen), Vizepräsidentin des Bundestages – Ihren Tweet auf X (früher Twitter) anlässlich eines EM-Sieges der deutschen Nationalmannschaft – „Diese Mannschaft ist wirklich großartig. Stellt euch kurz vor, da wären nur weiße deutsche Spieler.“ – haben Sie leider wieder gelöscht, nachdem der wohlverdiente Shitstorm über Sie hereingebrochen war. Soweit so unschön. Doch wir sind nicht nachtragend. Haben allerdings ein gutes Gedächtnis. Darinnen abrufbar weitere intellektuelle Höhenflüge Ihrerseits:

  • „Unser Land wird sich ändern, und zwar drastisch. Und ich freue mich drauf.“ (Rede auf einem Parteitag der Grünen).

  • „Wir kriegen jetzt plötzlich Menschen geschenkt“ und „Willkommenskultur ist der beste Schutz vor Terroristen“ (beides zum Thema Migration).

  • „Dresden, das ist vor allem die Frauenkirche. Die ist wieder aufgebaut worden, nachdem die Nazis sie zerstört haben.“

  • „Die Grünen […] waren aber noch nie eine pazifistische Partei.“ (Aussage im Hinblick auf Entscheidungen über Auslandseinsätze der Bundeswehr).

Wir hoffen, wir treten Ihnen nicht zu nahe, wenn wir Ihnen einen beachtlichen Unterhaltungswert attestieren. Das ist bei abgebrochenen Theologiestudenten und nachmaligen Küchenhilfen ja weiß Gott nicht die Regel. Wir jedenfalls harren erwartungsvoll Ihres nächsten Bolzens.