Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat einen „Sicherheitshinweis für Politik & Verwaltung“ ins Internet gestellt mit dem Betreff: „Das IDCPC als Teil von Chinas Nachrichtendienstapparat“. IDCPC ist das Kürzel, gebildet aus dem englischen „International Department of the Central Committee of the Communist Party of China“. Zu Deutsch: Abteilung Internationale Verbindungen des ZK der KP Chinas. Darin warnt der deutsche Inlandsgeheimdienst vor Kontakten mit Mitarbeitern dieser Abteilung. Das IDCPC unterhalte „zahlreiche Tarnposten innerhalb des Regierungsapparates und entsendet Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an diplomatische Vertretungen im Ausland. Sie sind üblicherweise offen tätig und der politischen Abteilung der jeweiligen Vertretung zugeordnet.“
Das ist als Sachaussage genommen einfach Unsinn, vielmehr Ausdruck des außenpolitischen Gewerbes. Wenn ein Diplomat von seinem Land ins Ausland geschickt wird, ist es völlig irrelevant, ob er „Karriere-Diplomat“ im Apparat ist oder ob er zuvor im Militär, im Geheimdienst oder in der Wirtschaft gearbeitet hat. Sobald er mit Diplomatenpass und diplomatischem Status ausgestattet ist, muss er international entsprechend behandelt werden. Außerdem ist einerseits einschlägig bekannt, wie viele USA-Diplomaten eigentlich Geheimdienstleute waren oder sind (Präsident George Bush Sen. war abwechselnd Botschafter und CIA-Mann, bevor er Vizepräsident beziehungsweise Präsident der USA wurde). Andererseits gibt es bisher keine soziologisch belastbaren Untersuchungen, wie viele deutsche Diplomaten eigentlich „Tarnposten“ des Bundesnachrichtendienstes sind.
In dem Verfassungsschutz-Warnpapier heißt es, die IDCPC-Angehörigen würden „auch verdeckt“ arbeiten – wohl weil sie Diplomaten-Status haben – und „regelmäßig Berichte“ anfertigen über Gespräche mit ihrem Gegenüber. Dies wäre „Gesprächsabschöpfung von deutschen Kontaktpersonen“. Dass Diplomaten – also Personen mit Diplomatenstatus – Vermerke über ihre Gespräche mit Personen im Entsendeland anfertigen, gehört seit je zum diplomatischen Gewerbe und war schon zu Cäsars Zeiten üblich. Insofern erscheint es verwunderlich, dass der deutsche Verfassungsschutz dies jetzt für gefährlich hält; jedenfalls ist das keine chinesische Besonderheit. Insofern ordnet der Verfassungsschutz die IDCPC jetzt als „Geheimdienst einer fremden Macht“ ein und warnt den biederen deutschen Michel vor entsprechenden Kontakten.
Da kommunistische Parteien typologisch ähnlich aufgebaut sind, will ich auf die DDR verweisen. Die Außenpolitik ist Prärogative der Exekutivmacht. Das Herrschaftssystem hatte einen besonderen Bezug auf die sozialistische Staatspartei, die SED, die im Selbstverständnis und laut Verfassung der DDR eine „führende Rolle“ spielte. Grundsätzliche Entscheidungen wurden im Politbüro des Zentralkomitees der SED getroffen. Allerdings fanden wichtige Entscheidungen oft in einem engeren Führungskreis statt, zu dem seit den 1970er Jahren Erich Honecker, SED-Generalsekretär und Staatsoberhaupt der DDR, Wirtschaftssekretär Günter Mittag, Stasi-Chef Erich Mielke, Hermann Axen, Sekretär für internationale Fragen des ZK der SED, und Verteidigungsminister Heinz Keßler gehörten.
Der Außenminister der DDR – seit 1975 Oskar Fischer – war nie Mitglied des Politbüros und innerhalb der Parteihierarchie unterhalb von Axen angesiedelt. Gleichwohl hatte er auf Grund seiner gemeinsamen Vergangenheit in der FDJ einen eigenen Draht zu Honecker, der nicht notwendig über Axen lief, das heißt es lag in Honeckers Ermessen, wie sich die Rollenverteilung konkret gestaltete. Es gab keine durchgehende Unterordnung des Außenministeriums (MfAA) unter den Apparat des ZK, eher eine Art Arbeitsteilung. Die Beziehungen zur Sowjetunion, die nicht nur eine außenpolitische Frage waren, sondern sehr stark mit Wirtschaft, Wissenschaft und Technik sowie Landesverteidigung zu tun hatten, liefen über den Generalsekretär, dem die entsprechenden Fachministerien und in starkem Maße der Apparat des ZK der SED zuarbeitete. Die Abteilung Sowjetunion im MfAA hatte oft Mühe, überhaupt zu verfolgen, was da ablief. Auch die Beziehungen zu den anderen sozialistischen Ländern liefen maßgeblich über die Partei, die zuständigen Abteilungen im MfAA hatten jedoch Anteil an der Gestaltung der Beziehungen. Die Beziehungen zur BRD waren ebenfalls in besonderem Maße beim Generalsekretär angesiedelt; hier spielte Mittag eine wesentliche Rolle und innerhalb des ZK-Apparats gab es eine gesonderte „Westabteilung“ mit einem eigens zuständigen ZK-Sekretär, der in der Regel ebenfalls Politbüromitglied war.
Die Abteilungen des MfAA, die sich mit den anderen westlichen Industriestaaten, den Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas, mit Abrüstung, UNO, KSZE, Völkerrecht und anderem befassten, hatten jedoch weitgehende politisch-diplomatische Verantwortlichkeiten. Hier waren die Sektoren in der Abteilung Internationale Verbindungen des ZK der SED tatsächlich vor allem für die Gestaltung der Parteibeziehungen zuständig, was in der Regel die der SED zu den dortigen kommunistischen „Bruderparteien“ waren. Der ZK-Apparat hielt zu den Sachbereichen wie Abrüstung, UNO oder KSZE keine eigenen Analysekapazitäten vor, sondern verließ sich darauf, was im MfAA und in den wissenschaftlichen Instituten dazu gemacht wurde.
Charakteristisch für das realsozialistische Herrschaftssystem war zugleich die konkurrierende Behandlung außenpolitischer Fragen, auch der Analyse in unterschiedlichen Apparaten, so in den unterschiedlichen Abteilungen des ZK der SED, im MfAA, bei der Staatssicherheit, im Bereich des Ministeriums für Verteidigung, bei der Staatlichen Plankommission.
Im Sinne der Außenpolitik im engeren Sinne hatte die Abteilung Internationale Verbindungen (IV) des ZK der SED Sektoren für die Beziehungen zu den einzelnen Regionen – Sozialistische Länder, Westeuropa, Naher Osten, Afrika, Lateinamerika, Ostasien …, außerdem eine Dolmetscher-Abteilung (deren Chef dolmetschte die Spitzengespräche Honeckers mit der sowjetischen und der chinesischen Führung) sowie die „Konsultantengruppe“, die eine zentrale Analyse-Einheit war. Ihr standen im Grunde alle strategischen Informationen zur Weltlage, einschließlich der militärischen Themen der Rüstungsentwicklung und des militärischen Kräfteverhältnisses zur Verfügung, die es in der DDR gab und die für die Staatsführung entsprechend aufbereitet wurden.
Diese Struktur – einerseits das „normale“ staatliche Außenministerium zu haben und andererseits über die Abteilung IV zu verfügen – hatte eine Reihe von Vorteilen. Die staatlichen Beziehungen folgten (im Bereich der nicht-sozialistischen Länder) dem Prinzip der friedlichen Koexistenz und der Friedenssicherung; sie wurden im Außenministerium realisiert. Die Abteilung IV (die in der Regel wusste, was im MfAA gemacht wurde) hielt darüber hinaus die Beziehungen zu den „kommunistischen und Arbeiterparteien“, später auch zu sozialdemokratischen und anderen Parteien, die oft verboten und unterdrückt waren und mit den staatlichen Beziehungen nichts zu tun hatten. Wobei die DDR spätestens seit den 1960er Jahren davon ausging, dass sie dadurch nicht die Weltrevolution beschleunigen konnte. Es bot jedoch die Möglichkeit, außenpolitische Beziehungen mit unterschiedlichen Partnern gestalten zu können.
Die Abteilung IV der SED hatte in den 1980er Jahren Beziehungen zu etwa 120 Parteien weltweit. Die IDCPC dürfte heute Beziehungen zu etwa 150 Parteien haben; China ist schließlich etwas größer als die DDR. Diese Arbeit als geheimdienstlich zu denunzieren, zeugt jedoch lediglich von Inkompetenz des deutschen Inlandsgeheimdienstes. Er folgt ideologischen Mustern, nicht tatsächlicher Sachkenntnis. Der „Sicherheitshinweis“ bedient die primitive Weltsicht, wir hätten es jetzt mit einem manichäischen Endkampf zwischen „Demokratie und Autoritarismus“ zu tun.
Insofern sollte man allen deutschen Staatsbediensteten raten, mit allen chinesischen Vertretern offenherzig zu reden. Es dient der Verhinderung eines nächsten Weltkrieges.
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